Nebraska Staats-Anzeiger. (Lincoln, Nebraska) 1880-1901, September 30, 1897, Image 9

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    3m (Taifun
Po b r a n irnfarb.
.Alle Wann achter iou !'
(SJcmrinbm bat Du Mannschaft nicht
BKd utes zu erwarten, wenn oxntx
fyfebl sie nach beendigtem rerziren
aus' Hinterdeck ruft. pflegt dann
einen .nkauchcr" zu geben. Worte wie
FauU-nzerei-, .Beine machen",
traf . rziren- fallen hageldicht,
darum kommen die Sünder auch schon
dcmttthigtich angeruckt, um nachher mir
begönne Pudel abzuziehen. WaS kann
aber der ..Alte' heute wollen? Das
Bramftengenmanöver ift doch gut ge
gangen, wie auf keinem der Übrigen
hier liegenden Kriegsschiffe, auch ift sich
Keiner eine? ..grobem Unfugs" oder der
gleichen bewußt. Sollte es etwa wirk
lich wahr sein, daß (endlich heimwärts
geht? gtU dazu wär ja und die Brief
ordonnanz. die schon in aller Frittie
etwaZ van der Heimnigsoröre gemun
kelt, kann ausnahmsweise einmal nicht
gelogen haben. Nach dem rühftück
soll in der egelmacherlaft ein mords
langer weißer Wimpel genüht worden
sein. W.'nn das stimmt
Stillgestanden !"
Da steh.',, sie im Halbkreis um das
Gangspill herum und mit der Front
nach der Kommandobrücke. Osfijiere
und Mannschaften. Der Kommandant
wartet noch, bis die Sinalgüste im
Großlop ein bickeS Bündel aufgehißt
haben, einen zusammengerollten Riesen-
wunpel ; dann sagt er : ,,;$sl) yaoe oer
Winschast die freudige Mittheilung zu
.L'ilUlit. U.tn II Hl LntHIHllwww
getroffen ift. Heute Abend geht die
letzte Post an Land, morgen früh geht ö
in See". Und den Signalgasten zuge
wendet, ruft er : Reiß' auZ den Wim
pel, Hurrah !
..Hurrnh!" füllt die Mannschaft
hundertstimmig ein. die Müßen schmen
kend und die freudestrahlenden Blicke
aufwärts gerichtet, wo von der Spitze
des Großmastes ein wlißschimmerndes
Band in weitem Bogen bis zur Waffer
flache herabwallt. Seine Länge betrügt
ein Meter auf den Kopf der Besatzung
und Allen verheißt's eine glückliche
Heimkehr.
Wegtreten !"
Die Menge stiebt auseinander und
stürmt wie daZ wilde Heer nach vorn.
ES kommt auf ein paar Rippenstöße
me!" oder weniger gar nicht an dabei ;
was liegt daran, daß der oder jener
Matrose i n Freudentaumel einem Vor
gesetzten auf den Buckel springt? Ge
vattcr Bürbeiß schreit zwar : Sie find
wohl des Teufels !" Er lacht aber gleich
wieder und denkt gar nicht an das ihm
fönst geläufige ..Strafrapport!" Vor
dem Lazareth im Zwischendeck tanzt
Einer Fandango auf einem Bein. Dem
armen Hcxl wurden jüngst beim (Ve
schützererziren zwei Fußzehen adge
quetscht, geschrieen hat er. daß eS im
ganzen Schiff zu hören war ; jetzt tanzt
er und fingt dazu, denn es geht ja
heimwärts, zu Muttern, zum Schatz !
Ein Signal der BootsmannZpfeife
läßt den Lärm verstummen, und durch
die Luken schallt's herab : ES darf ge
raucht und gesungen werden !"
Auch das Glück noch ! Es ist rein um
aus der Haut zu fahren ! Nun fehlen
nur noch Tinte und Papier. Essen !
Der Suppenschmied soll mit seinen har
tcn chinesischen Bohnen Möwen schießen.
Hcimgeschrieben wird ! Und dann geht's
an Deck. Geschenke einzukaufen. Die
täglich in der Mittagsstunde an Bord
kommenden fliegenden Händler müssen
von der bevorstehenden Abreise Wind
bekommen haben, denn solche Schätze
wie heute haben sie noch niemals feil
geboten : Muscheln, Fächer, geschnitzte
Holzwaaren, Schmucksachen, seidene
Tücher Herz, was begehrst du mehr?
