Nebraska Staats-Anzeiger. (Lincoln, Nebraska) 1880-1901, September 03, 1896, Image 9

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    L
Ilur zu mir.
Von obftl Kohlrlch.
Es war ein schöner, alIerthIi,nNchr
Schrank, der in der Mitte der einen
Langmand aufgestellt war. In seinen
glatten Flächen, die mit verschiedenfar
bigen Hölzern in seltsamen Mustern
ausgelegt waren, spiegelte sich da Licht
vder von einem Schleier umgebenen
Lampe und weckte darin mattleuchtende
estexe. yie und da tprang noch helle,
rer Glanz ans dem Metall der vergal,
seien, zierlichen Beschläge hervor und
umzitterte da Schaustück aus vergange,
Nen Zagen mit einem feinen, geheim
nikvollen Schimmer.
ES war ach der Abendtafel, und der
kleine Kreis von Gasten hatte sich, durch
ein Wort unscrer freundlichen Wirthin
nsmerksam gemacht, um den alten
Schrank hier im Wohnzimmer aeschaart,
Sie erklärte zuerst nur die wunderlichen
Ornamente auf dem nachgedunkelten,
. glanienden Grunde, die sich um In
dianergestaltcn, fliegende und ruhende
Vögel, Waisen und Embleme des grie
denS anmuthig gruppirten. Dann aber
machte ne eine Pause, und leneS tiese,
plötzliche Schweigen, da auf heitere
Gesellschaft sich unvermittelt herabsenkt.
ersiillte den Raum. Mit ihrer Erklärung
war sie offenbar zu Ende, und doch
schien es, als hätte sie noch etwas zu
sagen. Sie stand, als habe sie die
Menschen um sich her vergessen, blickte
eine Weile still vor sich hin und winkte
dann zu dem Schranke hinüber, wie zu
einem alten Ficunde. Ihr Kurlönder
Dialekt mit dem rollenden R und den
, dunklen Vokalen klang aber noch dunk
ler und feierlicher, als sie nun wieder
s zu uns sprach.
Ja, ja, und ohne dieses ehrwürdige
Stück Möbel wäre ich vielleicht niemals
im Stande gewesen, meinen lieben AI
ten hier zu heirathen und ein paar gute
Menlchen wie Sie gastlich bei uns auf,
zunehmen.," Sie legte im Sprechen
ihren Arm i den ihres Mannes, eines
grauhaarigen Arztes mit menschen
freundlichem Gesicht, und sah zu ihm
auf er war um einen Kopf größer
als sie mit einem Ausdruck unzw
flörbarer. durch die langen Jahre der
Ehe nur noch gereist Liebe und Hin
aebung in ihren Augen.
Der Mann aber schien zugleich etwas
Anderes darin zu lesen, eine stumme
Frage, die un Uebrigen unverständlich
geblieben war; denn was er nun
lächelnd sagte, klang wie eine Antwort
darauf. .Erzähl' es nur. Alte. Wir
find ja hier unter guten Freunden, und
keiner von ihnen wird denken, daß Du
die Geschichte auskramst, um Dich damit
zu rühmen."
Daß wir nun auch in sie drangen zu
ivrecken. war natür im. und ibr Wider
stand war nur schwach. Wenn Sie's
hören wollen,' sagte sie und trat zu dem
Tisch heran, aus dem die rothumyan
gene Lampe stand, dann will ich's er
zählen. Aber setzen Sie sich her, sonst
komme ich mir vor wie ein Volkstri
vun. der eine große Rede halten soll.'
Wir gehorchten lachend, und bald
Satte die kleine Schaar sich auf Seffeln
und Divans vertheilt, um der Geschichte
zu lauschen. Die Hausfrau hatte sich
dem alten Schranke gcgenübergesetzt,
sodab ibre Blicke auf ihm rulien konnten.
und mährend sie gesprochen, waren ihre
Augen meist auf das matte, röthllche
Spiegelbild der Lampe in seiner glän
enden Fläche gerichtet. Ich will es
nur gleich im Voraus sagen.' begann
sie jetzt. Es ist eine sogenannte gute
That, von der ich erzählen will, die ich
selbst vollführt habe und die mir un
verdiente Früchte getragen hat. Da
sollte ich wohl eigentlich schweigen, aber
ich habe sie gethan ganz ohne Bemußt,
sein, daß eS etwas Besonderes war."
