Nebraska Staats-Anzeiger. (Lincoln, Nebraska) 1880-1901, November 07, 1895, Image 12

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    Der Geächtete.
CilK Schulgcichichte von iStUx Hcliäder,
Es balle gerade zwölf Ul,r geläutet,
als der Klassenlehrer das Schlzimmcr
verließ und (Jlaus Thompson statt fei
ner aus das Katheder trat, Claus
Thompson war der Führer unserer
Klasse, dem wir blindlings solgten. Er
war uns Allen Überlegen, geistig und
körperlich, und die Art, wie er in uns
Jungen den Korpsgeist zu wecken mußte,
inivonirte uns aewaltia.
Es war todtenstill in der Klasse, als
laus Thompson, einen wcchen Zettel
in der Hand, aus dein Katheder stand;
: den wir mußten, daß heute nichts c
ringcs aus dem Spiele Ivar.
'So'' saate Thompson Du,
Anwers, gehst an die Thiir und paßt
aus, daß uns keiner der Küster" so
nannten wir vaS Lehrerkollegium
übertölpelt, und letzt hört. Ich lese
Euch die Statuten vor, und dann wol
len wir aus der Stelle abstimmen.
9llfo:
Paragraph eins: Die Untersekunda
ner thun sich mit den, heutigen Tage z
einem Perbande aus, der den Zweck
hat, sich gegenseitig mit allen Mitteln
zu untcrstupen, um der llcvcrourdung,
der wir ausgesetzt sind, wirksam eutge
genzutretcn." Bravo ! Ganz ausgezeichnet !" schrie
Hans Krüger, der aus der letzten Bank
saß und längst ein geschworener Feind
alles Arbcitens war.
Paragraph zwei! Zur Erreichung
dieses Zieles," fuhr Thompson mit er
höhter Stimme sott, wird eine Thei
lung der Schularbeiten derart borge
nommen, daß mit dem heutigen Tage
die Mathematiker fiir die ganze Klasse
, die mathematischen Aufgaben besorgen,
während Diejenigen, die im Lateinischen
glänzen, diesen Theil übernehmen.
Diese Methode wird entsprechend für alle
Fächer durchgeführt.
Paragraph drei: Bei allen Klaffen-
-arbeiten hilst Jeder seinem Nachbar und
Hintermann, damit durch gemeinsame
Geisteskraft möglichst gute Resultate er-
zielt werden.
Paragraph vier: Jeder zahlt nimmt
lich zwanzig Pfennige. Fiir dieses Geld
werden die besten Ucbcrscßungen der
lateinischen und griechischen Klassiker
angeschafft, um das mühselige Präpari
ren z erleichtern. Ferner wird dasllr
die Woche einmal eine Klaffenzeitung
erscheinen, die jedem -einzelnen Mit-
gliede hektographirt zugestellt wird.
Zweck: Allgemeine Winke zu geben,
Kritik über die Küster. Bericht über
Uiiscre Erfolge.
Paragraph fünf: Jeder verpflichtet
sich auf Ehrenwort, Schweigen zu be
,wahren." Claus Thompson holte tief Athem.
Das sind also," fuhr er gedämpst
fort, die Grundzüge der Statuten.
Ich frage jetzt, ist etwa einer dagegen !"
In unserer Klasse wurde es bei diesen
Worten lautlos still. Wir waren von
Thompson's waghalsiger Idee so be
täubt, daß Keiner ein Wort hcrvorzu
bringen vcrinochte.
Wir handeln naturlich nur aus
Nothmehr !" schrie Thompson und seine
Stimme Hang bereits drohend.
Das Wort und der Ton, in dem er
es sagte, schlugen ein.
Aus Nothwehr Natürlich aus
Nothwehr! Warum überbürden sie uns
.auch so!" brüllten wir wild durchein
uder. Also, wer ist dagegen?" rief Claus.
Wiederum Stille. Ueber Tbompson's
Züge glitt ein Lächeln der Bcsricdigung.
,Ta Niemand Einspruch erhebt," fing
.er von Neuern an, so erkläre ich die
Statuten sür genehmigt und fordere
einen Jeden aus. zu unterschreiben."
