Nebraska Staats-Anzeiger. (Lincoln, Nebraska) 1880-1901, May 05, 1898, Image 9

Below is the OCR text representation for this newspapers page. It is also available as plain text as well as XML.

    n
l"
V V
Pf
nnitirtrtcnrt t
V I I III VI U V II U P
.J O I
et
n
Jalirgang 1.
Beilage zum Nebraöka Ztaats-Anzeiaer.
No. .'.
Eine Zvciscdckanntschaft.
J'on Ar. i-r.
In tinkm Coupee dkS Berlin'PctnZ'
burgxr EchnellzugkZ saßen an einem
Herdflabeild zwei Herren als einüge
Insassen im besprach zusammen. Tcr
Seite mochte ein Siebziger sein, aber
sein frisches. tikfdrauneS Gesicht, sein
scharfer Blick und feine ausrechte Hol
tung bekundeten, daß ihn die Last sei
ner Jahre nicht schwer drückte. Ueber
die hohe Stirn deZ Reisenden zog sich
eine tiefe Narbe, die offenbar von einer
schweren Wunde herrührte, und deren
helle Ränder der Physiognomie deS
alten Herrn einen ganz eigenartige
charakteristischen Zug verliehen, der dem
Beschauer sofort ausfiel. Ter andere
Reisende war ein junger, elegant ge
kleideter Mann, dessen freundliches Ant
litz und offenherziges Wesen einen sehr
sympathischen Eindruck machten. Er
hatte seinen leichten Reisemantel adge
uorfcn und trug an einem Riemen eine
kleine, schwarze Geldtasche, die er im
Laufe deS GesprücheS unwillkürlich von
Zeit zu Zeit betastete, als wollte er sich
Überzeugen, daß deren, wie eS schien,
sehr ansehnlicher Inhalt noch intact
fei. Während der alte Herr sich ziem
lich schweigsam verhielt und sich nur
dem eifrigen Genuß deS Rauchens hin
gab, war fein Begleiter desto redseliger.
Er erzählte von seiner Schulzeit, sei
nen Studienjahren, daß er Referendar
und jetzt schon seit längerer Zeit bei
einem angesehenen Juftizrath thätig sei.
Heute sei ihm ein sehr ehrenvoller Auf
trag zu Theil geworden. Der alte
Justizrath, als dessen Assistent er fun
girte, war der Rechtsvertreter eines rei
chen Gutsbesitzers an der preußifchruf'
fischen Grenze. Er hatte für diesen
ein obsiegendes Urtheil in einem lang
wierigen Prozeß erstritten, und daS
Object deffelben. 56,00 Mark, war
vor einigen Tagen baar ausbezahlt
worden. Der Gutsbesitzer hatte brief
lich den Wunsch geäußert, daß ihm diese
Summe sofort durch einen absolut
sicheren Mann persönlich überdracht
werden solle, und zwar nach einer etwa
zehn Meilen von seinem Gut entlegenen
Grenzstadt, wohin er sich ebenfalls be
gab, um dort den Ankauf eines größe
ren Gutes, welches das seinige be
grenzte, abzuschließen.
Der Alte hatte die Erzählung deS
jungen Rechtsgelehrten nur mit einigen
kurzen, von Zeit zu Zeit hingeworfenen
Zwischenreden unterbrochen. Als sein
Begleiter geendet hatte, musterte er ihn
eine Zeit lang unbemerkt, wobei ein
ftilleS Lächeln um feine Mundwinkel
spielte. Nach einer längeren Pause
erst fragte er in einem Tone, auS dem
ein aufmerksamer Beobachter vielleicht
eine leise Ironie herausgehört hätte :
Und Sie tragen also ein ganzes
Vermögen bei sich?"
Hier sitzen die Musikanten erwi
derte der junge Mann, indem er heiter
lachend auf die Geldtasche schlug, und
der Alte mag ein recht vergnügte? Ge
sicht machen, wenn ich ihm die neuen
Tausender aufzähle, die er, nachdem
in der ersten Instanz gegen ihn entschie
deS war, schon halb und halb verloren
gab
.Ja, ja, daS wird er wohl," lächelte
der Andere, und ganz besonders
freuen wird er sich, daß ihm diese große
Summe durch einen so liebenswürdigen
und sicheren Boten überbracht
wird.
