Nebraska Staats-Anzeiger. (Lincoln, Nebraska) 1880-1901, May 28, 1896, Image 9

Below is the OCR text representation for this newspapers page. It is also available as plain text as well as XML.

    Das einsame ftaus.
Hiiif (lljnino tfidiai(. l'on l'oniillf
Ji a 19 ii.
Wir schrieben März, das bedeutet
zwar besonders i unseren Bogesen, wo
die schone Jahreszeit ihr Nahen durch
eisige Stürme ankündigt, noch lange
leine Frühling! aber man durfte doch
als sicher amiehmen, daß die trüben
Wintertuge und der Januarschnee'meit
zurücklagen. So begrühte man die
, Sonnenstrahlen, welche blifcahnlich den
grauen Wollenhimmel durchbrachen,
schon als Bvrdoten der liinstigen Tom
merherrlichleiten. Ich zahlte damals zwanzig Jahre,
und noch waren keine achtundoierzig
Stunden verstrichen seit meiner Hochzeit
und unserem Einzug i'3 eigene Heim,
der zudem wenig Vorbereitungen er
forderte, denn unser Reichthum bestand
einzig in ttiiserer Zugend und viel gutem
Willen, aber was kümmerte uns dies !
Unser Häuschen lag entfernt von jeder
, menschlichen Wohnstatte unter Bäumen
versteckt.
An jenem Tage hatte mein Mann in
seiner Stellung als Kassirer der Fabrik
Iacquet in der Stadt Geschäfte und er
hob auf der Bank den Lohn für die Ar
beiter, eine schwere Tasche mit zehntau-
. send Francs in Gold und Silber, Die
Tasche kam in eine Kommodenschublade,
und mein Mann streckte sich aus das
große dovha im Eßzimmer, um sich
einmal gründlich auszuruhen, da ihn
der weile Weg über schlecht gepflasterte
Straßen sehr ermüdet hatte. Gleich
.anderen berechtigten Wünschen, die nicht
in Erfüllung zu gehen pftegen, wurde
.auch nichts aus diesem Ruhestündchen
mit Zeitungsqenuß, denn Georg saß
kaum fünf Minuten, als ein junger
Bursche erschien und ausrichtete: ob
Herr Hubert vielleicht die Freundlichkeit
haben wolle, sofort iii'S Geschäft zu
kommen? Man benöthigte seiner als
Dolmetscher.
Die Gebrüder Iacguet waren und
sind noch heute die Höflichkeit selbst im
Verkehr mit ihren Untergebenen, doch
galten ihre Wünsche selbstverständlich
als Befehle, und so machte sich Georg
unter kräftigen Verwünschungen zum
Ausgehen bereit. Die Fabrik lag un
gefahr eine Viertelstunde weit entfernt.
Nach Georg'S Weggang fühlte ich mich
recht einsam.
Die Küchenthüre steht offen und
Auguste, unser Mädchen, bittet mich in
den einschmeichelndsten Tonen: Kom
men Sie doch ein wenig zu mir her
ein !"
Ich leistete der Aufforderug Folge,
setzte mich neben den wärmespendenden
Kachelherd, in dem es gemüthlich kni
sterte, und beginne das Geshrach mit
der Frage:
Giebt es gefährliche Landstreicher
hier in der Gegend?"
'Ader gar keineT" erwiderte Auguste
sehr gekränkt, hier giebt es nur recht
schaffe? Leute."
Auguste ist gerade damit beschäftigt,
Kartoffeln zu schälen. Sie hat eine
ganz ursprüngliche Art, sich der Scha
len zu entledigen, die darin bestand, daß
sie einfach den Inhalt ihrer Schürze zum
Fenster hinauswarf.
HSute. wo der Herr den Lohn für
die Arbeiter mitgebracht hat," bemerkte
' sie gemiitllsruhig, während die Schalen
händevoUweis h nansflogen, könnte
Einer, der es wüßte, einen guten Streich
ftldren."
Auguste schlägt das Fenster wieder zu
und geht an den Herd, um das Feuer
zu schüren.
Mir ist es in der Küche nicht behag
licher als im Garten oder Salon, die
geheime Unruhe will nicht weichen. Wie
ich mich plofelich erhebe, bemerke ich noch
gerade eine menschliche Gestalt, die sich
wider das Küchenfenster gedrückt hat.
