Nebraska Staats-Anzeiger. (Lincoln, Nebraska) 1880-1901, January 23, 1896, Image 9

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V
Die alte und die junge Zrau.
Bon Alsred v, Hkdmstjerna,
strou Kann war kaum zweiimdzwan.
zig Iah alt, da sie als glückliche Braut
in da alte Haus mit Bern gevroaicncn
Ziegeldach zu Björkhult einzog.
Diese sorgenfreien und sonnigen Flit
terwochen gingen rasch genug vorüber.
Nicht, als wäre die Liebe geschwunden,
nein die wuchs von Jahr z Jahr.
Lieutenant Sköldberg und seine Frau
kamen sidi mit jedem dahineilenden Tag
näher. Sie sahen nicht, wie ihre Stirn
sich surchte, Gang und Haltung schwerer
wurden, wurden auch nicht gewahr, wie
der Spätherbst seinen Reis aus die
kastanienbraunen Locken legte. In
beider Augen war's heute noch der
unge, schlanke Lieutenant, wie er aus
eines Bruders Hochzeit als Brautsiihrer
eine weibgekleidete Brautjungser, die
er dort zum ersten Mal sah, fröhlich be
grüßte. Als sie dann, dreißig Jahre
später, wie vernichtet am Sarg des
Hauptmanns kniete, fühlte sie recht, wie
jene Brautliebe im Vergleich der aus
dauernden, tiefen Liebe der alten Frau,
ein bloßes Irrlicht, ein aufflammendes
Strohseuer gewesen.
Ja, ihre Liebe war echt gewesen; sie
hatte die Probe bestanden, aber an-
fänglich forderte wohl die Sorge um's
tägliche Brot ihre ganze Thatkraft.
Lieutenant Sköldberg war gar nicht
der vermögende mnae Mann gewesen,
für den ibn Vava ehalten, als er ihm
seine Karin zum Weibe gab. Hoch
war das Zieaeldach auf dem alten
Biörkbult. noch viel höher aber die dar,
auf lastenden Hypotheken. Die Scheu
nen waren voll Getreide, aber es gab
Kaufleute in der Stadt, deren Fort
rungen den Werth der ganzen Ernte
weit überstiegen.
Zu iener Zeit war es, daß die junge,
zarte Braut, deren kleine seidene Schuhe
den alten holprigen Steintrcppen auf
Biörkhult so gar nicht angepaßt n0)w
nen, in wenigen Monaten sich zu d:r
braven, tüchtigen grau kann" nt,
wickelte, wie sie von der ganzen Um,
gegend bewundert und geachtet ward.
Nichts als Mühe und Arbeit vom
Morgen bis an den Abend; die seidenen
Schuhe wurden ganz hoch oben auf dem
Regale im Kleiderschrank ausbewahrt
und die hellen Balllleider orgtaillg in
Tücher eingenäht in die Truhe gelegt.
Immer höher wurden in der Vorraths-
kammer stau aus Ka e autgenapeu,
aber nur wenige derselben verirrten sich
auf den Tisch der err ehalt. Im
Herbst rollte ein Fuder Getreide nach
dem anderen zur Stadt; kurz und knapp
aber waren die bei den Kautleuten zu
begleichenden Rechnungen. Die Mor
gensuppe der Herrschaft wurde aus dem
selben Topf geschöpft, aus dem die des
Gesindes kam und der Herr Licu-
tenant trug einen' Roa von eigenem
Hausaespinst. Frau Karins seine,
weiße Hände waren auf dem Webstuhl
und bei der Hausarbeit allmählich breit
und derb geworden, und mußte der
Lieutenant zum Manöver, dann sah
man Frau Karin bei jeder Witterung
draußen aus dem Feld und den Aeclcrn.
Bei solchem Haushalten wurden dann
die langen Schuldscheine, die immer die
ersten Ersorderungcn an den Ertrag der
Ernte gestellt hatten, kürzer und kürzer;
auch die schwer lastenden Hypotheken
konnten nach und nach gehoben werden.
und nun. beim Tod des alten Haupt
mannS war das Gut schuldenfrei und
überdies ein kleines Kapital erspart
Lieutenant Otto hatte auch eine viel
kostspieligere Erziehung erhalten alS der
alte Papa.
