Nebraska Staats-Anzeiger. (Lincoln, Nebraska) 1880-1901, September 24, 1896, Image 9

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    Schlanke Ccne.
Von P e 0 t 8 Gert).
Lene Nissen und Christian Claussen
waren NachbarSkindek; drunten am ffi
schersthor wohnten ihre Eltern. Sie
hatten zusammen gespielt und Kinder
freundschast geschlossen, denn Christian
hatte sich immer dc Keinen Mädchens
ritterlich angenommen. Als sie dann
cvnfirmirt waren, hatten sich ihre Wege
getrennt. Lene war in Dienst ge
gangen" und Ehristian zar See. Nach
einigen Jahren erst sahen sie sich wieder,
die Kindrfreundschast war noch nicht
vergessen und aus der Freundschast
wurde Liebe.
Zu verwundern war's freilich nicht,
denn am ganzen Fischerthor ga! es kein
schmuckcreS Mädel, als Rissen's Lene,
und Christian Claussen war der ge
wandtefte Bursch rund herum an der
Waterkant".
Lene's Eltern hatten gegen die Hei
rath mit Nachbars Christian nichts ein
zuwenden, doch hatte eS mit der Hoch
zeit noch gute Wege, denn zuvor wollte
Christian sein Steuermanns'Ezamen
machen und Lene war doch auch noch gar
zu jung.
Nach ein paar frohen Wochen mußten
die Liebenden sich abermals trennen.
Christian ging wieder zur See, um voll
befahrener Matrose zu werden und Lene
in Dienst.
Wieder ergingen einige Jahre in
schnellem Fluge. Christian hatte seine
Fahrzeit erreicht und wollte zum Herbst
aus die Steuermannsschule gehen. Vor
her kam er aber noch fiir einige Wochen
nach Haufe und da Lene seit einiger
Zeit ebenfalls bei den Eltern weilte, so
gab es fröhliche, selige Stunden für die
jungen Leute. Ach, viel zu schnell
flohen sie dahin und bald hieß eZ wieder
scheiden. ,
Christian bezog die Steuermanns
schule in F. und mußte alle Kräfte an
spannen, wenn er in der vorgeschriebenen
Zeit das gesteckte Ziel erreichen wollte.
Trotzdem fehlte es auch an Zerftreuun
gen nicht. Dem jungen Steuermanns
schüler erschlossen sich zum ersten Male
wohlhabendere Familienkreise, denn
manche Mutter sah den angehenden
Capitän als gute Prise für eine ihrer
Töchter an.
So kam Christian auch in das Haus
des Schiffsrheders NielS Jeffen, und er
fand sich angeheimelt von dem Zauber
des Familienlebens, das er in dieser
Weise noch nicht kennen gelernt und
während der Seefahrtszeit überhaupt
ganz entbehrt hatte. Der strebsame
tunge Mann, der ebenso verständig mit
ein Hausherrn über Handels- und
Schiffsahrts-Verhältnisse zu sprechen
wußte, wie er die Frau des Hauses und
die beiden erwachsenen Töchter durch
Schilderungen seiner weiten Reism zu
unterhalten verstand, war bald ein gern
gesehener Gast in der Familie und
brachte manchen Abend in derselben zu.
Wie gemüthlich saß es sich um den
runden Theetisch, wie anmuthig wußte
Hilda, die jüngste der Töchter, den
Theepunsch zu kredenzen l Nie hatte ihm
Theepunsch, dies Nationalgetrünk der
Nordschleswiger, köstlicher gemundet.
Unwillkürlich verglich er Hilda mit
seiner Lene und dieser Vergleich fiel
stets zu Gunsten der Ersteren aus. Die
umsaffendere Bildung, die feineren
Manieren und das anmuthigere Wesen
Hilda' stachen gar sehr ab gegen das
einfache Benehmen des Mädchens aus
dem Volke. '
So kam es, daß Lene'S Bild in fei
nein Herzen erblaßte, und Hilda'S Bild
an dessen Stelle trat. Erst schatten
haft, unbestimmt, dann immer deut
licher und zuletzt strahlte eS in voller
Klarheit.
Auch Hilda hatte den jungen See
mann lieb gewonnen, ahnte sie doch
nicht, daß fein Herz schon einer anderen
gehört hatte.