Bei diesem unerwarteten Schluß
Trumpf schlug uns das Herz doch etwas
banger. Dieser Claus Thompson
was das für ein Tcufelskerl war!
Unsere Unterschrift und wenn es
uns dann an den Kragen ging Was
dann? Trotzdem griff ein Jeder zur
Feder. te Ujorttitile aus der einen
Seite und andererseits die Furcht, von
Thompson als Verrather gebrandmarkt
zu werden, waren zu groß. So schwirrte
das Blatt von Bank zu Bank. Und
allmählich bemächtigte sich unser eine
helle Sieqessrcude.
Was' ist denn das?" schrie plötzlich
Einer, Du willst nicht unterschreiben . .
Tu weigerst Dich Dich soll ja der
Teusel Thompson, der Schlingel
da....'
Wir hatten uns bei den letzten Worten
alle von den Platze erhoben. Eine
unheimliche Erregung hatte uns gepackt.
Das war das erste Mal, daß Einer
Thompion zu opponiren wagte. Und
das Auffallendste an der Geschichte war,
daß der bluffe Wenghöfer, wie wir ihn
nannte, den Renitenten abgab.
Elans Thompson war um einen
Schatten bleicher geworden. Wir Uedri
gen aber wagten kaum zu athmen, so
war uns der Schreck in die Oilieber ge
fahren. He!" stieß Thompson it heiserer
Stimme hervor, wird s nun endlich?"
Der stille Wenghöser hatte sich er
Hoden. Ich kann nicht mitthun," sagte
er leise ich kann nicht." Dabei
klammerte er sich a den Schullifch, als
fürchtete er, umzufüllen.
Warum kannst Du Esel nicht?"
"herrschte ihn Thompson an. Ueber
Wengtjöier'S blasses Gesicht flog bet die
sen Worten ein jähes Roth, wahrend er
IvriAiiAlirt niftrlfirfl. ?l fiinn
imach nicht...." brachte er endlich
mübsam hervor.
Da brach Thompson in ein hartes
Lachen aus. Nun gut", rief er als
dann, so werden wir ohne den da"
d er verwies mit einer verächtlichen
Bewegung auf Wenghöfer unseren
Weg gehen," Hieraus trat er dicht ans
ihn zu, und indem er ihm die Faust vor
das Auge hielt: Wehe Dir, Bursche,
ivenn Du den Judas machst, dann
lernst Du mich kennen! Und jetzt packe
Dich sonst passirt 'was."
Wenghöser erwiderte nicht eine Silbe.
Lautlos griff er nach Büchern und Hut
nnd schlich sich aus der Klaffe.
Das ist ein unsicherer Kantonist,"
sagte Thompson leise. Glaubt mir,
es ist besser so!" Darauf unterschrieben
die Uebrigen. Aber Manchem zitterte
die Hand dabei.
In aller Eile wurde nun Thompson
zum Vorsitzenden und Chefredakteur"
gewählt. Als das' erledigt war, ginge
wir eiligst auseinander Unsere Stirn
ning war entschieden durch den Zwi
schensall eine gedrückte geworden. Aber
Jeder suchte durch forcirte Heiterkeit sei
ner Beklemmung Herr zu werden.
Die ersten Wochen schien es, als ob
Thoinpson's Reform- Ideen einen glän
zenden Erfolg davontragen sollten. Al
les ging wie am Schnürchen. Die Lch
rcr lobten unseren anhaltenden Fleiß
und unser sittliches Verhalten. Ja,
wir wurden bereits den übrigen Klaffen
als nachahinenswerthe Muster hinstellt.
