Nebraska Staats-Anzeiger. (Lincoln, Nebraska) 1880-1901, April 21, 1898, Image 10

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    Die Nluchesxrsbe.
IZach ein ahren ?kgebtnheit, von K a r l
M i l b a ch.
ES sar im Herbst des JahreS 189
all ich in d spanischen Provinz'Haupt.
ftadt B. lebte. Mein Bruder hatte alS
Ingenieur Vermessungen in den nahe
der Ctadt gelegenen Bergen auSzu
fähren, wo man eine Bergbahn plante.
Jene Segend gehört ,u den schönsten
Spanien, und ich begleitete deshalb
meinen Bruder häufig.
Die AuSiildt von dem mehr als fünf
hundert Meter hohen Gipsel deS kleinen
Gebirges war bezauoernv. Wir lagen
der kleinere Köbenzüae vor UNS hinweg
in in konniae Ebene, in welcher die
Stadt mit ihren weißen Häusern weit
hin sich ausdehnte, und jenseits dersel
den schimmerte da? blaue Mittelmeer,
scheinbar in da Endlose sich erstreckend.
Minutenlang standen wir in stummem
Entzücken, im Ansehen der prachtvollen
Landschaft versunken. Wohin wir unser
Auge richteten, erblickten wir von dem
hohen Gipfel auS nur SchöneS: lachende
Fluren und schattige Pinienwüldchen.
Weinberge und Blumengärten; zwischen
hohen Palmenwipfeln lugte hier und da
auch ein weißeS HüuSchen. eine Villa
hervor. Die Sonne leuchtete so hell,
wie man eö nur im Süden sehen kann:
rein und wolkenlos wölbte sich der azur
blaue Himmel über uns.
Ein ParadieSl" sagte ich entzückt.
.Man sollte nicht glauben, daß eS Un
glück und Elend geben könne unter die
fern ewig blauen, sonnigen Himmel l
Der Tag war heiß, und nur langsam
kamen wir in unseren Messungen vor
würtS. Die Höhen waren durch ein
Aerometer unter Korrektur deS Ther
mometerS bereits genügend genau fest
gestellt; doch nun galt eS, vermittels der
Meßkette die Entfernung einiger wich,
tigen Punkte genau auszumeffen.
Die Sonne berührte den Gesichts
kreis, aber noch dachte mein Bruder
nicht an den Aufbruch.
Ich warnte: Du weißt, es wird
, unter diesen Breiten schnell Nacht; die
Dämmerung dauert kaum eine halbe
Stunde."
Wir beeilten uns mit der Arbeit.
Doch als wir endlich aufbrechen wollten,
war die Dämmerung schon weit vorge
schritten. Von Norden her sah ich eine
mächtige Dunftwolke auf die Berge zu
schweben; das war der ungesunde Nebel,
der sich tagtäglich einzustellen pflegte,
und sich auch schon über der Stadt
drunten erhob. In wenigen Augen
blicken befanden wir uns von dem dich
ten Wolkengebilde eingehüllt. Wir
saben keine fünfzig Schritte mehr vor
uns. so dicht und dunkel umgab uns
der Nebel.
.Nun aber schnell hinab!" mahnte
ich fröstelnd. ES war kühl geworden.
und keiner von unS beiden hatte sich mit
einem Ueberneder versehen.
Wir tappten hin und her und suchten
einen bequemen Abstieg, aber wir waren
ganz irre geworden.
.Nur immer abwärts!" ermunterte
mein Bruder, .dann entkommen wir
zum wenigsten diesem verwünschten
Nebel."
Diese Dunftmaffen trieben unS ent,
gegen; bald stiegen sie auf, bald ab,
würtS, dann wieder zogen sie sich in
lange Streifen aus. ES wehte eS um
uns. Eine Viertelstunde lang peitschte
das Meer; wie kaltfeuchte Kellerluft
wehte eS um unS. Eine Viertelstunde
lang kletterten wir abwärts, und immer
steiler wurde der Abhang.
.Wir sind falsch gegangen!" rief mir
mein Bruder zu. Da unten sehe ich
einen dunklen Schlund gähnen, das
muß der Torrente sein."
Torrente nennt man in Spanien die
meist ausgetrockneten, schluchtartigen
Flußbette der Berggewüffer. Nicht
selten sind ihre Münde fast senkrecht
steil bei sehr bedeutender Tiefe.
.Wohin sollen wir aber gehen?"
