Nebraska Staats-Anzeiger. (Lincoln, Nebraska) 1880-1901, January 23, 1896, Image 10

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    Gureck.
eint Dorsgeschichik doii B, ?otoni).
anno Nokowsla. die Tochter des
Gmkindevorstel,crs. galt mit Recht für
das schönste Müdchen ,n Wetter, i'iit
ihren schwarzen, brennenden Augen, der
dunklen Hautsarbe und den kirschrothen
Lippen, zwischen denen zwei Reihen ta
delloser Zähne schimmerten, glich sie
einer Zigeunerin. Wenn sie Sonntags
farbige Bänder in das prächtige Haar
flocht und aus den Tanzvoocn ging,
da gab es ein förmliches Gedränge.
Jeder wollte zuerst mit ihr durch den
Saal fliegen und wem die Gunst zu
Theil wurde, der mußte mit gesundem
them ausgerüstet sein, denn Hanna
tanzte mit einer an Raserei grenzenden
Leidenschaftlichkeit, und dabei wiegte sie
sich hin und her wie eine Schlange.
Niemand wußte das besser, als der
Kranz Gureck. Der hätte sein Leben
Angeben mögen für die Hanna, und
einem gestattet, ihr nahe zu kommen.
Sie konnte ihn auch gut leiden. Er
war groß und schlank und seine blauen,
blitzenden Augen redeten eine Sprache,
die ihr das Blut siedend durch die Adern
jagte. Schade nur, daß der Franz
außer einem kleinen verschuldeten Gilt
chen nichts besaß und auch nichts zu er
warten hatte. Außerdem fehlte es ihm
und das war das Schlimmste an dem
rechten Eifer sür die Landwirthschaft.
Beständig war er überhaupt nur in der
Liebe zu der Tochter des Gemeinden
fteher Nokowsla.
Dieser dachte aber gar nicht daran,
ihm die vielumworbene Schönheit zur
Frau zu geben. Diese durfte, seiner
Ansicht nach, schon höhere Ansprüche
machen, und als eines Tages ein wohl
habender Freier, der Oekonom Anton
Hansen, kam, meinte er: dies sei ge
rade der Schwiegersohn, den er sich
wünsche.
Hanna machte allerdings Einwen
düngen. Sie hätte schon lieber den
jungen, hübschen, feurigen Franz gc
nommen, als den mindestens fünfzig
jährigen, kahlköpsigen Hansen, aber
taub blieb sie für das eifrige Zureden
4x8 Vaters auch nicht. Sie verstand es
recht wohl, die Vermögensverhaltniffe
der beiden Bewerber gegen einander ab
jumägen und nachdem sie sich einige
Wochen gesträubt hatte, gab sie nach
und duldete, daß der reiche Oekonom
ihr den Verlobungsring an den Finger
schob.
Franz Gureck gerieth in unbeschreib-
liche Wuth und Verzweiflung. Hätte
hm Hanna bei einer letzten Zusammen
kunft nicht unter Thränen geschworen,
daß sie nur gezwungen gehorche, so
würde er vielleicht ihrem und seinem
Leben ein Ende gemacht haben; so aber
und weil er einsah, daß Nokowska's
Einwilligung doch nie und nimmermehr
zu erlangen gewesen wäre wollte er
wenigstens nicht zum Ge Pötte der Bau
ern werden. Er verbarg seine Schmerz
und Grimm, so gut es eben ging, und
an dem Tage, wo im Saal des Gast-
Hofes Zum grünen ikranz" die Hochzeit
dgehalten wurde, saß er mit mehreren
seiner Freunde in der Gaststube unten,
trank und sang und trug eine Fröhlich
teil zur Schau, die allerdings zu wild
und lärmend war, um natürlich zu
scheinen.
Als der Morgen anbrach, folgte
Hanna dem Gatten nach seiner, einige
Stunden von Weiler entfernten Be
sitzung. So war sie Franz aus den
Augen gekommen, aber dieser konnte die
Geliebte nicht vergessen.
Mit einem Eiser, der ihm früher
fremd gewesen, fing er nun an, sich sei
nem kleinen, vernachlässigten Gute zu
widmen, aber Freude hatte er niijjt
daran und so recht gedeihen wollte die
Wirthschaft auch nicht.
Du solltest Dir eine tüchtige Frau
nehmen, die Ordnung zu schaffen weife,"
meinte mancher von seinen Bekannten;
davon wollte jedoch Franz Gureck nichts
wissen, obschon er selbst einsah, daß sie
echt halten. Erst als drei Jahre vor
über gezogen waren, entschloß er sich,
dem stets von Neuem wiederholten Rath
zu folgen und wählte ein Mädchen, das
etwas Vermögen befaß und ihm schon
lange von Herzen gut war.