Otto war Frau Karins einziger,
Wären mehrere gesolgt, sie würden nur
im Wege gewesen sein, hätten auch zu
viel Zeit in Anspruch genommen und
die Einlösung der Hypotheken verzögert.
Aber einen mußte sie haben, um ihn an
ihr reiches, warmes, liebevolles Herz zu
nehmen. Mit ihm theilte sie den
Schmerz um Papa, und für ihn konnte
sie nun nach ihre Galten 2 00 leben
und sorgen.
So lebte man auf Björkhult weiter
wie bisher. Papas Zimmer, unten
links neben der Hausthür, wurde
malt und neu tapezirt; das mit Leder
bezogene Sofa war einer Chaiselongue
gewichen und das alte Pult machte
einem Schreibtisch von Wallnuß Platz
Wie zuvor beim Herrn Hauptmann, so
holte sich der Großtnecht jetzt Ordre
vom Lieutenant, und war Uno zum
Manöver, sah Frau Karin nach dem
Rechten und war noch immer, im Man
tel und Ueberschuhen, draußen auf dem
Felde, wie dies nun schon dreißig Jahr
lang ihre Gewohnheit gewesen.
Aber ein Gedanke ließ ihr keine Ruhe
und rsolqte sie fortwährend, inson
dnheit, wenn hier oder dort in der
Nachbarschaft ein Fest gefeiert worden,
odn wenn Otto auf dem Stadthaus-
ball in krokebo. odn junge Leute auf
Bjöhult gewesen. Und kam dieser
Gedanke über sie. dann streifte ein dunk
In Redel Frau Karins Stirn: die Lip
pn wurden hart und geschloffen, und
die alten Augen hingen mit leidenschaft
lichn Liebt an jedem Stuhl in der ge
räumigen Wohnstube und blickten als
dann von der Veranda hinaus über die
Wiesen bis dorthin zur Allee.
Ta kam das, vor dem sie gebebt
hatte, das einzige in der Welt, das die
starke, stolze Frau Karin erzittern
machte:
Vorn in der guten Stube schloß
Otto sie in seine Arme, udcrschüitete
ihr alteZ, liebes, durchfurchtes Gesicht
Der
Jahrgang 16.
mit Küsten und theilte ihr die große
Neuigkeit jubelnd, unzusammenhan
gend und alles durcheinander, in abge
brochenen Sätzen mit.
..Aber Mama, Du freu Dich la gar
nicht! O Gott, ich glaube gar, Du
weinst! Magst Du denn Emilie nicht
leiden?"
Gewiß, Otto, sie ist ein gutes und
liebes Mädchen. Gott segne Euch!
Aber Du wirst begreifen eine so
wichtige Angelegenheit sllr meinen ge-
liebten Jungen und dann all die
alten Erinnerungen an Papas und
mei "
..Ja, theure Mama, das verstehe ich
alles sehr wohl. Aber sonst sreust Tu
Dich doch gewiß sehr über Deines Otto
Glück?"
Freilich. Otto, ich bin so froh!"
Und sie lachie und umarmte ihn;
aber wie hätte er sich wohl verwundert,
wenn ihm gesagt wäre, daß es der
Mutter wie ein Stich durch's Herz gehe,
nun nicht mehr den rften Platz in ihres
Sohnes Herzen zu haben; bald auch
nicht den zweiten den dritten . ..
Sie ging gedankenvoll hinaus und
schaute nach der Allee. Hierauf begab
sie sich in die Wohnstube. Auf dem
Tisch lag ein Dutzend neuer Hand-
tücher, von denen das erste schon K. fc.
gezeichnet war. Zögernd nahm sie die
Scheere aus dem Nähkorb und fing
langsam an, die Buchstaben auszutren
nen. Dieses Dutzend könnte man gleich
zur Seite legen, bis man es für Emilie
Sköldberg zeichne.
Bald wurde die Verlobung gefeiert
und die mnae Braut kam zuin Be uch
Verschiedene Mal hatte sie schon Frau
Karin gesehen und immer ungeheuren
Respekt vor ihr gehabt. Nun wurde es
aber schlimmer. Frau Karin sührte sie
mit großer Umständlichkeit im ganzen
HauS umher, zeigte und beschrieb ihr
alles; hierbei nahm die Stimme all-
mählich lenen kurzen, trockenen Kom
mandoton an, wie er ost solchen Perso
nen, die längere Zeit Leute unter sich
gehabt und vielem vorzustehen haben,
eigen ist.
