Nebraska Staats-Anzeiger. (Lincoln, Nebraska) 1880-1901, January 30, 1896, Image 10

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    Das Lehrgeld.
Humoreske von Arthur Röhl,
Einen entgleisten ZSagen wicderauf
die Schienen zu bringen, ist ein Stück
Arbeit, zn der Energie erforderlich ist,
ein Kinderspiel aber ist es gegen die
Aufgabe, ein entgleiste Leben wieder
in feste Bahnen zu lenken.
Der Lieutenant außer Diensten Friß
Lehmann wußte ein Lied davon zu sin
gen. Was hatte er, seit ihn die Ver
hültnisse zwangen, sei blinkendes
Schwert an den Nagel zu hangen, nicht
alles versucht, um für die durch Schul
den und Leichtsinn verlorene Lieute
nantsherrlichkeit in irgend einein hur
gerlichen Beruf eine neue Zukunft zu
finden I
Ueberflillt, überfüllt", hieß es, wo
immer er sich meldete und Beschäftigung
suchte. Er war nahe daran, seiner
Vaterstadt, wo kein Brod mehr fiir ihn
vrhanden schien, den Rücken zu kehren
und sich in Holland sür Atschin oder jn
Algier für die Fremdenlegion anwerben
zu lassen, als es plötzlich eines Tages
den Anschein gewann, daß der Himmel
ein Einsehen mit ihn, haben wollte.
Er erhielt nämlich auf die schriftliche
Meldung, die er auf ein Inserat ge
macht, Antwort die erste Antwort auf
tausend Briefe, die er geschrieben. Die
Zuschrist forderte ihn auf, sich zu einer
fiewisjen Zeit in einem Bureau in der
Leiwaer wtrake vorzu teilen.
Schmunzelnd besah er sein einneh
mendes Bild im Spiegel und machte
sich auf den Weg.
Als er in das Bureau trat, zeigte er
die erhaltene Zuschrift vor und ward
sofort zum Ehef geführt. Dieser besah
ihn eine Sekunde mit dem kalten,
nüchternen Blick, mit dem man ein
Pferd mustert. Dann bot er ihm rasch
mit höflichem Lächeln einen Stuhl an.
Ich sehe schon, Sie werden unser
Mann sein", begann er. Sie sind ein
junger, schneidiger und energischer
Herr, und mit Energie und Schneidig
keit muß unser Geschäft gemacht wer
den. Sie kennen unsere Branche?"
schloß er.
Der Gefragte verneinte.
Aber Sie wissen sicher, was Schul
den sind?"
Er nickte nur, fühlte er doch, wie er
roth wurde.
Und was zähe, böswillige Schuldner
sind, wissen Sie auch?"
Er wurde röther und röther und
nickte von Neuem.
Nun sehen Sie, meinte der Kauf
mann. Aus diese hohlbäuchigen, aus
gebeutelten Kerle, die man wie Bälle
hin nd her werfen kann, ohne daß ein
Siibcrsechser aus ihnen herausfällt,
bauen wir unser Geschäst."
Hm", machte Herr Lehmann. Der
Boden schien ihm dürr genug.
Sie begreifen", fuhr der Kauf
mann fort, daß diesen widerspenstigen
Schuldnern ebenso viele Gläubiger gc-
enüberstehen, die darauf erpicht find,
ihr Geld einzuholen, und in der Regel
gern bereit sind, jede, wenn auch noch
so trügerische Hoffnung, aus dem Vcr
luft zu gerathen, mit neuem Schaden
zu bezahlen."
Der Kaufmann breitete einen weißen,
engbedruckten Bogen, der wie ein Kon
traktformular aussah, auf dem Schreib
tisch aus.
Unsere Reisenden, die wir in alle
Welt senden, besuchen nun dergleichen
Gläubiger und bemühen sich, die Unter
schriften derselben sür dieses Papier zu
erlangen. Wir garantiren Ihnen laut
diesem Kontrakt zur Eintreibung ihrer
Forderungen unsere Hilfe. Sie erwer
den den Anspruch auf unseren SchuK
durch einen prännmerando zu zahlenden
Einsatz, auf den wir in Anbetracht der
Größe unserer Geschastsspesen bestehen
müssen. Stoßen wir jedoch wirklich ein
mal unter allen den wirthlosen Förde
runzen auf eine beitreibbare Schuld, so
suchen wir sie natürlich so billig wie
möglich zu erwerben. Sie verstehen also
un unser Geschäft?"
Lehmann nickte.
Und Sie sind bereit, den Reiscposten
anzunehmen?" Wohlverstanden, Herr,
nur probeweise, fürs Erste sür vierzehn
Tage, in welcher Zeit Sie uns Beweise
für Ihre Fähigkeit beibringen müssen."
