Nebraska Staats-Anzeiger. (Lincoln, Nebraska) 1880-1901, October 14, 1897, Image 17

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    Die provmzialen.
ÄopfBttit von Henri bf oriti.
I.
5i war 25 Iah alt. truz nnm
schönen, elegant gestutzten ichaizen
Bart, einen nach der leß!cn MoSe ge
ardeiteten Rock, hatte 10,000 Francs
Rente, genügend viel eist, sehr viel
Würde, ein kleines Reftchen Herz und
einen hübschen Namen.
Trotzdem aber langweilte er sich.
Einer TageS ging er die langen
rkadcn der K de Rivoli hinunter,
als er plötzlich hinter sich j-vei klang
volle, heilere Stimmen vernahm; er sah
sich um und bemerkte zwei flattncye
M mit entzückten Gesichtern und!
glücklichen Mienen. AuS ihrer Unter
Haltung vornahm er sofort, daß er eS
mit zwei Promnzmten zu oun yane.
Glückliche Menschen ! Wie sie sich muss
ten I Und übet allcS Mögliche ! Ueber
die Wagen und die Schausenfter. über
die ittdrn und über die Perküiiferinnen.
cm:. alt;. Afi fn hi.fe
51DIC llll ,uvv ""i I"
j unser junger Freund, ein (.'danke
durch den Kops, und er sagte sich:
1 mife nickt, was ick ansanaen
soll.' wachen wir eS also wie diese beiden ;
Proviiizialen; ich werde ihnen uverau
hin folgen und sie den ganzen Tag über
nicht lassen."
Gesagt, gethan. Leonce folgte den
beiden Mannern Überall hin. und als
der Tag zu Ende war. gestand er sich,
daß er sich wirklich amusnt hatte. Die
Stunden waren ihm mit unbekannter
Schnelligkeit vergangen, und er hatte in
Paris, wo er geboren war, eine Menge
.Dinge gesehen, von denen er vorher
keine Ahnung gehabt hatte.
Dieser Tag blieb Leon in angeneh
mer Erinnerung, und er beschloß, sich
dasselbe Vergnügen recht bald wieder zu
bereiten. DaS Mittel dazu war leicht;
Leonce ging alle Tage auf den Boule.
vardZ in der Ziue de Siivoli oder im
Palais Rrh.il spazieren. Doch zog er
bald au leicht begreiflichen Gründen
die Provinzialinnen den Provinzialen
vor.
H)tx Sonniaqsaast.
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Bcilagr ;nrn cbraska 3taalelnjfiflcr
o. 21,
den Weg, und eine Stunde später saßen
unsere fünf Freunde in einer Laube des
von Leonce verheißenen Restaurants,
und als man von einander schied, war
man fiift befreundet. .Wie schade, mein
Herr sagte Herr Dulaurier. wie
schade, daß wir uns so spät kennen ge
lernt haben; doch waS läßt sich dagegen
thun, wir reisen morgen ab."
,Ah bah!" entgegnete Madame
Dulaurier, .wenn Herr v. Berdun ein
armselige? kleines Dörfchen wie das
unsere nicht verschmäht, so könnte er
unZ ja nächstens besuchen."
.Von ganzem Herzen, Madame." be
eilte sich Leonce zu erwiedern.
EineS Morgens hielt Leonce gerade
seine gewöhnliche Jagd, die Jagd auf
die Provinziellen, ab, da bemerkte er
einen dicken Mann von etwa sechzig
Jahren, der eine Frau von etwa fünf
zig am Arme führte, die nvch einige
Refte von früherer Schönheit bewahrte.
Der Herr sagte: Ich sinde, Madame
Dulaurier. daß unsere Mädchen etwa
sehr schnell gehen."
He. Louise, he, Louisette!" rief
Madame.
Bei diesem Doppclruf bleiben zwei
junge Damen, die einige Schritte vor
ausgegangen waren, stehen.
Louise war augenscheinlich älter als
Louisette wahrscheinlich ihre Schive
stcr. wie Leonce dachte. Louise war
wenigstens 25 Jahre; sie war groß wie
ihre Mutter, stattlich, feierlich und im
posant. Ihre Schwester Louisette glich
ihr körperlich fast gar nicht, sie war
jltn UMAR tein UND fli'ÜUiU.