Christian hatte zwar noch nicht osfi
ziell um ihre Hand angehalten, aber
auS einzelnen Andeutungen der Mutter
konnte er entnehmen, daß er als Schwie
gersohn willkommen sei. Auch hatte er
fein Verlöbniß zu Lene noch nicht gelöst,
denn ihm fehlte der Muth, es plötzlich
abzubrechen und ihr mit dürren Worten
den Abschied zu geben. Er wollte es
allmählig einschlafen lassen. So schrieb
er denn seltener, die Briefe wurden käl
ter und zuletzt hörten sie ganz auf.
, Das arme Mädchen erbarmte sich
und ahnte, daß es mit Christian's Liebe
aus fei. Aber ihr treues Herz wollte
nicht daran glauben.
DaS Jahr verging. Christian be
stand die Prüfung mit rühmlicher Aus
zeichnung. Mit seinem Steuermanns
Patent für große Fahrt" trat er dann
wohlgemuth vor Niels Jeffen, um
Hilda von ihm zu erbitten, freudig er.
hielt er da! Jawort und als Mitgift
eine neue, noch im Bau begriffene
Bark, auf der er zunächst als Steuer
mann fahren und die er später als
Capitän fähren sollte.
Christian's Glück schien gemacht.
Nach wenigen Wochen schon fand die
Hochzeit statt.
Lenc hatte von Christian'S Verlo
bung mit der hederstochter gehört,
allein auch jetzt ließ sie die Hoffnung
noch nicht völlig sinken. Sie beschloß,
selbst nach F. zu reisen, um aus Chri
ftian'Z eigenem Munde ihr Schicksal zu
vernehmen.
, Trotz des Abmahnens der Mutter
machte sie sich eines Tag auf den Weg
nach F. AlZ sie hier an der Manen
Kirche vorbei kam, waren viele Menschn,
Der ämnlagsgast.
Jahrgang 17. Beilage zum Nebraska Ttaats-Anzeiger. No. 1.
esmsmms9!f
um das Portal versammelt. Es fand
eine Trauung statt, und auch Lene trat
hinzu, gerade, als der Brautmagen vor
fuhr. In schwerem Atlaslleide, den
blühenden Myrthenkranz und weißen
Schleier im blonden Haar, entstieg die
glückliche Braut demselben. Alle Blicke
richteten sich auf die liebliche Erschci
nung. Auch Lene hatte sie betrachtet
und wandte nun ihr Auge dem Bräu
tigam zu.
Aber kaum hatte sie ihn angesehen,
als alles Blut ihr zum Herzen zurück
strömte. War's Wirklichkeit, oder äffte
sie ein Traum? Ja, es war wirklich
Christian, der an der Seite der lieblichen
Braut linher schritt.
Glückstrahlend schaute er sich ringsum,
als er die Stufen zum Portal empor
stieg. Da traf sein Blick Lene, und als
habe er ein Gespenst geschaut, so fuhr er
zusammen. Nur einen Augenblick hatte
er das todtblaffe Gesicht Lene's gesehen,
eine Sekunde hatten sich ihre Blicke be
gegnet, aber diesen unsäglich traurigen,
vorwurfsvollen Blick würde er sein Leben
lang nicht mehr vergessen können, das
sühlte er.
Die Trauung begann, aber Christian
hörte nichts von den Worten des Geist
lichen und Hilda mußte ihn erst an
stoßen, damit er aus die Frage desselben
antwortete. Sein verändertes Wesen
ftel allgemein auf, aber er schätzte plötz
liches Unwohlsein vor, das wieder vor
übergehen werde. Später war er auch
wieder heiter, aber feine Fröhlichkeit
hatte etwas Erzwungenes. Immer wie
der tauchte das blasse Gesicht Lene's vor
ihm auf.
Und Lene? Als die Menge sich der
laufen hatte, wankte auch sie fort. Ihr
war so wüst im Kopfe, so leer und todt
im Herzen. Sie konnte kaum denken,
so wirr gingen ihre Gedanken durchein
ander. Nur sort wollte sie, fort von
hier, wo sie das Glück zu Grabe ge
tragen hatte.
Wie sie nach Hause gekommen, wußte
sie nicht; ihre Mutter erschrak über das
veränderte Aussehen und suchte sie zu
trösten, so gut sie es vermochte. Doch es
war vergebens.
