Nebraska Staats-Anzeiger. (Lincoln, Nebraska) 1880-1901, November 12, 1896, Image 9

Below is the OCR text representation for this newspapers page. It is also available as plain text as well as XML.

    N
A
Das Weib des vandiien.
Po Hcrrman Sciiirit.
Einig Meilen von Neapel gelangt
man an einen HUgel, der zwar nicht
sehr hoch, aber dicht mit Strauchmerl
überwachsen ist, so daß er von ferne
fast wie ein ansteigender Wald aus
sieht.
Ungesabr im Mittelpunkte diese
Hügels befindet sich eine sehr tiese und
geräumige Höhle, deren Eingang eben
falls ganz von Gestrüpp verdeckt und
kaum so breit ist, daß ein Mensch durch
zuschlüpfen vermag.
Diese Höhle war nun aber der Zu
fluchtsort einer berüchtigten Banditen
rotte, die das Land ringsum denn
ruhigte, die Reisenden ermordete, die
reichen Abteien zerstörte und oftmals
den wachsamsten liZensdarmen Trotz bot
und ihnen ein Schnippchen schlug, wenn
sie schon dachten, endlich einen glück
lichen Fang zu machen. Genug diese
Bande war so kühn und verschlagen,
daß die Neapolitaner, wenn sie Abends
am Feuer beisammen saßen, sich die
schaudervollsten Geschichten von ihren
Wagnissen erzählten. Und thatsächlich
war cS niemals einem Schergen gelun
gen, sich auch nur eines Einzigen der
Banditen zu bemächtigen. Und da sie
unter einander den Schwur geleistet
hatten, durch Aufnahme neuer Glieder
ihre Familie nicht zu vergrößern, so
vermehrten sie sich nur durch Geburten
innerhalb ihres geschlossenen Kreises,
verminderten sich aber allmülig durch
häufigere Todesfälle so sehr, daß
schließlich nur noch ein einziger Räuber
mit seinem Weibe und seinen beiden
Kindern von der ganzen Truppe übrig
geblieben war.
Dieser Mann, mit den Seinigen
nunmehr alleiniger Besitzer der Höhle,
nannte sich Ullo-Guru. Er war unge
-fähr vierzig Jahre alt, befaß pechschmar
zes Haar, ein im Gegensatz hierzu uns
fallend bleiches Antlitz, Kühnheit sonder
Gleichen und, was das Schlimmste war,
einen wütbenden Barbarismus. Man
erzählte sich die ungeheuerlichsten Legen
den üöer ihn; schon als Knabe sollte er
seine Jugendgespielin, ein herrliches,
schönes Mädchen, jählings mit seinem
Dolch erstochen haben, nur weil sie einem
Andern, als ihm, einen bedeutungsvol
len Blick zugeworfen hatte. Das Mor
den war überhaupt feine Lieblingsbe
schäftigung. ES verdroß seinem furcht
baren Auge, etwas Ledendes zu sehen,
und nur seine Kinder verschonte der Un
mensch. AIS der troglodytische Räuber
sich immer mehr vereinsamt fühlte, sing
auch seine mörderische Beschäftigung an,
ihn zu langweilen, und er führte seit
dem mehr und mehr ein zuruckgezogc
nes, beschauliches Leben; denn die Beute,
welche er während der Reihe von Jahren
selbst gemacht und von den verstorbenen
Genossen geerbt hatte, reichte hin, ihn
bis an sein Ende zu ernähren. Mit
Hülfe pfiffig Berstellungskunst wußte
er sein schreckliches Rüuber-Exterieur zu
jeder Zeit in ein ganz unverdächtiges zu
verwandeln, und in solcher Gestalt
tauchte er plötzlich ungesehen irgendwo
auf öffentlichem Markte auf. versorgte
sich mit Lebensmitteln und verschwand
wieder unbemerkt.
. Das währte Jahre lang, und die
Gensdarmen hatten ihn längst vergessen.
