Nebraska Staats-Anzeiger. (Lincoln, Nebraska) 1880-1901, October 29, 1896, Image 10

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    (Ein Traum.
r,;ii,l,mg von 'JlDolf Kincr.
Im Januar des JahieS 187!' schiffte
ich mich i Prniillue aus dcm vortreff'
lichen Dampfer Niger" ein, um nach
Montevideo zuriickzulchren, wo ich seit
einigen Jahren in dem Veschä!tsl,ase
des Herrn Ramon Pomcz die Stellung
eine Korrespondenten bekleidete. Meine
grundlichen Kenntnisse in der franzö
fischen Sprache hatten Herrn Pomcz
veranlaßt, mich trotz meiner Jugend
ich war erst dreiundzwanzig Jahre alt
mit einem geschäftlichen Austragc
nach Paris zu senden, der eigentlich eine
gesetztere Perso,ll,chl! ersoroerr ane.
Die Angelegenheit war jetzt zur Zusrie.
denheit meines lsä erledigt, und mit
dem frohen Geslihle. daS in mich gefetzte
Vertrauen gerechtfertigt zu haben, ging
ich an Bord.
Die ersten Tage unserer Fahrt, im
Golfe von Biscaya und an der Küste
Portugals, waren regnerisch und stür
misch, so daß ich sast Niemanden von
meiner Reisegesellschaft zu Gesichte be
kam. Erst nachdem wir Lissabon der
lassen, und das Wetter sich ausgeklärt
hatte, kam Einer nach dem Anderen
aus seiner Kabine heraus, um sich in
der milden Friihlingssonne von den
Strapazen der Uberstandenen Seekrank
heit zu erholen.
Wir bildeten eine ziemlich bunt zu
sammengcwllrfelte Gesellschaft: Fran
zoscn, Spanier, Portugiesen. Argenti
nier. Brasilianer ich war der einzige
Deutsche an Bord. Ans einer längeren
Seereise entwickelt sich gewöhnlich bald
ein familiärer Verlehr zwischen den
Paffagiere. Die aus dem Lande so
ängstlich beobachteten Rangunterschiede
schwinden hier in dem Gedanken an die
mannigfaltigen Entbehrungen und Ge
fahren, die den vornehmsten wie den
Geringsten in gleichem Maße treffen,
und die Langeweile thut ein Uebriges,
um die Reisenden zur Geselligkeit zu
stimmen. So hatte auch ich mich bald
einer Familie angeschlossen, die aus
einer Argentinierin und ihren beiden
Töchtern bestand. Das Haupt der Ja
milie, Don Manuel Graciano, war in
politischen Angelegenheiten plötzlich von
Paras abgerufen worden, und da das
Aufgeben des Hausstandes längere Zeit
beanspruchte, war er mit einem früheren
Dampfer vorausgereift, um m Monte
Video seine Liebe zu erwarten.
Dona Franziska war eine liebens
würdige, etwas schmermiithig ange
bauchte Dame von etwa fünfzig Jahren,
die schon ganz Europa bereift hatte und
mit Borliede von ihren vielsacyen ir
lebniffen sprach. Elena, ihre jüngste
Tochter, mochte ungefähr dreizehn Jahre
alt sein. Sie war acht Jahre später
als ihre Schwester auf die Welt gekom
men und wurde noch immer wie ein
kleines Kind behandelt. Sie verkehrte
mit mir mit der ganzen Naivetät eines
Backfisches, während Senora Graciano
sich in der Rolle einer mütterlichen
Freundin gefiel. Leider ging die
Freundschaft dieser Beiden so weit, daß
sie mich von früh bis spät in Anspruch
nahmen und mir nur selten Gelegenheit
gaben, mich Eduard, der älteren Toch
tcr Dona FranziSka's zu nähern.
Gerade diese aber, um es nur gleich
zu sagen, war für mich der Hauptan
ziehuugspunkt der Familie. Von mitt
lerer Statur und zierlich schlankem
Wüchse, besaß sie all lenen Liebreiz,
der den argentinischen Damen in so
hohem Grade eigen ist. Die frische
rosige Farbe ihres feinen Gesichtes, die
dunkeln gluthvollen Augen und ihr be
zauberndes Lächeln hatten bald die
Herzen sämmtlicher junger Leute an
Bord entflammt. Jeder geizte dar
nach, ein freundliches Wort von ihr zu
erHaschen. Daß es mich unter diesen
Umständen verdroß, saft nie einen
Augenblick für sie übrig zu haben, war
um so mehr begreiflich, als ich mit den
scharfsehenden Augen eines Verliebten
zu bemerken glaubte, daß sie für die
Aufmerksamkeiten eines jungen Fran
zofen. Monsieur Godin, nicht ganz un
empfindlich war. Indessen tröstete ich
mich damit, daß Tona Franziska ficht
lich Gefallen an mir fand und mich in
jeder Weife bevorzugte.
