Dflt öttttfstiKfifrst y Vr i v IHf h W V W P r o i Jahrgang 1!). Beilage zum Nebraska Ttaatslnzeiger. No. l. j)ßngstmalen. Z?0 Erich , Cchirseld. Tief stand die Sonne schon am Hori ,ont. Ihr rother Schein lieb die blank geputzten Fenfterschtiden der niedrigen Häuser de Dorfe! wie in Keller Vluth leuchten und daS neu dergoldete ttreu, de irchthurms purpurn strahlen. Tie Gesichter der Leute, die heute früher ali sonst Feierabend gemacht hatten und rauchend und plaudernd vor den HauS thun standen, waren von verklärendem Glänze übergössen und in den goldgrün schimmernden Pappeln und Linden flüsterte der Zlbendwind. Freundlich nach rechts und links grüßend schritt der junge Forstmann Werner, ein Kind de Dorfes, die mit weißem Eand und grünen Blättern de streute Straße entlang dem Echulhause zu. Fröhlich blickten seine Augen in die Welt, die heute ein so ganz anderes Gestcht hatte als sonst, denn daS Pftngft. fest brach an, da holde Fest, zu dem sich das Dorf geschmückt hatte mit Laub und Blumen. Bereinzelt winkten an den Fenstern schon die grünen Zweige der Maien. Am anderen Tage sreilich daS wußte Werner würde das ganze Dorf wie ein Birkenwald prangen, denn kein junger Mann unterließ eS. der Liebsten ein paar der schönsten Bäume zu beiden Seiten der Hos oder Hausthür laubenartig anzubringen. So poetisch dieser Brauch an sich ist. dem Forstmann bereitete er immer neuen Verdruß, weil man undeküm mert um den Forstbetrieb die starken Zweige und jungen Birken nach eigener Wahl dem Revier, ohne jede weitere Formalität zu beobachten, entnahm, das heißt: einfach stahl, und das zum Kummer der Forftbeamten meist mit solcher Vorsicht, daß nur selten so ein Frevler abgefaßt wurde. DaS über dachte Werner beim Anblick der frifchen Birkenreifer, trotzdem ließ er sich nicht besonders verstimmen, denn nicht nur die Pstngftfreude erfüllte fein junges Herz, sondern mehr noch die Liebe zur blonden Annemarie, der Tochter deS alten Kantors in jenem Echulhause, dem er zueilte. Hundert Schritt mochte er von feinem Ziele noch entfernt sein, als er den jungen Steinhofbauer HanS aus dem Haufe treten sah. Fiel ihm dieS schon auf, so beunruhigte eS ihn geradezu, daß HanS. der den Kommenden bemerkt hatte, mit einer scharfen Wendung von dem ursprünglichen Wege abbog und in einem Hintergäßchen verschwand. WaS hatte der Bauer im Schulhause zu suchen und warum wich er ihm aus? Er beschleunigte seine Schritte und stürmte in'ö HauS. ,WaS wollte der Steinhofbauer von Dir." rief er nach kurzem Gruße der verwirrt dreinblickenden Annemarie ent. gegen, warum ist er mir so scheu aus gewichen, was habt ihr mit einander?" Er sah sehr roth aus und athmete schnell. .WaS soll er denn gewollt haben?' erwiderte hilflos das Mädchen und blickte zur Seite. Werner war etwas heißblütig und manchmal allzu rasch und unüberlegt. Die wach gewordene Eifersucht weckte auch seine anderen dösen Eigenschaften. .Du," rief er grollend, .ich habe eS längst bemerkt, wie er zu Dir schön thut und daß Du Dir nicht ungern von ihm die Cour schneiden läßt. Freilich so ein Bauernhof ist ein fetterer Bissen, als ihn ein armer Forstmann zu bieten hat. Wenn Du aber denkst, daß der HanS Dich heirathet. so irrst Du Dich, denn wenn er sonst auch dumm ist wie 'n Bohnensack, rechnen kann er, verlaß Dich drauf." Annemarie war roth und blaß ge worden. ES