Nebraska Staats-Anzeiger. (Lincoln, Nebraska) 1880-1901, August 06, 1896, Image 3

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NKERASKA STAA"i - ANZEIGER, Lincoln, Neb.
Dus .jji'sjrmuuX; non 3Jir
finiriril.
KioKnii tau flnrl (X ülofjcr.
still eigentlich nichts in diese
Züge nU Jimte, aber eine Si.ilte von
geradezu übeniietifchlichiT Brutalität,
(iin Vljiilii'iinoiuilcv tjiittc nur eines
einzigen Bluse uns Die Gesicht be
durft, , das ,)i)iii)(o).i;if(ic ciiücm"
Z crratlien, aus luclclicm bicscr M'uuu
seine WiimSjiiiic schöpfte uub fco er
ben iSliern nicht naher halte ausein
onberfefeit können. Ta itaef tc Ich
war (ein einziger Gott, unbedingte
S)(iirfiirl)tüloiiif..'it sei te einzige Mn
rime. Für diesen (Meist gab es leine
beschwerlichen simpel.
Seine buutlrn Slttgen, die sonst ein
biimcmiicljetf Feuer (msziiftmlilen ver
mochten, starrten jetzt ausdruckslos in
die R'ucht l)iirnntf; sie salien nichts
von dem 5(iuücrid)cn Oieii ber iVionb'
landschast, sie folgten nur ben Getan
Ien, bie über 'Raitut nub Zeit hinweg
i eine unermeßliche fferne schweiften,
-. Sinirilcl.
rill) nm Morgen, ehe in ber Ver
walterslüchc noch das frühstück bereitet
würbe, verließ Heruilinn sein Zimmer
und Kid Hans, um sich durch ben
dlof;hof noch bem Parke zu begeben.
IS war jeboch nicht die Vtoienprarlrt
bieser 'uiibschast, bie ber Morgenwan
derer zu schauen knin, (fr suchte nur zur
Ci'biunifl seiner Gebauten das srische
l'ustbub nb bie Einsamkeit, bie er um
diese tnnbe sicher zu sinben erwarte
bürste. Von alle Seite begrüßte
ihn ber jubelnde Elior ber gefiederten
S eiliger, Schmetterlinge tanzten im
Strahl ber Friihsvnue, uub in ver
schwenberischer Fülle athmete bie thau
srische Erbe ihre belebenden Tiifte aus,
Hermann betrat einen Seiteiipsad,
um eine ihm wohlbekannte lauschige
Stelle aufzusuchen. Da unten, an
citier Ouell,,, beren Gerikscl au
ferner bewaldeter Höhe herabkam,
wußte er ein MooSbänkchen zwischen
einer Gruppe von Weibe, die darüber
eine natürliche 'aube bilbete.
Zwischen Rabatten uub BoÄetts
mi verwitterten Saiidsteinfigiiren
wanbelnb, laut er an ein großes Rasen
ronbell, da er im Bogen zu umgehen
hatte, um bas auserwahlte Plätzchen
zu erreichen ; er konnte es aber schon
diesseits, auS ber Ferne, wahrnehmen.
Ja, bort nickten bie Weide und
aber was war baS? Schimmerte bort
nicht ein Helles leib?
Kein Zweisel, bort saß Jemand auf
dem Moosbaukchen ein weibliches
Wesen, Der größte Theil beS Cber
körpers war burch bie nieberhangenbe
Weibenzweige verberge, aber jetzt
streckte sich ein Heller Sonnenschirm
vor, bessen Ttockspitz.cn spielend Figu
ren i ben Sand am Boden zeichnete.
Wie, Jemand von ber Herrschaft zu
so früher Stunbe schon? Die Gräfin
selbst ober ihre Richte, Fräulein Eglan
tine v. Merkenseld?
tine
R
H
llnn
Run, bas konnte er ja bald erfahren.
Hermann wählte einen größeren
Imwea zu seinem Ziele, burch eine
kleine Allee von Rüstern, um nicht
gleich gesehen zu werben.
Fünf Minuten spater stand er an
der Weibenlanbe. Da zögerte er eine
Augenblick, m z überlegen, wie er
die Gräfin falls sie es sei begrüßen
wolle. Sollte er sich überrascht stelle
ober als ob er sie direkt aufgesucht
hätte?
Er trat einen raschen Schritt vor,
sein Schatten siel über die Dort sitzende,
diese sprang mit einem leisen Schrei
kinpor, ni i der nächsten Sekunde
wieder krastlos auf ihren Sitz zurück
znsiiiken : der Schreck über die so plötz
lich vor ihr aufgetauchte Gestalt brachte
bie Dame einer Ohnmacht nahe.
ES war ein junges Mädchen, bas
kaum dem jiinbeS.ilter entwachsen
schien. Ein ungemein seines Gesicht,
von einer Ueberfülle rothgolbenen
Haares umrahmt, war das Erste, ivaö
Hermann wahrnahm.
Ich bitte tausendmal um Ver
zeihung, ich hatte keine Ahnung'
log er unter einer gewandten Ver
Neigung, Da sah er, wie da zarte Geschöpf
am ganzen l'cibe zitterte, baß sie sich
mit beide Hiinben links unb recht
auf die Moocchauk stützen mußte, um
ridt tinr stiiii.is!n ntn'iif :iifntsiit
Marinorblüsse ueberfte ihr Gesicht, aus
welchem ihm ein helles, unergründlich
tiefes Augenpaar mit namenlosen!
Entsetzen anstarrte. Da begrisf er, baß
er eS mit einer ranken zu thun hatte.
Er wollte auf sie zu, sie vor Allem zu
stützen, aber da stieg sie abermals
einen Schrei aus.
Wer sind Sie?" kam c mit dem
Tone einer Sterbende sodann vcn
ihrem Munde. Was wollen Sie
hier?"
Hermann Plock. ber Sohn de Ver
Walters, ber gestern Abend angekommen
ist. Aber ich denke, zunächst muß ich
IS Arzt hier eingreifen. Ich bin nn
restlich, daß ich Sie in meiner Iln
achisamkeit so fürchterlich erschreckt
habe, Fräulein v. Merfenfeld."
Sie kennen mich?"
Ich errathe, da ist doch nicht
schwer. Aber bitte, wollen Sie nicht
meinen Arm nehmen? Ich fürchte wirk
lich, Sie sind ernstlich unpäßlich, gnä
digeS Fiaulcin."
