Nebraska Staats-Anzeiger. (Lincoln, Nebraska) 1880-1901, March 12, 1896, Image 9

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    L
i
Der 2uibctuik,r.
Po ii fl au 0 t) (i n n ( 0 s r 0 u ji.
In einem zu ebener (hde" liegenden
nenstcr der nicht allzu breiten und nicht
allzu sauberen Vorftiiblgiisse borkte ein
großer Vogel mit Dick chnabel nd n,p
Pigen schmarien ledern. (r warinte
; sich in der Sonne, die ifsst zwischen halb
zwois und zrools in vieles seniler schien,
blinzelte mit den großen Augen, blies
sein Gefieder kugelig auf und äugte die
traue hinunter nach einem nenn.
Der war in silns Minuten fällig" und
er Joaele wukte das aus alter Ge,
wohnheit, wenn er es auch nicht so nobel
ausdrucken konnte.
Der Herr war das ins und Alles
des Raben und dieser wieder das Eins
und Alles seine Herrn. Sogar den
PiKnainen danlte der Eine dem An
deren. Den schwarzen Vogel hatte der
schallhasle Hausmeister von vis-a-vis
das BriefträgcrHendeI" getaust, weil
sein Herr der vensionirte Vostosficial
Willibald Müller war, und dieser hiess
der Rabenvater, denn der Iockele war
das einzige Geschöpf, das der sonderbare
alte Mensch liebte und hegte. Die bei
den Namen waren dein ganzen Grund"
geläufig, ebenso wie Herr Mittler nd
sei Rabe ledein Rinde bekannt war
vom Sehen, denn mit dem Einen oder
dem anderen gesprochen zu haben, konnte
kein Mensch sich ruhinen.
Der Official i. P. lebte als Einsied
ler von der schmalen Pension, die er be
zog. Man wußte genau, wie wenig sie
monatlich ausmachte; der Hausmeister
mußte ja die Quittung gegenzeichne,
znr Erhärtung, daß der oben benannte
Willibald Miiller noch lebe. Er halte
wohl sehr wenig Dienstjahre, als er in
den Ruhestand gehen mußte. Die alte
Weiber beiderlei Geschlechts, die in der
ngen Gane wohnten, waren dann
Übereingekommen, daß er habe gehen
müssen wezen einer Schweinerei", wie
s geheunnißvoll hieß.
Er lebte sehr kärglich. Des Morgens
um sechs Uhr war er schon aS den
Federn, hatte alle Fensterflügel offen
und jagte als sei eigenes Stubenmad
chen den Staub aus seinem Zimmer.
Der Bäcker Jranzl, der um diese Zeit
mit dem Korb voll warmer Frühstück
semmeln vorüberging, knii&tt die Ge
legcnheit, in die Stube zu gucken. Der
Franzl erzählte, daß er bisweilen das
Staubtuch in's Gesicht bekomme von
dem über den Späher erbosten Alten,
daß es aber im Uebrigen sehr nnterhal
tend sei, zu sehen, wie der lange, hagere,
granköpfige Mann, in den verblichenen
Kattunschlafrock gewickelt, mit Besen,
Tuch und Kehrichtschansel Hantire. wo
bei der Rabe Jockele einen gar aufmcrk
samcn Zuschauer spiele.
Des Weiteren wußte man von eben
demselben Franzl, daß die Einrichtung
des alten Herrn ebenso armselig war
wie die Kleider, in denen er sich auf der
Straße zeigte. Ein schlechtes Bett, ein
gestrichener Kasten, ein alter Divan mit
entfärbtem löcherigen Ueberzug, davor
"ein bejahrter Tisch, am Fenster ein
Sessel das war Alles. Einen Spie
gcl hatte der scharfsinnige Späher nie
mals entdecken können, ebensoivenig eine
Wanduhr; es war also anzunehmen,
daß beide Einrichtungsgegenstände in
der Müller'schen Wohnung fehlten.
Nur ein einziges Bild hing an der
Wand, dasselbe aber war ein Prunkstück.
Es hatte einen goldenen Rahmen und
stellte eine wunderliebliche junge Dame
dar, deren Gesicht und knospenhaste
junge Büste aus dem dunklen Hinter
gründ Plastisch hervortrat. Der Franzl,
ein Sprachpurist aus gänzlicher Unkennt
niß aller Fremdwörter, bezeichnete diese
liesartige Wirkung des Bildes, indem
er sagte : zum Angreifen."
