Nebraska Staats-Anzeiger. (Lincoln, Nebraska) 1880-1901, February 06, 1896, Image 3

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    ncw?aks STAA u -aNZKIQÜR, Lincoln, Neb.
Die Crnsclögrcthl.
Baiwnroiimit 011 ot oberbayerischen
Bergen.
Von jütto v. Schilching.
Hub mm stauben sich die selben
gegenüber, willst in er mit der
ruilbcii gährenden Leidenschaft in den
verzerrten Linien des Gesichts, sie mit
bem rütffidiKslofen Wagemuthder Ver
zweiflung ans der Stinte.
Eine iitjf((lii1ic title brückte im
Raum. Meine wagte da erste Wort,
1 schwebe ein ungeheurer Felsen iiber
t ihnen, dcr durch die leiseste l'uutmelle
an dem Gleichgewichte stürzen und sie
beide zermalmen könnte.
Endlich Inste Machalek da snrchter
lichc Schweigen.
fflfnrgiiretl), treuloses, wortlriichi
gcs Weib," begann er mit l)ol)lct
Stimme und flammendem Blicke,
hier also nins! ich Dich finden? Bist
Du deswegen au Wien ivenne zogen,
um in Deiner Heimatl) ungcliiudert
zur Ehebrecherin ivctdcn zu können?
Jetzt ist c mir auch klar, warum ich
auf meinc,i Briefen an Dich Deinen
Mädchennamen gebrauchen musttc. Du
wolltest die Menschen nicht Wissen las
sen, daß Dn ein veichcirathetes Weib
bist Dein ruchloses Bestreben wäre
Dir ja sonst nicht gelungen. Du hast
Dir einen Bauernhof erschwindelt und
Deine niederträchtige Mutter hat Dich
dabei unterstützt. Ich burchschaue Dich
jetzt, vcrsluchte Schlange, jetzt wo eö
ju spat ist für mich. Du hast mich
niemals geliebt, Du wolltest nur ein
angenehme, bequeme l'ebett unter
dem Deckmantel meines Namen, Und
jetzt will ich wisse, verruchte Seele,
wie Du auf diesen Hof gekommen bist?"
Er ließ sich' nicht an bcm genügen,
was ihm Simon mitgetheilt hatte ; er
wollte ba Schuldgeständnis! von bett
Kippen bcrjcnigcn selbst vernehmen, bic
sein Weib nannte.
Grethl halte ihm ohne Unterbrechung
zugehört. Willensstart hielt sie den
drohenden Blick seiner Augen an,
Wie ich aus diese Hof 'kommen
bin?" nahm sie Machalekö Frage mit
geringschätzigein Tone auf. Ich hab'
Dich auch nicht gefragt, wie Du auf
diesen Hof 'kommen bist. Ich weiß
schon, daß T aus dem Zuchthaus au
gesprungen bist. Bor ctlich Tagen ist
dcr Steckbrief schon nach einem gewis'
seil Adaldcrt Machalck, früherem Post
kassirer in Wien, im Amtsblatt unse.
t'c Bezirk gedruckt gestanden."
- Da sagte sie ihm in' Gesicht,
ohne auch nur mit den Augenlidern zu
zucken. Crr schleuderte ihr dafür einen
tief verächtlichen Blick zu.
Lügnerin," that er mit gefletschtem
Mund, Du hast da nicht gelcfcn ; Du
lügst, sag' ich Dir. Ja, ans dem Ge
' fäitgnisz bin ich entwichen, List und
Muth haben mich befreit, und nur die
Menzschwicrigkcit ist Schuld gewesen,
daß ich nicht früher kommen konnte.
Das ist Alles wahr, aber wa Tu
sagst, ist erlogen,"
Meinst? Nun, so will ich da
Blatt beim (cmcindevorstand im
Dorfe holen lassen," versetzte sie mit
kaltem Entschluß und trat aus die
- Scitenthiire.
ES war ein keckes Spiel, da sie
wagte. Gewinn und Verlust stand bei
ihr auf einer einzigen Karte. Sie
mußte um jeden Preis den Gewinn
einziehe. Aber sie hatte cS mit einem
ebenbürtigen Partner zu thun.
Du bleibst," befahl er mit drohen
dem Tone und riß sie am Atme zurück.
Ich kenn' Dich jetzt, arglistige Viper!
Du möchtest Deine Leute rufen, nicht
wahr? Steh' mir Rede, sage ich Dir :
Wie bist Tu auf diesen Hof gckom
men? Ich habe ein Recht, es zu wis
sen." Sie lachte höhnisch.
Ein Weckst ! Ha, ha, ha ! Ihr ein
Recht, Hcrr Machalck?" änderte sie
mit einem Male die gönn dcr Anrede,
wobei sie die Arme i die kräftig aus
- gebildeten Hüften stemmte. Jene
Reiten sind vorbei, wo Ihr mir in
Eurer Eifersucht die geladene Piftol'
auf die Brust gesetzt habt. Wa wollt
Ihr noch hier? Ihr habt kein Recht
mehr auf mich, Ihr habt auch kein
Rccht, mich zu fragen. Weht Euren
Weg, Herr, und hütet Euch vor den
bacri sehen Gendarmen."
Ihr Ton wurde jeden Augenblick
härter und verletzender. Jetzt drehte
sie Machalck auch noch verächtlich den
Rücken zu. .....
frei, elende Schandweib," stieß er
aus 'seiner vor Wuth kochenden Brust
hervor, wie im Wahnsinn rollten seine
ugcn, so behandelst Du mich? mich,
Deinen Gatten?"
Er packte sie an bcn Schultern und
zwang sie. ihm da Gesicht Zuzukehren.
.Gatten?" wiederholte die Baren
schützin in wcgwcrfcndem Tone. Ihr
seid nicbt bei Verstand, Hcrr Machalck.
Unsere Eh' ist anfgcliist."
Du erfrechst Dick,, da zu behaup
ten? Wo ist dcr richterliche edcr der
kirchliche Ausfpruch, dcr unsere Ehe
gilliq aufgelöst bat? Wo?"