Nur Wenghöser, der dieser Konkurrenz
gegenüber naturgemäß ohnmächtig Ivar,
bekam des Oesteren einen leichten 9iiis
sei, wiewohl die Lehrer seinen hingeben
den Fleiß und ernsten Willen anerkann
ten. Wenghöscr's Starrsinn war das
Einzige, was unser Glück trübte. Es
waren Einige unter uns, die in der
ewigen Angst lebten, er könnte uns ei
nes schönen Tages insgesammt auslie
fern, und das Gefühl, in der Hand die
ses blassen Jungen zu sein, wurde uns
von Tag zu Tag druckender. Dazu kam
ein gewisser Neid auf seine reine Gcsin-
ming, aus die starke, sittliche Kraft, die
doch unleugbar in seinem schwachen
Körper stecke. Aus solchen Stimm-
gen heraus drängten wir Thompson
unaufhörlich, nochmals den Versuch zu
machen, Wenghöser auf unsere Seite zu
ziehe.
Thompson wurde wüthend. Schafs
köpfe seid Ihr," brüllte er uns an die
reinen Schafköpse! Wenn wir z ihm
gehen, hat er ns im Sack. Der Bur
sche muß durch seine eigene Noth kirre
werden." Diesmal blieben wir jedoch
allen seinen Einwänden zum Trotz hart
näckig, und so gab Thonipfon endlich
nach. Aber seine Stirn zog sich in sin
stere Falten, und was er zwischen den
Zähnen unverständlich hervorknurrte,
mochte nicht schmeichelhaft sein.
In der nächsten Wochennummer je
doch stand an leitender Stelle folgendes
offene Schreiben :
Dem Christian Wenghöser thun wir
kund, daß wir auch heute noch gewillt
sind, ihn in unseren Verband aufzuneh
inen, sintemalen wir sehen, daß er gegen
Windmühlen kämpft und zu Schaden
kommen kann. Wir rathen ihm gütlich,
unser Consilium wohl zu überlegen und
am folgenden Tage durch ein Ja oher
Nein auf der Tafel zu antworten.
Im Namen des Verbandes.
Der altfränkische Stil dieser Notiz
schien uns ebenso zwingend wie geheim
nißvoll. In der letzten Zwischenpause
nun schmuggelten wir das Wochenblatt
zum Schutz und Trutz der Untcrsekun-
kancr m Wenghöser s Mappe. Nach-
dem dies bewerkstelligt war, wurden dem
Einsamen, als er wieder die Klasse be-
trat, von allen Seiten zwinkernde Blicke
zugeworfen, die von einem mystischen
Lächeln begleitet waren. Der arme
Junge wußte sich aus unserem Beneh-
men keinen Vrs zu machen und blickte
scheu und verlegen zur Seite, um nach
Schulschluß so schnell als möglich sich
auf den Heimweg zu machen. Auch
wir trollten heim, voll Spannung und
Sorge, was uns der kommende Tag
wohl bringen würde.
Früher als sonst hatten wir uns am
nächsten Morgen im Klassenzimmer ein
gestellt. Jedesmal, wenn sich die Thür
öffnete, schreckten wir zusammen: jetzt
mußte der blasse Wenghöser kommen,
jetzt mußte sich unser Schicksal entschei
den. Aber die Thür ging und ging
und der Erwartete kam nicht. Unsere
Beklemmung hatte ihren Höhepunkt
erreicht. Da Plötzlich, als keiner bereits
mehr auf sein Kommen hoffte, trat er
ein. Seine Miene war verstört, ver
ängstet und noch bleicher als gewöhn
lich. Mit gesenkten Augen schleppte er
sich die Wände entlang auf seinen Platz.
Wir wollten gerade wie die Furien auf
ihn losstürzen, als sich die Thür von
Neuem öffnete, und der Direktor und
Ordinarius eintraten.
Da wußten wir Alles, wußten, daß
wir verrathen waren. Wer etwa noch
einen letzten leisen Zweifel hegte, dem
wurde auch dieser genommen, als der
Direktor mit drohend ernster Miene
unser Wochenblatt hervorzog.
Wir waren wie erstarrt. Doch als
der Direktor jetzt mit strenger Stimme
ein volles Geständnis und die Namen
der Radelssührer verlangte, da erwachte
unser jugendlicher Trotz, unser Ehrge
fühl und unsere Liebe für Thompson.