Ich stoße einen Schrei des Entsetzens
aus, den Auguste, die mit dem Rücken
gegen daS Fenster stand und nicht sehen
konnte, was draußen vorging, erschreckt
erwiderte. Ich stürzte nach der Haus
tbüre, um den Schlüssel umzudrehen.
Unglücklicher Weise ist es hierzu schon zu
spät. Ein starker Stoß schleudert mich
an die Wand und ein Mann dringt in 's
Haus. Sekundenlang stehen mir uns
ortlos gegenüber, der Eindringling
und ich. Trotzdem oder vielleicht weil
ich so hestig erschreckt bin. fallt mir seine
breitschulterige Gestalt auf, der große
Mund und der wenig Vertrauen er
weckende Ausdruck seiner sinfteren grauen
Augen. In der Hand hält er einen
schweren Knüttel.
Verzeihung, entschuldigen Sie, kleine
Dame, wenn ich störe," sagt er schließ
lich, aber ich brauche das Geld, das
Sie hier haben und zwar etwas schnell.
Da es nicht Ihnen gehört," fügte der
angenehme Besuch auflachend hinzu, so
dürfen Sie sich auch keinen Kummer
darüber machen."
Ich will es holen, warten Sie hier
auf mich," antwortete ich.
Es ist eine schon oft ermähnte That
sache, mit welcher Schnelligkeit in der
Gefahr die Gedanken kommen und
gehen. Während ich die Treppe hinauf
eilte, hatte ich Georgs Verzweiflung vor
Äugen, wenn er bei seiner Ankunft das
Geld nicht mehr vorfinden würde. Beide
besaßen wir keinen Pfennig eigenes
Vermögen, wovon sollten wir dem
Eigenthümer die Summe wiedergeben?
Es war um so schlimmer, da das Miß
trauen der Gebrüder Jacauet bei jeder
Velegenheit zu Tage trat.
f Ich schritt zur Kommode und hob die
"ewiaiqe yerau,. mir war ein jnop
licher Einfall gekommen. Ich wußte
Der ämmlagsgast.
Jahrgang 17.
ja nicht, ob er Erfolg haben würde,
nichtsdesloweniger enipsand ich ein so
heißes Dankgefnhl gegen Gott, wie
wohl noch nie in meinem Leben.
Ich öffnrte die Tasche und schüttete
den Inhalt behutsam aus die Wäsche in
der Schieblade, dann ersetzte ich das
Geld durch ein schweres Broncetinten
faß, das auf meinem Schreibtisch steht.
Die spitzen Ecken zeichnen sich außen auf
der Tasche ab, zudem ist das Gewicht
noch lange nicht erreicht. Meine Blicke
wandern suchend im Zimmer umher
nach einem rettenden Gegenstand. Da
fallen meine Augen auf ein gefülltes
Säckchen mit Bleistiicken für saltige
Taillen. Gefunden. Die Tasche hat
jetzt ein stattliches Ansehen und ich steige
die Treppe mit bedeutend größerer Si-
cherheit herunter wie vorhin hinauf, ob-
gleich die Knie noch unter mir zittern.
Der Einbrecher hatte sich nicht vom
Fleck berührt. Ich hielt ihm die Tasche
hin und es kommt mir vor, als be
trachte er sie mit argwöhnischen Blicken.
Das Geld ist im Rollen," sagte ich
zu ihm, um einer etwaigen Frage zu-
vorzukommen, wenn Ihr nicht wollt,
daß Euch mein Mann überrascht, so
geht jetzt, er kann jeden Augenblick nach
Haus kommen."
Wirtlich vernahm man in der Allee
Jemand kommen,
Ich fürchte mich bor Niemanden,"
bruninite der Dieb, seinen Knüttel erhe
dend, daraus stieß er ihn polternd auf
die Fliesen.