Alles so unpraktisch und unecht wie
möglich, aber John Chinamann kennt
sich aus, gekauft wirds doch. Wenn
nur das Geld langte! Einer versucht
eS, den Zahlmeister um Borjchuß anzu
gehen. Grinsend kommt er wieder;
zwei Dollars hat er bekommen und ist
hinanSgeschmiffen worden. Dieser Er
folg reizt zur Nachahmung, und schließ
lich wird beim Vorschußgeben nur noch
geflucht, das strengt den Zahlmeister
auf die Dauer nicht so an.
DaS Geld wandert in die Taschen der
bezopften Händler, die erhandelten
Kostbarkeiten werden in die Klcidersäcke
und die Utensilienkasten" verstaut, lind
allgemach greift eine mehr beschauliche
Stimmung Platz. ES ist eine gar
( schöne Sache, so an der Verschanzung
i zu lehnen, über Bord zu spucken und
mit aelinder kcbadenircudc nam oen
anderen Schifsm hinüber zu sehen, die
kein Heiinathswiripel ziert. Auch das
Adftngen der alten Seemann- und
ReservistM'Lieder ist heute mehr denn
je am Platze, mögen sie auch recht trau
rig sein, wie das, dessen Schlußftrophe
lautet :
Ruhe sanft auf weißem Grunde,
Bon den Fluchen eingewiegt,
Deiner Mutter bring' ich Kunde,
Wo ihr Kind begraben liegt.
Kaum ift der letzte Ton verhallt, da
geht? wieder lustig her, es wurden Zu-
....;tnfxa .of AmicKiit ttiiiS mim 91 II f 8
l U U. I! , tyyKWVf ......
treiben und genießen will, wenn man
erst zu Hause ift. Bücklinge mit Spie
geleiern, dozu Kdem un Beer (Kümmel
und Bier) Donnerwetter, so etwas
kennt man gar nicht hier an der dösigen
chinesischen Küste. Und die Müdels
Kennst Du Meta Tongedloed?" fragt
Dirk Fockes, ein flachsblonder Ostfriese,
seinen Nebenmann.
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ii I rt ij rtrt ! I
OUllllUUpllU l.
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)al,rganst 18.
Beilage zum Rcbrasla Ztaato-Att'.cigcr.
i;.
Wat soll ick die Meta nich kennen,
, die' feinste Deern in Oftfriesland?" Da
i Dirk FockeS schweigt und nur listig mit
der. Augen zwinkert, sragt der Andere :
i Ist dat Din Deern?"
Dat just nich, awerst ick kann se
hebden, hen min Oller schrewen."
Großmaul !" dentt der also 9
lehrte, an der nächsten Geschützlafette
seinen Kalkitummel ausklopfend. An
der Bordwand aber lehnt Einer, dem
gehen die Worte des Renommisten tie
fn. Jan de Vrie ist'S, der an feinem
rotbraunen Schnurrdart kauend aus
dem Hintergründe lauernde Blicke nach
seinem ehemals besten Freunde hinüber
cy.. r ii f-.,irif ,'11
lvui. vPl uiinin v g.. vvl1.
I weshalb seine Mutter mit ihrem letzten
Brief keimn Gruß von der Meta gc
I schickt und nur erwähnt hatte, die hüb
!sche NachbarZtochter verkehre jetzt viel
I beim alten Fockes, ihrem Onkel und
! Vormund.
WnS hatte die Mutter sonst immer
Alle von der Meta zu erzählen gewußt!
Daß sie herübergekommen sei, ein ois
chen im Haushalt zu helfen, in Wahr
bett hätte sie aber nur forschen wollen,
ob kein Brief vom Jan gekommen sei.
Ein wahrer Staat von einem Mädel,
und dabei reich, steinreich; man munkele,
ihr Vater, der alte Geizhals, habe zwei
tausend Thaler hinterlassen, eher mehr
als weniger. Und trotzdem so schlicht
und so brav und Jan. min töte,
min eenzige Jung', ick glöm, sie het
Dich leim !"
