Nebraska Staats-Anzeiger. (Lincoln, Nebraska) 1880-1901, August 20, 1896, Image 9

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    Das Viindelchen.
9!oot(I(tle von Cmll P e s ch ! c, u.
Am Morgen jene Tage? so be
gann Freund G. seine Erzählung
iuyr ich n Schweiß gebadet, mit einem
milden Angstschrei aus dem Schlafe
auf. Da Herz schlug mir, als wollte
zeriprmgen, und meine Arme fuhren
zuckend, krampfhaft in die Luft, als
mllßten sie dort etwas erfassen, festhal
Kn, an meine Brust reißen. Es dauerte
lange, ehe ich ganz zum Bewußtsein
kam. Matt und fiebernd lag ich da,
starrte verwundert nach den Bucherrega
len, nach dem mit Schreibereien bedeck
ten Tische, nach dem Glasschrank mit
der elektrischen Batterie, den Draht
spulen, den kleinen Ballons und
Phiolen. Erst allmählich besann ich
mich so weit, daß ich ja in meinem
Arbeitszimmer auf dem Sopha lag.
Da hing auch meine Taschenuhr an
dem Bronzeständer, dessen Füllung
meine Frau so hübsch gestickt hatte
und dort lagen die Pantoffeln, die auch
von ihr (noch Jiel hübscher) gestickt
waren ich hatte eben geträumt und
nun kam mir auch der Traum, den ich
so schwer abzuschütteln vermochte, ganz
deutlich in die Erinnerung. Ich hatte
den traurigen Herbst gesehen, genau so,
wie er jetzt durch das vom Regen ge
trübte Giebelfenster zu mir hereinblickte:
die kahlen Bäume, das melancholische
Rieseln, die einsam im Nebel der-
schwindenden Felder, den müden,
grauen Himmel. Und plötzlich war die
Thür unseres Häuschens geöffnet wor
den, leise, vorsichtig und fröstelnd.
zusammenschauernd, den Kopf mit
einem ärmlichen Tuche verhüllt, wankt
eine weibliche Gestalt hinaus in die
Dämmerung. In der Hand trug sie
ein Bündelchen, und als ich aufschreiend
meine Frau erkannte, da hielt sie mir
das Bündelchen entgegen und sagte mit
einer Stimme, die wie aus dem Grabe
klang: Es ist nur das bischen Wäsche,
Georg ich nehnie sonst nichts mit."
Und nun schrie ich zum zweiten Male
auf und erwachte.
Ja, das hatte ich geträumt. Und in
der Erinnerung daran trat mir der
Schweiß wieder auf die Stirn, das
Athmen wurde mir schwerer und von
Neuem kam die Angst, das herzzer
reißende Mitleid. Dann aber auch der
Widerspruch, der Hohn. Wie sie wohl
geschlafen hatte nach dem Zank von
gestern?" Ob auch sie durch solch einem
Traum gemartert worden? Ob sie jetzt
auch so dalag .... fiebernd , ... mit die
sem Wehgesühl, das nur Jemand kennt,
der geliebi hat.
Plötzlich hörte ich draußen ein leises
Schleichen. Die Treppe herauf, an den
Wänden, dann nach der Thür zu, jetzt
wurde leise angeklopft.
Was giebt'S?" fragte ich, vom
Sopha springend.
Dann hörte ich die Stimme unserer
Auguste.
Ich wollte nur fragen, ob der Herr
Doktor den Kaffee auch in Jhrem'Zim
mer nehmen werden."
Nein, nein," erwiderte ich rasch.
Ich komme hinab. Aber es ist ja
doch . es ist doch noch nicht Zeit."
Der Herr Doktor gehen ja heute
schon früher in's Geschäft. Wir haben
Donnerstag."
Donnerstag? Natürlich. Das hätte
ich ganz vergessen. Ihr Du denkst
doch an Alles, Auguste. Meine
Frau sie ist wohl noch gar nicht
auf?"
O doch. Die Frau Doktor sind
schon um sechs Uhr aus den Federn ge
wesen."
Um sechs Uhr? Wirklich, Auguste?"
Die Frau Doktor plätten nämlich.
Ich muß jetzt auch nach dem Eisen
sthen."