Nachdem er durch die feindselige De
monstration seinem Selbstgefühl Genüge
gethan hatte, entriß er mir die Tasche
und verbarg sie unter seiner Bluse. Im
Nu war er dann verschwunden,
Vierzehn Tage später war mein Mann
und ich in Havre, um eine kleine Erd
schuft zu erheben. Dank der Güte einer
alten Verwandten sollten unsere Zu
kunftsforgen nun zu Ende sein. Georg
wollte mich gern mit sich nehmen unter
dem Vorwand, ich bedürfe einer kleinen
Zerstreuung und auf meine Nerven, de
nen das schreckliche Ereigniß arg mitge
spielt hatte, werde die Reise sehr günstig
wirken. Ich ließ mich leicht überreden
und verlebte köstliche Tage. Als wir
uns wieder nach dem Bahnhof begaben,
sagte mein Mann plötzlich: Warte hier
eine Minute, ich habe vergessen, unserem
Notar, der die Gefälligkeit selbst gegen
uns war. Adieu zu sagen, Eden wie
ich da- Schild las, ist mirs erst einge
fallen." Um das langweilige Warten abzukür
zen, schlenderte ich langsam die Straße
hinunter, bis wo sie aufhört, da blieb
ich auf einmal wie festgewurzelt stehen.
Ein Mann, ein schmutziger Vagabund,
lehnt sichtlich erschöpft, mit dem Rucken
wider eine Hausmauer: mein Dieb!
Er sieht mich nicht, seine tiefliegenden
Augen blicken starr ins Weite; es ist ein
Bild des Elends und der Verzweiflung.
Ich berühre leicht seinen Arm, er erbebt
und wie er sich nach mir umwendet,
liegt ein seltsamer Ausdruck von Schreck,
Wuth und Trotz auf seinen hageren
Zügen.
Warum arbeiten Sie nicht?" fragte
ich schüchtern.
Er stieß ein kurzes Lachen aus, das
mir durch die Seele schnitt.
Ah. Sie wiffen doch, kleine Dame,
die satten und geputzten Leute machen
sich nichts aus Lumpen. Niemand will
mich nehmen. Wenn ich nur sort könnte
aus diesem elenden Land!"
Er fiel wieder in seine frühere Hol
tung zurück und versenkte die Hände tief
in seine Hosentaschen,
Am Morgen hatte mir Georg zwei
hundert Francs gegeben. Für Dich
ganz allein, mein Weibchen," bemerkte
er dabei. Tu hast es reichlich erdient
durch die Rettung des Jacguet'schen
Geldes." Nun zog ich meinen Schaß
aus der Tasche und hielt ihn dem Un
glücklichen bin, der mich in faffungslo
fern Erstaunen anstarrte.
Kauft Euch anständige Kleider und
wandert aus, Ihr sindct gewiß Arbeit,
und versucht, ein ordentlicher Mensch zu
werden.
Ich wollte forteilen, aber seine rauhen
Hände umspannten meinen Arm. so
daß ich die Thränen sehen mußte, die
langsam über seine eingefallenen Wan
gen rollten.
Gott segne Sie dasür, daß Sie so
gut gegen mich schlechten Kerl sind!"
stieß er abgerissen mit heiserer Stimme
hervor.
Georg datte wenig Geschmack an un
überlegten Handlungen, deshalb hütete
ich mich wohl, ihm die Sache mitzuthei
len. Auf eine Frage, ob ich mir
Schmuck gekaurt habe, antwortete ich.
daß ich das Geld lieber vortheilhaft an
legen werde, damit war es überstanden.
Kürzlich ist jedoch ein Ereigniß eingetrc
ten. das mich zum vollständigen Ge
ftandmß zwang. Wir erhielten nämlich
aus Amerika einen Käsig mit einem
prächtigen Kakadu. Die Sendung hat
Beilage zum Nebraska Staats-Anzeiger.
uns eine Woche lang sehr beschäftigt,
jetzt glaube ich die Lösung des Rätbsels
gefunden zu haben. Während der ersten
ieme fiifc hir Siiinel rniirrifA stuf
seiner Stange und öffnete den Schnabel
nur zum qceikii vvcr itqeu: er iuac
einfach unausstehlich. Dann begann
laut aufzulachen und erklärte mir mit
großem Ernst zu wiederholten Malen,
daß er ein tüchtige. Mensch, ein braver
Mensch geworden sei!" Sehr befriedigt
von der Wirkung seiner unerwarteten
Kenntnisse, fügte er mit einer Stimme
wie Trompetenklang hinzu :
Es giebt noch ordentliche Menschen
aus der Welt!"
Des Kakadus Philosophie hat etwas
ungemein Tröstliches!