Ich spielte die Geige leidlich, und
Dona Franziska war eine recht ge
wandte Pianistin; Abends nach dem
Thee, wenn die meisten Passagiere sich
in's Freie begaben, um die erfrischende
Seeluft zu genießen, saßen wir Beide
im Schissssalon und spielten Duette.
Sehr häufig hatte ich die Freude, daß
Eduard sich zu uns gesellte und an
dächtig unserem Spiele lauschte ge
dämpft wurde diese Freude allerdings
durch die Thatsache, daß sie fast immer
in der Gesellschast Mr. Godin'S er
schien, der es nie versäumte, uns die
ausgesuchtesten Komplimente Über unser
Spiel zu machen.
ES fehlten nur noch wenige Tage an
unserer Ankunst in Montevideo, als
Dona Franziska eines Morgens mit
abgespanntem GesichtSausdrucke am
ruhftückstische erschien. Auf unsere
Frage, ob sie sich nicht wohl befinde,
erwiderte sie, daß sie eine schlaflose
Nacht gehabt und an Migräne leide.
Den ganzen Tag über hielt dieser Zu
stand an: zum ersten Male, seitdem ich
sie kennen gelernt, saß sie stundenlang
auf ihrem Schiffsftuhle, ohne ein Wort
zu sprechen, bei jedem Geräusche zuckte
sie nervös zusammen, auf unsere Fra
gen gab sie zerstreute Antworten
kurz, ihr ganzes Wesen war wie umge
wandelt. Nach den, Abendessen setzte
sie sich w gewohnt an's Klavier, mitten!
im Sviele aber sprang sie auf und er
klärte, die heiße Luft im Zimmer ersticke
sie. Ednarda s Anerbieten, einen kpn
ieraana mit ihr auf Deck zu machen,
lehnte sie ab mit dem Vorgeben, daß sie
allem sein wolle, um so mehr über
raschle eS mich, als sie gleich darauf zu
mir kam ud mich bat, ihr och etwas
Gesellschaft z leisten.
Wir beaaben uns nach dem Vorder,
theil dcS Schisfes, wo wir 'eine Zeit
lang schweigend nebeneinander gesessen
hatten.
Nach einiger Zeit unterbrach Tona
Franzisla daS schweigen. Ich muß
mit Ihnen sprechen, Ton Enrique,"
sagte sie, ein beängstigender Traum
hat mich in der vergangenen Nacht ge
quält ich fürchte, uns steht Schreck
liches bevor
Daher Ihre Aufregung?" fragte ich
lächelnd.
Hören Sie mich, bitte, ohne Unter
brechung an," fuhr sie hastig fort; ich
muß Ihnen ein Erlebnis? aus meiner
Jugend erzählen, damit Sie einsehen,
daß ich Grund habe, mich zu beunruhi
gen. Es sind jetztLS Jahre her. Mein
Mann war in Geschäften nach Rio
Grande do Sul gereist und hatte mich
zum ersten Male seit unserer Ver
heirathung mit meinem Sohne Ricardo,
der damals zwei Jahre zählte, allein
gelassen. Wenngleich die Trennung
nur vier Wochen dauern sollte, fiel
uns Beiden der Abschied unendlich
schwer es lag wie ein Vorgefühl
künftigen Unglücks auf uns, besten wir
uns vergebens zu erwehren suchten.
Schon nach vierzehn Tagen erhielt ich
einen Brief von meinem Manne, worin
er mir mittheilte, daß sein Aufenthalt
sich wahrscheinlich auf mehrere Monate
ausdehnen würde, und da, wie er
schrieb, die Sehnsucht nach uns ihm alle
seine Ruhe und Thatkraft raubte, bat
er mich, ihm nachzureisen und den Win
ter mit ihm zusammen in Rio Grande
zu verleben. Natürlich ging ich mit
Freuden auf seinen Vorschlag ein und
begab mich alsbald an Bord des kleinen
Küstendampfers Paraguay", der ge
rade zum Auslaufen bereit im Hafen
lag. Tiefe Reise schien ohne Unfall zu
verlaufen, das Wetter war schön, ein
leichter Südwind beschleunigte unsere
Fahrt, und schon nach wenigen Tagen
verkündete uns der Kapitän, daß wir
nur noch vierundzmanzig Stunden von
unserem Bestimmungsorte entfernt
seien. Ich erinnere mich deutlich, mit
welch' freudigen Gefühlen ich mich an
diesem Abend zur Ruhe begab. Lange
noch lag ich in meiner Koje wachend,
meinen kleinen Ricardo im Arme, im
mer nur an das baldige Wiedersehen
denkend, das ich mir mit den lebhaf
testen Farben ausmalte. Endlich schlief
ich ein. Gegen Morgen erwachte ich in
Schmeiß gebadet und an allen Gliedern
zitternd; ch hatte geträumt, da ein
wüthender Orkan uns kurz vor der An
kunft überrascht und unser Schiff gegen
einen Felsen geschleudert habe. Mit
entsetzlicher Natürlichkeit hatte, ich alle
Schrecken eines Schiffbruches durchlebt.