Die kleine Braut, zart und schlank,
schmiegte sich an Otto an, blickte ihm
fast erschreckt in die Augen, mit einem
zauberhasten hilflosen Lächeln, indem
sie ihm leise zuflüsterte:
O Liebling, was ist Deine Mama
sllr eine ausgezeichnete Dame!
Fra Karin hatte bald bemerkt, daß
sie eS nicht in der rechten Weise ange
fangen; sie zog den schon halb zur Web
stube eingeschobenen Schlüssel wieder
heraus, strich Emiliens Locken aus der
Stirn, küßte sie und sagte freundlich:
Liebchen, ich glaub' Du bist müde, ein
ander Mal sehen wir weiter.
Nach dem Mittag nahmen sie den
Kaffee auf der Veranda. Otto zog seine
Mama an sich, blickte ihr treuherzig in
das liebe Gesicht und sagte:
EinS aber, Mama, versteht sich doch
ganz von selbst "
Und was denn, mein Junge?"
Nun, daß Du hier bleibst und alles
seinen gewohnten Gang geht mit
dem einzigen Unterschied, daß Du von
jetzt ab eine liebe Tochter im Hause
hast."
Fräulein Emilie erröthetc. Sie
sühlte, daß sie auch etwas sagen müsse.
Zögernd begann sie:
Gewiß, liebe Mama, ich ich
wünsche auch "
Frau Karin richtete sich empor.
Danke, mein liebes Kind, aber es
thut nicht gut, die alte und die junge
Frau zusammen, vollends wenn es nicht
wenigstens Mutter und Tochter sind.
Entweder müßtest Du in allem frei und
felbstständig handeln können, und wer
weiß dann 1 ja, fühle Dich nun
nicht gekränkt, mein Kind ja, wer
weiß dann, wie dies der Mutter dann
bisweilen vorkommen würde? oder aber
Tu müßtest Dich zu viel nach mir ria
ten, und eine willenlose, unselbstftan-
dige Frau wünsche ich meinem Otto
nicht. Deshalb kann mein Geld ruhig
auf dem Gut stehen bleiben. Später
bekommst Tu 8 ia doch, Otto.'
Dies war alles so verständig und
überzeugend, ober Frau Karins Stimme
zitterte und Otto ward bleich.
Aber Warna, o hätte ich mir das
nie gedacht ."
Gute, liebe Mama.." flüsterte auch
Fräulein Emilie, aber sie schaute gerade
nicht traurig drein.
Als die Verlobten später allein waren.
schien Otto etwas verstimmt.
Tu bestandst nicht gar sehr aus Ma
mas Bleiben..'
.0 Gott. Otto, wie siehst Tu mich
an! Hatte ich denn Deine Mama betteln
und überreden sollen, hier zu bleiben
und das ganze Leben bind,,, ch Hausfrau
zu sein ?' O Otto, ich sehe, daß Tu sie
mehr liebst als mich ! O, wie bin ich so
unglücklich!'
Tann gab es viel Thränen und lau
u Schluchzen und Bitten um Ver
zeihung. Tann aus der anderen Seite
äonntagsgast.
Beilage zum Nebraska Staats-Slnzeiger.
eidliche Versicherungen, wie ihm nichts
höher stehe als ihr Glück und daß Mama
nicht bleiben werde, wenn sie es nicht
wolle..
Er hatte sie vier Monate gekannt,.
Frau Karin hatte ihn dreißig Jahre
lang angebetet I
Die Sochieitsfeier war vorüber und
die Hochzeitsreise gemacht. Papa und
Mama hatten zu ihrer Zelt nicht Die
Mittel dazu gehabt, eine Hochzeitsreise
zu machen, nun lagen aber diezweiund
dreißig Arbeitsjahre von Frau Karin
dazwischen.
Mama war bis jetzt noch dageblieben
und hatte die ganze Einrichtung sür das
junge Paar hergestellt. Heut aber wollte
sie abreisen.