,P.ch," that sie und kräuselte die
Lippen. Was braucht'S denn da lang
Pfarrer und Bischof? Da Gericht hat
Euch wegcn gemeiner Bcrbrcchcn zu
zehn Jahren Zuchthau rcrurlheilt
und da reicht hin, um eine Eh' auszu
lösen." .Ungeheuer!" zischelte Mackplck und
her Schaum trat in seine Mundwinkel,
.verfluchtes Ungehcucr ! Ist das der
Dank für Alle, was ich sr .um ge
thun bade? Daß ich Dich feile Time
dem i'altcrhause gerissen und zu
item ehrliche Weid gemacht habe?
W HU ! ZU den Untcrschlagung''N
im flint; ocriiiytt. die mich um meine
bürgert. ehe Ehre und um Alle gebracht
dadcu? Tu! Du. iVroorfene !
Teire u!?,-rjätick!c lnnxsuckit hat
midi in Verderbe gestürzt."
Wer iwi Euch im gezwungen.
W ;jdmlct. die leider ZU ver
nfT,::? .''-ad' ich Euch je gesagt:
.tattert, greif' zu' reit zu! Ihr
selbst bei Euch in' Zuchthaus e
hrortrt 7 bcdt kcdo ddrr unter'
schlagen gehabt, bevor esEuch cingefal
Ich ist, mich z heiralhen, Werdars
mir zumutben, daß ich da Weib eines
Ziichthaiialer sei soll? Wer, frag'
ich?'
Sie richtete ihre Gestalt aus und ,
blickte ihn empört an
Zuchthäusler?" stöhnte er fitir
scheud und hielt ihr die Fauste vor
Gesicht. Wag' c nochmals och
mal mich so zu nennen Tu Schaiid
dinic Tu clivloff "
Wüthend fließ sie ihn zurück,
Weg' da!" rief sie. :Iihrt mich
nicht an!"
Sie that einen Sprung ach der
Nebenthüre. Und abermals mißglückte
ihr verzweifelter Fliiditoeiiuch. Macha- führen konnte. Und nicht vlos der fluch
lek erfaßte sie ein zweites Mal om ! wiirdiae Ratbichlaa marilirEiaentlm.:,.
Arme. Unter seinem nervigen Griffe
stürzte sie fast zu Boden.
.Hilfe!" schrie sie. ..n,ifc!"
Ihr Geschrei entfesselte seine Si'ittt)
tuA tiicliv ).ifpr.t iAtfi mtf ilin rin
i"rv i
TM littet ii.(IM)i f.tt-.i.i ftrfi nA Sem
t'll. UllJJlllVt l UlJV UIU(tU IUf ttUMJ VUU I
Fenster, Er schnaubte hinter ihr drein.
Jetzt erhäschte er sie, jetzt umschlangen
seine zehn Finger ihren Hai und gnt
bcn sich wie eine eiserne jilainmer in'
Fleisch, Sie wehrte sich mit verzwei
seiter rast. Aber er besaß die M
kein eine Tobsüchtigen. Er drosselte
und würgte, daß die Ader an seine
Händen ansliefen, und cr lief? nicht
von seinem Opfer, bis ihr Gesicht
bläulich anschwoll, ihre Brust im Er
sticken röchelte lind sie, von Ohnmacht
umslofsen, plötzlich aus die Tielen
niedersank.
Er beugte sich über die Bewußtlose,
Noch athmete sic, aber nur in schwa
chen, dünnen Zügen. Ihr Mund mit
den perlweißen Zähnen stand halb ge
öffnet.
Lebst Tii noch immer, verworfenes
Weib?" murmelte er mit grimmigen,
von Rache getränkten Zügen,
Er fuhr mit der Hand in feine Rock
taschc und riß haslig ein Gläschen mit
gelblichem Inhalt heraus. Er entfernte
den Jiorfpfropfen, neigte sich wieder
über da verlorene Weib über fei
Weib und goß ihr die verderblichen
Trovsen in den Mund, Ta leer
Gläschen legte cr nebcn sie nieder,
um den Eindruck zu erzeugen, al habe
sich bis! Bärenfchüizin selbst vergiftet.
Der Mörder hatte da Gift von
Simon, dem Poftkneclite, um den Preis
eines Goldstückes erstanden,
Machalek weidete den Blick nicht an
den Wirkungen des todilichen Tränke.
Wie rächende Geister stürzten Angst und
Furcht in feine Seele. Er eilte nach
der Stubenlhiirc, aber sie war er
schlössen und dcr gchcimnißvoll angc'
brachte Drücker bot sich seinen zitternd
suchenden Händen nicht, Ta floh er
durch die Nebenthüre und über den
oberen Gang nach der Treppe, Als er
diese mit vorsichtig gemäßigtem
Schritte hcrabkani, begegnete er einem
fechte, dcr sich in die Wohnstube be
gab, denn eö war Mittagszeit. Tcr
iinecht c war Leonhard blickte den
Herrn im Pelzrocke halb verwundert,
halb neugierig an, aber er ahnte nicht
Schlimmes, Vielleicht war c ein bes
serer Händler, der Holz oder Pieh
kaufte? Wer dcnkt auch sofort an ein
Verbrechen? Und der Fremde sah kci
cm Unmenschen gleich.
Erst als die Bäncrin nicht bci Tisch
erschien, tauchte in dem Gesinde der
Argwohn ans. Niemand hatte etwa
von ihren Hilferufen vernommen, Nie
mand hatte den Fremden in' Haus
treten und nur Leonhard ihn gehen
sehen. Sic suchten nach der Bären
schüvin unb fanden das unglückliche
Weib todt auf dein Boden ihrer Schlaf
stube liegen, die Züge fürchterlich ent
stellt vom wühlenden Gift.