Er wurde uns alle unbarmherzig mit
Schimpf und Schande aus dem Gym
nasium jagen, wenn wir uns länger
weigerten, erklärte er mit seiner Metalle
en Stimme, die uns durch Mark und
Bein ging. Wir schüttelten einmütbig
die Kopte und blieben tctt; wir
hatten uns eller o,e Jungen avgevmen.
als Tb?mpfon zu verrathen, und selbst
aus diesem Denunzianten von Wenghöfer
war in dem Punkte nichts herauszu
holen, wie er sich überhaupt während
der ganzen Untersuchung unzugänglich
verhielt. Die Lehrer nannten uns eine
verstockte und verdorbene Gesellschaft,
wie sie, Gott sei Dank, in den Annalen
des Gymnasiums bisher nicht eristirt
habe, während der Direktor, dessen Ge
duld erschöpft war, den ganzen Fall dem
Provinzial - Schulkvllegium unterbrei
tete. Nun kamen wir uns wie die
Märtyrer vor und waren auch iin elter
lichen Hause, wo Pater und , Mutter
bekümmert und sorgenvoll, bald mit
Güte, bald mit Strenge es versuchten,
allen Ermahnungen unzugänglich. Als
Thompson sich freiwillig opfern wollte,
da lachten wir ihn einfach aus und der
boten uns solche Spaßmachereien.
Ihr seid doch Kerle," sagte Claus
Thompson. Auf diese Worte waren
wir stolz.
Vom Provinzial-Schulkollegium kam
der Be cheid, man sollte uns hart be
strafen, ein strenge Auge auf uns haben,
im Uebrigen aber um des peinlichen
Aufsehens willen von weitere Maß-
regeln Abstand nehmen.
Nun begann für uns eine Hundeieit,
die wir mit wahrem Heldenmuth und
Trotz durchmachten. Allen Hohnreden
und Sticheleien, denen wir preisgegeben
waren, fetzten wir ein hartnäckiges
Schweigen entgegen: nicht einen Augen-
blick verloren wir Wurde und Haltung.
Nur gegen diesen Verräther von Weng
hüser machte sich unser Zorn Lust. Wir
behandelten ihn von der Stunde an mit
einer rasf,nirten Grausamkeit und Ver
achtung. Kein Wort wurde an ihn
gerichtet, wie ein Geächteter bewegte er
sich in unserer Mitte, aber sobaid wir
seiner ansichtig wurden, spieen wir aus,
und sobald einer der Lehrer eine Frage
an ihn richtete, entstand in der Klaffe
ein Hüsteln und Krächzen, daß der Lei)
rer sein eigenes Wort nicht verstehen
konnte. Jeden Tag aber klebten wir
auf seinen Platz einen Zettel mit der
Marke: Dem elenden Verräther."
Daß sein Aussehen von Tag zu Tag
jammervoller wurde, sahen wir nicht
oder wollten wir nicht sehen; ebenso
wenig wie wir rüden Schlingel daran
dachten, was für Seelenqualen der
arme Junge durchmachte. Eines Ta-
ges nun tritt Thompson mit einem ver
ächtlichen Lächeln in die Klasse. Seht
einmal," tust er, was ich da für einen
Wisch gekriegt habe , und nun rathet
einmal, von wem? Von unserem Ju
das!" schrie er boshaft und hielt einen
Briefbogen in die Höhe. Was sagt
Ihr dazu? Und nun hört blos!" Und
Thompson las:
Ich theile Dir, Claus Thompson,
mit, daß ich Euch niemals verrathen
habe. Mein Vater hat vielmehr durch
einen Zufall das Blatt gefunden und
dem Direktor überbracht. Ich habe
keine Anlage zum Denunziren, das
magst Du mir glauben oder nicht.
Christian Wenghöfer."
Thompson hatte gerade zu Ende ge
lesen, als Wenghöser eintrat. Eine
Lachsalve tönte dem Gequälten entgegen
und erbitterte Ruse wie: Gemeiner
Lügner," Verrather," drangen an sein
Ohr. Diesmal aber ließ er sich zu un
serer Verwunderung Nicht einschüchtern.