Der ylorgenkuß.
Novellktte von Marimilian chmidi.
Die Lokoinotive pustete ganz erschöpft
durch dichtes Schneegestöber in die
schwarze Nacht hinein. Jnimer lang
samer wurden die schweren Athemzuge
des Dampfrosses, sowie die Vorwärts
bewegung des Zuges. Mit einemmale
hörte diese ganz auf, zum Glück nicht
allzu fern von einer Station. Eine be
deutende Schneewehe, die das Schienen
geleise bedeckt hatte, heischte ein gebiete
risches Halt. Die wenigen Reisenden,
die sich im Zuge befanden, blickten
schlaftrunken durch die Fenster und ver
mischten ihre unwilligen Bemerkungen
mit dem Fluchen des Dienstpersonals.
Nur der Zugführer bewahrte seine
Ruhe. Er traf die nöthigen Anord
nungen und schickte zur Station, von
der allerdings erst nach geraumer Zeit
Schneeschaufler mit Fackeln kamen, um
den Zug wieder flott zu machen.
Der schon ältliche, pflichtgetreue
Mann scheute weder Frost noch Schnee
gestöber, und doch hätte seine Kraft
nachgelassen, wenn nicht ihn, gleichwie
das übrige Personal, ein Passagier mit
mehreren Flaschen südländischen Weines
gestärkt hätte. Dieser mildthätige Spen
der war der Sohn eines wohlhabenden
Weinhändlers aus einer Provinzstadt
und denk Zugführer durch öftere Ein
kehr in seinem Hause wohl bekannt.
Er hatte die Flaschen in seinem Hand
koffer verpackt gehabt, da sie als Muster
für einen Geschäftsabschluß in der
Hauptstadt bestimmt waren,
Bernhard Obermaier, so hieß der
junge Weinhändler, war ein hübscher
Mann von sehr heiterem Temperament,
dem es eine wirkliche Freude machte,
mit seinem Vorrath an Wein die ge
sunkenen Lebensgeister der engestreng
ten Leute wieder zu heben.
Nach einigen Stunden Verzögerung
setzte sich der Ziig endlich wieder in Be
megung und kam erst lange nach Mit
ternacht am Bahnhofe der Hauptstadt
an, K um diese Zeit kein einziger
Wagen mehr zu haben war.
Bernhard fragte den Zugführer um
Rath, wo er wohl um diese Zeit noch
Nachtguartier finden würde. Dieser
war ein praktischer Mann und meinte,
ti märe am besten, er ginge mit ihm in
seine ganz nahe dem Bahnhöfe gelegene
Wohnung, da sinde er eine warme
Stube und brauche bei dem Hundewet
ter in der Nacht nicht lange herum zu
suchen.
Der Weinhändler war damit einver
stansten. Auf dem Heimwege-erinnerte
er sich unwillkürlich lebhaft an die
Handlung des Fliegenden Hollän
ders", welche Oper er erst am Abend
vor seiner Abreise im Theater seiner
Paterstadt angehört hatte, da der Zug
führer zu erzäblen begann, daß er ein
einziges Kind, eine brave Tochter, habe,
welche die Freude seines Lebens sei, und
daß es dem Gaste sicherlich in seinem
einfachen Heim gefallen werde. In der
Wohnung angekommen, wies er Bern
hard sein heute ganz frisch überzogenes
Bett an, wahrend er selbst mit dem
Sopha orlieb nahm. Beide waren
von der Reife erschöpft und fanden es
nicht mehr an der Zeit, noch viel zu
plaudern. Alsbald schliefen sie ein,
und Bernhard machte erst wieder auf.
als er zwei weiche, schwellende Lippen
auf den seinen verspürte und die Worte
hörte:
.. Guten Morgen, Vaterl ! Viel Glück
zu Dein Geburtstag ! Die Tante kocht
Dir schon zu Mittag Deine Leibspeis.
und ich dring' auch schon etwas heim j
zum Geburtstag. Schlas nur wieder:
weiter. Guten Morgen!"