Das Grauenhafte auf dem Bären
schiitzhofe vollzog sich um dieselbe Zeit,
um weiche die Schwaigerin aus dem
Leben schied,
Niklans verfiel beinahe der Nacht
les Wahnsinn, als die entsetzliche
leunde sein Ohr crei'.te. Für eine
kleine Weile drängte sie sogar den
Schmcrz um den Verlust der Mutter
zurück. Aber noch grausamer war der
Schlag, der ihn einige Stunden später
traf. Aus Micsbach erschien ein Eil
böte auf den beiden Gehöften und was
er kündete, zerfleischte bas Hcrz bcS
BrennerhosrrS wic mit glühenden
Zangen. Jener Mann brachte die
Nachricht, dcr Mörder der Mrcnfchützin
habe sich, von Gewissensbissen gezwun
gen, freiwillig der Behörde anSgelic
scrt. Wie das Gerücht im Orte er
zählte, sei der Thätcr. c,n frühcrcr Post
beamter aus Wien, mit der Tochter dcr
Thalhamer Scppin vcrhcirathct gcwc
sen Dieselbe habe ihn verlassen, nach
dem ihr Mann wegen auegedehnter
Veruntreuungen im Amte zu zehn Iah
ren Zuchthaus nach Stein bci ikrenis
Münster verurthcilk worden war. Die
Sehnsucht nach scineni Weibe habe ihm
den Gedanken zur Flucht eingegeben.
Schmerz und Wuth über ihre Untreue
Hütten ihn zu der unseligen That fort
gerissen. Ganz zuletzt wies der Bote
noch auf ein dunkles Gerächt hin, wel
che gar wissen wollte, daß die Scppin
grethl schon vor ihrer Verhcirathung
mit dem Beamten in Wien kein gutes
tcben gminri habe.
So del-cricht dc Mannes.
Niklau war außer sich. Scine Sccle
lehnte sich mit aller Entrüstung gegen
das Gehörte auf. Es fand seinen Glau
den nicht, er konnte ba Ungeheuerliche
nicht in seinem Geiste fassen.
Aber dcr nächste Tag brachte ihm
ollstanbige Bestätigung ber ungewis
sen Gerüchte. Und nun bemächtigte sich
seine Herzens reuevolle Zerlnirschung
Über seine Bcrirrnng. Mit Ströme
von Thränen wusch er die im Tode er
starrte Hand te Theuersten, das er
auf Erden sein datte nennen dürfen.
Doch weder die heißesten Zähren noch
die verzweiflungsvvllsten Aufschreie
seiner reuigen Seele vermochten ihin
die Mutter wiederzugeben, deren Herz
seine unselige Bcrblendunq gebrochen
hatte. Der Tod ist ohne Erbarmen.
Machalcksft'cstzndlliß hatte die Z?cr
Haftung der Sevvin und des Postknech
teS Simon zur Folg?. Die Leiche des
Brcitnerdauern wurde erbnmirt, aber
ihre schon stark fortgeschrittene Vn
Muli. , ,rAnh (irr Xt , Affim
liniHUK ll"UW '
lerin Zofefa Preoku erhobene Anklage
der Wi(imijs!i:rri keine belastende
Momente. ?ie cevpin leugnete vor
Gericht hartnäckig, m die Schuld ihrer
Tochter bezüglich BeJ Brcitncrbaucni
jrslC.,on)jC Kenntnis: getragen oder gar
eine werktiiatige Antheil an der'
selben gehabt zu haben. Und doch war
sie es gewesen, welche ihrer Unglück
lirhen Tochter den teuflischen Rath
eingcspicn hatte, da Ableben ihre
kränkelnden Manne mit einem Pflan
zengistc zu' bcfchlenuigen, da, mit
Rahruugömittelu oermifcht. eine schlei
chende Wirkung äußern, während es
im reinen Zustande ach kurzer Zeit
schon einen tätliche Ansgang herbei-
auch der Gifttrank war von ihr gebraut
worden, denn dieScppin kannte die a
die Pflanze und Uräuter gebundene
.(petifläfte ebenso gilt wie deren zer
.-. . . r.: ... .;......:..
numioe vinuii uju iui.
' .... J w...
Aber die Schuld der Seppin lag ver-
borgen in ihrer Brust., und kein irdi
scher Richter konnte ans den Grund
ihrcr Seele schauen. Und weil cS denn
an Überführenden Beweise gcbrach,
so mußte die Auklage gegen sie mit
Freisprechung endige. Richt so billig
dagegen kam Simon, der Schurke, weg.
Er wurde wegen MißbrauchcS seines
Geheimnisses zu einem Jahr Gefäng
niß vcrurtheilt, Machalck erhielt unter
Zubilligung mildernder Umstände
wegen' GattcnmordcS siinfzchn Jahre
Zuchthaus, nach deren Abbüßung er zur
Fortsetzung seiner früheren Strafe an
den österreichischen Staat ausgeliefert
werden sollte. Aber er starb vor Gram
und Elend schon nach anderthalb Iah
ren. Als das Schwurgericht sein Erkennt
iß sattle, iifccitc" cS bereits wieder.
Der warme Föhn leckte die Schnee
selber und Eispanzer auf und in den
Bergen drinnen dröhnten gewaltige
an'oncnfchläge, die niedergehenden
Lawinen, um den Einzug dcs blühenden
jungen Herrscher zu begrüßen, in dcs'
sen Gcsolge die Biiglein jnbilirten und
unter dessen zauberhaftem Schritte die
Blumen au dem Tunkten an' Licht
sprießten. An Leiten und in Thälern
schoß frische Grün an, Strauch und
Baum wurden von schwellenden ästen
dnrchkrcist und steckten ihre zarten
jinospen dem linden Lenzhanche und
seiner Sonncnfluth entgegen.
Auch über die Gotzingcrbcrgc waren
die Friihlingsstiirme gebrauft ?d wie
der wie sonst gurgelten und rauschten
die Wasser der zerschmelzenden Schnee
Massen gen Thal, über Stock und
Stein springend, gleich innthwilligcn,
lcbenSsrischcn Buben, bie ihre er
wachende Lebenslust austoben lassen
wollen,
Bor bcm Häuschen dcs armen Holz
kncchtes Marold faß auf einer Bank
eine Mädchengestalt Agatha. Ihr
blasse Gesicht zeigte die Spuren einer
iiberstandencn Äraukhcit. Sic hatte
die mageren Händc, durch deren durch
sichtige Haut die blauen Aederchen
schlugen, müde und schlaff in den
Schooß gelegt. Aus ihren Augen sprach
schmerzliche' Berstimmnng ihrer Seele
und ei Zug der chivcrmnty n
Traner umlagerte ihre Lippen. Die
Fäden ihres Gemi'r.h waren noch zu
cngc mit den Ereignissen der letzten
pjfonatc verwoben, al da ie, trotz
Jrühlingehauch und FrühIingSlust.
ihres Lebens schon wieder hätte froh
sei können. Die Entwickelung, zu
welcher die Tinae mit fast betäubender
Röschheit getrieben hatten, war fu
Agatha körperlichen Znsland verhäng-
N'.nvoll geworden, Siciurn hatte man
den sterblichen Ueberresten,der Schwni
gerin die leiste Ehre gezollt, als Agatha
schon von einer schweren Krankheit nie
lergeworfc worden war. Man hatte
sie'in die elterliche Hütte zurückgebracht
nd hier nun hatten in wochenlangem
Kampfe die Habsucht des knöchernen
Menschenräubcrö und bie Energie ber
Wissenschaft gerungen, bis diese den
Herrscher des' Schattenreiches sieghaft
aus dem Felde schlug.