Ohne von unserem Lärm die mindeste
Notiz zu nehmen, trat er kerzengerade
auf das Katheder. Nur sein Gesicht,
das einer Todtenniaske glich, sprach von
seiner Erregung. Wir waren unwill
kiirlich, einem inneren Zwange ge
horchend, still geworden.
Was ich da geschrieben habe," sagte
Wenghöfer mit gedämpfter Stimme
und holte tief Athem ist so wahr,
als ich Christian Wenghöfer heiße. Und
jetzt möcht Ihr thun, was Ihr wollt!"
In diesem Augenblicke sprang Thomp
son an seine Seite. Tu!" schrie er,
und seine hellen Augen blitzten, ob das
stimmt oder nicht, ist uns egal. Das
aber kann ich Dir Duckmäuser sagen,
und Thompson ballte seine Hände zu
Fäusten ich hätte meinen Vater ab
zuhalten gewußt, meine Kameraden zu
verrathen."
Da sah ihn Wenghöfer mit einer un
beschreiblichen Miene an, während um
seine blassen Lippen ein schmerzhaftes
Lächeln zuckte. Ein paar Mal fuhr er
sich mit feinen mageren Händen durch
das dunkle Haar, während seine Lippen
sich beständig bewegten, ohne eine Silbe
hervorzubringen. Dann preßte er sie
fest aufeinander und ging wortlos auf
seinen Platz.
Ein paar Minuten später begann der
Unterricht. Mitten in der Stunde
es war gerade ein halb neun Uhr
brach Wenghöfer in ein konvulsivisches
Schluchzen aus. Als er sich endlich
etwas beruhigt hatte, bat er den Lehrer,
nach Hause gehen zu dürfen. Ter Leh
rer wollte ihm einen Begleiter mitgeben,
aber Wenghöfer lehnte das in so erreg
tem Tone ab, daß jener ihm den Willen
ließ.
Wie ein schmerer unheimlicher Alp
lag es aus uns, als Wenghöfer die
Klasse verlassen hatte. Und es mochte
noch keine Minute vergangen fein, als
wir plötzlich jäh zusain menschreckten.
Aus dem Schulhote drang der Schall
eines PistolenschusieS mit furchtbarer
Deutlichkeit zu uns herauf. Ter las
senlehrer an der Spitze, stürzten wir
hinunter.
Ta lag er todtenbleich ausgestreckt,
mit der Rechten einen kleinen elsenbei
nernen Revolver umklammernd. Wie
gebannt standen wir um ihn herum.
Reiner wagte ein Wort, und keiner von
uns hat jemals in seinem Leben die
Stunde vergessen. Wir hatten alle das
entsetzliche Empfinden, an seinem Schick-
sal mitschuldig zu sei.
Thompson stand an eine Mauer ge-
lehnt und starrte mit kreideweißem Ge-
stcht, aus dem leder Blutstropsen ge-
wichen war, auf Wenghöfer, der röchelnde
Laute von ich gab.
Inzwischen füllte sich der Hof, die
Lehrer kamen aus den Klassen gestürzt
auch der Direktor erschien an Ort
und Stelle. Nach ein paar Minuten
war Wenghöser aufgebahrt, um sortge
schafft werden zu können.
Der Ordinarius schritt voran, um
die Eltern aus die Schreckensbotschaft
vorzubereiten. Thompson aber war
auf der Stelle zum Direktor geeilt, in
sich selber anzuklagen. Der Direktor
entließ ihn schweigend. Er mochte
Thompson ansehen, daß der genug ge-
traft war.
Und nun folgten für uns Wochen der
tiefsten Angst und Beklemmung; nur
gesund sollte er werden, um diesen Ge-
danken drehte sich unser ganzes Fühlen
und Denken.