Leonce fand Fräulein Loulsetle rn-
y. ..v v, 11 ? v-t nie ii, r nnot)
llll UHU UtUUil 11 Will WH Vv vnui
mit ganz besonderer Aiismeu,amieii zu
folgen.
Nach dem Frühstück wandten sich die
! vier Fremden dem Bahnhof Samt
Lazare zu, stets von Leonce gefolgt;
doch stieg dieser nicht in denselben Wag.
gon. und als man in SaintEloud an
kam. lieh er sich zuerst nicht einmal
sehen.
Die DulaurierS gingen in eine der
reizenden Alleen des Parkes, Louisette
warf den Schwänen Brotkrumen zu,
und als sie sich umwandte, sah sie neben
sich Leonce stehen, der ebenfalls mit den
Schwänen spielte.
Louisette stieß einen Schrei aus und
eilte sofort zu ihrer Familie.
Nach etwa einstündigem Spazier
gange fingen Herr und Frau Dulaurier
an, 'sich recht ermüdet zu süblcn.
Ader mein Gott," rief der Vater,
findet man denn hier nicht die kleinste
Quelle? Ich falle vor Müdigkeit um
und möchte mich gern erfrischen."
9emc( fand die Gelegenheit out. er
näherte sich Madame Dulaurier nnd
sagte, den Hut abnehmend:
.Gnädige Frau, ich kann Ihnen eine
ausgezeichnete Quelle zeigen, die in der
ganzen Gegend hier berühmt ist."
Ich danke Ihnen tausendmal, mein
Herr," versetzte Madame Dulaurier.
Wenn Sie gestatten, Madame,
werde ich Sie selbst hinführen."
Der Vpaziergang wurde songeiegi,
und es entspann sich eine lebhafte Unter-
v,m,- iiiftrt fWm 'TiitTniiricr
.i.l.iiL v'.'W- " V"" - . - - . ,
Madame Dulaurier und Leonce.
Der junge Mann besaß Gewandt
heit, Geist, und man fand ihn bald
reizend.
.Man mutz gestehen." sagte Madame
Dulaurier, da? Leben in Paris ist
recht anstrengend, die Wege sind so
lang . . . . "
Lieber Vater," rief Louisette. wie
wär'S wenn wir bis heute Abend hier
blieben?"
Bis heute Abend? DaS ist unmög
lich wir kennen die Wege nicht und
wüßten auch nicht, wo wir diniren
sollten." Ä
Wenn es weiter nichts ist," beeilte
sich Leonce zu sagen, .ich kenne ein hüb.
scheS Restaurant mit Lauben. Spring
brunnen und Blumen, wo man bester
als in Paris dinirt."
Die DulaurierS nahmen mit Ver
gnügen an. man machte sich wieder auf
Zwei Monate später stieg Leonce an
einem schönen Herbstadende am Bahn
hos von Donai ab. und Herr Dulaurier
reichte ihm über daS Gitter die Hand;
ein mit zwei schönen Pferden bespannter
Wagen trug den jungen Mann und
seinen Wirth über die staubigen Land
straßen Flanderns dahin.
Leonce wurde mit der herzlichsten
Freude von Madame Dulaurier, mit
einem freundschaftlichen Gruß von
Louise, mit einem eigenthümlichen
Lächeln vZN Louisette empfangen.
Nack dem Diner, das stch diZ in den
Abend hinzog, sagte Herr Dulaurier zu
Leonce :
..efet schicke ich Sie ohn? Umstünde
zu Bett ; nach einer Fahrt von mehre
ren Stunden auf der Eisenbahn ist
einem der Kops schwer; ich werde sie
also auf Ihr Zimmer führen und damit
gute Nacht!"
A;s Leonce sich allein sah, fing er an,
seine Koffer auvipacken ; dann zog er
aus feiner Brieftasche ein kokett zusam
mengefalteteö Briefchen und fing an.
sich dasselbe mit lauter Stimme vorzu
lesen. DaS Briefchen lautete folgen-
dermaßen :
Ich liebe Sie ; wer sollte Sie nicht
lieben? Wenn ick VariS verlassen habe.
so geschah daS nur, um Ihnen meine
Liede zu beweisen, jsett zwei Atonalen
habe ich nur an Sie gcdacht. feit dem
Spaziergange, der über mein Leben
entschied. Oh, wenn Sie mich doch
wieder liebten !"