Damit fühlte er sich nochmals herz
haft geküßt. I
Ter junge Mann mußte sich, aus so i
eigenthümliche Art aus seinem Schlum
mer geweckt, erst zurecht sinden und sah
trotz der herrschenden Tunkelheit eine
weibliche Gestalt durch das Zimmer auf
die Thür zuschreiten. Diese: Morgen
gruß. der dem vermeintlichen Vater
galt, gefiel dem jungen Mann gar sehr,
und er ward neugierig, die, wenig-
stens ilirer herzigen Stimme nach, lieb
liche Spenderin beim Tageslichte zu
sehen.
Beim Frühstück offenbarte ihm der
j biedere Zugführer lofort seine ami-
lienvcryaliniiie, inoem er imn mir
theilte, daß, da ihm seine Frau längst
gestorben, seine bejahrte Schwester das
Hauswesen führe, und sein einziges
Kind, seine Helene, ein Mädchen von
zwanzig Jahren, Ladnerin in einem
der größten Galanteriewaarengeschäfte
der Stadt sei. Ter Zugführer wurde
nicht müde, die Tugenden seiner Helene
hervorzuheben und zeigte dem Gaste
ihre Photographie, welche bewirkte, daß
dieser nur um so neugieriger auf das
Original wurde. Der Alte kam ihn in
der That vor, wie der Seefahrer
Daland, der ihn mit nach Haufe nahm,
um ihm seine uielqerühmte Senta zu
zeigen. Von dem Morgenkuß, den er
an stelle des Vaters entgegengenom
mommen, schwieg er: dagegen nahm er
die Einladung des Zugführers zum
Mittagessen gern an. Nachdem er dann
seine Geschäftsgänge gemacht, suchte er
die Galnnteriemaarenhandlung auf, in
der Helene als Verkäuferin beschäftigt
war.
Sofort hatte Bernhard das Mädchen
erkannt; doch dünkte es ihm in Wirklich
keit viel schöner, als es die Photographie
versprach. Helene hatte eine prachtvolle
Gestalt und kirschrothe Lippen. Bern
hards Blicke hingen mit Genugthuung
an denselben, als sie ihn freundlich um
seine Wünsche fragte. Weihnachten war
vor der Thür, und der junge Mann
suchte sich in sehr umständlicher, lang
samer Weise verschiedene zu Geschenken
passende Gegenstände aus, denn seine
Augen waren mehr auf das Mädchen,
als auf die Waaren gerichtet. Er plan
derte mit ihr über dieses und jenes, und
Helene ging stets zuvorkommend aufsein
Thema ein. So erzählte er ibr auch,
daß er aus einem Provinzstädtchen
komme und daß er in dem schrecklichen
Schneesturm auf der Eisenbahnfahrt
hierher viel Ungemach zu ertragen ge
habt, worauf Helene ihrerseits erwiderte,
daß sie um ihren Vater, der ebenfalls
als Bahnbeöiensketer täglich diesem Un
gemach ausgesetzt sei, schon manche sor
genvolle Stunde verlebt,
Ach", versetzte Bernhard, ich habe
auch für einen befreundeten Zugführer
ein Ehristgeschenk zu kaufen. Da könn
ten Sie mir wohl am Besten rathen.
Was würde z, B. Ihrem Vater eine de
sondere Freude machen?"
Meinem Vater? Der hat nur einen
Wunsch: eine silberdeschlagene Meer
schaumpfeife: sehen Sie, wie diese
hier !"
Bernhard wählte unter den borge
zeigten Pfeisen die schönste zum Kaufe
aus.
Wünschen Sie noch etwas?" fragte
Helene, nachdem sie die von dem jun
gen Manne ausgesuchten Gegenstände
einem Bediensteten zum Verpacken
übergab.
Ich wünsche schon noch etwas,"
meinte Bernhard mit schelmischem
Lächeln, aber das ist sicher in Ihrem
Geschäfte nicht verzeichnet?"
, O. sagen Sie nur ich kann Ihnen
vielleicht doch dienen,"
Sie wohl, aber nicht das Geschäft.
Ich möchte Ihnen etwas zurückgeben,
was ich von Ihnen erhalten habe."
Was wäre das?"
Ein Kuß !"
Bernhard sagte das in so anständi
gem Tone, daß das erröthende- Mad
chen nicht gleich wußte, ob es sich ver
letzt oder belustigt zeigen sollte. Des
halb fragte es in zweifelhaftem Tone:
Was haben Sie gesagt ich
hätte?"
So wahr ich vor Ihnen stehe,"
betheuerte Bernhard.
