Nebraska Staats-Anzeiger. (Lincoln, Nebraska) 1880-1901, December 09, 1897, Image 10

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    Hans der Knecht.
YrzädlungVonPaulBliß.
lS HanS Wolfram neun Iah alt
war. verlor er die Eltern. Eine lflcfi
sche Fieber'Epidemie überfiel daS kleine
Dorf und raffte sqaarenwelse die armen
Leute bin.
Sein Bater trar der einzige Lehrer
im Ort. Seine Mutter mar eines ar
men Bauern Todter. Vermögen war
nicht da. Und da auch keine Verwand
ten des kleinen so jäh verwaisten Kna
den mehr lebten, erbarmte sich der reiche
Großbauer MertenS und nahm den
" aufgeweckten kleinen Buben zu sich in'S
vauS.
Der Großbauer war ein praktischer
Mann. Er wußte, weshalb er den
Burschen in Kok und Psteae nahm. Er
hielt ihn streng und erzog ihn zur Av
beit. denn er berechnete: wenn der
Bursch größer wurde, konnte man einen
necht ersparen.
So wurde HanS zur Landarbeit er,
gen.
Im Sommer hütete er das Vieh,
trieb sich vom frühen Morgen diS zum
späten Abend auf Feld und Wiesen
herum: und im Winter, wenn daS bis.
chen Schulunterricht vorbei war, wurde
er in Haus und Hof und in den Stallen
zu jedweder Arbeit herangezogen. Alle
hatten etwas für ihn zu thun. Jedem
mußte er gehorchen.
Zum Nachdenken kam er nur im
Sommer.
Dann lag er wohl am Bach und sah
den rinnenden Wassern nach, oder er
lag lang ausgestreckt auf dem Rücken
und starrte die ziehenden Wolken an,
oder auch am Bahndamm stand er und
schaute auf die vorüberbrausenden Züge
und dann kam oft eine leise Weh
muth über ihn dann gedachte er der
stillen Winterabende, als der Vater am
Kachelofen gesessen und von den Wun
dern der großen Welt erzählt hatte ;
draußen tobte der Schneefturm und rüt
telte ungestüm an den klappernden Jen
fterladen. drinnen aber war es sehr trau
lich und warm und der Vater erzählte
von so viel neuen und , herrlichen Din
gen, daß die Stunden wie im Fluge
vergingen und wenn er an die
Zeit zurückdachte, dann kam eine weiche
Stimmung über ihn. und dann konnte
er oft leise vor sich hin weinen, und
dann erst empfand er seine Einsamkeit,
die ganze Schwere seines Daseins und
die hoffnungsarme Zukunft: aber dann
urplötzlich blitzte etwas auf in seiner
Seele. die Kraft der Jugend brach
siegreich durch, die trüben Bilder der
schwanden, und eine heiße wilde Sehn
sucht packte ihn, den brausenden Bahn
zögen hätte er nacheilen mögen! Hinein
in die Welt, von der er des Schönen so
viel gehört hatte.
So wurde HanS 15 Jahr.
Ein kräftiger, prächtiger Bursch war
er geworden. DaS Gestcht braun
brannt,, der jugendliche Körper straff
und muSlelseft. und em paar treue dun
kelblaue Augen, die ihn Jedermann
schnell gewinnen ließen.
Nun behandelte man ihn schon besser.
Er war äußerst geschickt, fleißig und
treu, und da er gegen Jeden Bescheiden
war, galt er fast jetzt schon so viel wie
ein Knecht.
Und AbendS. wenn die Knechte vor
den Ställen faßen, durfte er auch mit
ihnen zufammenfiden und konnte zuhö
ren, wie die zahllosen Erlebnisse breit
und umständlich erzählt wurden. Am
liebsten hörte er den Soldatengeschichten
zu und den Keiegsabenteuern, die der
Pferdeknecht mitgemacht hatte; der hatte
bei den Ulanen gedient, und war 1870
mit gewesen.
Da pochte denn daS Herz des Jüng
lingS höher und seine Augen glühten
vor Begeisterung, ach. so etwas wollte
auch er einmal mit erleben! Natürlich
nur bei den Ulanen, denn das war feme
LiebungStruppe.
Von Zeit zu Zeit übte er sich noch eif
- riger im Reiten. Kein Pferd war ihm
zu wild; mit der ganzen wilden Kraft
des Naturburschen zwang er eS, fo daß
selbst der ehemalige Ulan vor ihm Re
spekt bekam.
AIS er 16 Jahre war, wurde er kon
sirmirt.