Um sotbanes Bild wob sich ein anmu
thiger Sagenkranz. Die Frau Wett!
vom Dreier-Haus und die Frau Wadi
von Numero fünf hatten nach reislichem
Erwägen aller Möglichkeiten dahin ent
schieden, daß das Porträt eine Gräfin
der Schalspielerin oder Kunstreiterin
darstelle, in welche der Herr Official
früher einmal närrisch verliebt gewesen
sei. In dieser Liebesraserei habe er
über seine Kräste Aufwand gemacht, sei
in Schulden gerathen und habe schließ
lich die Unregelmäßigkeit begangen, die
ihn auf der Sandbank seines vorzeitigen
Ruhestandes habe stranden lassen.
Hatte der Herr Müller aufgeräumt,
so schloß er die inneren Fensterflügel,
und was er weiter trieb, war ein Ge
heimniß selbst für die Frauen Wetti und
Wadi. Die unteren Fensterscheiben
hatten eben geblümte ,Poihangerln."
durch die man nicht durchsah, und dar
über wegzusehen war leider Niemand
groß genug.
Kurz vor zehn Uhr wurde das Fenster
wieder ein wenig aufgethan und der
Rabe herausgelassen, um auf der Brü
ftung Luft ,u schöpfen. Gleich darauf
sah man Herrn Müller aus dem Thore
treten und die Gage hinunterwandeln,
gebeugt mit müden Schritten, einen
starken Gehftock in der Hand, auf den er
sich stützte. Angezogen war er wie ein
R,ttln. Einen langen, braunen Rock
trug er, der von der Bürste schon ganz
adgeneden war, miiieiocurgkii
schwarz Hosen, schwere häßliche Schuh
und einen Hut. der ebenso alt zu sein
schien, wie die grauen Haarsträhne, die
sich unter ihm heroorschlichen und da
welke, runzlige Gesicht mit den waiser
blauen, in sich gekehrten Augen. Der
wunderlich Mann war übrigens noch
gar nicht s, alt. trotz seiner Runzeln
und seines gebeugten Rückens, erst neun-
Der Sonntagsgast.
Jahrgang I.
uudvicrzig, wie man aus dem Meldzet
tel wußte.
Anfangs hatte der eine und der an
dcre muthige Bub' die Abwesenheit des
Herr Müller bcnützen wollen, mit dem
Naben zu spielen, der außen auf dem
Feiisterbrette hockte. Aber da hatte och
Jeder ci tiefgcsühlteS Auweh!" aus
gestoßen und die Hand mit dem gekneip
ten Finger in die Luft geschleudert.
Der Jockele war auch ein Eremit.
Kam ih,n ein Anderer als sei Herr i
die Nähe, so nahm tx'i übel und wußte
das mit seinem kräftigen Schnabel deut
lich genug auszudrücken oder vielmehr
einzudrücken, in die zu täppische Hand
ämlich.
Kurz nd gut, mit den Ziveien war
nichts zu machen. Höchstens beobachten
konnte man sie, und das that man auch
gründlich.
Man sah aber immer dasselbe. Genau
zehn Minuten vor zwölf kam Herr
Müller die Gasse wieder heraus; da hatte
er zwei Päckchen, ein rundes unter dem
Arm. ein längliches in der Hand, und
der Jockel begrüßte ihn schon von Weitem
mit aufgeregtem Krächzen. Man wußte
allgemein, daß es ein Brod und ein
Ende Wurst, was der Rabenvater da
nach Hause brachte, aber kein Bäcker
nd kein Selcher in der Runde wußtc
sich zu erinnern, jemals an Herrn Miil
ler etwas von seiner Waare abgesetzt zu
haben. Er mußte in einem ganz an
deren Stadtviertel einkaufen.
Herr Müller ging in's Haus und
gleich darauf that sich der Fensterflügel
ein wenig auf, um den Raben einzu
lassen. Die Herrschaften gingen essen.
