Nebraska Staats-Anzeiger. (Lincoln, Nebraska) 1880-1901, October 28, 1897, Image 9

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    5 r L
ljählung an tan ftben von Sri, taue.
Nach anstrengenden M.:rchen hatten
Die beiden Bataillone kinkS Infanterie
Regiment? endlich um 9 Uhr Abend?
in einem kleinen Dorfe 'Ruft gemacht.
Der ia"1 war unbarmherzig heiß ge
Wesen. Das hatte seldft der Oberst ff
sagt.
Eine Stunde, nachdem die Cuattiere
bezogen waren, fanden sich die Ossiziere
beider Bataillone im Gafthose Zum
deutschen Kaiser" ein. Der Wirth hatte
zu thun, um allen Wünichen seiner
(toaste gerecht zu werden. Um den
Stammtisch' an dem sonst der Arzt, der
Schmied und einige unverheirathete
Inspektoren de? Rittergut? mit dem
Wirth die wichtigsten Fragen erÖrter
ten. saßen jetzt die Hauptleute und einige
allere Offiziere. Eben halten fte aus
einer Pigarrenlifte des Wirth? die sau.
bersten Karten hervorgeholt, als ein
Mann der zweiten Kompagnie haftig in
der Thiir erschien. Beim Anblick der
Borgesetzten verließ ihn der Muth. Er
ging auf den Wirth zu und sprach leise
einige Worte.
Die sitns Herren am Spieltisch be
merkten den Soldaten erft, aU: der Wirth
zu einem der Hauptleutc trat und ihm
zuflüsterte:
Der Hm Hauptmann Tiez möchte
einmal 'rauskommeni einem Soldaten
der zweiten Kompagnie ein ist Unglück
zugestoßen."
Der Angeredete erhob sich und verließ
nach einer kurzen Entschuldigung mit
dem Soldaten den Gasthof. Die an
deren Herren setzten ihr Spiel ruhig
fort.
Nach Verlauf einer stunde kam der
Hauptmann Tiez zurück. Er sah an
gegriffen auZ, weigerte sich auch, an
dem Spiel noch Theil zu nehmen. Die
Frage, waZ denn lo? war, beantwortete
er kurz :
Ach, lassen Sie nur eklige Sache!"
Trotzdem erzählte er sehr bald. Ein
Mann meiner Kompagnie ist auf der
Treppe ausgerutscht und hat das Genick
gebrochen. Bor einer Biertelstunde ist
er gestorben."
Dem Hauptmann Tiez schien der
Borfall ungewöhnlich nahe gegangen zu
sein. Das merkten die übrigen Herren.
Sie gaben sich deshalb doppelte Mühe,
den Kameraden aufzuheitern. Es wollte
nichts werden. Tiez wurde immer
stiller.
Plötzlich die Herren hatten nach und
nach ihr Spiel wieder aufgenommen
begann er zu sprechen:
Wiffen Sie, meine Herren, der Fall
hat mich mehr aufgeregt, als Sie viel
leicht begreiflich finden. Einer der uu
glücklichsten Tage meines Lebens ist vor
hin so lebhaft in mir wach geworden,
ich mus; Ihnen das auch erzählen.
Sonst habe ich keine Ruhe, auch keinen
Sinn für was Anderes."
Die Kameraden legten die Karten zur
Seite und Tiez begann:
.Ich weiß nicht, ob ich Ihnen schon
'mal erzählt habe, daß ich einen Bruder
hatte, der acht Jahre jünger war. als
ich. Er war ein unglaublich fähiger
Junge und hatte mit 20 Jahren An
sichten über das Leben, als ob er doppelt
so alt wäre. Er wurde Künstler.
ES wäre wirklich nicht so leicht ge
Wesen, zu entscheiden, in welcher Kunst
er daS Bortrefflichste leistete. Der Junge
dichtete, malte, er komponirte. Dabei
war er kein Kopfhänger; nicht so einer
mit langen Haaren, einer Sammtjacke
und schmutzigen Nägeln.
Selbstverständlich war er der Liebling
Aller. Eine große Unart mehr wohl
Unerfahrenheit hatte er. und so oft ich
auf Urlaub nach Hause kam, fing er
davon an. Weiß der Kuckuck, aus wel
chem Philosophen oder von wem er sonst
seine Anftchten ableitete; kurz und gut,
der Soldatenstand war in seinen Augen
etwas Lächerliche?, eine gänzlich blödftn
nige Einrichtung.