Hübsch konnte man die Nanni Pa
scheck eigentlich nicht nennen, so meinte
wenigstens Franz, denn mit der be
strickenden Hanna hatte sie gar keine
Aehnlichkeit, aber eine bescheidene, an
spruchslose Lieblichkeit nur ihr doch
verliehen. Dem Gureck genügte es,
daß er ein fleißiges, wirthschaftliches
Weib hatte, welches von früh bis Abends
im Hause schaffte und Immer die gleiche
Freundlichkeit und Nachgiebigkeit zeigte.
Ranni war stets darauf bedacht.
ihrem Manne das Leben angenehm zu
machen; sie widersprach niemals und
ging ihm still aus dem Wege, sobald er
destig wurde und Streit suchte. Damit
that sie freilich einen großen Fehlgriff,
denn eZ würd dem Franz viel deffer ge
fallen haben, wenn sie ihm recht schnei
big gekommen wäre; so zuckte r ver
ichtlich die Achseln und dachte: Sie ist
dumm und pflegmatisch und muß froh
sein, daß ich sie überhaupt genommen
habe.'
Er täuschte sich. Nauni war weder
einsaitig noch gleichgiltlg, nur schüchtern
nd schweigsam.
Nach einem Jahre beschenkte sieden
Gureck mit einer Tochter, die Lena ge
nannt wurde, und nun schien sich ihr
Ansehen auf dem Haidehof, wie das
Gütchen hieß, doch etwas zu heben und
zu festigen. Schon um der leinen
willen arbeitete und wirthschaftete sie
mit doppeltem Eifer. Die Schulden
konnten nach und nach abbezahlt werden
und Franz mußte zugeben, daß sie in
jeder Beziehung eine tüchtige Frau sei.
Zuweilen ließ er sich jetzt auch herab,
eine Stunde mit ihr zu verplaudern,
oder ihren Rath einzuholen, wenn ge
kauft oder verkauft werben sollte. Die
bescheidene Nanni war mit diesen spär
lichm Brosamen seiner Gunst zufrieden
und wennn sie bisher das Glück nicht
kennen gelernt hatte, so war doch auch
das Unheil fern geblieben. Zudem
konnte sie ja auch ihre Zärtlichkeit auf
Lena übertragen, die, als sie drei Jahre
zählte, mit den goldenen Locken und ro
sigcn Wangen wie ein Wachspiippchen
aussah und mit ihrem ganzen kleinen
Herzen an der Mutter hing.
Eines Tages verbreitete sich die Nach
richt, der Oekonom Hansen, der Hanna
Nokowsla geheiratbet hatte, sei plötzlich
gestorben. Franz Gureck saß eben beim
Abendbrod, als die Ncagd es erzählte.
Jeder Tropfen Blutes wich aus seinem
Gesicht und die alte Heftigkeit kam wie-
der zum Durchbruch. Er schlug schwer
mit der Faust aus den 1ä), daß Gla
ser und Schüsseln klirrten, sprang auf
und stürzte aus der Stube.
Lena brach vor Schreck in lautes Ge-
schrei aus. Die Mutter nahm sie aus
den Arm, trug sie in das stille Kämmer
chen, vor deffen Fenster ein Apfeldaum
seine mit Früchten beladenen Aeste aus
breitete und erzählte mit seltsam mono
toner Stimme allerlei schöne Geschichten,
von den guten Engeln, die bei den klei
i'.en Kindern Wache halten und im
Traum mit ihnen spielen. Immer noch
leise schluchzend, schlies die Kleine end
lich ein, während die Thränen wie Per
lcn an den geschlossenen Wimpern hin
gen. Da sank Nanni neben dem Bett
chen auf die Kniee und sandte ein recht
inbrünstiges Gebet zum Himmel.
Eine Woche zog vorüber, ohne da
zwischen den Eheteuten des Vorfalles
erwähnt wurde, aber der Franz ging
mit finsterer Stirne umher, hatte auf
jedes freundliche Wort nur eine rauhe
Erwiderung und war stets so gereizt,
daß Knecht und Magd ihm scheu aus
wichen. Er wird'S verwinden, 's ist ja nun
doch nicht mehr zu ändern," tröstete sich
Nanni und that ihre Pflicht mit gleichein
Eiser wie sonst.
Den Gureck litt es aber kaum mehr
in seinen vier Wänden. Bis spät in
die Nacht saß er im Wirthshaus, und
wenn es Tag wurde, wanderte er auf's
Feld hinaus. Seinem Weib und Kind
mochte er nicht mehr nahe sein. Es
wahr ihm, als könnten sie die düsteren
Gedanken errathen, die durch seinen
Kopf jagten.