Der Gefragte nickte. Warum sollte ihm
das nicht behagen? Was hatte er zu er
lieren? Der K ausmann nannte eine
auskömmliche Reisevergütung, die wo
chenweise im Poraus ausgezahlt werden
sollte; das Leben, das ihm bevorstand,
hatte also keinen Schrecken für ihn.
Und so trat der abgedankte Jüngling
M Mars wohlgemuth in den Dienst
Merkurs über und zog auf die Reise.
Gleich den ersten Tag aber begriff er,
daß es kein Spaß war, Gcschäftsbesuche
zu machen.
Er war, wie schon gesagt, ein Mann
von einer noblen Erscheinung, und wenn
er, mit den Kontrakten der Firma Se
lign und Rosenthau in der Hand, in
irgend ein Komtor oder in einen Laden
trat, glaubte man nicht anders, als daß
ein reicher Kunde kam, der große Ein
käufe machen wollte, und Kommis und
Ehefs stürzten um die Wette herbei, sich
nach seinem Begehr zu erkundigen. Der
gute Eindruck, den er machte, erschwerte
ihm außerordentlich das Geschäft. Es
dünkte ihm, wenn er wie ein Grandseig
neur empfangen worden, doppelt er
nicdriqend, den Kontrakt von seliger
und Rofenthau zu repräfcntiren. Die
Leute machten, sowie er den Mund auf
tbat. auch meistens kurz ehrt. Sie
zuckten verächtlich die Aidieln und ließen
ihn, als wäre er ein meiner, nn,f n.
So war er bereits den dreizehnten
Tag aus der Tour und hatte sür alle
seine mitgenommenen Kontraktsbogen
noch keine einzige Unterschrift gefunden.
Wunderbarer Weise aber stieß er an
dem Tage, der der letzte einer Handels
laufbahn sein sollte, auf ein sehr srcuno-
liches Entgegenkommen.
Man hörte ihn so fühlte er
ruhiger als sonst an. An ein paar
Stellen, wo man eine Unmenge schlecht
tcr Konten in den Büchern haben
mochte, fand man die Porschläge, die er
unterbreitete, gar nicht so übel, der-
sprach ihm, sich die Sache zu überlegen,
und notirte sich seinen Namen und die
Firma seines Geschäftes.
Auf dem Hofe eines Weingutes fand
er den jovialen Weinbcrgsbcsitzer, den
er bei einer Flasche von dem Heurigen
in sein Schicksal eingeweiht halte, sogar
bereit, mit ihm ein Geschäft aliju.
schließen.
Spaß bei Seite!" meinte der alte
Herr, der mit dem schmucken Jüngling
seine lektc vonüaliche Ernte probte.
..Ich habe da so ein paar Wechsel von so
einein faulen Bruder, von dem aus
landläufigem Weg nichts zu holen ist.
in meinem Pult. Sie liegen schon Jahr
und Tag bei mir. Ich habe sie einmal
von einem Wcinhändler, von dem auch
sonst nichts mehr zu haben war, als
Zahlung angenommen. Vielleicht, daß
Ihre Leute in Berlin etwas damit zu
machen verstehen."
Er rief seine Tochter, ein junges, an-
genehmes, ländlich frisches Mädchen,
die ihres Baters Wirthschaft führt,
von einer Bank, auf der sie im Garten
saß, herbei.
Antonie," sagte er zu ihr, indem er
ihr sein Schlüsselbund reichte. Geh'
mal, sei so gut, Kind, und hol' mir aus
meinem Spind Du weißt, gleich in
der Ecke rechts liegen sie die Wische,
die Wechsel her, die wir vor einigen
Jahren aus einer Pleite annahmen.
Ich glaube, der Herr," er nickte mit sei
nein gemüthlichen, weinfrohen Gesicht
auf den Reisenden, ich glaube, der
Herr wird noch etwas daraus heraus
schlagen können."
Das junge Mädchen nahm das
Schlüsselbund und eilte davon. Sie
wußte in den Büchern und Alten ihres
Vaters so gut wie in seiner Wirthschaft
Bescheid, und im nächsten Augenblick
kam sie mit ein paar länglichen, vergilb
ten, bedruckten und beschriebenen Pa-
Pieren zurück.
Der Weinbergsbesitzer zählte den Bfr
trag der Billets zusammen.
Alles in allein zweitaufend Mark'
sagte er. Die Zeche, die solch ein
Windhund von einem Lieutenant im
Laufe der Jahre in einer Weinstube
machte und unbezahlt gelassen hat."
Lehmann beugt sich. Er sühlte
getroffen.