Sie schüttelte den Kopf, und ein
ttcheln erschien auf ihren Kippen, das
ihrem sonst vielleicht allzu kindlichen
iresidite mit einein Male einen ganz
reizenben Ausdruck verlieh. DaS Lit
lern ihrer 'lieber war jebech noch
immer nicht ganz verschwunden, und
während ihrer Rce schlugen ihre
Zahne mehrmals aneinander, IS
schüttle sie ei Frcitsckauer.
ES ist uid:l vcn Bedeutung, e
wird gleich vorübergehen ; ich habe zu
weilen so mertwirdige Anfalle rcn
Sefcade bie.n;cl allerdings in einein
noch nie empfund-nen Grabe. Ach
bitte sehen Sie n.'ch nicht so so kurch-tri-'end
es! Es ist mir wirtlich un
heimliÄ u,,d i.'i t-sic-ere Ihnen es
ist r.':t, l iüc !
jCj! Sie sollten das nicht s, leicht
nehmen, gnagigeZ oniaent. e
Morgenstunde inb noch knhl, unb bie
Feuchtigkeit deö Thaues könnte Ihrer
zaiteit Gesundheit ernstlich schaden."
Er hatte schon erkannt, baß er hier
kitten besonbers schweren Fall von
Bleichsucht und Hysterie vor sich habe.
Dieser riiheriiche tterper, der einer
kantn SeÄzchtiiahiige angehören
konnte und Fräulein Eglantine sollte
ja schon volle neunzehn zahlen schien
nur aus Reinen genebt und unter
einem einzigen rauhen Windstoß zu
sammeiibreche zu können.
Erlauben Sie mir, Sie in die
Sonne zu sichre, gnädiges FrciuU'in!
Ich muß wirklich darauf bestehen.
Es ist zu s'eucht hier, Sie sind leichter
gekleidet, als Sie sollten, und es wäre
unverantwortlich, Sie noch länger hier
zu lassen."
Er hatte den Sonnenschirm vom
Boden anfgenontineti, der ihr vorhin
entfallen war, und näherte sich ihr,
mit ihr abermals seinen Arm zur Stütze
anzubieten,
Aber ich will nicht!" sagte sie
etwas schrill und heftig und sprang im
Rn empor, während eö eben noch ge
schielten hatte, als könne sie sich ohne
fremde Hilfe nicht erheben.
Hermann lächelte, Ah! sehen Sie,
was Energie vermag? Jetzt haben Sie
mit einem Male die volle Herrschast
Über sich zurückerobert; da ist der
Sieg des Willensstärken Geistes über
den öiver."
Eine feine Nöthe belebte jetzt Eglan
lineiis durchsichtigen Teint. Sie
schämte sich über ihre Aeusserung eine
momentanen kindischen Eigensinne ;
e8 war ein sprunghafter Stimmungs
wechsel, wie er zu den Symptome
ihres Zustandes gehörte.
Sie haben siecht es ist wirklich
empfindlich kühl unter diesem Schal
ten." Sie ging an Hermann vorbei
hinaus auf den Kieswg und Überließ
sich der behaglichen Wärme der Morgen
sonne. Hermann solgle ihr, da er ja
noch immer ihren Schiri in der Hand
hielt. Da watete sie sich ihm mit einer
rührend bittenden Miene zu.
Richt wahr Sie sagen der Tan!c
nichts von meiner kleine Schwäche
attwanblung? Sie darf nicht wissen,
daß ich das Dickicht aufgesucht habe,
um einer träumerischen Vauue nach;'
geben sie würbe mir sonst bicsc Mor
genspazieigänge im Park verbieten."
Ich werde Ihren Wunsch erfüllen,
gnädiges Fräulein, wenn Sie mir ver
sprechen, sich nicht wieder in den Thau
z setzen. Sie könnten sich dadurch
eine lebensgefährliche Krankheit zu
ziehen." Eglantinc warf das Köpfchen zu
rück, baß baS onnenlicht in Funken
von ihrem rallchlonben Haare auf
sprühte, und machte eine Geberde, die
beutlich genug besagte, baß ihr nicht
sonberlich viel am ebe liege. Dann
nahm sie hastig den Schirm auZ seiner
Halib und entfernte sich rasch ohne
Gruß als bereue sie es, einen ver
borgenen Gedanke verrathe ztt haben.
Hermann blieb zurück! er mußte
annehmen, daß sie sich wohl auch daraus
besonnen habe, daß ihre gegenseitige
gesellschaftliche Stellung bic An
knüpfung cincö vertrauliche Verkehrs
verbot. Aber er sah ihr ach, so lange
cs anging, gebannt wie von einer
ebenso absonderliche als reizvollen
Ratnrerscheirnnig.
Beim Frühstück theilte er den Eltern
nur so beiläufig mit, baß er im Park
einer jungen Dame begegnet sei, bie
er für bie Richte ber Gräsin gehalten
habe.
Ihre Gesundheit scheint nicht bie
allerbeste?" fragte er.
Man sagte ihm, baß Eglantinens
zarte onstitution die Ursache gewesen
sei, weshalb sie bie äs in. eben vor
vier Jahren aus bem dresdener Er
ziehungi!istitnt genommen habe. Die
i.'andluft von Birkemied thäte ihr eilt
schieden auch sehr gut, denn sie habe
sich seither bebeuteub gekräftigt.
Hermann staunte über biesc Be
hauptung. Sollte er bie junge Dame
burch den ihr bereiteten Schrecken zu
einem ganz außergewöhnlichen Riickfall
in einen früheren Schwächczustanb ver
setzt haben ober lag hier wieber ber
häusig auftretende Fall vor, baß bie
abstumpfende Gewohnheit bie klm
gebung eines jiranken über bessert Zu
staub täuscht?
Steht sie nicht in ärztlicher Be
handlung?" Wozu ben,'? Sie leibet nur ein
wenig an Alutarmuth und ist in ihrer
körperlichen Entwickelung zuriickgeblie
ben, das soll ja bei ben Stadidamen
nichts Seltenes sein. Man sieht ja,
daß ihr nichts fehlte, als Bewegung
in frischer, kräftiger Luft. Die hat sie
nun reichlich,"
Hermann sagte nichts mehr.
Was ich sagen wollte," begann
dann der Vater nach einer Weile;
Du wirst Dich doch heute noch bei
Ihrer Erlaucht anmelden lassen, un
sie mit gebührender Ehrfurcht zu de
grüßen?"