Agatha befand sich allein zu Hause.
Ihre Mutter hatte sich aus dcn bcnach
bartcn Hcinzlhaf begeben, um sich von
dcr mildthätigen Bäuerin ein wenig
Honig für die Genesende zu erbitten,
denn der Arzt hatte den Genuß von
Honig angeordnet.
Das Madchen schaute, in trübe?
Sinnen verstrickt, ach einem Klumpen
gefrorenen schmutzigen SchnecS, dcr
vor dcr Hütte ntcr'm Sonnenstrahl
langsam, aber stetig zerstoß. Ach, wenn
nur auch der lumpen schmelzen wollte,
der ihr Herz drückte, der schmutzige
Klumpen ihre Schuldbewußtsein.
Fast unablässig, bei Tag und oft mit
ten in der Nacht, vernahm ihr geistiges
Ohr den Borwurf der sterbenden Bren
nerhoferin: Hätt'st doch nur ei ein
ziz'S Wörtl zu mir geredet, daß Tu
meinen Klau gern hast und Alle,
Alles wär' anders geworden!"
Zu spät! vorbei. Alles vorbei!
Agatha seufzte schmerzlich.
Auf einmal klangen Tritte hinter
der Hütte.
Ist die Mutter schon zurück?" mur
meltc sie überrascht, denn die Marol
bin uot vor einer Viertelstunde erst
fort und znin Heinzllvf brauchte vran
gemessene zehn Minute.
Ehe sich aber das Mädchen noch mit
ihrer Uebcrraschung abfiiiden lonntc,
bog ein hoch gewachsener Mann um die
Ecke.
.Agatha, grüß Tich Gott!"
Sie sah in die Hehc und lfct einen
leisen Sckirei.
Brennerhofcr! Du bist'?" brachte
sie mit Anstrengung iibcr die ir.atten
Lippen. Sie reichte ihm zitterud die
blasse ütawi.
Wie geht's Tir, Asiat!:?" fragte
er, mit tdeitne,kni?ol!eiü Bliu'c ihr
Antlitz verachtend. Tu bist lanz'
trank gewesen, bad' iu, geben."
Seitdem ich vom Bre:,ner!jef feil
bin, Bauer."
Sind Teine ut' dab.iiii?"
Nein, der Vater srhim M;on tie
fer ini Holz und die Mutter ist g rad'
fortgegangen ; sie ira gleich wieder
, kommen."
Niklau ließ sich an der Seite feinet
vormaligen lagd nieder. Nach ihi,
haue die erschütternden Ereignisse
merlbar umgewandelt. In seinem e
ficht, das um Jahre gealtert schien,
wohnte männlicher Ernst und prägte sich
das Weben einer in der Schule herber
Priifnugstage geläuterten Seele ab.
Ich hätt' Dich gern schon längst
heimgesucht, Agatha." begann er jetzt
in mildem, vertrauliche Tone, aber
ich hab' nicht wegkönnen von daheim,
die zwei Höf machen mir viel zu schas
sen. Heut' aber hab' ich's mir mit
Gewalt vorgenommen, Tich zu be
suche und da bin ich jetzt, lind weil ich
nicht lang' bleibe kaun, so muß ich
meine Sach' gleich anbringen, Agatha,
ich kann's allein nicht mehr machen,
ich brauch' eine Person, die mir bei
ste!;t und hilft i dcr Wirthschaft. Und
da hab' ich an Tich gedacht, Agatha,
Ich glaub', Tu bist mir och allewcil
ein bil gnt, früher bifl'S gewesen,
daS weiß ich, und drui mein ich,
Teandl, wir zwei bleiben beisammen,
so lang' wir leben. Sag' nicht ein,
Agatha, ich bitt' Tich im Namen
meiner seligen Mutter, die Tich so
gern gehabt hat. Ihr wär's gewiß
recht was ich thu'." 4
NifUui legte sanft den Arm um
Agatha nd schmiegte sie an sich. Ta
brach sie in Thränen süßer Wchmnth
au, sie ließ ihr Köpfchen auf seine
Schuller sinken. Und der blanke Früh
lingshimmel sah es voll Freude und
die Sonne glänzte Heller und eine
leichte Windeswelle spielte iiber Berg
und Thal bis zu einem stillen Hügel
im Gottesacker zu Parsberg, wo eine
gntr Mutter schlief, und ei geisterhaft
Flüstern strich der die geweihte Ztättc.
Es war der Windhauch aus den Gotzin-
ßcr Bergen.
So war ö damals ,m Vcnz.
ES zog dcr Sommers in' Land und es
war loieder anders in der Hütte de
Kolzkuechte Marold von Gotziug, Die
Hütte stand leer und einsam und
trauerte um die Menschen, dic kürzlich
noch unter ihrem Dache gehaust hatten.
Sie waren fortgezogen, der armc Holz
knecht und sein Weib und die blasse,
hübsche Agatha. Sie hatten einneues,
bessere Heim gesunden. Agatha war
Herrin ans dem Brennerhoj geworden,
ihre Eltcrn saßen aus dem Bärcnschütz
Hofe, der mit dem Tode der letzten
Brcitncrin in den Besitz des Brenner
hosers gediehen war.