Ach. üh." stammelte er. Was
sagen Sie? Osfizierswechscl, Herr?"
Ja," sagte der Wcinbergsbefiker,
Sehen Sie selbst." Erhielt ihm 'die
Papiere quer vor die Augen, daß er das
Accept lesen konnte. Ta steht S.
Friedrich Lehmann heißt der Patron,
Lieutenant Lehmann."
Lehmann ward roth wie eine Klatsch
rose. Er legte die Augen dicht auf die
Accepte.
Aeh, üh, stieß er langsam hervor.
Die Handschrift des Acceptantcn tanzte
vor seinen Augen. Sie war war es
die Möglichkeit? seine eigene, lind
diese erste und einzige Schuldforderung,
die man ihm auf seiner Tour übergeben
wollte, eine Forderung auf ihn selbst.
Er machte ein so verblüfftes Gesicht,
daß der Weinbergbcsitzer stutzig wurde.
Sie scheinen von der Forderung wohl
auch nicht viel zu halten, sagte er.
Jn der That, nein nein", spru
delte der Gesragte hervor.
Kennen Sie zufällig den Acceptan
ten?" Gewiß kenne ich ihn, Herr Puppke.
Hat der Mensch doch denselben Namen
wie ich. Lehmann ! Fritz Lehmann. Und
dieser Lehmann wohnt in Berlin, sogar
noch in meiner Straße. Alle Gerichts
Vollzieher, die den total abgebrannten
Bruder heimsuchen, kommen, ehe sie sich
an die richtige Adresse wenden, zu mir.
Der Wkindergsbcsitzer schob die Pa
picre bei Seite.
Prima sind die Appoints aller
dings nicht", sagte er. Indeß ich
glaubte daß das Inkasso unsicherer
Forderungen Ihre Spezialität sei.
Hauptsächlich thut es mir um sie leid,
lieber Freund, daß sie zu ihrem
Namensvetter so geringes Zutrauen be
sitzen. Sie erzählten mir vorhin, daß
Sie morgen Ihre Stellung los sind,
wenn Sie nicht noch heute einen Auf
schub zu Stande bringen, und da ich
iie beim Plaudern in ver Ictzlen
Stunde lieb gewonnen habe, hätte ich ,
Ihnen gern einen Gefallen gethan.
Lehmann danlte Herrn Puppke für
fein Wohlwollen, beharrte jedoch da
rauf, die Offerte nicht annehmen zu
können, da es sich mit seinem kaus
männischen Gewiffen nicht vertrage,
Jemand zu einem (Wchäste zu verlei
ten, von dem er im Poraus wüßte, daß
es nur Aerger und Verdruß einbringen
konnte.
Hatte sich der Fremde Herrn Pupp
U'i Sympathie im Fluge gewonnen, so
eroberte ihm dieser Beweis biederen
Gradsinns vollends sein Herz.
Er imponirte ihm so sehr, daß er,
als der Reisende fort war. den ganzen
Tag über nichts anderes als an ihn den
kcn konnte.
Antonie!" sagte er paar Mal zu
seiner Tochter, der Berliner von heute
früh hat mir gefallen, und ich halte zu i
gern für ihn etwas gethan. Wüßte ich,
was ich thun könnte, seine Aussichten
z bessern, ich ginge aus der Stelle jetzt
noch nach dem Gnsthof, wo er logirt,
und böte es ihm an."
Wenn er Dir so an Herz gewachsen
ist, geh' hin und biete ihm den Reise
Posten an, der im nächsten Quartal bei
uns frei wird, weil unser jetziger Ver
treter sich sclbstständig macht," so rieth
seine Tochter, halb im Spaß, halb im
Ernst.
Der Weinbcrgsbesitzer aber hörte nur
den Ernst in dem Rath und legte bc
dächtig die Hand um sein Kinn.
Kein übler Gedanke!" meinte er.
Von allen den Herren, die sich bisher
um die Stelle bewarben, hat mir noch
kein einziger gefallen, der Berliner aber
hat, als ich vorhin mit ihm probte,
eine Zunge bewiesen ich sage Dir,
Toni, eine Zunge! Der Mann hat
waS weg I"
So geh' in die Goldne Gans ',
Batcr, und rede mit ihm."
Du meinst, Antonie?"
Sicher Papa."
Die Sympathie des Vaters sür den
Reisenden fand offenbar bei der Tochter
ihren Widerhall. Fräulein Puppke
war, wie gesagt, in dem Geschäft ihres
Vaters mit thätig. Sie saß oft stun
denlang im Komptor. Kein Wunder,
daß ihr ein junger, sympathischer Mit
arbeiter lieber war, als ein alter, ver
knöchcrtcr Griesgram. Sie holte dem
Papa selbst Hut und Stock, daß er zur
Goldenen Gans" ging.
