Nebraska Staats-Anzeiger. (Lincoln, Nebraska) 1880-1901, April 29, 1897, Image 10

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    ,1
Line Geschichte aus der Kin
derstube.
Novkllk ,on War Moniwl.
Die Trauung war vorüber.
Da junge Ehepaar war in seinem
fürstlich ausgestatteten Heim angekom
men. Graf Otto Süfcing führte seme
schöne, blasse Gemahlin zu einem Ses
..während er selbst, mit der Hand
sich auf ein Stühlchen stützend, vor ihr
stehen blieb. '
Ein paar Augenblicke bangen Still
schweigen vergingen. " .
Dann nahm er da! Wort, ruhig und
kühl klang seine Rede: fc
wird nothig sein. Elisabeth, daß
wir un, in einigen Worten über unsere
gegenseitige Stellung klar werden. Wir
baden un Beide bis zu dieser Stunde
keinen Illusionen hingegeben; darum
werde ich die Peinlichkeit dieser Unter
Haltung nach Möglichkeit abzukürzen
suchen. Wir find Beide zu diesem Ehe
bunde gezwungen worden: Sie durch
Ihren närrischen Vater, der keinen
Widerspruch duldet und dem ein gräf
licher Schwiegersohn als Gatte seiner
einzigen Tochter als willkommene Zu
gäbe zu dem Wanz seine? commercun
räthlichm Hauses erschien, ich durch
den Umstand, daß meine Ehe mit Ihnen
das einzige Mittel war. meinen Vater
vor dem finanziellen Ruin und vor dem
Tod von eigener Hand zu bewahren!
Ich habe ihm dieses Opfer gebracht
er ist mein Vater aber ich habe da
mit die Stimme des hochgewachse
nen, vornehmen ManneS, dessen große,
sprechende Augen forschend auf dem
niedergebeugten Geficht seiner Gemahl,
zu lesen suchten, klang sehr ernst
.ich habe damit meine Jugend begra
ben, fte liegt hmter mir! Keinem Hof
fen und keinem Menschen gehört fortan
mein Leben, nur der Pflicht! Und diese
gebietet mir, Sie als meine Gattin mit
der vollkommensten Hochachtung zu be
handeln! Sie werden meiner Verficht
rung Glauben schenken, daß da? stets
akkckeben wird! Liebe und Neigung
aber können wir Beide sür einander
rm mvnden! Aber auch von Ihnen,
Elisabeth, fordere ich, daß Sie die Ehre
des Namens, den Sie jetzt tragen, stets
heilig halten, wie ich sie heilig ane,
und das Sie nichts darauf kommen las
sen, was ihrem Glänze schaden könnte.
&nflt ?tfmtn aber von irgend Jeman
dem in irgend einer Beziehung zu nahe
getreten werden, so bitte ich Sie. mir
das sofort mitzutheilen, damit ich die
mir nöthig erscheinenden Schritte thun
kann! Wollen w mir US vri'
fhrrAn?"
Ja!" hauchte das junge Weib, ohne
auszusehen.
?s4 danke Nmn. Ich stelle eS
Ihnen nun anheim, Elisabeth, Ihren
Wohnst? naq eigener ENiiqueMug rre,
iii witblfit! Mich selbst bindet mein
Amt im Ministerium zu Berlin ich
habe daher keine Wahl! Sie indessen
können entweder hier, oder auf der zur
Morgengabe mitgebrachten Herrschaft
Sonsburg wohnen oder auch zwischen
beiden wechseln es steht in J,rem
.Belieben."
Er hielt einen Augenblick inne, als
ob er eine Antwort erwarte. Da diese
nicht kam, fuhr er fort:
.Im Uebrigen aber, Elisabeth, dürfte
eö wohl gut sein, wenn wir uns Beide
so viel als möglich aus dem Wege gehen
und unsere Zusammenkünfte, im Falle
Sie in Berlin find, auf die Zeit des
Diners ' beschränken! Jede Zusam
mentreffen wird ja doch sür beide Theile
nur peinlich sein. Indessen ist eS selbst
verständlich, daß ich da. wo Sie etwa
meine Dienste oder meine Begleitung
wünschen sollten, Ihnen jederzeit zur
Verfügung stehe! Und darum möchte
ich jeßt gleich fragen, ob ich Ihnen mit
irgend etwas nützlich sein kann?"
Sie schüttelte den Kops.
, .So bitte ich Sie." sprach er weiter,
mich zu beurlauben! Leben Sie wohl,
lisabeth!' .