Hermann lächelte aus eigenthümliche
Weife. Ich werde nicht ermangeln,
lind je früher ich dies thun kann,
desto willkommener ist es mir. Willst
Du, lieber Vater, nicht so gütig sei,
mich zu diesem Zwecke bei der Frau
Griisin anzukündigen und sie zu fragen,
zu welcher Stunde sie diese AnstandS
visite in Gnaden empfangen wurde?"
Der Alle nickte mit ärgerlicher
Miene und antwortete nur kurz. ES
schien ihm, al rd sich der Sohn über
diesen Besuch lustig mache.
Gegen Mittag findet sich die teste
Zeit dazu. Ich werde Dich schon er
standigen." Die Grafin pflegt nicht früh auf
zustehen?" O doch," entgcgnete die Mutter;
aber sie erläßt erst spat an, Tag
ihre inneren Wohnräume, ich meine ihr
Tchlafkabinelt und das daranstoßende
grüne Zimmer, und ist bis dihin selbst
sur ihre Richte nicht zu sprechen. Diese
beiden Gemacher darf aßcr ihrer allen
Kammerfrau auch einer betrete;
so halt sie eJ schon seit siebzehn Jah
ren, seit dem Tod dc gräflichen
Z-ateiS."
.Wiihrhaftig, immer noch?' rief
'rmann. ,,,i erinnere r-.i:i,
ic einmal es mag kurz nach dem
ii)c des (niien Veodege.r gewesen sein
i der .Welle drüben sah. Es war
a einem schönen Semmet morgen wie
der heutige, ich wollce aus deut bet
stehende Hauicniunt spielen und
holte mir den Schlüliel zur Sakristei,
m von da an.' die Kapelle 5 betreten.
Ich spielte dann ziemlich lang, ohne
Ahnung, baß ich eine Zulwretin halte,
bis mich irgend ein Zttiall veranlaßte,
nach dem Ci'iHoriii',;ieilerci;eu emporzu
blicken, lind da rieselte mir ei gelin
der Schauer das RiickMk hinunter!
Das Fenster hinter dem Gitter war
zurückgeschlagen und von dort sah ein
starres, weites Gesicht auf mich herab
es war, als ob der abgeschnittene
Kops eitler Vetche da oben hing ; imtur
lirh, die bis zum Halse hinaufreichenden
Trauergeu'änder und der stoekduttile
Hinlergrunb des Erkers mußtet! diesen
Eindruck erzeuge, SelbstveMndüch
erkannte ich in der nächsten Minute,
daß es die Gräfin war; ich wußte ja,,
daß das Oratonttin trch eine 7ape
lenthür unmittelbar ton dem Kabinett
ans zugänglich sei, da sich die Gräfin
seit dein Tode des Vaters znm Schlns
gemach erwählt hatte. Rasch klappte ich
die Klaviatur zu und trat meine Rück
zug n. Ich konnte erst draußen im
Freien wieder aufathineit, iTie Grei
sin, hält also noch immer diese stille
Morgenandacht in der Kapelle?"
Jawohl, und am Todeotage des hoch
gräflichen Herrn Vaters, wo noch immer
die Messe z seinem Andenken gelesen
wird es ist dies bas einzige Mal im
Jahre, baß i ber Kapelle überhaupt
Gottesdienst gehalten wird da ist
Ihre Erlaucht vom Morgen bis zum
Abend für Jedermann unsichtbar. Da
faslet sie, eingeschlossen im grünen
Zimmer, in welchem der Gras ver
schieden ist. Sie hat sich daö Schlaf
kabinett zwischen diesem Sterbezininier
uub bcr Kapelle auch gewiß nur beS
halb einrichte lassen, um sozusagen
bei Geiste bes Verstorbenen stets
möglichst nahe zu sei. Im grünen
Zimmer ist Alles so geblieben, irie
cö war, als man die Reiche deö Grasen
eodegar hinaustrug," erzählte die
Mutter.
Ja, sie hat ihren Vater sehr ge
liebt," sagte der Verwalter, und
hält sein Andenken hoch i Ehren, das
muß wahr sein,"
Ich glaube," bemerkte Hermann,
sie übt mit diesem geradezu fana
tischen Todtenkulttts eine Art von
Sühne. Den Grasen lcodegar soll ja
der Kummer über ihre unglückliche
Ehe in die Grube gebracht haben. Er
mag vielleicht von vornherein gegen
die Heirath mit dem Grase Mvra
winsli gewesen sei, und Gräsin Adel
gunbc macht cs sich nun zum sictcn
Voiwnrf, seinen Abmahnungen nicht
gefolgt z sein,"
Wohl möglich. Dann hat sie es
sich als Buße auserlegt, sich zur Ruch
Barschaft beö väterlichen Stcrbezitn
mcrs gerade biefes Kabinett am Kapel
leubau auszusuchen, während sie dazu
doch ebenso gut bic Stube hätte wählen
können, bic aus ber anderen Seite
an das grüne Zimmer stößt. Dieses
Kapellenkabinett würbe ja seit un
benklichen Zeiten gemieben, seitdem die
Gemahlin beö Schloßerbatters, die
Gräsin Ulrike, darin gehaust hat. Du
weißt doch, es heißt, sie habe eben
in jenem Kabinett ihr Äben beendigt."
Unter ber Faust ihres Gatten
Hasio von Ebersperg erwürgt von
bem Eifersüchtigen," ergänzte Her
mann mit skeptischem fächeln, So
sagt die Legende von Birkcnried;
eö muß ja jedes alle Herrenschloß
so eine Gruselgeschichte haben. "
Run ja, der Mord braucht nicht
wahr zu sein," stimmte der Vater
halbwegs bei. Gewiß ist es aber,
daß Herr Hasso von Ebersperg sein
jnttgcS Weib mit leidenschaftlicher
Eisetsucht verfolgte, bataus macht die
gräfliche Fainilienchrnik, die eben
in der Bibliothek verwahrt liegt, kein
Hehl, Die Herren von Ebersperg ent
stammen einem niiirlijchen Geschlecht,
und erst Herr Hasso verlauste bie alten
Besitzungen in bcr Heimaih, um sich
hier anzusiedeln. Es heißt ebc:i, er
habe die schöne Ulrike in fremde Um
gebung bringen wollen, unb Seltloß
Birkemied sei von ihm als ihr Kerker
erbaut worden."