Lehmann fühlte sich, als der Wein-
bergsbesitzcr dort anlangte und ihn
rufen ließ, von einem gelinden Schreck
ergriffen.
Tod und Teufel!" brummte er,
Will der Alte mich mit den Wechseln
die er von mir in der Hand hat, noch-
mals belästigen?
Er nahm sich vor, icde weitere Ver-
Handlung über den Punkt entschieden
abzulehnen. Auf die höfliche Bemer
kung des Weinbergbesitzers, daß er
hoffentlich mit den Geschästen des letzten
Tages zufriedener als mit den früheren
wäre, antwortete er kurz :
Ich danke, mein Herr, ich bin ein
Vertreter des Hauses Seliger und 9co
seuthau gewesen. Das Ergebniß meh
ner heutigen Geschüftsbesuche war kein
anderes als das der vergangenen Tage.
Uebereinstimmend mit den Bcdingun
gen meines Engagements erhielt ich be
rcits telegraphisch meine Entlassung."
Um so besser," meinte Herr Puppke.
Wieso, um so besser?"
Weil Sie so morgen nichts zwingt,
wcitcrzureisen, und ich Sie gern noch
einmal zu einer Weinprobe einladen
möchte."
Aber nicht wegen der Wechsel, Herr
Puppke; mit diesen Dingen habe ich
nichts mehr zu thun."
Nein, nein," sagte der Weinbergs
bcfitzcr, Sie haben ganz Recht. Wenn
dieser Mensch, der Namensvetter von
Ihnen, ein so hoffnungslos ansgebeu
teltcr Patron ist. wozu sich neue
Kosten, neuen Schaden machen? Ich
möchte auch nur ein paar frische Fässer
Wein, die wir eben kelterten, mit ihnen
probiicn. Mir ist, als verstehen Sie
etwas davon?"
Der frühere Offizier warf sich in die
Brust. Ob er etwas vom Wein vcr-
stand! Vielleicht nur zu viel. Das
Verständniß hatte ihm Rang und
tand, sein Geld und, wie die Papiere,
die Herr Puppke besaß, zeigten, auch
anderen Leuten Geld gekostet.
Die theuer genug bezahlte Kenntniß
sollte sich ihm jetzt aber nützlich erweisen.
Herr Puppke enqaqirte ihn bei der
Weinprobe am folgenden Tage vom
Fleck weg. ' Und das gereute ihn nie.
Herr Lehmann fand sich überraschend
schnell und erfolgreich in seine neue Kar
riere. Er verstand es, seit er nicht mehr
mit den fragwürdigen Kontraktschcimn
von Seliger und Rosenthau, sondern
mit gronen, wuchtigen Musterkonern
auf die Tour ging, sich bei der Kund
schaft beliebt zu machen, wie selten ein
Reisender vor ihm. Daheim verstand
er es aber erst recht, sich im Fluge Ver
trauen und Freundschaft zu erwerben.
Seinem Chef hatte er sich bald vollkom
mm unentbehrlich gemacht, und seit
dies ihm auch niit Fräulein Antonie ge
lungcn, und die junge Dame vor den
Altar geführt, war er Mitbesitzer des
Puppke'schen Weinberges und Wringe
fchäsics geworden.
Er hatte, wenn er an die schweren
unsicheren Tage, die er überstanden, zu-
rückdachtc, allen Grund, sein Schicksal
zu preisen. Er dankte dem Himmel, der
seinem Leben, das bereits aussichtslos
verfehlt schien, diese glückliche Wendung
gegeben, und leise, ganz im Innersten
seines Herzens pries er auch die Schul
den, die er in seiner Lieutcnantszeit nicht
bezahlt hatte.
Denn wie man auch darüber denken
konnte, sagte er sich, ohne sie wäre er nie
und nimmer geworden, was er heute
war. Ohne sie wäre er nie sür Seliger
und Rosenthau aus Reisen gegangen,
ohne sie hätte er nie den Puppke'schen
Weinberg betreten, und ohne sie hätte
er sich nie in das Vertrauen und in das
Herz deS alten Mannes, der jetzt sein
Schwiegervater geworden war, schleichen
können. Er verhehlte es sich nicht, die
vergilbten Schuldscheine, die ungetilgt
irgendwo in einem Schubkasten Herrn
PuppkeS schlummerten, hatten ihm die
Brücke gebaut, auf der er sich aus der i
Misere zu Wohlfahrt und Wohlstand!
hinüderrettete.