war ein Glück für sie, daß Werner fo lange sprach, dadurch gab er ihr Gelegenheit, sich zu fassen, zu über, legen. Anfangs gekränkt, empfand sie jetzt etwas wie eine boshafte Freude an seinem ihr komisch scheinenden Zorn. Sie wußte, wie hübsch sie war. daß sie auch ein wenig kokett war, daS wußte sie allerdings nicht. Schon öfter hatte es ihrer Eitelkeit geschmeichelt, ihren Wer er, dem sie ja von Herzen gut war. durch klein Avancen, die sie anderen machte, in ein gelindes Feuer zu bringen und sich hinterher von ihm um Ver zeihung bitten zu lassen. Seine heutige Unart ging aber über jedes vernünftige Maß hinaus und dafür wollte sie ihn bestrafen. .So, meinst Du?" fragte sie deshalb etwas schnippisch. .Dann laß Dir nur sagen, daß ich nur .ja" zu sagen brauche, um Steinhofbäuerin zu wer dtn. DaS war ein Trumpf. Werner lachte gepreßt. .Dann sprich doch Dein .Ja", rief er. .Der Bär wird Dir gut zu Gesicht stehen." .Wenigsten wird mich der .Bär" mit etwas mehr Achtung behandeln und mir nicht meine Armuth vorwerfen, wie Du es thust," entgegnete sie schnell und die Thränen wirklicher Kränkung traten ihr in die Augen. .Nein, Annemarie," sprach Werner darauf mit Nachdruck, da? wird er nicht, und auch einen HeirathSantrag soll er Dir nicht wieder machen, verlaß Dich drauf. Gute Nacht." Er wandte sich rasch zum Gehen, dem Mädchen kaum Zeit lassend, über seine Worte nachzudenken. Erst als er die Thür hinter sich zugeworfen hatte, kam ; ihr der Sinn seiner Rede zum Bewußt sein. Da wurden ihr die Augen weit vor Schreck. Sie starrte auf die Thür und dann riß sie das Fenster auf. .Geh' heute nicht mehr in den Wald," fchrie sie ihm nach, .nicht in den Wald!" Er drehte sich um und wandte ihr fein Gesicht zu, das vom letzten Schein der Abendröthe matt beschienen wurde. .Haft wohl Angst um ihn, Anne marie?" rief er heiser zurück. .Dann bet' ein Vaterunser." Damit wandte er sich und eilte davon. Auf dem Thurme läutete der alte Kantor die Abendglocke. Während dessen saß in ihrem Kämmerchen seine Tochter mit gefalteten Händen und starrte dem Verschwundenen nach. In ihren Gliedern lag eS wie Blei, in den Schläfen pochte das Blut. Sie sühlte. daß sie etwas Furchtbares angerichtet hatte, ohne einen Weg der Rettung und Hilfe zu sehen. Sollte sie in den Wald laufen? Der war groß. Sollte sie ja was denn? Nichts, nichts konnte sie, als verzweifeln. Sie flüch tete in ihr kleines Zimmer und lauschte in die hereinbrechende Nacht hinaus. Der Mond stieg am Horizont herauf, sie starrte ihm in das röthliche Ange ficht, ohne ihn zu sehen. Die Kirchen thurmuhr verkündete den Verlauf der Zeit, Stunde um Stunde, sonst war eS still, furchtbar still umher. Dort drü den lag der dunkle Wald, umfloffen vom bleichen Mondlicht, der Wald, in dem jetzt vielleicht Da wurde die Stille der heiligen Psingftnacht unterbrochen. Der Knall eines Büchsenschusses hallte schwach her über vom Walde. Die Hunde im Dorfe schlugen an, und dann ward eS wieder still. Annemarie war mit einem erstick ten Aufschrei zu Boden gesunken und in ihr bleiches Gesicht schien der lachende Mond. Vom Schulhause aus hatte sich Wer ner in seine Wohnung begeben und sich auf daS, mit schwarzem Leder bezogene Sopha geworfen, um, wie daheim seine Annemarie grübelnd in den Mond zu starren. Er befand sich in einem unbeschreiblichen Zustande. Zum