Sie hatte sich getäuscht, die Mutter,
und der alte FockeZ konnte ja auch nichts
Besseres thun, als das Mädel an sein
HauZ zu gewöhnen. Die brachte es ge
wiß fertig, den unstüten Dirk daheim
zu halten, wenn er erst von der Marine
freikam. Horch! wie er da drüben
wieder schwadronirt ! Gut, daß jetzt der
Bootsmannsmaat der Wache ein Ende
macht mit seinem Stille gebietenden:
Pfeifen und Lunten aus; Ruhe im
Schiff !"
frühen Morgen geht'S Anker auf
und hinaus. Jedes der zurückbleiben
den Kriegsschiffe erhält ohne Unterschied
der Flagge ein dreimaliges Hurrah als
AbschiedSgruß, der umgehend erwidert
wird, wenn auch nicht ganz neidlos.
Ist auch ein besonders schmnckes Schiff,
das da heimwärts segelt, blitzblank in
und auswendig. Das Holzwerk an Deck
und die Kupferdeschläge glänzen nur fo.
selbst die eisernen Stützen wurden
blankpolirt. als man für die Straf
arbeitet nichts Anderes mehr zu thun
fand. Der Commandant braucht, weiß
Gott, keine Besichtigung zu scheuen,
und sollte sie der Kaiser selbst vor
nehmen. Die Steuerbordwache ist beschäftigt.
Anker, Geschütze und Boote seefest zu
zurren, die TopZgäfte sehen in der
Takelage nach dem Rechten und gucken
dazwischen nach Gegenseglern aus.
Dschunken wird! man jetzt bald keine
mehr in Sicht bekommen, eoeniowenig
Holzthürme mit Schnabclschuhdüchern,
wie die an der entschwindenden Küste da
drüben. Das Land scheint schon ganz
mit dem Horizont zu verschwinden, die
Luft ist trübe und schwül: Hätten wir
'ne ordentliche Mütze voll Wind !" ruft
Dirk Forkes im StarZ seinem Lands
mann de Vries zu; der zuckt aber nur
die Achseln und wendet dem Flachskopf
den Rücken zu.
Im Lause des Nachmittags wird o,e
Luft immer unsichtiger, der Comman
dant schickt wiederholt den Steuer
mannsmaaten unter Deck, nach dem
Barometer zu sehen. Dann berathen
sich die Offiziere im Kartenhäuschen.
Als sie wieder an Deck kommen, sagt
der jüngste Lieutenant: Werden schließ
lich 'nen pyramidalen Puster belom
men, Donnerwetter, was?" Er will
noch mehr sagen, doch ein verweisender
Blick deS Commandanten verschließt
ihm den Mund.
Während der Abendmahlzeit erfolgt
das Commando: opgäste, Utzarne,
ter klaren !" Die Gerufenen entern auf.
und als Dirk Fockes wieder an Deck
kommt, zeigt er nach dem westlichen
Horizont auf eine scharsbegrenzte Wol
kenwand. um deren Rand es stärker
und schwächer aufleuchtet. Dort kommt
etwas her."
Was denn?"
Ein Wetter natürlich; meinst woll,
'n nebratener Kanarienvogel?" entgeg-
net Dirk dem Fragerund höhnt: Bind'
Dir man die Haare fest, daß sie nicht
wegwehen."
So schlimm wird'S nicht werden",
sagt ein Dritter; wenn's nicht etwa
ein Taifun ist."
Nachdem das Wort Taifun gefallen,
stockt die laute Unterhaltung, die Leute
reden nur noch in gedämpftem Tone,
indem sie das Näherkommen deS Wet
ters beobachten. Ueber einen herzhaften
Sturm ulkt der Matrose. sei'S nun ein
Kuhsturm, ein Kanonen- oder ein Alt
weibersturm, an die unheimliche Ueber
macht eines TaifunS aber getraut sich
der Spötter nicht heran. Und jetzt zur
Zeit des Monfunwechlcls find die ge
fürchteten Wirbelstürmc in den chinefi
schen Gewässern nicht selten.
Dem Commandanten ist'S längst
nicht mehr zweifelhaft. waS ihm bevor
steht: die hochgradige elektrische Span
nung der Atmosphäre und da? rasche
Fallen deS Barometer? sagen eZ ihm.
Doch der wiffenschaftlich gebildete See
mann steht dem Taifun nicht mehr
machttos gegenüber, seit der englische
Oberst Rnd und der deutsche Physiker
Tove das Gesetz der Stürme erforsch,
ten: er weiß wenigstens, daß im Norden
deS AequatorS die Wirbeldrchung des
Taifuns stets von rechts noch lints er-
folgt und welchen Kurs er also zu
steuern hat, um dem Centrum deS
! OrkanZ auszuweichen. Hätte das schiff
auch nur immer genug freien Spiel-
räum! Im vorliegenden tfaue irini
dies nicht zu, im Süden und Westen ift
Land und gerade dorthin mußte man
abhalten.