Sie verstummte sür einen Augenblick
und glättete eine kleine Falte im grünen
Plüsch der Zischdecke vor ibr, um dann
mit ihrem klugen und milden Lächeln
hinzujufügen: So sreilich sollte man
gute Thaten überhaupt wohl iminer
thun.'
Die letzten Worte hatten ein wenig
träumerisch geklungen; jetzt, als sie
fortfuhr, war ihre Stimme wieder fester.
.Ob Jemand von den Herrschaften das
Gefühl schon einmal kennen gelernt hat,
daS einen bei der Nachricht überkommt,
daß man enterbt worden ist. kann ich
nicht sagen. Ich habe diesen Augen
U1ii4 .1M mih ttinfi niHihn hnfe
mir viel besser dabei zu Muthe war. als
ich geglaubt hätte. Meine Eltern, die
nur ein müßiges Auskommen besaßen,
hatten mir immer wieder gepredigt,
daß vom Gelde das Glück des Lebens
nicht komme, un hatten mir dabei ver
heimlicdt. daß mir ein reiches Erbtheil
in Aussicht stünde. Ein alter, wunder
licher Onkel, ein Bruder meiner Mutier,
hat mich ganz unvermuthet zu seiner
Erbin eingesetzt, obwohl er mich nur
einmal im Leben, am Tage meiner
Confirmation. gesehen hatte. TaS
freute mich wohl, als ich von fremden
Leuten zuerst davon hörte, aber ich war
damals noch jung und hatte zu viel an
den Dinge im Kopf, um groß darüber
nachzudenken. Darum war auch mein
Schrecken aar nicht groß, als ich ein
Tages erfuhr, der Onkel Han hatte sich
mit der Familie keines Bruders, mit
der n längere Zeit im Unfrieden gelebt
hatte, wieder ausgesöhnt und nun sein
ganzes Erbtdeil durch ein neues Zefta
ment auf diese übertragen, obwohl sie
in gut Verhältnissen lebten. Ich
lachte sogar, IS man mir erzählte, daß
ich selbst nichts bekommen würde, als
eiiu silberne Theekanne und einen alten
Da
Jahrgang 17.
Schrank. So habe ich doch wenigstens
einen gten Anfang zur Ausfleuer,
sagte ich zu meiner Mutter, die nun
doch mit betrübter Miene dasaß.'
In der Erinnerung lachte sie noch
einmal mit einem tiefen, beinahe einem
männlichen Ton, zugleich aber so melo
disch, wie nur eine glückliche Frau mit
ruhiger Seele zu lachen versteht.
.Vorläufig war damals freilich noch
keine Aussicht auf Hochzeit und Aus
fteuer," fuhr sie fort. Ich mußte
fleißig fein, um mich auf das Leh
rerinnenexnmen vorzubereiten, aber ich
hatte guten Muth, und es machte mir
sogar Freude, daß ich nun ganz auf
mich selbst und meine eigenen Kräste
angewiesen sein sollte im Kampfe des
Lebens. Ich bin immer gesund ge
wesen und habe niemals gemußt, was
Nerven bedeuten da kann man schon
muthig sein. Erfahren that ich es frei
lich auch, daß es gar nicht so leicht ist,
sich durch s Leben zu schlagen, wenn der
väterliche Tisch nicht mehr für einen ge,
deckt ist. Meine guten Eltern starben
rasch nacheinander, und ich war nun
wirklich ganz allein. Aber ich will
mich nicht rühmen ich habe auch da
malS an die mir entgangene Erbschaft
kaum gedacht, und wenn ich es einmal
that, so geschah es ohne Neid und ?um
mer. Bald hatte ich dann auch viel
Besseres zu denken.
Sie wandte iich für einen Augenblick
von dem röthlichen Spiegelbild ab, das
aus den Tiesen des Schränke? zu ihr
herzuleuchten schien, und richtete die
Augen mit jenem Ausdruck einer zu,
aleich sanften und mächtigen Liede, der
vorhin schon einmal darin gewesen war,
auf das Gesicht ihres Gatten.