Nicht Übel, nicht Übel," sagte Leonce
zu sich selbst, ich habe einen Liebesbrief
nie öcser vgesaßi. egr yanoen es
sich nur noch darum, ihn ihr zuzustellen ;
aber wie? Das einfachste Mittel ist
immer das beste ; ich werde ihn ihr in
ihr Zimmer unter die Thür schieben. . .
doch wo ist ihr Zimmer, das ist die
Frage... auf jeden Fall werde ich es
sehr bald ei fahren ; ich brauche nur auf
daS Geräusch der Thüren im Haufe zu
achten."
Sein Warten dauerte nicht allzu
lange, er hörte bald auf dem nämlichen
Corridor leichte Schritte, das Rauschen
eines Kleides und sah, wie eine Lampe
an seiner Thür vorüber getragen wurde.
Schnell erhob er sich, öffnete die Thür
mit größter Vorsicht, steckte schnell den
Kopf vor und bemerkte das Kleid und
die feine Gestalt Louisette's, die in ein
Zimmer im Hintergrund dc? CorridorS
auf der linken Seite eintrat.
Unser Held ließ einige Minuten ver
streichen, dann ging er mit Wolfsschrit
ten nach der Thür, hinter der Louisette
verschwunden war, und schob schnell
unter die Thür den Brief, den er in der
Hand hielt.
4. .
Am Morgen, gerade als eS 7 Uhr
schlug, wurde Leonce durch einen hestl
gen Ruck am Arm geweckt ; an seinem
Bett stand ein riesengroßer Mann, der
ihn zornig anblickte und ihm zurief :
Stehen Sie auf, Herr Pariser, ich
bin Ban der Veldc !"
Leonce sah den Fremden verdutzt an,
antwortete aber nicht.
Ich bin Van der Velöe," fuhr der
Riese immer wilder fort und drückte den
Arm deS jungen Mannes immer hef
tiger. ' Na, wenn Sie Van der Velde find, "
antwortete Leonce, was wollen Sie
denn von mir?"
Was ich von Ihnen will? Die
Kehle will ich Ihnen abschneiden."
Ja. aber..."
Keine Erklärung ! Stehen Sie
auf und folgen Sie mir!"
Leonce hielt es für daS Beste, zu ge-
horchen, um fich dieses Originals zu
entledigen, und war in wenigen Minu
ten angekleidet.
Der Riese Van der Velde erfaßte
Leonce beim Arm, zog ihn über eine
Wendeltreppe und erreichte einen Gar
ten, besten Thür er öffnete, die auf eine
einsame Straße hinausführte ; dort sah
fich Leonce vier Männern gegenüber, die
ihm vollständig unbekannt waren.
Herr v. Verdun." sagte Van der
Velde. die Herren kennen alle die
Ursache deS Duells also keine Erlitt
rungen weiter!"
Aber, verehrter Herr, man schlügt
sich doch nicht ohne jeden Grund. .
Ah, mein Herr, sind Sie etwa
in ... "
Leonce war leichtsinnig, abrr er war
tapfer ; daher gestattete er Herrn Van
der Velde nicht, feinen Satz zu vollen
den, sondern sagte eisrig :
Ich stehe Ihnen zu Diensten, mein
Herr !"
Man verließ das HauS und erreichte
nach einigen Minuten ein kleines
Wäldchen.
Leonce war nicht ungewandt im Fech
ten, er parirte die ersten Stöße sehr
gut, und die Spitze seines DegenS ritzte
sogar die Hand seine? Gegner? ; doch
dieser, über die Wunde wüthend, machte
einen heftigen Ausfall und traf mit der
Degenspitze die Brust des jungen Man
neS. Der Unglückliche wich zurück und
stürzte entsetzlich bleich zur Erde.
Sofort eilte Van der Velde auf
Leonce zu. neigte fich über ihn und
prüfte ängstlich die Wunde ; dann sagte
er mit verzweifelter Bewegung und zit
ternder Stimme zu den Zeugen :
Ich Ungeschickter ! Ich habe die
Fache zu weit getrieben !"