Als er einsam herumstreifte, kam
eines Morgens auf dem Wege, der nach
dem Torfe führte, ein leichtes Korb
Wägelchen gefahren. Auf dem Kutscher-
bock saß ein junger Bursche und hatte
iltllhe, den lebhaften Rappen zurückzu
halten. Franz blickte kaum danach hin
blieb aber plötzlich wie angewurzelt
stehen, als er seinen Namen rufen hörte.
Halten, Joseph!" gebot dieselbe
Stimme und ehe Gureck noch Zeit fand,
sich zu sammeln, stand Hanna, einen
ungefähr siebenjährigen Knaben an der
Hand, vor ihm.
Acht liauxt lang hatte er ste nun
nicht mehr gesehen, aber sie war nur
noch reizender geworden. Der Blick
dieser dunklen Augen brannte ihm bis
in die Seele hinein. Er mußte sich
Gewalt anthun, daß er das üppigschöne
Weib nicht in seine Arme riß. Ja, ihre
langen schwarzen Zöpfe hätte er nehmen.
um seinen Hals winden und sich damit
erdrosseln mögen, wenn er dachte, daß
sie nun doch nicht mehr sein werden
konnte, weil zu Hause die langweilige,
phlegmatische Nanni auf ihn wartete.
Franz , sagte Hanna und ihre tiefe.
weiche Stimme klang wie Orgelton,
wir wollen ein Stück in den Wald
hinein geh'. Sind ja alte Freunde,
die sich viel zu erzählen haben."
Er antwortete nicht, faßte aber ihre
Hand und drückte sie, daß die Frau leise
aufstöhnte und dann lachend sragte:
Bist imr er noch so wild und ungestüm
wie früher?" Dabei sah sie ihn an,
daß es wie eine Flamme zu ihm herüber
zuckte.
Der Knabe sprang voraus und pflückte
Blumen.
Da gingen sie wieder nebeneinander
her, wie ehemals.
Was soll denn letzt werden?" fragte
Gureck endlich fast heiser.
Ich will einstweilen beim Vater blel-
ben." sagte sie. Später muß ich zu
rück, denn das Gut soll nicht verkauft
werden, wenigstens so lange nicht, bis
der Fritz erwachsen ist. Ich versteh'
freilich wenig von der Wirthschaft
hab mich nie groß darum gckum
wert "
WaS soll denn dann geschehen?"
wiederholte Franz, seinen Blick in den
ihren bohrend.
Was weiß ich?" erwiderte sie. Der
Hansen hat mir alle Last abgenommen.
Ob ich jetzt allein mit den Leuten
fertig werden kann "
Da wirft wohl am Ende gar zum
zweiten Mal heirathen müssen ?" klang
eS dicht an ihrem Ohr.
Sie zuckte gleichmüthig die vollen
Schultern. TaS steht im weiten Feld.
Bin ja rft Wittwe worden. Daß
später wieder in Mann auf den Hos
muß. ist schon möglich. Allein weiß
ich'S nicht zu richten.'
Tag' das noch einmal und ich
dring Tich um!" knirschte Gureck.
WaS geht'S Tich an?" fragte sie!
laut auflachend. Bist e!wa nicht selber
verheirathet?"
Er stöhnte und preßte die geballten
Hände an die Schläfen, hinter denen es
pochte und hämmerte, als sollten die
Adern springen.
Geh, laß' die Dummheiten! Was
vorbei ist, ist vorbei," sagte Hanna,
nahm ein paar Blume, die ihr Fritz
di achte, und steckte sie an die Brust,
Wenn's Dir so sehr um mich zu thu
war, hättest warten sollen. Ein Mann
kann alleweil' allein mit dem DienstvoN
fertig werden eine Frau nicht.
Nun könnt Vieles anders kommen
aber die Nanni sitzt auf dem Haidehof.
Da ist nichts mehr zu mache. Gute
Freunde wollen wir bleiben und im
Uebrigen jedes seinen eigenen Weg
gehen."
Hanna!" preßte er hervor. Jetzt,
wo ich Dich wicderseh', mein' ich, Du
mußt mir gehören und wen die Welt
d'rüber zu Grunde geht!"
Ach geh! Hör' auf!" spottete sie.
Die Welt bleibt stehen und mit uns
kann's nichts werden. Adieu!"
Er streckte die Arme nach ihr aus, aber
sie schlüpfte wie eine Eidechse durch das
Land auf die Straße und sprang, ehe
er sie erreichen konnte, in den Wagen.
Der kleine Fritz kletterte auf den Rücksitz
und das leichte Gefährt rollte von
bannen.
Wie versteinert stand Franz immer
noch an derselben Stelle. Hanna blickte
zurück und wehte grüßend mit dem
weißen Tuche.