Ich bedurste einiger Augenblicke, um zu
mir zu kommen, denn ein betäubender
Lärm machte mich unfähig, klar zu den
ken. Endlich ermannte ich mich und
öffnete die Thür meiner Kabine. Welch'
ein Anblick bot sich mir dar! In gren
zenloser Verwirrung stürzte Alles durch
einander. Aus den hastigen Reden der
Leute entnahm ich, daß ein Sturm
ausaedrochen, daß unser Schiff auf
einer Sandbank läge, und keine Hoff-
nung vorhanden sei, es wieder flott zu
machen.
Tona Franziska hielt erregt mm;
die Erinnerung an jene Schreckensnacht
hatte sie Uoerwältigt, sie svrang auf und
schaute mit entsetzten Blicken auf die See
hinaus, die in erhabener Ruhe vor uns
lag.
Verzeihen Sie," fuhr sie fort, bei
dem Gedanken an all' das Schreckliche,
das ich erlebt, gerathe ich noch heute
außer mir. Ich will Ihnen nicht die
Einzelnheiten der Katastrophe schildern
es genüge Ihnen, daß ich meinen
Traum verwirklicht sah. Bis auf den
kleinsten Umstand erfüllte sich, was ich
auf so sonderbare Weise schon einmal
durcherlcbt. Vierundzwanzig Stunden
lag ich hoffnungslos aus dem Wrack,
meinen Kleinen ängstlich an mich pres
send, bis die langersehnte Rettung ein
traf."
Und wie geschah das?" fragte ich.
Unser Schiffbruch hatte dicht vor
dem Hasen stattgefunden; vom Lande
aus hatte man unsere Nothschüsse ge
hört und war zu unserer Hilfe herbei
geeilt. Am anderen Tage hatte ich
das Glück, meinen Mann zu umarmen,
der uns schon verloren gegeben hatte
und in Sorge und Angst fast vergan
gen war."
Wieder trat eine Pause ein. Ihre
lebhaste Schilderung hatte mich wider
Willen ergriffen. Es fröstelte mich trotz
der warmen Abendluft; ich trat an den
Rand des Schiffes, um mich durch den
Anblick des wellenlosen MeereS zu über
zeugen, daß wir ein ähnliches Unglück
nicht zu befürchten hatten. Der Mond
war ausgegangen und verbreitete sein
mildeS Licht über die unendliche Waifer
fläche, geräuschlos durchschnitt das Schiff
den Öeean, nur am Bug leicht schäu
mende Wellen erzeugend, auS dem
Zwischendeck erschallte leise ein fröhlicher
Gesang zu unS herauf AlleS athmete
Ruhe und Frieden. War eS möglich,
daß dieses selbe Element in zügelloser
Wuth ein Schiff zu Atomen zerschmet
tern konnte?
Wie eine Antwort aus meine unau!
gesprochene Frage klang es mit unbeirrt!
licher Ruhe von Dona Franziska
Munde: Wir werden Montevideo nicht
wiedersehen,
Was veranlaßt Sie zu dieser
Prophezeihung?" fragte ich erschrocken.
Mein Trauin der vergangene
Nacht," erwiderte sie. Wie vor 25
Jahren, sah ich auch diesmal unser
chrn dem Untergänge preisgegeben."
Wie könne Sie einem Traume
solche Bedeutung beilegen?" srngte ich.
mich zu einem Lächeln zwingend.'
Tusi Ihnen die lange fei e, der An,
blick des Meeres gerade jetzt, kurz vor
der Ankunst. Ihr schreckliches Erlebniß
wieder in's Gedächtniß zurückrust ; daß
der Gedanke daran Sie selbst im
Schlase nicht verläßt ist daS nicht
natürlich? Weshalb wollen Sie sich
durch eine so leicht erklärliche Thatsache
in Angst und Schrecken setzen lassen?"
Ich habe seither manche Seereise ge
macht und bis zur vergangenen Nacht
nie wieder einen solchen Traum ge
habt", ersetzte Tona Franziska ner
vös.