Leonce reichte ihm die Hand.
Ader warum, zum Kuckuck, schicken
Sie auch meiner Frau Liedesbriefe?
Man schreibt doch einer verheiratheten
Frau nicht in einem solchen Stil ! Und
was für eine Dummheit, den Brief in
ihr Zimmer zu werfen! Ich habe ihn
nämlich dort gesunden."
Wie!" murmelte Leonce, sie ist
Ihre Frau? Ich hielt sie noch für ein
junges Mädchen . nun, mein Herr,
ich wünsche Ihnen Glück, sie baden eine
reizende Frau, und ich habe nie eine
hübschere Blondine gesehen."
Blondine haben Sie gesagt? Blon
dine? Ach der arme Junge, er weiß
nicht mehr, waS er spricht ! meine Frau
ist brünett, mein Herr, meine Frau ist
braun und zwar sehr braun, mein
Herr ! Er verwechselt sie mit Louisette !
ja, die ist in der That blond, ja sogar
sehr blond."
Ader mein Brief war für sie be
stimmt !"
Was? Für Louisette?" rief Van
der Velde entfetzt, oh ich Dummkopf,
wa? habe ich da angerichtet!"
5.
Ais man nach Hause kam, wurde
Leonce ohnmächtig.
Als er wieder zum Bewußtsein kam,
bot fich ein unerwartetes Schauspiel fei
nen Blicken :
Herr und Frau Dularier umstanden
ihn mit ängstlicher Miene, Van der
Velde weinte am Fuße des Bettes. Louise
bereitete eine Stärkung, und Fräulein
Louisette betrachtete blaß und aufmerk
sam den Verwundeten, der, als er sie
erkannte, ihr zulächelte.
Keine Erklärungen," sagte Leonce,
dem Riesen die Hand reichend, Sie
selbst sagten ja vorhin: keine Erklärun
gen!" Die Heilung dauerte nicht allzulange.
Leonce entdeckte in Fräulein Louisette
Tugenden, wie er sie bisher noch bei kei
ner Pariserin gefunden, und sagte eines
TageS zu Van der Velde: Mein wer
ther Freund, wenn Fräulein Louisette
will, und wenn Sie einwilligen...."
Keine Erklärungen!" sagte der brave
Riese lächelnd, wir wiffen Bescheid."
Und drei Monate später feierte Leonce
seine Hochzeit mit Fräulein Louisette
Dulaurier.
Berlin-annover-cöln.
Humoreske von Frih Alexander MoebiuS.
Der um 9 Uhr 42 Minuten Abends
von Station Friedrichftraße in Berlin
abgehende Schnellzug Berlin-Hannover
Cöln fuhr dampfend und schnaubend in
den Stadtdahnhof ein.
Durch die auf- und abwogende, nach
einem Eoupee suchende Menschenmenge
drängte fich pustend und nach Luft
schnappend ein korpulenter, mit Hand
gepäck in mehr als umfangreicher Menge
beladener Reisender.
Schaffner, einen Eckplatz zweiter.
Hannover," brüllte er den ersten ihm in
den Weg kommenden Schaffner an
.schaffen sie mir einen Eckplatz, wo
man ein bischen schlafen kann. "
Bedauere, alle Eckplätze besetzt." er
widerte der vielbeschäftigte Angerufene,
machen Sie nur schnell, daß Sie über
Haupt noch mitkommen, der Zug geht
gleich ab. hier zweiter, ruhiges Eoupee,
lauter Damen. Nichtraucher, bitte ftei
gen Sie schnell ein. Dabei hatte der
Schaflner .schon die Coupeethür geöffnet
und wollte den Dicken hineinschieden.
Da kam er aber bei demselben schön an.
Sie sind wohl schwerhörig, einen
Eckplatz will ich haben." erwiderte der
Dicke in brüllendem Tone, einen Eck
platz, können Sie denn nicht begreifen,
einen Eckplatz."
Hierbei drückte er dem Schaffner ein
Markstück in die Hand.
Dem Schaffner erschien der Ticke
plötzlich als der höflichste aller Reisen
den, und im Nu war ein Eckplatz für
denselben gefunden. Mit möglichster
Eile wurde er durch die Mge Eoupee
thür geschoben, was bei seinem LeibeS
umfang keine Kleinigkeit war. die ihm
hierbei entfallenen Gepäckstücke wurden
ihm nachgeworfen, und der Zug setzte
sich in Bewegung.