Nun galt er als vollkommen zuge
hörig biim Gesinde. Er war jetzt der
patttichfle Buriche tm ganzen Dorf,
und die Mädchen wurden roth, wenn
er sie mit seinen großen blauen Augen
ansah.
Jetzt wurde er dritter Pferdeknecht,
bekam dreihundert Mark Lohn für'S
Jahr und durste theunehmen an allen
Beschädigungen der anderen Knechte.
Um diese Zeit starb der Großbauer,
Da seine Ehe kinderlos war, erbte die
Frau Alles.
Aber auch die Frau war klug und er
fahren in der Landwirthschaft. Der Hof
wurde nicht verkaust. Die Bäuerin
übernahm daS Regiment, und der Groß
knecht wurde Statthalter.
So wirthschaftete man dreiviertel
Jahr.
Tann kam das Gerücht auf: Groß
bäuerin wolle wieder heirathen. Und
darüber wunderte sich denn auch kein
Mensch, weil die Wittib noch eine gar
stattliche und lebensluftige Frau gewe
fen ist.
Als JreierSmann trat der neue Nach
bar auf.
Er hieß Wilke. war Wittwer. hatte
ein Mädel von 14 Jahren und war kehr
reich, denn er hatte daSNachbarRitter
gut gekauft und vaar bezahlt.
Dieser Mann bewarb sich um die
Wittwe MertenS, weil er sie als tüchtige.
Wirthin und kluge Frau kennen gelernt
hatte. '
Alles ging gut. Und nachdem daS
Trauerjahr verstrichen war, führte Herr
Rittergutsbesitzer Wilke die Großbäuerin
MertenS heim und die beiden großen
Höfe wurden nun vereint.
Der GutZherr hatte sehr bald die
Fähigkeiten dkS schmucken Burschen er
konnt, seine Eleganz und Sicherheit im
Reiten und Fahren, und darum machte
er ihn zu seinem Jockky und Kutscher.
Nun bekam HanS eine herrschaftliche
und lehr elegante Livree, die er alS
Kutscher trug, und außerdem die twH
ständige Ausstattung eines vornehmen
ReitknecktS.
Jetzt begann für HauS eine noch des
lere Acu.
Jetzt war er wirklich der strammst
und schmuckste Bursch im ganzen Dorf
Die Mädchen waren rein toll nach ihm
Und die andern Burschen sahen mit
neidischen Augen zu ihm hin. HanS
aber hielt sich fast ganz zurückgezogen
er erzürnte sich mit Niemandem, aber er
befreundete sich auch mit Keinem. Er
ritt viel umher, durchstreifte die ganze
Umgegend und dann saß er auch oft in
seiner einsamen Kammer und las,
Ganz plötzlich war ein heißer Trieb zum
Lernen über ihn gekommen.
Sem Dienst bei dem neuen Herrn
war nicht allzu anstrengend. Herr Wilke
hatte immer den Kopf voll von neuen
Plänen, wie er feine Güter verbessern
könnte, und feit er nun wieder geheira
thet hatte, wurde die Sucht. Neuerun
aen eirnu üoren. immer ärger, denn
feine Frau drängte ihn Tag für Tag
daß er mehr thun solle, sich zu Ansehen
und Würden zu bringen. Die ehe
malige Bäuerin war ehrgeizig
worden.
So hetzte sich der Gutsherr ab, seiner
Frau zu Gefallen zu fein, so trug er sich
mit großartigen Plänen, eine Ziegelei,
eine Brennerei und gar eine Zuckev
fabrik zu bauen, so ließ er sich endlich
auch als Kandidat für den Reichstag
aufstellen.
Der neue jugendliche Kutscher hatte
den Pferden Bewegung zu schaffen.
aber in der ganzen Eleganz seiner neuen
Livree konnte er sich nur zeigen, wenn
eS galt, nach außen hin zu repräjen
tiren.
So war HanS mehr denn je allein
mit feinen Pferden. Er liebte feine
Thiere, er gab ihnen Kosenamen und
streichelte sie liebkosend, so oft er nur
konnte. Und die klugen Thiere kannten
ihn sehr bald, wiehernd begrüßten sie
ihn, sobald er sich blicken ließ.
AIS der neue Lenz m s Land kam.
kehrte die Tochter des HauseS aus der
Pension zurück.
Luce hieß Ine, wer schlank und zart
gebaut und hatte braune Augen und
lange blonde Zöpfe. Sie war jetzt
ünszehn Jahr, und damit sie lerne.
die neue Mutter lieb zu gewinnen,
hatte der Vater sie letzt nach Hause zu
rückgeiufen.