Der junge Mann verbeugte sich ge
schmeichelt, und wenige Minuten dar
auf verkündigte der schrille Pfiff der
Lokomotive, daß sie ihr gemeinsames
Reiseziel erreicht hatten. Als sie auf
dem Perron des ziemlich dürftig erleuch
teten Bahnhofs standen, wollte sich der
junge RechtSbefliffene von seinem Reise
geführten verabschieden, als dieser ihm
vertraulich die Hand auf die Schulter
legte und sprach:
Wenn eS Ihnen recht ist, fahren
wir zusammen in daS Hotel zum Deut
fchen Kaiser," wohin Sie ja beordert
sind."
Sie wissen?" fragte erstaunt der
Andere.
Ja, Herr Gustav Hartmann." er
widerte lächelnd der Alte. Ich bin
nämlich zufälligerweise der Gutsbesitzer
Wüllner, demSie die hier sitzenden Muss
kanten abzuliefern haben." Er tippte
bei diesen Worten mit seinem derben
Reisestock leicht auf die Geldtasche Hart
mannS, der ihn verblüfft anstarrte, und
fuhr fort : Na, im Hotel daS Weitere,
besteigen wir also die alte Karre, die
sich Omnibus nennt, und fahren wir
in die Stadt."
Etwas eigenthümlich gedrückt folgte
der junge Mann der Aufforderung
Wüllners. und eine Minute fpüter
rumpelte das wackelige Geführt dem
Städtchen zu.
Die Reisegefährten hatten zunächst
gemeinschaftlich zu Abend gespeist und
dann auf dem Zimmer deS GutSbe
fitzerS, der sich dem jungen RechtSbe
ftiffenen gegenüber genügend legitimirt
hatte, ihre geschäftliche Angelegenheit
geordnet.
Wenn eS Ihnen angenehm ist, plau
dern wir noch ein Stündchen." sprach
Wüllner zu artmann. als dieser sich
zurückziehen wollte. Ich möchte Ihnen
gerne eine kleine, lehrreiche Geschichte
erzählen, die Ihnen vielleicht einmal
von Nutzen sein kann."
ES wird mir eine Ehre sein,"
antwortete bescheiden der junge Mann
und nahm auf einen Wink deS Alten
wieder an, Tische Platz. Wüllner
schenkte die Gläser voll, lehnte sich be
haglich in seinem Sessel zurück und
begann :
Vor allen Dingen, mein junger
Freund, muß ich mich Ihnen als einsti
gen College vorstellen. Ja. ja. sehen
Sie mich nur erstaunt an ! Auch ich
wollte mich der Rechtswissenschaft wid
men, und zwar in Amerika, wohin ich
schon als Kind mit meinen Eltern
verschlagen worden war. Ich hatte
meine juristischen Studien beendigt
und stand im Begriffe, die Berech
tigung zur Advocatur zu erwerben
und bei der Advocatenfirma Miller &
Low in Briefoille als JuniorPartner
einzutreten. ES war dies ein alteS Aö
vokaturgeschäft mit einer ausgebreiteten
Praxis. Ein Jahr vor Beginn meiner
Geschichte war ein Farmer NamenS
Preston einige Meilen von Grafton
entfernt gestorben, und Miller & Low
hatten die Regulirung der Erdschaft
übernommen. Die Sache war etwas
verwickelt und zog sich in die Länge, der
Erbe aber brauchte Geld und beschloß,
zu diesem Zweck 15,000 Dollars auf die
Erbschaft aufzunehmen. Wir wurden
mit diesem Geschäft betraut, und eS ge
lang uns auch, das Darlehen in Graf'
ton mit einem Bankhaus abzuschließen.
Ich erhielt den Auftrag, mit den nöthi
gen Papieren versehen, dorthin zu
reisen, die Summe in Empfang zu
nehmen und sie dann dem etwa zwanzig
Meilen entfernt wohnenden Erben per
sönlich zu überbringen.