Ullo Äuru wiegte sich immer mehr in
Sicherheit und verließ eines Tages, als
ihm das Pulver ausgegangen war, in
Begleitung feine? Weibes Oriella, früh
Morgens sein Versteck, und zwar ohne
jede Verkleidung, ganz leck die doppel.
läufige Flinte über dem Rücken und
furchtlos das dichte Gehölz durch
querend. Als er am Saume desselben
angelangt war, machte er Halt, schickte
sein Weib nach der Stadt, um für
andern Bedarf zu sorgen, und versprach
ihr, sie an dieser Stelle wieder erwarten
zu wollen. Der ehemalige Räuber
schweifte nun umher, um einen Jäger
oder Wilderer zu erspähen, den er er
schießen und ihm sein Puiverhorn ad
nehmen könnte.
Da erblickte er auf der Landstraße
eine Staubwolle, und sein scharfes
Auge erkannte deutlich die Umrisse von
Bewaffneten, die ihre Richtung geraden
wegS auf das Gehölz zu nahmen.
Gut. laate UllGuru vor sich hm.
indem er kaltblütig seinen Carabiner
von der Schulter nahm, die weroen
Pulver fiir mich haben."
lind als die Gensdarmen, die effcn
bar ausgezogen waren, auf einen andern
Uebelthätcr, IS ven langn oeigeenr,n
Räuberhauptmann, Jagd zu machen,
sich in Schußweite befanden, wurden
auch sofort zwei von ihnen todt zu
Boden gestreckt. Ullo-Guru's Gewehr
traf gleich mitten durch'S Herz.
Der Verfolger waren aber noch drei,
und da dem großen Räuber leider das
allerletzte Pulver ausgegangen war mit ,
den beiden abgegebenen Schüssen, so
n,it, n tick verstecken. Er ward nach
drucklicher bedrängt und verfolgt, als
er erwartet hatte. Wie ein Fuchs mußte
.t fi hnnft hie Gebüsche drangen, da
die Verfolger ihm ftetS auf den Fersen
saßen und geschworen halten, blutige
Rache für ihre getödteten Kameraden zu ,
nehmen. Unaufhörlich den Athen, an j
haltend, schleichend und im Stillen die
Blätter verfluchend, die unter und neben j
ihm rauschten und gestreift wurden,
schlich er von Busch zu Busch.
Zumeuen yorie er, wie r
me die Beste xrdrachen. die ihn der
rqen hielten, dann erviiaie 'eine
.'iolaer aar selbst, und einmal tauch
en ihre rothen anist nur wenige
Schritte weit von ihm auf. Endlich.
Vü
Jahrgang 17.
nach einer dreistündigen Angst, gelangte
er zu einer Höhle. Doch es daueite
nicht lange, da erschollen schon wieder
die Schritte und die Verwünschungen
der Gensdarmen, und ein vielfältiges
Echo raunte dem Einsamen die Gefahr,
seines LebenZ um so grausiger in's
Ohr. Einmal schien es, als entfernten
sich die Schergen wieer, als wenn sie
die Spur verloren härten, gleich daraus
aber v rnahm der Umzingelte wieder
ihre Stimmen und Fußtritte. Der
Eingang zu der geheimnißvollen Höhle
war so versteckt, daß sein Bewohner so
gnt wie sicher sein durfte, der Gefahr
entronnen zu sein. Nur für sein zu
rückkehreiides Weib fürchtete er noch.
Minuten waren wieder ergangen.
Die Gensdarmen schienen sich ent
fernt zu haben. Ebenso gut mochten
sie aber auch in unmittelbarer Nähe
lauern und sich absichtlich still verhalten.
UlloGuru lauschte, sein Ohr war noch
schärfer als sein Auge, und er würde
den leisesten Athemzug eines im Hinter
that befindlichen Lebewesens gehört
haben. Alles war ruhig.
Da, plötzlich ein knisterndes Geräusch.
UlloGurn hielt den Athem an und
horchte wie ein Luchs. War es ein
Scherge oder sein Weib, was sich in
einige Entfernung, seinem Auge unent
deckbar bewegte?
Mit einem Male begann der kleine
Jambo, der seit langen Stunden nicht
gestillt worden war, nach der Mntter
Brust zu schreien, und zwar so hestig,
daß es nicht möglich schien, ihn anders
als durch Nahrung zu beruhigen.
Und nun hörte Ullo Guru während
der kurzen Pausen des kindlichen Jam
mergeschreis wieder die verdächtigen Ge
räusche der Spürer.
Der schreckliche Räuber flucht ingrim
mig in sich hinein, und der Todesschweiß
tkatihmuf-keStirox"',.dieser"Blq
wird mich und diesen Schlupfwinkel
verrathen !"