Der Himniclbauer-Ferdel, ein gemitz
tcs zehnjähriges Bürschlein, hatte an
zivei Tagen nacheinander sich unter das
Fenster geduckt, um die Mahlzeit zu be
lauschen' Da hörte er die heisere, un-
geölte Thürangclstiiniue des Alten fra
gc; Jockele, wer war s Mareiele k
Taun hörte er den Raben mit den
Fittichen schlagen und fauchen und
krächzen, was der Stimme eines Herrn
ganz merkwürdig ähnlich klang:
Mareiele war ein sch schönes
Mädel, schönes Mädel !"
Und wieder fragte der Alte: Und
der, der's Mareiele umgebracht hat?"
Da krächzte der Rabe wuthend:
Schuft! Schuft! Schuf,.,.."
Man lobte den Buben allgemein, als
er erzählte, wie der Rabe sein Futter
edesmal verdienen müsse. Jedesmal;
denn man wußte, wenn da drüben'
etwas zweimal geschah, so geschah es
täglich.
Hatte der Vogel seine Lection aufge-
sagt, so erschien er wieder im Fenster,
diesmal mit einem großen Stück Wurst
im Schnabel. Er verzehrte es sehr pos
sirlich, indem er mit einem Fuße darauf
stand und die schnabelgercchten Stückchen
hernnterbiß, die er dann unter bestigem
Vorwärtsschleudcrn des Kopfes hinab-
würgte.
Nach dem Mahle sah der schwarze
Kerl seelenvergniigt drein, putzte sich die
Federn und bedauerte offenbar, leine
weiche, schmiegsame Hundezunge zu
haben, wie des Greißlers Earo, mit der
er sich den Wurstgeschmack hätte von der
Schnabelspitze lecken können.
Mit dieser komischen Scene war das
Schauspiel zu Ende, das die Wohnung
des Einsiedlers der aufmerksamen
Gasse" bot. Um ein Uhr wurde
Jockele von einer dürren braunen Hand
hineingeholt in den Raum hinter den
geblümten Porhangerln", und dann
gab's nichts mehr zu erspähen und zu
erlauschen. Herr Müller ging wohl
noch einmal aus. um vier Uhr, und
spazierte an der Lände des nahen Do
nanarmes von der Sophiendrncke bis
zum Karlskettenfteg und zurück, aber
nach Hause brachte er da nichts. Er
und sein gefiederter Freund aßen nur
einmal des TageS.
In diese nun schon manches Jahr sich
taglich gleich abspielende Komödie kam
auf einmal eine neue handelnde Person.
An einem schönen Septembertage um
ein Viertel nach zwölf, also gerade zur
Essenszeit Jockele's. kamen etliche hoff
nungsvolle Jünglinge im Alter von
zehn bis zwölf Jahren lärmend und
Püffe lauschend die Straße herauf,
Gomnafialschüler. Der Obmann, der
am meisten puffte, war ein sein angezo
gener Junge. Die wadenlosen Stecken
deine, aus denen er einherftapste, ftie
gen schmarzbestrumpft aus den lackirten
Stiefelschästen empor, um gleich darauf
unter den Kniehosen aus gutem Tuch
zu verschwinden, die vorne offene ele
gante Joppe ließ das silberne Uhrkett
chen sehen, das auf der kleinen Weste
baumelte, der Hut war trotz mancher
Beulen neu. Der schauderhaste Zu
stand dieser guten Kleider im Verein
mit dem frechen und bösartigen Aus
druck, den der Junge in seinem an sich
hübschen Gesichte hatte, und den tinten- j
fleckigen Händen mit dem Schmußrand i
Beilage zum Nebraska Staats-Anzeiger.
unter den Fingernägeln errieth guter
Leute erzogenes Kind.
Als die Gesellschaft den speisenden
Raben gewahr wurde, hörte sie auf. sich
die Bücherpäcke um die Ohren zu schla
gen und sah dem komischen Gehaben
des Thieres zu.
Nun aber war Jockele niemals ei
ärgerer Menschenfeind, als gerade wenn
er seine Wurst im Fang hatte. Buben
waren überdies sein besonderer Abscheu.
Er hörte also sofort zu fressen auf und
legte sich in seine Fechterparade, indem
er die Flügel ein wenig spreizte, sich
zum Sprung duckte und dabei mit dem
spitzen Schnabel nach dem nächsten Ge
ficht visirte.