, Eine höfliche Verneigung er ging.
Ein heißer Thrünenftrom entftürzte
den Bugen der jungen Frau, als sich
die Thür hinter dem Manne, der jetzt
ihr Gatte hieß, geschloffen hatte. Sie
blickte durch' Fenster. Da unten gin
gen die Leute hin und her, so kalt, so
gleichgiltig. wie gestern, wie sonst, wie
alle Tage, und hin oben hatte soeben
Ant küble, klare Manneskimme ein Ur
theil gesprochen, welches der frischen
Jugend zweier junget Menschenherzen,
die nun kür daS aan Leben an einan
der gebunden waren, die kaum aufge
gangene Blüthe auSgebrochen hatte. ES
flimmerte ibr vor den Augen, als sie an
diese Worte dachte, so höflich, so kalt, so
echt diplomatisch, wie er sie wohl schon
"tauseudmal an den fremden Hösen, wo
et gewesen, in Petersburg und inadriv,
i Stockholm und Rom. braucht hatte.
Am anderen Morgen begab fich die
junge Frau nach der Herrschaft SonS
bürg, welche ihr Vater, der Geheime
Commernenratb Seißmann. ihr als
routaefcbenl überwiesen hatte.
Ein paar Zeilen bmachrichtigten ihren
Gatten von ihm reise.
Im Februar war die Hochzeit gewe
sen. Bereit im Mär, starb plötzlich
, der Sommerzimrath, und seine Tochter
mußte von SonSburg nach Berlin zu
tutfte&ren, um dem nchenoegangnii
krituwobnen und die anchtlichen For
malitSten behuf Antritts der Erbschaft
, nledioeil. in da Worte wech
selte sie mit ihrem att, welch ihr
lein Bedauern uver n piojucora
fcSsaH ausdruckte, und ihr mtnyeuie,
daß sein Vater, der alte Gras Llltzing,
der in London wohnte, sich entschuldigen
laffe, da ihn sein Podogra un o,e
stürmische Jahreszeit vvn einer Fahrt
über die See gebieterisch abhielten.
Ruhig hatte Elisabeth zu seinen Worten
den Kopf geneigt; als fie aber allein im
Zimmer war, da kniete fie vor dem
Bilde ihrer sqon langn verporvrr,,
Mutter nieder, und eine heiße Thräne
nach der andern rollte ihr Über die blas
sen Wangen. Al fich der Zng
nach dem Friedhof begab, saßen der
Graf und seine Gemahlin wortlos zn
sammen im Wagen; der 'gaffenden
Volksmenge aber verkündete da? groß
artige Leichengepränge und der glänzende
Pomp des Zuges, daß einer von den
oberen Zehntausend begraben werde
Da war Alles.
Bereits am Taae nach der Beerdigung
war Elisabeth wieder in SonSburg.
Der Frühling zog m das ano unv
schüttelte seine Blüthenpracht über das
selbe auS; er ging wieder, der Sommer
kam und leine Strablen reiften die
Früchte, auch er zog dahin, der Herbst
färbte das aud, und mazl lange meor
währte es, da hüllte der Winter seine
weiße Decke um die Erde.
Um diese Zeit litt eS die Gräfin nicht
mehr in der großen Einsamkeit SynS
buras: e fühlte fich in der sterbenden
Natur unsaabar Verlagen, fie wollte
Menschen sehen, ihr Gedränge und Ge
woge beobachten; sie kam nach Berlin.
Einige Wochen vor Weihnachten war es,
alS fte eintraf und ihr mm ne vom
Bahnhose in der Equipage abholte.
-Seien sie willkommen. Elisabeth!"
sagte er mit derselben ruhigen, kühlen
Stimme, die ihr von ihrem yoqzeiiS'
tage noch immer in den Ohren klang.
3 eS Ihnen zu ill in ssonsourg ge
worden?"
Sie neiate bejahend den Kopf. Er
aber fraate und saate nichts mehr.
Der Weknachtsabend kam. Hell
flammte der Christbaum, und reiche Ge,
schenke hatte der Graf für seine Gattin
darunter gelegt.
Sie dankte ihm und dann gav tie lym
ein kleines Päckchen, welches fie in der
Hand trug.
?br Kammerdiener." sprach fte da
bei, sagte mir vor einiger Zeit, daß
Ihre Aktenmappe sehr schadhaft fei.