Ein schwüler Julinbend lagerte sich
bleischwer aus die Erde. ES hatte den
Tag über cinc wahre Bruthitze gc
herrscht. Roch immer zitterten dic dun
stigcn Tchwadcm. RegungeloS, wie
erstarrt, hing das staubige Blatt an den
Bäumen und die Gräser und Blüthen
lechzten unter dem Brande, der an
ihnen gezehrt hatte. Das Glulhauge
der Sonne erlosch hinter schwarzem,
westlichem Gewölle, und nur die äußer
sten Spitzen strahlten noch empor, die
oberen Ränd?r der Wolken mit düsterem
Roth malend.
Der junge Brennerhofcr trat in
seine Stube. Er war im Dorfe gc
wcsen. Das ist eine Hitz'," klagte Nikiaus
zu seinem Wcibc. Wir kricgcn heut'
Nacht ein Wetter, glaub' ich,"
Warum bist den so lang' au
blieben?" fragte Agatha mit besorgtem
Tone. Ich hab' Tir schon entgegen
gehen wollen,"
Hätt'st es gethan, 'leicht daß Tu
auch' was gesehen hätt'st," redete er
et crnstgestimrnt. Rath, wer mir
vorhin brgegnet ist, wie ich durch'
Tors bin?"
Ja, wic kann ich da rathen?"
mctntc sic lächelnd. Sag' mir S
gleich, weißt, im Rathen hab' ich kein
b'jnnderes Geschick,"
Tic Seppin"
Die Seppin?" that sie nd der
bloße Raine schien ihr Entsetzen einzu
flößen, Tas hätt' ich lieber nicht gc
hört, Klaus, ich fürcht' mir schier,
wenn ich nur daran denk' an daS
Weib, Hat sie was gesagt zu Tir?"
Natürlich nicht, aber suchtig ange
schaut hat sie mich."
Sie hat sich schon lang' nimntcr in
der Gegend blicken lassen."
Die Lent' haben einen Abscheu vor
ihr. kein Mensch will ihr mehr ein
Stiickl Brod geben, wenn sie zum Bet
tcln kommt. Ich hab' gehört, sie
streicht jctzt oft in den Berge herum ;
neulich hat man sic auf der Brentncr
alm gesehen,"
Ich trau ihr nichts Gut's zu," der
setzte Agatha. Mir darf sie nicht in's
Haus kommen. "
Tamit endete da Gespräch iiber daS
miheimliche Weib.
Bai darauf zog sich Las jrrngc Ehe
paar in seine Schlaskamrner zurück.
ES war dunkle Nacht geworden. Am
Himmel blinkte keinLichtlcin, aber im,
Westen zuckte Blitze und ferner Ton
ner grollte. Er wuchs von Minute zu
Minute an Stärke und die grellen
Feuerbiiudel, welche die Wolken zerris
sen, blendeten fast jeden Augenblick die
Erde.
Wieder schoß eine jähe Lichtflnth
durch den Himmel und ein gewaltiger
Schlag erschütterte Berg und Thal.
In den Bäume hob es zu rciufchcn an
und der Stunn begann seine wilden
Ritt.
Hinter dem Bremerhose zogen leise,
karnn vernehmliche Tritte. Ein Blitz
erhellte weithin dic tagend und sein
slüchtige V'd)t zeichnete die schatten
hafte Gestalt elnes Weibe, daS sich
mit Vorsic!,! dem Rücken dc Gelpl'le
nähme. Ein klirrende Krochen dröhnte
und im tausendfache Echo rollte der
Donner aus den Beracn zurück.
Ta schüttelte dic dunkle Gestalt ihre
Faust gegen den Himmel.
Ich siircht' Tich nicht, Tich da
droben, brauchst nicht zu meine, daß
Du mich erschreckst," lästerte sie mit
zi säender Zunge.
Sic bückte jich--dic Blitze verriethen
jede Bewegung der Sepvin von Thal
ham und legte ein Bündel Reisig an
einen neben der Stall ung :u einem
kleinen Walle auigefchichtete Prügel
Haufen. Ein decvnende .'.inkkolz
flackerte in ihrer Hand, der Wid er
löschte es. Ein zweites, ci drittes
flackerte auf dcr Win lieoeSwiedcr
aus.
Sic murmelt, ncn, Fluch.
Brenn, Satan!"
Das vierte endlich leckte am dürren
Reisig; die gelben Feuerzungen rann
ten, vom Winde angefacht, durch das
Bündel und mm knisterte c und die
Funken spritzten zum ausgedörrten
Holze empor, daß auch dieses bald zu
gliiiiinen aufing,
S,!, jetzt bre, nieder, dreimal ver
fluchter Hof sammt Teinem verfluchten
Bauern und feiner vermaledeiten
Bäuerin," flüsterte die Seppin, dämo
nisch kichernd. Der Schein der Flamme
siel aus ihre Züge und strahlte wieder
in dem teuflischen Funkeln ihrerAugen.,
Jetzt entwich sie der Stätte, das
Feuer sich selbst überlassend. Sie
musste daran denken, sich gegen das mit
aller Wuth tobende Hochgewitter
irgendwo z schützen. Gleich dort reckte
die alte, weit geästeto Tanne ihre
Riescnlcib zum briillcndcn Himmel.
Der Baum war ei guter Bekannter
der Seppi, vor langen Iahren hatte
er sic schon einmal in stürmischer Gc
wittemacht geschirmt. Heut' mußte er
sie wieder beherbergen.
Die Seppin barg sich unter dem
tief hernicdcrhängenden Geäste. Sie
warf eine Blick nachdem Brennerhofe
hin und sah, wie wacker sich da rothe
Element gegen den Regen hielt, wie cs
lustig und unverzagt am Holzstoß hin
auf züngelte.
Ueber der Seppin schlängelten sich
dic schimmernden Blitze durch da
schwarze Grausen, der Tonner prasselte
im glühende Rache der Rachtgeistcr,
der Stun heulte und Bäche rauschten
Ivolkenbrnchartig,
Plötzlich erlahmte das Feuer am
Holzstoß, die Fluthen des Himmels
ertränkten es.
Sakrament!" fluchte die Brand
stiften ergrimmt nnd wollte nach dem
Gehöfte hasten da wurde es blendend
hell um sie, eine schwefelgelbe Schlange
entfuhr den Wolken und ein entsetzlicher
Kroch rüttelte wcitum in den Einge
weiden der Erde, so daß drunten im
Torfkirchhose die Todten in ihren
Bretterhauschcn erzitterten.