Er lauschte mit Anstrengung aller
Nerven, aber das Geschrei seines Kindes
übertönte das auffälligste Geräusch
außerhalb der Höhle. Ullo-Guru ver
schließt mit eiserner Hand den kleinen
Mund des Kindes und nun hört er,
wie die Gensdarmen ganz nahe schon
am Eingange sind. Noch können sie die
Oeffnuiig nicht entdeckt haben, aber
jeden Augenblick kann es geschehen.
Die krampfhaften Bewegungen des
armen kleinen Jambo sind so heftig,
daß er, schon halb erstickt, den Mund
unversehens wieder befreit hat und nun
mit doppelter Gewalt in das zuruckge
drängte Geschrei ausbricht. Da ergreift
derwildeRäudersmann den Knaben voll
jäher, qualvoller Wuth und schleuderte
ihn mit heftiger Kraft gegen die Fels
wand, daß die feinen Gliedchen wie
Glas zerschellen.
Seine bebenden Lippen stießen einen
wilden Fluch aus da noch zuckt die
kleine Leiche tritt Ullouni'S Weib
in die Höhle.
Sie hatte das Gehölz voller Sbirren
gefunden und sich bis jetzt verborgen
halten muffen. Das verdächtige Ge
räusch, das Ullo Guru veranlaßte,
kurzer Hand sein Kind zu zerschmettern.
rührte nicht von den Verfolgern her,
sondern von Jambos Mutter.
Sie brachte Nahrung sür den Knaben,
nun war's zu spät. Sie hatte nur noch
den letzten Ausschrei des kleinen Ge
schöpschens vernommen. Mit stierem
Blick stand das Ungeheuer von Vater
vor ihr. Oriella schmieg. Einige
Sekunden starrte sie auf die blutrünstige
kleine Leiche, dann verließ sie die Höhle,
stumm, ganz stumm.
Vor dem hohen Rathe von Neapel er
schien noch am selben Tage ein bleiches.
armselig gekleidetes Weib. Ihre Augen
glänzten und ihre Nasenflügel vibrirten.
.Wer seid Ihr, und was wollt Ihr?"
fragte man sie.
Wer ich bin, mag Euch gleich sein,"
antwortete sie mit sicherer Simme.
.Was ich will? Euch Ullo . Guru aus
liefern, den letzten Rauber, der in
der geheimnißvollen Höhle bei Neapel
haust.'
.Wie? Ullo Guru. den wir langst
wie die Andern verschollen glaubten
er lebt noch ?"
.So lange ich ihn nicht verrathe.'
Und wie kommt Ihr dazu, ihn zu
verrathen, seid Ihr sein Weib?'
Er ist ein Ungeheuer ich bin nicht
sein Weib.'
.So ist eS auch wohl Ullo-Guru. der
zwei unserer besten Gensdarmen heute
früh getödtet hat?' i
.Er wird eZ sein, und er würde'
vielleicht alle seine Bersolger getödtet
haben, wenn er noch Pulver gehabt1
hätte.'
.Und Ihr wollt unS die verborgene
Höhle verrathen?' j
.Ja, das will ich. Und sogleich.'
.Wird er Widerstand leisten '."
.Ich glaube nicht. Er wird sich be ,
rauscht haben, sowie er immer zu thun j
pflegt, wenn er gemordet hat.'
Sonntagsgast.
Beilage zum Nebraska Staats-Anzeiger.
Und Oriella führte die bewaffneten
Soldaten an den Ort dcö Grauens.
Als sie in die Höhle traten, fanden
sie den Räuber auf einem Steine sitzend,
den wiisten Kopf auf beide Fäuste ge
stützt, vor sich hinbriitend und seine ent
geisterten Augen aus den entseelten
Kindesleichnam heftend. Er war nicht
berauscht, diesmal hatte er seine Mord
tust nicht in feurigem Weine ertränkt.
Die Lust am Leben war ihm verraucht,
UlloGuru war zu Tode ernüchtert.
Ruhig ließ er sich ergreifen und fesseln
und leistete auch nicht mit einem Worte
Widerstand.
Sechs Tage später ward er in Neapel
hingerichtet.