Die schöne Wittwe wohnte einstweilen
bei ihrem Vater und die Dorfbewohner
bekamen bald allerlei zu reden. Man
sah sie öfter mit Franz Glrcck sprechen.
Man wollte auch wissen, er behandle
seine Frau jetzt mit unglaublicher Roh
heit und die rothgcweinten Augen der
Nanni widersprachen diesen Gerüchte
nicht.
Mehrmals ' raffte sie ihren ganzen
Muth zusammen und ersuchte den irre
geleiteten Manne Vorstellungen zu
machen. Das reizte ihn auf das
Aeußerste und er ließ sich zu Thätlich
leiten hinreißen. Ja, einstmals be
drohte er seine Gattin in einer Weise,
daß sie von Entsetzen ergriffen aus dem
Hause floh und in eine Bauernhlltte
Zuflucht suchte. Aber als der Morgen
graute, kehrte sie, trotz aller Warnün
gen, wieder auf den Haidehof zurück.
Und wenn's mein Tod ist ich
muß hin, denn Lena ist dort und ich
will dem Kinde seinen Vater' erhalten,"
erwiderte sie.
Aber ähnliche Scenen wiederholten
sich und das ganze Dorf nahm ein Aer-
gerniß daran, so daß der Gcmeindevor
fteher Nokowsla sich endlich veranlaßt
sah einzuschreiten, um dem Gerede ein
Ende zu machen. Er bedeutete seiner
Tochter, daß sie gut thun würde, den
Ort zu verlassen. Hanna stand eben
vor dem Spiegel und flocht ihr blau-
qwarzes ,paar.
Brauchst mir gar nicht zuzureden.
Vater." sagte sie, sich wohlgefällig be
trachtend. Die Geschichte mit dem
Franz langweilt mich ohnedem schon.
Das ewige Anstarren und Nachlausen
hab' ich satt. Ich geh' lieber heut' wie
morgen."
Tann eilte sie. ein luftige Liebchen
trällernd, aus dem Zimmer, machte sich
reisefertig und bald darauf rollte der
kleine Wagen der Landstraße entlang.
Die plötzliche Abreise Derjenigen, die
er bis zum Wahnsinn liebte, war ein
furchtbarer Schlag für Gureck und raubte
ihm den Rest von Vernunft und Ueber-
legung. Tagelang ging er umher wie
ein Sinnloser und endlich konnte er der
Skdn,ucht nicht langer gebieten undjlchlicy sie ins Dorf und meldete, daß
folgte der Entflohenen nach. Wieder
finden mußte und wollte er sie um jeden
Preis. Als er aber auf ihrem Gute
ankam und sie zu sprechen verlangte,
wurde ihm der Bescheid, die Frau sei
krank, und er könne sie nicht sehen.
Franz bestand jedoch auf seinem Wil
len und endlich erschien Hanna auch
wirklich, blickte aber so kalt und fremd,
daß es ihn wie Eis durchrieselte. Die
Reise hättest Dir sparen können. Alles
auf der Welt muß einmal ein Ende
nehmen und mit uns Zwei ist's aus."
sagte sie.
Hanna!" schrie er drohend auf und
seine ganze wilde Leidenschaftlichkeit lag
in dem einen Worte.
Halt mich doch nicht für die Nanni."
spottete sie. So leicht wie die.
kannst mich nicht erschrecken. Was
soll S denn überhaupt, daß Tu mir
nachläufst wie ein Besessener? Früher
hab' ich Dich gern gehabt, aber auch ge
meint. Tu wärst ein ganz anderer, als
wie sich S später 'rauSftellte. Jetzt bleib'
bei Tnem Weibe und laß mich in
Ruh'!"
Tie Thüre flog hinter ihr zu und
Gureck entfernte sich bleich vor Wuth
und Scham. Aber schon unterwegs be
gann er sich einzureden: die Hanna habe
nur so gesprochen, weil sie eisersüchtig
sei und eS nicht ertragen könne, ine an
dere Frau an seiner Seite zu sehen.
Nanni hatte mit unbeschreiblicher
Angst auf ihn gewartet. Als er nun
in' HauS trat, eilte sie ihm entgegen
und bat ihn mit warme, innigen
Worten,
r ttiAx in fr hnAi ttitjKr
ihr
und dem Kind zuwenden. Sie,
ti MIVUl. iiu .vti Virus ivitvi
wolle gern AlleS vergeben und vergessen.
Er stieß sie jedoch von sich
I ne ikdoq von t3) und sag i
zornig: Geh mir au; den uqen, oder '
S nimmt ein schlechtes Ende!"