Die Insasse der beiden Hose spran
gen halb betäubt und entsetzt aus den
Betten. Sie brannten die geweihten
Wetterkerzen an und beim (last dcr
selben sachten sie, ans den Knien lic
gend, mit bebenden Lippen dc gött
lichcn Zorn zu beschwichtigen.
AIS eS nach einer fürchterlichen Nach!
im Osten ans önt Bergkuppen glühte
und ein neuer Tag sein mildes Rosa
licht in die Thäler streute, entdeckte
der Brenucrhofer, daß eine ruchlose
Hand Feuer au feine Holzstoß gelegt
habe. Unter der alten Tanne aber fand
er den Leichnam der vorn Blitze ge
, lödtcten Seppin.
11 ö c.
Der Mchiige 5krässing.
Von tintin liulTtii.
Während eines Winterabends, als
Herr Korolenko sich in seiner kleinen
Jurte in einem Jakntcndorfc, wohin
dieser Schriftsteller verbannt war, in
wehmüthige Gedanken vertieft, halb
liegend in'dieser kalten düsteren Grube
befand, verlandete ihm sein einziger
aufrichtiger Freund, der HauSeerbemS,
durch ein Kuurrcn und einen Sprung
gegen die Thüre da Herannahen eines
Fremden. Da aber der Verbannte an
diesem Abende Niemanden zu erwarten
hatte, blieb ihm nichts mehr übrig, als
vorauszusetzen, daß der Fremde irgend
ein flüchtiger Sträfling sei, der ein
Nachtlager suche, was nach den dortigen
Gewohnheiten aus mehreren Rücksichten
nicht immer verweigert werden kann,
obgleich der Gedanke, eine Nacht zu
sanimen mit einem Individuum, des
sen Vergangenheit vielleicht mit Blut
befleckt sei, zubringen zu müssen, nicht
besonders angenehm sein kann,
j Dic Thür öffnete sich und ein kras
tiger, breitschultriger, hochgewachsener
Mann trat in dic Jurte. Ans den
ersten Blick war zu crkcnnen, dag der
Fremdling kein Jakute war, obgleich
er Iakuteutrncht trug.
Gott grüße Sic, mcin Hcrr!"
sagte er, die Tabakspfeife hervor
ziehend und sich zum Kamin setzend.
Gott grüße Sic!" lautctc die Ant
wort. Aus die Frage, wer er sei und wie cr
heiße, erklärte dcr Gast, cr sei Vaga
und und nenne sich unter den Jakuten
, Bagalei," obgleich sein nissischer
Taufuaine Wassili laute.
, Nach einer kleinen Unterhaltung,
' während welcher Wassili freiwillig be
theuerte, daß cr seit seiner Flucht aus
den Galeeren eine redliche und edle"
Lcbenart führe, crhiclt er dic Ein
laduug zu übernachten und da Nacht
mahl zu theilen. Hierauf begab sich
der Vagabimd in dcn Hof, um da
Neitpierd, auf dem er angekommen, zu
versorgen, nd brachte einige Bündel
und Säckchcn zurück, au welchen er
verschiedene Scheiben Butter, gefrorene
Milch, eine Anzahl Eier und andere
gestohlene Vebenomittel hernnholle.
Nachdem der Thee und da Essen be
endet waren und jeder seinen Slrohsack
, aufgesucht Halle, begann Wassili sol
1 gendc Geschichte seiner Flucht von dcr
Insel Sachalin zu erzählen.
Es ar in einem Sommer der Sieb
l zigerjahrc, al das Dampfschiff
Nijchni-Noiogorod" mit einem Tran'
Porte Sträilingc von der sibirischen
Kiilic nach rnlwln iteucrtc. Tie Ver
bannten besinden sich gewöhnlich in
einem besonderen Raume, überwacht
an den Thore durch bewaffnete Sol
daten. Ein .Aeltester" und dessen
Geliilfe," welche durch die Sträflinge
ans ihrer Mitte gewählt werden, haf
ten gegenüber dein Schisfe-konima-.'.dan-ten
fr die Ruhe und Ordnung im
Innern des fchmimmeiiden Gefängnis
fcs. Im Falle sich diese Autorität al
ungenügend erweist, U'iio der Arrcstan
Uvraum mit bkißem brennei:dc
Dampfe g.'fullt nd werden nöthigen'
fall gegen die Meuterer dic Flinte
gerichtet. Während dieser Ervedition
urdc ick, ;un Gehillv des Aclleslen
geaxililt.
Sobald die Sträflinge gegen eine
oon den Ihrigen eine ,ywt ooer irgend
einen Svioiiagrverdacht hegen, wird gc
wohnlich für denselben ei Teckel"
erlerttgl, das heißt, es wird ihm
der Naä,t, tu seine Stimme zu er
sticken, mit einem Arrestauieumautel
der Kops bedeck!" und der Unglückliche
wd umgebracht. Ties geschah auch
bei nus in eine,' Nacht, denn bei der
Revision fand man eines Morgens drei
Sträflinge todt. Weder durch Einschiich
teruiig, noch durch Versprechungen ge
lang es, die unmittelbaren Thäter zu
eruireu. Auf alle Frage antwortete
Alle: Wir schliefe und wisse von
nichts," Iu Folge dessen wurde der
Acltrsie und ich, als deffe Gehilfe, in
Ketten geworfen und in ifoliiteu Räu
mcn eingesperrt.
Von einem alten Sträflinge, der sich
den falschen Namen Vura beigelegt
hatte und schon mehrmals ans Sachalin
entflohen war, erfuhr ick, daß jawohl
der Aelteftc, als auch ich. nach Ankunft
auf der Insel erschossen oder zu Tode
gekimtet werde sollte, Burau ricth
inir daher, mittelbar ach der An
kunst zu entfliehen, was übrigens nicht
sehr schwer fei, da die Verbannten auf
dcr Insel nicht besonder Überwacht
werden.