.Zünd' 'mal ein Streichholz an.
sagte er und kramte in seinen Plänen
herum. Beim schwache? Scheine deS
WachSlündhölzchenS suchte er auf dem
Plane den Torrente.
.SKHS du, hier find wir." Er
zeigte auf eine bestimmte Stelle der
Karte.
.Nein, wir müssen jenseits des
HöhenzugeS fein. Da. wo unS der
Nebel überraschte, theilt sich der Zug in
zwei fast parallele Kämme; wir find
vielleicht auf dem nördlichen.
.Der Kuckuck hole den Nebel ! Sähen
wir nur den jenseitigen Abhang, dann
wüßte ich sogleich, wo wir wären. .
Halt! Auf dem südlichen Höhenzuge
beginnt weiter unten em Plnienwald."
.Auch auf dem nördlichen."
Mein Bruder dachte nach. .Du haft
echt. Was thun wir nun? ES ist
wohl am besten, wir folgen diesem Ad
hange; er muß unS in die Nähe deS
Städtchens G.... führen."
.Und wenn wir auf der Nordkante
find?"
.Hol'S der Geier! Dann gerathen wir
in jenes Revier, wo wogt ein yalves
Dutzend TorrenteS fich kreuz und quer
schneiden. Da finden wir unS in dieser
Stockftnflernitz nimmer zurecht !"
Wenn wir nicht am Ende noch gar
in einen der zwanzig Meter tiefen Stein
brüche abstürzen!"
Die Aussichten waren also auf alle
Fülle nichts weniger als erfreulich, und
wir gingen auf gut Glück dem Fels
kämme entlang über den Abhang.
Da tauchte in den Nebelwolken etwas
Hohes, Schwarzes auf: Hunah, das
ist der Pinienwald!" rief ich erfreut
aus.
.Welcher von beiden?" fragte mein
Bruder trocken und ich schmieg. Von
Baum zu Baum voltigirend. kletterten
ir auf dem steilen Abhang weiter.
Da kam'S mir vor. alS ob der Nebel
sich über un etwas lichtete. Der Wind
war aufgefrischt und jagte zackige,
fetzenartige Wolkengebilde in rasender
Elle an unS vorüber.
Wir waren am Ende deS kleinen
Wäldchens angelangt und blieben
stehen. Vor unS neigte fich der Höhen
zug schroff abwärts, aber Nebel verhüll
ten jede Aussicht; man sah keine zwan
zig Schritte weit.
Ueber unS jedoch lichteten fich die
Wolken immer mehr; der Mond wurde
sichtbar. Wir zogen den Eompaß zu
Rathe; die ichtung deS steilen Abhan
ge vor uns wieS genau nach Osten.
Da tauchte in der Ferne ein kleine?
Haus auf, wir entsannen unS nicht,
eS je zuvor gesehen zu haben.
Nun trat der Vollmond klar hinter
dem weißlichen Schleier hervor und über
goß das Gelände mit magischem Lichte.
Mit einem Schlage waren wir in ein
Zauberland versetzt. Wie ein schäum
bedecktes Meer wogte zu unseren Füßen
der dichte Nebel; die Kronen der hohen
Pinien und die wild zerklüfteten FelS
zacken warfen phantastische Schatten
auf die wogenden Wolkenmassen. Ein
würziger Krauterduft erfüllte die feuchte
Luft. Und plötzlich gerieth die Dunst
masse in wirbelnde Bewegung, thürmte
fich auf und theilte fich. um sogleich vom
Winde thalwürtS geführt zu werden.
Weiter ging'S zwischen stacheligen
CactuSftauden und Gebüschen her. Von
Felszacken jU FelSzacken ließen
wir uns hinab. Wir traten jetzt auf
weniger steilen Boden ; der Wind pfiff
heulend über unsere Köpfe hinweg und
ließ sein schauriges Hui, Hui ertönen.
Die Kälte, die er mit fich brachte, ließ
unS die daheim gelassenen Mäntel nicht
gerade gern vermissen.
Noch immer wehrten uns Nedellchleter
die Fernficht. Da plötzlich, wie vom
Blitz getheilt, riß die Dunftmasse. und
in großen Flocken sausten die Wolken
refte davon. Wir erblickten nicht fern
von unS weiße Steinbauten.
Ah. das find die Häuser von G .... I"
rief ich hoch erfreut aus.
Unsinn!" entgegnete mein Bruder.
G . liegt doch einen guten Kilome
ter von den äußersten Ausläufern der
Berge entfernt. ES können höchstens
einige vereinzelte Villen fein."