Helene sah den jungen Mann mit
besorgtem Blicke an: denn daß es bei
dem Aermsten trotz seiner redlichen.
VerKauen erweckenden Provinzaugen"
im Kopfe nicht richtig sei, war gewiß.
Ich weiß, was Sie sich jetzt denken,
mein Fraulein daß ich verrückt bin?
Aber Sie irren, Sie baden mich wirk-
lich geküßt. j
Ich. Sie? Wann? Ich sehe Sie iekt I
zum ersten Male, habe überhaupt noch j
nie einen Herrn geküßt das schwöre !
ich Ihnen auf Ebre Sie sind ent-!
weder ein Kranker, oder ein Lügner."
Wenn ich es Ihnen aber beweise,
daß ich vor ganz kurzer Zeit von diesen
schönen Lippen einen sesten, warmen,
Kuß erhalten? Doch lassen mirs für!
jetzt. Noch beute sollen Sie den Beweis I
haben." i
Wenn Sie das können, dann j
dann "
Tann beko-me ich noch einen Kuß.
Adgernacht?" !
Abgemacht!" wiederholte Helene,!
den Aerger niederkämpfend, nun wieder ;
lachend.
Nach seiner Entfernung mußte ie
9to. 2.
fortwährend an diese sonderbare Unter
redung denken. Der hübsche junge
Mann that ihr recht leid, denn daß er
krant sei, lag außer allem Zweifel,
Um 1:! Uhr durste sie auf zwei
Stunden aus dem Geschäfte. Sie laufte
Vaters Geburtstag halber eine Flasche
guten Schaumweins und eilte dann
nach Hause,
Ein AuSruf des Erstaunens entfuhr
ihren Lippen, als sie dort neben ihrem
Vater auf dem Sopha sitzend den frem
den jungen Mann traf. Sprachlos
stand sie auf der Schivelle.
War das der leibhaftige Satan?
Der Vater lachte. Er hatte von sei
nem Gaste Alles erfahren, und die hüb
sche Meerschaumpfeife in seiner Hand
zeigte, daß sich jener bei ihm schon ge
hörig eingeschmeichelt.
Helene machte jetzt ihrem Bater ein
Zeichen, daß er ihr folgen solle; sie
wollte ihm mittheilen, öß der junge
Mann geisteskrank sei und er sich vor
ihm hüten solle. Aber der Väter merkte
die Absicht der Tochter und löste mit
wenigen Worten das Räthsel, denn
auch über den Kuß war er aufgeklärt
worden, den seine Tochter dem Fremden
gegeben.
Helene reichte nunmehr dem Gaste die
Hand und hieß ihn willkommen. Dann
sagte sie miNiefem Erröthen:
Sie müsjen entschuldigen ich habe
Sie heute Früh mit meinem Pater ver
wechselt "
Und mich geküßt?" ergänzte Bern
hart. Däs vergebe ich Ihnen nur,
wenn Sie Ihr gegebenes Wort ein
lösen. Sie wissen doch abgemacht !"
Aber " wollte Helene einwenden.
Vorwärts, Mädel !" rief der Bater,
Ein gegebenes Wort muß man ein
lösen, da ist nichts mehr zu ändern."
Der Kuß wurde saldirt und quittirt. .
Der Vater lachte. Er sah etwas
kommen, was er sich kaum zu träumen
gewagt. Das Ergebniß des gestrigen
Hundewetters war ein Schmiegersohn.
Das liebe Hundewetter !
Nun gings zum Geburtstagsessen.
Die Gläser gaben guten Klang, und
die Herzen der beiden jungen Leute
stimmten ebenfalls so schön zusammen,
daß Bernhard bald des Hollanders-"
Ausspruch wagte:
Sie sei mein Weib !"
Die Flasche Schaumwein wurde auf
das Wohl des Brautpaares geleert und
als Bernhard Abschied nahm, stürzte
sich Helene nicht, wie Senta. in Was
ser, sondern an die Brust des Ver
lobten. Der Zugführer mischte sich gerührt
die Thränen aus , den Augen und
wünschte den beiden eine glückliche Fahrt
I, Klasse durch ganze Leben.
Die Seeschlacht in der Zukunft.