ruhigen Nachdenken kam er nicht, er wollte auch nichts bedenken und er wägen. Dafür ließ er sich von feinem Gefühl völlig beherrschen und schürte mit einem gewissen Behagen das Feuer rachgierigen Grimmes. AIS die Nacht ganz .hereingebrochen war, erhob er sich, entnahm dem Ge wehrschrank seine beste Büchse und schlich, begleitet von einem gut dressir ten Hunde, sich nach Möglichkeit im Schatten der Bäume haltend, dem nahen Walde zu. Hier überließ er sich der Führung seines klugen Thieres und bald vernahm er das Geräusch einer arbeitenden Säge und vernahm das Geknacke abbrechenden Gezweiges. Aber so oft er leise die Zweige auseinander biegend wohlbekannte Gestalten erblickte, zog er sich enttäuscht zurück, denn er pirschte auf ein werthvollereS Wild. Schon wollte sich die Ungeduld feiner bemächtigen. Die Sorge, daß ihm fein Opfer entwischen könnte, machte ihn nervös. Ueberall glaubte er es im Laube rascheln und flüstern zu hören. Der Hund dagegen, den er an einer kurzen Leine führte, trottete ruhig voran, plötzlich ftand er still und spitzte die Ohren, um dann mit erneutem Eifer voran zu eilen. Bald glaubte Werner wieder daS bekannte Geräusch zu vernehmen, das durch die Waldes ftille immer deutlicher an fein Ohr drang. Jetzt war er bei einer Gruppe junger Birken angelangt. Spähend lugte er durch das Gebüsch und sah den Gesuchten, den verhaßten Nebenbuhler, der gemeinschaftlich mit einem Knechte schon eine hübsche Laft der weißftämmi gen Maien zusammengebracht hatte. Rasch zwängte er sich durch das Gestrüpp und rief dem erschreckt aufblickenden HanS ein donnerndes Halt" entgegen. Der Knecht machte Miene, sich auf den Jäger zu ftürzen, ergriff aber entsetzt die Flucht, als er dessen Büchsenlauf auf sich gerichtet fah. .Jetzt haben wir ein Wort mit einan der zu reden," fagte Werner zu HanS, indem er einige Schritte näher trat. Dieser sah ihn, die Hände in den Hosen tuschen, lächelnd an. .Na wag soll'S denn?" fragte HanS phlegmatisch. .WaS eS soll? Daß ich Dich jetzt! über den Haufen schießen werde, Du elender Geselle. Deine Rechnung ist gemacht, jetzt sollst Du bezahlen!" .Na ja, daS ist auch 'ne rechte Kunst, einen wehrlosen Menschen zu überfallen in Nacht und Einsamkeit. Thu'S doch, wenn Du den Muth haft!" .Du Du willst mich noch verhöh nen?" .Laß doch die Dummheiten," sagte HanS ruhig. .Du bist ja berauscht oder " ' .Oder?" .Oder verrückt, meinetwegen." .Da haft Du'S." schrie Werner, in dem er daS Gewehr an die Backe riß. Der Schuß dröhnte durch die Stille de schlafenden WaldeS und der linde Wind der FrühlingSnacht trug den Schall hinaus bis zum Schulhause und traf die blonde Annemarie in'ö Herz. DaS war die Psingftnacht. Bald dämmerte der Tag im Osten, der Tag, der den heiligen Geift der Liebe, Freude und Versöhnung dringen sollte. Doch er fand eine Welt voll Eitelkeit. Unfrie den und Haß. Im Walde sangen die Vögel und auf den Fluren prangten die Blumen. Aber in den Herzen der Menschen wohnte daS Dunkel Unheil voller Nacht, sie hatten keinen Blick auf das Göttliche. Mit einem dumpfen Kopfschmerz er wachte Annemarie. Ihr Gesicht brannte in Fieberhitze und die Augenlider waren ihr schwer. .Ein schlimmer, wüster Traum," sagte sie und öffnete daS kleine Fenster, durch das die Psingftsonne so freudig in'S Zimmer schien. Die Psingftsonne! Richtig, heute war ja Psingften und