Nachdem alle Vorkehrungen getroffen
find, wird die Freimache unter Deck gc
i sedicki, nocb eine kleine Weile auszu-
ruhen. An der Luke trifft Jan de Vries
mit Dirk FockeS zusammen, der sich
wohl ein paar Schnäpse zu verschaffen
geloußt hat, denn er packt den Lands
mann bei den Schultern und ruft:
I Man nich bang, min Jung ! Wenn
! wir beimkebren, sollst Du mein Braut-
führet sein. Die Meta, weißt Du'
weiter kommt er nicht, denn Jan schleu
dert ihn gegen die Lukcnkante, daß es
nur so knackt. Grimmiger Haß sprüht
aus dem Blick deS Gefoppten, der halb
unbewußt fein Scheidemeffer lockert,
während er die Treppe hinabsteigt.
Unter in der dumpfen Luft schläft
ftch's schlecht und ein böser häßlicher
Traum ängstigt ihn, bis dnS Com
mando Alle Mann auf, klar zum
Manöver!" ihn emporschreckt. Kaum
vermag er auf den Füßen zu stehen, so
schief liegt das Schiff, draußen heult
der Sturm, daß man sein eigenes Wort
nicht hören kann. Und wie blitzt es
ringsum ! Schier das ganze Firmament
steht in Flammen.
Das Schiff wird unter Sturmsegel
gebracht, damit es in der unregelmäßi
gen, von allen Seiten her sich aufthür
menden See mehr öalt bat. ES liegt
in der That ruhiger, nachdem es ge-
schehen, wenn eS auch unter dem jrua
von Wind und Wasser ächzt und erzit
tert unter den Stößen der Maschine.
Die Heizer da unten thun wahrlich ihre
Schuldigkeit: vermuthlich gießen sie, um
mit ihrer Maschine da? Aeußerfte leisten
zu können, Oel in die Feuer, denn Ra
keten gleich fliegen die Funken aus dem
scylote.
Da steht plötzlich die Schraube still,
der Ingenieur kommt an Deck geeilt
und meldet: Die Lager find warm gc
laufen: wenn wir noch fünf Minuten
weiter dampfen, läuft sich die Maschine
in Brand!" Den Commandanten bringt
die Meldung zwar nicht außer Faffung,
aber schwer genug trifft sie ihn dennoch.
Daß die? gerade jetzt geschehen mußte,
da der Taifun erst mit voller Gewalt
einzusetzen droht. Tort kommt er ja
heran, sogar die Wogenberge nieder
wehend, als ginge eine Walze über sie
hin. Er droht, das schiff im ersten
Anprall aus dem Waffer heben zu wol
len, die Boote reißt er stückweise unter
den starken Zurrings heraus und schleu
dert sie über Bord. Die Luft ist mit
Salzwafferstaub derart erfüllt, daß es
unmöalick ist, auck nur drei Schritte
zu sehen. Noch unmöglicher ist's, ein
Commando zu hören, so braust und
zischt und prasselt es. Im Vortop klap
pern und peitschen Segel'etzen. Die
Fock hat sich losgerissen, und bringt sie
das Schiff zum Abfallen, dann nimmt
es leicht einen Brecher über und
Das Unglück ist kaum auZgedacht, da
bricht schon eine ungeheure Wassermaffe
über Deck und fegt Alles weg, was nicht
niet- und nagelfest ift. Von der Lec-
ver ckannma i t keine vur mebr m
sehen, so tief liegt sie unter Waffer :
das Schiff wieder aufzurichten, giebt es
nur ein einziges Mittel : die Masten
kappen !
Offiziere und Mannschaften schreien
sich den Befehl dazu in die Ohren, und
nun zeigt es sich, aus welchem Holze
unsere Seeleute geschnitzt sind. Mit der
linken Hand sich feftkrallend, in der rech
ten Faust das Kappbeil, drängen sie sich
förmlich heran zu der furchtbar gefahr
vollen Arbeit. Zuerst gilt's das stehende
Tauwerk in See zu kappen, sonst kön
nen die über Bord gestürzten Masten
nicht loskommen und stoßen da? Schiff
leck. Wer vermag aber unter Waffer
das Beil zu schwingen ?