An diesen Mann hier hatte ich zu
denken," sagte sie lächelnd, der damals
noch viel jünger und auch ein klein
wenig hübscher war als heute. Wir
hatten einander kennen gelernt, ein
armer Arzt ohne Praxis und eine arme
Lehrerin, die eben eine neue stelle weit
von ihrer Heimath antreten sollte. Da
gab es einige Thränen, als der Tag
der Trennung nach kurzer, geheimer
Brautzeit herankam, aber den Mutb
und die Liebe haben wir Beide uns
nicht nehmen lassen."
Ihr Gatte reichte ihr die Hand über
den Tisch hinüber und sie ließ die ihre
ein paar Sekunden lang dann ruhen.
Indem sie dann weiter erzählte, stieg
eine leichte Röthe in ihrem Gesicht ein
por und sie schaute vor sich hin auf den
im, als reue es ne nun doch ein
wenig, die Geschichte begonnen zu haben
Es war gerade ein paar Tage, bevor
ich meine Stellung antreten sollte, da
hörte ich zum ersten Mal seit langer
Zeit wieder von dem Onkel Hans, der
mich enterbt hatte, und es klang sehr
traurig, was man mir von ihm berich
tete. Er war krank und verlassen; die
Verwandten, die ihn beerben sollten
waren nach Italien gereift und er war
mit einer Haushälterin allein zurückge,
blieben. Da er Junggeselle war, so
hatte er das Behagen einer wirklichen
Häuslichkeit niemals kennen gelernt,
aber nun war noch die Krankheit dazu
gekommen und er hatte auf seine alten
Tage Niemanden, der ftch um ihn liim,
merte, als eine gemiethete Person.
Als ich das hörte, gerade damals in
meinem Glück, es war mir, als
fühle ich einen körperlichen Schmerz.
Es soll das kein Eigenlob sein, aber ich
habe die Sehnsucht, gut zu sein, nie,
mals stark empfunden, als wenn ich
elbft glücklich war. Und ich hatte auch
gar nicht das Bewußtsein und die Ab
ficht, etwa Gutes damit zu thun. eS
war nur ein Gedanke, der mit einem
Male über mich kam, das plötzliche Ge
fühl: du mußt zu ihm! Die Stadt, in
der er wohnte, lag auf meinem Weg, es
war gar kein vwn, wenn ich dort
einen Zug überschlug, warum sollte
ich dem natürlichen Antriebe meines
Herzens da nicht folgen?
.Nun. ich bin zu ihm gegangen,"
fuhr sie fort, indem sie den Kopf erhob
und wieder gerade aus in die Ferne
blickte. ES war ein wunderschöner
Früölingstag. und ich weiß noch, daß
tsll aus oem Wege zum Unket einen
kleinen Strauß von Vergißmeinnicht für
ihn kaufte. Der Empfang war dann
freilich ganz anders, als ich erwartet
hatte. Zuerst mußte ich mir den Ein-
tritt in's Zimmer bei der Haushälterin
erkämpfen, und als ich glücklich hinein
gelangt war. fuhr mich der Onkel an
wie einen Bettler oder einen Räuber.
Was willsi Tu hier?" schrie er mir
entgegen, wenn ich eS noch so nennen
dars: denn seine Stimme war hohl und
schwach gebrochen, und ich hörte ebenso
gut. wie ich es sah, daß der Zod ihn ae
zeichnet hatte.
.Dich besuchen.' war AlleS, was ich
zu antworten wußte.
.Mich besuchen!" rief er. .Mich be
sucht Niemand. Ich bin allein und bin
es immer gewesen und will es auch
bleiben! Warum bist Tu hergekommen?
skst,
Beilage zum Nebraska Staats-Anzeigcr.
Bei mir ist nichts für Dich zu holen,
Du bekommst nichts von meinem Gelde,
hast Du es nicht gehört? Den Schrank
da habe ich Dir vermacht mit dem was
darin ist, sieh' ihn Dir an und dann
geh'! Ich ändere mein Testament nicht
noch einmal, hörst Du? Bor ihrer Ab
reise nach Italien habe ich es meinem
Bruder und seiner Frau versprochen,
daß ich eS nicht thun will, und ich thue
es auch nicht, ich will, daß man mich in
Frieden sterben läßt."