Lene war wie gestorben. Sie weinte
und klagte nicht, aber diese Stille, diese
eisige Ruhe war beängstigend. Mecha
nisch errichtete sie ihre Arbeit, aber oft
hielt sie inne und starrte verftändnißlos
in's Weite. Dann schrak sie plötzlich zu
snmmen, griff mit der Hand an den
Kopf, als ob dieser sie schmerze und fuhr
wieder mit der Arbeit fort.
Nach einigen Wochen kam Christian
nach K., um die neue Barke, die ihm
sein Schwiegervater geschenkt hatte, nach
F. abzuholen.
Lene hatte davon gehört. Eine sie
berhafte Aufregung bemächtigte sich
ihrer und riß sie aus ihrer Thcilnahm
lostgkeit heraus. Sie wollte Christian
noch einmal sehen, zum letzten Male.
Vergeblich suchte ihre Mutter sie davon
abzuhalten. Lene ging hinab an den
Hasen, wo der .Hainan' am Bollwerk
vertraut lag.
Es war ein sonniger Frühlingstag;
eine frische Brise wehte aus West die
losen Segel flatterten luftig von den
Ragen und geschäftig eilten die Matro
sen an Deck auf und ab, um die letzten
Vorbereitungen zur Abreise zu treffen.
Jetzt kam auch Christian die Kajüten
treppe herauf, begab sich auf die Com
mandobrücke und bald erscholl der Be
fehl zur Abfahrt. Die Segel wurden
angebraßt, die letzten Taue, welche das
Schiff noch an's Land fesselten, wurden
losgeworfen, und langsam setzte sich der
Hainan" in Bewegung.
Roch einmal schaute Christian nach
dem Ufer zurück, um die Abschiedsgrüße
seiner Bekannten, die zahlreich daselbst
versammelt waren, zu erwidern. Da
traf sein Auge auch Lene. welche etwas
abseits, bleich und starr wie eine Bild
säule stand. Er schrak zusammen bei
ihrem Anblick, ein Zittern durchlief sei
nen Körper, und krampfhaft umklam
mertcn seine Hände das Geländer der
CommandoBiücke. Aber nur einen
Augenblick dauerte diese Schwäche, dann
ermannte er sich und gab Beseht auch
die Oberbramsegel zu setzen.
Aber sein Commandowort übertönte
ein gellender Schrei, und als er sich um
wandte, sah er, wie Lene sich in den
Hafen stürzte. Den Booten in der
Mhe gelang eS zwar, sie zu reiten,
allein ihr Verstand war von Stund' an
umnachtet.
Seeleute sind abergläubisch; auch
Christian war davon nicht frei. Er
war überzeugt, daß dies Vorkommniß
ihm ein Unglück bedeute, daß er bald
mit seinem Schiffe untergehen werde.
Allein Jahre vergingen, obne daß seine
Befürchtung eintraf. Doch glücklich
war er nicht. Sein Gewissen ließ ihm
keine Ruhe; selbst in der eigene Fa
milie konnte er nicht froh werden. Er
wurde ein menschenscheuer, finsterer
Mann, ein harter, strenger Capitän.
Nie war ihm wohler, als wenn er aus
dem Meere war, und der Sturm orkan
artig toste. Er war verwegen wie kein
Anderer. Was lag ihm am Leben I
Man nannte ihn nur den wilden Ca
pitün."
Der Tod schien ihn zu fliehen. Er
fuhr mit einem beispiellosen Glück und
häufte Gold auf Gold. Aber was
nutzte ihm der Reichthum, er konnte sich
damit den Frieden und die Ruhe des
Gewissens nicht erkaufen! Rastlos, ruhe
los durchfuhr er die Meere, den Tod er
sehnend. Endlich fand er ihn. In
einem Sturme scheiterte fein Schiff in
der Todtenducht bei Skagen und in der
tosenden Brandung ging er unter.