Bitte um die Fahrkarten, meine
Herrschaften."
Der Schaffner erschien aus dem Tritt
breit vor dem geöffneten Eoupeefenftcr
und streckte verlangend die Hand nach
den Zeugen für das erlegte Fahrgeld
aus, um sie der durchlochcnden Kontrolc
zu unterziehen.
Auch der Dicke reickte ihm fein Billet
mit den Worten Hören Sie 'mal,
Schaffner, hier haben Sie 'n Thaler,
ich will 'n bischen schlafen, wecken Sie
mich in Hannover; lassen Sie sich aber
nicht abweisen, wenn ich etwa grob wer
den sollte, schmeißen Sie mich auf jeden
Fall in Hannover 'rau?."
Danke sehr, mein Herr, soll ge
schehen, werden fich über mich nicht zu
beklagen haben, erwiderte der Schaffner,
vergnügt lächelnd über das reichliche
Tintgeld und verschwand, um seines
Amte? an den übrigen Coupee? weiter zu
walten.
Dem am nächsten Wegen thätigen
Kollegen rief er zu: Du Aujust, habe
hier 'n feinen Paffagier, furchtbar gro
der Kerl, fchad' aber nischt. hat een fei
net Drinkjeld jejeben, will in Hannover
ausstkigen, schläft 'n bisken feste, helf
mir 'man d'ran denken, wir drinken
nachher een'n."
Machen wir, wenn Du ihm alleene
nich' 'rauS kriegst, denn helf ick Dir.
ruf mir man, wenn et so weit is."
Inzwischen hatte der .feine Paffagier"
fich im Eoupee häuslichnieder gelassen
und war damit beschäftigt, sein Gepäck
unterzubringen. waS bei der Reichhal
tigkeit desselben nicht so leicht war. Er
schob und drängte daS Gepäck der übri
gen Reifenden auf einen Haufen zu
fammen und placirte sein eigenes mög
lichst bequem. Bei dem Hin- und Her
laufen trat er einer im Eoupee ebenfalls
anwesenden Dame auf den Fuß, daß
diese laut aufschrie, ohne jedoch dadurch
den Dicken zu einer Entschuldigung zu
veranlassen. Untei. den Mitreisenden
wurde bereits ein unwilliges Gcmur
mel laut, woran fich der Dicke jedoch
nicht kehrte.
Endlich hatte er alle? untergebracht
und begann nun Toilette zu machen,
als ob er fich in feinem Schlafzimmer
zu Haufe befände. Er zog die Stiefel
aus und dafür bequeme Filzschuhe an,
fetzte eine Schlafmütze auf und machte
eS fich so bequem wie möglich auf dem
ihm zukommenden Platz, wobei er mit
der auf demselben Sitz befindlichen
Dame in unangenehme Berührung
kam, so daß diese in die äußerste Ecke
rücken mußte.
Mein Herr," ließ fich jetzt der, der
Dame gegenüber fitzende Herr verneh
men. die Dame ist meine Frau."
Werd' sie Ihnen nicht wegnehmen,"
erwiderte der Dicke grob.
Ich muß aber bitten, daß Sie fich
hier etwas anständiger benehmen, wir
andern haben auch unser Billet bezahlt,
Sie können doch nicht das ganze Eoupee
für sich alleine in Anspruch nehmen."
Mir egal," kam es gähnend von
des Dicken Lippen zurück, ich will schla
fen." Ja dann hätten Sie fich im Schlaf
wagen einen Platz nehmen müssen." er
widerte der beleidigte Ehegatte.
Zum Donnerwetter, stören Sie mich
nicht und lassen Sie mich schlafen, sonst
werde ich grob."
Der intervenirte Ehegatte sah ein,
daß mit dem Grobian nicht? aufzustellen
war und stand auf, um seiner Frau
seinen Platz einzuräumen. Nun streckte
fich der Dicke der Länge nach aus und
begann zu schnarchen, als ob eine
Sägemühle in Betrieb gesetzt worden
wäre.