Ich war ganz bestürzt und blieb
darum still und sah ihn nur an. Das
schien ihm unangenehm zu sein, denn
er sprach selbst gleich wieder weiter,
ohne Unterbrechung beinahe. Was
hast Du hier zu suchen?" fragte er ein
wenig ruhiger; der Ton des Zornes in
seinen Worten machte allmälig dem
eines großen Kummers Platz. Zu
mir kommt ja Niemand. Wen haft
Du hier in der Stadt, zu dem Du
gehen willst?"
.Ich kenne hier keinen Menlchen,
außer Dir, Onkel," sagte ich und sah
ihm dabei gerade in die Augen, die das
einzige Lebendige in dem todten Versal-
lenen Gesichte geblieben waren.
Keinen Bekannten, keine Freundin?
fragte er weiter.
Keinen", sagte ich, keinen."
Warum denn in aller Welt hast Du
Deine Reise unterbrochen? Giebt es hier
eine einflußreiche Persönlichkeit, die Du
be uchen willst?"
Nein, Onkel, nein", gab ich ihm
zur Antwort. Ich habe an mich nicht
gedacht, als ich hierher kam. Siehst
Du, ich hatte gehört. Du wärest krank
und allein, und da, Du bist doch der
Bruder meiner Mutter, die ich so lieb
gehabt habe, da habe ich mir weiter gar
nicht überlebt, was ich that. Ich hatte
das Ge ühl, ich müßte Dir einmal
sagen, wie leid es mir thut, daß Du so
einsam bist, und darum bin ich her
gekommen, Onkel, um keines Anderen
willen, nur zu Dir."
Ich hatte gesagt, was das Herz mir
eingab, und dabei hatte mich ein immer
stärkeres Mitleid mit diesem Manne ge
faßt, der das Vertrauen und den Glau
den an die Liede der Menschen in seiner
Einsamkeit verlernt hatte. Bei meinen
letzten Worten legte ich den Blumen
strauß vor ihn hin, und in meiner
Stimme muß doch wohl etmas gezittert
haben, was ihn an meine Worte glau
den ließ. Denn sehen Sie, in
diesem Augenblick ist eine ganz merk
würdige Veränderung mit ihm vorge
gangen. Nur zu mir", sagte er so leise, daß
ich es kaum verstehen konnte, mit einem
Ausdruck als hätte sich etwas Großes
und Wunderbares ereignet. Ich habe
niemals wieder so viel Schmerz und
Freude in ein paar Worten vereinigt
gehört. Schmerz über ein verlorenes
Leben und beinahe jubelnde Freude
über ein bischen Liebe, das er so unver
muthet fand. Das Mißtrauen in sei
nen Augen war verschwunden. Hoff
nung und Güte kamen wie aus einem
Schleier darin hervor, er faßte nach
meiner Hand, und ich sah, wie ein paar
Thränen ihm langsam über das Gesicht
liefen. Nur zu mir ! Nur zu mir !"
miederholte er noch ein paar Mal und
dabei lächelte er unter Thränen immer
glücklicher und friedlicher.
Da bin ich, glaube ich, neben ihm
auf die Knie gesunken und habe ihm
die Hände gekükt und habe gerufen:
Ja, zu vk bin ich gekommen, zu Dir
ganz allein ! Und wenn Du es willst,
dann bleibe ich nun bei Dir und pflege
Lich und mache Dich wieder gesund und
fröhlich !""
Die Erregung der Vergangenheit
vibrirte in ihren Worten, und sie mußte
einen Augenblick inne halten, ehe sie
weiter fprechen konnte.
.Daraus ist freilich doch nichts ai
worden", sagte sie in etmas verändere
tem, leichterem Ton. .Ich habe da,
mals erfahren, daß ein Mensch sich an
die Einsamkeit so sehr gewöhnen kann,
daß er sie nicht mehr entbehren kann.
Bei sich behalten wollte mich der Onkel
nicht, aber als er mir Lebewohl sagte.
da konnte ich mit dem herrlichen Ge
sühle von ihm gehen, daß aus Schutt
und Trümmern eine alte, begrabene
Empfindung in seinem Herzen wieder
auferstanden war: das Pertrauen zu
den Menschen. Er bat mich um gar
nichts weiter, als daß ich ihm zuweilen
schreiben und in jedem Jahre um die
selbe Zeit zu ihm kommen sollte, um
einen eben solchen Sirauß von blauen
Blumen ihm in sein Krankenzimmer zu
bringen. Wenn er es aber nicht mehr
erledle, dann sollte ich die Blumen auf
das Grab legen.'