Die arme Lene aber hat noch keine
Ruhe gefunden. Die Rosen der Wan
gen sind längst verblüht. Von der
früheren Schönheit ist keine Spur mehr
übrig, der Körper ist gebrochen. Aber
eins ist ihr aus der Jugendzeit geblie
ben, ihr Beiname schlanke Lene" ; nur
daß er allmählich zum Spottnamen für
die arme Irre geworden ist. ,
Schon manches Jahrzehnt wandert
sie alltäglich zum Hafen hinab, un,
ihren Christian zu erwarten, und bietet
durch ihr sonderbares Benehmen den
Straßenjungen einen willkommenen
Anlaß zur Neckerei. Doch unbekümmert
um das schlanke Lene, schlanke Lene!"
das sie ihr nachrufen, setzte sie ihren
Weg fort. Nur wenn einer der aus
gelassenen Schlingel dicht an sie heran
läuft und am Kleide zupft, wendet sie
sich hastig um, droht den Jungen und
schilt sie, was freilich nur zur Folge hat,
daß die ganze Rotte in ein johlendes
Gelächter ausbricht und desto lauter ihr
schlanke Lene, schlanke Lene!" erschal
len läßt.
Ihr Ziel ist immer dasselbe: der Ha
sen, früh Morgens, wie Nachmittags
und Abends. Dort, wo die Bootführer
ihr Standquartier haben, wo der Blick
frei über die Föhrde schweift, bis hin
aus in die offene See, bleibt sie stehen
und schaut erwartungsvoll auf die grün
blaue Fluth, deren glitzernde Wellen
von Schiffen und Booten durchfurcht
werden.
Wenn ihr scharfes Auge dann am
fernen Horizont ein Segel gewahrt, das
dem Hafen zusteuert, wendet sie sich
jedesmal mit der Frage an einen der
herumstehenden Bootsführer: Js dat
nich die Bark Hainan", mit de min
Crischan torügg kümmt?"
Und wenn sie darauf die Antwort er
hält: Ne, Lene, dat is en anner
Schipp," dann wendet sie sich enttäuscht
um und geht still ihres Weges, um rasch
nach einigen Stunden wiederzukommen
und zu fragen: Hebt Se nich hört, ob
Crischan Claussen hüt torügg kamen is?
Ja, ja, he mut seker kamen."
Doch wieder erhält sie nur eine ver
neinende Antwort und wieder wendet sie
sich enttäuscht ab und geht, leise vor sich
hin murmelnd, nach Hause. Hinter
ihr her aber schallt der Ruf der
Straßenjungen : Schlanke Lene,
schlanke Lene!"
Ein Reise-Abenteuer.
Frau Pietsch ist eine nette Frau,
wirklich eine sehr nette Frau! Nur
einen Fehler hat sie und das ist ihre
ganz unglaubliche Schmatzhaftigkeit.
Wenn Frau Pietsch einmal in's Trät
schen kommt, dann kann die Welt um
sie herum dreist in Trümmer gehen,
Frau Pietsch merkt nichts davon. Sie
ist dann wie hypnotisirt und all' ihr
Sinnen und Denken gilt einzig und
allein dem süßen Klatsch. Diese über
trieben Mittheilsamkeit hat ihr schon
so manche Unannehmlichkeit bereitet, sie
hat schon manchen Braten total an
brennen lassen, weil sie in der
Zeit, wo sie dem Bratprozeß ihre
Aufmerksamkeit hätte schenken sollen,
der Frau Nachbarin draußen auf dem
Hausflur nothmendigerweise gerade er
zählen mußte, wie viel Anbeter sie als
junges Mädchen gehabt, was damals
die Kanne Butter gekostet und wie sie i
bei einem Haar einmal von einem
wüthenden Stier aufgespießt worden
wäre. Aber einen so schlimmen Streich
hat der Frau Pietsch ihre Schwatzhastig,
keit doch noch nicht gespielt, wie neulich,
als sie ihre Schwester in Deuben be
suchen wollte. Mit einem Tagesbillet
3. Klasse ausgerüstet, stieg die behäbige
Pietschen" auf dem Böhmischen Bahn,
hos zu Dresden in die ihr vom Schaff
ner angewiesene Wagen-Abtheilung,
machte sich'S in der Ecke bequem und
dachte eben darüber nach, wie viel amü
sanier eS doch wäre, wenn sie nicht so
allein fahren müßte, als die Coupee
Thüre noch einmal geöffnet wurde und
eine mit Reisetasche und diversen Papp
schachteln bepackte Dame einstieg. Das
Abfahrtssignal ertönte und fort ging'S.
Die Fremd schien etwas zurückhaltend
zu sein, allein das war für Frau Pietsch
keinen Grund, die Anknüpfung einer
Unterhaltung nicht wenigstens zu ver
suchen. Und siehe da. sie hatte Glück.