Ich komme gleich," rief ich ihr noch
nach, während sie sich entfernte. Meine
Frau plättete! Als das Mädchen das
sagte, fühlte ich einen Stich im Herzen
und ich sah wieder die rührende Gestalt
mit dem Bündelchen hinauswanken in
die Dämmerung. Was hatte Mathilde
um sechs Uhr Morgens zu plätten?
Warum war sie so früh aufgestanden?
Ich hätte doch liebn Aber nein, es
war gut so. Der Zank hatte sich nur
über einer Lappalie entsponnen, aber
wenn sie mich geliebt Hütte, wie ich
r"-Tült INI sie jcyi iiruic, ituurin ioi out
Bündelchen gesehen.. ..
Herr Toklor!" rief die Stimme
Zluguftens von unten.
Ich komme", antwortete ich, dann
beendete ich rasch meine Toilette.
Als ich zehn Minuten später in unser
Eßzimmer trat, saß Mathilde bereits
vor dem Kaffeetisch und ich bemerkte,
daß sie eben recht kräftig in eines der
knusperigen FrllhftückSbrodchen biß.
Mit ihren rosigen Wangen und ihren
bereits zierlich geordneten blonden Löck
chen. mit der schneeweißen sauber ge
steiften Schürze und dem trotzigen AuS
druck um da4 süße schwellende Münd
chen berum, sah sie so gar nicht nach
dem Bündelchen aus. daß sich mein
Herz wieder ein wenig verhärtete. Ich
war mit einem Gefühl eingetreten. alS
wüßte ich sie in meine Arme nehmen
und mit ihr durch'S Zimmrr tanzen
nun aber sagte ich nur kalt: Guten
Morgen. Mathilde."
Guten Morgen, Georg." erwiderte
sie.' , . .
Tann schenkte sie mir Kanee tut,
-.ch! mir die Broschen, die Butter,
immer ohne ein Wort zu sprechen, im.
mer mit derselben mehr gleichgiltigen
alS trotzigen Miene.
Um dem peinlichen Sichweigen rn
Jahrgang 17.
Ende zu machen, fragte ich endlich, wie
sie geschlafen habe.
,O danke, ganz gut," war die Ant
wort. DaS heißt,. .."
,DaS heißt?"
.So gut wie Du habe ich allerdings
nicht geschlafen. Ich bin schon vor sechs
Uhr ausgestandeii."
,Ach ,a.. ,. Du hast,. ,. Du hast
geplättet."
Plötzlich fuhr das blonde Köp chen.
das bisher vermieden hatte, mich anzu
sehen, in de Höhe und die dunklen
Augen bohrten sich fast feindselig in die
!ine,i.
Du weißt, daß ich Du hast also
daran gedacht?"
Woran soll ich gedacht haben?"
fragte ich verwundert.
Daß ich heute zum Kaffeekränzchen
bei Behrens muß."
Kaffeekränzchen bei Behrens?" lachte
ich auf, obwohl ich wieder einen schmerz
lichen Stich empfunden hatte. Nein,
daran daran habe ich wirklich nicht
gedacht!"
Ich meinte," erwiderte sie pilirt,
weil Du doch vom Plätten sprachst.
Und Du weißt ja, daß das einzige
Kleid, in dem ich zu so etwas gehen
kann mein schwarzes Spitzenkleid."
Ich weiß gar nichts. " unterbrach ich
sie erdrossen. Ich war heute Morgen
wirklich nicht danach gestimmt, an Klei
der und Kränzchen zu denken. Auguste
hat mir gesagt, daß Du plättest. Uebri
genS ist es jetzt höchste Zeit für mich.
Du weißt ja, daß ich Tonnerstag
Adieu, Mathilde."
Sie war aufgestanden und an's Fen
ster getreten , , , . ich machte jetzt ein paar
Schritte nach der Thür zu.
Adieu, Mathilde!"
Adieu," tönte es kalt und kurz zu
rück.