Stolz auf meine VertrauenSmisston,
hatte ich in einem Eisenbahnwagen
Platz genommen und fing eben an,
meine Zeitung zu lesen, als ein wohl
gekleideter Herr einstieg und sich mir
gegenüber setzte. Wir waren die ein
zigen Insassen deS CoupeeS gerade
wie heute , und da ich damals eine
etwas geselligere Natur war und mich
auf Reisen gern nach Menschen umsah,
mit denen ich recht viel plaudern konnte,
so war eS mir ganz angenehm, daß der
Ankömmling mich nach einer Weile an
sprach. Er machte eine Bemerkung
Über die Gegend, durch welche der Zug
brauste, ein Wort gab daS andere, wir
kamen in ein interessantes Gespräch,
und ich freute mich, einen so angench
men Reisegefährten gefunden zu haben.
Dieser richtete verschiedene Fragen an
mich, so daß er. ehe ich mich dessen der
sah. von dem Geschäft, welches mich
auf die Reise führte, genau unterrichtet
war.
Henry Black unter diesem Namen
hatte sich mein Reisegefährte mir borge
stellt war nicht weniger mittheilsam.
Er erzählte mir, daß er nach Grafton
zu einem Agenten reise, der ihm ein
Gut, daS er zu kaufen beabsichtigte,
nachweisen solle, und als wir in Graf
ton ankamen, wo Black sich ein paar
Tage aufzuhalten gedachte, trennten
wir uns unter freundschaftlichem Hände
schütteln und der gegenseitigen Versiche
rung, daß wir eine recht angenehme
Fahrt zusammen gemacht hätten.
Noch am Nachmittag nach unserer
Ankunft ordnete ich bei dem betreffen
den Bankhaus mein Geschäft und las
firte die 15.000 Dollars für unseren
Clienten ein. Ich war im Begriff, mich
zu verabschieden, als der Chef des Hau
feS mir die Hand auf die Schulter legte
und sagte:
Seien Sie vorsichtig, junger Mann.
Lassen Sie keinen Fremden wissen,
welch eine Mission Sie baden, wenig
ftenS nicht eher, als bis Sie daS Geld
abgeliefert haben. Bor allem aber
achten Sie darauf, wer mit Ihnen im
Coupee fährt."
Ich will gestehen, daß mich dieser
Rath, der mir wie eine gewisse Bevor
mundung erschien, zuerst etwas ürgerte.
Als ich aber in das Hotel zurückkehrte
und mir die Warnung des Banquiers
doch nicht auS dem Sinn kam, beschloß
ich, derselben nachzukommen, und der
barg, als ich am anderen Morgen zum
Bahnhof fuhr, das Pückchen mit dem
Geld, welches in großen Banknoten be
stand, auf der bloßen Brust, so daß ich
überzeugt fein konnte, von keinem
Tafchendieb beftohlen zu werden.
Zu meiner Uederraschung traf ich auf
dem Bahnhof meinen Reisegefährten
Henry Black, der mir mittheilte, daß
der Verkauf deS von ihm in das Auge
gefaßten GuteS schon am anderen Tage
stattfände und er sofort dahin reisen
müsse. Bei dieser Gelegenheit stellte
eS sich heraus, daß diefeS Gut ganz nahe
bei demjenigen unseres Clienten lag.
und da eS noch sehr früh am Tage und
herrliches Juniwetter war, so nahm ich
mit Vergnügen daS Anerbieten Blocks
an. statt mit der Bahn, in seiner Ge
fellschast die Fahrt in dem hübschen
Wagen zu machen, den er zu diesem
Zweck gemiethet hatte und selbst kut
schirte.
Wenige Minuten später fuhren wir
loS. Der Anblick der in üppiger Pracht
stehenden Wiesen und Wälder stimmte
mich außerordentlich heiter und zufrie
den. Mein Geführte plauderte viel,
berührte aber mein Geschäft mit keinem
Wort. Wir waren unzefähr zwei Mei
len gefahren und hatten eben eine ein
same Farm hinter UNS gelassen, als
Black seiner Umhängetasche ein Reise
flälchchen entnahm und eS mir mit den
Worten bot:
Ich denke, ein guter Schluck wird
uns wohl thun! bitte, trinken Sie."
Nun war ich zwar kein Freund von
geistigen Getränken, allein ich schämte
mich, dicS zu bekennen, und nahm einen
herzhaften Schluck aus der Flasche. AIS
ich ihm diese zurück aab, setzte auch er sie
an die Lippen. Kaum waren fünf
Minuten vergangen, da wurde mir sehr
sonderbar zu Muthe. Die Fenzen am
Wege schienen höher zu werden und die
Bäume zu wachsen, eS war mir. als ob
ich das Rollen unsere? BuggieS in weiter
Ferne hörte.