Auf der nächsten Station stieg das
beleidigte Ehepaar aus und warf dem
Schnarchenden noch einen wüthenden
Blick zu.
Während dessen hatten fich die beiden
Schaffner an der geliebten Kümmel
stasche gütlich gethan und wie Aujust"
lachend meinte, verschiedene auf den
Diensteid" genommen. Einige unter
wegS noch genehmigte Biere hatten das
Nöthige dazu beigetragen, um die beiden
in angeheitertemZuftand zu versetzen, daß
j ihr Gang, nachdem der Zug in Station
! Hannover eingefahren war, bedeuten-
den Schwankungen unterworfen war.
DaS hinderte dem mit vier Mark
Trinkgeld bedachten Schaffner jedoch
nicht, fein, dem schlafiieaicrigenden Rei
senden gegebenes Versprechen, ihn in
Hannover auf jeden Fall zu wecken, ein
zulösen.
Nu aber ran," meinte er daher zu
seinem Kollegen. Nu wollen wir 'mal
den Dicken ausladen."
Hannover, zwei Minuten Aufcnt
halt," rief der Schaffner in die geöffnete
Eoupeethür. Mein Herr, Sie müssen
ausftcigen."
Fällt mir gar nicht ein. lassen Sie
mich in Ruhe, weshalb brüllen Wk mich
überhaupt so an, ich kann doch hören,
erscholl eS aus dem matterleuchteten In
nern deS CoupeeS zurück.
Du. Aujust," rief der Schaffner
nach seinem Kollegen, komm 'mal ran,
der steigt jutmillig nich' aus!"
Der Gerufene war sofort zur Stelle,
und nun begann ein wahrer Kampf
zwischen dem sich heftig sträubenden
Reisenden und den beiden angetrunken
nen Schaffnern, bis letztere doch durch
die Uebermacht den Reisenden an die
frische Luft setzten und ihm aus dem
bereits wieder abfahrenden Zug fein
Gepäck Izum Eoupeefenfter herausfchleu
dcrten. Det war aber 'n Stück Arbcct. Au
just." meinte der Schaffner zu seinem
Kollegen, beinahe hätten wir den Kerl
nich 'rausjekriegt. So 'ne Ardeet iS
mit vier Mark noch jarnich bezahlt. Un
dabei quatschte der Kerl noch davon, det
er unS anzeigen will. Erst jiedt er '
Trinkgeld, det er rau?geschmissen wer
den möchte, un nachher will er unS
noch anzeigen, na so wat dummet."
Ohne weitere Zwischenfälle für die
beiden Schaffner erreichte der Zug die
Endstation Söln.
Die Schaffner revidirtcn die von den
Reisenden verlassenen EoupecS, wobei
der vorhin genannte in einem derselben
noch einen behaglich schnarchenden der
Länge nach auf den Sitz ausgestreckten
Reisenden vorfand.
Mein Herr, wir sind am Ende. Sie
müssen aufstehen," w'ckte er den Schla
senden. Sie sind wohl verrückt, lassen Sie
mich in Ruhe, kann man denn nich'
'mal 'n halbe Stunde ruhig schlafen!"
Ja. det können Sie ja. Münneken,
aber nich' hier, der Zug fährt ja nich'
weiter, Sie müssen aussteigen."
Zum Donnerwetter, lassen Sie mich
in Ruhe," erwiderte der unsanft aus
feinem Schlummer Geweckte, oder ich
werde ernstlich grob."
Der Schaffner rief nach seinem Bun
deSgenossen und meinte: Du Aujust,
komm' 'mal her, da drinn' liegt noch
ecner, der is noch jröber. als wie der,
den wir in Hannover 'rauSgeschmissen
haben."
Im nächsten Augenblicke war der
Schlafende von den beiden Schaffnern
gepackt und befand sich auf dem Perron,
wo er von dem schallenden Gelächter deS
durch den Lärm herbeigelockten übrigen
Zugpersonals empfangen wurde. Er
gebärdete sich wie ein Toller und
schimpfte auf eine entsetzliche Weise, bis
ihm endlich klar wurde, daß er in Cöln
ei und der Zug nicht weiter fahre.