Ich habe Ihnen hier eine neue gestickt
vielleicht gefällt
Ihnen das Muster " i
Einen Blick warf der Graf auf da,
Geschenk; dann machte er eine rasche
Beweouna aus die iuaendlich schöne
Frau zu, und eS klang etwas wie tiefe
Rührung durch feine sonst so kühle
Stimme, al er rief: ,
Elisabeth!"
Und in diesem Augenblicke, da er die
zierliche Stickarbeit in der Hand hielt,
wollten ihn alle die kostbaren, gold
blitzenden Geschenke, die er sür seine
Gemahlin gekauft hatte, wie ein leeres
Nichts bedünken.
Tiefe Stille herrschte wieder im Zim
mer. Und die Tannennadeln knisterten
geheimnißvoll, und auf ihrem Dunst
zog der Geist der Weihnacht lautlos nach
Engelweise durch das Gemach. .
.Wollen Sie nicht ein Weihnachtslied
auf dem Flügel spielen?" fragte er nach
langem Stillschweigen.
Sie ging zu dem Jnnrumenr.
Leise erst klangen die Akkorde, dann
wurden fie,oller und kräftiger.
O Du fröhliche o Wu enge, gna
denbringende Weihnachtszeit !"
Aber wie kam e nur? bald
gingen die jubelnden Töne der uralten,
süßen Weihnachtsmelodien über in kla
gende Weisen, und eS schien dem ein
samen Manne unter dem Tannen
bäume, als klinge e darau hervor, wie
verlorenes Hoffen, todtes Glück
Jäh brach die Spielende ab.
Fast erschrocken sah der Graf auf.
.Ich danke Ihnen, Elisabeth!" saate
er dann leise.
Sie fuhr st mit der and uver vie
Stirn.
Ich bin müde. Otto' und ich möchte
zur Ruhe gehen!"
Er führte igre Hand an leine ippen.
.Gute Nacht!" ,
Elisabeth blieb den Winter über in
Berlin: ihcm Gatten sah fie indeffen
nur beim täglichen Diner, oder wenn
fie, nach Ablauf ihr Trauerjahre,
mit ihm eine Gesellschaft besuchte. Er
sprach dabei stet nur die allernothwen
digftm Worte, ruhig, höflich, wie
immer, seit fte txtveirattjet waren.
Eine TageS sagte er beim Mltiag
ff,ni. . , ....
.Sie äukmen neuuai oen wun cn,
Elisabeth, wieder einmal eine Oper zu
hören! Ich habe zu morgen eine Loge
bestellt "
.E ist sehr fteundlich von Ihnen"
Kreutzer .Nachtlager von Gra
nada" wird eben "
.Die Oper wird sür mich Novität
sein; ich habe sie noch nicht gehört. Ich
freu mich darauf
Am Abend fuhren Beide in da
Opernhaus. Kreutzer' einfache und
keusche, darum aber so mächtig ergrei
sende, romantische Weisen machten einen
tiefen Eindruck auf fie. Da große
Duett zwischen dem Prinz Regenten
und Gabriele kam; mit klangen die ent'
zückenden Melodien der Arie:
.in Schütz bin ich in de Regenten
Sold,
In Deutschland Saum steht mein Ah
nenM!
.Schmiegt sich die Taube schmeichelnd
an xua an.
Denk' auch zuweilen an den JägerS
mannr
Und dann die köstliche Liebesscene:
Dein Blick, mir zugewendet,
War Blitz und Schlag zugleich "
Unwillkürlich sah bei diesen Worten
der Graf seine Gattin an. Ihr Auge
stand voll Thränen. ' - -
,Wa ist Ihnen, itadeti) r irag
er.
Mich blendet da! Licht!" üiervö
zitternd zog ihre Hand die Vorhänge der
Loge zu.
Wollen Sie ,n die frische uttr
Nein nein ich danke!"
Haben Sie etwa irgend einen
Wunsch, Elisabeth? Befehlen Sie über
mich!" .
Und rauschend und voll tönte eS von
der Bühne her, und jubelnd hallte es
auS dem Orchester, die wundersame,
liebliche Weise: ,
Dein Blick, mir zugewendet,
War Blitz und Schlag zugleich "
Als die ersten armen Frühlingstage
in das Land zogen, reifte niaveiy
wieder nach Sonsburg. Ihr Gatte
blieb in Berlin; für den Sommer hatte
ihm sein Arzt den Gebrauch eines See
bades verordnet.