Sie wandte sich nicht um und ich er
griff die Klinke. In diesem Augenblick
aber schien eS mir, als könnte ich nicht
über die Schwelle schreiten. Und der
Zorn, der in mir aufgestiegen war,
kämpfte vergebens mit diesem wunder
lich schmerzlichen, diesem qualvoll ver
zehrenden Liebesgefühl. Ich sah ja
wieder das arme Weib, wie es fröstelnd
hinaus in die Herbftdämmerung wankte,
das Bündelchen in der Hand. Und wie
aus dem Grabe herauf zitterte es durch
meine Seele: Es ist nur das bischen
Wäsche, Georg ich nehme sonst nichts
Mit." Mathilde!" schrie ich auf, und
nun wandte sie sich um und sah mich er
schrocken an.
Was willst Du? Was haft Du?"
stammelte sie, ohne näher zu kommen.
Du wirst den Zug versäumen."
Ich habe heute einen Traum ge
habt," fuhr ich fort, einen Traum. , .
ich träumte von Dir, Mathilde."
Nun kam sie mir einen Schritt ent
gegen.
Wirklich? Und ich, .. - ich habe von
Dir geträumt So schön, Georg!"
Sie machte noch drei Schritte, und
im nächsten Augenblick stand ich vor ihr
und faßte ihre Hand.
Ich, Mathilde, ich habe gar nicht
schön geträumt. ' Ich sah Dich aus dem
Hause gehen mit einem Bündel
chen."
Ein Lächeln glitt über das süße Ge
sichtchen. Wie hübsch sie doch war.
Ich sah Dich auch mit einem Bün
deichen, Georg," erwiderte sie.
TaS ist seltsam. Und ich ging auch
so fort? So. ...so. ...als sollte ich
nimmer wiederkehren als ginge ich
in den Tod?"
Sie schüttelte den Kops und sah mich
nachdenklich an.
Das haft Du von mir geträumt.
Georg?"
Ja. Und als Tu so hinausschlichft.
so jammervoll, und sagtest. Du nähmest
nichts mit. als das bischen Wäsche, da
kam eS mir fürchterlich, fürchterlich,
Mathilde . ... wie närrisch lieb ich Dich
habe !"
Sie sah mich noch immer nachdenklich
an und plötzlich schössen ihr die Thränen
in die Augen.
Die Träume kommen doch wohl aus
dem Blut. Georg?" fragte sie mit son
derbar zitternder Stimme. .So recht
aus der eigensten Natur?"
Tai denke ich auch. Mathilde." er
widerte ich.
Und nun war sie mir um den Hals
geflogen, und wie hat sie mich da ge
küßt, wie haben wir einander geküßt !. .
Närrchen !" sagte ich endlich, was
hat Dir denn eigentlich geträumt. War
denn auch ein Liebestraum?"
Den Kopf zurückdiegend sie saß
jetzt auf meinem Cchooß und ihre tbrä
nennasien Augen ans die meinen hef
tend, bisweilen meine Hände wie im
Fieder drückend, so erzählte sie nun, wie
ich ibr im Traum erschienen war.
Ganz zeheimnißvoll hattest Tu die
Thür geöffnet leise, vorsichtig
und dann kamst Tu herein, Georg, daß
ich or Angst aufschrie s finster
Sonntagsgast.
Beilage zum Nebraska Staats-Anzelger.
sahst Du aus und dann Georg,
hieltst Du mir das Bündelchen entgegen
und sagtest drohend: Da!" Als ich
es aber nicht nehmen wollte und weiter
floh, da lachte Du auf, warfst Dich auf
die Knie und sagtest: Perzeih', Ma
thilde sei wieder gut da sieh
ich habe ja immer an Dich ge
dacht immer und weil Du
doch eigentlich kein rechtes Kleid hast,
um in solch eine Gesellschaft zu gehen , . ,
sieh nur, sie Mathilde da habe ich
Dir eines mitgebracht. Aber Du lachst
,a, Georg?"
Ja, Närrchen, soll ich denn darüber
nicht lachen?" zauchzte ich aus. Ist
Dir denn garnicht zum Lachen? Gar
nicht zum Lachen?"
Sie schüttelte den Kopf, und die
Thränen drangen ihr wieder in die
Augen.
Ich fühle jetzt erst, wie viel besser
Du bist, Georg! Wie viel mehr Du
mich geliebt hast! Aber jetzt liebe ich
Dich gerade so wie Du mich lieb hast
ja gerade so."