Wir landeten im Hafen von Tue,
auf dem westlichen Ufer Sachalin,
Am dritten Tage uack unserer Ankunft
begannen unter der Vc innig Bunin die
Vorbereitungen zur Flucht. Ta aber
zwischen diesem Hasen und dem asiali
scheu Kontinent die tatarische Meerenge
eine Breite von drei hundert Kilometer
hat, so erschien dic Uebersetzung dersel
bcn auf einem kleinen Kahne sehr frag
lich. In Folge dessen war cs nothwen
dig, über zweihundert Kilometer läng
des Ufers zu gelten, m das nördliche
Ende der Insel ztt rreichcn. welche
vom Ainiirgebiete anr durch eine
schmale Meerenge getrennt ist. Man
mußte sich aber in Acht nehmen vor den
Kordonsoldaten, welche ans manche
Punkten dcr Insel, wic auch aus dem
gegenüberliegenden Ainiirgebiete postirt
sind. Ta eine Fliulit gewöhnlich erst
am dritten Tage entdeckt werden
konnte, so hildetc sich eine Gesellschaft
an zwölf Personen, unter welchen sich
auch zwei tapfere und treue Tschcikcs
fen und ein Tatare, einer der größten
und erfinderischesten Garnier, befanden.
Nachdem sich jeder von uns mit zwei
Mänteln, welche uns unsere zurück
gebliebenen LeidenSgenossen geschenkt
hatten, ferner mit Zivicback, Fischen,
Kochkesseln, Messern, Aertcn und ande
ren nothwendigen Gegenständen ver
sehen, versammelte sich das ganze
Tntzcnd Verbrecher im Gebüsch und er
griff die Flucht.
In Folge verschiedener Irrungen
gelangten ivir erst nach zwölftägigem
Marsche an eine kleine, au fünf Hüt
ten bestehende Ansiedelung von Gilja
kcn (Ureinwohner dieser Insel). Mit
großer Mühe gelang es uns, mit diesen
eine Verständigung herbeizuführen.
Jeder 'von uns schenkte ihnen einen
Mantel ; wir gaben ihnen noch einige
andere Gegenstände, wofür sie un aus
einem Versteck zwei Kähne heraushol
ten. Einer derselben war siir acht Per
soucn bestimmt, dcr andere siir den
Rest.
Ta aber von dcr asiatischen Seite
sich ein entgegengesetzter Wind erhob, !
waren wir gezwungen, zwei Tage am
Ufer zu verbleiben. Unsere Eßwaarcn
gingen bereits ztr Neige nd wir er
nährten uns nur noch mit Beeren und
Fischen, welche wir von dcn Giljaken
bekamen. Ein paar Stundcn vor unsc
rer Einschiffung, als wir auf dem
Grase uns ausruhten, erschienen plötz
lich aus dem Gebüsche fünf Soldaten,
legten da Gewehr an und begannen
zu feuern. Unser Führer, dcr alte
Bunin, winde tödtlich verwundet. Wir
stürzten uns mit unseren Messern ans
die Soldaten wic wüthende Wölfe.
Drei von ihnen wurden niedergestochen,
dem Anführer dieser Patrouille, einem
gewiiien altanost, welcher schon man
chen Sträfling in s Jenseits erpedirt
hatte, wurde der Kopf abgeschnitten
und in's Meer geschlendert ; der fünfte
Soldat warf seine Flinte weg und er
griss dic Flucht, ohne von un verfolgt
zu werden.
B'iran lag im Sterben. Bevor cr
die Seele aushauchte, ertheilte er uns
noch den Rath, bei dcr Ankunft in
Tibiricn so wcnig als möglich Dörfer
zu berühren, die Städte aber gänzlich
zu meiden, denn da Gerücht von
unserer Flucht und der Niedermachimg
der Soldaten iverdc uns aus telegraphi
schem Wege bereit überholt haben.
Wir begruben Buran und übersetzten
in der Nacht glücklich das Meer in der
Nähe von Nikolajcwsk. Unweit dieser
Stadt besand sich da Gehöft eines
Äommis der Handlungofirina Tarcha
off, Namens Stachel, Mitritfch. Tie
fer Äommis, der cinstcns durch slüch
ligc Sträflinge au den Händen dcr
Giljaken, mit dcucn cr in Streit gc
rathen, befreit worden war, unterstützte
jeden Flüchtling. Wir begaben uns
daher zu diesem Gehöfte und obgleich
unser Gönner selbst verreist war, erhicl
ten wir doch jeder von seinen zurück
gelassenen Gehilfen je fünf Rubel,
ein Paar Stiesel, einen Pelz, Wäsche
und einen Sack mit Lebensrnitteln,
worauf wir das Gehört verließen.
Vor der Stadt Nilolajewok begcg
neten wir am User des Flusses einigen
fischenden Männern, die sich als Mit
glicder dcr Freien .Compagnie" erwic
scn. Diese ompagnie besteht nämlich
an Sträflingen, welche ihre Strafe
bereit abgebüßt haben und an einem
bestiiii"iten Orte unter Polizeiaufsicht
ein freie?" 'cben fuhren. Tiese Leute
erzählten un?, daß dic Nachricht von
der Ermordung der Patrouille aus der
Insel -aclialin in der Stadt bereits
veiaiint sei und daß nach uns liberal l
getabnket werde. Sic versahen uns mit
Brod und Fischen und ricthen uns,
sorgfältig dic Stadt zu meiden.
Als Wir an diesem User eine Schei
tcrbausen anzündeten, um ein Niickii
niabl zu locken, erfckiien plötzlich ein
Kahn, aus welchen! fünf Mann, damit
tet einer in Uniform, an' liier stiege.