Kurz bevor er dorthin aufbrach, traf
ihn ein Brief Elisabeths, der ihn auf
das Höchste überraschte. Eine Bitte
habe ich" so hieß eS darin die
vielleicht von der tiefsten Bedeutung für
Unser Beider Leben ist. Entfernte Ver
wandte von mir find gestorben und ha
ben ein vierjähriges Töchterchen, Toni,
Hinterlagen, ein reizendes Kind, wel
cheS nun verwaist in der Welt dasteht.
Da möchte ich mich nun gern des Md
chenS annehmen; vielleicht wird eS
Sonnenschein in mein Leben bringen,
und ich möchte Sie fragen, Otto, ob
Sie Ihre Einwilligung dazu geben,
daß ich die kleine Toni in unser Haus
nehme und für immer bei mir behalte."
Lange hatte der Graf sinnend über
diesen Brief gesessen; immer und
immer wieder hatte er die Zeilen gele
sen, bevor er selbst zur Feder griff und
antwortete :
Theure Elisabeth! Es ift ganz
selbstverständlich, daß Ihrem Wunsche,
die kleine Toni zu fich zu nehmen, Nichts
im Wege steht I Wie könnte tq es wa
gen wollen, Ihrem warmen Gefühl,
welches so lebhaft für die arme Waise
spricht, Schranken aufzuerlegen? Möchte
Ihnen das Kind recht viel Freude
machen! Nach Beendigung meiner
Badekur hoffe ich selbst auf ein paar
Tage nach SonSburg zu kommen, um
mir unsere kleine Hausgenosfin von
Auge zu Auge anzusehen und ihr bunte
Kiesel und schöne Muscheln vom Nord
seestrande mitzubringen. Leben, Sie
wohl bis dahin.
Otto Gras Llltzing."
Einige Tage darnach reifte der Graf
nach Norderney.
Mit der Ankunft der kleinen Toni
war für Elisabeth ein neues Leben an
gebrochen, ane fte sich visher gren
zenloS vereinsamt gefühlt, und hatte fie
geglaubt, daß es sür fte überhaupt kein
Glück mehr gäbe, so gab fie jetzt solchen
Gefühlen doch weniger Raum. Wenn
Toni mit den großen, fragenden Kin
deraugen zu ihr aufschaute, wenn fich
die kleinen Aermchen des KmdeS schme,,
chelnd um ihren HalS legten, wenn ein
frohes Lachen durch die weiten Räume
und die hohen Pompgemächer des alten
Schlosses SonSburg schaute, dann war
eS Elisabeth zu Muthe, IS ob der erste
FrühlingSstrahl nach langen, schweren
Wintertagen über die Felder husche und
auch in die Menschenherzen zu dringen
versuche. Mit banger Spannung und
doch wieder frohen Herzens sah fie dem
Tqge entgegen, an dem der Gras von
Norderne zurückkehrte.
Und dieser Tag kam. Elisabeth
hatte die ganze vorhergehende Nacht
kein Auge zugemacht, und tausend Mal
hatte fte ihren na vinuvergieinn iai
sen auf .daS kleine Bett, in welchem
Toni in tiefem Schlummer lag. Wenn
ihm da! Kind nicht gefiele. Freilich
sagen würde er ihr das nicht ; er war
zu feinfühlend, um ihr eine Freude zu
stören aber vielleicht fühlte er fich
dann noch mehr abgestoßen als bisher
und vermied es noch ängstlicher, mit
Elisabeth zu verkehren. Und wollte
nicht gerade sie Allem aus dem Wege
gehen, wa die Entfremdung zwischen
den beiden anen zu steigern geelgnel
wäre? - i
Und als der Morgen kam und Elisa
beth fich erhob, da trat fie leisen Schrit
teS zu dem noch schlafenden Kinde,
hauchte einen Kuß auf seine Stirn und
flüsterte:
.Möchte Deine Anwesenheit Allen
zum Segen gireichen V
In das Schloßportal herein rollte der
Wagm, mit welchem der Graf vom
Bahnhof kam. Elisabeth stand mit
Toni auf der großen Freitreppe vor
dem Schloß und trat ihrem Gatten
einige Stufen herab entgegen. Ueber
sein von den Strahlen der Sonne tief
gebräuntes eftchl hu mu ein Schein,
al er ihr entgegenkam und ihre Hand
an seine Lippen tudrte.
.Ich freue mich. Elisabeth." sagte er
dabei, wieder in der Heimath zu
ein !"