TagS darauf gingen die Leute früh ;
fort, um zu mähen. M war einsam j
auf dem Haidehose. Später wurde I
anni tarraiifch, Sie. die fon& stets
rastlos Thätige, hatte nichts vorbereitet ,
und nirgends Hand angelegt. Aus der
Schlaflammer tönte das laute Weinen
Lena s, die es nicht gewohnt war, allein
zu bleiben
Man rief, fragte, suchte im Dors nach
der Berschmundenen Niemand wußt,
etwa? von ihr. Jeder Winkel des
Haufes wurde durchforscht, allein ter
gebens. Einer der Knechte machte
endlich aus den Brunnen, hinter dem
Gehöfte, aufmerksam. Dort stand ein
halbgefüllter Eimer ünd das Seil des
Schopskrahns war abgerissen. Die
Untersuchung des Brunnens gab
trauriges Resultat. Man entdeckte die
Leiche Nanni's auf dem Grunde Kessel
den
Wie die Verhältnisse lagen, glaubte
Niemand, daß die Iran selbst ihrem
Leben ein Ende gemacht habe, oder ver
ung'IUckt sei. Franz wurde unter dem
Verdacht des Gattenmordes verhaftet
und dem reisgenchte tot eige
liefert. Die Gerichtsärzte konnten in
deß an dem Körper der Todten keine
Spuren einer geleisteten Gegenweh
finden. Einige blaue Flecke konnlen
von dem Aussallen an die Brunnen
wände herrühren. Hingegen lauteten
die Zeugenaussagen äußerst ungünstig
Allgemein sah man einer Verurtheilung
Eurea s entgegen; allein der ertyeidi
ger desselben wies in schwungvoller Rede
die Lücken der Anklage nach und hob
hervor, daß dem Gutachten der Aerzte
zufolge Niemand mit Bestimmtheit
be
Häupten könne, es wäre hier wirklich ein
Verbrechen begangen worden. Ob es
sich um einen Mord oder nur um einen
llnsall handle, werde movl immer un
aufgellärt bleiben. Der Angeklagte
bestreue ikde Schuld. Die Familien
zwistigkeiten könnten ja die Frau sehr
wohl zu dem verzweifelte Entschlüsse
gebracht haben, sich selbst zu todten
Jedenfalls sei aber eine verbrecherische
That nicht erwie en
Nach fast dreistündiger Berathung
wurde Gureck wegen Mangel an Bcwei
sen freigesprochen. Für unschuldig hielt
ihn ja freilich Niemand und er führte
fortan ein elendes Leben.
Jahre vergingen. Nokowska starb
und ein anderer Gemeindevorsteher trat
an seine stelle. Die Lena wuchs zu
einem schönen Mädchen heran, das die
regelmäßigen Züge des Vaters und die
sanfte Lieblichkeit der Mutter geerbt
hatte. Mit ihrem goldblonden Haa
glich sie einem zur Erde herabgcstiegenen
Engel. Aber die Vergangenheit warf
auch aus ihr junges, unschuldiges Da
sein düstere Schatten. Wo sie sich sehen
ließ, da hieß es: Da kommt die Tochter
des Mörders!"
Sie hörte oft dergleichen Aeußerungen
und weinte heimlich darüber, aber daß
der Vater wirklich so schlecht sei, glaubte
sie nun und nimmermehr, wenn er auch
barsch und finster war und ihre treue
Sorge wenig lohnte.
Da trat der Tod an den schon lange
Kränkelnden heran, und als en fort
eilen wollte, einen Priester zu holen
rief der sterbende Mann sie an sein
Lager und vertraute ihr ein furchtbares
Geheimniß an, unter dessen Last fte fast
zusammenbrach. Er gestand der Zit
terndcn seine wahnsinnige riebe zu
Hanna und daß er die ahnungslose
Nanni, als sie eben Wasser schöpfte, mit
einem kräftigen Stoße in den Brunnen
geschleudert habe. Das Seil, an wcl
chcs sie sich geklammert habe, sei zerrissen
de Hannah Hansen, die mich um
den Verstand gebracht und dann ver-
höhnt hat, ist an Allem schuld!"
Das waren seine letzten Worte. Re
gungslos. als wäre sie selbst todt, der-
harrte Lena bis zum Morgen; dann
der Pater gestorben fei. Als er zur
Ruhe bestattet wurde, folgte sie allein
dem schmucklosen Sarge und warf sich
dann zu einem hetzen Gebet an dem
Grabe der Mutter nieder.