Und dann neigte sie ihr Gesicht wie
der nach dem meinen und das Küssen
begann auf's Neue.
Als der Doktor mit seiner Erzählung
so weit gekommen war, deutete er mit
der Hand nach dem Glassturz, der auf
einem Schrank im Wohnzimmer steht.
An jenem Tage," fuhr er dann
fort, haben wir das Bündelchen dort
gemacht und einen Glassturz dazu ge
kauft. Und so blieb es immer bei uns,
obwohl wir das idyllische Häuschen ja
dann verlassen mußten, obwohl wir viel
herumgezogen in der Welt, obwohl es
dann zweimal vorkam, daß der Glas
stürz zerschlagen wurde. Einmal von
einem kleinen Hans und einmal von
einer noch kleineren Mathilde. Und so
oft irgend etwas unseren Frieden stören
wollte, da hieß es immer nur: ,,Ma
thilde, nimm doch das Bündelchen,"
oder Georg, willst Du nicht nach dem
Bündelchen sehen?" Dann stieg immer
sofort die Liebe siegend herauf in
unseren Herzen, und was uns aus
einander bringen wollte, wurde hinweg
geküßt und hinweg gelacht. Bis wir's
nicht mehr nöthig hatten. Denn von
Jahr zu Jahr wurde das Bündelchen
seltener angerufen und jetzt.... jetzt
thront es nur noch dort oben als unser
Jamilienheiligthum, als eine Erinne
rung an die köstlichsten Augenblicke, die
uns das Leben geboten hat "
Gauner-Humor.
Ein Lebensbild von P a u l B l i h.
Es war eine schöne Sommernacht.
Zwei Uhr mochte es wohl gewesen sein.
Langsam ging ich durch den Thiergar
ten meiner Wohnung zu. Ich kam aus
einer kleinen Gesellschaft. Ein Freund,
ein bekannter Portraitmaler, feierte fei
nen Geburtstag und hatte sich einige
Bekannte zur Bowle geladen. Wir
waren alle Junggesellen, alle luftige
und trinkfrohe Manner, und so wurde
denn das kleine Fest auch ausgelassen
heiter. Gegen zwei Uhr erst trennten
wir uns.
Die schöne milde Nachtluft that mir
außerordentlich wohl, und mit Behagen
zog ich den frischen Duft des jungen
Grüns ein. Meine Müdigkeit war
vorbei, der kleine Rausch war auch ver
flogen, und jetzt fühlte ich mich köstlich
wohl.
AIS ich meine Straße betrat, graute
schon der Morgen. Tie Milchmagen
kamen aus den Pororten in die Stadt
gefahren. Bäckerjungen und Zeitungs
frauen begegneten mir bereits, so daß
ich mich heimlich schämte, als Müßig
gänger erst jetzt heimzukommen, da
Andere bereits ihr Tagewerk begannen.
Ich war froh, daheim und all den
neugierigen Blicken entkommen zu sein.
An Schlafen war nicht mehr zu
denken. Ich zog mich also um. legte
mich auf die Ehaiselongue, die unmit
telbar unter dem Fenster stand, dessen
beide Flügel ich vorher weit öffnete,
und wollte so träumend den Tag ermar
ten.
Ungefähr eine halbe Stunde mochte
so vergangen sein, als ich plötzlich leise
Schritte vernehme im Kies meines Vor
artenS, der mit zu meiner Parterre
Wohnung gehört. Zuerst glaubte ich.
geträumt zu haben, als ich aber mit
Aufbietung aller Kräfte hinhorche. höre
ich ganz deutlich die leisen, schleichenden
Schritte.
Eben wollte ich auf, zu sehen, wer da
sei, als die Schritte nicht mehr gehört
wurden. Dafür höre ich nun ebenso
deutlich, wie Jemand das eiserne Gitter
erklettert und zwischen den spitzen
Stäben langsam weiter steigt. j
Ich greife zu meinem Revolver, plötz
lich aber sehe ich über mir zum Fenster
herein ein paar Beine baumeln. Im
Nu greife ich danach, halte fest mit der
Kraft der Angst, und ziehe so den Kerl
herunter, daß er auf die Chaiselongue
purzelt. Jetzt werfe ich mich auf ihn
und drücke ihm die Kehle zu. Alles das
Werk eines Augenblicks.