Jan de Vrieö steht im Großwant bis
an die Hüften im Waffer, als daS Schiff
sich plötzlich noch weiter überlegt. Bis
unter die Arme reicht ihm schon die
Fluth, da kreischt eine Stimme : Wir
sinken!" WaS weiter geschieht, kommt
ihm nur vorübergehend zum Bewußt-
l fein, denn nun folgt ein Schrecken dem
i andern. Er sucht inftinttmäßig von dem
sinkenden Schiffskörper frei zu kommen
und umklammert eine Spiere, die ihn
über Waffer hält, bis mit TageSgrauen
. der Sturm etwa? nachläßt. DaS Schiff
ist verschwunden, aber leewärts, wo die
See so iarchtoar brandet ist dort nicht
!Land? Zweifellos, doch wer in diese
i Brandung hincingeräth
Plötzlich zuckt er zulamnien und seine
erschlaffenden Sinne sind auf seinen
mit der Fluth ringenden Landsmann
! Dirk Fockes gerichtet, der mit Aufdie
iung der letzten Kraft die Spiere zu ?r
i reichen sucht. Diese vermag aber nur
einen Mann tragen, und Jan ist
schon gestern Abend versucht gewesen,
dem Flachskopf daS Scheidemesser zwi
schen die Rippen zu stoßen. Aber der
Blick deS Ertrinkenden, der Blick!
Gegen Mittag finden noch Beute aus
spähende Chinesen zwei todte Matrosen
am Strande; der eine hält feinen Ka.
mcraden am Haar gepackt, daß die blon
den Strähne bis auf'S Blut in die Fin
gcr einfchneiden. So greift man zu,
wenn man einen Ertrinkenden retten
will, aber so fest hält nicht Jeder.
Die Festrede.
Von U R a u ch e n e g g c r.
In dem Markte Schmuckebach herrschte
eine unbeschreibliche Aufregung, denn
das Kronprinzenpaar hatte eS sich in
den Kopf gefetzt, über Schmuckebach
nach einem alten Stammschloß zu rei
sen, um dort einige Tage mit ihren Ah
nen zu verbringen. Das hohe Paar
mußte natürlich festlich empfangen wer
den. Zu diesem Zwecke hatte sich schon
längst ein Haupt- und verschiedene Sub
comites aeeiründet: man hatte seit vier-
j zehn Tagen die schwierigsten Sitzungen
gehalten, bis das Programm richtig
ausgearbeitet war. Dann übte man
Tage lang denn die Sache sollte
.Scbwuua" baden. Die sechs cst-
jungfrauen ezercirten in der Front; die
Feuerwehr machte Aufmarschübungen;
die Veteranen bereiteten Antworten auf
die voraussichtlich an sie aestellt werden-
den Fragen vor; die Honorationen ka
men täglich 'oeim Frühschoppen zusam
men. um sich im Hochrufen zu üben.
Am schwierigsten gestaltete ftch die Sache
für den Bürgermeister Salzknopf, der
die festliche Ansprache übernommen
hatte. Der Amtsrichter hatte einen
schneidigen Text hierfür verfaßt, und
seit mehreren Tagen hallten die kräftigen
Worte durch den grünen Wald, in dem
,der gcstvorstand seine Rolle studute.
Aber die Sache war nicht tetcyt ; wenn
der brave Mann die Rede ein dutzend
mal abgeleiert hatte, überfiel ihn ge
wöhnlich eine Sprachverwirrung. Aber
auch für diese wußte der junge Amis
richter einen Ausweg. Er bestimmte
für den Bürgermeister als selbstthätigen
Souffleurkasten den Cylinderhut.
Die kleine Rede wurde mit großen Buch
staben auf einen Zettel geschrieben, der
in der fraglichen Kopfbedeckung ver
wahrt bleiben sollte. Dieser Plan be
ruhigte das Oberhaupt der Gemeinde.
Es war 9 Uhr. Der Herr Bürger
meister stand vor dem Spiegel und
ordnete die galten an seiner vravattc.
Hinter ihm lag auf dem Tischchen sein
Hut ein etwas abgegriffener Cylin
der. Während er mit feiner Person
beschäftigt war, schlich Frau Bürger
Meisterin herein: husch nahm fie den
Cylinder an sich und stellte dafür einen
funkelnagelneuen S)üi an deffen Platz.