Wir gingen weiter. Die Mondland
fchaft mit den zerrissenen Felsen bot ei
nen romantischen Anblick dar. Hohe
GefteinSmassen in den phantastischsten
Formen thürmten sich neben und vor
UNS auf.
Plötzlich stutzte mein Bruder und auch
ich schauerte zusammen.
Ein Kirchhof!" fügten wir wie auS
einem Munde.
Ja, wir standen fast auf den in den
Berg hineingebauten Steinzellen der
Todten. In Spanien werden nämlich
die Todten nicht in die Erde bestattet,
sondern, ähnlich wie in den römischen
Katakomben der ersten Christen, in
wagerecht über einander gebauten Zellen,
die mit einer Steinplatte vermauert
werden. Ein spanischer Kirchhof bietkt
so den Anblick einer kleinen Stadt mit
Straßen und Plötzen, deren Wände
fünf bis sechs Zellenreihen über einander
enthalten. Auf den Platzen befinden
fich die Grabdenkmäler und Blumen
beete. Und wie in den Katakomben
Coementerium, so heißt hier der Kirche
hos Cementerio, das heißt Cementftätte,
weil Wände und Zellen reichlich cemen
tirt find.
Wir blickten uns um und lauschten
Todtenfllllel Grell blinkten die wer
ßen Steinkreuze in den Straßen der
Todtenftadt. In dem tiefen Dunkel
ihrer Schatten trieben. Gespenstern
gleich, Nebelmassen ihr Wesen. Sie
jagten einander nach, stürmten empor,
und heulend saufte zuweilen ein Wmd
ftoß dazwischen und drückte sie wieder zu
Boden.
Gehen wir da hinunter", sagte mein
Bruder und wieg gegen Süden. Dort
ift ein Weg; denn das hier ift ohne
Zweifel der Cementerio von G
Etwas schneller als bisher kletterten
wir weiter. Obwohl wir keine Gefpen
flerseher, noch abergläubisch find, war
eS unS doch ein wenig unheimlich zu
Muthe da bei den Todten. Wenn wir
auf den nördlichen Höhenzug gerathen
wären, wer weiß, ob wir nicht abgestürzt
wären in einen der tiefen Steinbrüche
in einen Torrente! Dann hätte man
uns am folgenden Tage dort unter den
schweigsamen Bergbewohnern ein Ruhe
Plätzchen gegebenl Und die ersten Abge
stürzten wären wir auch nicht gewesen.
Wir find wieder falsch gegangen,"
sagte ich und blickte in den Kirchhof hin
unter.
Nein," entgegnete mein Bruder.
Dort hinter der Erhebung, wo leider
ägyptische Finsterniß herrscht, muß der
Weg Hegen, der nach G . . . . "
Er brach plötzlich ab. Ich sah ihn
an; er dtiate starr nacy einem nicht fer
nen Punkte am Ende des Kirchhofes.
Was ist dir r fragte ich, feinen Arm
ergreifend.
Siehst du das da?" sagte er flüsternd
und wieg nach einem Felsblocke.
Kaum fechszig Schritte entfernt faß
etwas auf einem Steine. Ich strengte
meine Augen an und erkannte eine
menschliche Gestalt. Der Mond übergoß
dieselbe mit milchmeißem Lichte, und
wie ein Todtenkopf nahm fich der mensch
iche Kops dort aus. Einige silberweiße
Haarsträhne flatterten im Winde um
den fast kahlen Scheitel.
Ich hörte die rüthselhafte Gestalt auf
stöhnen. Wir näherten unS derfelden.
Nun oatte unS der GreiS bemerkt I er
reckte sich empor: hoch, riesenhaft, so
schien eS mir. Er blickte unS an, lieg
fich aber sogleich wieder aus dem Gra
nitfelsen nieder und ergriff den neben
fich liegenden Hut und bedeckte sein
Haupt.
.Sollen wir ihn nach dem Wege
sragen?" raunte ich memem Bruder zu.
.Nein. laß', wir finden den Weg
allein. Nur hundert Schritte weiter
unten ift er."
Wir beschrieben einen Bogen um den
unheimlichen Menschen und setzten den
Fuß auf den Abhang.
"Alto! Atras!" Halt! Zurück!
schrie eine heisere Stimme.
Erschreckt blieben wir wie angewur
zelt stehen.
"Por Dioa y txlos los santos:
atras!" Bei Gott und allen Heili.
gen! Zurück! rief der Mann auf
springend.