Und dann trat er. ohne ihre Antwort
abzuwarten, schnell aus da Kind zu.
hob e empor, schaute ihm einen Augen
blick in die Augen, und als Toni nun
ohne Scheu ihn kleinen, weißen Arme
um seinen HalS schlang, da drückte er
einen Kuß aus ihre Stirn. . Dann
wandte er fich, da Kind bei fich behal
tend. und Elisabeth den Arm vielen,
zum Eintritt in da? Schloß. ,
ms ift also un er kleiner Antomm
ling?" meinteer.
Man war in daS Zimmer getreten.
Ich bin Ihnen sehr dankbar,
Otto," sagte Elisabeth, daß Sie mir
erlaubten, das Kind in unser Haus zu
nehmen!"
Er verneigte fich.
ES hätte dazu überhaupt keiner
Frage Ihrerseits bedurft, Elisabeth!
Ich freue mich, wenn Sie Gefallen an
dem Kinde finden I"
Er ließ sich aus einen stuhl nieder
und nahm dann das Kind auf seinen
Schooß. '
Ich habe Dir mancherlei mitge
bracht," sagte er kosend, bunte Steine,
mit denen Du spielen kannst, und schöne
Muscheln "
Toni klatschte in die Hände.
- Dafür will ich Dich auch recht lieb
haben !" rief fie jubelnd. .
Und wieder schlang fie ihre Aermchen
um seinen HalS.
Gerade so lieb wie die Mama will
ich Dich haben," setzte fie hinzu, als er
mit seiner Hand über ihr reiches Haar
fuhr.
Er warf einen Blick auf Elisabeth.
DaS Kind hat Sie, wie e scheint,
schnell in ' sein Herz geschloffen !"
meinte er.
Man kann fich ja die Liebe der Kin
der so leicht erwerben !" gab fie enö
thend zurück. -
Ich bin," fuhr er-fort. oft mit
meinen Gedanken in Sonsburg gewesen
und sah Stfi.m Geiste mit Ihrem Ilev
nen Liebling lachen und scherzen "
Haben Ihnen die Zerstreuungen de
Seebades nicht die Zeit zu solchen Ge
danken genommen?" fragte sie.
Im Gegentheil," war die Antwort,
unter jenen vielen Zerstreuungen
sehnte ich mich doch oft hierher, in diese
stille Waldeinsamkeit SonsburgS oder
auch wohl in mein Arbeitszimmer in
Berlin!"
Seine Worte klangen wieder so kühl
wie früher; es war Elisabeth dabei, als
wehe ein kalter Wind durch das Zim
mer. An SonSburg, an fein Arbeits
zimmer hatte er gedacht und fich danach
gesehnt seiner Gattin erwähnte er
mit keiner Silbe
ES war am Tage darauf, als der
Graf von einem Spaziergang in das
Schloß zurücklehrte. Durch das Busch
werk hindurch, deffen Laub in allen
Farben spielte, sah er das Kleid Tonis,
die am Teich zu spielen schien. Er
wollte fich unbemerkt heranschleichen und
daS Kind überraschen
Plötzlich ertönte ein gellender Schrei;
mit einem Sprunge war der Graf am
Teich, und was er geahnt hatte, als er
den Schrel hörte, sah er erfüllt Toni
war auf irgend eine Weise in den Teich
gestürzt. Schnell entledigte er ftch n
ne? Rockes, sprang nach, faßte das be
reit? sinkende Kind in seinen Arm und
kam glücklich zum User zurück.
Das ganze Werk war so schnell vor
fich gegangen, daß der Graf bereits auf
dem Wege zum Schlöffe war, als ihm
angstvoll die Hüterin Tonis entgegen
trat, die ebenfalls jenen Schrei gehört
hatte und nun das Kind suchen wollte.
Beruhigen Sie fich, Frau Holder
sagte der Graf, eS ist nichts Schlim
meS! Ein kaltes Bad. das hoffentlich
keine weiteren Folgen hat!
Ein Diener eilte voraus in das
Schloß; er wollte der erste fein, welcher
der Gräfin die Kunde von dem Geschehe
nen brachte.
Und als der Graf, immer noch das
Kind auf dem Arm, um welches er fein
Oberrock geschlagen hatte, in daS Schloß
trat, da stürzte ihm Elisabeth angstvoll
entgegen: ,
Otto!"
Eine glühende Leidenschaft lag in
diesem Wort,' eine Leidenschaft, die,
lange zurückgehalten, nun doch die
Schranken durchbrach.