Weil die äußeren Umstände der
schieden waren", beruhige ich sie.
Diesmal ist Ihr Gatte vor Ihnen
sortgereist und erwartet Ihre Ankunft
oll Ungeduld, gerade wie vor fünf
undzwanzig Jahren; die Aehnlichkeit
der Sachlage ist es, die Sie erregt und
Ihre Nerven in Aufregung bringt!
Lassen Sie das nutzlose Grübeln und
ersuchen Sie zu schlafen der mor
gige Tag wird Ihre Besorgnisse zer
streuen." Ich wünsche, daß Sie Recht behal
ten", antwortete sie tonlos. Es nützt
auch nichts, über die Wahrscheinlichkeit
meiner Befürchtung zu streiten. Es ist
spät geworden ; wir wollen zur Ruhe
gehen. Gute Nacht."
Sie gab mir die Hand und ging in
ihre Kabine.
Auch ich begab mich nach unten und
legte mich in mein Bett. Die Erzüh
lung Dona Franziska's beschäftigte
mich noch einige Zeit, ohne mir jedoch
sonderliche Unruhe zu verursachen. Im
ersten Augenblick hatte ihre unheimliche
Prophezeihung allerdings einen be
ängstigenden Eindruck auf mich ge
macht; bei ruhiger Ueberlegung aber
überwand ich denselben bald. Das
Schiff ging geräuschlos je auf einem
Flusse, alle Anzeichen deuteten auf
gutes Wetter hin weshalb also mit
einem Schreckensbilde mich quälen, das
nqer nur einer nervös erregten Phan
taste entsprungen war I
AlS ich am anderen Morgen erwachte.
war dennoch mein Erstes, an das Kajü
tensenster zu eilen und nach dem Wetter
zu sehen. Ein undurchdringlicher Nebel
umgab uns. In kurzen Zmischenräu
men hörte ich die Dampspseise ertönen.
zur Warnung für andere Schiffe, die
sich möglicherweise in unserer Nähe be
fanden und ebenso wie wir, an einem
freien Ausblick gehindert waren.
Als ich an den Frllhslllckstisch trat
und die Familie Graciano bearükte.
sagte Tona Franziska nur das eine sllr
mich verständliche Wort; Heute!
Ich lächelte, konnte mich dabei aber
nicht eines unangenehmen Gefühles er
wehren.
Die übrige Tischgesellschaft war in
der heitersten Stimmung. Der Kapi
tön hatte ihnen gesagt, daß das Wetter
sich gegen Mittag aufklären würde, und
er bestimmt darauf rechne, um fünf
Uhr cm anderen Morgen in Montevidio
einzulaufen.
Nach zwölf Uhr kam die Sonne wirk
kich zum Vorschein, ein Windstoß ver
agte den Nebel, und nach wenigen Mi
nuten strahlte der Himmel im herrlich
ften Blau. Ich konnte mir die Genug
thuung nicht versagen, zu meiner
Freundin zu gehen, um sie zu fragen,
ob sie noch immer an ihren Traum
denke. .
Haben Sie schon einen Pampero aus
See erlegt?" fragte sie mich ruhig. Ich
verneinte. Nun denn," fuhr sie fort,
so lassen Sie sich belehren, daß diese
gefährlichen Stürme fast immer ohne
vorherige Anzeichen bei heiterem, wol
kenlosem Himmel ausbrechen. Inner
halb vierundzmanzig Stunden werden
Sie Gelegenheit haben, sich von der
Wahrheit meiner Behauptung zu über
zeugen."
Meinetwegen", lachte ich, in vier
undzwanzig Stunden hoffe ich schon
längst auf dem Lande zu fein."
Wir werden Montevideo nicht wie
dersehen," war AlleS, was sie erwiderte.
Ich wandte mich ärgerlich von ihr ab ;
dieses eigensinnige Festhalten an ihrer
sixen Idee verdroß mich und beunruhigte
mich zu gleicher Zeit. Ich mied es, mit
ihr allein zu fein, und da auch sie meine
Gesellschast nicht suchte, war es mir zum
ersten Male während unserer Ueberfahrt
möglich, mich Eduard zu nähern, die
heute freundlicher als je zu mir war.
Ich unterhielt mich lange Zeit mit ihr
und wurde von ihrem liebenswürdigen
Wesen so Hingeriffen, daß es mir schwer
wurde, ihr meine Neigung zu verder
gen. Wie sehr bedauerte ich, daß unsere
Reise sich schon so bald ihrem Ende
nahte ! Ich nahm mir fest vor, gleich
nach unserer Ankunft in Montevideo die
Familie zu besuchen, und theilte Eduard
meine Absicht mit. Sie ermunterte
mich mit einem freundlichen Lächeln
und versicherte mir, daß ihr Vater ge
wiß erfreut sein würde, mich kennen zu
lernen.