Das war dos Geficht des Oomannes,
des eleganten Schinutzsinken. Als der
sich so' bedroht sah, schnitt er eine
tückische Grimasse und begann leise den
Riemen an seinem Bücherpack loszu
schnüren. Klatsch! Der arme Jockele hatte
einen Hieb über den Rücken, von dem
er fast auf die Seite fiel, und der Lärm
ging los.
Die Buben tanzten in sicherer Et
fernung einen Jndianertanz mit stil
gerechter Kricgsgeheulbegleitung, der
Rabe schlug mit den Flügeln und
krächzte, aus dem wcitaufgeriffencn
Fenster aber fuhr der häßliche Greisen
köpf des Herrn Müller und sein langer
Arm, den er gegen die feindliche Schaar
schwenkte, wie einen Windmühlflügcl,
der in einem katunenen Aermel steckt.
Ihr Hunde!" zeterte der Alte und
seine Augen rollten. Ihr Hunde!
Mein Mareiele ist todt, jetzt wollt ihr's
meinem Raben? Beiß', beiß', beiß,
Jockele, beiß'!"
Der Jockele biß zwar nicht, aber er
sprang hin und her und krächzte wie be
sessen vor Wuth: die Buben jauchzten
und in allen Fenstern und Hausthüren
erschienen die freudig bewegten Gesichter
der Nachbarinnen.
Der Obmann kam von da an täglich
mit seinen Getreuen auf dem Heimwege
aus der Schule vorüber, um den Raben
und den komischen Alten zu ärgern, und
wurde dadurch schnell berühmt in der
Gaffe, um so mehr, als man'erfuhr,
daß er der Sohn eines wohlhabenden
Fabrikanten m der inneren Stadt sei.
Er ging in das Vorstadt-Gymnasium,
weil er im heimathlichen Bezirke schon
überall gewesen war und von allen An
stalten seiner schlechten Streiche wegen
hatte abgehen müssen. Der Sport, den
er nun in jener Vorstadtgasie ausübte,
errang ihm zum ersten Male in seinem
Leben den Beifall erwachsener Leute, die
nicht seine Eltern waren; freilich waren
diese erwachsene Leute nur die Damen
Wetti und Wabi.
Diese beiden wackeren Frauen hatten
ihre helle Freude d'ran, den z'widern
alten Spatzenschrecker" dahinsiechen zn
sehen an dem ewigen Aerger. Es war
ein kleiner Streit unter ihnen über den
Ausgang, den die Sache nehmen sollte.
Die Frau Wetti behauptete, der Alte
würde zur Strafe für seine Sünden"
nun ganz verrückt werden; dagegen der
focht Frau Wabi die Ansicht, er würde
in's Wasser gehen. Dasselbe scheine
ihn ohnehin mächtig anzuziehen, da er
nur an der Donaulande sich Bewegung
mache.
Die Wetti weinte vor Zorn und die
Wabi jauchzte, als eines Abends ein
Wagen vor dem Hause vorfuhr, wo
Herr Müller wohnte, und der Einsiedet
demselben entstieg, tropsnaß, klappernd
vor Kälte. Die Wabi hatte Recht be
halten. Er" war in's Waffer gegangen.
Eine halbe Stunde später aber jubelte
die Wetti und Frau Wabi mußte sich
niederlegen; ihr war übel vor Zorn.
Der Müller war allerdings in's Waffcr
gesprungen, aber nur, um den jungen
Herrn, den Fabrikantensohn, seinen
Todfeind, heranszuziehen! So was thut
nur ein Verrückter, also hatte Wetti
Recht behalten.
Das Unwohlsein der Frau Wabi war
zwar bald vorbei, aber sie blieb ein paar!
Tage im Bett. Sie wollte durch ihre
Krankheit etwas von der öffentlichen
Ausmerksamkeit an sich feffeln, die sich
sonst ganz und gar der dummen Gans,
ihrer glücklicheren Rivalin, im Wahrfa
gen, zugewandt hätte. Sie organifirte
sich aber einen vollständigen Nachrichten I
dienst, der ihr alles Neueste an ihr,
Schmerzenslaqer brachte. Vor Allem!
mußte natürlich die Hausbesorgerin!
des Herrn Müller rapportiren. die den
fiebernden alten Herrn pflegte und in!
der bis nun so geheimnißvollen Woh
nung schaltete. Die Arme war ganz
heiser, wenn sie kam, bei so viel Anderen i
war sie schon gewesen.