Sonderbar," bemerkte ich, mir
scheint, daß ich unwohl werde." Dabei
hielt ich mich mit aller Kraft am Wagen
fest.
Wirklich. Sie sind sehr blaß," er
widerte er. indem er mich scharf ansah,
eS scheint, daß Sie daS schnelle Fahren
nicht vertragen können. Ich will Sie
so schnell wie möglich zu einem Arzte
bringen."
Meine Zunge war mir so schwer im
Munde, daß ich kein Wort heraus
bringen konnte. Ich krallte mich an
den Sitz fest, schloß die Augen, und er
trieb das Pkerd zum schnellsten Laufe
an.
Etwa drei Meilen von Grafton zieht
sich ein großes Stück Wald hin, welches
wir nun bald erreichten. Inzwischen
hatte der Schmerz in meinem Kopfe
etwas nachgelassen, ich öffnete die Augen
und fühlte mich nicht mehr so unwohl
wie vorher.
Eine Art von Betäubung aber hielt
mich noch immer gefangen. Nachdem
wir noch etwa eine halbe Meile gefah
ren waren, bog Black in einen engen
Waldweg ein. Ich konnte nicht begrei
fen, was et da wollte, ich versuchte
darüber nachzudenken, aber eS ging
nicht.
Da find wir !" rief er aus, als er
ein paar hundert Schritte von der
Hauptstraße anhielt. Er stieg aus,
machte das Pferd fest und kam dann an
die Seite, wo ich faß.
Ihnen ist noch immer unwohl, aber
ich hoffe, es wird Ihnen bald besser
werden." bemerkte er, steigen Sie aus,
ich werde Ihnen helfen."
Er streckte die Arme aus uud fing
mich, der ich halb hinausfiel, auf.
Mir war, als ob ich ein paar taufend
Pfund wiegen müßte. Er trug mich
fort und legte mich einige Fuß von
einer Fenz. die am Rande einer Wiese
entlang lief, nieder, worauf mir besser
wurde. Die Wirkung deS genossenen
WeincS oder vielmehr deS BetäudungS
mittels begann zu schwinden, ich kam
zum Bewußtsein, daß etwas Ungewöhn
liches mit mir vorging. Aber ich war
noch immer unsähig, ein Glied zu be
wegen, und hatte daS Gefühl im Kör
per, als ob meine Glieder eingeschlafen
wären.
Können Sie sprechen?" fragte
Black, indem er sich über mich beugte.
Ich will wissen, wo Sie die 15.000
Dollars haben."
Nun erst ging mir ein Licht auf. und
ich fing an, meine Lage zu begreifen ;
die Schwere, welche meine Zunge gefef
seit hatte, ließ nach, und auch die Fin
ger konnte ich wieder etwas bewegen.
Black, wollen Sie mich berauben?"
stammelte ich, mit großer Mühe die
Worte suchend. Aber Sie sollen daS
Geld nicht haben, eher sterbe ich," fuhr
ich fort, indem ich mich etwas zu erhe
den versuchte.
Ah, ich sehe, Sie tranken nicht ge
nug von meinem Wein," bemerkte er
sehr ruhig; aber dem läßt sich ab
helfen."
Er ging zum Buggy. holte Stricke
und einen Knebel und kniete neben mir
nieder. Da ich noch schwach war und
nur geringen Widerstand leisten konnte,
wurde eS ihm leicht, mich zu bewälti
gen. Ich lag auf der rechten Seite,
mit dem Gesicht der Fenz zugekehrt, in
dieser Lage band er mir die Hände auf
den Rücken.
Nun daS Geld her!" Mit diesen
Worten begann Black meine Taschen,
eine nach der anderen, umzukehren ; er
nahm alles heraus, was darin war,
untersuchte meine Stiefelschäfte, und
endlich befühlte er auch meine Brust
und fand da, was er suchte.
Aha, da ist es." rief er auS, indem
er das Päckchen hervorholte; na. ich
glaube kaum, daß Ihr Client von die
fern Gelde etwas zu sehen bekommen
wird."