Ueberglllcklich verließ ich sie.
Für den Abend war ein Abschiedsfcft
verabredet. Nach dem Thee versammel
ten sich alle Paffagiere im Salon, um
zum letzten Male in geselliger Fröhlich
keit beisammen zu fein. Die Eham
Pagnergläser klangen, wieder und im
mer wieder wurde auf unsere glückliche
Fahrt aiigcstoßen, die auch nicht von
dem kleinsten Unfall getrübt worden
war. Um elf Uhr begaben sich die Da
men zur Ruhe, während die Männer
mich dein Rauchzimmer gingen und dort
noch trinkend und singend zusammen
blieben. Als sich Tona Franziska von
mir verabschiedete, sagte sie: Ai!f Wie
dersehen!" und fügte leise hinzu: Heute
Nacht!"
Bei dieser unheiinlichcn Mahnung
Überlief es mich kalt einen Augenblick
kam es wie eine Todesahnung über
mich, ber die nächsten Gläser Eh.irn
pagner verscheuchten nieine trüben Ge
danken. Mitternacht war, längst vorbei,
als Einer nach dem Anderen ausstand,
ihn seine Koje auszusuchen. Auch ich
wollte mich erheben, fühlte aber, daß
der reichlich genossene Ehainpagner nicht
ohne Wirkung geblieben war. Ich
vermochte mich nicht zu erheben.
Den Kopf in die Hände gestützt,
mochte ich wohl eine Viertelstunde allein
im Saale gesessen haben, als ein dum
pfes Brause mich stutzig machte. Schon
vorher hatte ich bemerkt, daß das Schiff
nicht mehr seinen ruhigen Gang hatte,
jetzt aber begann plötzlich ein Stoßen
und Schaukeln, daß die Gläser vom
Tische rollten.
Im Augenblick war meine Weinlnune
verflogen. Ich eilte auf Deck, wo ich
die Bemannung in fieberhafter Thätig
keit fand. Was mir vor einer Stunde
noch undenkbar geschienen, war einge
treten: ein wüthender Pampero hatte
uns überrascht und trieb das Schiff mit
unwiderstehlicher Gewalt gegen die
nördliche Küste des La Plata. der hier
an der Mündung eine Breite von mehr
als hundert Meilen hat und sich nur
durch die trübe Farbe seines Waffers
vom Ocean unterscheidet. Vergebens
keuchte die Maschine gegen die mächtige
Wallerinenge an; der Anprall war zu
heftig und unerwartet gekommen. Der
Sturm pfiff heulend durch das Tauwerk
und peitschte die Wellen ungestüm gegen
das schwankende Fahrzeug, das sich jetzt
haushoch erhob, um im nächsten Augen,
blicke wieder in den kochenden Schaum
zu versinken. Mit unsäglicher A,
strengung gelang es mir, in die Nähe
der Kommandobrücke zu gelangen, wo
der Kapitän in eifriger Berathung mit
seinen Cmueren land. Bon Ant zu
Zeit hörte man die eintönigen Rufe des
Matrosen, der vorne am Bug das
Senkblei in das Meer warf, um die
Tiefe des Fahrwassers zu messen.
Acht Faden!" schallte es jetzt, und
gleich darauf: Zwölf Faden!" Ich
athmete beruhigt auf; wir schienen uns
von den drohenden Riffen zu entfernen
Zwanzig Faden!"
Der Kapitän nickte befriedigt mit
dem Kopfe.
..Achtgaben!" Vier Faden!'
Ter erste Offizier stürzte erschrocken
an das Sprachrohr, um dem Maschm,,
stcn ein lautes Rückwärts!" zuzurufen
z spät ! Ein furchtbarer Krach er,
schüttelte das Schiff: der Bug senkte
flcy, er Hintertheil des Dampfers erhob
sich über das Meer, schwebte einen
Augenblick frei in der Luft und fiel
dann schwerfällig wieder in's Wasser
zurück. Wir waren auf eine Klippe
gerannt, die sich tief in das machtlose
Fahrzeug hineinbohrte und es mit ge
waltiger Krast sesthielt.
Jetzt stürzten alle Paffagiere verzwei
felt auf's Deck; es herrschte ein unbe
schreibliches Durcheinander nur zwei
Menschen hatten ihre Fassung bewahrt:
der Kapitän und Dona Franziska.