Solange diese Ansichten Rederei blie-
den. Iicnen wir lim. lir wußte im :
Uebrigen so Bieles. bewies fast für jeden
Stand ein so tiefe, ernstes Berftänd
niß; wir hatten ja auch unsere Sch:vä
chen, unsere Abneigungen. Auch blieb
er, trotz seiner zwanzig Jahre, in unse
ren Augen ein Kind.
Ich weiß eS noch, als wenn eZ gestern
wäre. Wenige Wochen, ehe ich Pre
Mierlieutenant werden mußte, wurde er
zum einjährigen Dienst eingestellt.
Seine Abneigung hatte sich mit zedem I
Tag, je näher dieser Zeitpunkt heran-
gekommen war, gesteigert, uu euoiicy
der Tag der Einkleidung anbrach, soll
ez wie meine Mutter mir schrieb
beängstigend um Waltcrchen ausgeschaut
baden.
Erft ein halbes Jahr spater wurde
ich. unter Beförderung zum Premier- j
Lieutenant, in das Regiment meiner;
Vaterstadt versetzt, in welchem mein!
Bruder sein Jahr abdiente. Mein alter
Oberst hatte sich auf Bitten meines 8$a
terS bei dem neuen Oberst für mich ver
wendet; so kam ich sogar in dieselbe
Kompagnie mit Walter.
Ich hatte bei der ersten Nachricht von
meiner Persetzung, die nebenbei eine
ziemliche Auszeichnung war, ein gewisse?
Unbehagen empfunden, als ich an mei
nen Bruder dachte. AuS Briefen der
Mutter hatte ich allerdings gesehen, daß
Walter ganz munter sei. Der Dienst
mache ihm Spaß und seine Vorgesetzten
hätten sich gelegentlich lobend über ihn
geäußert.
Und als ich am Tage des Eintrittes
in das neue Regiment erfuhr, daß Wal
,ter zum Gefreiten befördert war. schwand
Dcr Sotmlaasaall
j o
AOhrGOND l tt.
Beilage zum Ncbraola Staats -Älnzcigcr.
?!o. 83.
meine Angst, wieder den alten Starr-
köpf in ihm zu finden, der uns Solda
. ten Tagediebe und große Kinder, die
mit Säbeln spielen, genannt hatte.
In der ersten Zeit ging's auch.
Walter war zum April eingetreten und
jetzt war Anfang November; die Rekru-
ten wurden jeden Tag erwartet.
Walter hatte sich mir. außer draußen
auf dem Hofe vor versammeltem Kriegs
voll, auch aus meiner Stube in der Za
i ferne vorgestellt. Ursprünglich hatte
ich bei den Eltern wohnen wollen. Ta
, aber mein Bruder dort wohnte, unter
liefe ich eS; noch dazu, da mir in der
Kaserne zwei sehr nette Zimmer ange-
boten wurden.
Die Rekruten kamen und damit be-
gann rege? Treiben. Walter war von
den vier Emiährigen der Compagnie
der Einzige, der nach dem halben Jahre
Gefreiter geworden war. Er wurde
daher bevorzugt und nahm oft
Theil an der Ausbildung der 9te
kruten. Der ältere Premier Lieu
tenant hatte zur Wiederherstellung
seiner Gesundheit drei Monate Urlaub
nach dem Süden; ich führte deshalb,
wenn der Hauptmann nicht da war, die
Compagnie. Die Ausbildung der Re
kruten nahm ihren gewohnten Gang.
Ich muß hier bemerken, daß ich früher
nicht der ruhige, fast rücksichtsvolle Sol
dat war. der ich heute bin. Im Gegen
theil. Ich war sehr streng, leiden
schaftlich, fast jähzornig. Und
mich täglich. Ein Gefühl der Ber
antivortung, welche? ich mir nicht recht
erklären konnte, lastete auf mir. Bon
den behandelnden Stabsärzten erfuhr
ich, daß Walter einen nicht undcdeu
tenden Gelenk'Rheumatismu? bade.
Ich weiß nicht, ich tonnte nicht daran
glauben. Immer wieder stellte ich mir
die kerngesunde Gestalt Walter'S vor.