Da der Gutsherr infolge seiner vielen
Geschäfte fast nie daheim, war, mußte
das Mädchen sich um so inniger an die
neue Mutter anschließen. Luci kam
deshalb auch mit großer Liede und
Zärtlichkeit der Gutsherrin entgegen,
aber schon nach den ersten Tagen merk
ten Beide, daß eS zu wirklichem der
traulichem Zusammenleben niemals
kommen würde. DaS wahrhaft Innige,
die herzerfrischenie Offenheit fehlte. Die
ehemalige Bäuerin fand nicht recht den
Ton, der Vertrauen erwecken konnte,
und daS junge Mädchen verschloß somit
keusch und zagend ihre wahren Gefühle.
Man kam sich freundlich und gefüllig
entgegen, innerlich aber kamen sie sich
nicht näher.
Lucie ertrug alleS .schweigend. Am
liebsten war sie allein. Tann dachte sie
an ihre verstorbene Mutter, und dann
st empfand sie die ganze Schwere ihre?
Daseins.
1 Der Vater merkte bald, daß nicht
alles so war, wie eS hätte fein sollen,
aber er hoffte viel von der Zeit und Ge
wohnheit, und schließlich tröstete er sich
damit, daß er daS Mädel ja in ein paar
Jahren verheirathen würde, und dann
war ja die Frage auf einmal gelöst; so
ging er weiter seinen Geschäften nach
und überließ die Führung des HauS
wesenS seiner Frau.
Eines TageS sprach Lucie den Wunsch
aus, sie wolle reiten lernen. Sofort war
der Vater einverstanden. Er gab seinem
jungen Reitknecht die nöthigen Jnftruk
tioncn. Und bereits am anderen Tage
begann der Unterricht.
HanS sattelte sein bestes Thier, einen
Apfelschimmel, der fromm und gut ein
geritten war. Als er daS Fräulein in
den Sattel hob, und ihn ein dankender
Blick aus dem braunen Mädchenauge
traf, fühlte er, daß er roth wurde,
und daß fein Herz lebhafter pochte, als
sonst.
Die ersten Stunden verliefen ohne
Unfall. Tag Fräulein zeigte diel Talent
und Geschick und begriff spielend die An
Weisungen, die HanS ihr gab. Und als
sie nach drei Stunden den Vater wieder
sah, konnte sie bereits in vier Gangarten
an ihm vorbeireiten.
Der Gutsherr war froh, daß er nun
etwas gefunden hatte, was ihr Freude
und Zerstreuung schaffte, und deshalb
gab er HanS die Weisung, so oft eS feine
Zeit erlaube, mit dem gnädigen Fräu
lein auSzurenen.
So ritten sie denn jeden Vormittag.
Anfangs hielt sich HanS ein paar Län
gen hinter dem gnädigen Fräulein zu
rück, da sie sich aber auf freiem Felde
doch noch etwas unsicher fühlte, mußte
er an ihrer Seite bleiben.
Der Frühling war nun da.
Mit jedem Tage schien die Sonne
wärmer. ES war eine Wonne, so in die
herrliche blühende Welt hineinreiten zu
können. Die Obftdäume blühten ein
Wald von schneeigem Duft. und aus
den offenen Ackerfurchen quoll der wür
zige frische Erdgeruch herauf. Die
Kastanien platzten ihre braunen klebn
gen Bluttlnospen und steckten daS erste
junge Grün heraus, und der Flieder
schimmerte wirklich schon ganz bläulich.
Ein lauer Schmeichelwind wehte über
die Lande und brachte ganze Wagen
voll weißer Blüthendlätter mit. Und
die l!öjtl sangen und sangen ohne
Unterlaß.
Jauchzend sprangen die Burschen und
Mägde in'S Feld; über sie alle war die
wilde Fröhlichkeit gekommen die so ein
zunger Lenzivind den jungen Leuten in
die Herzen hineinzaudert.
Schweigend ritt HanS an der Seite
seiner jungen Herrin. Manchmal sah
er verstohlen zu dem Fräulein hin. und
freute sich an dem heitern sorglosen
Lächeln, daS auf ihrem Gesichte leuch'
tete, doch wenn sie sich dann umwandte
und ihn ansah, dann blickte er verlegen
weg, alZ wäre er bei einem Unrecht er
tappt worden.
Eines TagcS fragte sie, ob er hier im
Torfe zu Haufe fei, und wo feine Eltern
lebten.
Ruhig und mit leise zitternder Stimme
antwortete er dann, daß er schon als
Knabe verwaist war und jetzt muttersee
len allein dastehe.