Ruhig ging diese auf den Kommandan
ten zu und fragte ihn, ob das Schiff zu
retten sei. Auf seine verneinende Ant
wort sah sie mit nachdenklichen Blicken
um sich, als ob sie die schreckliche Gegen
wart mit ihrem Traume vergliche, dann
wandte sie sich zu mir und sagte: Nun
müssen wir sterben, Ton Enrique es
ist Alles gekommen, wie es kommen
mußte."
Ich starrte sie an, unfähig, ein Wort
zu sprechen, der Schreck hatte mich ge
lahmt, Ta erblickte ich Eduard, die
ihre Schwester weinend - umschlungen
hielt. Ihr Anblick gab mir meine
Kaltblütigkeit zurück, mit einem
Sprunge war ich an ihrer Seite.
Muth!" rief ich ihr zu. noch ist
nicht alle Hoffnung verloren, wir sind
in der Nähe des Landes!"
An die Boote!" erklang des Kapi
tänS befehlende Stimme, und seiner
Weisung gemäß füllte sich das Fahrzeug
mit den Frauen, unter ihnen Senora
Graciano, die in der allgemeinen Ver
wirrung von ihren Töchtern getrennt
wurde. Eduarda und Elena wollten
ihr sollen, aber der befehlende Offizier
hielt sie zurück. Das Boot ist voll
stoßt ab!" schwie er den Matrosen zu,
die daS Ruder erhoben, um vom Tarn
pfer abzustoßen.
Jetzt hörte ich Tona Franziska's
Stimme, die mir zurief: Sorgen Sie
für meine Kinder!"
Bis zum letzten Athemzuge!" schrie
ich zurück und empfing Eduard, die
mir ohnmächtig in die Arme sank.
Das Boot stieß ab, wurde aber so
gleich von dem kreisenden Strudel fort-
gerissen, die Mannschaft kämpfte mit
der Kraft der Verzweiflung gegen die
Brandung umsonst ! eine Woge, die
sich mit reißender Schnelligkeit heran
wälzte, schleuderte das Boot in die Höhe
und begrub es dann in die wild schäu
mende Fluth.
Ein Schrei deS Entsetzens entrang
sich den an Bord Zurückgebliebenen
die letzte Hoffnung auf Rettung war
bei diese, Anblick aus jeder Brust ge
wichen.
Plötzlich fühlte ich mich von hinten
gepackt.
Lassen Sie das Mädchen loS!" schrie
eine heisere Stimme.
Ich ließ Eduard auf das Deck glei
te und wandte mich um. Vor mir
stund Mr. Godin mit zorneiitstellten,
Gesichte.
Fort von hier! Sie ist ,ei! rief er
und vernichte, mich zur Seite zn stoßen.
Ich stellte mich ihm entschlossen gegen
über. Mir hat die Mutter sie anver,
traut so lange ich lebe, werde ich sie
nicht verlassen," jagte ich.
Nun denn," entgegnete er, ich ent
bebe Sie Ihres Versprechens." und mit
Blitzesschnelle zog er einen Revolver und
zielte auf meine Brust.
Ta geschah etwas Unerwartetes.
Eduard, die wieder z sich gekommen
war, stürzte ans ihn z und versuchte
es. ihn, die Waffe z entreißen; der
Schuß ging los, ohne Jemanden zu
verletzen. Im nächsten Augenblick lag
Eduarda an meiner Brust und um
klammerte mich ängstlich. Schütze
mich vor diesem Menschen." ries sie,
Dich liebe ich, Dich allein!"
Godin raste.
Inmitten all' der Schrecken, die uns
umgaben, Angesichts des entfesselten
Elements, das uns zu verschlingen
drohte, entspann sich ein verzweifelter
Kampf zwischen uns Beiden.
Keuchend vor Wuth und Anstrengung
gelangten wir an den Rand des Schif
seS; mit einer Kraft, die ich mir selbst
nie zugetraut hätte, hob ich nieinen
Feind in die Höhe, ihn in's Meer
zu schleudern, aber ehe ich mein Vor
haben ausführen konnte, legten sich
zwei kräftige Arme um meine Schultern
und rissen mich zurück. Machtlos, mich
dieses neuen Angriffes zu erwehren,
ließ ich Godin los, der halb belaubt zur
Seite taumelte, schüttelte mit einer letz
ten Anstrengung meinen unbekannten
Gegner von mir ab, wandte mich um
und blickte in das lächelnde Gesicht
deS Stewards, der mich freundschaftlich
an den Armen festhielt und mich sanst
rüttelte.
Senora Graciano wartet draußen,
um sich von Ihnen zu verabschieden."
Ich sah mich um. War es möglich?
Ich lag auf einem Sopha des Rauch
salons das Schiff stand still, und
durch die Fenster erblickte ich Masten
und Wimpel und in der Ferne die
Stadt mit ihren bunten freundlichen
Häusern, die im Sonnenschein glänzten.