Wie sollte der zu diesem Leiden
gekommen sein?
eines Tages eryieii icy einen Brief
von Walter. Kurze, oft unfaßliche
Sätze.
Ich habe den Soldatenstand ge-
haßt. Du weißt das.
Beim Dienen habe ich Tag und Nacht
gekümpft, gegen meine Empfindungen.
Meine äußerliche Ruhe hat
Alle bestochen. Du siehst ja, ich
bin sogar Gefreiter" geworden. Als
Einziger! - Aber seit Du im
Regiment bist, HanS! Ich kann
Dir meinen Zustand nicht beschreiben,
Galgenhumor
Reichen.
viel ärger als je die
schön
Du hast eS ja auch gemerkt.
Ich höre noch Deinen Ruf:
kommen Sie in einer Stunde auf mein
Zimmer! - Weißt Du. Hans,
was mir fehlt? Nichts!!
Weißt Du, warum ich hier
bin?? Um nichts!
Doch ja! Aus Furcht vor mir
selbst. Ich habe Dir ein Leid
zufügen wollen. Du solltest auch
nicht Soldat sein. WaS habe ich ge
kämpft!! Damals, c!5 ich
..Mein Weid und ich. können
tanzen,
Sie mit dem Bettelsack, ich mit
Ranzen."
Da? klang schier als Leitmotiv durch
das wüste, tolle Treiben.
Zu den Vaganten und Bettlern hatte
Ta, sich heute auch ein junger Mensch gesellt.
der freilich nicht dieser Zunft angehörte,
aber gern dabei war, wo eS toll und
lustig zuging und wo man der Alltags
sorge ein Schnippchen schlug. Werner
Stanffacher trug nicht nur einen in der
Schweiz geachteten Namen; er war auch
wohlhabender Leute Kind; aber er hatte
den Bater früh verloren und die Mutter
war zu schwach gewesen, um ihren ein
zigen Sohn unter die rechte Zucht zu
nehmen, der eZ nach dem Tode der al-
ten Frau so bunt getrieben hatte, daß
sein hübsches Besitzthum vergantet wurde
geht'S freilich an den Kragen, der wird
gehängt!"
O. sagt da? nicht! rief Helene ganz
entsetzt.
Gewiß, kr hat den Riesen Niklas
0em todt gestochen, dafür wird er gehängt,
das ist Gesetz!"
Aber er hat's nur au? Nothwehr wunderte
und er jetzt al
verdienen mußte.
Melkknecht fein Brod' zeigt?
gethan!.
Hilft nichts, er wird gehängt, ich
kenne die Gesetze," erklärte der Bader
mit großer Sicherheit.
Und ist ihm gar nicht zu helfen?"
fragte Helene.
Ja. wenn der Werner einen Advo
taten hätte, der könnte ihn wohl vom
Galgen loZschwatzen, aber da? tostet
viel Geld!"
Einen Advokaten! Helene ließ einen
Augenblick den'Kopf hängen, aber dann
blitzte ihr ein Gedanke durch daZ Hirn.
War nicht der Advokat Grimmbacher
ihr Pathe? Hatte der alte Herr sich.
nicht stets liebenswürdig gegen nc ge-
fchluß erhoben. Und so geschah H,
wie die Chronik berichtet, daß ,n Itoei
sau ein zum Zode Beurtheilter, um
Kosten zu sparen, noch einmal am (Hai
gen vorbei kam. der ihm bereits gewinkt
hatte.
Werner Stauffacher mußte freilich
die kleine Republik sogleich verlassen;
nun. er brauchte nicht weit zu gehen
und kam bald über die Grenze. In
WiggiS fand er schon ein Unterkommen.
Die harte, schwere Prüfung muß'e doch
nicht spurlos an ihm vorübergegangen
sein ; der früher so leichtfertige Bur
sche zeigte sich jetzt völlig verändert, er
hielt sein Geld zu Rathe, und nachdem
er Helene als fein Weid heimgeführt
hatte, gelang eS ihm, ein kleines Heim
weisen zu kaufen, auf dem er glücklich
und zufrieden, im Kreise der Seinigen
ein still bescheidenes Dasein führte. Er
war der beste und solideste Ehemann
geworden, hatte er doch seiner Helene,
die bis in ihr hohes Alter eine viel de
Schönheit blieb, sein Leben
zu verdanken. Obwohl die Bettler
tuchweih noch immer abgehalten wurde,
nach der Nachdarrepudlik Gersau zog eS
Werner Stauffacher nicht mehr.