"Porque?" Weshalb? fragte
ich schnell gefaßt.
Nur wenige Schritte weiter, und
Sie stürzen in den tiefsten Steinbruch
deS Gebirges."
Ich weiß nicht mehr, wie wir wieder
hinaufkamen: es muß aber sehr schnell
gegangen sein.
.Sollten wir doch auf dem nörd
lichen Höhenzuge sein?" fragte mein
Bruder.
Nein," erwiderte der Greis. Geben
Sie Acht !"
Er ergriff einen Stein und ließ ihn
den Abhang hinabkollern. Eine Se
künde lang hörte ich das Rollen deS
Steines dann Todten stille. Ich
zählte eins, zwei, drei, vier, fünf ; da
schlug eS unten auf auf dem Grunde
deS tiefen Steinbruches l
Aber wo find wir denn?"
Sie wähnten wohl an der Südseite
des Kirchhofes zu fein, Sie find jedoch
an seiner Nordseite. "
Mein Bruder riß den Kompaß aus
der Tasche und schlug fich an die Stirn:
Wahrhaftig l Und das da muß dem
nach der Steinbruch De TreS CapaS"
fein."
Ganz recht."
Wir drückten dem alten Manne, der,
wie wir bemerkten, sehr gut gekleidet
war, die Hand und dankten ihm für
seine rechtzeitige Warnung. Wir er
zählten ihm in kurzen Worten, daß
wir unS im Nebel verirrt Hütten.
.Gott hat Sie uns in den Weg ge
sandt l" sagte ich.
Nem, meine Herren, der Todte da!"
Er wieS mit seiner Rechten auf den
Kirchhof.
Ich glaubte, einen Geistesgestörten
vor mir zu haben.
.Ihnen wollen die Todten wohl, aber
wehe denen, die ihrer spotten!" fuhr
er fort.
Ich sah den GreiS betroffen an. Er
stöhnte fo schmerzlich, sein Antlitz sprach
von solchem Gram und Seelenschmerz.
daß ich das Grauen überwand und ihn
Mitleidsvoll fragte: Sie leiden um
emen Todten?"
.Dort ruht mem Sohn, und wegen
ihm wem ich jetzt hier."
Wie, Sie wagen fich bei Nacht in
diese unheimliche, abgelegene Gegend.
setzen fich Gefahren aus um Ihres
verstorbenen Sohnes willen."
.Sie find Fremde und haben wohl
noch nicht von dem traurigen Ende des
jungen Antonio , memeS Soh
neS, sprechen hören?"
Nein; ist er vielleicht hier in den
Bergen verunglückt, wohl gar in den
Steinbruch dort gestürzt?"
Nein; wäre das geschehen, dann
könnte ich mich noch trösten; aber er
starb auf eine ganz andere Weise.
Doch Sie find müde, wie ich sehe, ich
will Sie nicht unnöthiger Weife auf
halten."
Durchaus nicht," erwiderte ich.
Wir haben um so weniger Eile, als
wir uns unbedingt etwas ausrasten
müssen, ehe wir weitergehen."
Damit ließen wir uns fröstelnd auf
einem Felsblock nieder.
Wie verloren Sie Ihren Sohn?"
Der Greis antwortete nicht sogleich.
Dann stand er auf.
Sehen Sie jene Gitterpforte dort?"
Er wies auf den Eingang des Kirch
hofeS.
.Jawohl."
Erkennen Sie da nahebei den Grab
stein mit dem darauf eingemeißelten
Todtenkopf?"
Ich strengte meine Augen an. In
der That; grell beschienen vom Voll
monde hob fich dort eine solche Grab
platte aus dem Grau des Cementbewur
feS der Wand ab.
Ja. ich sehe daS Grab."
Begleiten Sie mich; Sie sollen
mein Leiden erfahren."
.Wohin gehen wir?"
.Nach meinem Hause, welches das
Ihre ift. Dort können Sie fich be
queni ein wenig ausruhen."
ES ift spanische Sitte, sein HauS
dem Freund oder dem als solchen be
handelten Bekannten alS dessen eigenes
anzubieten; man darf in einem solchen
Falle unbedenklich die Gastfreundschaft
deS Spaniers in Anspruch nehmen.
Ich dankte und folgte dem Manne.
Sie verlieren nichts," sagte er. als
er das Zögern meines Bruders bemerkte;
in einer fotunoe fährt an meinem
Hause die Postkutsche vorbei, die Sie
binnen dreiviertel Stunden nach B. . . .
bringt."