Einmal sollten ihm jedoch diese hoch-
gepriesenen Papiere in den Becher des '
Glücke, zu dem sie ihn gcsührt, och ein
paar Tropfen Wcrmuth einträufeln.
Den WcinbergSbesitzer fing nämlich,
seit er sein Geschäft immer mehr und
mehr seinem Schwiegersohn überließ, die
Langeweile zu quälen an, und als er
eines Tages in alten Papiere kramte,
und aus die erblaßten Ossizicrswcchsel
stieß, deren Wcrthlosigkcit ihm einst
Herr Lehman in dringlichster Weise
dargctha hatte, kam cr aus dcn Geda
ke, sich eine Zerstreuung zu mache
und es doch noch einmal zu versuchen,
ob sich aus diese unerledigten Papieren
nicht noch einige Thaler herausschlage
ließen. Er hatte sich die Firma der
Herren Seliger und Rosenthau notirt
und sie nicht verge len. Wen der
ceptaiit der Papiere och am Leben war,
konnte er in den Jahren, die seit der
letzten fruchtlosen Psändung bei ihm
vergangen waren, wieder emporgckom
men sein. Herr Puppkc freute sich wie
ein Kind darauf, seinem Schwiegersohn
in der Kontobegleichung seines verkrache
ten Namensvetters einen Beweis seiner
schneldigkeit zu geben.
Er wandte sich also ganz im Gehei
men, damit man ihn, wenn der Er
folg ausblieb, nicht auSlachcn konnte,
mit seiner Angelegenheit ach Berlin
und schickte den Herren Seliger und
Rosenthau seine Accepte zur Begutach
tung em
Wenige Tage darauf traf von dem
Jnkanobureau eine seltsam versau u
lirte Antwort ein, aus der sich jedoch
das Eine entnehmen ließ: der Accep
tant der nach Berlin eingesandten täy
sel schien in der That wieder zu etwas
gekommen zu sein. Seliger und Ro en
thau verlangten jedoch, wenn es ihnen
gelänge, die Forderung einzutreiben,
eine Provision von fünfzig Prozent vom
Odekt.
Herr Puppke lachte sich in's Fällst
chcn.
Besser als nichts!" dachte er und
übertrug die Angelegenheit den 5)er
linern.
Ein paar Wochen darauf wurde ihm
fiir seinen Schwiegersohn, gerade als
dieser sich auf einer langen Tour befand,
ein gerichtlicher Zahlungsbesehl abge
geben. Herr Puppke las die Zustellung
und gerieth in Wuth.
iSchockbomdenelement! rief er.
Welch eine dumme Verwechslung
Wird mein Sohn von den Schulden
seines Namensvetters bis hierher ver
folgt!"
Er beschloß, seinem Schwiegersohn
die gute Laune, die er so nöthig auf der
Tour brauchte, nicht zu verderben und
ihm von der albernen Verwech clunq.
der er zum Opfer gefallen, lieber gar
nichts zu sagen. Das Gericht machte
er ausmerksam auf den Fehler, den
es begangen, und Seliger und Rosen-
thau forderte er kategorisch auf, den in
der Klage untergclaufenen Irrthum ab-
zustellen.
Seliger und Ro enthau hallen indeß,
sich ihres Rechtes beioußt, seine Zu
schrist einfach "sei acta" gelegt, und
das Gerichtsverfahren nahm seinen Ver-
lauf. Lehmann verlor in Abwesenheit
den Prozeß, und eines Tages trat der
Kerichtsvollzicher mit der vollstreckbaren
Urkunde in Puppke s Bureau
Der alte Mann raste. Was!" ries
er, ist der Irrthum denn nicht von den
Berlinern ausgedeckt morden? Ist der
Termin nicht vom Gericht abbestellt
worden ("
Er protestirte gegen das Urtheil und
fluchte und wetterte gegen Seliger und
Rosenthau. Indeß, wenn er nicht
wollte, daß der Exeki,tor,zum Skandal
der Welt Siegel in seinem Hause an
legte, so mußte er sür seinen Schwieger-
söhn und Compagnon, der sich noch n
mer auf Reisen befand, zahlen wenige
stens unter Vorbehalt zahle.
Und er that dies auch. Er löste die
ausgeklagten Wechsel mit ZinseszinS
und Gerichtskosten ein und streckte eine
Summe vor, die fast die doppelte Höhe
des Wechselbetrages ausmachte.
Sein Schwiegersohn war, als er nach
Hause kam, begreiflicherweise nicht über
das, was während seiner Abwesenheit
geschehen war, erbaut.
Blitz und Hagel!" sagte er er
schreckt. Was focht Dich' nur an.