Drinnen im Schlafzimmer hatte Otto
sich die ganze Nacht unruhig hin und her
geworfen.
Bist Du krank. Liebling?"
Nein, aber es ist so entsetzlich
warm. , .
Dann kehrte sie sich auf die andere
Seite und seufzte tief und schwer, und
un schloß auch er die Augen und der-
suchte weiter zu schlafen ; aber wie im
Halbdunkel sah er ein mildes, trauriges
Gesicht ihm Lebe wohl!' zunickend.
Auch Frau Karin hatte in der vev
gangenen Rächt nicht viel schlasen tön
nen. Mit der Kerze in der Hand war
sie durch alle Zimmer gegangen. toie
zählte noch einmal den Inhalt des Sil
berkastens nach, warf einen Blick in den
Wäscheschrank, band um das neue Da
mastgedeck ein blaues Band und strich
dann, mit magerer, zitternder Hand,
fast liebkosend über die glänzenden,
wohlversehenen, blendend weitzen fta
cher.
Dann hatte sie im Salon das eine
und das andere Bild an der Wand
gerade gerückt, zuletzt begab sie sich
in die Gaststube und überblickte von
hier aus mit thrünenvollcm Blick noch
einmal all' die lieben Räume, ja jede
Wand und ledes Möbel der alten, theu
ren Heimath.
Hieraus setzte sie sich an ihren Schreib-
tl ch und zog em chmaleskchud heraus,
Bergilbte Papiere, Briefe von Papa
mährend der kurzen Berlobungszcit,
Der Brautführerkranz, der ihm über
der Brust hing, als sie ihn zum ersten
Mal ge ehen. Einen Brief von Otto,
als Kadett: Meine theuerste, über alles
geliebte und geschätzte Mama!" Dein
eigener Otto." Ihr eigener! die Sip
pen bewegten sich schmerzlich, Wie
wenig mochte sie wohl jetzt von ihm be-
sitzen!
Nur zwei dünne Wände waren zwi
schen ihnen. Drinnen wand sich Otto
in ängstlicher Sorge, und hier draußen
saß Frau Karin, küßte seinen Bries und
flüsterte seinen Namen und Thränen
verhüllten ihren Blick.
Mit leisem Schritt und stillen Thrä
nen ging die alte, treue Greta durch die
Wohnstube, aber sobald sie Frau Karin
erblickte, brach sie in lautes Weinen
aus.
Was ist denn eigentlich los, Greta?
Uh hu hu.... daß Sie
wegziehen wollen!
Bitte, beruhige Dich Greta und sei
still! Vergiß auch nicht, was ich Dir
gesagt. Sich beizeiten nach dem Ein
gemachten, daß es nicht in's GShren
kommt und dann Du mußt der
lungcn Frau nicht zu viel vorsagen,
wie wir eS bis jetzt gehalten haben.
Dergleichen lieben junge Frauen nicht.
Du weißt ja, wie Fischfarce bereitet
wird, die der junge Herr so gern ißt.
Und gieb gut Achtung auf Lina, der
es noch so sehr an der nöthigen Ord
nung fehlt, und vor Allein sei recht
fügsam und gehorsam; habe die
junge Frau lieb, wie Tu mich,,
und "
Das ist rein unmöglich, u..
hu hu pu hu !"
Sei jetzt still, Greta! Gute Nacht!
ich will mich noch ein wenig hinlegen.
Der Wagen wird um sieben Uhr vor
fahren. Tu könntest noch Johann
sagen, daß er Bjöm und Jngebord vor
spanne. Ich möchte gern noch ein
mal....'
Um halb sieben Uhr war der Früh-
ftückstisch sorgsältig, mit Blumen in
der Mitte und einem schönen Kranz
kuchen hergerichtet. Die junge Frau,
in entzückend feiner Morgentoilette mit
echten Spitzen, servirte selbst. Frau
Karin kann nnr wenig von dem Kuchen
genießen, und auch der Kaffee will
nicht ganz recht munden; aber die
junge Frau hat doch ihr Bestes ge
than. T Wagen fährt vor.
Ach liebe, theure Mama! aber Tu
wirft doch bald Otto und mich besuchen
und dann lange recht lange bei un
bleiben!' sagt die junge Frau, indem
sie ihre Schwiegermutter innig und
zärtlich küßt; daneben aber auch einen
Blick nach Otto wirft, ob er auch be
merkt, wie liebevoll sie gegen seineMut
ter ist. Aber er achtet kaum darauf.