Wir waren beide so todtmüde, daßl
unS die angebotene Rast willkommen
war.
Das HauS war ein kleines Land
HauS; eS lag kaum einen Kilometer
vom Kirchhofe entfernt, inmitten eines
prächtigen kleinen PalmengartenS und
umgeben von runden Vretea blühender
ZierkaktuS und verschiedenartigster
Bli'men. Hier, geschützt, vor dem
Winde, war die Luft lau wie im Früh
ling.
Wir mußten ein GlaS Wein anneh
men. und der feurige Rebensaft er
wärmte unS in wohlthuendfter Weife.
.Meine jungen Herren haben wohl
noch nicht Weid und Kind?"
.Nein," erwiderten wir.
.Trotzdem verstehen Sie vielleicht,
was es heißt, alt zu sein und nur einen
einzigen Sohn zu haben. Sie kön
nen vielleicht ermessen die Hoffnung,
die Sorge.... o. die drückende Sorge
und Herzensangst, die man um sein
Liebstes auf Erden, das einzige, was
man noch besitzt, hegt. . . Meine Frau
starb früh, als sie ihrem Kinde das
Leben gab. Mein Antonio wuchs
heran, gedieh, daß eS eine Freude war.
Als er fünf Jahre zählte, wurde er
von einer typhösen Krankheit befallen.
Vierzig Tage lag er darnieder, vierzig
Nächte wachte ich an seinem Schmerzend
lager, die Angst um mein einziges, ge
liedteö Kind tödtete mich fast ! Er ge
naß, aber mein Scheitel war weiß ge
worden.
Noch ein Mal wurde ich hart ge
prüft; wieder alterte ich in wenigen
Wochen um Jahre. Antonio zählte
achtzehn Jahre, er bezog die Universität,
um die Rechte zu ftudiren. Er lernte
fleißig, aber er war leichtsinnig. Ich
warnte ihn, wies auf meine weißen
Haare: .Antonio, weißt Tu, um wen
sie bleichten? Um deinetwillen!" Er
fiel mir um den Hals und gelobte ein
ernstes Leben, versprach, die tollen Ju
gendftreiche fürderhin zu unterlassen.
ES war Herbst, der dreiundzwanzigfte
Oktober wie heute! Wundervoll
leuchtete der Mond, laue Südwinde
verbreiteten Wärme und Behagen. Ich
weilte in der Stadt, Antonio hier im
Hause. Ein luftiger Freundeskreis
umgab ihn, man speiste gemeinsam
trank einander zu. Die Studiengenof
sen prahlten mit ihrem Muthe. Ein
Student der Medizin behauptete, er sei
einmal in dem Anatomiesaale einge
schlafen und habe die Nacht über zum
Zeitvertreib er war eingeschloffen
eme Humoreske in sein Notizbuch ge
schrieben, da inmitten der Leichen. An
tonio prahlte nicht mit; man hänselte
ihn, weil er noch keine Probe seines
Muthes gegeben. Ich kann sie jeden
Augenblick geben!" rief er aus. . .
Wozu eS alles erzählen?! Genug
er verpflichtete fich, sogleich einige Rosen
vom nahen Kirchhofe zu holen, alS Be
weis seines Muthes. Er ging allein
Er besaß einen Schlüssel, der auf das
Schloß der Kirchhofsthüre paßte; das
hatte er einmal zufällig entdeckt
Antonio blieb lange aus, sehr lange
Man wurde besorgt .... Endlich nach
einer Stunde ging man ihn suchen
Oh....!
Der Greis stöhnte und preßte die
Hand an die Stirne. Dann fuhr er
nach einer Weile fort:
.Sie fanden ihn vor der Gitterthüre
todt! Todt!" schrie der Arme
aus.
Mein einziger Sohn, meine einzige
Hoffnung!"
.Wie verhielt fich denn die Sache?
wagte ich die Pause zu unterbrechen.
.Antonio lag am Boden, seine rechte
Hand umklammerte drei Rosen, seine
linke den Schlüssel. Die Capa, sein
großer admantel, war mit einem
Zipfel in der Thür eingeklemmt, sein
Antlitz .... oh, das ift das Furchtbarste
gewesen! ES war blS zu Unkennt,
lichkeit verzerrt. Die Augen groß, weit
aufgenffen, mit dem Ausdrucke des ml
setzenS, deS furchtbarsten Schreckens.
Niemand konnte in das Antlitz des
Todten sehen, ohne Grauen zu empfin
den."