Wo bin ich?" fragte ich, mir die
Augen reibend.
Im Hafen von Montevideo," er
wwerie lacheno ver lsiewaro. ,ate
schliefen so fest, daß es uns unmöglich
war, Sie zu wecken, um Sie in Ihre
iiavme zu bringen, feie scheinen leb,
hast geträumt zu haben."
Dona Franziska lebt also?" fragte
ich immer noch nicht meinen Sinnen
trauend.
Ja, woll ei Tank!" riet eine
Stimme, die meiner Freundin, Senora
Graciano, anzugehören schien. Ist's
erlaubt, näher zu treten?"
Ich prang erschrocken in die Höhe
und ordnete in litte meinen etwas ver
wahrlosten Anzug.
Gestalten Sie mir, Ihnen meinen
Mann vorzustellen !" sagte sie lächelnd;
und sich an einen stattlichen Herrn wen
dend, der mit ihr in das Zimmer getre
ten war, fuhr sie fort: Das ist Don
Enrique, der junge Deutsche, von dem
ich Dir erzählt und der uns so treu Ge-
sellfchaft geleistet hat."
Ich suchte vergebens nach Worten.
Dona Franziska nahm mich zur Seite.
Verzeihen Sie mir," sagteste, daß ich
Sie mit meinen trüben Ahnungen ge
quält, die sich glücklicherweise als unbe
gründet erwiesen haben. Tasllr sollen
Sie auch jetzt der Erste sein, dem ich ein
freudiges Familienereigniß anvertraue:
meine Tochter Eduarda hat sich mit
Herrn Godin verlobt, den sie, wie ich
erst jetzt ersahren habe, schon von Paris
her kannte. Denken Sie nur," fuhr
sie lachend fort, während wir ahnnngs
los mufizirten, haben sich die beiden
Herzen gesunden.
Jetzt trat Eduarda mit ihrem Vorlob
ten zu mir und schüttelte meine Hand
herzlich. Wir sind Ihnen so dankbar !"
sagte sie schalkhast lächelnd. Wer weiß.
ob wir obne sie jetzt so glücklich wären.
Nicht wahr, Sie werden uns ost be
suchen?"
Ich weiß nicht mehr, was ich erwi
derte; als die Familie einen Augenblick
später daß Schiff verließ, und ich zur
Besinnung kam. hatte ich nur das Ge
sühl, eine ziemlich traurige Figur bei
dieser Abschiedsscene gespielt zu haben.
Der Gentleman.
Humoreske von Georges Ciiriol rCaiiS).
Es waren einmal einmal ist nicht
immer zmeiHerren; der eine war rother
Gesichtsfarbe und schauderhaft kahl
köpsig; der andere bleich und skandalös
struppig.
Ter dicke Kahlkopf kam eines Mor
genS zu dem behaarten Blaßgeficht, ver
beugte sich zu dem Innern seines Hutes.
als wollte er die dort ausgeklebten An
sangsbuchstaden seines Namens in
Augenschein nehmen und sprach:
Mein Herr, ich habe die Ehre. Sie
zu begrüben."
Mein Herr, erwiderte der Strup
pige, den haarigen Schmuck seines
kopfei schüttelnd, .ich bin. wie man so
sagt, entzückt Sie zu bemerken, doch Kotz
der Freude, die ich empfinde, Sie in
blühender Gesundheit zu sehe, muß ich
Ihnen gestehe, daß Sie mich au einer
großen Verlegenheit befreie würden,
wenn Sie mir den Zweck Ihres Be
sucheS aiiseinaudersetze wollten."
Damit schob er ihm einen Stuhl
hin,
Der Andere setzte sich, ließ als Ein.
leitung dc Stuhl i seinen Fugen er
beben und fuhr fort:
Sie habe jedenfalls schon von mir
gehört?"
Ich gestehe Ihnen mit der größten
Zerknirschung, daß der Ruf Ihres
Namens und Ihrer Bedeutung noch
nicht bis zu mir gedrungen ist. Wenn
das Gerücht in der Minute 310 Meter
wie man behauptet durchläuft so
nehme ich also an, daß Sie mindestens
in Ehina wohnen."
Durchaus nicht, ich wohne in der
Rue de la Paix".
Hiibsche Gegend, mein Herr, sehr
hübsche Gegend. Und was thun Sie,
wenn die Frage nicht unbescheiden ist,
in der Rue de la Paix?"
Mein Herr, ich bin Schneider,
und ohne mich zu rühmen, daß ich der
erste Schneider von Paris bin, wage ich
doch zu behaupten, daß ich kein gewöhn
licher Schneider bin; denn ich bin auch
Ihr Schneider."