Braulwniu in :kanV.
Zu jenen Ländern Europas, in denen
sich urulte Sitten und Gebräuche di?
auf den heutigen Tag erhalten haben,
gehört in erster Reihe Rußland. Ein
bekannter Ethnograph, der das Innere
Rußlands bereift hat, schildert eine noch
aus urulter Zeit herstammende eigen
artige Brautwahl folgendermaßen: Auf
den Dörfern im Innern Rußlands
Rasch entschlossen, suchte sie den Herrn
wehe dem, der noch mit der Wimper in Dein Zimmer schlich.
zuckte, wenn ich Ruhe geboten hatte. HanS, ich wollte Dir in
Mein Urtheil über die Leistungen , Hand durchschießen.
ulkineS BruderS bildete ich mir sehr
bald. Ich hatte damals in der
Ferne gehört: er ist ein guter Sol
dat geworden. Er beweift Luft und
Liede zum Dienst und scheint gefeit
gegen das Erwachen früheren Hasses zu
fein.
Zu meinem großen Erstaunen fand
ich das nicht.
So oft Walter einen kleineren Zug
felbstftündig führte oder die Mannschaf
ten turnen oder fechten ließ, bewies er
Umsicht, Geschick und Ruhe. Sobald
ich aber das Eommando übernahm und
er nichts mehr zu sagen hatte, war eS
mit seiner Ruhe, wie mir schien sogar
mit seinem guten Willen, vorbei.
Anfang? glaubte ich mich zu täuschen.
Wahrhaftig!
der Nacht die
- Dann
aber hat mich das Bild von Mama so
strafend angesehen, da habe ich
mich ohnmächtig gestellt, als ich
mand kommen hörte.
war Dein Bursche, HanS! Das weißt
Tu ja. HanS! Ich be
schwöre Dich. Tu weißt ich
kann so manches , wozu muß ich
Soldat sein ? ? !
verstellt. thue eS täglich.
Selbst die schlauen Stabsärzte glauben
an meine Krankheit. Ich be
schwöre Dich, HanS ! Sage Du
nun Keinem etwas, sondern komm' erst
zu mir! Neulich war der Adju-
tant bei mir ich kann in we-
nigen Tagen entlassen werden,
frei sein , wenn Du Dich für mich
Der junge Bursche fragte freilich wc-: Pathen auf. und der alte Herr, der ein
nig danach, daß sein väterlich Erbe so Gesicht ,hatte. wie Pfeffer und Salz ge
rasch in die Brüche gegangen, er lebte j mischt, zeigte auch wirtlich eine Art
froh und sorglos in den Tag hinein. ; Lächeln, als Helene in seine Schreibstube
und wenn er das Bieh auf die Berge! trat.
trieb, dann jodelte er mit seiner frischen Sie erzählte ihm kurz und bündig
Stimme so lustig in die Welt hinaus, j da? Geschehniß, und als sie geendigt
als gehöre ihm diese schöne Welt ganz ! hatte, nahm er uachdenklich eine Prise,
allein. Schon gut, Nothmehr! Aber Todt-
Auch heute trieb sich Werner unter j schlag bleibt'S immer, da wird kein
dem nach Gersau geströmten Bettlern großes Federlesen gemacht, besonders
übermüthig herum; er hatte für diesen i mit Leuten, die sich auf der Bettler-
Tag sein Bieh der Obsorge eines Ka! kirmeß herumtreiben!"
Das wäre ja doch ein kaum zu stUui verwendest! HanS, Hans! Wer
bender Eigensinn gewesen." sagte ich zu : rathe mich nicht. Komm zu mir, wenn
mir selbst. : Du mich nicht verachtest. Heute Nach
Ich prüfte darum lange, kam aber zu ', mittag. Ich habe die Aerzte gebeten,
meinem Schmerz doch auf die erste Ein ' Dich sehen zu dürfen. Natür-
pfindung zurück
ES war so. Der Junge war also
entweder in meiner Gegenwart einge
schüchtert, oder sein ganzes Auftreten,
feine Schneidigkcit, seine Pflichttreue
und Liebe zum Dienst, die ihm nachge
sagt wurden, waren Berstellung.