Er setzte sich nun mir zu Häupten
nieder, machte daS Pückchen auf und
fing ganz ruhig an. das Geld zu züb
len. In diesem Augenblick sah ich das
weiße Gesicht eineS kleinen Mädchens
durch die Ritzen der Fenz. der ich gegen
üb:r lag, hervorlugen. Ich konnte in
ihren großen, blauen Augen den AuS
druck der Furcht und deZ Entsetzens
lesen. Ich besorgte, daß sie sich durch
ein Wort oder durch einen Schrei der
rathen möchte, und war darüber sehr
unruhig ; aber sie verschwand und lief
in der Richtung nach einem weiter rück
wärts liegenden Hause fort.
Black hatte glücklicherweise von alle
dem nichts beobachtet, denn er war noch
immer mit dem Geld beschäftigt, daS er
sorgfältig in mehrere kleine Päckchen
vertheilte, die er in verschiedenen Taschen
seiner Kleidung unterbrachte. Trotz
dem ich annehmen konnte, daß daS
Mädchen, welches ich gesehen. auS dem
Haufe hinter der Fenz Hilfe herbeiholen
werde, und ich am besten gethan hätte,
mich ruhig, zu verhalten, übermannte
mich doch die Wuth bei dem kaltblüti
gen Gedahren deS frechen Räubers und
ich schrie ihm mit voller Lungenkraft zu :
Black, Sie sind der niederträchtigste
Schurke, den die Welt je gesehen hat !
Geben Sie mir das Geld heraus, Elen
der, und machen Sie mich nicht Unglück
lich für mein ganzes Leben !"
Mein Schreien schreckte ihn auS sei
ner Ruhe auf. Er sprang in die Höhe,
lief auf mich zu und faßte mich hart an
der Kehle an.
Schweigen Sie," sprach er mit un
erdrücktem Zorn, oöer, der Henker
soll mich holen, wenn ich Sie nicht um
bringe !"
Ich aber war bis zur blinden Wuth
gereizt. Mit einem gewaltigen Ruck
meines Oberkörpers riß ich mich von
ihm loS und brüllte :
Ich will nicht schweigen I Mein Geld
will ich! Hilfe! Hilfe e"
Nun, so fahre zu Hölle !" rief, blitz
schnell in die Brufttasche greifend, der
Räuber. Ehe ich mich dessen versah,
saufte der schwere Knopf eineS Todt
fchlägerS auf meine Stirne nieder, und
ich sank zurück. Noch war mir, als ob
ich inmitten des furchtbaren Schmerzes
einige schattenhafte Gestalten vor mir
auftauchen sähe, und dann schwanden
mir die Sinne.
Als ich erwachte und mit wirrem
Kopfe um mich schaute, lag ich in einem
großen, weichen Bette, daS in einer
freundlichen Stube stand, durch deren
weit geöffnete Fenster der laue Juli
wind die abendlichen Blüthendüfte her
eintrug. Neben mir stand eine alte,
gutmüthig blickende Frau, die sich an
dem Verband meiner Stirne, der sich
bei meinem Erwachen etwas verschoben
hatte, zu schaffen machte, und vom
Fußende des BetteZ schaute das kleine
Mädchen, dem ich meine Rettung der
dankte, mit großen, bangen Augen zu
mir herüber. Sie hatte ihre beiden
Onkel, die Söhne der alten Frau, die
mich pflegte, herbeigerufen, und sie wa
ren gerade noch zur rechten Zeit gekom
men. um den Räuber abzufassen, der
draußen mit denselben Stricken singe
schnürt lag, deren er sich zu meiner
Fesselung bedient hatte. DaS geraubte
Geld hatte man ihm natürlich abge
nommen, und zu meiner unaussprech
lichen Freude sah ich die Summe auf
dem Nachttische neben mir liegen.
Wochenlang pflegten mich die wackeren
FarmerSleute. bis meine schwere Wunde,
deren tiefe Narbe mich ewig an jenen
ernsten Tag erinnert, endlich geheilt"
war. Der Räuder endete am Galgen.
Ich bin mit meiner Geschichte zu
Ende, junger Freund. Warum ich
Ihnen dieselbe erzählte, wird Ihnen im
Verlauf derselben wohl klar geworden
sein, und Sie werden nun einsehen, daß
eS nicht gut ist, auf einer derartigen
Eisenbahnfahrt zu mittheilsam gegen
einen unS unbekannten Mitreisenden zu
sein."