Künftig wird ein entscheidender
Kampf zur See nur noch nach Mi
nuten zählen. Die Beschreibung des
muthmaßlichen Verlaufes, die ein eng
lischer Fachmann gegeben hat, lieft sich
schrecklich genug: Die Tragödie be
ginnt. Das ' letzte Manöver zur
Schlachtordnung wird nur zweieinhalb
bis drei Minuten dauern, je nach der
Geschwindigkeit, mit der die beiden
Flotten vorrücken. Wahrscheinlich mer
den sie aus verschiedenen Gründen ihre
äußerste Dampfkraft nicht verwenden:
schon deshalb, weil sie für jeden Zufall
Reservedamps aussparen müssen, ferner
um Kesselbrüche zu vermeiden, die stets
leicht bei forcirtem Dampf stattsinden;
dann um die Heizer so wel wie möglich
vor der Oual zu schützen, die sie bei ge
schlossenen Schürlöchern zu erdulden
haben, und endlich, um alteren und
lansameren Schiffen das Ausrücken zu
erleichtern. Höchst wahrscheinlich mer
den sie mit einer Geschwindigkeit von
vierzehn Knoten in der tunde gegen-
einander Vorrücken. Die letzten zwei
einhalb Minuten, die vor dem Zukam-
menstog verstreichen, muffen voll unge
heurer, köstlicher Spannung sein: denn
schon in ihnen kann das Schicksal der
schlackt entschieden werden. Tie vor-
deren Partien werden unter dem Feuer
stürm fortgeblasen der siebartig durch
löchert merken. Wasserdichte Thuren
werden zwecklos, wo es keine wasserdich
len Wände mehr giebt. Ter Panzer
wird zwar die empfindlichster: mittleren i
Theile des Schisses schützen, aber ist es
nicht schlimm genug, wenn es eines
seiner Enden verliert? Tann wird es
wahrscheinlich seine Fahrt nicht langer
durchhalten können, hinter die Gefechts
linie zurückfallen oder langsam in die
See versinken. Was ist im Allgemeinen
die Wirkung des aus ein Schiff gericdie
ten Geschones? Tas ganze -chiff de
deckt sied mit Trümmern, schnell ver
ändert sich sein Aussehen durch den Ver
lull der Schornsteine und die Zerstörung
sämmtlicher Odergeruste und des Oder-
decks. Ter Regen von Melinitranaten I
aus Kanonen, die mit rauchlosem Pul
ver schießen, reißt alle Theile des Schis
fcs seitlich des Panzers in Stücke.
Sechszöllige Kanonen können in drei
Minuten zweiundsiedjig Geschosse wer
sen. Wenn Zwanzig Prozent davon ihr
Ziel erreichen, so muß die Wirkung er
ichtend sein. Während dieses Momen
tes sind mächtige Seitenladungen don
der größten Wichligkeik, da sie den Kapi
tün in den Stand setzen, das Möglichste
aus seinem Schiffe herauszuholen. ES
giebt Schiffe, in denen die Geschützbänke
nicht kräftig genug gestützt sind: diese
können durch eine unter ihnen platzende
Granate aus ihrer Lage, und mit
ihrein Gewichte von sieben- bis achthun
dcrt Tonnen zum Sinken gebracht wer
den. Kommen sie erst 'einmal in's
Wanken, so werden sie aller Wahr
scheinlichteit nach, da das Panzerdeck sie
nicht mehr tragen kann, direkt den
Boden des Schiffes dnrchscblagen und so
Verderben und Untergang ' nach sich
ziehen.
Die Folge von der Zertrümmerung
der Schornsteine scheint man gar nicht
z beachten. Der Zug würde das Schiff
bald mit Rauch anfüllen und das Deck
möglicherweise Feuer fangen. Auch muß
man bedeuten, daß das elektrische Licht
gelöscht und dadurch das Schiff in Fin
sterniß gehüllt werden kann. Die Arbeit
des Kapitäns wird noch zehnmal schwie
riger als sonst, wenn das Kartenhaus
über ihm zerstört wird, oder der Steuer
thurm Schaden leidet. Falls die Kano
nen der Hlllssbatterie nicht sehr gut ge
gen ein streichendes Feuer geschützt und
durch Bombensplitterschutzwehren isolirt
sind, so muß das Gemetzel unter der
Maiinschaft dort entsetzlich werden. Eine
einzige Menilitbombe könnte die ganze
Batterie unhaltbar machen, da der
Rauch, ganz abgesehen von der Wirkung
der Erplosion, zum Ersticken ist. Doch,
wenn dies Alles überstanden ist, so kom
men jetzt die mächtigen Kanonen, die
aus sieben- bis achthundert Meter abge
schössen werden dürften. Die Wirkung
deS Donners dieser Riesengeschütze auf
das Schiff ist kaum zu beschreiben.