Papa, diese alten Wische Mieder an das
Tageslicht zu ziehen? Hatte ich Dir
denn nicht klipp und klar gesagt, daß
sie werthloS wie dünnes Bohnenstroh
sind?"
Das sind sie aber nicht mehr,"
meinte Puppke, die Firma Seliger &
Rosenthal, für die Tu früher reistest,
gab mir die Auskunft, daß die Wechsel
feiner geworden sind."
Lehmann kraute sich hinter den Oh
ren. Wetter noch eins! Und nun gabst
Tu den Leuten Vollmacht und die Zu
sicherung einer Provision!"
Von fünfzig Prozent!"
Der Schwiegersohn verdrehte die
Augen und ließ die Finger knacken.
Tas heißt" meinte er. Das
Urtheil lautet auf Zins und Zinses
zins. saft aus das Doppelte des Wech
selbktragks, und die Leute haben die
Hülste davon von Tir zu verlangen!" I
Puppik nickte.
Teponiren mußte ich die ganze
Summe, die aus dem Erkenntniß steht.
Verloren ist jedoch nichts. Tas Gelb
muß uns wieder ausgefolgt werden.
Lehmann starrte eine Weile sprach
IoS in's Leere, dann schien er mit einer
Grimmasse. wie wenn er eine allig bit-!
Kre Pille verschluckle. einen Entschluß i
zu sassen.
Er trat auf seinen Schwiegerpapa
zu. Vater," sagte er zu ihm, hat i
Dich die Sympathie je gereut, die Tu
mir an dem ersten Tage, an dem ich
aus diesen Hof kam. zeigtest?"
Mein Sohn!" stieß der WciubkrgS
besitzer, über die seltsame Zivischensragc
erstaunt, hervor.
Wohlan den, Vater! Nimm ei
Gestäiidiiiß von mir entgegen! Der
arme verkrachte Aceeptant der Wechsel
und Dein Schwiegersohn sind ein und
dieselbe Person."
Ja," snhrer fort, und driickle Herr
Puppke, der mit glotzenden Augen hoch
auf sprang, wieder aus seinen Stuhl.
Ja, Vater, der Windhund von einem
Lieutenant, der Wei trank und Andere
zahlen ließ, war ich. Ich halte noch
mehr Schulden als diese. Seit ich bei
Dir bin. habe ich aber Alles bezahlt.
Als ich Dein Schwiegersohn und Kom
pagnon wurde, hatte kein Mensch mehr
in der Welt einen Heller von mir zu
verlange. Nr die Papiere i Dei
cm Portefeuille waren unbeglichen ge
blieben. Ich hätte so gern auch sie aus
der Welt geschafft. Indeß. Du wirst
meine Scheu begreifen, Geschichten auf
zurührcn, die mir nicht zur Ehre ge
reichen. Laß schlummern, was schlum
niert, sagte ich mir, da ich natürlich
nicht annehmen konnte, daß die unseli
gen Papiere noch einmal an das Tages
licht gezogen werden könnten."
Der Weinbergsbesitzer saß zusammen
gesunken auf feinem Stuhl. Seine
Arme hingen zu beiden Seiten über die
Lehne, und er glotzte und keuchte.
Mensch!" rief er, als er alles ge
hört und begriffen. Die Kerle
Seliger und Rosenthau in Berlin
sind demnach in ihrem Recht, und ich
habe meine eigenen Papiere mit vollem
Betrag an diese Menschen zu zahlen!"
Wenn nur weiter nichts ist," sagte
sein Schwiegersohn. Wenn nur die
unglücklichen Papiere nicht Deine Liebe
und Dein Vertrauen zu mir erschüttern.
Alles andere ist nicht von Belang. Die
Forderung von Seliger und Rosenthau
werde ich begleichen. Mein ist die
Schuld."
Nein," sagte Herr Puppke gerührt,
die Schuld, daß Seliger und Rosen-
thau das Geld schnappen, ist meine, sür
diese Eselei verdiene ich Strafe. Ich
iverde zahlen."
Und ich werde nimmer zugeben, daß
mein Schwiegervater an mir einen
rothen Heller verliert."
Sie stritten noch eine Weile erqcbniß-
los hin und her. Endlich meinte der
alte Weinbergsbesitzer! Wohlan denn,
behalten wir beide unser Geld. Las en
wir das Geschäst für uns zahlen. Das
Geschäst kann es mich. Das Geschäft
hat den Nutzen von Deinen Schulden
gehabt."
Lehmann sah seinen Schwiegervater
fragend an.
Komm mit," fuhr Herr Puppke, der
seinen Blick verstand, fort. Komm
mit in's Komtor und sieh zu, wie ich
den Posten an Seliger und Rosenthau
verbuchen werde."