Mein Herr, Sie sind sehr liebcns
würdig, daß Sie mich aufgesucht haben;
doch wahrhastig, augenblicklich brauche
ich gar nichts !"
Sie irren, mein Herr! Wenn ich
Sie ausgesucht habe, so geschah eS,
weil ich gerade etwas brauche. Mit
einem Wort, mein Herr, ich komme m
Geld,. .."
Mein Herr," erwiderte der Behaarte
mit liebenswürdigern Lächeln, ich bin
bereit, Ihnen mein letzleS Hemd zu
überlassen, sobald ich es ' von der
Wäscherin zurückerhalte, doch ich habe
nicht die geringste Summe zur Ver
sügung. Sie sehen mich entsetzt, aber
ich kann Ihnen diesen Monat nichts
geben."
Also immer noch dieselbe Ge
schichte?"
Der Refler der Liebenswürdigkeit,
der das Gesicht des Haarigen bis zu
diesem Bugenblick verklärt hatte, ver
schwand plötzlich bei diesen Worten und
er fragte trocken:
Was für eine Geschichte?"
Ich sage ganz einfach: immer die
selbe Geschichte! Ich nehme an, Sie
verstehen mich?"
Nein, mein Herr, ich verstehe Sie
durchaus nicht. Vielleicht mangelt eS
mir an Divmationsgabe, doch ich weiß
nicht, von welcher Geschichte sie sprechen.
und eben so wenig kenne ich die übrigen
Geschichten, auf die Sie anspielen."
Verzeihung, mein Herr; ich spiele
nicht an!"'
Sie thun es doch!" versetzte der
Blasse; Sie thun es doch, mein Herr;
ich bin ein Gentleman, und ich gestatte
picht, daß mir eine Schneiderscele in
meiner eigenen Wohnung auf den Fuß
tritt nicht einmal mit Worten. Ich
sage Ihnen, es ist mir in diesem Monat
nicht möglich! Das ist klar und deut
lich; oder genügt Ihnen das nicht?"
Er machte zu diesen Worten eine
äußerst strenge Miene, kreuzte die Arme,
hob sich ans den geben und fragte:
Oder zweifeln Sie etwa an meinen
Worten? Glauben Sie vielleicht, ich
werde Ihnen diese elende Summe nicht
bezahlen?"
Ich bin durchaus nicht unruhig,"
erwiderte der rothbäckige Schneider mit
schwacher Stimme, ich weiß, Sie sind
ein Gentleman; doch ich muß Ihnen
bemerken, daß Sie mich seit bald einem
Jahr umsonst hierher laufen lassen.
Jedes Mal, wenn ich Ihnen meine
Rechnung vorzeige, antworten Sie: ES
ist mir in diesem Monat rein unmög
lich. Ihnen etwas zu geben. Tag geht
nun schon seit neun Monaten."
Als die blasse, struppige Persönlichkeit
diese Worte gehört, schien sie sich etwas
zu beruhigen und sagte:
Mein Herr, an dem Tage, an dem
ich Ihnen Geld versprechen werde,
werde ich Ihnen auch welches eben.
denn ich bin ein rechtschaffener, korrekter
Mann, ein Mann von Wort. Wäh
rerid dieser neun Monate, sagen Sie
selbst, habe ich Ihnen erklärt, ich würde
Ihnen nichts geben. In Folge dessen
bin ich neun Monate meinem Ver-,
sprechen treu geblieben Oder habe '
ich mein Wort auch nur ein einziges
Mal gebrochen?"
Nein...."
Nun also! worüber beklagen Sie
sich dann?"
Guter Na,,,.
Einem etwas zaghasten Jüngling,
der zu ängstlich war, um hinsichtlich ei
ner Lebensgefährtin die entscheidende
Wahl zu treffen, gab ein erfahrener
Freund folgende Rathschläge: Wenn
Sie sich beweiben wollen unv mit Ihrer
Wahl noch nicht im Reinen find, so be
folgen Sie diesen Rath : 1. Von zwei
jungen.'gesangkundigen Damen nehmen
Sie die, welche Alt fingt sie wird auch
in der Ehe nicht immer die erste Geige
spielen wollen. 2. Veraessen Sie bei
Ihrer Angebetenen einen zerrissenen
Handschuh ; giebt sie Ihnen denselben
sauber geflickt wieder, so wird sie eine
gure HauSsrau sonst laen sie ad von
ihr. 3. Paffen Sie auf. ob sie einen
Knoten durchschneidet oder ihn aufkno
tet. Thut sie das letztere, so wird sie
in Geduld auch alle Wirrnisse der Ehe
zu lösen im Stande sein. Und nun
.Glück aus zur Wahl!"