Sie hatte nämlich schon vor einigen
Tagen ihren ijheyerrn vcrantaiien
wollen, einen neuen Hut anzuschaffen;
er hatte sich aber aus Sparsamkeitsrück-
sichten stet- dagegen gesträubt. Eine
kluge Frau weiß sich jedoch zu helfen;
fie fetzte ihren Willen durch! Es war die
höchste Zeit zu dieser Metamorphose,
denn jetzt stürzte der Herr Beigeordnete
herein, um den Burgermeister auzu
holen. Dieser stülpte rafh dci: Hut
auf's Haupt und eilte mit den andern
Bürgern auf den Bahnhof hinaus.
Dort war er voll uno ganz m An'pruch
genommen, denn die Festversammlung
mußte ordnungsgemäß aufgestellt wer
den. Es kostete große Mühe, die Mütter
der sechs Ehrcnjungfrauen in den Hin
tergrund zu drängen: das Musikkorps
mußte bald oben bald unten Stellung
nehmen. Dem Bürgermeister rann der
Schweiß von der Stirne. Plötzlich hieß
eZ: der Zug kommt!" Ein jäher
Schreck durchzuckte den Herrn Bürger
meister. Durchlaucht, geben Sie auf
die Leute Acht !" sagte er zum Polizei
soldaten, dann stellte er sich vor die
Front der Versammlung. Der Zug
brauste herein. Alle Häupter entblößten
sich, als das hcchfürftliche Paar den
Salonwagen entstieg; die Damen knir
ten, die Herren krümmten sich. Nun
trat der Bürgermeister vor und begann:
Durchlauchtigste Herrschaften! "
Pause. Rasch nahm er den Hut vor
da? Gesicht was war da? Kein ein
gepappter Zettel war darin, nur
schwarzes Seidenfutter mit Firmenauf
druck. Dem Guten schwindelte.
Durchlauchtigste Herrschaften!" begann
er wieder. W:r preisen den Tag. an
dem die Einwohner dieses Markte?
durch die Ankunst Euer Hochwohl-
geboren aus Freude Alles versetzt
haben wir freuen unS sehr un
endlich über alle Maßen" Wir
gleichfalls. Herr Bürgermeister," unter
brach ihn der Thronfolger lächelnd.
Ich danke Ihnen zugleich Namens
meiner Gemahlin und bitte, dielen
Dank der ganzen Bevölkerung zu über
Mitteln!" Dann drückte er dem Bürger
meister die Hand und wandte fich zu
den Ehrenjungfrnuen. Der Amtsrich
ter hatte die Geistesgegenwart, das ver
geffene Hoch" zu intoniren; daS Volk
schrie, die Mufik schmetterte einen Tusch
und dann sangen die Schulkinder Heil
Dir u.s.w." Die hohen Gäste stiegen
in die dereitstehendcn Wagen und fuhren
zum Gafthof, um dort ein Frühstück ein
zunehmen. Der Bürgermeister wankte
niedergeschmettert nach Hause. Dort
hielt er fürchterliche Musterung. Als
er den Sachverhalt erfuhr, wollte er zu
erst als Standesbeamter die Scheidung
von seiner Gattin sofort vornehmen.
Da aber dies nicht anging, ließ er feine
Wutb an dem unseligen Hut aus. Er
warf ihn zu Boden und sprang mit
beiden Füßen darauf herum. In dieser
Beschäftigung wurde er durch den Ein
tritt eines Hoflakeien unterbrochen.
Durchlaucht laffen den Herrn Bürger
meister zur dejeuner dinatoire" bitten !
Aber sofort!"
Herrschaft mein Cylinder!" mur
inelte er und hob den gemarterten Filz
schnell vom Boden ans, streichelte ihn
zärtlich und eilte dem Boten nach. Un
terwegs schloß fich ihm der gleichfalls
eingeladene Oberamtsrichter an. Aber
Bürgermeister!" sprach dieser zu ihm,
da? ift doch ein Skandal, mit einem
solchen Hut zu Hof zu gehen!"
Der Hut ist nagelneu," seufzte der
Bürgermeister und das war mein
Unglück !" Der würdige Beamte sah ihn
erstaunt an und sagte dann tyeitnayms
voll: Nimm Dir's nicht so zu Herzen !
Deine Anivracke wäre sehr hübsch ge-
Wesen, wenn Dich der Thronfolger nicht
so schnell unterbrochen hätte! AVer daß
man Dir im Nachhausegchen den Cylin
der angetrieben hat. war unanständig
von den Leuten!" Das Dejeuner ver
lief großartig!