geftern gestern, diese Nacht großer Gott! Blitzartig kam ihr die Erinne rung an daS, was vorgefallen war. Sie hätte laut aufschreien mögen. Mit angehaltenem Athem lauschte sie hinaus. Das ganze Dorf mußte sich ja in Auf regung befinden. Sie scheute sich, einen Menschen zu sehen, dem sie am Gesicht ablesen würde, was sie zu erwarten hatte. Und doch fürchtete sie sich vor der Gewißheit, und langsam, qualvoll langsam schlich eine Viertelstunde nach der anderen dahin. Da begannen plötzlich die Morgenglocken zu läuten, so feierlich und doch so fröhlich. Geputzte Menschen zogen fingend und lachend hinaus, und am blauen Himmel jubilirten die Lerchen. Alles war eitel Freude, nur Annemarie weinte in ihrem Stübchen heiße Thränen. Stunden waren vergangen. Da pochte eS leise an die Thür. Der Kan tor war eS, der sich erkundigte, ob Annemarie etwa krank sei, da er sie lange vergeblich erwartet habe. Ihr sei nicht ganz wohl, fagte sie, der Vater möge sich aber nicht ängstigen, sie werde bald kommen. Damit beruhigte sich der alte Mann und ging, seine? AmteS zu walten. Nun faß Annemarie im Wohngemach und wunderte sich über die Stille im Dorf. Von der Kirche herüber klang das Spiel der Orgel und der Gemeinde gefang: Komm, heil'ger Geift. kehr' bei uns ein Und laß uns deine Wohnung fein, O komm, du Herzenswonne I Sie faltete ihre Hände und betete : .Ja, komm heil'ger Geift. Kehre bei uns ein und mach' uns rein von unsern Fehlern und Sünden, die uns in Un heil und Verderben dringen !" Da aber vernahm sie plötzlich bekannte Schritte. Sie flog dem Kommenden entgegen und ihn mit den Armen umschlingend, barg sie ihr thränennasses Geficht an Werner'S Bruft. Der aber schob sie sanft von sich. Höre Annemarie," sagte er weich, .Du darfst mich nicht mehr berühren, ich ich habe diese Nacht auf HanS geschossen." Sie sank auf einen Stuhl und der Athem drohte ihr still zu stehen. .Ich weiß eS," preßte sie heraus, .ich habe den Schuß gehört." .So verfluche mich und beweine ihn," fuhr er fort. .ES ist ja nicht wahr, schrie sie da auf, .es ift ja Alles nicht wahr, wag Du denkst. Er ift ja längst mit einer Andern versprochen, mit einem armen Mädchen, das mir befreundet ift. Sie Halten'S heimlich untereinan der. seiner Eltern wegen, bis sein kranker Vater wieder gesund sein wird. Und ich sollte Dir fluchen! Ich bin ja schuld, daß eS so gekommen ist. weil ich Dir nicht die Wahrheit gesagt habe und weil ich ein so so einge bildeteS Ding bin. Und nun werden sie Dich in'S Gefängniß werfen und Alles ift vorbei, Alles l " Sie hatte die Worte stoßweise unter fortwährendem Schluchzen hervorge bracht und ließ ihren Thränen freien Lauf. .Nun sag' mir nur noch Eins."' fuhr Werner fort. .WaS hat der HanS geftern bei Dir gewollt?" .Was nützt das jetzt," schluchzte sie. .AIS Du mich geftern danach fragtest, hätt' ich'S Dir sagen sollen, daß er wis sen wollte, ob Du in den Wald gingest, und daß ich Dich überreden sollte nicht hinzugehen, weil sie nicht mit Dir zu fammenftoßen wollten beim Maien holen, daS doch nun mal Sitte ift von Alters her." .Annemarie." sprach er da und zog sie an sich, vergieb mir! Ich war ein blinder, rasender Narr, aber ein Narr, der Dich über Alles lieb hat. Weine nicht mehr, Annemarie. Der liebe Gott hat ein Einsehen mit meiner Un Vernunft gehabt. Denke, eS wäre Alles nur ein böser Traum gewesen !' Und dann erzählte er : .AIS der Schuß, ich weiß nicht, wie losgegangen war. kam ich zur Besinnung und vaS Entsetzen überfiel mich. Die Büchse entglitt meinen Händen und in wahnsinniger Angft lief ich auf meinen Gegner zu. .HanS." schrie ich, .ich hab'S ja nicht gewollt, ein böser Geift hat sein Wesen mit mir getrieben." Da lachte mich HanS vergnügt an. .Dummer Junge," sagte er, .solche Späße können ein schlimmes Ende neh men." Er hatte meine Bewegungen be dachtet und war rechtzeitig hinter einen Baum gesprungen. Annemarie, ich bin so glücklich l" Annemarie sah verklärt zu ihm auf. Noch flössen ihre Thränen, aber eS waren Thränen deS DanleS und der Freude. .Und HanS?" fragte sie endlich. .Wir find wieder die alten guten Freunde, die wir in der Schule waren," entgegnete Werner. .Er hat mir Alles erklärt, nur was er bei Dir gewollt hat, sollte ich mir von Dir sagen lassen, meinte er." .Werner," sprach Annemarie nach einer kleinen Pause feierlich, .wir haben Beide gesündigt, ich durch meine Eitelkeit und meinen kindischen Trotz, Du durch Deinen Jähzorn. Dadurch find wir Beide in schwere Noth ge kommen und eS hätte furchtbar enden können. Siehst Du. ich war schon verzweifelt und dachte schon an den Tod. Und nun ift doch Psingften ge worden, Werner, das wollen wir nie vergessen." Nein," sagte er, .niemals." Sie reichten sich die Hände und hiel ten sich fest umschlungen. Jetzt erst hatten sie den Bund für'S Leben ge schlössen, den Bund der durch Trüb sal geläuterten Seelen. DaS Pfingft fest hatte seine Mission an diesen bei den Menschenkindern erfüllt. Die Psingftsonne strahlte leuchtend Herme der auf die Erde. Die Vögel sangen und die Blumen prangten und dufte ten. Vom Kirchthurm läuteten die Feftglocken und vor dem Schulhause rauschten zwei gewaltige Maien : Fröhliche Pfingsten l" Ein Märzgefallener. Julius Stettenheim schreibt im Ber liner ,Kl. Journ.": Die ernfthafteften Ereignisse der Welt geschichte haben ihren Humor. Ernstes und Heiteres pflegen fo dicht nebenein ander zu stehen, daß es dem GefchichtS schreibe! sehr schwer wird, sie zu tren nen, so eifrig bestrebt er sein mag. da für zu sorgen, daß seine Darstellung nicht die Lacher auf ihrer Seite habe. Und doch sollte er die luftigen Episoden mit derselben Gewissenhaftigkeit wie die ernsten in sein Werk sügen, denn nicht selten tragen sie zur Charakteristik der Zeit, in welcher sich daS Geschichtliche abspielt, mehr bei, als was mit großem Aufwand von schriftstellerischem Ernst geschildert wird. So wird eS der Pietät, welche wir den Berliner Ereignissen des März 1843 schulden und deloahren. keinen Abbruch thun, vielmehr zur Kenntniß der damaligen Bevölkerung der preußi schen Hauptstadt ein Scherflein bei steuern, wenn wir aus den Erzählungen eines alten Militärs, der am Tage des blutigen Kampfes feine Soldatenpflicht erfüllt hat, das Folgende mittheilen : Der Ruf .Auf die Barrikaden!" hatte auch einen Arbeiter, den wir Mül ler nennen wollen, aufgerüttelt und er war mit einer Waffe, mit der er nicht recht etwas anzufangen wußte, zu den Kämpfern geeilt. Er hatte von seiner Frau einen rührenden Abschied genom men und sie, die gestrenge Gattin und Mutter, vermochte ihn nicht zu halten, obschon sie sich wenig Ersprießliches von der Rolle versprach, die ihr Mann plöß. lich in der Geschichte spielen wollte. Sie