WaS hatte seinen Tod verursacht?'
Waö? Ich will Ihnen nur berich
ten, was die Aerzte sagten: er starb an
Herzlühmung. Sie glaubten, Antonio
habe, als er dem Thore den Rücken
kehrte, wohl plötzlich den Ruck verspürt,
der bei seinem Fortgehen dadurch her
vorgebracht wurde, daß ein Zipfel seines
Mantels m der Thür eingeklemmt war.
In der Ueberreizung der Nerven, die
ein solches Abenteuer mit fich bringt.
glaubte er vielleicht, ein Todter halte
ihn fest, und das Entsetzen lühmte ihm
den Herzschlag .... Nun liegt er da
draußen schon lange, die Rosen hült er
noch umklammert, den Schlüssel hielt
ich zurück da unter dem GlaSküft
chen ruht er. Er gehört mir, die Rosen
aber gehörten .... den Todten. Wenn
der Jahrestag kommt, die Stunde
eS war genau um Mitternacht, als der
Todtengrüber Antonio'S Todesschrei
hörte dann weile ich dort aus dem
Felsen, ich muß dahin, er ruft mich, ich
mutz gehen. Nicht mehr lange, nein,
gar nicht mehr lange, dann bin ich ja
bei ihm. Nur noch einmal muß ich auf
den Felsen steigen, dann darf man mich
zur Ruhe betten .... neben ihm."
Der GreiS schwieg, er sah starr hin
auS auf den Weg, dessen Staub im
Mondlicht ganz weiß schimmerte, so weiß
wie ein Linnen.
Auch wir schwiegen. Wer konnte ein
Wort finden angesichts des von unsäg
lichem Seelenschmerz gepeinigten, un
glücklichen Vaters?
Ein fernes Rollen ließ uns auf
lauschen. ES war der Postwagen. ,
vumu in un v11
Ich suchte nach Worten, um dem
schmerzgedkugten Manne Trost zuzu
sprechen ich sand fie nicht.
.Lebt wohl!"
Ein stummer HSndedruck.
Laut knallte die Pritsche, und in sau
fkNvkM Ztöpp öiilu
Mondnacht der Stadt zu.
Noch einmal wandte ich den Kopf; da
stand er noch, der Unglückliche, wie ein
Mensch, der erstarrt ift gleich Niobe in
unermeßlichem Herzeleid
Dröhnend blieS der Postillon in sein
Horn, immer rascher jagten wir vor
würtS. Wie im Traum sah ich die
phantastischen Gestalten der Nacht an
mir vorüberftiegen.
DaS Raffeln der Rüder auf dem
Steinpflaster der Stadt ließ mich end
lich auS dumpfen Traumen erwachen,
Im raschen Laufe der Zeit, den
Mühen deS TageS verschwindet so
manche aus unserem Gedächtniß, und
so ging S auch mir mit jenem Erlebniß
Ein Jahr war vergangen. An
einem sonnigen Nachmittage unternahm
ich einen Spoziergang, den ersten nach
einer langen rankheit. Mein Weg
suyrie mich uver das Städtchen G
hinaus.
Da fiel mein Blick auf ein kleines
HauS; Palmen. CactuS und Blumen
umgaben es. Jäh. wie ein Blitzstrahl
leuchtete mir eine Erinnerung auf.
V X 1 i r 1 l r
irai zur ymt oes vauses, er
griff den Thürhammer und pochte
ine junge lsrau öffnete mir; zwei
muntere Knaben umsprangen fröhlich
oie nimmt.
.Entschuldigen Sie. wohnt hier nicht
em amr verr r
.Sie meinen Herrn L ?
Ganz recht, so heißt er." sagte ich
mich erinnernd.
xixt junge örau ,ay mich ernst an
Herr L-. .. ift todt."
Wann starb er?"
Am dreiundzwanzigsten Oktober die
es Jahres."
Am dreiundzwanzigsten Oktober?
ya, ich roeiB es deshalb o genau
weil eS am selben Tage war. an dem
vor Jahren sein Sohn starb. Man
fand den alten Herrn in der Frühe da
droben auf dem Felsen am Kirchhofe.
Und er wurde auf demselben de
graben?"
Jawohl, an der Seite seines Soh
nes."
Ich dankte für die Auskunft und
schritt weiter. Die Pforte deS ttirchho
feS stand offen. Ich trat ein.
Da war die Grabplatte mit dem
Todtenkopf und daneben noch eine fri
sche, auf der drei "Rosen eingemeißelt
waren.