Er hat es nicht mehr erlebt", fügte
sie nach einem kleinen Schweigen hinzu.
Als ich im nächsten Frühjahre kam. !
da lag er schon aus dem Friedhos und
konnte auch den Dank nicht mehr bören,
den ich zu ihm hinunterlief. Ich hatte
keinen Lohn für das erwartet, was mir
natürlich und recht erfchicnen war, er
aber hatte ihn mir gegeben. Sein
Testament hat er freilich nicht mehr
ändert, doch als ich den Verschluß des
Schrankes dort öffnete, der mir nach
seinem Tode zugestellt worden war, da
lag ein Zettel darin von des verstorben
nen Onkels Hand. Nichts habe ich
Dir vermacht", stand darauf, als die,
len Schrank mit seinem Inhalt, Den
Inhalt aber konnte ich verbessern, und
das habe ich gethan. Im oberen Fach
zur Rechten wirst Du finden, was ich
Dir zugedacht habe zum Dank dafür,
daß Du mir noch ein wenig Liebe mit
ins Grab gegeben haft. Ich werde
Deiner in meiner Todesstunde gedenken
und Dich doch einmal dafür segnen, daß
Du damals zu mir gekommen bist
nur zu mir, wie Du sagtest. "
Sie war verstummt, ein mächtiges
Gefühl machte sie schweigen. Ihr
Gatte aber sprach nun an ihrer Stelle :
Jawohl, so haben wir es dem guten
Onkel und dem guten, natürlichen
Thun meiner lieben Frau zu vertan,
ken, daß wir einander heirathen und
glücklich werden konnten. Denn m
dem alten Schranke, da lag ein hüb
sches Packet mit Werthpapieren nebst
Schenkungsurkunde das am Wohn
orte des Onkels geltende Particularrecht
gestattete dieses Versahren , und wir
brauchten nicht erst daraus zu warten,
daß meine Praxis so gut geworden
war, wie sie es heute ist. Zu dem
Grabe des Onkels gehen wir in jedem
Frühjahr zusammen und bringen ihm
Blumen. Allein" er lachte ein we
nig, der Ton seiner Stimme wurde
aber noch wärmer macht meine liebe
Alte bei fremden Herren keine Besuche
mehr auf eigene Faust ; im Allgemei
nen heißt es : Nur zu mir I"
Er war aufgestanden, hatte ihr die
Hände entgegengestreckt und zog sie zu
sich empor. Ohne nach den Leuten um
sich her zu fragen, gab sie ihm einen
Kuß und sagte leise : Jawohl, guter
Alter, nur zu Dir !"
Ver Gefangnißbauineister.
Bis in das letzte Viertel des vorigen
Jahrhundert lag das englische Eefäng
nißwesen sehr im Argen, und in man
chcn Städten glichen die Gefängnisse
noch finsteren, mittelalteilichen Burg
verließen. Da trat endlich der berühmte
Philanthrop John Howard auf diesem
Gebiete erfolgreich als gründlicher Re
formator auf. Nachdem er alle Graf
schaften bereift, alle Gefängnisse tjenau
untersucht hatte, veröffentlichte er im
Jahre 1777 sein gehaltvolles Werk:
Ueber den Zustand der Gefängnisse in
England und Wales."
Seine sensationellen Enthüllungen so
vieler Mißstände hatten zur Folge, daß
man m manchen Orten sich entschloß.
neue und bessere Gefängnisse bauen zu
lasten. So auch in der gewerbsfleißigen
Stadt Lei ler. AIs Howard nämlich
dort gewesen war, hatte er bei der Be
sichtigung des uralten düsteren Kerker-
gebäudes mit Grausen ausgerufen:
Dies ist das elendeste und fchauder-
haftest Gefängniß in ganz England!
Lieder möchte ich gehängt werden, als
eine Woche lang in einem dieser grüß-
lichen Löcher fttzen!"