Sie bestätigte zunächst, was man
schon wußte. Tr Osficial war einae !
richtet wie ein Werkelmann, bis auf das
schöne, schone Bild. Ueber dieses aber
hatte sie, die HauSmeifterin. den Ueber
than des ärmlichen Bettes hangen müs-
sen .daß mer 's nöt anschaut, der
alte Narr eifert damit."
Am Tage nach dem Ereigniß war ein
eleganter Herr dagewesen, hatte der
Hausmeisterin Geld gegeben für den
alten Mann, sich um sein Befinden er
kündigt und gesagt, er würde ihn be
suchen. Er sei der Vater des geretteten
Buben.
Und er kam wirklich. Die Ehre für
den verrückte Alten! Der noble, schöne
Mann mit der goldenen Uhrkctte und
der Brillantnadel in der Cravatte saß
auf dem schlechten Seffel neben dem
schlechten Bett, erfaßte mit seinen weißen,
wohlgepflcgten Herrcnhändcn die gicht
gekrümmte braune Faust des Bettläge
rigen und dankte ihm in so schön gestell
ten Worten, daß Einem das Herz auf
gehen konnte dabei.
Der Alte aber war nicht einmal dank
bar. Er hörte mit finsterem Gesichte zu,
dann zog er seine Hand zurück und setzte
sich im Bette auf. Herr von Wolfin
ger," sagte er mühsam, ich hab'
dort ein' Bild hängen. Das Tuch ist
d'rüber; schau'n Sie 's an! Ich möcht',
daß Sie 's auschau'n sollen."
Der Herr trat willig aufund trat zu
dem Bilde. Er zog an dem Tuch
Da glänzte der goldene Rahmen, das
schöne Mädchengesicht lächelte hernieder,
aber der Fremde schlug sich entsetzt vor
die Stirn urfb zitterte.
Hinter ihm aber begann der Rabe
wüthend zu krächzen: Schuft! Schuft!
Schuft!" und eine magere Hand faßte
ihn am Arm und eine von Haß entstellte
Greisenstimme schrie ihm mißtönig in's
Ohr:
Hascht mi nit kennt, du Schust? 's
Mareile isch g'storb'n damals und mich
hat der Schlag troff'n, und ich hab' fort
müff'n aus'n Dienst. Daher bin ich
'zog'n, weil mich 'Herzlad nit hat g'lit
ten in Jnnschbruck. Und weißt, warum
ich dein' jung'n Tuifl 'rauszog'n hab'n
aus's Waffer? Daß du durch's Leben
von dein Balg, dein'm grauslichen, so
viel Jammer haben sollst, wie ich vom
Tod von mein'm gut'n Kind. So, und
jetzt hinaus, du Schust, und das Geld
nimm mit, was du der Hausmeischterin
geb'n hast für mi!"
Der Fremde wankte hinaus, bleich
wie der Tod, verfolgt von dem wüthen
den Raben, der immerfort schrie:
Schuft, Schuft, Schuft!" In der
Thür traf er die Hausmeisterin, die zu
fällig in der Nähe war. Er schickte sie
hinein, dem Alten ins Bett zu helfen
der keuchend und wirres Zeug murmelnd
auf der nackten Diele hockte
Per alte Gberst.
Pn Joses 919.
Unser Oberst war ein wahres Pracht
eremplar eines sogenannten Kommiß
knopfes. 'Er war von Pik auf vom ge
meinen Grenzer, Offizier, Stabsoffizier
und schließlich Regimentskommandant
geworden. Dies alles verdankte er
außer seiner Tapferkeit auf dem Schlacht
felde, welche er in verschiedenen Feld-
zugen bewiesen hatte, feiner riesigen
Gestalt und seinem schwarzen marta
lischen Schnurrbart, welcher nicht allein
seinen Untergebenen, sondern auch seinen
Vorgesetzten ederzelt imponirt hat. Im
Grunde war er ein guter Kerl, aber gab
sich das Ansehen eines Wütherichs und
zeichnete sich durch jene Grobheit aus,
wie man sie wohl in dieser Vollendung
nur in der österreichischen Armee vor der
Februar-Verfaffung fand. Das Reg
lement war sein Evangelium, der Dienst
etwas heiliges, , jeder Verstoß dagegen
ein schweres Verbrechen in seinen Augen.