Die ReisegesSbrtin entpuppte sich nach
den ersten an sie gerichteten Worten ge
rade als eine recht redselige Frau und
nun war Frau Pietsch sofort BeHerr
scherin der Situation. In einer Vier
telstunde wußte die Fremde, daß ihre
Reisegefährtin Caroline Pietsch hieß,
eine geborene Schulze mit dem tz die
Frau des ehemaligen Bäckermeisters und
jetzigen Privatus Pietsch sei und Mutter
einer längst verheiratheten Tochter sein
könnte, wenn das süße Geschöpf nicht
kurz nach der Geburt gestorben wäre.
Nach einer weiteren Viertelstunde war
die Reifegefährtin vollständig einge
weiht, was Frau Pietsch jeden Tag in
der Woche zu kochen pflegt, wie sie die
voigtlündischen Klöse, die ihr aus
Reichenbach gebürtiger SJlairn so gern
mit Schöpsenbraten ißt, zubereitet, daß
sie recht flockig werden ;' wann sie früh
aufzustehen und des Abends schlafen zu
gehen gewohnt ist; wie sie es anstellt,
daß keine Motten in ihre Pelzgarnitur
kommen u. s. w. und nach einer wei
teren halben Stunde hätte die Fremde
im Anschluß an hundert andere, überaus
wichtige und unmöglich zu unterdrückende
Mittheilungen bei einem Haare noch
erfahren, wann, wo und wie Frau
Pietsch einst ihren guten Jeremias ken
nen gelernt hat, wenn der Schaffner
nicht plötzlich die Coupeethllre aufge
riffen und ein kategorisches Tharandt,
ausfteigen" gerufen hätte.
Wa wa was, Tharandt? O,
du grundgütiger Himmel, ich will ja
blos nach Deuben!" so jammert Frau
Pietsch, worauf ihr der Schaffner in
nicht gerade allzuliebenswürbigem Tone
erwidert, daß sie dann eben auf Station
Deuben, wo laut genug abgerufen wor
den wäre, hätte aussteigen sollen. Jetzt
bleibe ihr nichts weiter übrig, als für
die überfahrene Strecke nachzuzahlen
und sich ein Billet zur Rückfahrt mit
dem nächsten Zuge nach Deuben zu
lösen. Eine schöne Bescheerung! Aber
was half's, Frau Pietsch mußte in den
sauren Apfel beißen und konnte noch
von Glück sagen, daß der nächste Zug.
mit dem sie ihr behäbiges Ich zurück
transportiren lassen konnte, in einer
halben Stunde schon in Tharandt ein
traf. Grollend und schmollend nahm
sie Platz, ohne die im Coupee anwesen
den beiden weiblichen Paffagiere auch
nur eines Blickes zu würdigen. Doch
mit des Geschickes Mächten ist kein
ew'gcr Bund zu flechten". Die Loko
motive hatte kaum zu pusten angefan
gen, als sich Frau Pietsch mit den Wor
ten Um Vergebung, sein Sie epper in
Dresden bekennt?" angeredet sah.
Schon die Gesetze der simpelsten Höflich
keit erforderten, daß hierauf eine Ant
wort erfolgen mußte und sie erfolgte
mit der unserer Pietschen" eigenen
Gründlichkeit. Einmal im Zuge, fühlte
Frau Pietsch auch das Bedürfniß ihrem
Herzen ob der ihr heute widerfahrenen
Reise-Unbill Luft zu machen. Sie hatte
ihren Bericht eben mit der von einem
schweren Seufzer begleiteten Verfiche
rung geschlossen, daß ihr so etwas" in
ihrem Leben nicht wieder passtren solle,
als der Zug plötzlich hielt und die
Station Potschappel abgerufen wurde.
Frau Pietsch wurde bleich, wie eine
fnschgetünchte Wand, denn ein Blick
durch s geöffnete Fenster hatte sie bereits
belehrt, daß kein Irrthum seitens des
Schaffners vorlag. Sie besand sich in
der That in Potschappel und hatte so
nach die Station Deuben wieder über
fahren. Das Ende vom Lied war nach
kurzem erregten Wortwechsel mit dem
schnauzbärtigen Schaffner das Nachzah
len sür die llbersahrene Strecke und die
Lösung eineS neuen Billets von Pot
schappel nach Deuben. Der nächste Zug,
der von Dresden heranbrauste hielt in
Potschappel nur 2 Minuten und die
mißlaunige Frau Pietsch schlüpfte, ohne
den Schaffner auch nur eines Wortes zu
würdigen, in das erste beste Coupee 3.