kannte ihn nur zu gut. Sie wußte, daß er eS nie lange auf offener Straße aushielt, sondern nur zu geneigt war, ein trauliches Plätzchen in einem WirthS Hause aufzusuchen, besonders wenn eS unter dem freien Himmel, wie in jenen stürmischen Märztagen, nicht sonderlich geheuer war. Aber eS ging nun ein mal ein Schrei nach Freiheit durch die Reihen der Menschen, welcher selbst dem Pantoffelhelden den Muth einflößte. eS wenigstens zu versuchen, außer den politischen Ketten auch die ehelichen zu zerbrechen. Und wie wir wissen, ge lang dieS unserem Müller. Er hatte sich losgemacht und feine Kraft in den Dienst einer Barrikade gestellt. Müller .kämpfte' wie ein Mann bis zu dem Augenblick, wo das Militär an rückte. Da hörte der Spaß auf. Mül ler fand, eö fei rückfichtSloS. daß die Soldaten vorzugsweise dahin schössen, wo die Barrikadenkämpfer sich aufhiel ten. und er machte auch aus seiner Auf fassung kein Hehl. AIS kluger Mann sagte er sich, daß er eS nicht mit nen nenswerthem Erfolg gegen die vortreff lichen Waffen der Berliner Garnison aufnehmen könne, besonders da er selbst nur mangelhaft bewaffnet und ebenso mit Munition versehen sei, und ehe er sich'S versah, hatte er sich mit Gefahr seines LebenS rückwärts konzentrirt und sich tapfer in ein Wirthshaus geworfen, das weitab vom Getümmel lag. ES war die höchste Zeit. Eine Stunde später Hütte er daS schützende Wirthshaus nicht mehr erreichen kön nen. Die Getränke waren gut. Müller leerte auf die politische und auf die ehe liche Freiheit ein GlaS nach dem ande ren. dann ficl ihm ein, daß er wie ein Wunder dem sicheren Tod entgangen war, und er widmete diesem Wunder ein GlaS. Dann noch eins. Seine Verpflichtungen zu trinken nahmen schier kein Ende. Er konnte nicht an die Barrikadenkämpfer denken, ohne ihnen zuzutrinken und glorreichen Sieg zu wünschen, auch sein Weib und seine Kinder sollten leben, Hurrah, Hurrah I und Berlin sollte leben. Hurrah, Hur rah ! und Friedrich Wilhelm der Vierte, der König, den er so liebte, Hurrah, Hurrah ! und mit dem nächsten Hurrah sank er unter den Tisch. .. Da lag er nun. Der Kampf war ohne ihn zu Ende gegangen. Er hatte schmerzliche Opfer gefordert! Die Leichen, welche nicht von Verwandten und Freunden erkannt worden waren, wurden in die Garni sonkirche gebracht, um rckognoSzirt zu werden. Hier erschien auch Frau Müller, deren Gatte in den Kampf gezogen und nicht wieder heimgekehrt war. Sie hoffte den Ungehorsamen unter den Lei chen zu finden. Sie fand ihn nicht. Aber sie sah, wie andere Frauen, die ihren Gatten erkannt und verzweifelt sich über dessen Leiche geworfen hatten, von anwesenden Vertretern der Stadt und von Männern, welche bedürftige Frauen unterstützten, namhafte Sum men erhielten, damit sie, ihrer Ernäh rer beraubt, nicht zu darben brauchten. Und im nächsten Augenblick warf sich Frau Müller mit dem Schrei: Mein August l über eine Leiche her. Als ihr Jammer einem stilleren Weinen ge wichen war. faßte sie sich auf Zureden fo weit, daß sie mehreren Herren, die sie thetlnahmsvoll umgaben, sagen konnte, sie sei mittellos, worauf sie einige größere Summen in Empfang nehmen konnte. Auch konnte sie einem , Magiftratsbeamten ihre Adresse genau angeben, damit bis auf Weiteres eine monatliche Unterstützung von zehn Tha lern sicher in ihre Hände kommen konnte. Tief erschüttert ging sie nach