Der Gauner aber, mit überlegenem
Lächeln, flüstert Guten Morgen!"
Das kam mir so überraschend und
dermaßen komisch vor, daß ich mit
lächelte, ebenfalls Guten Morgen!'
sagte und ihn losließ.
Sofort erhob er sich und sagte
lächelnd: Na, Sie find doch wenigstens
'mal ein vernünftiger Mensch, immer
leben und leben lassen ein Anderer
hätte mich vielleicht gewürgt."
Sprachlos musterte ich ihn. Seine
mehr als defekte Kleidung war wenig
vertrauenerweckend, und unwillkürlich
griff ich wieder zum Revolver.
Doch wieder lächelte er und sagte
Meinethalben brauchen Sie sich keine
Mühe zu aeben, ich gehe jetzt wieder so,
wie ich gekommen bin. Stecken Sie
nur die Knallbüchse getrost em."
Noch immer weiß ich nicht, was ich
von dem Kerl halten soll. Dann aber
frage ich: Was wollen Sie hier?"
Was kann ich gewollt haben? Ein
brechen wollte ich," entgegnete er mit
der größten Seelenruhe.
Nun wird man Sie einstecken."
Meine Sorge!" sagte er ruhig,
wenigstens bekomme ich dann wieder
etwas zu essen."
Und warum wollten Sie ein
brechen?"
Finster sah er mich an. Weil ich
Hunger hatte," sagte er schroff.
Aber man hätte Sie doch leicht er
tappen können; es ist ja bereits ganz
hell draußen, und alle Augenblicke
kommt Jemand hier vorbei; ja, es ist
geradezu erstaunlich, daß man Ihr
Einsteigen von draußen nicht bemerkt
hat."
Das märe mir ganz schnuppe ge
we,en. Wenn man seit drei Tagen so
gut wie nichts gegeffen hat, ist man zu
Allem fähig."
Der arme Kerl dauerte mich letzt
wirklich. In seiner ganzen Haltung
war so viel Ernst, so viel Verachtung
aller Gefahren, daß er in meinen Augen
einen Zug von Größe bekam.
Wollen Sie etwas e et ' fragte
ich.
Erstaunt, fast ungläubig starrte er
mich einen Augenblick an, dann an!
wartete er lächelnd: Dann wäre wenig
stenS meine Mühe nicht ganz umsonst
gewesen."
Ich zwang mich, ernft zu bleiben,
winkte ihm, mir in das Nebenzimmer
zu folgen, und dort setzte ich ihm Brod,
Butter und etwas kaltes Fleisch vor.
Mit einer wahren Gier aß er darauf
loS und kümmerte sich nicht im Gering
sten um mich.
Erst jetzt bemerkte ich, daß er ein in
telligentes Gesicht hatte. Ich beobachtete
ihn nun genauer. Er war vielleicht
vierundzwanzig Jahre, hatte schmale,
fast weiblich zarte Hände, und seine Art
zu essen zeigte deutlich, daß er ehemals
wohl in besseren Verhältnissen gelebt
hatte. Sein Anzug war zwar sehr de
fekt, aber trotzdem ließ er doch erkennen,
daß er aus gutem Stoff und nach der
vorletzten Mode war.
Tann goß ich ihm eine Flasche Bier
ein..
Er trank und meinte lächelnd: Man
ißt ganz gut bei Ihnen, mein Herr."
Auch ich mußte lächeln über seinen
trockenen Witz. Aber gleich wieder war
ich ernft und fragte: Haben Sie denn
keine Eltern oder Angehörigen mehr?"
Er verneinte. Meinen Vater habe
ich nie gekannt und meine Mutter ist
vor fünf Jahren gestorben. Verwandte,
die ich habe, wollten mit mir nichts zu
thun haben."
Ader warum arbeiten Sie denn
nicht? Sie sind doch gesund und kräf
tig. Haben Sie denn kein Handmerk
gelernt?"
Nein, ich wollte zur Bühne gehen.
Aber ich habe kein Talent. Und seit
meine Mutter todt ist, bin ich Verbum
melt."