Klaffe. Ein schriller Pfiff, und fort
ging's wieder, gen Deuben. Zwei
Minuten später erschien der Schaffner
am Fenster und Frau Pietsch reichte
ihm sang und klanglos ihr Billet hin.
Ja, zum Donnerwetter, wie kommen
Sie denn mit dem Billet in diesen Zug?
Der hält ja in Deuben gar nicht, son
dein erst in Hainsderg!" So schnaubt
der Schaffner die ihn wie eine böse Katze
fikirende Frau Pietsch an. Es half
nichts, die schwergeprüfte Frau mußte
kochend vor Wuth, sich in ihr Schicksal
ergeben und diesmal zwangsweise an
Deuben vorllberdampsen. In HainS?
berg, wo sie wieder nachzuzahlen hatte,
gab man ihr den etwas doshaften
Rath, daS Schicksal nicht weiter her
auszufordern und lieber zu Fuß nach
Deuben zu wandern. Ab Frau
Pietsch zischte: Euch werde ich was
husten. Ganz Deuben kann mir 99
mal den Buckel 'rauf und lunter ftei
gen." Damit schritt sie zum Billet
schaltn und löste sich eine Fahrkarte
nach Dresden. Erst unterwegs fiel
ihr ein, daß sie damit ihren Geldbeutel
ganz nnölhigermeise geschädigt halte,
da sie ja bereits im Besitz eines Tages
billets war und nur noch sür die kurze
Strecke von Hainsberg bis Deuben hätte
zu zahlen brauchen. Aber ich war von
dieser elenden Hin und Herfahrerei
schon ganz verdreht im Kopfe," so er
sicherte sie zu Hause ihrem still in sich
hineinseizenden Jerimias.
iuderhandtl t China.
Der Handel mit Kindern, besonders
mit Mädchen, der zu allen Zeiten in
manchen Theilen China's mehr oder we
Niger stark betrieben wird, scheint beson
ders in der ersten Zeit nach dem Kriege
mit Japan in der chinesischen Mand
schürn an der Tagesordnung gewesen zu
fein. Der Krieg brachte dort alle Ge
schäfte auf längere Zeit in's Stocken,
so daß die Landleute, die selbst in guten
Jahren von dem Ertrage ,des nicht sehr
fruchtbaren Bodens nur gerade leben
können, bald schwere Noth litten. Wenn
die Hungersnoth sie dann bedrohte, je
doch niqt eher, verstanden sie sich dazu,
ihre Kinder zu verkaufen. Der Japan
Mail" zufolge giebt es in der Mand
schurei regelrechte Kinderhändler. Ein
japanesischer Kaufmann, der kürzlich die
dortige Gegend bereiste, sah zum Bei
spiel einmal ein altes Weib mit fünf
oder sechs Kindern im Alter von fünf
bis zwölf Jahren umherziehen. Es war
sehr bemitleidenswerth, sagt er, diese
unschuldige Wesen in Lumpen und bar
fuß hinter der alten, Menschenhandel
treibenden Hexe herlaufen zu sehen.
Der Preis für angenehm aussehende
oder kluge Kinder schwankt zwischen Kl
und K2, aber in den meisten Fällen wird
sehr viel weniger geboten. Die Skla
enhändler lassen sich durchweg eine
schristliche Versicherung geben, daß die
Eltern ihre Kinder niemals zurückfor
dern wollen. Sklavenknaben werden in
der Regel gut behandelt, denn sind sie
nur etwas anstellig, so hofft man sie
später geschäftlich verwenden zu können,
aber Sllavenmädchen haben, wenn sie
nicht hübsch sind, meistens ein schlimmes
Loos. Besonders in Fällen, wo der
Händler seine Mädchenwaare nicht rasch
genug absetzt, müssen die armen Ge
schöpfe oft viel ausstehen. Von hart
herzigen Eigenthümern wird dieser Um
stand nachher dazu benutzt, die Mädchen
bei dem geringsten Widerstande durch
die Drohung einzuschüchtern, man wolle
sie an die Händler zurückgeben. Der
erwähnte japanische Kaufmann sah in
Niu-tschwang ein so Übel zugerichtetes
Mädchen, daß er die Aermfte aus Mit
leid ankaufte, um sie zu seiner Dienerin
zu machen. Die Knaben haben es bes
ser. In vielen Füllen wird ihnen, fo
bald dies angängig ist, von Kaufleuten
die Leitung eines Zweiggeschäfts über
tragen, und da sie in jeder Weise von
ihren Herren abhängig sind, so können
sie gar nicht anders, als nach Kräften
für ihr Geschäft sorgen. Hierin liegt
einer von den Gründen.