Als er schwieg, sah sie mit leicht um-
florten Blicken zu ihm hin, und dann
kamen ihr ein paar Thränen in die
Augen.
Das sah HanS, und da kam plötzlich
ein Gesühl in ihm hoch, als ob er nie
derknieen möchte, dem Fräulein deS
KleideS Saum zu küffen, als ob er ihr
danken möchte für diese liebe Antheil,
nähme, die ihm noch von keinem Mm
schen in solcher Zartheit gewährt worden
war. Alle? Gute m ibm. alle Dank
barkeit, alle Aufopferung, alle Liebe.
alles, alles hätte er ihr heute kund
thun mögen. Doch er besann sich sofort.
daß er ja nur ein Knecht und sie die
Herrin war, und deshalb schwieg er und
dankte nur mit einem Blick aus seinen
treuen blauen Augen.
Von dem Tage an war sie sein AlleS.
für die er sein Leben gelassen hätte.
Auch Lucie kam ihm jetzt anders ent
gegen. Sie befragte ihn um alles mög
liche. Bald mußte er ihr Auskunft ge
den über die Behandlung deS Ackers.
dann wollte sie wissen, w,e man die vev
fchiedenen Getreidearten unterschied, b
vor sie Aebren bekamen. Dann wieder
ließ sie sich den Mechanismus einer
landwirthfchaftlichen Maschine erklären.
Und er war stolz, sie über all das so
prompt belehren zu können. Oft redete
er sich fo in Enthusiasmus, daß sie ihn
teile erflaunend ansah. Sie verwun
derte sich, so viel Wissen und Jntellv
genz bei ihm zu finden.
Sie hatte keine Freundin hier, und
der Verkehr mit den Nachbarn war auch
nur mäßig. So war sie fast immer
allein, und doppelt froh war sie dann,
wenn sie mit dem flotten, jungen Bur
chen so wild in das weite Feld hinein
galoppiren konnte.
Manchmal erzählte auch sie dann
von ihrer Pension in Lausanne, von der
wilden Romantik der Schweiz, von der
Schönheit des Genfer SeeS, und von
all dem Herrlichen, daS sie kennen ge
lernt hatte.
Still und andächtig hörte er zu und
ah sie voll Ehrfurcht an. bis sie plök'
lich. belustigt über fein Staunen, dann
dem Gaul die Sporen gab und in vol.
lem Galopp querfeldein davonsauste.
odaß er beinahe Mühe hatte, ihr nach
zukommen.
Und letzt war Han, wenn er mit
dem anderen Gesinde zusammen weilte,
noch mehr zurückhaltend und noch stiller,
als er es ehedem gewesen war. Wenn
irgend möglich, blieb er ganz allein, laS
unermüdlich oder faß sinnend da und
chaute in die blaue FrühlingSlust.
EtwaS Neues war über ihn gekom
mm, etwas ihm noch UnbeknitS, j
Manchmal durchrüttelte eS ihn wie eine
wilde Freude, daß er hätte aufjauchzen
mögen vor lauter Glückseligkeit. Und
dann wieder schlich er kopfhängerisch
und ganz verzagt einher. Plötzlich warf
er sich aufs Pferd und jagte davon in
wildem Galopp, bis er allein war im
stillen Wald, und dort warf er sich in'S
GraS, umklammerte einen Baum und
betete, wie er als kleiner Knabe mit der
Mutter gebetet hatte, und mittendurch
wieder kam ein Jauchzer, und Freuden
thränen traten ihm in die Augen, und
das Herz pochte ihm zum Zerspringen.
An einem wunderherrllchen Juni
morgen ritten die Beiden wieder in S
Feld.
Der Flieder blühte jetzt. Ganze Wo
gen von süßen Düften wehte der laue
Wind ihnen zu.
Schweigend ritten sie nebeneinander.
Plötzlich deutete sie aus eine Schaar
von Kindern, die am Bache unter den
Weiden lagen und eifrig hantirten.
WaZ treiben die Kleinen dort ?"
HanS sah hin. .Sie machen sich
Pfeifen und Schalmeien aus den jun
gen Weidenruthen. "
Sie nickte. Und wieder ritten sie
chweigend weiter. Nach einer Weile
kamen sie an den Fluß; auch dort ftan
den Weiden.
Plötzlich hielt sie das Pferd an, sprang
herab und rief voll Uebermuth : .Ich
möchte auch solche Pfeifen und Schal
meien machen können."
Lächelnd sah HanS sie an.