Wie pedantisch er an allen Vorschrif
ten hing, mag der folgende humoristische
Vorfall aus seiner Lieutenantszeit be
weisen. Der damals noch jugendliche,
aber thatkräftige und soldatenliedende
aiser erschien eines Tages unerwartet
in einer kleinen Provinziak-Hauptstadt,
um die Garnison zu inspiziren. Das
Regiment, in dem unser Oberst damals
als Lieutenant stand, stellte sich im Ka
serneuhofe auf und der Kaiser musterte
daffelbe mit einer Genauigkeit, wie sie
damals bei den Monarchen noch nicht
üblich war. Plötzlich fiel sein Blick auf
unseren spateren Obersten.
Aber saezen Sie mir doch, Herr
Lieutenant," begann der jugendliche
Kriegsherr, .was haben Sie denn für
einen Waffenrock an? Derselbe ist ja
viel zu lang!" ,
Zu Bcsehl, Majestät,' erwiderte un
ser Oberst in strammer Haltung. Der
Waffenrock ist vorschriftsmäßig."
Der Kaiser besaht einen Zollstab her
beizubringen und wirklich bei der vorge
nommenen Meffung erwies sich der
Waffenrock des zur Rede gestellten als
der einzige, welcher die richtige Länge
hatte, während alle andern, selbst jener
Sein Majestät, viel zn kurz waren.
Der Kaiser lachte, gab dem gemaßregel
ten Lieutenant die Hand und lud ihn
zum Diner in. Als Teffert erhielt
unser Oberst an jenem Tage sein Patent
als Oberlieutenant.
No. 42.
Als Major kam derselbe mit seinem
Regiment? nach Wien und wurde zu
einem Hofball befohlen. Unser Oberst
hatte selbstverständlich keine Ahnung
davon, daß man auf einem Hosball von
den hohen und allerhöchsten Damen zum
Tanze entboten wird. Er stand mitten
in einer Gruppe von Offizieren und vcr
schlang mit seinen Blicken die Kaiserin,
damals zu gleicher Zeit das Ideal einer
schönen Frau und einer durch Würde
und Anmuth lmponirendcn Monarchin.
Es bedrückte sein loyales Unterthans-
herz, daß er die Kaiserin unausgesetzt
auf ihrem Platze weilen und nicht tan
zen sah und hielt es sür seine Offiziers
Pflicht, 'den Fehler der Anderen endlich
durch seine entschloffene That gut zu
mache. Energisch schnallte er seine
Säbel ab, trat auf die Kaiserin zu und
machte sein Kompliment, nannte seine
Namen und bat um eine Tour. Im
nächsten Augenblick ging ein Flüstern
und Murmeln durch den Saal. Hnn-
den reizende Gesichter verbargen
hinter ihren Fächern und der Kaiser biß
sich auf die Lippen, um nicht laut auf
lachen zu müffen, aber alle zusammen
hatten ihre Rechnung ohne das gütige
Herz der Kaiserin gemacht. Ehe sie m-
gab, daß ein tapferer Offizier öffentlich
zum Gc Pötte werde, that sie das lln-
erhörte; sie erhob sich lächelnd, stieg die
Stufen der Estrade, aus der sie gesessen
hatte, hinab und tanzte eine Tour mit
dem Glücklichen, der letzt von der ganzen
Herrenwelt beneidet wurde. Vielleicht
war es dieser Neid, der sich in Gestalt
eines Spitznamens an seine Person hef-
tetc, denn un er Odern hieß seither in
der Armee nur noch der Tänzer der
Kaiserin.
Als er unser Regiment kommandirte,
besaß er neben seinen anderen guten
Eigenschaften noch eine Tochter, welche
das Ideal aller jungen Lieutenants
war. Die schöne Stephanie, wie man
sie von der Adria bis an die User der
Moldau und von der russischen Grenze
bis in die Salzburg Berge hinein
nannte, verdiente es auch in der That
umworben und angebetet zu werden.
Sie war eine reizende schlanke Brünette
mit südlichem Typus, lebhaft, stets
guter Laune, herzensgut, verständig.
Wenn sie einen Fehler hatte, so war es
der, daß sie mit Jedermann kokettirte
und Niemandem ihre Gunst ernstlich
schenkte. So Mancher, der einen Korb
von ihr heimgetragen hatte, rächte sich
durch die Bemerkung, daß sie ohne
Zweifel ans einen Prinzen warte. Aber
die Folge gab allen diesen durchgefalle
nen Bewerbern Unrecht.