Die liebe Welt würde nntcr üljn
lichcu Umständen auch heute noch so
urtheilen ; sie kann es ja nie verzeihen,
wenn Einer von ihr nichts wissen
will. In Wirklichkeit mag Hasso, der
ja schon bei Jahren gewesen 'ein soll,
als cr bic ungc Ulrik: freite, wohl
bas Verlangen gehabt haben, sei
schönes Ehegespons bent lursüistlickien
Hoslcbcn z entziehen, aber bie bau
liche Anlage biescS Hanfes verräth,
baß eS ihm hauptsächlich bartim zu thun
war, sich eine stille Arbeitsstätte für
seine gehcimwijsenschaftlichc Stu
bie und Experimente zu schassen. Er
soll Alchemie getrieben haben, das war
zu seiner Zeit Mode; jcbcnsallS be
nützte cr bic großartigen .Kcllerraumc
da unter uns als Laboratorien, und
biesc heutige Verwaltcrswolmung waren
seine Gemächer, währcnb seine junge
Frau die nördlichen Zimmer oben im
Stockwerk benutzte. Auffallender Bütte
sich das Ehepaar im Haufe allerdings
nicht trennen können, und man bf
daraus wohl schließen, daß keine Har
monie zwischen ihnen w.:r. Die schone
Ulrike muß da euch ein wenig benei
benswettheS Veben qcsnhrl h-ben, das
thatsachlich nicht weit von erkerhü't
entfernt war, i:i;b Herr Hasso !,;-:;c
sich dann wohl den rnrurf aidcn.
die Jugend seiner Gemahlin geknickt
zu kabcn."
.Die Ekronik sagt," fette d.r Vr.t-r
hinzu, er sei erst ich lllrifer.i Ted
von der Grundlosigkeit seiner Eifer
sucht überzeugt worden, und die Reue
habe ihn f.it Schwcrmuth eichle.gcn,
so daß er nch kurzer Zeit c.ls Vicu
drudcr in's Breslauer Augustiner
i klostcr getreten sei. Schloß und vierten
i feliasten von Bukenri'd einem Resicn
überlastend, der liier eben die scalcr
mit dem Graientikel ausgezeichnete
nie Derer v. Ebersperg begründete."
Es heißt übrigens, Herr Hass
ei bei tcn Augustinern im Wakmiinn
riise oen, ' ennnenc i'ic anuiter.
Tie Hauschrmiik spricht wohl nicht
davon, e,b.r sie schweigt überhaupt über
sein Ende, wie sie ja auch über bic
Tsdeiatt b'-r (unten Ulrike keine Ätt
beur.n;e,e:i macht. Da könnte an dein,
was sich i n Volke über den Erbauer
von Bir'. rieb mit merkwürdiger
Vestiinmthe'! vierhundert Jahre lang
erhalte bet, doch etwas Wahres sein,"
Hert,i!i Hielte die Achsel. Mär
chett, wie sie i .;(crt Schlossern
herumjntleit. Hier im Schlosse war
früher ein alter Knecht Rainen Bai
thasar, der zahlte allabendlich die
itttgehene? lichfteit Geschichten vcn Hei in
Hasso i:;:b Frau Ultiie, die anhören zu
lömten ich in meiner Rengier allen
Scharssinn aufbot, mich in der großen
Gesindestube versteckend, unter Bänken
unb hinter Spinden, ivo ich :nitnitter
einschlief, daß uiun mich erst ant 'Mor
gen, nach itiigstrolle, Suche im ganzen
Hanse, saud, "
' Du meine Güte, !" seufzte bic
alte, Frau. Einen solchen Tag werde
ich in meinem Yeben nicht vergessen.
Weißt Du cs noch? D warst damals
ein dreizehnjähriger Bub, solltest eine
Strafarbeit machen, und weil Du un
geberdig warst, steckte Dich der Vater
da hinunter in ben Keller.' Sie
zeigte auf die Wendeltreppe eben der
Küche, die vorn V?rsaale in da Unter
geschoß hinabsühitc. Trotzig, wie
Du warst, wolltest Du nicht um Ver
zcihnng bitten, unb wir mußten Dich
unten "lassen. Du versäumtest barüber
bas Mittagessen unb bas Vesperbrob
wir ließen es geschehen, fest ent
schlössen, nicht nachzugeben. Aber als
Tu auch zum Abcudtisch nicht heraus
kamst, da würbe mir boch bange. Ohne
betn Vater 'waö ztt sage, schlich ich
mich hinunter, Dir zuzureden und Dich
zur Abbitte ztt veranlassen, und konnte
Dich weder im vordere, noch int rück
wärtigen Gewölbe finde. Da etit
deckte ich, daß ich vergessen hatte, den
Schlüssel zur Thür des Kellerzmischen
ganges abzuziehen. Du warst also ba
ztt beu Übrigen Kcllertäuuten burch
geschlüpft, und ich mußte annehmen,
Du wärst drüben über die Haupttreppe
au ber Herrschaftsküche heraufgekommen
und hieltest Dich beim Gesinde ver
steckt. Ader wen ich auch fragte, ?!ie
inand wollte Dich gesehen haben, ja
die Leute in der Küche, die dc Schlüs
sei zur Gitterthürc der große Keller
treppe i Verwahrung hatten, behaup
teten zuversichtlich, bas Gitter wäre
ben ganzen Tag versperrt gewesen.