Dieser herbe Tadel wurmte die Per
treler der Grasschast und die Mitglieder
des städtischen Magistrats, und es wurde
von ihnen beschlossen, ein neues großes
Krafschaftsgefängniß erbauen zu lassen,
welches sowohl als Polizei und Krimi
nalgefangniß wie auch als Schuldge
fängniß dienen sollte.
Ein junger talentvoller Baumeister
mit dem etwas kuriosen Namen Money
Penny lieferte den besten und zweck
mäßigsten Plan nebst Kostenanschlag,
worauf ihm die Ausführung des Baues
übertragen wurde, und zwar für eine
bestimmte Summe, wofür er das große
Gebäude fertig zu stellen sich kontraktlich
verpflichtete.
Wohlgemuth ging er ans Werk. Es
war sein erster großer Bau. Unglück
licherweise stiegen während desselben die
Arbeitslöhne der Maurer und Zimmer
leute, und Moneh Penny vermochte mit
der ihm zur Verfügung stehenden Bau
summe von 15,000 Pfund Sterling
nicht auszureichen, sondern sah sich ge
nöthigt, dieselbe um etwa 900 Pfund
zu überschreiten. Er bat um Nachbe
milligung dieser Summe, doch sein Ge
such, dgle'ch wohlbegründet, wurde
rundweg abgeschlagen.
Aus diese Wiise verdiente er nicht
nur nichts bei dem Bau, er gedeih da
durch auch noch in druckende Schulden.
Denn er war vermögenslos und hatte
Kredit bei Kclbleuten in Anspruch neh-
mcn müssen. Weil er nun diesen
Herren gegenüber seinen Berpgichlun
gen nicht nachzukommen vermochte.ließen
sie über ihn die Schuldhast erhängen.
und so fügte es sich als ganz seltsam,
daß der vortreffliche junge Baumeister
No. 10.
als allererster Gefangener in das von
ihm selbst neucrbaute Gesängniß gesteckt
wurde.
Drei Wochen faß er bereit, da kam
Howard von einer großen Auslands,
reise, die er unternommen hatte, um
auch in anderen Staaten Europas die
Beschaffenheit der Gefängnisse, Hospi
tüler. Pesthäuser u. s. m. zu siudiren,
zurück in die Heimath.
In London hörte er, daß in Leicester
ein großartiges neues iesängniß seit
kurzem vollendet worden sei. Das in,
teressirte ihn sehr. Unverzüglich machte
er sich auf die Reise, da er den Neubau
zu besichtigen wünschte.
Nach der Ankunft in der Stadt Lei,
ster führten einige Grafschaftsvertreter
nnd mehrere Magistratspersonen den be
rühmten Mann in das neue Gefängniß,
und zeigten ihm alle praktischen Einrich
tungen desselben ; er war darüber des
höchsten Lobes voll.
Endlich einmal ein wahrhaft gutes
und zweckmäßiges Gesängniß," rief er
zufrieden. Hier giebts nicht zu tadeln,
nur alles zu rühmen. Wer ist der ge
schickte Baumeister?"
Ein gewisser George Money-Penny
ist's," wurde ihm geantwortet.
Wo ist er? Den Mann muß ich ken
nen lernen!"
Das ist leicht zu bewirken, und zwar
ohne alle Umstände, denn er sitzt hier im
Gefängniß.
Ist das möglich? Was hat der Un
glückliche verbrochen?"
Ersitzt in Schuldhaft."
Wie geht das denn zu?"
Man gab dem Besucher genaue Aus
kunft über ton Sachoerhalt.
Da rief Howard entrüstet: Aber es ist
doch eine wahre Schmach und Schande,
einen solchen Mann so undankbar zu be
handeln. Ich werde den Vorfall in die
Oeffentllchkeit bringen."
Bitte, thun Sie das lieber nicht,
Sir !"
Dann, meine Herren, verschaffen
Sie den braven Architekten die Freiheit
wieder, oder ich werde allen Ernstes die
Sache selbst in die Hand nehmen, und
eine öffentliche Subscription zu seinem
Besten veranstalten."
Darauf ließ er sich zu dem jungen
Baumeister in dessen Zelle führen.
Bald werden Sie frei sein." sagte er zu
ihm. Ueberall werde ich Sie empsehlcn.