Er ist so blaß, so blaß. Nun schließt
er sie noch einmal in seine Arme und
schluchzt: O Mama, liebste Mama!"
Tönn reist Frau Karin ab. An den
Fenstern des Webstübchens gehts vor
über, wo sie so viele Stunden geschafft
und gearbeitet hat. Vorüber an der
Milchkammer, in welcher sie unablässig
thätig gewesen ist sür den Wohlstand
des Hauses, den nun der junge Herr
auf Björkhult genießen wird; und wei
ter durch die Allee, die der selige Papa
gepflanzt hat; entlang den hohen Bäu
men, unter welchen sie so ost rüstig da
hin geschritten, in Sturm und Regen
bei schlechtem Weg, wenn es galt, auf
Feld und Aeckcrn nach dem Rechten zu
sehen.
Gelbe, wogende Saatfelder nickten
ihr noch zum Abschied zu. Karo springt
dem Wagen nach und laßt sich kaum
durch Johanns drohende Peitsche zurück
halten. Die alte Greta steht am Küchen-
fenstcr und trocknet sich mit einem
Wischtuch die Augen. Der Großknccht,
wie er eben zum Stall herauskommt,
zieht sehr ehrerbietig seine graue Mütze
und nickt seiner bisherigen Herrin einen
letzten Abschiedsgruß zu.
Frau Karin hält sich tapfer bis zum
letzten Heckenthor ihres Grund und Bo
dens, wo vor nun bald zweiunddreißig
Jahren von den Häuslern eine schöne
Ehrenpsorte zum Empsang des neuver
wählten Paares errichtet worden. Hier
ist's aber mit ihrer Selbstbeherrschung
zu Ende, sie sinkt in den Wagen zurück
und vergießt heiße Thränen.
Arme Frau Karin!
Auf der Veranda steht Otto und
winkt mit dem Ta chentuch, noch lange,
nachdem der Wagen aus dem Gesicht
kam. Und auch er weint.
Hinter ihm steht Emilie, sie legt ihren
runden weißen Arm um seinen, von der
Sonne gebräunten Nacken, beugt seinen
Kopf ihrem lieblichen Mund entgegen,
küßt die Thränen von feinen Augen und
malt ihm die Zukunft in den schönsten
und lichtesten Farben vor die Seele.
Tu glückliche, junge Frau! In dem
ungleichen Kamps uin den gemeinschaft
lieben Liebling trägst Du immer den
Sieg davon; aber was alles ein solcher
Sieg für den Besiegten in ich trügt und
mit sich führt, das weißt Du nicht, bis
Dein eigenes Haar ergraut, Deine
Wange erbleicht und er, den Du dreißig
Jahre oder noch länger geliebt. Dich
über jene vergißt, die ihn vielleicht
kaum so viel Tage liebt "
Der schlaue )ean.
Humoreske von W. E a I a i l l a c.
Graf Trollmitz fen. war Wittwer und
auf s Neue verliebt. Gras Trollwitz,
der Jüngere, war ein junger Husaren
lieutenant und zum ersten Male wirklich
verliebt. Das Schlimme war nur, daß
sie beide verliebt waren in ein und die
selbe niedliche Persönlichkeit und das
war die kleine Eomte le Elari e Winter,
stein, das entzückendste Mädel in der
ganzen hohen Aristokratie der Stadt.
Daß die beiden Grafen Trollmitz ihre
Liebe geheimhielten, hatte ganz natür,
liche Ursachen. Gras Trollmitz senior
hatte bereits eine recht ansehnliche
Menge grauer Haare in Bart und
Haupthaar und zu der heftigen Neigung
die sich seiner sür die niedliche Clariffe
bemächtigt hatte, gesellte sich so etwas
wie eine gewiffe Scheu. Gras Hans
Trollwitz aber, der Husar, liebte mit
der ganzen Gluth seiner Empfindungen.
Und Liebe macht schweigsam, das ist
eine alte Geschichte.