Du hättest benrnach och immer unten
sei müssen. Ich weckte nun ben Vater,
und mit ihm und ein paar Knechten
durchstöberten wir das ganze Unier
geschoß, jeden Winkel, sperrten sogar
den Vorrathskeller, die Holzkantmer,
ben Weinkeller unb ben Gerätheschup
pen unter ber Remise aus Alles ver
gcblich, nirgcnbs war eine Spur von
Dir zu entdecken. Wir glaubten
schließlich, cö sei Dir irgcnbwie gc
lungcn, die alte Eiscnthür an bcr
kleine Ztigangstreppe zwischen bcr
Kapellcnsakristci unb brat Pfcrdestall
zu öffnen diese Thür, bie vielleicht
auch schon seit Herrn Hassos Zeiten
nicht benutzt wurde aber die verroste
tcn Riegel, z benen nirgenbs mehr im
Hause ci Schlüssel vorhanbc ist,
saßen fest in bett Angel, mit ihre
buiidertsährige Spinnweben über
zogen, cs war also unmöglich, baß Du
ba hinausgekommen warst, Run wuß
ten wir uns nicht zu rathen unb zu
helfen ; sogar bifc Eiscnsiäbe vor ben
Kellerlnle hallen wir einzeln geprüft
und unversehrt gesunden. Wir könn
tcn also nur annehmen, baß bic Gitter
ihür zur Haupttreppe boch von Jcmanb
für ciuen Moment geöffnet warben
sei, und baß Du Dich da unbemerlt
bavongemacht hättest, vielleicht zum
Städtchen hinüber, z einige Schul
kameraden. Vater fluchte und wetterte
und schwor Dir eine ausgiebige Prügel
stippe zu, sobald Du wieder zurück
wärst, aber ich merkte ihm wohl an,
baß er nicht weniger in Angst war, als
ich, und baß er den Besehl, sich um
den TattgkitichlS nicht weiter zu liim
mcrn, selber nicht hielt, Rnr um ihm
ben Willen zu thu, legte ich mich
schließlich hin, aber ich schloß bie ganze
Rächt kein Auge, und mein Ohr
lauschte ununterbrochen. Und richtig,
gegen Morgen, ba höre ich'S langsam
bie Wcnbeltreppe ba heraustappen.
Ich slt.gö aus bet Bette, aber nicht
weniger vorsichtiger als Du, benn ich
wußte ja, baß Du trotziger Schlingel
lieber umgekommen wärest, als Dich
so erwischen zu lassen. Ich wartete
ba an ber Zimmerthür, bis D oben
warst und ich Dich an diesen Tisch, an
dem wir heut' noch siuen, Heranschlei
chen hörte. Du wolltest den Broblaib
suchen, bcr vom Abcndessen her noch
hicr liegen sollte; natürlich, ber Hvn
ger mußte Dir ja schon ant Rachmittag
weidlich zugesetzt habe. Da kam ich
heraus unb faßte Dich beim Kragen.
Gelt, daö weißt Du noch?"
Ja, ja," gab Hermann in etwas
verlegener Heiterkeit zu. Wenn ich
diese Dumrnejungcngeschichte auch ver
gelten hättc ; die fürchterlichen Prügel,
die mir Vater am anderen Morgen,
getreu seinem Versprechen, aufmaß,
die mußten mir wohl im Gedächtniß
bleiben."
Erlaub.-, mein Sohn!" warf ba
der Verwalter dazwischen. Die Prii
gel, so sehr Du sie auch für Dein
abentcucrlichks Ausbleiben rcrbicnt
hättest, wellte ich Dir schenken, und
Du bekamst yc dann nur deshalb, weil
Du obendrein absolut nicht gestehen
leotl.est, wo Du di- .z. nze Zeit über
gesteckt bittest. Es wir ,k,lcc!t!erbingS
auch trcbdcm nicht herauszukriegen ;
Du bliebst feil babci. Du wärst immer
unten im Xellcr gewesen, obwohl
wir doch Alles auf'S Peinlichste abge
sucht hallen. Und so oft ich auch später
noch aus dieses unerklärliche Verschwin
den zurückkam, in Gute und im Zorn,
eS war Deiner Halsstarrigkeit kein
Gefiandniß abzuzwingen. Die Sackte
ist mir bis heute ein Rätbicl. Wi..st
D es mir letzt vielleicht lösen? Es
wtndc mich immer noch iiitercjjiren."
L-irklick? Je mm, ich erinnere
mich nur daß ich mich in einem leeren
aiie versteckt hatte, das iraendmo in
einem staubigen Winlek stand."
In einem Fasse? In den zwei
Gewölben hier unter unserer Wohnung
befand sich nichts dergleichen, und wir
haben da auch alles Gerinnsel um und
um gekehrt. Und die übrige itnuer
sperrte Räume standen damals ja
.vie heute völlig leer."
Aber drüben im Geräthekeller, ber
als bas ehemalige Magazin zu den
Laboratociuiusräütnen bes Herrn Hass
Ebersperg gilt"
Den s.tnden wir verschlessen unb
haben ihn überdies nicht weniger gründ
lich durchsucht."
Du mußt Dich doch täuschen, und
dieser Raum war nicht versperrt. Ich
hielt mich i einem Fasse verborgen,
nm Dir und der Mutter i knabeit
haftet Rachedurst Sorge um mich zu
machen. Mehr kann ich nicht sagen.
Wo jenes Faß stand, das weiß ich heute
nach zweinndzwanzig Jahr.cn nicht
mehr anzugeben. Was liegt auch daran?
Wenn ich damals hartnäckig schwieg,
so geschah cs nur aus Eigensinn, der
Euch gegenüber so etwas wie ein Ge
heitnttiß bewahren wollte; und aus
romantischem Stolz, wie er zu den
Eigendeilcii der Flcgcliahre gehört,
hätte ich mich wohl lieber umbringen,
als mir dies kindische Geheimniß ent
reißen lassen,"
Ja, ja," sagte die Mittler, indem
sie aufstand, um das Kafseezeschirr
abzuräumen; Du warst immer ci
fondcibares Kind, darüber kennte ja
auch Deine Lehrer nicht genug klagen,"
Hermann erhob sich gleichfalls.
Das kam wohl von der RemmUik
dieses düsteren Schlosses her, von der
ich mich sozusagen nährte."
Er trat au die offene hölzerne Wen
deltresipe, die zwischen dem zweiten
der nach dem Schlvßhos gehenden
Fenster und der Küchenwatid angebracht
war. und sah hinab.
Ich gestehe, daö Halbdunkel da
unten Übt heute nechcincit eigenen Reiz
ans mich ans. Es würde mich intcr.es
sircn, zu erprobe, ob ich mich in bic
seit Kellergcwölbeit, bic einst mein
liebster Spielplatz waren, noch ztirccht
sinbcn könnte. Ich mcinc, jeber Win
kel müßte mir cine Gcschichtc erzählen,
vergessene Episoden meiner Kinder
zeit mir wieder in's Gedächtniß titfett,
die Erzählnnge des alten Balthasar.