Dort ruhte der unglückliche Vater
ohne dessen Begegnung heute auch ich
woyl va ruyen wurde!"
Spotte unser nicht!" fo stand es auf
der Grabplatte eingemeißelt, und fo hat
eS fich mir in'S Gedächtniß geschrieben
sur vle Jen meines ebenS.
)m ZNärzenschnee.
Novellette von FranzKurz-Eisheim
Kalte Märznacht!
Schneebedeckt hingen die dunklen Tan
nenzweige zur Erde, kaum daß ein Hauch
oes Ulnoes ne deruyrte, und über den
schwelgenden WaldeSzauber zog der
Mond seinen silbernen Glanz, daß der
Schnee auf dem breiten Forstwege wie
iniutarom von Tiamantfternchen schim
merte und glitzerte.
Aus dem Forghaufe klang Helles La
chen fröhlicher Menschen, während vor
der Thür sechs Schlitten standen, mit
kräftigen Pferden bespannt, deren Athem
fich m der kalten uft straylenaitig ver
oampske.
Meine Damen, allonS. ES ist wirk.
lich die höchste Zeit, daß wir aufbrechen!"
Herr von Felden rief eS mit lauter
Stimme in die luftige Gesellschaft hin
ein. .DaS Amüsement im Forfthause
hat lange genug gedauert, mein llbv
zeiger strebt nach Mitternacht zu. Die
Schlitten find bespannt.. .."
Aber eS dauerte noch einige Zeit, bis
man den Worten deS Gutsbesitzers Ge
hör schenkte, bis sich die vielen schmucken
Müdchengeftalten, deren Gesichter von
Lebenslust glühten, tn das dichte Pelz
werk gehüllt hatten, und endlich auf den
Schlittensitzen Platz nahmen. Auch die
Herren, die die Schlittenpartie zum
Forfthause mitgemacht hatten, schienen
noch gar keine rechte Lust zu verspüren,
die Heimfahrt anzutreten.
So. edt saßen fie Alle, die Pferde
zogen an, und helles Schellengetön störte
plötzlich den schlummernden Wald auf,
untermischt von fröhlichem Lachen und
Scherzen. WaS fragt man nach der
Kälte, wenn man jung ift.
Im letzten Schlitten faß Fräulein
Elfe von Felden, eine hübsche Blondine
von etwa 20 Jahren, neben ihr HanS
von Lebnau, ihr lunger GutSnachbar.
HanS lenkte mit sicherer Hand die
beiden Rosse, die feurig in'S Zeug gin
gen. L?eln vcrz liopsle zum 3
prmgen.
Elfe, zürnst Du mir noch immer?"
Halb trotzig klang eS zurück:
Habe ich nie gethan."
Dann wieder einige Minuten Pause.
.Du zürnst mir doch. Konnte ich
denn ahnen, daß der Fuchs zahm war,
daß er Dir gehörte, daß er fich nur ein
mal seiner Fesseln zu entledigen verstand
und auf mein Jagdrevier kam?"
Nein!"
Und doch schmollst Du ?"
Nun bitte ich. höre aber endlich auf
mit dem Gesprüch."
HanS fuhr zusammen, den Ton hatte
er nicht erwartet.
Eise!"
.Hm?"
.Verzeih mir."
.Da ist nicht? zu verzeihen."
l : i. . .Mftfcia w:
.oiiic. uiciin ivuEul, wtf
unglücklich Du mich machst dadurch
daß " v
.WaS Du nicht sagst. AIS ob Dir
so viel an mir gelegen würe."
O. sie wäre gar nicht so böS mit ihm
gewesen, wenn er nicht den ganzen
Abend mit Früulein Mimi getanzt
Hütte, einer Echulkameradin von ihr.
.Wie kannst Du nur so sprechen.
Elfe? Du weißt doch, daß ich "
Gieb mir lieber mal die Zügel.
Siehst Du nicht, welchen Vorsprung die
Anderen gewonnen haben ?"
DaS ist gefährlich. Die Pferde sind
wild."
.Grade deshalb."
ES könnte ein Unfall geschehen."
.Du traust mir nichts zu. Gieb
her!"
.Nein!"
.HanS?"
Nun?"