Das Gütchen mußte nun verkauft
werden, um die vorhandenen Schulden
wenigstens theilweise zu decken. Das
verwaiste Vcädchen fand als Magd in
dem Hause eines Gärtners Ausnahme,
Häufig jam sie an der Försterei vor
über, die wohl über eine Stunde von
Weiler entfernt im Walde lag, und
hatte mehrmals schon bei dieser Gelegen-
heit einen hübschen Jägerburschcn mit
feinem Gesicht und duntlem Haar ge
sehen, aus dessen schwarzen Auge,
wenn sie den lyrigen begegneten, eine
Gluth brach, daß sie über und über er-
röthete. Sie sreute sich aber doch ledcs
mal seines freundlichen GrußeS und es
wurde ihr dabei so weich und wohl um
das vereinsamte Herz, als hätte ein war
mcr, heller Sonnenstrahl den Weg hin
ein gefunden.
Zuweilen schritt der Fritz, wie sie ihn
rusen gehört, mit der Büchse über der
Schulter auch eine Strecke neben der
Einsamen her und sprach mit ihr; aber
er sagte nichts, was ein ehrsames Mäd
chen in Verlegenheit gebracht hätte.
Tie Unterhaltung drehte sich überhaupt
nur um alltägliche Dinge, dessen unge
achtet wußte aber die Lena gar bald.
daß er sie innig lieb hatt,. Sie fühlte
sich auch dci ihm so geschützt, so selig.
daß sie die ganze übrige Welt und alle
Sorgen und Kränkungen vergaß. Was
späterhin werden sollte, daran dachte sie
nicht
Sie hatte ihm nur ihren Vornamen
gc,agi uno iragie auaj niqi, wie er
weiter yieL. woll gar nicht
wissen und rfahren. um nicht von
ihren eigenen Verhältnissen reden z
münen.
Leider konnte S aber nicht immer f
bleiben. Der Sinter kam und lies der
schneit lag das Forfterhans im Walde. I
Nur der Förster und der Jögerburfche
konnten ich da zurcchtsindcn.
Lange lange halten sich die Lena
und der Fritz nicht mehr gesehen. An
ihrer Sehnsucht suhlte sie eS erst, daß
sie ihm ihre ganze Seele zu eigen ge
geben. Wie eine endlose Wüste, die sie
von dem Theuersten trennte, lag die
schneebedeckte Landschaft vor ihr.
Die Weihnachtszeit rückte Hera
Freudlos sah ihr die Verwaiste entge
ge. Sie empfand es ja nur um fi
tiefer, daß sie allein stand daß Nie
mand daran dachte, ihr eine Freude zu
bereiten.
Wünsch' Dir Dieses oder Jenes,
Mir ist's einerlei, was ich Dir schenk'
sagte die Gärtnersfrau. Wie kalt und
unfreundlich das klang!
Ich weiß nichts ". erwiderte das
Mädchen leise und fügte dann nach einer
Wee hinzu: Erlaubt, daß ich heut
zur Abendandacht geh'. Bei Tag mag
ich nicht in die Kirche."
Ja, ja, kann mir schon denken,
warum, 's thut allemal weh, wenn
man schief angesehen wird. Geh' nur
hin; mir ist's recht."
Ais es buniklte. wart Lena ein
schwarzes Tuch über den Kopf und be
gab sich auf den Weg. Sie hatte noch
ihre Arbeit fertig machen müssen und
lam zu spat. Orgelklanq tönte ihr be
reits aus dem ärmlichen Gotteshause
entgegen. Sie trat ein und setzte sich
bescheiden in eine Ecke, sromm die Hände
uueiiu. um mal es iyr piiiiiura, ois
zwänge ne eine übernatürliche Macht,
ben Blick von dem Altar ab und seit-
wärts zu wenden. O Gott! Konnte es
möglich sein? Da stand der Fritz an ei
ncn Pfeiler gelehnt und seine dunklen
Augen waren auf sie gerichtet. Ein
wonniges Zittern durchbebte ihr? Kör-
per. Beten wollte sie, aber die Gedan-
ken weilten bei dem Grliebtcn und lie-
sich nicht losreißen. Endlich!
Endlich!" hätte sie laut hinausiubeln
mögen, und lam sich doch schuldig und
strasbar vor, daß sie an geheiligter
Stalle der Andacht vergaß und ihr
stürmisch klopfendes Herz so ganz dem
Irdischen zuwandte.
Der Orgelton verstummte. Die we
nigen Landlcute verließen die Kirche
und auch das tief erregte Mädchen nä-
herte sich schwankenden Schrittes der
Thür. Sie wußte, daß Fritz ihr folgte
und daß letzt die Stunde der Entschei
dung da war. Als sie die ausgetretenen
Stufen hinabging, fühlte fte ihre Hand
ergriffen.
Lena!" hdrte sie leise rufen und
meinte, wenn die Engel selbst herab
geschwebt wären, um sie in den Himmel
zu tragen, so hätte ihr nicht muthiger
sein können. Sie ließ es geschehen, daß
er sie fortführte, daß er, als die kleine
Schaar der Andächtigen verschwunden
war, den Arm um sie legte und sie an
eine Brust zog. Ihr eigener Wille
war vollständig eingewiegt entschla
fen.