In ber Fremde bachte ich niemals
daran, und jetzt fühle ich mich so leb
hast in die vergangenen Zeiten zurück
versetzt, Is . . nicht schon ein Beweis,
wie seb7 K; Mensch von seiner m
geb',, abhängig ist? Kleinigkeiten,
an sich ganz uiibcbeutenbe Votfälle
in ber KittdheitSperiode können so un
anslöschliche Eindrücke in ber Menschen
sccle erzeugen, wenn auch die bewußte
Erinnerung basitr schwindet oder
einschläft, ja, nm cinschläst, denn ich
behaupte geradezu, daß uns nichts von
unseren Erlebnissen abhanben kommt,
wenngleich bie sozusagen beleuchtete
Halste unserer Gedächtnißsphäre, bie
wir bas Bewußtsein bes vcrnünstigen
Menschen nennen, nur ben allcrgcring
stcn Thal baran nimmt."
Das ist mir zu hoch," bemerkte ber
Vater trocken und ging hinaus.
Hermann sah ihm mit einem mit
leidigen Lächeln nach, und als bic
Mutter, die zwischen dem Vorsaal nnb
der anstoßenden Küche ab und zu ging,
wieder einmal aus einige Zeit ver
schwand, stieg er mit einem plötzlichen
Entschlüsse dic Wendeltreppe ach dem
Keller zu hinab. Er wollte seine
Vorsatz wahr machen, erproben, ob cr
sich ba unten noch so gut znrechtznsindc
vermöchte, wie in ber Knabenzeil.
Die Schtteckenstiege führte ztt einet
gewaltigen, ans zwei anciitattbcrstoßen
bcn Gewölbe gebilbetc Kcllcr, der
einst bas Laboratorium bcs Erbauers,
bcs Herrn Hasso v. Ebersperg, gcbil
bct haben sollte. Seine Wohntäume
bagegcn waren bic Gemächer gewesen,
welche jetzt bcr Schloßverwaller innc
halte. Die bciben Gewölbe, welche bas
Laboratorium gcbilbet hatten, waren
burch eine Gang, ber sich unter ber
Thorcinsahrl hinzog, von bcn übrigen
Kellergcwölbeit geschieden. I der
Thür, dic vom Laboratorium ans diese
Gang führte, fand Hermann den
Schlüssel im Schlosse flecken, wie es
auch früher s.els ber Fall gewesen war.
So konnlc cr ungchindcrt weiterschrci
tc, da bei seiner genaue Crtekennt
niß auch die hicr untcn herrschende
Dunkelheit kein Hinderniß für ihn
bilbete. Da am linken Ende beö finste
ren QncrgangeS kam man an den
Vorrathskeller, der mir bei baran
stoßcnbcnHelz- uub Kohlcnkeller unter
ber Hcrrschastsküche unb bcn Gesinde
fttiben gegen dic Außenfrent des
Schlosses zu lag. An dcr Hosscitc
dehnte sich ein riesiger, hallenartigcr
Raum hin, mit der eigentliche Keller
treppe, die unter der von ber Thor
einfahrt i'S Stockwerk Iiinansteigenden
Marntorfreitreppc in bcn Küchenslnr
hinaussührte nb oben, burch eine Git
terthür abgeschlossen war. A bicsc
Kellerräiime unter bcm Hanpttiakt beS
Schlosses schloß sich dcr massige Rord
slügclbati mit bcr noch burch ben ersten
Stock gehcnben Schloßkapelle im vor
bcrcn Thcilc, während der rückwärtige
Theil nach dem Hose zu die gewaltige
Remise nebst ber ehemaligen Rüst
und Saltellammer" und im ersten
Stockwerk die Bibliothek enthielt.
As. diesen gewissermaßen ein selbst
ständiges Gebäude darstellenden Roid
slügeltransjepl war och ein kleiner
ebenerdiger Annex ohne Unterkellerung
angebaut : die Sakristei, die sich a
die Karcllle anlehnte, und an die Re
rnise stieg der Pfcrdestall. Zwischen
Sakrislci und Stell besand sich e.
schmaler Durchlaß, ren t::n t:r.e
Treppe in den Keller führte. Die
unterste Stufe dieser kleinen, seit un
deutlichen Zeiten unbcnü!-!en Keller
treppe flinr; auf ein quadratisches Plätz
chen, das auf dcr einen Seite eine
kleine Thür, in den unter dcr Kapelle
gelegenen Weinkeller führend, auf
wies. Tai Kcllcrgcwvlbe unter der
Remise d'gcqcn war nur von der
großen HauZlhcille des Untergeschosses
her zugänglich. Dort, wo die Mittel
mauer d. i eigentlichen Sckloßgcbäude?
in den Trnnsseptbau stieß, war sie
von nein kleinen kunstvollen Kre:
getvöCbe btirchlwochen. bas gegen die.
Fassadcnscite hin be Zugang zu dem
bereits erwähnten Holz und Kohlen
feller ermöglichte, aus ber gegenüber
liegenden Seite bic Verbindung mit
bcr Trcpvenhalle herstellte nd von
ba aus rechts genommen einen offenen
Durchlaß nach bem Treppeiiplätzche
zwischen Weinkeller uub Geräihe
schuppen freiließ. Ans diese Art waren
also sämmtliche Kellerräuitte niiteiti
ander verbunden, so daß man vom Vor
saal der Venvalterswohntittg uns über
bic Wendeltreppe beö Laboratoriums,
burch ben finsteren Gang," die Kc
lerlialle" uub den Krenzgewölbebogeii
zu ber Heine Seitentreppe gelangen
konnte, bic zwischen Sakristei und
Psetbestall itt'ö Freie führte.
Die alte Eiseitthür, bic diese Trep
pendttrchlaß ach außen hin abschloß,
var über nnd über verrostet und sicher
lich seit fielen Generationen nicht
mehr geösfuet worden. Dir Kloben der
Riegel waren mit ben eingemauerten
Haspen zusntnincngcrostet und ber
Schlüssel bazn längst abhanden gekom
men. Wozu diese itberslüssige Hinter
treppe überhaupt ba war? Vielleicht
hatte sie einst dazu gedient, Weinfässer
unmittelbar out Freie herab in bett
Lagerkeller unter ber Kapelle zu drin
gen; bic dahin führende Thür am
Fuße der Treppe ließ wohl darauf
schließen.
Hermann betrat jetzt ben kleine
Kreuzgcwölbebogen nnd stieg die
schmale Treppe in bcr hohlen Tranö
septzwischenmauer hinauf. Hier war
cö völlig duntel, nur auf bas gua
bratische Vorplätzchen am Fuße der
Stiege fiel ein schwacher Dämttterschein
vom Hallettgcwölbe her. Ueber ber ver
rosteten Eiseitthür am oberen Ende der
Treppe war zwar ei Gittetseusterchett
angebracht, aber bie Scheiben waren
erblindet ; auch versperrte außen Ge
sttüpp dem Lichte bett Zutritt.