.Ich steige aus. wenn "
Ach Tu Trotzkopf Du "
Er lachte hell auf, aber schon hatte
sie die Zügel ergriffen, die Pferde zogen
erneut an, mit Windeseile flogen die
Tannen vorüber, jetzt hatten sie die An
deren schon eingeholt, jrtzt sausten sie an
ihnen vorbei
.Da. Du Kleingläubiger. Du glaubst
wodl gar, ich verstünde kein Pferd zu
lenken?" V
.Hm. hm."
Ach Du. weißt Du nichts Besseres zu
sagen? Oder haft Du Deinen ganzen
Witz an Mimi verschleudert?"
Ueberrascht blickte er fie an. Sie
war eifersüchtig, seine Sache stand also
nicht ungünstig. Schon wollte er er
widern, da, was war das? Ein gewal
tiaer Ruck. Elfe halte nickt Ackit oe
geben, der Schlitten war gegen einen
im Weae liegenden Baumstamm aesab.
ren. er wankte, er schlug um ein Auf
Ich! ....
Elfe flog zuerst hinaus, tief in den
weichen Schnee.
HanS erging eS nicht besser, er fiel
gerade in ihre Arme. Und nicht faul,
hielt er die Gestalt fest.
Elfe. Kind, Du weißt, daß ich Dich
gern hab," stieß er hervor, und da das
Schicksal uns so zusammengeführt, so
darf ich Dich immer so balten. Dein
gan,eS Leben lang?"
Sie sagte nichts, fie ließ es ruhig
geschehen, daß feinMund den ihrigen
suchte
Jetzt kamen aber auch die Anderen
näher, die Schlitten hielten, man be
fürchtete das Schlimmste, da man die
Beiden nicht hatte aufstehen sehen.
Else," rief v. Felden. ift Dir etwas
pasfirt? nun spreche doch."
Jetzt erst richteten fich die Beiden aus
von dem Schneelager.
Um's Himmelswillen, Kinder, was
habt Ihr gemacht?"
.Wir." und beiter lackte kanS au.
wir haben unS nur verlobt.-.
in Zweikamps auf dem Drahtseil.
DaS merkwürdigste Duell, das je
von zwei erbitterten Geanern ausaekock.
ten wurde, fand kürzlich in einem Dorfe
in OderJtalien statt. Dort hatte fich
eine französische SeiltünzerTruppe nie
dagelassen, die allabendlich ihre Vor
ftellung gab. Ein Italiener, der die
Kunst des SeiltanzeS ebenfalls zu fei
nem Beruf gemacht hatte, weilte zu
füllig in demselben Dorfe zum Besuch
und ließ eö sich natürlich nicht nehmen,
den Produktionen feiner französischen
Kollegen beizuwohnen. Eines Tages
machte er die Bekanntschaft deS wag
halftgen Mitgliedes der Truvve und
ehe noch eine halbe Stunde verging.
war zwischen den beiden Artisten der
heftigste Streit über ihre gegenseitigen
Leistungen entbrannt. Man belcklok.
noch am felben Abend die Sache mit
einander auözusechten, und zwar, wie
eS fich für Leute ihres Faches geziemte,
auf straff gespanntem Drabtleil. ?in
Trikots und Perrücken, mit Rappieren
bewaffnet, erschienen die beiden Seil
tänzer Abends vor der schaulustigen
Menae. Zuerst l?rodu,irten fie firt
nebeneinander auf dem schwankenden
rn uno suyrien oie halsbrecherischsten
Sachen aus. Da glitt der Fuß des
Italieners etwas auS: die fvsiMfA
Bemerkung seines Rivalen brachte fein
Blui zum dieoen uns mit gezogenem
Rappier nurzie er fich auf seine,
Gegner, der auch sofort panrte. E
noch daS erschrockene Publikum b
greisen konnte, um waS eS fich handelte,
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der Luft mitten im bikiasten Gefeckt.
Jeder von ihnen besaß ebenso große
Vewanvtyell aus vem keil, wie in der
Führung deS RavvierS. und einiae '
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wiß, wer als Sieger aus dem eigen
arugen Kamps hervorgehen würde. Da
führte der Italiener einen so beftiaen
Stoß gegen die Bruft seines Rivalen
aus, daß er selbst die Balance verlor
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Fechtdegen von sich geworfen und da?
Seil mit den Händen ergriffen. Weni
ger giuauq war der Franzose, den
der vehemente Anprall gleich alls auS
dem Gleichgewicht gebracht batle und
der nun, ohne fich halten zu können,
zu Boden stürzte, wo er definnungSloS
liegen blieb. Ter stolze Sieger wurde ,
von der jubelnden Menae mit lautem i
Beifall belohnt.
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