Ich beschloß, ihn nochmals zu beod-
lich muß ich Komödie spielen,
lache nicht, wenn Du mich so siehst. Ich
gehe mühsam auf Krücken, wie Onkel
Excellenz. Gott im Himmel, HanS!
Ich schreibe Dir das so Alles,
Du bist doch aber mein Bruder! Ich er
flehe Dein Kommen. Walter."
Eine Thräne stahl sich dem Haupt
mann Tiez aus den Augen.
rneraden übergeben, denn er durfte doch
bei der Bettlerkirchweih nicht fehlen, wo
Je eS so toll zuging, wie eS ihm gerade am
ES besten behagte. Heute war Werner
Stauffacher ganz besonders glücklich; er
hatte eine Prachtdirne an seiner Seite;
Helene Bruner galt als das schönste
Mädchen in der ganzen Republik, und
Ich habe mich j eS war ihm gelungen, sie zu überreden,
daß sie wenigstens auf ein halbe?
Stündchen mit ihm kam, um sich daZ
lustige Treiben einmal anzusehen. He
lene gehörte nicht zu dieser leichten
Sorte; sie war ein kreuzbraves, ordent
liches Frauenzimmer," wie man noch
heute in der Schweiz sagt, aber fie liebte
den hübschen, stattlichen Burschen über
alle Maßen, und so war Helene heute
seiner Einladung endlich gefolgt, aber
sie hing doch etwas ängstlich an feinern
Arme und schaute nicht ohne Furcht und
Zagen in das wüste, tolle Treiben.
Wie noch Werner, die Geliebte am
Arm, übermüthig froh umherstolzirte,
kam ein betrunkener Vagant auf ihn zu,
Ach. einziger, lieber Herr Pathe,
retten Sie den Werner! Ich werd'S
Ihnen mein Lebtag nicht vergessen.
Sie sind ja so klug und gelehrt und
Sie werden ihn schon losdringen. O,
ich bitt' sehr schön!"
Der alte Herr betrachtete mit Wohl
gefallen sein Pathenktnd. In ihrem
Schmerz und in ihrer Verzweiflung
war das Mädchen von einer wahrhaft
rührenden Schönheit, und fein vom
"jus" längst ausgetrocknetes Herz em
pfand ein ehrliches, tiefes Mitleid.
Ja, zum Tode werden sie ihn schon
verurtheilen," sagte der alte Advokat,
und IS Helene bei diesen Worten, wie
von einem furchtbaren Schlage ge
troffen, zusammenzuckte und die Hände
laut schluchzend rang, setzte er begüti
gend hinzug: Na. weine nicht, vom
Urtheil bis zum Galgen ist immer noch
ein weiter Schritt, und ich will sehen,
was sich thun läßt!"
Schweren Herzens verließ Helene den
Advokaten, sein Ausspruch hatte zu
und als er der hübschen Dirne ansichtig wenig tröstlich gelautet
wurde, rief er lachend aus: Von der
muß ich einen Kuß haben!" und er der-
suchte auch sogleich, sein Verlangen zur
Ausführung zu bringen.
Werner, empört darüber, versetzte
dem Trunkenen einen so kräftigen Stoß,
achten.
Es war am Tage der Rekruten-Be Nun, meine Herren, ich bin zu ; daß der riesengroße Kerl zurücktau
sichtigung. Alles war bis jetzt wie am Ende! Als ich am Nachmittage in das j melte. Eine solche entschiedene Abwehr
Schnürchen gegangen. Jetzt kam daS Lazareth kam, sah ich meinen Bruder ! hatte der Vagant nicht erwartet, er
Turnen. Die einzelnen Rotten wurden im langen Lazareth - Anzug an zwei! schrie zornig: Na, warte. Kleiner, das
Krücken mir entgegen kommen. ; sollst Du büßen! Mit dem langen
AIS er mich sieht, strahlen feine Züge. Niklas ist nicht gut Kirschen essen!"
Er will die kurze Treppe herunterkom
men mir entgegen : da stürzte er
über die Krücken, und so unglück-
zu den verschiedensten Gerätben geführt
Um kurz zu sein: die Riege, die mein
Bruder vornehmlich einexerzirt hatte,
versagte vollständig. Der Oberst sprach
seinen Unwillen über die grenzenlose
Schon wenige Tage später wurde
Werner Stauffacher der Prozeß gemacht.