Ta kam eines Tages der alte Graf
hinter das Herzensgeheimniß seines
Sohnes. Eines schönen Morgens, als
Graf Hans mit seiner Schwadron drau
ßen auf dem Exerzierplätze war, ging
sein Vater, um ein Buch zu holen, von
dem sie Beide am Abend vorher gespro
chen hatten, in das Zimmer seines
Sohnes. Auf dem Schreibtische aber
sah n einen Bogen Papier liegen, auf
dem einige. Zeilen standen. Er trat
näher und entdeckte ein paar angesan
gene Verse Verse voller Liebesgluth,
und in der Ecke des Blattes den Namen
Elariffe!
Was sollte der alte Gras thun?
Einen Augenblick spürte er eine groß
muthige, edle Regung. Entsagen!
Tann aber wuchs seine Neigung für
das niedliche Eomteßchen so riesenhaft
empor, daß n eine histige Eifersucht
bei dein Gedanken empfand, sie nun
als Schwiegertochter umarmen zu sollen.
Und er deschlo. mit seiner Werbung
nicht länger zu zögern. Tie kleine
Eomteisk war mit Glücksgütern nicht
eben allziireichlich gesegnet. Ihre Per
wandten ivürden ihr sicher rathen, zuzu
greisen, und die Hand des reichbegüter
ten Grasen anzunehmen.
No. 36.
Als der Werbungsbrief des Grafen
couvertirt und mit Clarissens Adreffe
versehen vor ihm lag, da faßte der
Schelm von Eupido noch einmal den
alten Herrn so, daß er die Feder zur
Hand nahm und auf die rechte Ecke des
elfenbeinweißen Couverts noch die
Worte fetzte: O Schatz!' Das war
ein nicht ganz konventioneller Ausfluß
seiner neu verjüngten Gefühle, sie waren
aber auch zugleich eine zarte Andeutung
besten, was in dem Briefe stand. Dann
rief er seinen alten Jean.
Er empfand ein gewisses Schamge
fühl vor seinem alten Diener. Ach
was nur munter und frisch vor
wärts!
Jean diesen Brief sofort an Corn
tesse Clariffe Winterftein "
Weiter kein Wort. Jean war treu.
Der Brief würde also richtig besorgt
werden.
Zu derselben Zeit war aber auch
Graf Hans zu dem Entschlüsse gekom
men, sich Gewißheit zu holen. Und zwar
sofort.
Jean war mit dem Briefe unterwegs.
Auf der Straße betrachtete er die Auf
schrift des Briefes noch einmal.
Oh, oh!" sagte er mißbilligeno, da
hätte ich beinahe eine Inkorrektheit be
gangen. Aber wie der Herr Graf jetzt
auch mit einem Male klein schreibe.
Und die Marke hat er auch vergessen.
Ja, ja, das Alter! das Alter! Aber zum
Glück ist die Post in der Nähe."
Und er bog schnell von seinem Wege
ab und verschwand in einer Nebenstraße.
Der gute Jean sah auf diese Weise nicht,
wie ein Wagen mit einem jungen Hu
saren-Offizier an ihm vorüber und ge
nau in der Richtung nach dem Winter
stein'schen Hause weiter fuhr.
Ich bin leider als gewissenhafter Er
zahl nicht im Stande, dem geneigten
Leser mitzutheilen, was in der Wohnung
der Wintersteins in der nächsten halben
Stunde vorging. Ich weiß nur, daß
Hans dort zum Dejeuneur blieb und
daß eine Stunde später der Wagen mit
Hans und Clariffe zum gräflichen Pa
lais zurückfuhr. Und daß Hans und
Clariffe äußerst glückstrahlende Mienen
machten, kann ich zur Beruhigung ir
gend einer allzu nervösen Leserin gleich
falls hinzufügen.
Die Dinerstunde nahte heran. Gras
Trollmitz, der Aeltere, saß im Garten
und hatte ein Buch in den Händen, um
sich die Zeit zu vertreiben. Aber er hatte
keine Ruhe. Da schallten Schritte auf
dem Kies. Der alte Graf sah auf und
wurde blaß. Er erblickte die kleine
Comtesse und an ihrer Seite seinen
Sohn. Eine Glücksempsindunq durch
bebte den alten Grasen. Kam sie selbst
aus seinen Bries? Und sich erhebend,
trat er lächelnd den Beiden entgegen.