Die Liebe.
Erzählung von I. v. M i r n a.
Still und verborgen wohnt der alte
Mann in seinem Häuschen am Walde.
Er hat keinen Menschen, welcher Antheil
an ihm nimmt.
War dies überhaupt jemals der Fall
gewesen.
Seine Eltern starben, als er noch
klein war, Geschwister besaß er nicht.
AIS Gemeindekind wurde er im Dorf
herumgeftoßen und nur durch ange
strengte Arbeit konnte er auf seine alten
Tage diese Hütte sein eigen nennen und
noch etwa? mehr. Außer dem beschei
denen täglichen Brot waren eS Bücher,
nach denen sein Herz verlangte.
Er kaufte, was er erschwingen konnte,
an Erzählungen und Gedichten. In
allen aber war von der Liebe die Rede,
die höher steht wie jede; andere, YS,je,
auch wie Glaube und Hoffnung.
Sollte dicZ nicht nur eine Erfindung
der Dichter sein? Er hatte nichts labon
erfahren und bei seinem arbeitZvollen
Dasein nie Zeit gehabt, bei andern da
nach zu suchen, aber eS müßte schön
sein, auf der noch kurzen Laufbahn,
beim Aufklingen deS LcbcnS so etwaS
Herrliches kennen zu lernen, wie'S in
den Büchern steht. Ob er'S nicht doch
irgendwo findet? Zeit zum suchen hatte
er ja genug.
Der alte Mann schließt sein HäuSchcn
und wandert in die Welt hinaus. Er
kommt an ein HauS, altcrthümlich und
dauerhaft gebaut. Ein reiches Kauf
Herrngeschlecht sitzt dort seit Jahrhun
derten. In den Garten schleicht sich der
Alte, dort befindet sich der Inhaber mit
seinem Sohn.
Und ich sag' Dir'S jetzt zum letzten
mal: Deine Mutter und ich, wir wün
schen, daß Du, unser Einziger, die
Firma fortführst. Deine Ideen von
Künstlerthum und Künftlerruhm find
lächerlich. WaS heißt Talent? Tau
sende glauben eS zu haben und bringen
eS doch zu nichts. Gehorchst Du uns
nicht, so ziehe ich meine Hand von Dir
ad und Du magst darben mit Deinem
sogenannten Talent."
Darben ein hartes Wort! Der
Sohn neigt das Haupt und fügt sich
schweigend.
Leise macht sich der Alte fort. DaS
war sie nicht, die Liebe nicht. waS
man unter wahrer, echter Elternliebe
versteht. Vielleicht ist'S mit der KindeS
liebe besser bestellt.
Er schaut in'S Fenster eineS stattlichen
BauernhauseS. Der älteste Sohn hat
eS kürzlich übernommen, die Eltern find
im Leibgedinge; dort sitzen sie in ihrem
Stübchen vergrämt und betrübt. Nein,
die sehen nicht so auS, als wenn Kindes
liebe ihre Tage erhellte.
Also auch hiermit ist'S nichts
weiter!
In einem schmucken Häuschen wird
eine Verlobung gefeiert. Der Bräu
tigam nimmt soeben vor der Thür
zärtlichen Abschied von feiner Braut.
'Sie läßt sich küssen und lächelt ihm
selig zu, sie weht mit dem Tüchlein ihm
nach.
Ich habe die Liebe gefunden," denkt
der alte Mann. Da steht er plötzlich
ein spöttisches Lächeln auf dem Antlitz
der Braut.
Er ist doch gar zu häßlich," flüstert
sie vor sich hin. Ach. wenn der nicht
so reich wäre ich hätte ihm in'S Gesicht
gelacht bei feiner Werbung."
Wieder nichts vorwärts also
nach der Residenz deS Fürsten? Sie
liegt vor ihm, er braucht nur hinein zu
gehen.
Er kommt gerade zum Geburtstag
des Landesherrn. Man hat einen wun
derfchönen Feftzug veranstaltet, der geht
eben beim Schloß vorbei. Auf dem
Altan steht der Fürst und feine Familie.