Man war sehr verwundert, daß der
tüchtigste Advokat in der Republik seine
Vertheidigung übernommen hatte; aber
noch mehr erstaunte man, als Grimm
bacher gar nicht bemüht war, die That
des Angeklagten in ein günstigeres Licht
zu rücken, im Gegentheil ganz kurz er
klärte: Ja, meine Herren Richter, der
junge Mensch hat den langen Niklas
auf der Bettlcrkirchweih todt gestochen,
lich, daß er das Genick brach.
Ich stand an der Bohre, auf der fie
ihn in fein Zimmer getragen hatten.
Er drückte mir die Hand und
starb.
Am nächsten Tage wurde mir sein
Paß zugestellt. Darauf stand :
Schlappheit aus. Wir bekamen Alle
unseren Rüffel, vom Hauptmann bis
zum Unterosfizier.
Nach der Borstellung treffe ich Walter. i
Er geht stramm an mir vorüber, grüßt
und lächelt, als ich ihn wüthend an j
sehe.
Ich rufe ihn an: Tiez! kommen sie ;
in einer Stunde zu mir, auf
mein Zimmer!"
Jawohl Herr Lieutenant!"
Er kam nicht. Bei der Instruktion?
stunde, die ich am nächsten Morgen ab
hielt, wurde er al? fehlend gemeldet.
Auch am nächsten Tage kam er nicht
zum Dienst; er war verschwunden, ohne
Urlaub, ein ü.'centch hatte ihn ge-j
sehen. Ein Zufall fügte es, daß der Das liebliche Gersau gilt al? Ueber
Hauptmann direkt nach der Besichtigung gangsstation für die Kranken, die im
auf zwei Tage fort war; so konnte ich ! Frühling aus dem sonnigen Süden
Walter's Verschwinden noch geheim ; wieder in die deutsche Heimath zurück
halten; umsomehr als ich sicher ver- kehren, und eS liegt auch ganz anrnuthiq
I.i. It.. . CYl - X IX V-JL. X. I ., 1 n Vi . . . V
muiyeie, iqn am aaMiiillge oocy nocv. , in seiner riesigen ergwicae, dort am
Der Trunkene schien plötzlich nüchtern ! und nach unseren Gesetzen muß er dafür
geworden zu kein; er zog ein Messer gehängt werden."
hervor, das er in feinem Stieselscbdt Die Richter steckten die Köpfe zu-
verborgen gehalten, und stürzte damit samrnen. eine solche Vertheidigungsrede
wuthentdrannt auf Werner los. Der
Bagant würde auch sicher feinem Geg
ner das Messer in die Brust gestoßen
haben, wenn nicht Helene mit einem
verzweifelten Schrei dem Riesen in den
Arm gefallen und so dem Messer eine
aut Enticheidung der HuliS-Ober-wandere Richtung gegeben hätte. Sie
Ersatzcommission vom al? fcld-! selbst aber trüg freilich dabei eine
und garnisondienftunfühig anerkannt
Die Bettlerkirchwcih.
(srähliing nach einer wahren egcbenhci!
von L n d w i g H a b i ch l.
bei den Eltern zu finden.
Auch dort war er nicht gewesen.
Dagegen fand ihn mein Bursche am
dritten Tage ohnmächtig in meiner
Schlafstube auf der Diele liegend.
Wo er gewesen, warum er
sich fast drei Tage vorn Dienst fernhielt,
blieb mir während langer Wochen un
erklärlich. Er verweigerte im Lazareth,
wohin er noch an demselben Tage ge
schafft wurde, jede Auskunft. AUeS,
was man aus ihm heraus-
brachte , war: er fühle sich so
schwach! Er habe Stiche im ganzen
Körper und vieles andere.
romantischen Bierwaldstättersee. Im
vorigen Jahrhundert versammelten sich
in diesem reizenden Erdenwinkel an ge
wissen Tagen im Jahre ganz andere
menschliche Zugvögel; dort wurde die
sogenannte Bettlerkirchweih" abgehnl
ten, und von weit und breit strömten
die Gauner und Vaganten herbei, um
hier in der kleinen Republik ein freies,
tolles Leben zu führen, denn Gersau
war zu jener Zeit noch ein selbststündi
ges Republikchen, bis es im Jahre
1820 dem Kanton Schwyz einverleibt
wurde.