Das Weib des Banditen blieb ver
schwunden, aber die Ungewißheit ihres
Schicksals beschäftigte noch lange das
Gespräch der Neapolitaner. Erst nach
Jahren hörte man wuder von ihr.
Viele Meilen von Neapel entfernt hatte
man ein Bettelmeib getroffen, das an
der Hand ein hübsches, kräftiges Mäd
chen führte und überall erzählte, sie sei
Oriella, das Weib des hingerichteten
Banditen Ullo Guru, und ihre kleine
Begleiterin sei Geta, ihr gerettetes Kind,
die Schwester des erbarmungslos vom
Vater zerschmetterten Jambo.
Man schenkte der armen, gebeugten
Frau überall Mitleib und reichliches
Almosen, bis die schöne, graziöse Geta
eines Tages von einer herumziehenden
Cirkus Gesellschaft ausgenommen und
zur Kunstreiterin ausgebildet wurde.
Ihre alte Mutter behielt sie bis zu deren
baldigem Tobe bei sich, sie selbst aber
ward schnell eine gefeierte Artistin, die
ihren Namen ebenso berühmt in Airo
baienkreisen machte, wie ihr Vater Ullv
Guru den seinigen berüchtigt gemacht
hatte.
' Line lvettfahrt.
Skizze mi3 dem ieitu von W, v, Zchierbrand
Mein Freund Paul Westenberg hatte
verschiedene Eigenthümlichkeiten. Er
war durch eifrige Energie, rastlosen
gleiß und ungewöhnliche Fähigkeiten
zu dem geworden, was er war Gc
schäftssllhrer einer großen westlichen
Ellenbahn. Niemand hatte ihm bei m
Aufstieg geholfen. Ohne Protektion,
ohne anderen Einfluß als den seiner
werlhvollen Dienste, war er im Alter
von 40 Jahren schon zu einer Stellung
gelangt, die äußerst verantwortungs
reich, schwierig und anstrengend war,
aber dasllr auch seinem Ehrgeiz volles
Genüge leistete und brillant besoldet
war. Niemand mißgönnte ihm den
Posten, denn er hatte ihn durch eigenes
Verdienst errungen und er füllte ihn
aus. Paul Westenberg hatte aber, wie
ich oben sagte, einige Eigenthümlichker
ten. Vor Allem hatte er sich die ein
fachen Sitten, die er von seinen deut-
schen Eltern geerbt, treulich bewahrt.
Er trug sich so einfach und lebte in
einer Weise überhaupt, als ob er höch
stens 815 die Woche verdiente, und
Abends ließ er sich einen Krug Bier
aus der Wirthschaft an der Ecke brin-
gen, ganz wie ein kleiner Spießbürger.
Er hatte eine einzigen Sohn, aber mit
diesem war er so strenge und verlangte
von ihm gerade so viel, als ob derselbe
einst seinen Weg im Leben unter dew
selben Schwierigkeiten sich bahnen
mülie, wie er selbst es gethan. Nie
mals auch schenkte er Jemand etwas
direkt was er gab, mußte auf diese
oder icne Manier verdient werden.
Dies war nicht Geiz bei ihm, sondern
Prinzip er glaubte, daß Gelchenke
nur schaden, Geber und Empfänger zu
gleich. Da traf ich eines Tages Albert,
seinen lljahngrn Sohn, freudestrah
lend auf der Straße, wo er ein fiin
kelndes. prächtiges Bicycle tummelte.
Er fuhr sein Rad mit großer Eleganz
und Geschicklichkeit, und man merkte
ihm an, daß er stolz darauf war. Ich,
der ich seines BaterZ Sparsamkeit und
auch seine Abneigung gegen Bkycles
kannte, die er für nutzlosen Lurus hielt,
war erstaunt und frug Albert, wie er
zu dem theuren Rade gekommen sei.
.Papa hat mirs geschenkl,' sagte er mit
glücklichem Lächeln. TaS wunderte
mich noch mehr, und als ich einige
Tage später Hrn. Weftenberg in einer
persönlichen Angelegenheit aussuchte,
nahm ich Gelegenheit, auf die Sache
zurückzukommen.