Tann fprang auch er vom Pferd,
band beide Thiere an einen Baum,
und dann schnitt er mit seinem Ta
schenmesser einige junge Weidenzweige
herunter.
Mit diesen wnf er sich in'S GraS.
fing an, die Ruthen zu befeuchten und
sie so lange mit dem Messer zu be
klopfen. diS er den Weißen Stock aus
der grünen Schale ziehen konnte. Tann
schnitt er ein Mundstück, eine Schall
öffnung. schob dann einen kleinen
weißen Stock unten in die grüne Schale
wieder hinein, und dann hielt er dem
Fräulein lächelnd die fertige Pfeife hin.
Schweigend hatte sie neben ihm ge
standen und genau auf Alle? geachtet,
und als er ihr jetzt das kleine Justru
ment gab, auf dem sie luftige Weifen
pfeifen konnte, da lachte sie laut jubelnd
loS und sprang tanzend und pfeifend
umher wie ein ausgelassenes Kind.
Mit hochrothem Gesicht und mit freu
digem Stolz stand Hans dabei und sah
ihr zu. Und wieder kam das Gesühl
der Glückseligkeit über ihn, und wieder
pochte fein Herz zum Zerspringen.
Ta kam sie auf ihn zu. reichte ihm
lächelnd die rechte Hand bin und rief
.Ich danke Ihnen. Hans!"
Und da ergriff er ihre Hand und
preßte sie so fest in der seinen, daß sie
fast aufschrie vor Schmerz. Und da traf
fle sein leuchtender Blick, der ihr AlleS.
AlleS verrieth.
ueber und über erröthend stand sie vor
ihm, zog ihre Hand aus der seinen und
ging von ihm fort.
ann wart ne die Wetdenpteife rn
den Fluß, der sie auf den reißenden
Wogen schnell davontrug. Und dann
schwang sie sich aus'S Pferd. alleS fchwet
gend, schnell hintereinander.
HanS aber stand da wie versteinert
Vor seinen Augen flirrte und flimmerte
AlleS, und in seinen Ohren klang eS wie
MeereSdrausen. Erst alS er sie auf dem
Pferde sitzen sah, ermannte er sich und
bestieg auch lein Thier.
Niemand sprach ein Wort. In schnei
lem Trabe ritten sie nebeneinander her,
bis sie den Hof erreicht hatten.
Tann sprang sie allein herab, warf
ihm die Zügel zu. sagte kein Wort,
hatte keinen Blick für ihn, und so ging
sie in'S HauS.
Und er führte die Gäule in den Stall
und that seine Arbeit wie immer, aber
that eS aus Gewohnheit, er wußte nicht,
was er that. Wie im Traum, mit
todtenbleichem Gesicht lief er umher, so
daß alle ihn erstaunt ansahen.
In dieser Nacht fand er keinen
Schlaf.
Qualvoll wälzte er sich auf dem
Lager herum und stöhnte und ächzte
und wühlte das Gesicht in'S Kissen, um
feine Schluchzen nicht laut werden zu
lassen.
Endlich aber kam der Großknecht, der
ein Stöhnen hörte, besorgt zu ihm und
ragte, ob er denn krank sei.
Und da biß er die Zähne zusammen
und zwang sich zu einer gleichgültigen
stimme: .Nem. ich bm aam wobl.
aber ich habe nur einen bösen Traum
gehabt."
Und nun nahm er alle Kraft zusam
men, seiner Erregung Herr zu werden.
Er gab keinen Laut mehr von sich
Innerlich aber wühlte der Schmerz und
die cham und der Aerger, und mitten.
durch brach die Wuth: er hatte nicht
nur sich hinreißen lassen, daS Fräulein
zu oeieivigen, das fühlte er nur zu
deutlich, er hatte nun auch für immer
sich die Achtung verscherzt, die sie bisher
vor ihm gehabt hatte. TaS fraß und
quälte ihn am meisten. Er hatte fein
erstes Ideal verloren für immer. Das
wußte er jetzt. Und er hatte sie lieben
und anbeten wollen, so heimlich und
verstcckt, daß sie auch nie daS Geringste
davon hätte merken sollen : jeden
Wun cd wollte er lbr von den Auoen
ablefen, sUr sie hätte es ein Leben ge
lassen, so betete er sie an. , Und nun,
als sie ihm den elften Beweis ihrer
Freund chaft gab, nun loderte fein wu
deS, ungestümes Blut fo heiß auf, daß
fein Händedruck und fein Blick zu einer
Beschimpfung für sie wurden. DaS
war es. waS ihn nicht zur Ruhe kom
men ließ. Sie die Herrin und er der
Knecht ! Eine wahnsinnige Wuth tx
faßte ihn. Ein Knecht war er nur, ein
Knecht I Er b,ß sich wüthend in den
Kissen fest, um sein Schluchzen nicht
wieder laut werden zu lassen.