Und auf solcher Bettlerkirmeß ainci
Als ich ihn zwei Tage später besuchen ! eS sehr übermüthig zu; an diesem Tage
wollte, sagte mir der Lazareth-Gchülfe, vergaßen die Bettler ihr Elend und ihre
daß der Arzt jeden Besuch streng ver-! Noth; sie sangen und jubelten mit den
boten habe, auch von mir. Zwei Mo i vom Schicksal Begünstigten um die
nate ging das so fort. Ich erkundigte ! Wette, ja, fie trieben es wohl in ihrem
Wunde davon.
Nun gewahrte Werner, daß es hier
auf Tod und Leben ging; es gelang
ihm, dem Wüthenden die gefährliche
Waffe aus der Hand zu winden, und
wie eS gekommen, er wußte es selbst
nicht; aber im nächsten Augenblick brach
der Riese zusammen und ein mächtiger
Blutstrom drang aus feiner Brust.
Noch ein kurzes Röcheln und der Vagant
hatte sein Leben ausgehaucht.
Da waren schon die Häscher an Wer
ner's Seite, fie legten ihm Handschellen
an, und wie auch Helene flehte und
bat, daß ihr Geliebter ganz unschuldig
sei, er wurde ohne Weiteres in's Ge-
fängniß geschleppt
hatten sie doch noch nicht gehört, aber
Grimmbacher fuhr mit großer Ruhe
fort: Ja. der junge Werner Staus
facher hat den Tod durch Henkershand
verdient, aber, meine lieben Freunde,
wir müssen uns doch die Sache ein
wenig überlegen. Wir haben in unserer
Republik keinen Henker, und Gott sei
Dank, bislang keinen nöthig gehabt;
wir müssen ihn erft aus Basel oder
Zürich kommen lassen, und das kostet
ein heidenmäßiges Stück Geld; er
dringk noch seine Leute mit und wir
haben an Reisespesen und Erecutions
kosten so viel zu zahlen, wie die beiden
Kerle, der Werner und der Todte, nirn
mer werth sind, und daß der lange
NiklaS unter die Erde gebracht ist, dar
über können wir Alle, meine ich, herzlich
froh fein !"
i herrscht um die Weihnachtszeit eine alte
! Sitte, deren Folgen oftmals für zwei
j Menschenleben verhüngnißvoll geworden
I sind, sei es zur Freude oder zum
! Leid. Gewöhnlich kündet einer der
angesehensten Bauern im Orte an, daß
die Festlichkeit bei ihm abgehalten wer
den wird, und eiligst begeben sich dann
alle jungen Männer aus der Umgegend
in das gastliche Hau?. Ihnen folgen in
geziemender Langsamkeit, aber nicht
weniger eifrig die Dorfschönen. E?
wird getanzt und gesungen, Spiele wer
den veranstaltet und Räthsel gerathen
alle? die? ist aber nur das Borspiel
zu dem großen Ereigniß, wo der Zufall
zum Handlanger der Liebe gemacht
wird. Wenn die richtige Stunde ge
kommen ist, giebt die Wirthin ein
Zeichen und zieht sich dann, begleitet
von sämmtlichen jungen Mädchen, in
ein andere? Zimmer zurück. Dort setzen
fie sich auf lange Bänke, und die HauS
frau umhüllt jede mit breiten Stoff
streifen. So feft werden die Mädchen
eingewickelt, daß ihre Haare und Ge
sichtszüge vollständig unsichtbar sind,
dann folgen Hals, Schultern und Arme
und die ganze Figar, bis die Gestalt
mehr einem großen Wickelkind als einem
erwachsenen Menschen gleicht. Dies
sind die Vorbereitungen. Die Hand
lung spielt sich ad, wenn die jungen
Männer, einer nach dem andern, wie
eS vorher durch das LooS bestimmt
wird, in das Zimmer treten. Jeder
Einzelne nähert sich der Reihe von ver
schleierten Schönen und sieht sie prüfend
an. Augen und Ohren nutzen nichts,
nur die Berührung kann helfen. Das
Auge des verwirrten Verehrer? sucht
durch die verhüllenden Falten hindurch
zudringen, um die Persönlichkeit seines
Ideals ausfindig zu machen, und wenn
er endlich seine Wahl getroffen hat. er
hält er das Vorrecht, die umwickelnden
Tücher loszulösen und sich von der
Identität seiner Erwählten zu überzeu
gen. Und jetzt kommt der große Mo
ment der Moment des Entzückens
oder der Verzweiflung, wenn sich Seele
zu Seele in einem LiebeSdlick findet,
oder wenn die Enttäuschung auS dem
unterdrückten Seufzer und dem gesenk
ten Auge spricht. Die Sitte erheischt,
daß sich die so zusammengefundenen
Paare mit einander vermählen und
wenn dies einem der beiden Betheiligten
nicht recht ist. hat er eine schwere Geld
büße zu zahlen. Aus dieser Lotterie
sollen ebensoviel glückliche Ehen hervor
gehen wie aus anderen Heirathen,
denen eine lange Werbung vorangegan
gen ist.