Ja,' bemerkte der Vater, und ein
Leucdten ging über sein ganzes Gesicht,
.ich habe das Rad thatsächlich meinem
Jungen geschenkt. Oder eigentlich die
Eisenbahn Compagnie. Merkwürdig,
nicht wahr? Ader hinter der Sache
steckt eine ganze Geschichte. Albert hatte
Nch ein Rad schon seit langer Zeit ge '
wünscht, aber sich nicht getraut, mir"
ttthig hflhnn in fn.irn r mein
Ansichten über den Punkt kannte. Reu
lich indeß kam er zu mir und bat mich.
ihm 830 zu leihen bis zum Herbst, zu
welcher Zeit er mir das Geld wieder
zurückzahlen zu wollen versprach. Na
türlich wollte ich miffen, wozu er das
Geld brauche. Und da kam'S denn
heraus. Er hatte sich aus seinem klei
nen Wochenverdicnst, den er bei mir
durch Abschreiben mancher amtlichen
Schriftstücke erhält, schon 830 zusam
mengespart und wollte das übrige
Geld, was ihm noch fehlte, um sich ein
schönes Bicycle zu kaufen, ebenfalls
auf dieselbe Weise zusammenbringen,
was ihm ungefähr ein Jahr genommen
Hütte. Da hatte er gerade jetzt eine
famose Chance, ein prächtiges, solides
Rad direkt aus der Fabrik zu einem
bedeutend reduzirte Preise zu kaufen,
und so wollte er sich bei mir die noch
fehlenden $30 leihen. Na, offen ge
standen, gern that ich's nicht, denn ich
hielt damals das Radfahren für ein
nutzloses Ding, aber sein Unterneh
mungsgeist und seine Energie, sich ganz
allein schon die Hälfte der erforderlichen
Summe erspart zu haben, imponirten
mir doch, und so that ich ihm den Ge
fallen, nachdem er fest versprochen hatte,
mir das geliehene Geld im Herbste zu
rückzuzahlen, Er gab mir seine $30
und ich schrieb ihm einen Check für den
vollen Betrag von $00, den er am selben
Tag noch fortschickte und bald darauf
das Rad erhielt."
Albert und Sie selbst sagten mir
aber doch, daß das Rad ein Geschenk
sei, ' warf ich ein, und die Geschichte
kam mir ganz alltäglich vor.
Allerdings darauf werde ich gleich
kommen," erwiderte Herr Weftenberg.
Also, Albert benutzte sein 'neues Rad
so fleißig während seiner Freistunden,
wie es ein enthusiastischer Knabe nur
kann. Und dann sparte er jeden Cent
auf, um die $30 bald zusammen zu
bringen. Aber ich mußte, es fehlte
noch etwas daran, und der Zahlungs
tag war schon beinahe da. Ich hatte
schon angefangen mich darüber zu
ärgern, daß Albert nicht Wort halten
würde. , Aber da kam das kleine Ereig
niß dazwischen, welches mich veranlaßte,
ihn persönlich dem Direktorium unserer
Gesellschaft zur Belohnung vorzuschla
gen, und welches außerdem meine An
sichten über das Fahren auf dem Bi
cycle bedeutend modiftzirte."
Nun. und Da war?"
Als Antwort schloß Hr. Westenberg,
dem inan in diesem Augenblick ganz den
glücklichen Vater ansah, eine kleine Kas
fette auf und entnahm derselben einen
schriftlichen Bericht, den er mir zur
Durchsicht überreicht.
Daraus ging Folgendes hervor:
Albert Westenberg hatte, während er
eine Spazierfahrt in der Umgegend der
Stadt machte, eine kleine Station, deren
Vorsteher er kannte, besucht und sich mit
demselben in ein Gespräch eingelaffen.
Während desselben pafsirte ein Fracht
zug das Geleise vor dem Häuschen. Der
Zugsührer nickte im Vorüberfahren dem
Stationsvorsteher, Pinckney, freundlich
zu. Im selben Moment aber bewegte
sich der Telegraphen Apparat, der in
der Ecke eines kleinen Büreaus stand,
und die Zeichen auf dem Streifen
Papier, das zwischen seinen Fingern
herausrollte, entzifferte, da wurde er
kreidebleich, sprang sofort auf und'
rannte vor die Station auf das Ge
keife, wo er dem eben voriibergefahrenen
Frachtzug nachblickte und in seiner Rich-
tung verzmeisclte Bewegungen mit den
Armen machte. Der Frachtzug indeß
entschwand im selben Moment seinen
Blicken, denn er fuhr um eine Biegung
herum, die sich neben einer kleinen An
Höhe hinzoz und die nun den Zug völlig
verdeckte.