Aber, was soll denn aus ihnen Mer
den? Sie sind noch f jung. Schä
men Sie sich denn gar nicht, so zu ver
lottern?" I
Grinsend sah er mich an und sagte:
Sie gehören wohl zu dem Verein für
Rettung Gefallener?"
Ich machte ein böses Gesicht und
wollte ihm eben eine Zurechtweisung
geben, als er sofort abbittend einlenkte.
Entschuldigen Sie, daß ich ihre Lie
denswürdiakeit so schiecht lohne, aber
ich kann mich nicht anders machen, wie !
ich bin. Sie brauchten la nur Lärm
zu schlagen, dann wäre ich eingesteckt
worden. Sie haben eS nicht getdan.
Gut, so sind Sie eben anders, als die
Anderen. Aber wenn Sie un ihr Lie
beSwerl krönen wollen, dann geben Sie
mir noch ein paar Groschen, und dann
lassen Sie mich laufen."
.Ader was foll denn aus Ihnen wn
Ro. 14.
den, Mensch, so versinken Sie ja ganz!"
sagte ich entsetzt.
Ich gehe schon nicht unter, dafür
brauchen Sie keine Sorge zu haben.
Ich befinde mich jetzt nur vorüber
gehend in so desolaten Verhältnissen.
Ich habe Pech gehabt. Ich spiele famoS
Billard. Und' bei den Rennen wette ich
auch. Wie gesagt: Ich gehe schon nicht
unter."
Nun, ich gab ihm also ein paar
Mark, schenkte ihm auch noch einen
Rock, und dann ließ ich ihn durch den
Eingang zum Hinterhaus fortgehen.
Nochmals besten Dank" rief er,
und lassen Sie fich's gut gehen. Viel
leicht sehen wir uns 'mal bei einer besse
ren Gelegenheit wieder" dann ging
er, stolz und aufrecht, als gehöre ihm
halb Indien.
AIs ich auf meiner Chaiselongue lag
und das ganze doch gewiß höchst eigen
artige Erlebniß durchdachte, kam mir
immer wieder der Gedanke, da es im
Grunde schade sei um den Burschen, in
dem doch gewiß irgend ein Talent steckte.
Vielleicht fand ich ihn einmal wieder.
Dann wollte ich ihn 'mal ernsthaft
stellen, daß er wieder auf gute Wege
käme.
Nun, ich traf ihn bald darauf schon
wieder. Aber wie!
Er lag im Thiergarten, an einen
Baum gelehnt, den rechten Fuß unter
geschoben, so daß es aussah, als sei der
Fuß invalid, denn eine Krücke lag auch
dabei; über den Augen trug er eine
große Brille mit dunkelblauen Gläsern,
und neben ihin stand eine große Blech-
büchse für die Almosen; fortwährend
bat er kläglich: Bitte, ein armer
Mann."
Da er noch meinen Rock trug, erkannte
ich ihn sofort. Erstaunt trat ich heran
und fragte, was ihm denn passirt sei.
Wieder verzog er grinsend den Mund,
wie ehedem, dann sah er sich spähend
um, ob auch Niemand ihn hören könne,
und sagte halblaut zu mir: Das ist ja
alles nur Mumpitz, ich bin ja ganz ge
mnd, aber es 1 1 wirtlich ein ganz ein
klägliches Geschäft, die Leute fallen
d'rauf rein. Man muß eben sehen, wie
man durch die Welt kommt.
Ich schwieg und ging weiter.
Nun war ich curirt.
Dann, nach einem Jahre vielleicht,
traf ich ihn wieder. Diesmal stand er
vor t iti Richter.
Ader wieder war es ein ganz eigen
artiger, fast ein genialer Streich, den er
vollführt hatte.
Er war in ein Eolonialwaaren
Geschäft gekommen, gerade um die Mit
tagSzeit, als nur ein Verkäufer im
Laden war, und hatte verlangt, daß
man daS Innere feines Hutes mit
Syrup füllen solle. ES handele sich um
eine Wette. Er hatte drei Mark dafür
vorher dezavtt, und o füllte der Verkäu
fer den Hut mit Syrup. Als dieses
geschehen war, nahm der Gauner den
Hut m Empfang und im Nu ftülpte er
ihn auf den Kopf des Verkäufers, so
daß dessen Gesicht von dem dickflüssigen
klebrigen Syrup über und über bedeckt
war. Mit einem kühnen Griff nahm
der Gauner dann die Geldkassette und
entfloh. Aber er hatte wieder Pech.