Hause. Aber ihre tiefe Erschütterung vertiefte sich noch wesentlich, als sie dort ihren August antraf, ihren Müller, der mit einem Riesenkater behaftet auf dem Bett lag und durch sein Schnarchen an daS Geräusch des PeletonS erinnerte, welche geftern noch so unheimlich ge knattert hatten. Und ihr erster Ge danke war : sie mußte am Ende gar die schöne runde Summe, die sie erhalten, wieder zurückgeben, und die monatliche Wittwenpenston von zehn Thalern war verloren l Sie weckte ihren August. ES war nicht leicht, aber mit einigem Anspritzen von kaltem Wasser gelang eS ihr. Was ser war ihrem Gatten stets unangenehm gewesen. Auguft erwachte, stierte seine Frau an und rief Hurrah, Hurrah ! Aber dieser Ruf der Begeisterung rührte seine Frau nicht. Sie ftand vor ihm. deutete mit ausgestreckter Hand auf die Thür und rief: .Raus mit Dir! Du bist todt!' Müller begriff Alles, als seine Frau ihm aus einer Menge von Thalern ei nen gab. Dann ging er dahin, woher er gekommen war. Wie lange eS dauerte, bis er nicht mehr todt zu fein brauchte ? So lange die Penston gezahlt wurde. Näheres ift nicht bekannt ge worden. Gefoppt. Der Konflikt zwischen Spanien und Amerika berührt natürlich auch einen Theil der Berliner Geschäftswelt. So lesen wir im .Berliner Tageblatt": Einer unserer bedeutendsten Exporteure wurde in nicht geringe Aufregung ver setzt, als ein befreundeter Bankier ihm bei einem zufälligen Zusammentreffen hastig mittheilte: .Es ist soeben ein Kakeltelegramm aus New Z)ork einge. troffen. Der Krieg ift erklärt, die ame rikanische Flotte ist auSzelaufcn. Die Spanier sind schon in Madrid." Der Exporteur lief wie rasend in sein Komp. toir. trommelte sein ganzes Geschäfts' personal zusammen und verkündete die aufregende Neuigkeit, die für sein Haus von großer Bedeutung war, da e um fangreiche Lieferungen füe spanische Ge schäftZhällser auszuführen hatte. ift so, wie ich sage," schloß n seinen ha ftigen Bericht, der Bankier N. hat ei mir mitgetheilt: die amerikanische Flott, ist unterwegs und die Spanier find schon in Madrid' WaS lachen 61t, Lehmsnn?" wandte er sich plötzlich es den jüngsten Lehrling, dessen Gesicht sich bei. der unerwarteten Ansprache de Prinzipals krampfhaft verzerrte, WaS haben Sie zu lachen, wenn eS sich u eine so ernste Sache handelt und wen ich sage: die Spanier sind schon t Madrid ?...." Aber im nächsten M ment lachte der Prinzipal selbst, nicht froh und vergnügt, wie man Über einen guten Scherz lacht, fondern etwa ge quält. Denn war eS nicht unangenehm, daß die Heiterkeit gerade deS jüngsten Lehrlings ihm die Thatsache in'S Ge düchtniß zurückrufen mußte, daß die Spanier ja eigentlich immer in Madrid sind?.... Zwei Ntlsser Radfahrer unternahmen vor Kurzem, so berichtet die Neiss. Ztg.". eine Fahrt nach Wei. denau. Auf der Rückfahrt trug jeder von ihnen eine Flasche edlen öfterreichi schen Weines wohlverborgen in der Brufttasche. Ungehindert pasfirten sie die Strecke vor dem preußischen Zollhaus ' in Kalkau. in dessen Thür ein Zoll beamter ftand und ihnen nachschaute. In ihrem Uebermuth zogen die Rad fahrer in entsprechender Entfernung die Flaschen aus den Taschen und schwenk ten sie luftig vor den Augen des Zoll beamten. Im nächsten Moment waren sie auch schon mit kräftigen Pedaltritten in der Ferne verschwunden. Sie hatten jedoch die Rechnung ohne den