Um Gottcswillen," schrie Pinckney,
das gibt ein Unglück Nr. 17 ist vor
einer halben Minute von Andersonville
fortgefahren und befindet sich auf dem
selben Geleise, wie der grachtzug vor
ihm.'
Nr. 17 war ein Erpreßzug, das
wußte Albert und die Bedeutung der
furchtbaren Worte, die sein Freund so
eben ausgesprochen, wurde ihm sofort
klar. Was thun?
Mit einer Geistesgegenwart, die weit
über feine Jahre ging, warf sich Albert
sofort auf sein Rad, das er gegen das
Häuschen gelehnt hatte, und fuhr davon
wie der Blitz. Pinckney blieb zurück,
sich den Kops mit beiden Händen bal
tend, wie Jemand, der den größten
Schmerz empfindet. Albert aber fuhr
darauf los, als ob er den höchsten Preis
bei einer Wcttsahrt gewinnen wollte.
Und eine Wettsahrt war'S in der That,
die er jetzt machte, eine Wettfahrt mit
dem Frachtznze, der vor ihm fuhr, jetzt
dem Auge nicht sichtbar und mit bedcu
tendem Borsprung. Aber der Knabe
hatte sofort an einen schmalen Pfad ge
dacht, der auer durch das Feld lies, eine
Halde englische Meile lang, und bet j
dann bei einer Böschung wieder ouf das '
Geleite flirt. Der Biad war beschwer,
lich und oft mit Steinen bestreut, aber!
No. 26.
Albert wußte, daß er um eine große
Strecke kürzer war, als der Weg, den
der Zug bis zu jenem Punkte zurückz
legen hatte, und auf diese Thatsache
hatte er seine Hoffnung gegründet, dem
Frachtzug den Rang abzulaufen und
rechtzeitig einzutreffen, um ihn vor der
drohenden Gefahr zu warnen. So flog
er denn auf dem Pfad dahin, die Augen
fest auf den Boden gerichtet, um den
Steinen mit seinen Rade auszuweichen,
und die Muskeln seines jugendlichen
Körpers auf'S Aeußerste anspannend.
Es dä uchte dem Knaben eine Ewig
seit, und doch war eS nur wenig über
eine Minute, als er richtig an jener
Böschung eintraf und sein Stahlroß
mit Plötzlichem Druck auf die Bremse
zügelte. Er starrte das Geleise entlang.
Eben kam der Zug angesaust, und hin
ter ihm noch eine ganze Strecke, don
nerte der Expreßzug eben an dem klei
nen Stationshäuschen vorbei, vor dem
Pinckney händeringend und schreiend,
aber vom Zugsührer unbeachtet stand.
Dem entgegenkommenden Frachtzug
aber brauchte Albert, abermals seine
Geistesgegenwart beweisend, das ein
zige Mittel, um ihn zum schnellen Hak
ten zu bringen. Er zog sein altes
rothes Taschentuch, das er zum Ab
reiben seines Rades in der Ledertasche
neben dem Sattel führte, schnell her
vor, steckte es auf einen im Felde liegen
den dicken Maisstengel und wehte mit
dieser so construirten Flagge kräftigst
und ohne Unterlaß. Der Zugführer
sah ihn auch und lachte, der vorderste
Bremser ebenfalls. Da deutete Albert
mit ausgestrecktem Arm auf den Ex
preßzug, dessen Rauchstreifen eben ficht
bar wurden, und die Leute auf dem
Frachtzug begriffen. Schnell hielten sie
den Zug an, und die beiden Bremser
auf dem hintersten Theile des Zuges
sprangen schnell herab und rannten das
Geleise entlang, dem donnernden Ex
preßzug entgegen, ihre rothen Flaggen
schwenkend.
Der Zug war gerettet. Der Zusam
menstoß vermieden.
Und das war der Grund, warum
Herr Westenberg in der nächsten Direk
torcnsitzung diese Angelegenheit zur
Sprache brachte und warum er seine
Meinung vom Bicycle geändert hatte.
Und als er seinen Sohn frug, welches
Geschenk er von der Eisenbahngesell
schajt am liebsten annehme würde, da
hatte Albert gesagt: Mein Bicycle."