Hoch-hoch!" ruft das Volk und ge
bürdet sich ganz aufgeregt, es jubelt und
winkt empor.
Hier habe ich endlich die Liebe,"
denkt der Alte; er steht mitten im Ge
dränge, da hört er sagen: Der Tag
bringt allen heut Vortheil: einen Or
densregen, Speisung der Armen, hohe
Titel und was sonst noch drum und dran
hängt. Ja, so ein bischen Hurrahrufen
hat doch sein Gutes!" Die Umstehenden
lachen und nicken Beifall.
Der Alte schleicht sich hinweg zum
Thor hinaus. Er mag nichts mehr
sehen und hören, er sehnt sich in seine
Hütte zurück.
Unterwegs kommt er an einem HüuS
chen vorbei, auS dem eine Frau, kaum
jünger als er. zur Thür herausschaut.
Alterchen." meint sie, Ihr seht so
müde auS. Kommt, rastet bei mir."
DaS bat noch Niemand auf der gan
zen Reise gesagt. Gern tritt er ein.
Wie festlich ist'S hier Blumen und ein
großer Kuchen auf dem Tisch!
Gelt. daS ist nett?" ruft die Frau
freudestrahlend. Nun fetzt Euch. Ihr
bekommt nachher Kaffee, aber warten
müßt Ihr, bis mein Junge kommt."
Kehrt er auS der Fremde zurück?"
Sie wird roth und verlegen.
Ist'S Euer Einziger?"
O nein, ich habe acht Kinder.
Sieben stehen schon auf eignen Füßen
und sind brav. Alle leben in meiner
Nähe."
Und Niemand ist hier, den Bruder
zu begrüßen?"
Sie wird wieder verlegen. Ja.
wißt Ihr, das hat seinen Grund.
Ihr seht freundlich aus, Alter, Ihr
werdet mich nicht schelten, wie meine
andern Kinder, daß ich mich so sehr
auf meine Peter freue. Wißt, er
kommt halt aus auS dem Zuchthaus.
Lange Jahre haben sie ihn eingesperrt,
weil er im Jähzorn einen Kameraden
erschlug. Ader jetzt hat er'S doch ge
büßt und nicht wahr, ich darf ihm doch
noch gut sein?"
In diesem Augenblick naht ein zögern
der Schritt. Auf der Schwelle steht ein
Mann mit kurzgeschorenem Haar und
tiefen Furchen im Gesicht.
.Peter!" schreit die Frau: ihre Arme
umschlingen den Sohn und Herz an
Herz schluchzen beide. Den Alten haben
sie vergessen; verklärten Blicke geht er
still hinaus.
DaS ist Liebe." sagte er sich. S
war mein Wandern doch nicht ganz
vergebens. Ich lehre heim zu meinen
Büchern mit dem Gedanken, daß sie
nicht gelogen haben. Nur seltener und
schwerer ist die Liede zu finden, als die
Dichter melden, und wenn man sie fin
det, die echte, wahre, fromme so ist'S
wohl am ersten bei einer Mutter."
Xtt Höllknhund.
Ein sonderbares Straßenbild ent
wickelte sich vor Kurzem in der Moltke
Straße zu Berlin. Dem General
ftabZgebäude gegenüber stand auf dem
Trottoir ein großer Reisekoffer stunden
lang ohne Aufsicht. Jeder der Vor
übergehenden hörte im Innern deS Kof
ferS ein unerklärliches Kratzen und
Scharren. Erst blieben einige Leute
stehen und betrachteten den rüthfelhaf
ten Koffer von allen Seiten. eS dauerte
lange, doch kein Eigenthümer ließ sich
blicken. Allmählich wurden eS der
Leute mehr, und zuletzt wurde ein
großer Auflauf daraus und von Munde
zu Munde ging die grausige Mär:
Da drinnen steckt die Höllenma
schine"!" und da drinnen" arbeitet die
Maschine" immer schneller. ES ra
schelte, kratzte, scharrte und pfauchte,
alS sollte jeden Augenblick eine Kata
ftrophe eintreten. Die Umstehenden,
im höchsten Grade gespannt, waS da
kommen würde, hielten sich sämmtlich
in scheuer Entfernung, so daß der ver
hängnißvolle Koffer mitten in einem
Kreise stand. Endlich erschien ein
Schutzmann, er besah sich den Verdachts
gen Koffer von allen Seiten, er forschte
darnach, wie der Koffer dahin gekommen
war, wer der Besitzer desselben sei, doch
vergeblich Niemand vermochte AuS
kirnst zu geben. Inzwischen kam noch
ein zweiter Schutzmann hinzu, der nun
ebenfalls den Koffer untersuchte. Ver
dächtig war derselbe jedenfalls, aber
was war damit anzufangen? Die
Schutzleute erwogen diese Frage sorg
fältig; das Objekt zur Wache zu drin
gen, erschien als das Nächstliegende,
aber wie, wenn daS Ding unterwegs
losginge, denn die Maschine arbeitete
immer toller. Schließlich versuchte einer
der Beamten, den Koffer zu öffnen.