Als der Morgen kam. war fein Ent
schluß gefaßt. EineS nur gab es. Er
mußte fortgehen. DaS Fräulein sah er
nicht wieder. Sie ritt nicht mehr. Sie
sei nicht wohl, hieß eS. Und nach acht
Tagen taste sie ad. Der Kammerdie
ner sagte, sie wollte eine Freundin im
Süden besuchen. Auf dem Hofe blieb
alles, wie es war.
Nur HanS allein war noch stiller und
zuruayattenoer gemoroen, ier war er
fast menschenscheu. Er arbeitete mit
einer wahren Wuth. Nie konnte er sich
genug thun. Und AbendS, dann schlich
er allein umher, bis in die sinkende
Nacht hinein.
Erstaunt sahen die anderen Leute
seinem Treiben zu. Aber keine wagte,
ihn zu hänseln, sie hatten alle Respekt
vor ihm. So ließ man ihn gehen.
Nach einigen Wochen war er mit sich im
Klaren. Fortgehen, in die Welt hin
aus, und alles vergessen, das war die
einzige Rettung.
Zuerst wollte er seiner Militärpflicht
genügen, natürlich bei den Ulanen, und
wenn er ausgedient hatte, dann sollte
eS hinausgehen in die Welt, um zu
schaffen und zu streben, bis man endlich
dann kein Knecht, sondern ein eigener
Herr war. TaS war sein Plan. I
Und er führte ihn aus. Zwar un
gern entließ ihn sein Herr, denn er
vatte ihn liei gewonnen. Ta HanS
aber fest blieb, mußte er ihn ziehen laf
fen. Eo nahm er denn Abschied von
den Krädern seiner Eltern und von all'
den Stätten, der ihm theuer geworden
waren, und an einem klaren Spät
sommermorg'n schnürte er sein Ränzc
und verließ die Gefilde seiner Jugend
tage und zog hinaus in die weite Welt,
Die Thränen traten ihm in die
Augen, als er vom Hügel aus noch
einen letz'cn Blick auf das Fleckchen
mot wart, das er ferne veimath nannte,
Dann aber machte er sich stark und zog
weiter, dem Neuen, dem Unbekannten
entgegen, seine junge Kraft im Kamps
um i Tafein zu stählen.
Seitdem sind sechs Jahre vergangen.
Für HanS sind es Jahre der ernsten
angestrengten Arbeit gewesen. Aber
nie ist er müde geworden, stets seinem
Grundsatze getreu hat er weiter geschafft.
tapser und redlich.
Ader auch deS Glückes Sonne hat
ihm geleuchtet. Sein Rittmeister bei
den Ulanen hatte ihn bald lieb gewon
nen, weil er erkannt hatte, daß der
junge Rekrut nicht nur fleißig und zu
verlässtg, sondern auch von großer In
telligenz war ; so ließ er ihn nicht auö
den Augen und zeichnete ihn bei jeder
Gelegenheit aus. Und als dann die
Militärzeit zu Ende ging, kam HanS
auf daS große Rittergut feines Ritt
meifterS, wo er sich durch unermüdlichen
Fleiß und strenge Redlichkeit nach und
nach den Posten deS ersten Statthalters
eroberte.
Das war die erste Staffel gewesen.
oie er erreicyi yane. Wenn fegon er
auch jetzt noch diente, war er doch kein
Knecht mehr. Aber er ließ sich auch
daran lange noch nicht genügen. Nun
er den ersten Schritt vorwärts gethan,
nun erst recht wuchs ihm die Kraft, vor
wä,tS wollte er, fein eigener Herr wer
den.
Vom frühesten Morgen bis in die
sinkende Nacht war er auf den Beinen.
Nichts im ganzen Hos geschah ohne seine
Anordnung. Alle waren ihm willenlos
Unterthan. Seine kurze und bestimmte
Art, Befehle zu ertheilen, duldete keinen
Widerspruch. Doch nicht stolz und
herrisch war er, fondern er griff auch
tapfer mit an, wenn eS galt, zu
arbeiten.
Und nebenbei ftudirte er noch in
landwirthfchaftlichen Büchern, um feine
mangelnden Kenntnisse zu vervollkomm
nen. Er hatte bald erkannt, da feine
Fachbildung nur lückenhaft war, und
darum war er bemüht, diese Mängel zu
ergänzen.