Zerstreut.
Nroskstor Wenkbeim Ubie mit fpinpr
Gattin glücklich und zufrieden. Das
vciqeiocne isjiuct orte bisher lern A!,ß-
tnn. i5r nmr pin iptipr Wninrptt hip
in ihrem Beruf ihr Alles erblicken, und
,eme lrau, vermine, eine veqeioene
ruhige Gattin.
Seit einer Woche aber ging Wend
heim sorgenerregend herum. Sonst
nlflllderte et Mittnns hpi fifrfip in er
scherzte manchmal sogar, aber seit einer
Wollte mär er ,iumm, lyeiinaymsios
sür Alles, was um ihn herum vorging.
Seiner Gattin entging dies nicht,
und so oft fil mtfh in ibn pitlhvntlrt er
möge doch sagen, was seine Seele so
drücke, so war es doch vergeben?. Ihrer
Beobachtung war es nicht entgangen,
daß er manchmal starr vor sich hinblickte
uno oann aul,prang uno sorteille.
Sein Betragen wurde tüalicb be
ängstigender. EineS Tages saß er wie
der in Nackisn hprfiinfirn mif hpm
Sopha, sein Auge starr nach dem Boden
gerichtet. Hermine nahm an feiner
Seite Platz, und indem sie ihn zärtlich
streichelte, bat sie ihn innigst, er möge
doch sein Herz erleichtern 'und sagen,
warum er seit einiger Zeit so verändert
sei.
Wendheim faßte seine Gattin zärtlich
bei der Hand, und indem er ihr unruhig
in's Auge blickte, begann er :
Hermine, ich hatte es mir vorge
nominen, niemals sollte es über meine
Lippen kommen und doch eS muß
sein, denn ich bin nicht sicher, daß Dir
morgen die erstbeste Klatschbase Das er
zählt, was ich. Dein Gatte, Dir ver
heimlichte!"
Aber so sprich doch! Foltere mich
nicht noch länger ! Sei es, was es will !"
,Nun denn !' sprach er zitternd,
Heimine, mein Alles, verstoße mich
ich habe eine Andere geküßt !'
Wendgeim'S Gattin fuhr wie von
einer Tarantel gestochen empor. Tu
haft eine Andere geküßt?"
brachte sie, einer Ohnmacht nahe, her
vor.
Wendheim faß ruhig das Gesicht ver
bergend da.
So sage mir doch wenigstens wen.
wann, wo? Wenn eS schon ist so ge-
slehe mir ein. damit ich weiß, welche
mid) löcberlicd rnn.l'n tnirh " Kr
seufzte und nur mühsam sammelte er
10).
Ach ! Hermine, das ging so zu,' be
gann er, Du weißt, heut' vor einer
Woche, ja, es ist genau eine Woche,
machte ich die bekannte wiffenschast
liche Entdeckung ; ich war freudig er
regt, und als ich zur Universität gehen
wollte, begegne ich im Flur einer weid
lichen Person, wieso, warum, das weiß
ich nicht, kurz, ich fiel ihr um den Hals
und küßte sie ! Jetzt weißt Tu Alles.'
In Herminen's Antlitz leuchtete ti
auf. Im nächsten Moment lag sie an
seiner Brust, und indem sie ihn küßte,
tröstete sie ihn : Aber Paul, bist Du
zerstreut, die, die Du damals geküßt
yat, das war i ich !"
Marianne Brandt.
die vortreffliche Altistin der Berliner
Hokover. aastirte aleickieitia mit Albert
Niemann und Lilli Lehman in New
Bork und erntete viel Ehre und Tollars.
Marianne Brandt erhielt von einer Ber
liner Freundin z Weihnachten eine
Handarbeit in einem eingeschriebenen
Briefe, den sie sich von der Post abholen
sollte. Der Beamte verlangte don ihr
eine Legitimation ; sie aber trug weder
einen Brief, noch eine Visitenkarte bei
sich, durch welche sie sich als die preußi
scke Kammersängerin Brandt biitte au.
weisen können. Das könnte Jeder
sagen", sagte der Beamte, daß Sie
Marianne Brandt sind." Nun", sagte
die Künstlerin in ihrer originellen
Weise, ..sauen kann es liede aber be.
weisen nicht. Hören Sie mal gefälligst
zu und sofort ließ sie mehrere schmet
ternde Triller erschallen, so daß nicht
nur der Auslieferungsbcamte verwun
dert lauschte, sondern aucd die Tbllren
der benachbarten Büreaus sich öffneten
und ein ausmerkjamer Hörcrkreis sich
um ..unsere Marianne" sammelte.