In seltsame Wette.
Aus Moskau. Rußland, wird berich
tct: Eine junge Dame wünschte in einer
ausländischen Universität ihre Studien
fortzusetzen, doch fehlten ihr hierzu die
erforderlichen Mittel. Da hörte sie don
dem Moskauer Philanthropen P., und
alsbald begab sie sich zu diesem und dat
ihn in herzlichen Worten um materielle
Hülfe. P. hörte ihre Bitte liebens
würdig an, erklärte ihr aber dann, daß
er grundsätzlich nicht ablehne, einem be
dürstigen Menschen zu helfen, doch wiffe
er iele Beispiele, wo die Hülfe nicht zu
dem gewünschten Ziele gefuhrt habe:
gerade Personen, welche zur Fortsetzung
ihrer Studien seine Hülfe in Anspruch
genommen, hätten sich später als wil
lens und energielos erwiesen und ihre
Sache aus halbem Wege geworfen. Des
halb habe er den Gedanken aufgegeben,
unbekannten Leuten irgendwie' zu hel
fen. Die junge Dame ließ sich mit die
ser Erklärung jedoch nicht abweisen; sie
bat Herrn P. vielmehr, ihr eine Auf
gäbe zu stellen, welche ihre Energie und
Unternehmungsluft beweisen könnte.
Nach einigem Schwanken dictirte Herr
P. der jungen Dame die Bedingung,
innerhalb zweier Monate eine halbe
Million Pserdebahnsahrscheine zu sam
mein, wosür sie die Mittel zum Stu.
dium aus die Dauer von fünf Jahren
erhalten s,lle. Liefere sie die Fahr,
scheine nicht zur Zeit ab, so müsse sie
fünf Jahre bei einer Verwandten des
Herrn P. unentgeltlich als Gouvernante
dienen. Diese Bedingung wurde von
beiden Seiten in Gegenwart von Zcu
gen unterschrieben. Dieser Tage brachte
die junge Dame Herrn P. die bedungene
halbe Million Fahrscheine: sie hatte so
fort nach Unterzeichnung deS Vertrags
alle ihre Verwandten und Bekannten
von der Wette in Kenntniß gesetzt, und
ruhte und rastete nicht, auch noch wei
tere reise sür ihre Sache ,n interesfiren.
Zwei Tage vor Ablauf der Frist fehlten
noch 7000 Stück der halbe Million: da
sprang ihr ein Sammler , und stellte
ihr sene seit Jahren mühsam zusam
mengestellte Fahrkarlensammlung zur
Verfügung. Herr P.. der die Wette
schon gewonnen glaubte, war doch hoch
erfreut, als die Zunge Dame mit ihren
mohlsortirten Fahrscheinbündeln bei ihm
erschien und damit den Beweis sür ihre
Willenskraft und Energie erbrachte.
Der König und sein dvokaten.
König Friedrich Wilhelm der Erste
von Preußen konnte die Advokaten nicht
leiden und hatte denselben streng ge
boten, nur schwarze Kleider und ein
schwarzes Müntelchen zu tragen. Sie
mochten sich in dieser Tracht wohl etwa
kurios ausnehmen, weshalb die Berli
ner Drechsler auf die Idee kamen, nach
ihrem Muster allerlei kleine Figuren zu
drechseln, welche die Advokaten dem
Witze der Bevölkerung aussetzten.
Darüber beleidigt, baten sie den König
um eine Audienz, die ihnen gewährt
wurde, und in welcher fte ihre Be
schwerden gegen die Drechsler vortru
gen. Der König hörte sie ruhig an,
dann schellte er einem Diener und gab
diesem leise einen Auftrag. Derselbe
entfernte sich und brachte alsbald dem
Könige einen in ein Papier eingewickel
ten Gegenstand. Der Monarch entsernte
das Papier, und nun sahen die Depu.
tirten eine kleine Puppe in blauem
Rock, auf dem Kopfe einen dreieckigen
Hut und einen geschwungenen Rohrstock
in der Hand.