Beamten, einen Sportskollegen gemacht. In der , nächsten Minute saß derselbe schon auf ' seinem Rade und raste den Schwärzer durch Baucke und Blumenthal nach. Im Grunauer Gafthofe wurde ihm aber der Bescheid, daß die betreffenden Rad fahrer Grunau noch nicht pasftrt hatte. Dieselben mußten somit in Baucke oder Blumenthal eingekehrt sein. Der Be amte fuhr zurück und ertappte die At tentäter auch im Gasthause deS letzteren Ortes. Sie mußten ihm auf'S Zoll amt nach Kalkau folgen, wo der Ge rechtigkeit Genüge geschah. Der öfter reichische Wein soll sehr theuer gewesen sein. DaS neuest Wunder der Technik. Die ungemein schnelle Verbreitung, die daS überaus nützliche Erzeugniß mo deiner Technik, die Schreibmaschine, ge funden hat, regt erfinderische Köpfe dazu an, immer noch Vollkommeneres auf diesem Gebiet zu schaffen. So ift (8 jetzt gelungen, eine Schreibmaschim herzustellen, mit deren Hülfe man nicht nur, wie bisher, einzelne Blätter, fon dern auch bereits gebundene Bücher vollschreiben kann. An dem äußeren Rande eines zu diesem System angefer tigten Tisches befindet sich ein bewegli cher Riegel, in den die Schreibmaschine eingehakt wird, und mittels dessen die selbe beim Arbeiten auf einer in die Tischplatte eingefügten Rinne entlang läuft. Man legt nun das Buch, in das eingeschrieben werden soll, auf den Tisch und bringt die Schreibmaschine auf die zu beschreibende Seite des Buches, unter die man vorher eine Gummiplatte ge schoben hat. Um ein Verrücken der Seite zu verhindern, befestigt man sie in einem eigens dazu konftruirten Me tallrahmen. Bei diesem Verfahren be wegt sich also nicht, wie bei anderer Systemen. daS Papier, sondern die Ma schine selbst. Mittelst einer sinnreiche Vorrichtung kann der die Maschine Handhabende ohne die geringste Mühe jede Stelle der Seite dicht beschrieben oder ganz unbeschrieben lassen. Die grökten Geldstücke der Welt. Ein enragirter englischer Münzen sammler veröffentlicht eine Statistik, in der er die Münzsorten sämmtlicher LSn der der fünf Erdtheile nach ihrer Größe und ihrem Gewicht geordnet hat. Da nach wäre das größte und schwerste Goldstück, welches überhaupt exiftirt, der Lool" der Anamiten in Hinterindien. Diese umfangreiche Goldscheibe wiegt beinahe ein Pfund und hat einen Werth von 88 Mark. Die Münze ift nicht geprägt, sondern mit indischer Farbe beschrieben. Nach diesem etwas de schwerlichen, aber doch wünschenswerthen Goldstück nennt der Engländer den japanischen .Obang", der einen Werth von etwa 22 Mark hat, und den Benta" der AschantiS. der dem 50 Dollar-Goldstück der Californier gleich werthig ift. Diese vier Goldfüchse wür den also genau so viel betragen wie 75 deutscher Zmanzigmarkftücke. Trotzdem eS nur vier Stücke sind, dürfte ihre Schwere doch ziemlich lästig fallen, wenn man sie längere Zeit bei sich tragen wollte. Zu den schwersten Silderftücken, die zur Zeit curfiren. gehören der eben falls anamitische .Jngot' im Werthe von 00 Mark mit einem Gewicht von über einem Pfund, der chinesische .Taek" und der österreichische Doppelthaler. ;ine ideale Stadt. Herr (erzählend): ja. das muß ich gestehen, in dieser Hinsicht ift Chicago einzig: Hochbahn. Elektrische Bahnen, Kabelbahnen nach allen Richtungen eS bleibt denn doch die Stadt der besten und rascheftcn Verbindungen " AeltereS Fräulein (jauchzend): .Auf räch Chicago.'