Zweifellos find Sie die berühmte Sän-
aerin". bick es nun und der innpfAri
bene Brief war im nächsten Augenblicke
i lyren yanden.
Affenüberleguna.
Ein enaliscker Oberst, der sicb lanae
in Indien aufgehalten und dort einen
zahmen Affen besessen hatte, erzählt
Folgendes von ihn, : Eines Tages gab
ich dem Affen eine fest verkorkte Flasche,
in die ich vorher ein Stück Zucker gesteckt
hatte. Er war nun höchst possirlich, zu
sehen, welche Anstrengungen das Thier
machte, um zu dem Leckerbissen zu ae-
langen. Als alles nichts half, ver
schmähte er schließlich sein gewöhnliches
ffutter und zoa sicb mit der Zilascke, die
er mit den Zäbnen' und Armen nack
Kräften bearbeitet, in seinen Schlaf
Winkel zurück. Dabei geschah es nun,
daß er bei einem seiner tollen Sätze ein
auf einem Tisch stehendes GlaS mit ein
gemachten Bananen umstieß. Das
Glas fiel zu Boden, brach in Stücke,
und die Früchte wurden zerstreut. Im
ersten Augenblicke war Jack darüber
sehr erschrocken, dann aber schien eine
große Idee in ihm vufzusteigen. Er
hob die Flasche in die Höhe und warf
sie dann mit voller Krakt ans kr Rn-
den. Sie zersplitterte natürlich, und
nun verzehrte der kluge Affe den Zucker.
Jra Rein.
Ueber ein heiteres Mißverständniß in
einer Danziger Schöffengerichts-Sitzung
berichten die Tanziger Neuesten Nach
richten": In der Strafsache contra
Buchholz und Genoffen wegen Körper
Verletzung berief sich die Mitangeklagte
Ehesrau Buchholz auf das Zeugniß
einer Nachbarin.
Wiffen Sie, wie die Frau heißt?"
fragte der Richter.
Nein," lautete die Antwort.
Ja, aber dann können wir die
Zeugin doch nicht laden lassen, wenn sie
nicht einmal wiffen, wie sie heißt."
Nein, Herr Rath, ich bitte, die Frau
zu vernehmen."
Aber ich sage Ihnen doch, daß wir
Niemand laden können, den wir nicht
kennen. Sie sagen ja selbst, daß Sie
nicht wissen, wie Ihre Zeugin heißt.'
Herr Rath, die Frau heißt Nein'
und steht draußen auf dem Korridor.'
Ach so!"
Kalmückische Sitte.
' Die Gespräche sind bei den Kalmücken
um so langsamer, je mehr sie eine Per
son ehren wollen. Wenn Fremve von
Rang dem Kalmückensttisten vorgestellt
werden läßt dieser zwischen Frage nnd
Autwort immer fünf Minuten ber
streichen, und von einem Ceremonien
meister wird dem Reisenden bedeutet,
daß er es eben so machen solle. Der
Zweck dieser uns wunderbar scheinenden
Sitte ist ein lobenswerther: Man will
den Sprechenden Zeit zur Sammlung
und zum Nachdenken lassen, damit der
Inhalt seiner Worte um so tieser und
inhaltsreicher werde und daS Gespräch
nicht in leeres Geschwätz ausarte.
voradnunz.
Mutter: Wie. Tu kochst nur Suppe
heute?'
Junge Frau die zum ersten Male
selbst kocht): Ja, ich glaube. Eduard
wird gar nichts weiter verlangen, wenn
er die gegeffen hat!"
5inn?prnck.
So lang' man Falten zahlen kann,
Ist man noch jung und gut daran;
Ein wirklich echtes, altes Haus
Kennt sich vor Falten nimmer aus!
?bzcm,mxn.
.Ich glaube nicht im Unrecht zu sein,
wenn ich sage, daß ich der erste Schrift
fteller der Gegenwart bin.'
Jedenfalls der erste, der es sagt.'