Eines Morgens, als der Oberst die
Zeitnng las und weidlich über alle
Civilisten im Allgemeinen und die
Journalisten im Besonderen loszog,
kam die schöne Stephanie, ganz gegen
ihre Art, sanft und leise, wie ein Kütz
chen, hereingeschlichen, faß plötzlich auf
den Knieen ihres gestrengen Herrn
Papas, schlang die weichen Arme um
deffen stocksteifen Nacken und küßte ihn
wiederholt auf den grimmigen, schwar
zen Schnauzbart.
Nun, was willst Du denn eigent
lich?" begann der Oberst, nachdem es
ihm endlich gelungen war, sich der
Schmeicheleien seines Lieblings zu er
wehren. Soll ich Dir vielleicht wie
derum ein neues Kleid kaufen?"
Nein, Papa. Es ist etwas ganz
Anoeres, was ich von icir yaven möchte.
Was also ?"
Rathe einmal."
Du weißt, daß ich noch niemals ein
Räthsel oder einen Rebus ausgelöst
habe."
Also. Papa Aber Du wirft gewiß
nicht vöse sein?"
Nein, sag' nur endlich was Du
willst !"
Die schöne Stephanie neigte sich zu
dem Ohr des Baters und flüsterte: Ich
möchte heirathen, Papa!"
Heirathen? Meiler nichts? und wer
ist dann allenfalls der Glückliche?"
Stephanie nannte zögernd den Ramen
des Adjutanten, eines jungen ritterlichen
Polen, der ihr Herz aus dem Garni
sonsball vollständig bezwungen hatte.
.Teremtete!" fluchte der Oberst.
Da wird nichts d'raus, schlage Dir die
Geschichte aus dem Kopf und mit dem
Herrn Lieutenant will ich ein ernstes
Wort reden."
Das wir Du richt," entaegnete
Stephanie energisch, .denn ihn trifft
nicht die mindeste Schuld. Ich habe
mit ihm kokettirt, ich war es, die ihm
deuilich zu verstehen gab. daß ich ihn
lieb und ihn geradezu herausforderte,
mir ei Geftändniß zu machen. Tu
wirft wohl zugeben, Papa, daß es ge
radezu ein Vergehen gegen die Sudordi
Nation gewesen wäre, wenn er unter die
sen Umständen der Tochter seines Oder
ften und Rkgimevtslommandantkn kei
nen HeirathSantrag gemacht hatte!"
Wer giebt Euch denn die Kaution,"
brummte der Oberst bereits etwas be-sönftigt.
Seine Eltern," erklärte Stephanie
immer sicgcsgewiffcr. Sei Vater ist ein
reicher Gutsbesitzer in Galizien und hat
ihm bereits AeS zugesagt."
Der Oberst erhob sich i seiner volle
Höhe von sechs Fuß und berief durch die
im Vorzimincr anwesende Ordonnanz
den Adjutanten vor sich. Als dieser
eintrat und in militärischer Haltung in
der Nähe der Thüre stehen blieb, gab e
erst ein heilloses Donnerwetter, ein gan
zes Lexikon deutscher, ungarischer, kroa
tischcr Flüche prasselte auf den unglöck
lichen Lieutenant nieder, dann folgte
eine väterliche Ermahnung und schließ
lich der sriedenveiheißende Regenbogen
über den Häuptern der Liebenden.
Also es ist Ihr Ernst, meine Tochter
zu heirathen?"
Zu Befehl, Herr Oberst."
Der Gewaltige trat einen Schritt zu
rück, warf einen schrecklichen Blick zuerst
auf den Adjutanten, sodann ans die
schöne Stephanie und kommandirte :
Habt Acht!"
Aber Papa," rief jetzt Stephanie.
Rnhig im Glied Marsch" und
als die Liebenden einander gegenüber
standen: Halt Zur Gcneraldecharge
fertig Feuer."
Dieses Kommando brauchte der Oberst
nicht zu wiederholen. Schon hing die
schöne Stephanie am Halse des Gelieli
ten und küßte ihn herzhast, bis der Oberst
hinzutrat und beide umarmte.
WachtfeurTchnurre.