Im selben Augenblick war ein anderer
Käufer gekommen, der sofort die Sach
läge überschaute, und so war der kühne
Räuber festgehalten, dann ganz jäm
merlich durchgebläut und hierauf der
Polizei Übergeben worden.
So wurde er in's Gefängniß gesteckt,
und seitdem habe ich seine Spur ver
loren.
Lieb überwindet alles.
Sir Thomas Torley war ein echt
englischer Originalcharakter. Kaum
dreißig Jahre alt, zog er sich in sein
entlegenes Schloß zurück und verbannte
jede weidliche Person aus seiner Nahe,
denn er haßte das schöne Geschlecht und
hatte sich deshalb auch gelobt, nie zu
heirathen. In allen guten Kreisen
Englands machte man seine Glossen
über diefen Sonderling, aber Sir Tor
lev blieb seiner Gülle lange Jahre ae
tau. Da geschah eS, daß er eines
Tages, von der Jagd sehr ermüdet, auf
einem entlegenen, ihm nicht bekannten
Meierhofe einkehrte. Tiefen Hof de
wohnte eine Wittwe von Stand und
Bildung mit ihrer Tochter Lucie; sie
hatte sich durch allerlei Schicksalzschläge
gezwungen, aus der' großen Welt in
diese stille Einsamkeit zurückgezogen.
Sir Thomas sah bei dieser Gelegen
heit Miß Lucie, deren Schönheit und
geistige Vorzüge einen solch' tiefen Ein
druck auf ihn machten, daß er in seinem
Entschlüsse bezüglich deZ HnrathenZ
schwankend wurde. Er kämpfte ritter
lich gegen die aufkeimende Liebe, aber
seine Leidenschaft wuchs von Tag zu
Tag und endlich stand der Frauenhafter
vor Lucie und bat um ihre Hand. Wie
bestürzt aber war n. als Lucie, zwar
gerührt, jedoch entschlossen, ihm n
widerte, daß sie nicht im Stande sei,
seinem Wunsche zu entsprechen und daß
sie ihm auf für die Zukunft jede Hoff
nung benehmen müsse. Sir Thomas
gerieth in Verzweiflung, er kam wieder
und bat Lucie abermals, doch ohne des
seren Erfolg, und als er absolut den
Grund für dieAblehnung wissen wollte,
wies ihn Lucie an ihre Mutter, die ihn
bescheiden möchte.
Sir Thomas eilte zur Mutter und
erfuhr, daß Miß Lucie in ihrer Kind
heit durch einen unglücklichen Fall ein
Bein gebrochen habe, welches durch die
Ungeschicklichkeit des Arztes amputirt
werden mußte. Ein Mechaniker ver
fertigte ihr ein hölzernes Bein, und da
nun Lucie glaubte, sie könne dieses Um
standeS wegen keinem Manne auf die
Dauer gefallen, fei sie fest entschlossen,
nie zu heirathen. Am andern Tage
befand fich Sir Thomas auf dem Wege
nach London. Dort legte er sich im
Gasthose in'S Bett, ließ den berühmten
Wundarzt Piraton rufen und verlangte
von diesem, daß er ihm seinen gesunden
linken Fuß arnputiren solle. Piraton
weigert sich natürlich, doch ehe er eS ver
hindern kann, hat Sir Thomas ein
Pistol ergriffen und sich mit einem
Schuß das linke Knie total zerschmettert.
Nun blieb keine Wahl, Piraton ampu
tirt den Fuß und nach drei Monaten ist
Sir Thomas leidlich geheilt. Derselbe
Mechaniker, welcher Lucie das hölzerne
Bein gemacht, besorgt auch Sir Thomas
ein solches und nach einigen Tagen reift
der standhafte Liebesritter, um einen
Fuß armer, auf den Meierhof Lucien's.
Er wurde aus dem Wagen gehoben.
Miß Lucie kam ihm entgegen und er
rief ihr freudig zu: Jetzt besteht kein
Hinderniß mehr zwischen uns! Hier,
Theure,, haben Sie einen kleinen Beweis
meiner Liebe, ich habe meinen linken
Fuß Ihren Besorgnissen geopfert."