Comteßchen warf sich in seine Arme
und wahrhaftig! sie küßte ihn. Und
dann Himmel! Ihm war, als krach
ten sämmtliche Himmelsgewölbe dort
oben zusammen dann sagte sie schall
haft: Also darf ich Sie B a t e r nennen?
Darf ich Ihnen in Zukunft eine liebende
und gehorsame Tochter sein ?
Das Gesicht, das Trollwitz sen. in
diesem Augenblick machte, war ganz ge
miß kein gräfliches. Es sah unglaublich
dumm aus. Und so beeilte sich denn
Gras HanS, um die peinliche Pause,
die einzutreten drohte, auszufüllen, zu
sagen :
Clariffe und ich wir haben uns
vor einer Stunde verlobt und bitten um
Deinen Segen, lieber Vater!"
Mühsam ermannte sich der alte Graf
und umarmte mit einem nur schlecht be
kämpften bitteren Gefühle die jungen
Leute. Dann aber, so bald es die
chicklichkeit erlaubte, ging er zu seinem
Lieblingsplatz im Garten zurück und rief
Jean.
Der kam, devot wie immer.
Tu haft doch meinen Brief be,
sorgt?"
Gewiß. Herr Graf."
Haft Du ihn dem Comteßchen per
sönlich gegeben?"
Nein stotterte Jean
der Herr Graf haben vergessen, eine
Marke
Eine Marke?' Ein unheilvoller
Gedanke stieg in dem Grafen auf.
Ja er war nicht s r a n i i r t.'
Nicht frankirt ?"
Ja aber es stand doch darauf
0 schätz" und ich glaubte daher,
die Comtkffe sei zu ihren Verwandten in
Sachsen gereift "
Ter Gras sah Jean nur mit einem
Blicke n, der das ganze Brehm'sche
Thierleben als Vorwurf enthielt.
Aber er schwieg. ES hatte nicht sollen
sein!'
Ja, Cupid ist ein seltsamer Ge
selle! Um seine Pläne sich nicht ver
derben zu lassen, laßt er oft Grasen
eine kleine Tummbeit und Kammer-
diener ungeheure Schlauheiten begehen!'
Zur eschichte er Über.
Wo diese? heute unentbehrliche t
räth zuerst in Anwendung kam, scheint
noch unbekannt z sein; dagegen stellen
venetianische Blätter fest, daß nunmehr
900 Jahre verflossen sind, seit da In
slrument seinen Einzug in das europäl
sche Abendland hielt. Im Herbste des
Jahres 995 vermählte sich ein Sohn d
Dogen Pietro Orseolo mit der byzanti
Nischen Prllizejsin Argila, einer Schwe
ster des oströmischen Kaisers. Während
man bis dahin in Venedig die Speisen
mit den Fingern zum Munde geführt
hatte, bediente sich die Prinzessin Argila
zu diesem Zwecke einer zweizinligen G
bel und eines goldenen Löffels. Der
Löffel war für die Benelianer nichts
Neues, wohl aber die Gabel. Die Vene
tianischen Damen beeilten sich, eS d
Byzantinerin gleich zu thun, und wenn
ihnen auch die Handhabung der Gabel
recht schwer siel, so bürgerte sich dn
neue Brauch doch nach und nach in den
vornehmen venetianischen Familien ei.
Freilich sehlte es nicht an Tadtern
und Spöttern, die den Gebrauch der
Gabel als einen schädlichen und lächer
lichen Auswuchs der venetianischen Ueber
feinerung tadelten. Es währte diele
Jahrhunderte, ehe die Gabel von Vene
dig aus ihren Weg in das übrige Jta
lien fand. Erst im Zeitalter der Re
naiffance, etwa vom Jahre 1360 ab.
wurde das Effen mit der Gabel in Flo
renz und in anderen italienischen Städ
ten Brauch. Wann sich die Gabel in
Deutschland eingebürgert hat, vermögen
wir nicht zu sagen. In Frankreich wird
sie zum ersten Male im Jahre 1ii7S, in
einem Verzeichniß des königlichen Sil
berzeuges, erwähnt. Mode wurde aber
das Effen mit der Gabel in Frankreich
erst um das Jahr 1550. Nach England
brachte sie der Reisende Corgate direkt
aus Venedig im Jahre 1!08. In all
gemeineren Gebrauch kam sie hier aber
erst gegen Ende des 17. Jahrhunderts.