Und siehe da: der Deckel ließ sich be
wegen, als ihn der Beamte aber lang
sam und bedächtig hochheben wollte, da
sprang etwas an den Deckel mit der
Elasticität einer Feder heran, so daß der
Schutzmann den Kofferdeckel schnell wie
der fallen ließ. Die Aufmerksamkeit
und Neugier des Publikums war nun
auf das Höchste gespannt. WaS sollte
und würde nun geschehen? Daß nichts
pasfirte, als der Deckel wieder zuflog,
ließ darauf schließen, daß man eS mit
einer Höllenmaschine nicht zu thun haben
konnte. Mit größerem Vertrauen wurde
der Kofferdeckel nun noch einmal aufge
hoben und da sprang ein Hund her
auS, ein kleiner, braunhaariger Köter,
der sich vor Freude kaum zu fassen
wußte, daß er aus feiner Gefangenschaft
befreit war. Natürlich stürmische Hei
terkeit". Einer der Schutzleute faßte
den Koffer nun bei einem Henkel und
schleifte denselben neben sich her zur
Wache, der Hund aber lief hinterher,
denn in dem Koffer steckten noch die Reste
des FutterS, welches man ihm mitge
geben hatte. Ob eS sich hier um den
schlechten Scherz eines Witzboldes han
delte oder ob eS jetzt in Berlin modern
werden soll, außer Kindern auch Hunde
auszusetzen, wird in diesem Falle wohl
nicht aufgeklärt werden.
Kostspielige Begräbnisse.
Die kostspieligste Bestattung aller Zei
ten ist wahrscheinlich die Alexander'S deS
Großen, die in Bezug auf wahnfinnig
verschwenderische Pracht nie ihresgleichen
gehabt haben dürfte. Der Sarg, in
dem der große macedonifche König zur
ewigen Ruhe beigesetzt wurde, war auS
purem Golde gefertigt und mit den löst
lichsten Specereien gefüllt. Das Haupt
der königlichen Leiche schmückte eine Dia
mantenkrone. Den Leichenwagen be
deckten schwergoldene Ornamente von
oben bis unten, sogar die Rüder waren
überreich damit verziert. Vierundacht
zig Maulesel hatten monatelang zu
thun, um diesen Wagen von Babylon
nach Syrien zu tranSportiren, wo er
von PtolemäuS und seiner Armee em
psangen und bis nach Alexandrien be
gleitet wurde. Hier setzte man die fierb
lichen Ueberrefte deS großen Eroberers
in einem Mausoleum bei. daS später die
Begräbnißftätte der Ptolemäischen Fa
milie wurde.
Auch in Frankreich haben die Bei
setzungen gekrönter Häupter oft enorme
Summen verschlungen; die Kosten trug
theilweise die Krone, theilweise der
Staat. Die Bestattung von Franz I.
auS dem Hause ValoiS hat nicht weniger
als eine runde Million Francs gekostet.
In England war Cromwell'S Begrüb
niß bisher daS kostspieligste; eS betrug
die Summe von 00,000 Pfund Ster
ling. Die Beisetzung des Großfürsten
Nikolaus von Rußland kostete 500,000
Rubel und die Bestattung des chinest
schen MarquiS Tseng 800.000 Tsien
oder $125,000.
Neue Bezeichnung.
Pantoffelheld (nach langem Streit
um den Hausschlüssel): Ach. wie glück
l:ch könnten wir zusammen leben, wenn
nicht dies verwünschte Corpus conilicti
wär'!"