Daß Jeldherren-Titel mehrere Jahre
nach dem Bürgerkriege so billig waren,
wie Brombeeren, erläuterte jüngst der
Kriegsveteran Gerstenstroh, ein biederer
Farmer, als man sich bei einem Wacht
scuer Schnurren erzählte.
Gerstenstroh hatte bei seiner Heuernte
eine ungewöhnlich große Anzahl Schnit
ter beschäftigt, denen man auf den ersten
Blick die ausgedienten Soldaten ansah.
Ein neugieriger Städter srug ihn, d
sich unter seinen Farmarbeitern auch
Osfiziere befänden und die verblüffende
Antwort lautete:
Eine schwere Menge."
Ein großer Theil sind Korporale,"
erklärte Gerstenstroh dem Frager, viele
sind Hauptleute; Alle tüchtige Arbeiter."
Sind nicht auch noch höhere Char
gen vertreten?"
Ja," antwortete der Landmann,
sehen Sie den dort hinten, das ist ein
Major."
Auch ein flotter Arbeiter, wie ich
vermuthe?"
Gewiß mein Freund,"
Beschäftigen Sie etwa auch einen
Oberst?"
Ja," gab Gerstenstroh zögernd zur
Antwort.
Und wie steht es mit deffen Lei
stungsfähigkeit, wenn man fragen
darf?"
Well, ich spreche nicht gern über
einen Oberst, der das Vaterland der
theidigen hals, aber soviel lassen Sie
sich gesagt sein: Brigade-Generäle nehme
ich auf keinen Fall in Dienst."
Der Städter dankte für diesen Com
mentar und empfahl sich mit einem be
zeichnenden Kopfnicken.
Barbarossa's fnoe.
Jetzt, sechs Jahre ach dem in Mün
chen erfolgten Tod des tüchtigen deut
sehen Geschichtsprofeffors und Gefchichts
schreibers Giesedrecht ist aus seinem
Nachlaß der sechste Band seiner durch
Gründlichkeit und geistvolle Darstellung
sich auszeichnenden Geschichte der deut
sehen Kaiserzeit" erschienen. Er geht
bis zum Tode des großen Barbarossa.
Am Schluß wird nachgewiesen, daß
der achtundsechzigjährige Kaiser Fried-
rich l. oder Barbaro ,a Rothbart) auf
seinem Kreuzzuge, auf welchem er durch
seine eherne Tapferkeit selbst den großen
Saladin, den Herrscher Aegvptens und
Syriens, erzittern machte,' im Flusse
Saleph nicht in der bis jetzt am meisten
geglanbten Art den Tod fand. Nicht
beim Uebergange über den Saleph ist er
nämlich ertrunken. Nach beglaubigten
don Giesedrecht ermittelten Angaben
hatte der Kaiser den Fluß auf seinem
Pferde bereits glücklich gekreuzt. Er
ertrank, als er hernach in diesem reißen
den Bergftrom ein kaltes Bad nahm.
Allerdings findet man letztere Angabe
auch in anderen neuesten Werken; aber
endgültig festgestellt ist sie durch die
Forschungen Giesebrecht's.
Vom britischen Museum.
Das Lesezimmer des britischen Mu
seums in London haben im letzten Jahr
über 200,000 Personen besucht, den
Zeitinigsranm 16.000. 5m kabr 10H
war die Zahl der Bllcherlcser Ii4,102,
e oer Zeuungsteser 14.747. Die
Bibliothek, die im Jahr 18!3 um 45,.
942 Bücher UM Vamvblete verm'brt
wurde, umfaßt jetzt rund zwei Willi.
nen Bande; davon sind 60,000 im Lese
zimmer aufgestellt, während der Rest
aus Ständern, die. fln-inflntvrn-fMlt-
43 Kilometer lang wären, untergebracht
find. Im letzten Jahr wurden i,W6,.
000 Bücher ausgegeben.
Zn ba Menagen.
Wärter: .Dieses bier i ein hrniiiir
Bär. der nur in Eurova 11 riniwn iB
In Amerika kommt er gar nicht vor.
wesyald er dort auch äußerst selten ist."
Vor Gericht.
Richter: .Also der Annette,, (
eine Salami gestohlen wo ist denn
dieselbe?"
Gerichtsdiener: fHer frr Sir
ist das corpus dolicati!"