Das überraschte Mädchen stand anfangs
da wie erstarrt, und dann flog sie in
seine Arme. Drei Tage später vereinigte
das eheliche Band das sich ähnlich ge
machte glückliche Paar.
Das Bataillon er Schiffbrüchige.
Kürzlich starb in Prag bei den Barm
herzigen Brüdern das letzte Mitglied ei
ner sonderbaren Gesellschaft, die in der
Nikolausgasse auf der Altstadt in einer
Schnapsboutique ihren ständigen Sitz
hatte. Die Politik" erzählt von diesen
merkwürdigen Käuzen: Die verkommen:
mensten 'Kerle kamen da zusammen
Hausherrensöhne, welche dreistöckige
Häuser durchgebracht halten, Schau
spieler, welche mit ihrer Stimme und
Kunst, fertig waren. Privatbeamte.
welche sich an dem anvertrauten Ver
mögen ergriffen hatten, kurz, schiff
brüchige Existenzen, welche ihre Vergan
genheit in, Alkohol zu vergessen trach-
men. Wie vom Schnee und Regen
nach und nach zusammengemehte Gesell
schaft kristallifirte sich lanasam zu einer
Gilde zusammen, welche einen ehemali
gen begabten Advokaten und Adgeord
neten auf den Schild erhob und ziemlich
strenge Disziplin und Kameradschaft
hielt. Das Bataillon", unter welchem
Namen die Gesellschaft die verwegensten
Streifzüge in die Hauptstadt veran
staltete, um sie mit Bettelbriefen, ver
schämten und unverschämten Bettlern.
Dieben und ähnlichem Gelichter zu be
lästigen, wurde zuletzt durch Schließen
der Boutique gesprengt. Die Mit
glieder" fanden theils in Strafanstalten
Unterkunft, theils starben sie eines elen
den Todes, so auch der akademische Ob
mann in dem Spitale der Barm
herzigen Brüder. Dieser Letzte der
traurigen Ritter war ein Schwindler
ohne Gleichen. Er besorgte die Ein
künfte des Bataillons" dadurch, daß er
Spaßen in Kanarienvögel umfärbte,
Katzen in Hasenfelle einnähte und ein
mal sogar eine Ratte in ein Eichhörn
chen verwandelte. Ein alter Prager
Hausherr kaufte das Thier, dessen
wilde Sprünge ihm Spaß machten.
Allein als er am anderen Tage das
Eichhörnchen" füttern wollte, biß sich
dieses aus dem Felle heraus und verbiß
sich in den Finger des bestürzt drein
schauenden Greises, der vor Schrecken
vom Schlage gerührt wurde und ver
schied.
BerüXmte un beleibte Kraue.
Alle aroken iiiMirfin Slm, in
der Vergangenheit und in der Jetztzeit
qaoen nicoi an Magerleit gelitten. Nach
den Eameen und Statuen zu schließen,
war die Königin Klnntrn ptiHifHn
beleibt und ebenso waren die Kaiserin
Maria Theresia und Katharina von
Rußland durch Körperfülle ausgezeich
net. Auch die Gute Königin Anna"
von England erfreute fich eines vortreff
lichen Enbonpoints wie dasselbe bei den
svanischen Kknillinnpn ßhristmrt iinh
Jsabella der Fall war. Auch die gegen
warrige onigin-Ziegentin der Nieder
lande, wie die großbritannische Majestät
besitzen eine große Körperfülle.
In der Literatur und Kunst ist eS
auch nicht anders. George Eliot, George
Sand. Hanna Mo, Frau . Stael
und die Theosophin Blavatsky waren
alle wohlbeleibt. Tie berühmte fran
Zösische Malerin Roso Bonheur ist auch
daS (Gegentheil von mager.
Der pankffelbel!,.
. (der mit seinem Freund eine
ahnfahrt gemacht hat, als daZ Boot
plötzlich kentert): Entsetzlich, wir find
rettungslos verloren!"
B.: Gräßlich, und ich habe meiner
Frau noch besonders versprechen müssen.
nicht so spät räch Hause zu kommen."