Wahrscheinlich werden sie wie ein
Pulver-Magazin, das in die Luft
fliegt, das schon zum Wrack ge
schossene Schiff in ein hoffnungsloses
Ehaos verwandeln, jede Ordnung er
Nichten, und die Leitungsdrahte, welche
die Befehle des Eapitäns nach dem Ma
schinenraum führen, zerstören. Auch
wenn der Panzer den Geschossen wider
steht, wird das Schiff doch eine schreck
liche Erschütterung dadurch erleiden.
Schlägt eines der Riesengeschosse auf
einen Panzerthurm, fo wird es wahr
scheinlich, falls es ihn selbst nicht über
Bord reißt, die Mannschaft darin be
täuben oder todten, und den ganzen
complicirten Mechanismus in seinem
Innern zerstören. Jetzt muß jeden
Augenblick die Eollision erwartet wer
den. Die zerschossenen, rauchenden,
blutüberströmten Schiffe sind einander
nahe. Schornsteine und Masten sind
über Bord gefegt. Die Schiffe sind
durch die Rauchwolken vorgerückt, die
sich unter der Entladung der großen
Geschütze um sie gelagert haben,' Der
erste Alt des Treffens ist vorüber und
die Ueberlebenden aus dem Gemetzel
treiben auf zertrümmerten Schiffsrüm
Pfen. Eine gute Lektion.
Der österreichische General Gras
Gyulai (gest. 1831) hatte eine Zeitlang
die Gewohnheit, seinen im Vorzimmer
besindlichen Adjutanten zu pfeifen,
wenn er sie zu sich bescheiden wollte.
Einmal wurde ihm ein neuer Adjutant
zugetheilt, ein armer, aber sehr gebilde
ter junger Offizier, dem einige' Kame
raden von der Gewohnheit des Chefs
Mittheilung machten. Er schwieg dar
über. Am nächsten Morgen erschien er
pünktlich im Vorsaale des Kommandi
renden, unlkurz darauf hörte er in der
That aus den inneren Gemächern einen
schrillen Psiff ertönen. Darauf eilt der
Offizier nach dem Gang, wo Gyulai's
Lieblingshund sich behaglich auf dem
Boden streckt, faßt ihn beim Halsband
und schleppt ihn mit sich hinein zum
Kommandirenden. Dieser zieht, als
er den Adjutanten mit dem Hunde er
blickt, seine struppigen Augenbrauen
zusammen und fragt : Was ist das
für eine Komödie? Was wollen Sie
mit dem Hunde?"
Ercellenz haben gepfiffen", sagte der
Adjutant in durchaus ehrerbietigem
Tone.
Jamobl," erwiderte Eunlai, aber
nicht dem Hunde."
Nicht dem Hunde?" entgegnete der
Adjutant, also wem denn?"
Mit einem Satze stand Gqulai vor
dem Adjutanten und starrte ihm in die
Augen, als ob er ihn mit seinem Blicke
durchbohren wolle. Ter Adjutant hielt
tapfer Stand und schaute seinem Kom
mandirenden ruhig in's Antlitz. liest
stumme Scene mährte einige Sekunden,
dann drehte sich Gvulai um, schritt
langsam zum Fenster und sah eine Weile
hinaus. Endlich sagte er, ohne sich um
zuwenden, in ruhigem Tone:
Herr Adjutant, fuhren Sie gefälligst
den Hund hinaus und kommen Sie
dann zu mir berein."
Von dieser Stunde an war der Ad
jutant Gvulai's Liebling, und der Kom -mandnende
bat nie wieder einem Adju
kanten gepfiffen.
Kjt!v-tblutbf.
Pro'effor (zu dem vor Angst stottern
den Scküler: Sagen Sie doch nicht
eocs Wo zweimal ,z wei ja sonn
mch:. welches das ricktiae i!-