Lena," sagte Fr,, wie hab ich
mich nach Dir gesehnt! ..Hätt' ich Dich
heut' nicht hier getroffen, so wär' ich
morgen zu Dir geiommen,
Zu mir?" stammelte sie. ..Weißt
denn Übrigens, wer ich bin?"
Natürlich!" rief er, röhlich lachend,
Meinst etwa, ich hab' mich nicht um
Dich bekümmert? Alles weiß ich! Al-
les! Kein Mensch hat ein Recht an
Dich und deshalb kann Dich mir auch
Riemanb nehmen.
Ader mein Vater "
Was liegt mir an dem! Ich hab'
eine Mutter und die
Die wird nichts von mir wissen wol-
len."
O ja! Sie hat mich gern und will
mein Gluck. Wenn ich Dich zu ihr
bring', ist's ihr recht. Sollst es sehen!"
O Gott! Ich wollt' a Tag und
Nacht vor ihr knieen und Alles thun,
was ich ihr nur an den Augen absch'."
Sie wartet aus mich zum We,b
nachtöfcst. Was meinst, wenn ich mor
gen mit ihr red' und sie kommt dann
selbst und holt Dich?"
So ein Glück das wär ,a aar
nicht möglich!" flüsterte Lena, Wie
heißt denn Deine Mutter, daß ich für
sie beten kann?"
Hanna Hansen." -
Des Mädchen Augen wurden plötzlich
starr.
Was ist's mit Dir? Reö'!"
Ja. ja 'S muß ja sein! Jetzt
muß ich's sagen Alles Alles!"
stöhnte sie und erzählte nun mit fließen
der Haft, was der Vater ihr in keiner
Sterbestunde gestanden und wie er das
falsche, treulose Weid verflucht habe.
ist aus! Wir Beide dürfen uns
nimmer wiedersehen, schluchzte sie
dann.
Das wollte aber der Fritz nicht gel
ten lassen. Mit leidenschaftlichen Wor
ten redete er ihr zu, und als es ihm
trotzdem nicht gelang, sie zu überzeugen,
rief er:
Wenn Tu bei Deinem Vorsatz
bleibst, so wandere ich in die weite Welt
hinaus und keiner soll mehr 'was von
mir hören!"
Sie war ruhiger geworden.
Ich weiß nicht mehr, was recht oder
unrecht ist." lam es leise von ihren
ippen. Morgen werd ich Dir hier
an derselben Stelle sagen, wozu ich mich
entschließ'. Jetzt laß mich fort."
Schwörst mir. daß Tu morgen
kommst?" j
Ich schwör .!'
Er qad sie frei. Sie blickte nicht
mehr zurück, denn dann hätte sie ja um
kehren münen. O, welche ?erzwrflung.
welche Ratblosiakeit in ibr! ?r ibr nur
gesagt halte, was tbun? Die arme ge-
mordete Mutter! Sie war immer bereit,
zu rzeihen so erzählten die Leute
vielleicht würde sie auch jetzt nicht der
söhnlich sein. Wenn sie nr och ein
mal vom Himmel heruntersteigen und
sprechen könnte! Ach, wa hilst's! Wun
der geschehen ja nicht mehr. Aber an
ihrem Grabe da ist der selige Geist
doch vielleicht näher dort wird c
vielleicht der bittenden Tochter klar, was
die Verstorbene will.
Lena eilte hinaus auf den kleinen
Fricdhof, warf sich auf dem Hügel auf
die Kniee nieder und flehte auS der Tiefe
ihres gcängstigtcn Herzens zu der Et
schlascncn: Sag' mir. was ich soll!
Sag's! Ich hab' j Keine auf der
Welt, der mir rathe kann."
Unaufhörlich wiederholte sie dieselben
Worte. Sie merkte es gar nicht, daß
der Frost ihre Glieder erstarren machte,
daß Wolken heranzogen, die Millionen
flimmernder Stcrnenaugen mit grauem
Schleier verhüllend, und daß weiße
Flocken niederfielen auf ihre Kleider und
ihr Haar.
Keinen hab' ich auf der Welt,
Keinen ," flüsterten ihre Lip
pen immer noch wie ein Traum. Dann
sank der blonde Kopf an das Krcuzchc.
Der dicht fallende Schnee breitete eine
weiche Silberdccke über das schluin
mernde Müdchen.
Am nächsten Tage durcheilte eine sclt
same Kunde durch das Dorf: Lena
Gureck war von dem Kirchgange nicht
nach Hause gckonimen und als der
Morgen anbrach, hatte man sie todt an
dem Grabe ihrer Mutter gesunden.