Äierzehn Tage später traf ein Orden
für den Bürgermeister ein. Freude
strahlend zeigte er seiner Gattin daS
blinkende Kleinod. Siehst Du." sagte
diese mit bedeutungsvoller Betonung,
es ist gegangen, wie ich hoffte: aber
einem Menschen mit einem schäbigen
Cylinder hätte man diesen schönen
Orden nicht geschickt I"
wie zusammengeschnürt, keinen Laut
konnte fi" hervordringen. Mit einem
Male trat ganz nahe an fte heran,
wobei er seine Hand in die Tasche feine
UcdkirockeZ versenkte. WaS suchte er
dort? Einen Revolver? Einen Dolch?
Einen Schlagring?
Sie sprang auf und harrte ihn ent
s ,'tzt an.
WaS wollen Sie von mir?"
Er lächelte grimmig, dann sagte er:
Ich habe Sie doch nicht erschreckt? DaS
wollte ich Se denn doch merklich und
wahrhaftig nicht. Ader sehen Sie.
mein giitesteS Freilein, ich muß Ce
necmlich gleich auSstcigen und Se fitze
ich, seit Se eingeftiege find, auf mei
nen Hut !"
Gertrude stammelte tausend Ent
schuldigungen. Der Hut war zum
Gluck ein weicher.
Bcrsiand schwabisch'-U
Wenn Engländer schwabisch verstehen,
so ist dieö. namentlich aus Reisen in
Italien, eine lebr schöne Sache, Daß
eS solche Söhne AidionS gibt, d.iS bat
wie ein römischer Korrespondent
schreibt ein in Mailand ansüsfiger
biederer Schwabe. Großkaufmann und
nebenbei Rescrve-Offizier der Artillerie,
zn seiner hellen Freude erfahren. Herr
M. machte mit seiner Gattin jüngst
eine kleine Reife und dachte an nichts
BöfeS, als urplötzlich ein baumlanger
nglilyman in sonpei'yerkiN'Ummette
und es fich nach seiner Art bequem
machte, daS heißt, seine langen spazier
Hölzer über die gegenüberliegende Sitze
und der Dame beinahe unter die Nase
schob. Höflich, wie der Schwabe nun
einmal ist, versuchte eS unser Lands
mann mit Englisch allein Pseudo
Jamesou that, als ginge ihn die ganze
Sache nichts an. Darauf Französisch
dann Italienisch; derselbe Erfolg.
Nun aber ging es unserem Schwaben
wie dem Ritter im Uhland'schen Liede:
Da wallt dem Schwaben auch sein
Blut", und er stülpt fich ohne weite
reS Rock- und Hemdärmel auf, unter
denen ein Paar eiserne Arme sichtbar
werden, wie ein richtiger Kanonier sie
braucht, und frägt den Engländer nun
mehr in echt schwäbischer Mundart, aber
diesmal nicht mehr verbindlich flötend:
Ob Sie Ihre Füße wegdeant?" (UV
Sie Ihre Füße wegthun wollen?' ) Ich
kann Ihnen versichern, daß Mister
Englishman dem schwäbischen Kom
mando mit derselben Fixigkeit parirte
wie ein gezüchtigter Schuljunge, und
daß er schwerlich so bald die schwäbische
Lektion vergcffen wird auch wenn er
den Wortlaut vielleicht nicht vollständig
erfaßt hat.
Auf dem Hute.
Eben begann der Zug sich in Be
wegung zu setzen, als eine junge Dame,
firmste nach mi reckten Heit. dieCouvee-
thüre aufriß und fich hastig auf die
Polster des Wagens fallen tielz. Wayr
haftig eS wäre kein Vergnügen ge
wefen, zwei Stunden auf den nächsten
Zug zu warten. Sie lehnte sich behag
lich zurück und entfaltete eine Zeitung,
in deren Lektüre sie bald vertieft war.
Was da alles in der Welt vorging!
Entsetzlich ! Krieg. Pest, Elend aller Art
und da schon wieder ein Raubmord aus
der Eisenbahn. In einem Coupes zwei
ter Klaffe hatte man eine Dame be
stialisch ermordet ausgefunden. Der
Mörder hatte ihr die BrillantbouttonS
aus den Ohren qeriffen und ähnliche
scheußliche Details mehr. Von dem
Thäter fehlte selbstverständlich jede
Spur.