Um diese Zeit bekam er ein Anerbie
ten von seinem früheren Herrn, dem
Rittergutsbisitzer Wilke, er wurde in
eine Heimath berufen, ebenfalls als
Statthalter, denn der Gutsherr begann
zu kränkeln und konnte die Arbeiten im
vollen Umfange nicht mehr allein eo
ledigen.
Lange dachte HanS darüber nach,
alleS zog er tn Betracht, auch die Ge
danken an Lucie kamen wieder, alleS
stand wieder sonnenklar vor seiner
Seele. Endlich aber entschloß er sich
doch, dieS Anerbieten anzunehmen.
denn die Sehnsucht nach der Heimath
hatte ihn plötzlich wieder erfaßt.
So ging er zurück auf feine erste
Stelle.
Auch hier hatte sich inzwischen die!
geändert. Der Gutsherr war über,
arbeitet und kränkelte ernsthaft. Die
Herrin war noch stolzer wie ehedem.
Und aus der kleinen Lucie hatten die
Jahre eine in blühenden Reizen pran
gende Jungfrau gemacht.
Sie alle begrüßten Hans mit Achtung
und einer entaeaenkommenden Art.
denn fte hatten von seinem ehemaligen
Rittmeister gehört, ein wie prächtiger
Mensch er geworden war nicht mehr
den Knecht sah man in ihm, man be
trachtete ihn schon halb und halb als
seinesgleichen.
Auch auf dem or wußte er ttch in
Respekt zu setzen, sodaß auch diejenigen
Knechte, dle zu feiner Zeit schon dage
Wesen .waren, ihm wohl oder Übel ge
horchen mußten.
In wenigen Wochen hatte er alle Fa
den deS großartigen Betriebes in der
Hand und erhielt die Machtbefugnisse.
zu fchalieu und zu walten, wie er es für
richtig befand.
Er aß am Tisch der Herrschaft und
wurde auch vorgezogen, sobald eS irgend
eine Festlichkeit gab.
Er war letzt in der Blüthe feiner
Kraft, stattlich und gesund.- Dabei
hatte er sich auch die Umgangsformen
der feineren Kreise angeeignet; niemand
konnte ahnen, daß er sich auS dem
Nichts heraufgearbeitet hatte.
EineS Tages, alS er vom Felde heim
ritt, traf er mit Lucie zusammen. Es
war das erste Mal, daß er sie allein
sah. seit jenem UnglückStage. Bisher
hatten sie beide niemals zusammen
mehr gesprochen, alS die Höflichkeit er
orderte, und lebet von Beiden hatte
durch größtmögliche Harmlosigkeit daS
Andenken an die Vergangenheit der
gessen machen wollen, was ihnen Be'den
auch gelang.
Jetzt zum ersten Mal waren sie wie
der allein.
Als HanS tief und ehrerbietig grüßte.
dankte Lucie erröthend. Eine kleine
Pause entZand. Aneinander vorüber,
reiten konnten sie nicht, weil sie densel
den Weg hatten.
Endlich nahm sie alle Kraft zufam
men und begann daS Gespräch: .Nun,
l'uuiuiy ll (i ja
rn."
Blicke und da et
lichenAuflelichlllif
Herr Wolfram, wie gefällt e Jhnr?
denn jetzt bei unS?"
.Oh. ich danke, gnädiges Fräul.in.'
sagte er freudestrahlend. .eS gefüllt mir
sehr gut. Und in der Heimath ist ci ja
DOtjj immer am sonnen.
Da trafen sich ihre Blicke
kannte er an dem glück!
ihrer Augen, daß sie ihn noch nicht der
geffen hatte. Er hätte aufjubeln lön
nen vsr Glückseligkeit, aber er dachte an
den UnglückZtag von e,hedem. und deS
halb nahm er sich zusammen und sprach
ruhig weiter. diS sie den Hof erreicht
hatten.
Ader der Zufall wollte eS. daß sie
sich nun öster trafen, bald im Feld,
bald im Wald, und immer dann plau
derten und unterhielten sie sich in aller
Harmlosigkeit, sodaß die Vergangenheit
endlich ganz vergessen war.
Einmal überraschte sie so der alte
Herr Wilke, aber er freute sich nur dcS
guten Einvernehmens der beiden jungen
Leute. Er hatte seinen jungen Statt
Halter jetzt so lieb gewonnen, daß er so
gar ganz heimlich an eine Verbindung
deS jungen Mannes mit feiner einzigen
Tochter dachte.