Der Schwiegersohn folgte ihm. An
seinem Pult stellte er sich an seine Seite.
Er lugte, als er das Kassenbuch auf-
chlug, über seine. Schulter.
Herr Puppke buchte-
An Seliger und Rosenthau.
Als nachträgliches Lehrgeld für
Herrn Friedrich Lehmann."
Dieser unterbrach ihn.
Wie das?" meinte er. Lehrgeld
sur mich"
Gewiß," sagte Herr Puppke. Haft
Du Tir nicht sür das Geld, das heute
Seliger und Rosenthau bekommen, die
Weinzunge, die Tu besitzest, angeschafft?
Wem aber in der BJelt ist diese Zunge
mehr zu statten gekommen, als unserem
Geschäft? Nicht mehr als Recht also,
daß es Dein Lehrgeld bezahlt."
lind noch Eins, sagte er, als er
seine Buchung beendet. Behalten wir
die Lehrqeldgeschichte für uns; auch
Antonie braucht davon nichts zu er-
fahren. Frauen haben für derlei
Dinge manchmal nicht das geringste
Verständniß. Und Acrqcr soll mau sich
ersparen, wo man es kann."
(Hiic auserstandene antike Stadt.
Die Aufdeckung einer merkwürdig
wohlcrhaltencn antiken tadt in Alge-
ricn. welche eine französische Gcsellschast
unternommen hat, verdient die volle
Aufmerksamkeit der gebildeten Welt.
Einem kürzlich veröffentlichten Bericht
Leiters der Ausgrabungen entneh-
men wir folgendes: ngad. im Alter,
thum Tamuqadi genannt, liegt im Te-
partement Eoiistaiitine, nicht weit von
dem alten Lamdcsja. und war das
tandquartier der berühmten dritten
Legion. Kräftiger militärifchcr Schutz
war hier eine Nothwendigkeit, denn es
galt, die unruhigen Berberstämme im
säumt zu halten, die stets bereit waren.
das römische Joch abzuwerfen und plün
dcrnd,und zerstörend in die reichen Ebe
nen de Küstengebietes einzufallen. Tie
von Trajan im Jahre- 100 erbaute
Stadt halte eine Bluthezeit von 4 j Jahr
hunderten durchlebt, als Belisar Nord-
srika eroberte. Tie Siege des bnian-
tinischen Feldkerrn führten zu Thaten,
die an das Versahren der Riiffcn im
Zahre 1812 erinnern, denn die einge
borene maurische Bevölkerung verwüstete
die Felder und zerstörte die Städte, da
mit die Eroberer sich nicht im Lande
scsts'tzkN könnten. Ta ist auch Zbamu
gadi zu Grunde gegangen und hat dann.
unter dem schlämm, den die Siegen
güffe von den Bergen derabfpullcn,
unter dem Sande, den der Siroklo der-
beitrug, länger als 12 Jabrdunderle
verbor.zcn gelegen
Tie wichtigsten der ,
nun wieder an da Licht getretenen
Bauten seien hier kurz erwähnt. Ein
Triumphbogen mit drei Thore, der
mit Säulen und Statuen geschmückt ist,
steht och fast ganz aiifrecht. In,
Tchiiße von schönen Säulenhalle sind
schöne Kauslädcn aneinander gereiht,
d sehr gut eingerichtete öffentliche Ab
orte zeigen, daß auch diese Errungen
schast der Neuzeit schon im Alterthum
bestanden hat. Aus dem Forum steht
eine große Basilika, die (der ursprüng
liche Bestimmung aller Basiliken ent
sprechend) das Gebäude des Handels
gerichts war. Außerdem sieht mu ans
dem Forum Magazine, Hallen sür gc
fettige Zwecke, ein Gefängnis!, eine
Kurie, wo der Kemeiiideralh tagte, einen
Tempel des Sieges und eine sehr große
Zahl Picdcstale, woraus die Bildsäulen
der Kaiser und berühmter Männer gc
standen haben. Das an einem Hügel
angelehnte Theater konnte viertausend
Personen ausnkhinen. Auf dem Kapi
tol steht ein kolossaler Tempel des In
piter, aber seine II Meter hohen Sün
len sind umgestürzt nd bedecken mit
ihren Trommeln den Boden. I den
prächtigen Thermen sind die verschiede
mn Badcräumlichkcitcn vollkommen
wohlerhaltkn, und auf einem sehr merk
würdigen Markt, von dem ein Theil
überdeckt war, stehen noch die steinernen
Tische, auf denen die Waaren zur Schau
ausgelkgt wurden.