Jetzt ging aber den beiden Schaffnern
ein Licht auf. denn in dem Reisenden
entdeckten sie denselben, der in Hannover
hatte ausfteigen wollen. Sie halten in
Hannover einen fulschen herausgeschmis-
fen. Es war nämlich im Nedencoupee
noch ein Dicker" itgefahren, und in
ihrer hochgemuthen Trinkgeldftimmung
hatten sie die CoupceS verwechselt.
Tableau
Die Schaffner drückten fich schleunigst
seitwärts in die Büsche, während der
Dicke fich fluchend an den Stationsvor
fteher wandte, um den Vorfall in das
Beschwerdebuch einzutragen.
ftüüde, da dc? Gesicht st,,; weiß gcpu
dcri. die Mitte der i.'ippe duriletroth
und da Haar in blatte erhalt,,, sein
muß; die öfter erforderliche Nachhülfe
wird immer sehr ungenirt vorgeno'
wen. Im Gegensatz zu den in graue
oder duiikclsardigc Kleider gedulllen so
liden Bürgersleuten schmücken sich du
' U - . i t. VfMMl4A , il! .
V"llVU9 nvil .UlljlUlK'ltyCil U!1 ,
gemusterten bunten Gewändern. DaS
pechschwarze, durch Salden und Ol
fettglünzknde und je nach dem Aller der
schieden srisirte Hai vthaar zieren künft
liche Schmetterlinge und Blumen.
Gold und Sildersüdkn sowie goldene
Nadeln, ein glitzernder Schmuck, der
besonders bei den Tanzdewegungen zur
prächtigsten Wirkung kommt.
Das sollten wir gleich erfahren , W
wurden nämlich p'.ötzllch die Zwischeu
Wandthüren zufammcnge'choden, un
sechs überaus zierliche, schlanke Müb
chengeftalteH 7. schmetterlingSbuuie
Seidenanzüge gehüllt und mit Fächern
in den Händen, erschienen in gemessenem
Schritt, verbeugten fich graziös und
führten in rhythmischen, weichen und
sanften Bewegungen nach dem Takte
der Mufi! einen mimischen Tanz ans, n
muthig den Fächer zwischen d Finger
und Arme und Hände mit unnachahm
licher Grazie bewegend. Nach einer
Pause, welche durch Schwatze, vfj'n
und Trinken ausgefüllt wurde, sührte
ein Backfisch, an dessen Wiege zwciselio
alle drei Grazien verweilt hatten, einen
lebhafteren pantomimischen Eolotcny
auf. Sie stellte einen Epaziergang
dar: die Vorbereitungen zur Straßen
toilette, den Ausgang, Gruß zu Be
kannten, Kokettiren unter Zuhülfe
nähme ihrer lang herabhängenden Aer
mel, Flucht vor dem Regen ufw. Jede,
auch die kleinste Bewegung geschah in
unbeschreiblicher Anmuth, und obwohl
die Pantomime auf ; einem Plätzchen
von zwei Schuhen Durchmesser bärge
stellt wurde, entfaltete die kleine Künst
lerin eine überraschende Vielseitigkeit
und Gewandtheit in den Gesten deS
charmanten KörperchenS und der Glie
der. Und als fie, nach beendetem Tanze
herbeigerufen, fich sittsam zu unS hu
schelte und mit zierlichem Sümmchen
zu plaudern begann, da glaubte ich
wirklich, ein verzaubertes Nirchen vor
mir zu sehen. Schwarze melancholische
Sternaugen, die aus den knopflocharti
gen Lippsalten sanft hervorguckten, ein
feines AdlernäSchen, ein Mund wie eine
kleine Kirsche, Händchen und Füßchen
puppig wie die eines KindeS und bieg
sam wie Kautschuk, mit unschuldZvol
lem Benehmen! Auf der ganzen Welt
giebt eS nicht Zierlicheres und Niedliche
res als solche junge GeishaS. und man
begreift die Vorliebe der Japaner für
die Theehäufcr sowie ihre Ausdauer im
Anschauen dieses Spielzeuges. Erfreut
über die lieblichen Eindrücke, beschenk
ten wir die munteren Kinder, brachen
endlich auf und vielstimmig klang uns
ein Sayonara", Ade, nach.
Vom Tanz der Geishas.