Er stutzte bei diesem Ton. Hatte er
in diesem Augenblick in dem Herzen
seiner Gattin gelesen?
ES ift Nichts, Elisabeth!' sagte er
wärmer IS sonst. ES ift Nichts!"
Bringen Sie mir das Kind zu Bett,
ich werde nach dem Arzt schicken! In
einigen Augenblicken bin ich wieder bei
Ihnen ich ziehe mich nur um!
AIS gegen Abend der Ar tm'&ituotte
eintraf, fand er daS Kind stark fiebernd
und machte ein bedenkliches Geftcht.
ES wird eine Lungenentzündung
geben!" meinte er, verordnete einige
Medikamente und schied mit der Bitte,
ihn holen zu laffen. wenn man seiner in
der Nacht noch bedürfen sollte.
Der Arzt war sehr ernst !' flüsterte
Elisabeth.
.Eine Lungenentzündung ist nie leicht
zu nehmen," entgegnete er. .Am aller
wenigsten bei einem so zarten OrganiS
muS, wie dem eine Kindes!"
.Otto, wenn wenn ,
ich wage den Gedanken nicht auZzu
sprechen "
Er hatte fie auch ohnedies verstanden.
Er sah ihr in die Augen und sagte in
warmem Ton:
.Warum gleich an daS Schlimmste
denken. Elisabeth t"
.0 mein Gott, wenn wenn eS
nun doch einträte?"
.Hoffen wir S nicht!"
.Toni war mein Glück, seit fie bei
mir ift! Ich habe sonst ich aus der
Welt!"
Er hatte ihre Hand gefaßt.
.Nichts. Elisabeth?" fragte er. und
ein leiser Vorwurf lag in seinen Vor,
ten. .
Sie sah zu ihm auf, aber fie entgeg
nete kein Wort.
Er sllhrte ihre Hand an seine Lippen.
Ich glaubte auch, Elisabeth, daß
ich Nichts hätte auf dieser Welt, glaubte
eS bi heute, wo ich eines Andern be
lehrt worden bin!"
Er erhob sich rasch.
Ich bitte Sie, mich jetzt zu entschul
digen, Elisabeth! Ich werde wahr
scheinlich morgen früh telegraphisch nach
Berlin berufen werden und ich muß für
diesen leicht möglichen Fall noch einige
Vorkehrung treffen. Wenn Sie mei
ner bedürfen, Elisabeth, so wissen Sie,
wo ich bin."
Er ging.
Am andern Morgen mußte der Graf
in der That nach Berlin; er versprach
am Abend de nächsten Tages zurua
zusein.
ES ist heute viel Gefahr vorhanden,
sagte der Arzt an diesem Tage, ich darf
Ihnen die Wahrheit nicht verheh
len. DaS Fieber ift außerordentlich
stark! -
Eli abeth sank wortlos in einen es
sel, ihr Geficht mit den Händen be
deckend.
bin bald wieder zurück!" fuhr
der Arzt fort. Setzen Sie nur die
EiSumschläge energisch fort!"
Und dann war Eli avelv allein im
Zimmer und legte mit zitternden Hän
den dem kleinen Patienten EiSumschläge
auf. Angstvoll sah fte dem mbe m s
Gesicht, ob sich nicht die lieben, milden
Klnderaugen öffnen wollten, aber fte
blieben geschlossen, und daS dumpse
Röcheln, welches aus der Brust des
Kindes drang, konnte kein Trost für die
zitternde ffrau am Ben ein.
feie orte es nicht, wie leise vie Tyur
geöffnet wurde und der Graf im et e-
anzug eintrat. Er blieb stehen, und
seine Augen hasteten auf Elisabeth. Er
hörte fie tief aufschluchzen und leise
flüstern:
Stirb mir nicht, mein süßes Kind!
Du bist ja mein Alles, Alles! Wenn er
ja, wenn er mein wäre. "
Tief sank ihr Houpt, auf ihre Brust.
Leise trat dler Graf heran, er legte
seinen Arm um ihren .Nacken.
Elisabeth!" ,
Sie schrie laut auf.
Otto!"
Ich bin etwas früher zurück, als ich
anfänglich glaubte! Ich habe Sie über
rascht!"
Er wollte noch etwas hinzusetzen, aber
da stöhnte plötzlich das Kind laut auf,
ein Zittern ging durch den zarten Kör
per, dann lag es ganz still.
Athemlos und entsetzt beugte fich Eli
sabeth über das Bett.
Toni!"
Das Kind rührte fich nicht.