Alle Straßen sind sehr gut gepflastert
und zeigen, wie in Pompeji, die Rad
spuren der antiken Wagen. Die Kloa
len, die so tief sind, daß man sie ganz
durchwandern kann, nehmen wieder das
Regenwaffcr auf, welches sich in den
nun freigelegten Straßen ansammelt,
und die alten Brunnen, welche die
Stadt versorgten, sind wieder zur Aus
ahme des Trinkwassers bereit, das die
bevorstehende Erneuerung der römischen
Leitung von Neuem in jene steiuerucn
Behälter fließen lassen wird. Die Pri-
vatbauten nehmen unser Interesse nicht
weniger als die Monumentalbauten in
Anspruch. Dasselbe gilt von den mili-
tärischen Anlagen sowie von Aquäduk
ten, Stadtthoren, Friedhösen und Vor
städten. Alles in Allem ist dies der
erste und einzige Fall, daß die römische
Kunst der Kaiserzeit sich uns in so ge
radezu wunderbarer Vollständigkeit vor
Augen stellt. Natürlich haben' örtliche
afrikanische Einflüsse auf diese Werke
eingewirkt, aber das hindert nicht, daß
wir hier über jene so wichtige Kunst
epoche Ausschlüsse erhalten, die uns das
einer älteren Zeit angchörige und mehr
griechisch geartete Pompeji nicht hat
geben können. So hat der an archäo
logischen Schützen so reiche Boden des
antiken Numidiens ei Studienmaterial
hergegeben, aus den! die Kuiistmissen
schast noch großen Nutzen ziehen wird.
tausendjähriges Jubiläum der
Blutwurst.
Interessant ist die Geschichte dieser
leckeren Speise insofern, als sie Anfangs
ein strenges Verbot hervorrief, das je
doch nicht vermochte, der Blutwurst den
eroberten Platz streitig zu machen. Es
war der morgenländische Kaiser Leo der
Vierte (88(5 bis !11), der im Jahre 8!
folgende Verordnung gegen die Blut
wurst erließ! Wir haben in Erfahrung
gebracht, daß die Menschen so toll ge
worden sind, theils des Gewinnes, theils
der Leckerei willen, Blut in eßbare
Speise zu verwandeln! Es ist uns zu
Ohren gekommen, daß man Blut in
Eingeweide wie in Säcke kinpackt und so
als gewöhnliches Gericht dem Magen
zuschickt. Wir können das nicht länger
dulden und nicht zugeben, daß die Ehre
unseres Staates durch eine so fi cvclhäste
Eifindung blos aus Schlemmerei freß
lustiger Menschen geschändet werde. Wcr
Blut zur Speise umschafft, er mag nun
dergleichen kaufen oder verkaufen, werde
hart gegeißelt und zum Zeichen der Ehr
losigkcit bis auf die Haut geschoren.
Auch die Obrigkeit der Städte sind wir
nicht gesonnen, frei ausgehen zu lassen,
denn hätten sie ihr Amt mit mehr Wach
samkeit gesllhrt, so märe eine solche Un
that nicht begangen worden. Sie sollen
ihre Nachlässigkeit mit lv Pfund Goldes
büßen." Tas wäre also eine amtliche
Nachricht, nach der wir in diesem Jahre
das taufendiährige Jubiläum der Blut
wurst begehen könnten. Toch gab es
im alten Rom ähnliche Gerichte: die von
römischen Wursthändlern hergestellte
Würste waren jedoch mit Gallium"
(Knoblauch) gewürzt. Heute hält aller
ding? wohl Niemand mehr die Staats
ehre durch die Blutwurst gefährdet, und
wenn der bekannte Stuhl mit der weißen
Schürze vor dem Schlachterladen hängt,
zum Zeichen, daß cS frische Blutwurst
giebt, so legt die Waffe der sich einfin
dendcn Käufer genügend Zeugniß für
die Beliebtheit der Blutwurst ab.
fatale ewohndeit.
Jmmanuel Kant hatte im Alter dir
Gewohnheit angenommen, zeitweise laut
zu denken. Eines Abends befand er
sich in einer Gesellschaft, in der es sehr
steif und gezwungen zuging, und der
große (Mehrte, der schon feit längerer
Zeit in tiefes Rachdenlen versunken
war. brach plötzlich in die Worte
aus: Herrgott, ist das hier eine lang
weilige Bande!"
Ein lautes I'ieläebter erscholl, aber
wenigstens war der Ziveck erreicht, denn
die Unterhaltung nahm von nun an
einen regeren Fortgang.
Endlich.
l'ommeizienrath lder soeben
Adklspaleiit kidaltem: .Endlich.
fein
end
lich stamme Ich auch ad!"