Der König hielt diese possierliche
Figur dem nächstftehenden Advokaten
rasch vor das Gesicht und herrschte ihn
an: Wer ist das? Antwort?"
Der Advokat erdleichte und stotterte:
Majestät verzeihen"
Maul halten!" schrie der König.
Kennt Er den? He? Wer ist's?"
Euere Majestät selbst !" stotterte der
Rechtsmann.
Nun seht ihr," sprach der König zu
den Deputirten; ihr verlangt, ich soll
euch vor solcher Popanzerei beschütze,
und ich muß sie mir selber gefallen las
sen ! Ich kann doch den Drechslern das
Geschäft nicht verderben!"
Die Advokaten zogen ab, und als das
Urtheil des Königs bekannt wurde da
bekamen sie den Berliner Witz erst recht
zu fühlen.
Ei luftiger Streich von rover
Icveland.
Der jetzige Präsident der Vereinigten
Staaten Nordamerika's (geb. den 18.
März 1837) besuchte als Knabe eine
Boarding School" in New Jersey.
Einmal nun hatte er einen losen Streich
gemacht, für welchen er eine Anzahl
Schläge mit dem Lineal auf die flache
Hand bekommen sollte. Noch ahnte der
Sünder nicht das Strafgericht, das über
seinem schuldigen Haupte schwebte, und
er spielte daher bis zum Ansang der
Stunde" ganz munter Murmeln"
und beschmierte sich dabei die Hände
ganz abscheulich. So eilte er auf sei
nen Platz. Kaum saß er aber, als ihn
schon der Lehrer an's Pult rief, ihm in
strengen Worten seinen Fehltritt vor
warf und drohend das Lineal schwang.
Der kleine Cleveland warf während der
Strafpredigt einen schnellen Blick auf
seine Hände, spuckte rasch in die Rechte
und wischte sich, bevor er sie zur Straf'
hinhielt, den ärgsten Schmutz verftohle
an seiner Kutte ab; die linke Hand hielt
er auf dem Rücken verborgen. Der
Lehrer besah die entsetzlich schmutzige
Hand und sagte mit leichtem Spotte:
Höre, Junge, wenn Du im Stande,
bist, in der ganzen Klasse eine anders
Hand aufzufinden, die noch schmutziger
ist, als diese, so schenke ich Dir sür heute
die Strafe." Ohne ein Wort zu sagend
nur mit einem gutmüthig schlaue
Lächeln, das ihm heute noch eigen ist.
zog der junge Cleveland jetzt rasch
die versteckte linke Hand hervor und
zeigte sie dem Lehrer. Nur mit Mühe
konnte dieser sein Lachen verbeißen,
während die ganze Klasse in lautes
Jauchzen ausbrach. Du kannst auf
Deinen Platz gehen," sagte der Lehrer,
und triumphirend folgte der künstige
Präsident dem Befehl.
Auch ein Seburtskgs-Geschenk.
Junge Gattin: Morgen hat Mam
Geburtstag, und da sie gerade bei uns
zum Besuch ist, mußt Du ihr schon ei
Geschenk machen."
Junger Ehemann: Wie wäre eS
denn mit einer Fahrkarte zur Heim
reise?"
Unter guten Freimdinnkn.
Agnes: Weißt Du, ich möchte einen
Mann haben, der recht anspruchslos
ist!"
Flora: Sei nur ruhig, einen an
deren kriegst Du auch garnicht!"
Gclegentlicker Rath.
Aeh, gnädigstes Fräulein, fabelhast
langweilige Gesellschaft hier fünfzig
Menschen versammelt und kein Fünkchen
Geist!"
Ja. mein Werthester, wenn man i
Gesellschaft geht, so ist eS am rathsam
sten, selbst etwa Geist mitzubringen."
Ad ccalos" dtmonftrirt.
Mann: Was, die Uhr ift Zwölf, und
Tu liegst noch zu Bett?"
Frau: .Was soll ich thun. Tu woll
lest mir'S ja nicht glauben, als ich Dir
gestern sagte, daß ich kein anständige
Kleid anzuziehen habe."