Toni! Toni! Um Gotteswillen
OUg fie ift todt!"
Der Graf fand keine Worte zur Ent
gegnung, aber auch er wußte, daß an
diesem Krankenbette Alles zu Ende war.
Er nahm ein Taschentuch und wischte
dem todten Kinde den Schweiß von der
Stirn.
Ein großes Stillschweigen entstand;
Elisabeth schluchzte leise üb die Leiche
des Kindes.
Endlich nahm er das Wort :
Ich sühle Ihren Schmerz mit Jh
nen. Elisabeth!"
Mein Herz ift leer geworden mit dem
Tode dieses Kindes!" flüsterte sie.
Er trat dicht an sie heran und nahm
ihre Hand:
Geben Sie mir eine Stelle darin ?"
Sie sah zu ihm auf.
Otto!" Unsagbare Wonne klang aus
diesem Ausruf.
Willst Du. Elisabeth?" fragte er
wieder. Laß mich versuchen, ob ich
Deinen Schmerz um die kleine Todte
lindern kann!"
Stumm neigte fich da Haupt, wel
cheS er an fich zog. Ein heißer Schauer
überflog ihren Körper, als er einen Kuß
auf ihre Lippen drückte
In der Nacht kam der Arzt noch ein
mal. Er konnte nur den Tod des Kin
des feststellen. Als er ging, sagte er zu
dem alten Haushofmeister: ,
Ich glaube, Sie können Ihre Herr
schaft gratuliren! ES will mir scheinen,
al ob fie erst heute ihre Ehe geschloffen
habe!"
Der Alte nickte nd lächelte nur be
deujsam
ine kaftbaxe Bude.
Als König Georg der Zweite von
England (1727 bis '176) einst im
Hydepark zu London spazieren ritt, be
gegnete ihm ein Soldat, der tapfer in
der für die Franzosen unglücklichen
Schlacht von Dettingen (1743) unter
ihm gefochten hatte.
Da der König diese wackeren Krie
gerS fich erinnerte, so redete er ihn
freundlich an und fragte schließlich, b
er vielleicht einen Wnnsch habe, den er
ihm erfüllen könne. Der Soldat erwi
derte beglückt: wenn der König die
Gnade haben wolle, seiner grau, welche
am Eingange de HydeparkeS Obst feil
halte, den betreffenden Platz erb und
eigenthümlich zu überlaffen, so würden
sie beide hocherfreut sein, weil sie dann
eine ständige Holzbude dort errichten
und ihr Obstgeschüft vergrößern kinw
ten.
Georg der Zweite gewährte die Bitte
deS Soldaten für den Platz, aus web
chem seine Frau ihren Obftftand hatte,
Dort wurde nun die hölzerne Obstdude
erbaut, und da die Lage am Eingang
de vielbesuchten Parke sehr günstig
war. erwie mit der Zeit da Geschäft
fich so einträglich, daß die rührigen Leute
wohlhabend dabei wurden und ihren
einzigen Sohn RechtSwiffenschaft studi
ren laffen konnten.'
Viele Jahre vergingen. Georg der
Zweite war bereit gestorben, wie auch
sein alter Waffenbruder au der Schlacht
bei Dettingen ; die Holzbude der alten
Obsthändlerin der stand nach wie vor
am alten Platze, wo die Frau, wie frü
her, Obst feilhielt. Dieser schöne Platz
aber gefiel dem Lordkanzler von Eng
land, und der Schenkungsurkunde
Georg des Zweiten nicht achtend ließ
er ohne weiteres die Bude abreißen und
an ihrer Stelle den Grundstein zu einem '
Hau legen.
Die alte Obsthändlerin wagte nicht, !
einem so mächtigen Herrn sich zu wider
setzen, sondern begab fich erschreckt zu
ihrem Sohn, der, inzwischen RechtSan
walt geworden, als kluger Jurist ihr
rieth, den einflußreichen, rücksichtslosen
Man vorerst ruhig weiterbauen zu las ,
sen. Später wolle er ihr dann schon zu
ihrem Recht verhelfen. , ,
Nachdem der Bau vollendet war, er
schien der Anwalt im Namen seiner
Mutter bei dem Lordkanzler und ersuchte
ihn um Entschädigung sür diese, indem
er die Schenkungsurkunde vorlegte. Da
die Forderung rechtlich begründet war,
erbot der Lord fich. der Obsthändlerin
eine namhafte Entschädigungssumme zu
bezahlen, die der Anwalt aber zu seinem
großen und unangenehmen Erstaunen
zurückwies, indem er eine Jahresrente
von 400 Pfd. Sterling (000 Mark)
für seine Mutter und deren Erben als
Grundzins" beanspruchte. Im Falle
einer Weigerung möge seine Lordschaft
ruhig daS erbaute Haus wieder entfernen
lassen, da feine Mutter durchaus keinen
Gebrauch davon machen könne.