Ueber den Tanz der GeishaS in Japan
enthält das Werk Dr. Emil Selenka's
Sonnige Welten" eine interessante
Skizze. Die Scene spielt in einem ja
panischen Theehouse, Dr. Selcnka er
zählt: Ein halbes Dutzend allerliebster
Puppen ich meine, junge Mägdlein
von 12 bis 15 Jahren nebst einigen ge
setzteren 17- bis 20jährigen ausdrucks
vollen Wesen haben sich dicht vor un?
hingehockt. Die meisten führen Blumen
namen. gemäß der in Japan herrschen
den Sitte; alle find vier, fünf, ja sieben
Jahre lang von ihrem Tanzmeifter, Ge
fang und Schreidlehrer unterwiesen
worden und beweisen durch decentes zu
rückhaltendes Benehmen, daß der Unter
richt fich erfolgreich auf nette Manieren
erstreckt hat. Die jüngeren find Tänze
rinnen. Trommel- und Paukcnschlüge
rinnen; die älteren find schon zum Ge
sang und Samifcn- (Guitarren)-Spiel
übergegangen. Jene gleichen den auf
brechenden, thaufrischen Knospen, diese
den entfalteten, ausdrucksvolleren Blü
then. Jede MuSme ist mit einem Ilci
nen Täschchen für Puder, Rothschminke
und MoschuS, mit einigen winzigen Pa
Piertaschentüchern sowie einem Minia
turnecessaire ausgestattet, welches Spie
gelchen, Kammchen, Puderquaste und
Pinsel birgt unentbehrliche Gegen-
Eine Gauticr-Rcliaute.
Der berühmte französische Dichter
Theophile Gautier kam erst wieder in
seine Vaterstadt TarbeS als greiser
Mann, die er schon als ein dreijähriges
Kind verlassen und seitdem nicht wieder
gesehen hatte. Gautier hörte während
dieses Aufenthaltes zu feinem Erftau
nen, daß man in Tarbes mit einer ge
wissen Pietät den Touristen, denen eS
etwa einfiel, die Stadt zu besuchen, im
Gymnasium die Schulbank und den
Schultisch zeigte, wo er gesessen hätte.
Gautier beschloß, doch auch die wunder
fame Reliquie anzusehen. Er gab fich
auch nicht durch die leisesten Andeutun
gen zu erkennen und erklärte dem Rek
tor, der ihn selbst sührte, nur, er sei ein
begeisterter Bewunderer der Werke Gau
tierS. ES interesfirte Gautier nicht we
nig. zum erstenmal in diesem Leben die
Schulbank zu sehen, die doch mindestens
jene hätte sein können, auf der er ge
festen. Wie stieg aber fein Ergötzen,
als der Rektor zu erzählen wußte, welch
ein vorzüglicher, fleißiger Schüler der
kleine Theophile, der jetzt so berühmte
Dichter, gewesen sei. Schließlich zeigte
man dem Bewunderer der Werke Gau
tiers" auch noch die Stelle an der er in
den Schultisch mit einem Federmesser
den Namen Gautier" eingeschnitten
hätte.
Ein Philister meinte Gautier oft
hätte fich wahrscheinlich daS Vergnü
gen gemacht, seinen Namen zu nennen.
Er ging, wie er gekommen war, und
vielleicht zeigt man noch heute in TarbeS
die Schulbank und den Schultisch Theo
phile GautierS.
Dä Micke.
(Aus der Mabdk Gnc8 gMteWich Sa4))r !
Dü Micke is weeß Gnädbchen
Gee Riese Gohliudd.
Es gönnden viele ftdzen
Off ceii.n Lindenbladd,
Doch lusdig is das Völkchen ;
Es hadd nich Rasd und Ruh'.
ES siehd ä richd'ger Dhierfrcino
Gärn ihren Danzen zu.
Sie hawen geene Sorgen,
Ihr Magen drauchd nich viel.
Nur nes gann sä ärgern :
Wenn naß eS is und gichl.
Doch füngkd. wenn'? warm, de Schwalwe
Manch halwes Dudzend wäck.
Die mecgen ihr so schmücken
Wie uns de füdd'sde Schbäck.
So wie's um diese Dhierchen
Jsd'S ooch um unS befchdälld:
Mehr Feinde gibd'S als Freinde
Off dieser beesen Wülld.