Wir sprangen ant und wollten scheu
die Flucht ergreiien, als der Mann in
der Uniform zu lache und rufen
begann : Furchtet limli nicht, es ge
schieht nicht!" Wir kehrte zurück
uii6 erkannten in diesem Herr einen
gewisse Samarofs. welcher früher in
einer großen sibirische Stadt Direktor
einer Frolmfefie war. Er galt IS
Gönner aller Arrestanten, welche ihm
ihrerseits auch wieder zu verdienen"
gaben, Herr Zauiaroff, den einige von
unserer Gesellschaft kannte, erzählte,
daß er vorn Ballon seine Hauses
unser Feuer bemerkte, ud in der Vor
aussetzung, daß wir die Sachaliuer
Flüchtlinge seien, sich sofort mit
einigen seiner Freunde z begab,
um nu von der bevorstehende Gefahr
z verständige. Er rieth n, die
Umgegend der Stadt zu verlassen und
in kleinen Partien zu verschwinden,
wa wir auch nnveizügliä, thaten
Nachdem wir rnrs in einige Ablheilun-,
gen, zu zweien und dreien vertheilt
hatten, nahmen wir von einander Ad-,
schied und zerstreute uns durch Sibi
rien, So weit die Erzählung de Flücht
lings Wassili, Am nächsten Tage
suchte dieser einen tatarischen Land
streich, einen gewissen Achmetka, ans,
mit welchem cr ein Konsortium bil
bet e, um dcn Sträflingen in ,ben
Minen Spiritnsgeträuke zu liefern.
Dieses Gewerbe ist eine der gefährlich
flen Unternehmungen, denn die ,Cpi
ritnsträger" werden gewöhnlich, tvenn
man sie ertappt, selbst zur Zwangs
arbeit iu den nuterirdischen Minen ver
urtheilt. Der größte Theil aber dieser
Händler geht in den Sümpfen zu
trnnde, oder fällt auch häufig von den
Kugeln der Kofakenwache oder unter
den Messern der Konkurrenten.
Ein Jahr später erschien Achmetka
wieder im selben Iakutendorsc. Was
sili jedoch kam in der That nicht mehr
zum Vorschein.
(k!e hübsche Persiflage. In, Jahre
1S70 wurde die folgende amüsante
Persiflage auf dic Einser Vorgänge
bekannt. Telegramm: Paris, i!t.
Juli. Gestern, al der Kaiser der
Franzose im Park von St, E!o:,d spa
ziere ging, näherte sich ihm der Bot
schaster Rußland und erttäitc ihm,
daß sein (des Kaisers) Knebelbart sei
nein (des Botschafters) erhabenen Ge
bieter, dem aiser allerReuffe, miß
falle, indem er beifügte, er fei ennttch
iigt, sofort nach St, Petersburg zu
teiegrnphiren, daß cr, Napoleon, sich
verpflichte, besagten Kncbelbart binnen
ieriindzivanzig Stunden abzuschneiden.
Der Kaiser der Franzosen wie dieses
Ansinnen zurück und al der russische
Botschafter am Abend abermals im
Schlosse erschien, um seine Forderung
zn erneuern, so ließ ihm Seine Majc
stät durch seinen Adjutanten sagen, cr
habe nicht weiter mit ihm zu verhau
dein. Man erwartet eine Kriegs
erklärung von Seiten Nußlands. Alle
in Paris wohnenden Russen sind er
bittcrt iiber die Unverschämtheit des
Kaisers Napoleon."
Nur einer. Theodor Döring pflegte,
wenn er besonders guter Laune war,
bisweilen Kollegen aus dcr Bühne zu
verwirren. Er that die namentlich in
chargirteit" und hochkomischen Rollen,
wenn cr merkte, daß Künstler und Zu
schauer seine sidele Stiniinnng theil
ten. Einst wollte der beliebte Komiker
Albert Gern ihn mit gleicher Münze
bezahlen. AIS er mit Döring eine
Tages auf dcr Bühne fleht, cxtcm
porirt cr in cincm geeigneten Augen
blicke : Da stehen wir nun wic ein
Paar Ochsen am Berge!" Döring
blickte ihn ernsthaft an, läßt sich als
bald auf einen Sessel nieder und er
widert salbnugooll : Ich sitze !"
nireffcnd. "Im fünften Bande der
Tenlwürdigkeiten MoltkeS erzählt
Major von Burt Folgendes : AIS der
Feldinnricha einmal in Ragaz war,
ging er allein durch den Wald nach
dem Toyc aat. os war e!,r ein
geworden und cr verspürte starken
Turst. Er ging in eine Torsschänke.
um sich mit einem Trnnk zu erfrischen.
Der Wirth gesellte sich zu ihm und
sagte: Wohl Kurgast in Rc,gaz?"
Ja." TerMoüic soll ja da sein?"
Ja." Wie schaut cr denn ans?"
Nun. soll er aussehen? Wie
Einer von nns Beiden,"
(sin Bkrglciih. Als Napoleon der
der Tritte nach der Schlacht bei Solfc
r:o mit feinem Generalstabc über das
Schlachtfeld ritt, deutete sein Orion
iianzofsizier Murat, der Enkel des bc
rühmten Mura!, mit betrübter Miene
ans die große Zahl von Todten und
Verwundeten, die den Erdboden bedeck
ten. Ja, lieber Murat," sagte der
Kaiser, keine Köchin kann Eierkuchen
backen, ohne dic Eier zu zerbrechen."
A unrechter Stelle. Schul rath
(bei der Visitation einer Schule zum
Lehren : Sie sollten an Ihrem Pulte
noch einen hübschen Sinnspruch anbrin
ge, um ben Eifer der Kinder anzu
regen. Wic wär' eö zum Beispiel mit
.Wissen ist Reichthum?'" Torf
f ch l l e h r e r : Ta würde hier wohl
nicht ziehen, Herr Schulrath, denn die
Kinder wissen, reic gering mein Ge
halt ist."
Billig. Bauetnbub' (der an einem
heiszkn Sommerlaat mit seinem Salti
auf den JahrmaM gehl): ..Pata. ?
hab' so Tarschl!"
Bauer: .Mit. i' hab' Dir 'sagt,
wenn D' mit mir gehst, nachher kliegst
toai - jcht Host es!"
Kasernkosbllilhk. Untriossizietz
Richt' Euch.... Zurugtiete....
Zurück. Hofsmann noch ein wenig)
Streckt der Kerl wieder den nuch
heraus und bat gar lernen!"
Sonder daie (Jalculalien. Paliknl:
J&i ist ja recht sckn. daß Sie mich i
so kurzer Zeit von meinem longjab
rigkn Leiden besieit habe! Aber dafür
sind halt 50 Mark doch u viril Ich
bitt' Sie, dasüt bin ich ja bei meine
frührini Üntf tat an riabr fruri
1 ietvefen!"