Gertrude Schröder war gerade kein
allzu furchtsames Mädchen, aber immer
hin warf sie jetzt einen scheuen Blick um
sich. Außer ihr war bloß ein Herr im
Wagen, ein untersetzter, breitschultriger
Mann mit buschigen Augenbrauen, un
ier denen sie Zwei steckende Auacn fort-
während forsckend und erwartungsvoll
anblickten. Anfänglich ließ c sie ziem-
lich gleichgültig, als aber der Mann
nicht aufhörte, sie anzustarren, legte fich
ihr allmählich die Furcht, gleich einer
kalten Schlange, auf's Hei, WaS er
nur hahm konnte? Er blickte auch zeit-
weife unstätig hin und her. wobei fein
Geficht einen immer grimmigeren Aus
druck annahm.
Plötzlich sprang er auf und blickte
um fich, scheu und ängstlich, nach allen
Richtungen, hinauf und auf den
Boden, als fürchte er. beobachtet zu
werden.
in iäber Sckreck durchzuckte Ger-
irude ! Wenn da? ein Räuber war
welleicht ein Mörder? Sicherlich hatte er
tri fit nbaeseben. Sie wollte rufen.
um Hilfe schreien, aber ihre Kehle war
Der Polterabend.
Die Sitte deS Polterabends in Ber
lin war gegen Ende des vorigen Jahr
Hunderts etwa? aus der Gewohnheit ge
kommen und eS wurde deshalb auch von
oben mit theilnehmendcr Aufmerksam
teit gesehen, als Profeffor Wadzek vom
adligen Kadettencorps 1797 auS Anlaß
seiner Hochzeit einen wirklichen Polier
abend anordnete. Die Feierlichkeit die
ses AbendS wurde in den Zeitungen
ausführlich beschrieben mit der Her
leitung deS Gebrauchs davon, daß in
Holland der Braut in Wirklichkeit noch
ein Ball überreicht wurde, deffen Wer
fen daS .eicken zum Anfang deS Tan-
zenS und SpringenS gab. Bei Pro
feffor Wadzek trat einer der Gäste als
Schulze verkleidet auf, öffnete mit
einem: Nichts für ungut !" die Thüre
und brachte Frau uno drei Töchter mit;
die eine derselben führte ein Lamm an
seidenem Bande, die Andere trug ein
Körbchen mit Tauben, die Dritte ein
gleiches mit Eiern. Der Schulze gab
nun an. daß ihn die Erleuchtung der
Fenster heraufgelockt, daß er eine Hoch
zeitsfeicr vermuthet u. f. w., außerdem
waren mehrere Gäste als Landmädchen
oder Jäger verkleidet. Seit jener Zeit
ift die Sitte jedenfalls allgemeiner ge
worden, denn heute giebt es wohl keine
größere Hochzeit, welcher nicht ein Pol
teradend mit derartigen Scherzen vor
angeht. Damals, wie gesagt, wurde
eS Wadzek zur Ehre angerechnet, daß er
alS Profeffor der deutschen iteratur
für Erhaltung eines deutschen Brauches
Sorge trage.
Gicht und ipperlctn.
Von dem verstorbenen, sehr bekamt
ten und gesuchten Geheimrath Profeffor
v. N. in München wird Folgende?
wahrheitsgetreu" berichtet. Ein
Brauereibefitzer, der an Gicht leidet,
kommt zu Profeffor v. N., der ihm
von früher noch bekannt ift, zur Kon
sultation. Dabei entwickelt fich folgen
des Gespräch:
Profeffor v. N.: Na, lieber G.. wo
fehlt'S denn?"
G.: Herr Geheimrath, ich hab'S in
den Beinen?"
Profeffor v. N.: So. so. in den
Beinen haben Sie'S! Na, schaun's,
wenn Sie s oben un nie haben, nach
iS'S die Gicht, wenn Sie's aber unten
in den Zehen haben, nacha is'S Zip
perle."
G.: Herr Geheirnrath. ich Hab'S in
den Knien, "
Profeffor v. N.: So. dann zeigen'?
mal her. . . .Richtig, das ist die Gicht."
G.: Nun. waS hilft denn dagegen.
Herr Gedeirnrath?"
Profeffor v. N.: Ja. schaun's liebe:
BL. da denken'? setzt 'mal drüber nach.
und wenn Sie a richtiges Mittel wiffen,
nacha sag'n S' mir' dann fin ma
alle zwo in einem Jahr Millionär."