Der Hanna Hansen aber brachte das
Weihnachtsfest nicht den erwarteten
Sohn, sondern nur einen Brief von
ihm, über den sie bittere Thränen er
goß. Fritz hatte ihr Alles geschrieben,
was ihm die Geliebte am Abend vor
ihiem Tode anvertraute.
Mir kommt's nicht zu. Dich zu rich-
teil," lauteten die letzten Zeilen, aber
wiedersehen kann ich Dich nicht. Ich
will in die Welt hinaus, in ein fremdes
Land und unter fremde Menschen. Ob
ich wiederkomme, weiß ich nicht."
Seitdem sind viele Jahre verstrichen.
aber der Fritz ist nicht heimgekehrt. Die
einst so schöne Hanna, jetzt eine alte,
gebeugte Frau mit grauem Haar und
vergrämtem Antlitz, wandert von Zeit
zu Zeit nach dem kleinen Friedhos bei
Weiler und legt Kränze aus drei e:n-
same Gräber.
Der erste Gefangene des Krieges.
Ueber den ersten Gefangenen des
Krieges 187 bringt die Saarbriickcr
Kricgs-Chronik" folgende Mittheilun
gen: Wenige Stunden nach der Kriegs
erllärung, am Nachmittag des 19. Juli,
wurde bereits der erste französische Gc
fangene dnrch Sergeant Ernst von der
fünfte Kompagnie hier eingebracht.
Wie er gefaßt wurde, erzählt ein Augen-
zeuge, der Grubenschlosser Karl Kuh
in Dudweiler, der damals in Gerswci- -lcr
wohnte, folgendermaßen: Der
Grenzwächtcr Tempelstein aus Gerswei
lcr hatte am 19. Juli früh am Ziegel
Hof einen französischen Soldaten mit
Blechgefäßen und Feldflaschen nach
Krughlltte wandern sehen, wo er Schnaps
einkaufte. Er theilte dies seinem Kollc
gen Pabe mit, und beide verabredeten
sich, den durstigen Franzofen abzusan
gen. Gesagt, gethan. Die Grenz
mächter legten sich nach Mittag in einem
Versteck auf die Lauer, und es dauerte
nicht lange, so sehen sie ihren Mann,
nichts Böses ahnend, von Schönecken
herkomme. Da er bisher von den
Prussiens" nichts bemerkt, so hat er
sein Gewehr als lästige Bürde daheim
gelassen und ist nur mit dem Seiten
gewehr bewaffnet. Wie der Franzose
nohe herangekommen ist. erblickt er die
Grenzgard" und ergreift das Hasenpa
nier, doch Pabe, ein kräftiger und
behender Mann, eilt ihm nach, und es
gelingt ihm, den Franzmann zu fassen
und niederzureißen, noch ehe er die Höhe
erreicht hat, auf der er von den Franzc
sen in Schönecken bemerkt morden wäre.
Nach einigem Widerstände wird der
Gefangene von den Grenzwöchlcrn gc
fesselt und im Triumph nach Gerswci
lcr gebracht, wo alles Volk zusammen
strömt, um sich den srarnösischen Krie
ger in der Nähe zu betrachten. In ei-
nem Wirthshaus ließ man ihm m eilen
geben, und hier erzählte er einem fran
zösisch sprechenden Einwohner, daß er
schon lange diene und auch in Algier
gewesen sei. Nachdem er sich gestärkt
hatte, wurde er einer Patrouille der
fünften Kompagnie übergeben, die gc
rade nach Gcrsweiler geiommen war
und nun mit der ersten lebenden Tro
phäe nach Saarbrücken zog. Der Fran
zose gehörte zum 2!!. Linienregiment;
er war schlecht gekleidet und sah recht
unbedeutend aus. so daß ein Bürger
sagte: Wenn sie alle so sind, wie der,
dann habt ihr leichtes Spiel." Tie ge
nossenen Getränke und die allgemeine
Aufmerksamkeit, deren Gegenstand er
war, schienen ihm zu Kopfe gestiegen zu
sein. Er schimpfte aus die .Prussiens".
riß den Adler von seinem Ezako und
ries. indem er in der Luft damit herum
socht. in Mal über's ander Mal:
"vivo l aigle!" (Es leb der Adler!)
Dem begleitenden Unteroffizier würd
schließlich die Sache zu toll, und er der
fetzte ihm mit den Worten: Wart', ich
will Tich lägeln!" eine derbe Ohrfeige,
worauf der Franzose stille würd und
in sich ging. Dieser erste Gefangene.
dem mehr als 380,000 im Verlaufe deS
Xrieges nach Teutschland gefolgt sind,
wurde nach caatlouis gebracht und er
hielt bald Eesellfchaft von seinen Lands
leuten.
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