Sicherlich werden Sie schon in nächster
Zeit anderwärts gute und lohnende Ar
beiten erhalten."
Danach verließ er ihn.
Von srohen Hoffnungen erfüllt, blieb
der Schuldgefangene wieder allein.
llnterde en hielten die Vertreter der
Grafichaft und die Magistratspersonen,
welche sich wohl ein wenig schämten und
sich sämmtlich auch geschmeichelt fühl,
ten, durch das von einem solchen ausge,
zeichneten Sachkenner ihrem neuen Ge-
fängnisse gespendete Lob, rasch eine Be,
rathung ab, deren erfreuliches Resultat
war, daß ne ftch nun doch dazu entschlos
sen, eine Nachzahlung von neunhundert
Pfund Sterling z bewilligen.
Der junge Baumeister wurde also der
goldenen Freiheit wiedergegeben.
Verdientermaßen fand er letzt den
höchsten Beifall. George Moncy-Pennh
erhielt Aufträge vollauf, auch in anderen
Städten solche viuftcrhaste Gefängniß,
bauten auszuführen. Das that er mit
bestem Erfolge, denn er nahm sich in
betreff der kontraktlichen Abmachungen
be er m acht dabei, als das erste Mal.
Im Laufe der Zeit wurde er durch feine
Gefängnißbanten ein sehr wohlhabender
Mann.
Der Taitt" kommt.
In einer Plauderei der .Köln.
Bolkszeitunq" über oderschwäbische Eit
ten und Gebräuche wird erzählt, daß in
der Gegend von Aalen seit uralten Zei
ten der Braut am Hochzeitsmorgen ein
Teller voll Sauerkraut vorgesetzt wurde.
Sie ißt davon und denkt daran, daß der
Ehestand auch sauer, ein Weheftand
für sie werden kann. Was sie übrig
läßt, das muß der Bräutigam er
zehren. Tiefgründige Gemütaer kön
nen bei dieser eigenartigen, aber doch
sinnrrichen Sitte allerdings zu guten
un nachwirkenden Entschlikkungen ge
langen. Für solche Eheleute nun, bei
denen das Sauerkraut am Hocheits
morgen nicht die erhoffte Wirkung that,
hatte man in Schwaben ein trüiliaes
Mittel erdacht, und zmar in der Sitte
.Der Datte kommt!', welche shr geeiq.
net war, kriegerische Edeteute friedlich
zu stimmen. Diese Sitte dest,,nd zu
Rottweil. Die verbeiratdeten Männer
wählten nämlich jedes Jahr insgeheim
drei unbescholtene Männer, davon der
eine der Datte" dieß. Dieses Kleeblatt
hatte kür das laufende Jahr die tthr
deS OrteS zu Überwachen und bei Ehe
ftreitigkeiten, Treudruch u. f, w. einzu
schreiten. In dunkler Nacht erschi'N
der Datte vor dem Schlaskammersenfter
deS kriegführenden Ehepaars, er kloplte
gegen das Fenster und rief, wein man
innen munter geworden war: .Der
Datte kommt!" Hierauf entfernte er
sich schweigend. Kehrte nach seinerW
nun der Friede ein, so war e gut.
Wurde dagegen der Ehckrieg fortgesetzt,
so erschien der Datte nochmals und
warnte zum zweite Male: .Der Datte
kommt." Kehrten sich die Gewarnten an
diese zweite Ankündigung auch nicht, si
erschien da? EhewächtcrKleeblatt zur
Nachtzeit vermummt, sie drangen in'S
Haus, der Datte mit dem spanischen
Rohr in der Hand: er prügelte den
schuldigen Ebethcil. oder waren Beide
schuldig, auch Beide weidle' durch.
Hierauf entfernten sich die Rächer Ichwei
gend, wie sie gekommen waren; aber
ein freundlicherer Gast hielt darnach
meist im Hause seinen Einzug, der Ehe
friede, und eS soll nicht nöthig gewesen
sein, daß der Datte seine Kur hätte
wiederholen müssen. Einmal waltete
er aber seines Amte so wuchtig, daß
sich die Behörde einmischte und dieser
Sitte ein jähes Ende bereitete.
Der Spiegel.