Als hiervon aber die Gutsberrin er
fuhr, war sie voll Empörung und saate.
daß sie eS nie und niemals zugeben
werde, denn Lucie könne ganz andere
Partien machen. Papa Wilke aber
schwieg lächelnd, weil er wußte, daß
seine Lucie doch nur den Mann nehmen
würde, den sie sich erwählt hatte.
Ader die Herrin ließ nicht nach, und
endlich lud sie auch einen Besitzer auz
der Nachbarschaft ein. von dem fleV
wußte, daß er sich für Lucie interesstre.
ES war ein Herr von Santen. ein
junger Elegant, der sein Wappen neu
vergolden mußte, um die Schulden
seiner Väter zu tilgen.
Lucie durch chaute sofort den Plan
der Stiefmutter, aber, gleich dem Va
ter, lächelte auch sie nur, sie wußte
wohl, was sie wollte.
So kam Herr von Santen wieder
und wieder, ohne seinem Ziele auch nur
einen Schritt näher zu kommen.
Und wieder kam der Früblina in'S
Land.
Wieder grünte und blühte die aan
Welt in all' ihrer Schönheit. Und die
liebe Sonne schien vom Morgen bis
zum Abend am wolkenlos blauen Him
mel.
Eines Tages, als LanS einmal tu
Fuß durch die Felder aina. trat er
Lucie unter den jungen Weiden, wo sie
atz und aus den grünen Ruthen kleine
Pfeifchen schnitt.
Sie sah ihn nicht. Wie aebannt blieb
er stehen. Kaum hielt er noch an sich.
Aber dennoch bezwäng er sich auch jetzt
wieder und ging langsam, fast ,öaernd
zu ihr heran.
Plötzlich drehte sie sich um. Und als
sie ihn hinter sich stehen sah. sprang sie
erröthend auf. ließ die Weidenruthen
fallen und wollte fortlaufen.
Jetzt aber hielt er sie und bat mit
flehender Stimme, daß sie bleiben . -
möge.
Sie blieb. Und er hielt ihre Hände
in den seinen, und mit leiser, glück
durchzitterter Stimme nannte er sie
beim Vornamen: Lucie, Sie fliehen
vor mir?"
Sie schwieg und sah zu Boden.
.Lucie. sagen Sie mir kein Wort?" bat
er weiter.
Da sah sie auf. Und da las er in
ihrem Blick, was er ja schon so lange
wußte, und da zog er sie an seine
Brust, wortlos und voll Glückseligkeit,
und so ruhten sie lange. Brust an
Brust.
Eine Viertelstunde später schon wußte
eS Papa Wilke. .Na, Kinder," sagte
er, .daS habe ich schon lange kommen
sehen," und dann legte er segnend
seine Hand auf daS junge Paar.
Die Gutsherrin hielt ftcb zuerst ,war
sehr reservirt, da aber Herr von San
ten plötzlich nach der Residen, reisen
mußte," fügte schließlich auch sie sich in
daS Unabänderliche.
So bekam der junge Statthalter sei
nes Herrn einzige Tochter zur Frau,
und so wurde aus HanS dem Knecht
nun Hans der Herr.
V
n
Sine Probe.
WaS ist schwerer zu ertragen. lörver
licher oder geistiger Schmerz? Diese
Frage beantwortet folgende Geschichte:
Ein persischer Schah dachte auch über
die Frage nach, war aber anderer An
ficht als sein Großwesftr. Der Monarch
hielt den leiblichen Schmerz, der Mini
fter den geistigen für stärker. Um nun
einem Herrscher ein praktisches Beispiel
für die Richtigkeit seiner Ansicht ,u
geben, sperrte der Großwesir ein Lamm,
dem zuvor eine Verletzung beigebracht
worden war, allein in einen Käfig und
ein zweites, gesundes Lamm in einen
anderen, größeren Käfig, in dem ein
Tiger an einer kurzen Kette so angebun
den war. daß er zwar nach dem Lamme
Prinzen, aber es nicht berühren konnte.
Beiden Lämmern wurde reichlich Nah
rung vorgesetzt. AlS man nun am fol
genden Morgen zu den Käfigen trat.
and man den Futternapf deS verlebten
LammeS völlig geleert, dagegen hatte
daS Lamm, daS sich mit dem Tiger im
Käfig befand, nicht nur fein Futter un
berührt gelassen, sondern die Furcht
hatte eS getödtet.
Merkspruch.
DaS nimmst Du bei dem Freien.
Mein Lieber, stets in Kauf:
Mit schönen Stunden fängt man an.
Mit bösen Jahren hört man auf !
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