Was thun ? Der Lordkanzler von
England mußte schließlich zur Strafe
sür seine brüske Voreiligkeit wohl oder
übel in den sauren Apfel beißen, und
bis in unsere Zeit hinein noch hatte das
betreffende Haus den Nachkommen der
Obfthändlerin 800 Mark im Jahr an
Grundsteuer zu entrichten.
Der
eiserne Birnbaum",
Wahrzeichen echt'.
da
sieht nahe an der Chaussee VechtaLang
förden, etwa 2 Km. von Vechta ent
fernt, auf einem kultivirten Grundstücke.
Der Bauer aber wagt nicht, Hand an
ihn zu legen, obwohl derselbe feinen
Früchten schadet, sondern lenkt seinen
Pflug kreisförmig um den altehrwürdi
gen Baum. Das Alter des eisernen
Birnbaumes" läßt fich nicht genau fest
stellen, doch dürfte man dasselbe auf
nahezu 400 Jahre anschlagen dürfen.
Er wird nämlich schon in einer Urkunde
auS dem Anfange deS 17. Jahrhun
derts als eiserner Birnbaum" erwähnt.
Manche schlagen sein Alter sogar auf
500 Jahre an. Sodann läßt fich ur
kundlich nachweisen, daß am 13. Mai
1654 die Schweden beim Abzüge au
Beqta noch einmal aus der Nahe
eisernen Birnbäume" die Stadt
schössen. Zwei dieser Kugeln liegen
davon noch heute an der Nordseite der
Kirche auf dem Gesimse. Später wurde
sodann der eiserne Birnbaum" durch
den Blitz total zersplittert, sodaß man
fürchtete, er möchte eingehen. Der alte
Stamm war allerdings sehr zersplittert,
aber seitwärts entwickelte fich ein Schöß
ling, der jetzt den eigentlichen Stamm
bildet und eine Höhe von etwa 2025
Fuß und einen Durchmesser von iz Fuß
erreicht hat. Der alte Stamm hängt
schräg über den Chausseegraben hinüber,
ift aber im Uebrigen völlig lebensfähig.
Die Frucht des eisernen Birnbaumes"
ist fteitihart und gänzlich ungenießbar.
elehrin,erstrtheit.
In einem Nekrologe über den 1868
zu Jena verstorbenen Professor Schlei
cher war unter Anderem folgende be
luftigende Anekdote zu lesen:
Eine Tage erschien Schleicher im
Kolleg, nicht wie gewöhnlich in seinem
grauen, bis an den Hals zugeknöpften
Anzug, sondern in schwarzem, offenem
Oderrock; al er aber feine Hefte auS
der Tasche ziehen wollte, waren sie nicht
darin. Er entschuldigt fich und bittet,
einen Augenblick zu warten er werde
in zehn Minuten wieder da sein und
eilt weg. Zu Hause angekommen,
nimmt er zunächst die Hefte auS der
Tasche deS grauen RockcS und steckt sie
in den schwarzen; dann aber denkt er:
Du kannst auch gleich die Röcke wechseln,
zieht den grauen an. läßt aber natürlich
die Heste in dem schwarzen ftecken. So
erscheint er zum zweitenmal ohne die
selben im Kolleg, bemerkt hin mit
großer Bestürzung seine Zerstreutheit
und entläßt dann, nachdem er den tragt
schen Hergang erzählt hat, seine Zu
Hörer, deren Heiterkeit man sich denken
kann, bi! zum folgenden Tage.
Zrenndschaft.
Daß wahre Freundschaft fortbesteht.
Ja, daß fie nimmermehr vergeht.
Der Satz ift hm Zweifel wahr!
Denn, wenn ein Freund auch manches
3br,
Um Dich bekümmert nicht hat fich.
Wenn er wa braucht er findet Dich.
Linnixruch.
Die Trefflichsten müssen weiterftreben.
Wa man nicht nützt, wird zum Ber
tust,
Der steht nicht ganz und voll im Leben,
Der nur auf dem Bergang'nen fußt!
Xö.
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