Hermann zählte zwanzig Stufen
biö zu betn oberen Trepvenplätzchen,
baS knapp Raum für ein halbes Dutzend
aneinander gedrängt stellender Men
schen geboten hätte ; tu so betracht
iicher war dafür bie Höhe.
Hermann trat bis an dic Eiscnthür
vor" dort drehte er sich in und zog
jetzt erst sei Taschciifeuerzcug hervor,
um ein lleiites Kerzchen darin anztt
zünden. Dies Vichtchen genügte i dem
engen Gelasse, tu die Wände ziemlich
grell ztt beleuchten ; sie bestanden auf
drei Seite aus Sandsteiiiguabcrtt;
nur die Wand, bic Hermann vor sich
hatte und die senkrecht, bis zu einer
Höhe von neun oder zehn Fuß über
der achten Treppenstufe, von oben ge
zählt, herabreichte, trug so wie die
Decke Kalkbewurf. Da ber Zwischen
räum von der Eiscnthür biö zu bicscr
Wand dcr initcrcnBrcitc dc Sakristei
anbaues entsprach, so war nicht zu be
rechnen, baß bics bie Forljetzung bcr
Giebclmaner beS Transscptbaucs war.
Der Winkel, in welchem diese Wand
und die horizontale Decke des anße
rett Trcppengchätiscs zusammenstießen,
ließ i seiner ganzen Ausdehnung dic
untere .Heilste eines hölzernen Querbal
kens sehen, dcr znm Gcbäl! ber Decke
zu gehören schien. Ueber bcm Pscrbc
stall, bicscs Treppenhäuschett und die
Sakristei, also über den ganzen Annex,
zog sich ja in Slockwerkshohe ein Dach
räum hin, der als Ftttterspeicher be
nutzt wurde. Dieser Pfoste war mit
Kerbschnitzerei versehen, sollte also
wohl einigen Zicrrath in bas kahle
Gelaß bringcn. Einer ähnlichen Zitn
tncrmanitslanne schiene bic beiden
Holzleisten entsprungen, dic ztt beiden
Seiten herabliesen, solchergestalt bic
Winkel vcrklcibcnd, welche diese Gic
belmaner in ber Berührung mit be
Seitcnwänbcn bcs TrcppengchänscZ
bilbctc. Roch zweckloser aber mußte
eine quer über die Treppenbreite lau
sende Eifcnstange erscheinen, bic unter
ber Giebclmaucr angebracht war, tiäm
lich bort, wo bicse bcrcits in bic ge
wölbte Decke von bcr achtcn Ticppen
stufe an überging.
Hermann zählte an der Seitetiivanb
,ztt seiner Linken eine Reihe dcr Qua
bcrsteine in ber Horizontallinic gegen
bic Eiseitthür zurück und in der fest
gehaltenen Stelle cinc gewisse Anzahl
Steine senkrecht hinauf und stemmte
ba bie Hand mit kräftigem Druck an.
Und siehe da! der vermeintliche Qua
rersteiu an dieser Stelle zeigte sich als
eine nur mäßig dicke Platte, eine Art
Kachel, dic sich um cine unsichtbare
senkrechte Achse drehte, so daß in dcr
Maucrvcrkleidung cinc durch den Stein
abgetheilte Höhlung frei wurde. Her
mann griff hinein, erfaßte cine eiserne
Kurbel und im selbe Augenblicke
hob sich oben an der Tecke der anfckei
nend nur zum Zierrath dienende Hclz
qucrpfosteu, bis er in der Deckenfugc
verschwand. Gleichzeitig senkte sich dic
kalkbeworfcnc Wand, dcr Eiscnthür
gcgcnübcr, die sich eben och als bie
massive Fortsebuitg bcr Transscpt
gicbelmancr dargestellt halle, laugsam
hinab, unter dein dumpf rollenden
Geräusch hemmender Zahnräder im
Inneren der linken Seitcniuaucr.
Die Eiscnstauae an dcr Unterseite
der beweglichen Wand erwies sich als
das Eharnier, um welches sich das
Ginze drehte, und die Holzleisten an
den Kaulen links und rechts als wohl
weislich angebrachte Verkleidung dcr
Fugcn.
Diese Wand war nichts Anderes als
die Hinterseite einer kurzen Holz
treppe, die sich oben an eine steinerne
anschloß und so zur Höhe des Stock
wcrkeö im Hanp'bau hinansuhrte. Die
obere .Kaute der Wand, die im ausge
zogcncn Zustande fast die Decke d.s
Treppenhäuschenö berührte und jetzt
langsam niederiank, bis sie sich auf
der obeistcn Stufe ber Kellertrepre
festlegte, trug die unterste Stakset der
jetzt erst völlig sichtbaren Geheim
neppe, unter der nun dic ellersticgc
wie unter einein Deckel ven'chwundcn
war. Die Treppe lief in derselbe
Breite fort zw,sckcn der vordem im
obersten Theile aascheinend ganz inas
siven Miitelmaner, nur jetzt auswärts,
statt abwans. Die zehnte dieser auf
steigenden Stuien vecr diesem, wo
da Eharnier eingrist. und bestand i
einen iMlty v; .fta!;. ur andere.'
schon ans Stein wie die übrigen Sku
seit, dic iretter hinattstihrlen, bis sie sich
int Dunkel verloren. Man konnte i
der Höhe von ungefähr zwanzig Stufen
eine zweiten eisernen Wirbel an ber
linksseitigen Mauer wahrnehmen, der
offenbar dazu diente, dic Ttcppe vo
oben wieder zu schließen, Derjenige,
der also da hinaussticg, konnte das
hölzerne Berbiiibuiigsstück ber Stiege
hinter sich wieber emporheben, wie eine
Zugbrücke, und Riemaud, ber jetzt
vom Keller her zur Eiseitthür heraus
kam, konnte ahnen, baß hier ein Ans
gang bestand, bett bie drehbare Kachel
iiiile klappte von selbst i ihre alte
Lage zurück, sobald sich die innerste
Holztreppensiitse im Riederglcitett auf
bie oberste der Kellertreppe stützte.