?ff Schusvcr'fch Rappen.
Off Schusder'sch Rabben reiden
Jfd'S Scheensde off där Wäld.
Mer fälld nich dies bein'n Schdärzen ;
Da? Reiden gosd't gee Güld.
Mer gann an jeden Orde
Sich alle? hidbsch ansähen.
Mer fiehd dä Blumen bliehen
Und hcerd dü Hähne grähn.
Mer magk nich Färd und Wagen,
Wenn eid und Geisd gesund
vier forgd
Helene wollte rasch cntschlosfen Wer-! nur für seine Lebenszeit aus unserer
ner dahin begleiten, aber man stieß fie
rauh zurück, und ein Bader, der be
merkte, daß die Dirne am Arme ver
wundet sei und daS Blut noch immer
an ihrem weißen Hemdärmel herunter
lief, zog sie mitleidig in fein Zimmer
und legte ihr einen Verband an. Er
kannte Helene als ein braocs
liches Mädchen, und als er
Da; klang den Richtern sehr ver-! X5 'Jt! 1 " 9'
tti trnh rnnn .,,...!. N.i. ! Da !? dä Fieße wund.
Mer freid sich leweri Weetzen
Und iewern fädden Glee.
Mer fragd dä fremden Leute
Und sagd zun'n Schluß : Haddjeh !
Wie mich'S an Sommerdagen
Nach Bärgl und Thal verlangtd !
Gehn draußen droff dä Sohlen,
Dä licwe Frau nicht zangkd.
nünftig und man nickte zustimmend mit
den Köpfen. Nun, ich dächte, fuhr
Advokat Grimmbacher fort, wir lassen
den Werner laufen und bannen ihn
i atfhUMi! hu tft h?r VAfreihti.iUH
nüge geschehen und unserem Säckel ist
eine hübsche Summe erspart geblieben !"
Jetzt ging ein allgemeines beifälliges
Gemurmel durch die Reihen der Waise
ren Richter. Wo es sich um Geldsachen
handelt, hat der Schweizer stets ein
ordent-; rasches Verständniß gehabt. Ja, der
ihr jetzt Advokat hatte Recht, warum sollte man
vorwürfe machte, daß fie sich heute so viel Kosten aufwenden, um ein Ver
unter die Baganten und Bettler gemischt , brechen zu bestrafen, daS an der Bett
Habe, sagte fie mit trübem Lächeln: ! lcrkirmeß begangen worden ! Wenn der
Ja, wenn Ihr wüßtet, wie er mich ge
bettelt hat, dtr Werner!"
Versteht er daS Betteln so? Und
Du bist so vernarrt in ihn? Dem
: Bursche auS dem Bereiche der Republik
gewiesen wurde, da war er bestraft ge
nug, und der Borschlag des schlauen
Advokaten wurde einstimmig zum Be-
Enttäuscht.
Fräulein: Sie haben mir neulich
eine recht vergnügte Stunde bereitet.
Herr Kritzlcr!"
Schriftsteller (geschmeichelt): Sie
haben sich mein neue? Lustspiel ange
sehen?"
Fräulein: Das nicht, aber ich habe
Ihnen vom Fenster aus zugeschaut, wie
Sie da? Radfahren erlernten!"