Ein zweifelhafter Freund ist ohne
Zweifel der Spiegel. Und doch dars
er jetzt nirgends fehlen, weder in Palast
noch Hütte. Früher war das freilich
anders da mußte man sein Abbild
im ruhigen, klaren Wasser oder im
Abglanz blankpolirter Metalle suche,
was allerdings den Nachtheil unklarer,
verschwommener Linien besaß. Im
Alterthum waren die Spiegel eine koft
barleit, deren nicht Jeder sich erfreuen
konnte, denn sie bestanden ans polirtem
ld und Silber, und waren gewöhn-
lich mit Edelsteinen besetzt. Sie wur
den von Sklaven während der Toilette
gehalten, oder bei dem schwelgerischen
Wähle den bekränzten Gästen hinge-
stellt, damit diese das Vergnügen hat-
ten, sich in undeutlichen Umrissen be
wundern zu können. Auch im Mittel
alter blieb der Spiegel Luxusartikel.
Er kam nur in , vornehmen Häuser
vor, und auch da nur selten. Tausende
und aber Tausende von Menschen lebten
und starben, ohne sich jemals gespiegelt
zu haben.
Erst als die Venetianer unser heun
ges Spiegelglas erfunden, begann sich
der Krystall-Spiegel allmählich einzu
bürgern allerdings sehr allmählich.
den noch in der zweiten Hälfte des 16.
Jahrhunderts, als sich die neue Erftn
dung in Frankreich unter der piachtlie
benden Katharina von Medicis zuerst
zu verbreiten ansing, waren die spie
gcl so kostbar, daß man Ire breitesten
Rahmen vom edelsten Metalle benützte.
nm an Spiegelglas zu sparen.
Poetischer Stoßseufzer eines junge
Ehemannes.
Ein junger Ehemann, der an seiner
Frau, einer höheren Tochter," wahr
schcinlich üble Erfahrungen machte, läßt
folgenden poetischen Stoßseuszer er
nehmen :
Du bist wie eine Blume,
So hold, so schön und rein,
Du kannst nicht Strümpfe stopfen,
Klavier doch spielst Du fein.
Du.kennft keine Braten und Saucen,
Das Koben ist völlig Dir fremd!
Du haft viel noble Passionen,
Und ich ein zerrissenes Hemd !
Mir ist, als ob ich die Hände
Müßt legen aus's Portemonnaie,
Betend, daß Gott Dich erhalte,
Wahrend ich pleite geh'I
Neue Krankheit,
A. : .Ich kann morgen nicht zum
Begräbniß habe keinen anständigen
Hut, denn mein Cylinder ist total rui
nirt. Entschuldige mich nur bei Schul
zens, sage meinetwegen, ich wäre krank!"
B, : Na, dann kann ich ja sagen.
Du hättest Angftröhrenkatarrh.'
Schlagen.
Bertheidiger: Und bitte, bedenken
Sie, daß der Angeklagte das gestohlene
Geld bereits verausgabt, er somit keinen
Genuß mehr von der That hat, und au
dieser somit ja auch nichts mehr zu
ändern ist."
Das überflüssige T.
Mama (zu Hildegard nach dem Ball:
Nun, hat sich Dir der Baron endlich
erklärt?"
O gewiß. Mama, er nannte mich
Herrscherin seiner Träume" I"
Larifari! Warum nicht lieber bald
Herrscherin seiner Räume"!"
Ans der modernen Rechtsprakis.
Klient: .Wir haben Ihnen nun un-
fern Streitfall vorgelegt. Herr Anwalt.
Wer von uns Beiden wücoe nach Ihre,
Meinung verurtheilt werden?"
Rechtsanwalt. .Jedenfalls der schul.
dige Theil!"
Klient: .Und wer ist der schuldige
Theil?"
Rechtsanmalt: TaS kommt aam ans
den Spruch des Richters an!"
Linsach.
Sonntagsjäger (zu einem anderen
.Jetzt halte ich so ein prächtiges kwkerl
auf dem Korn und es ist mir entqan
gen!"
Das macht nichts! Kaufst Dir
halt einen anderen."
Gefoppt.
Ein Schusterjunge klopft an eine
Bäckerladen und fragt: Haben Sie
vielleicht alte Semmeln?'
,;V."
.Geschieht Ihnen ganz recht, warum
haben Se nid) frisch verkoost?'
?