Heute bedient man sich der Gabel fast
auf der gesummten civilisirten Erde.
Nur in einzelnen Theilen Spaniens
und im Innern Rußlands ist sie noch
unbekannt.
in historisch gewordenes Geschütz
hat die baierifche Artillerie aufzumeisen.
Dasselbe fiel vor 25 Jahren in die Hände
des Feindes, wurde aber von den brave
Baiern wieder zurückerobert. Es war i
dem Gefecht bei Billepion am 1. Dezem
ber, als bei dem Vormarsch aus die
feindliche Uebermacht plötzlich der Ruf
ertönte: Das sechste Geschütz fehlt!'
Und so war es in der That. Eine Gra
nate hatte die Bespannung zerrissen,
das Geschütz war stehen geblieben, und
sranzöfische Infanteristen eilten heran,
die seltene Kriegsbeute in Besitz zu neh
men. Den Akt der Zurückeroberung
der Kanone schildert Hauptmann Ta
nera in seinen Kriegserinnerungen in
folgender dramatischer Form : Die
Oberlieutenants Harrach und ArnM.
vom I I. Regiment haben kaum die Ei
tuation überblickt, als sie ihre Mann
schaften anfeuern: Auf sechste Kom
pagnie! Auf, siebente Kompagnie!
Werdet doch den Rothhosen keine baieri
sche Kanone lassen! Drauf! Hmrah!"
Das Geschütz liegt vor der Front zwischen
beiden feuerspeienden Linien. Todt
liegen die Fahrkanoniere und die Pferde
um ihre Kanone. Als dies der Brtille
rieoberlieutenant Freiherr von Stengel
bemerkte, raffte er einige Infanteristen
zusammen, bringt sie wirllsch an das
verlorene Geschütz vor, überläßt es einst
weilen ihrem Schutze, eilt dann zurück,
holt eine bespannte Protze, kommt mit
derselben wieder vor. laßt aufprotzen,
und fährt im Schritt mit der viel um
strittcnen Kanone zurück. Mit dem
Kühnen ist das Glück, Baron v. ten
gel kam ungefährdet mit dem geretteten
Geschütz zur Batterie. Kann man es
dem Chef derselben verdenken, daß ihm
Freudenthränen über die Wettergebraun
ten Wangen liefen, als er dem Ober
lieutenant für seine That dankte ?'
I armes Minsch!
Als der Tag der Volkszählung i
Deutschland anbrach, machte sich, so
wird aus Stade berichtet, auch ein altes
Mütterchen aus dem Torfe H. auf. um
nach dem Orte zu ziehen, wo ihre Wiege
stand, auf daß sie sich zählen ließe, wir
kie in der Bibel gelesen hatte von d
Zeit, da Herodts Landpfleger war.
Unterwegs begegnete ihr ein Postbote
und fragte: Moder, wohen wöt Q
denn? ett is hüt doch Zahlung, da mit
Se doch to Hus bliewen.' Mütterchen:
M. nä, dat geit nich, in de Bibel fteit
doch: Ein Jeder soll an seinem Orte ge
schätzet werden. Und mit denn Ort is
doch de Geburtsort meent, uns ohle
Scholmefter hatt uns dat so liehrt.'
Sprach's.und ging weiter. Nach emi
gen Stunden erreichte die Alte glücklich
das liebe Baterhaus und artete nun
der Tinge, die da kommen sollten. Ab
wer nicht kam, das war der Zähler, n
hatte sein Geschäst schon am Morgen
abgemacht. Tie Alte vernahm dies
thränenden Auges und meinte: Watt
soll ick armes Minsch nu ansangen, wat
ward de Kaiser denken, wenn hei von
mi hört!'
Der lit mM.
Gattin: Bevor wir verheiratbet
waren, versprachst Tu mir. ich sollte
auf Rosen wandeln, und jetzt muß ich
sogar die Nacht hindurch Slrümpje
stopfen.'
alte: Ja aber liebes Kind, Tu
kannst doch nicht barfuß aus Rosen
wandeln!"