Hermann setzte keine Fuß auf bie
enthüllte Treppe. Eö schien ihm nur
darum zu thun gewesen ztt sein, sich
davon ztt überzeugen, ob der alte
Mechanismus noch sunktionire. Er
hatte kein Interesse daran, jetzt bett
ihm wohl bekannten Weg da hinauf
zu verfolgen. Sein Lichistittttpschcn
war überdies schon nahe am Ver
löschen, und so zögerte cr nicht, alsbald
bic bewegliche Steinplatte zu seiner
Linken attf'ö Reue ztt öffnen, in da
verbindende Holztteppensiück iu seine
alte Stellung als Hiuterwand des
Kellerlreppenvoigehäuses zurückzu
versetzen, Allcö klappte vorzüglich, nnd
eine Minute später war der geheime
Trcppctiatisgatig verschwunden wie ein
Spnk.
Hermann nickte befriedigt und trat,
ein Liebchen vor sich hiupseiseud, ben
Rückweg dnrch bie KeUerräuiuc an.
Er war als Knabe nicht wenig stolz
daraus gewesen, daß er die Geheii
treppe entdeckt Halle nicht durch Zu
fall, nein, wie ein richtiger Eolunibus,
nach monalclattgctn Suchen und For
scheu. Der alle Ballhasar hatte den
dreizehnjährigen Vctwaltcrssolm, ohne
cs zu wissen, durch seine Geschichten zum
Entdecker jener verborgenen Stiege ge
macht, beren Geheimniß ber Erbauer,
ber finstere Hasso v. Ebersperg, wahr
scheiulich mit in sein Gral, im Bres
lauer Atiguftinerlloster genommen hatte.
DaS liebste Thema deö schwatzhasten
Greises war die Geschichte der schönen
Ulrike v, Ebersperg, Ballhasar ver
sicherte, dcr eifersüchtige Hasso habe
sie Tag und Rächt in ihrem Zimmer
belauscht. Sie bürste iltre Gcimtcher
im nördlichen Tialt niemalsvetlassen:
darum hatte cl auch stockhoch i der
eine Ecke dcr Kapelle das Erketchc
anbringen lassctt, ba Oratorium, bas
sie unmittelbar von ihtcttt Schlaszim
rncr aus betreten konnte. Und keine
Minute bei Tag oder bei R'acht war
sie sicher, daß der Wütherich nicht vor
ihr auftauchte wie ihr böses Gewissen.
Unb so habe cr sie endlich auch cr
tappt, ivie sie cinc Brief geschrieben,
aus welchem bcr Man bcn scheußlich
sie Vcrrath gewittert. Da habe er sie
mit eigener Hand erdrosselt. Svätcr
allerdings sei cö ihm llar geworden,
daß Alles nur schmähliche Täuschung ,
gewesen und da wäre cr Klosterbruder
geworben.
Hermann buchte schon bantals mit
schärferer Logik ctlö seine Umgebung.
Dic Anderen machten sich weiter keine
Gedanken darüber, ob und wie cs bei
Herrn Hasso möglich gewesen sei, sei
junges Gemahl itt ihren Gemachern ba
oben ztt bclanerit, während er seine
Wohnung doch in einem sehr weit davon
entfernten Theil bes Erdgeschosses
halle, Hermann aber grübelte emsig
darüber;' er entwarf sich eine ziemlich
genaue Plan des Schlosses und saud
eines Tages in dcr Thai heraus, doß
die Mitteltraguiauer int Kavelleu
biitt," zwischen Kapelle und Hinter
traft, von der iellersohle bis zum
Dachraunt hinauf bic gleiche Stärke
besaß. Unten befand sich dic kleine
Hintctlrcppe mit der Eiienlbür zwi
schen Sakristei nd Stall in diese
Mauer eingesprengt, bei war ihre Ticke
also erklärlich. Was hätte es aber sür
einen Zweck gehabt, sie oberhalb dieser
Kellertreppe massiv aufzuführen, in
unverminderter Stärke? Da setzte sei
durchdringender Verstaub den Hebel an,
und bald hatte er es heraus, daß eine
auswärts führende Treppe in dieser
Mauer ganz wohl Platz finden konnte
und gtnatt bis zu bem anscheinend nur
vom ehemaligen Schlaslabinett Hin
kens auS zugängliche Erleroratorittm
in die .Kapelle fuhren mußte. Vo da
en stand es bei Hermattn fest: Diese
Aufftiegtrevpc ist vorhanden setz!
mußt Du sie mir zu finde wissen!'
Und er brtlt sie gesunden.
Aber er halte sich s auch saure
Schweiß lostiM lassen, tuchftabtiiii tcde
Zoll vom Boden und ven de.t Wänden
bes Trcpvenhänschcns zwischen der
Sakristei und betn PserdestaU abgetastet
und abgeklopft, bis er die beuieelich:
Steinvia! tc in ber Mauerretllcidung
entdeckt halte, die damals übrigens, in
den Staub der Jabrliunoene gebettet,
nicht so leicht z breiten war wie nach
mals, als er ben Meebatiistnus wieder
in Gebra.tch gesetzt. Und seine ganze
Forschelarbeiten, die wahrlich einer
besseren Sache würbi.z gewesen wäre,
hatten ja i aller Verborgctthkit voll
bracht weide miiisen, ben niemals
wollte er das entdeckte Geheimniß mit
einem zweiten lebenden Menschen thei
Icn. Er ivar kein Plauderer wie der
alle Baltltasar, er war auch von ande
ter All als die meisten seiner Sclnil
kameraden, die so eine köstliche Ent
deckung ich! laut genug beitte aus
posaunen können : nein, für ilin lag der
Hauptreiz der ganze Sache in dem
Bewußtsein, der Einzige zu sein, der
von dem Gelieimrnß des alten Schlos
ses mehr n uxte als der Herr Gras selbst
und der Valer und die übrigen Erwach
senen, Warum (acht man ? Die berichtn
testen Philcicrken. ant, Hegel, Dar
win, Spencer, haben die Frage zu be
antworten gesnchl, wclckte Oriinde das
Lachen verursachen. Im Alige-neinen
herrscht die Ansicht ror, daß Freude
da? Lachen derronufl. Ader dagegen
laßt sich einwenden, daß eS ersten
ernste Freuden gibt und zweileus, daß
oft Begebniiie selbst unler den trau
rigstcn Bcrhalimlsen lackerlich erschei
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