Am meisten litt Thompson, der nicht
mehr wieder z erkennen war. Er, der
Heitere und selbstbewußt Aiisgelassene
wurde einsilbig und verschlossen. Um
seine Mundwinkel halten sich scharfe
Falten gebildet. Früh, Mittags und
Abends schlich er in Wenghösers Haus,
um sich Über dessen Zustand zu erkundi-
gen. (schließlich wume er es zu er-
reichen, daß man ihm den Zutritt zu
dem Lager des Kranken erlaubte. Und
nun ivich er mit Ausnahme der Schul-
stunden keme Minute mehr von ihm
Er wachte die Nächte durch, taub gegen
alles Reden, doch Man zu halten
Nach vielen, vielen Wochen trat Chri-
stian Wenghöfer zum ersten Male m,e-
der in unser Schulzimmer, gestützt von
Claus Thompson. Was die beiden, als
Wenghöfer wieder zum Bewußtsein ge-
kommen, niiteiiiander gesprochen hat
keiner von uns jemals erfahren.
Aber von der Zeit an waren ie Freunde
für's Leben.
Die fidelen lttonibriibcr.
Ist denn Bomeier da?" fragte unscr
Präsident, als wir Alle um den großen
runden Tisch Platz genommen hatten,
den wir den Ententeich" nannten.
Bis jetzt noch nicht, aber er wird
schon kommen, wenn er sich nicht ent
schuldigt hat !"
Trotzdem runzelte der Präsident die
Stirne. Wir haben heute Vollmond
und es ist Pflicht jedes sidclcn Mondbru
dcrs, pünklich um 8 Uhr im VereinSlo
kal zu erscheinen! Bummelei dulde ich
nicht ! Ist er um 9 Uhr noch nicht da,
so wird er aus unserem Bunde auigc
stoßen! Sosteht's in unseren Statuten ! '
Wir schauderten ! Die Strafe war
gerecht, aber entsetzlich ! Wenn Vollmond
im Kalender stcht, wird bei uns nicht
Skat gespielt, nicht Kegel geschoben ;
wir begehen das Naturereigniß in
besonders feierlicher Weife. Wir erzäh
len uns lustige Geschichten, singen unsre
Bundeshymne: Guter Mond, du
gehst so stille," und treiben allerhand
Schabernack. Aber an dem bewußten
Abend waren wir Alle wie auf den
Mund geschlagen; schweigend tranken
wir unser Bier, rauchten und warteten
auf Bomeier. Ein guter, fideler Kerl
der sich mit viel Gewandtheit in der be
dcnklichsten Lage des Lebens heraus;-
lügen versteht.
Außerdem beobachteten wir die Uhr,
die noch nie so rasch gelaufen war.
Kaum hatte es halb geschlagen, so stan-
den die Zeiger schon auf der Neun,
Kein Bomeier! Es schlägt l, 2. 3, da
wird die Thür aufgerissen und Bomeier
stürzt herein ; 4, 5, 6, et wirft Rock und
Hut dem Kellner zu; 7, er setzt sich, 8,
er brennt ich eine Cigarre an; er
raucht.
Uns war ein Stein vom Herzen qe-
fallen, aber unser Präsident sah imiiikr
noch sinster aus. Es ist 9 Uhr vor-
über! sagt er mit Nachdruck zu Bo
meier. Ich muß um Nachsicht bitten," ant-
wartet der und wischt sich die Schmeiß
tropsen von der Stirn. Ich bin
unschuldig.
Wie gewöhnlich!" enlgeqnet ironisch
der Präsident.
Wenn ich Euch erzählt habe, was
mir unterwegs passirt ist, dann
sprecht Ihr mich einstimmig frei !"
Wir waren natürlich ganz Ohr und
Bomeier fing an: Ich war nämlich
heute in Meißen hatte dort allerhand
Geschäfte abzuwickeln; aber ich beeilte
mich so viel als möglich, um zur rechten
Zilt hier zu sein." Da versäumtest
Tu den Zug und bist zu Fuß von Mei
ßen nach Dresden gelausen !" unterbrach
ich Bomeicrn. Nicht im Geringsten !
d) war pünklich da und wir dampitcn
ab. Neben mir saß ein Frauenzimmer,
nicht alt und nicht jung, die einen klei
ncn Hund aus dem Schooß hatte ; links
daneben saß ein Bauer aus Bordorf,
der sich in Meißen ein Schwein gelaust
hatte. Wie wir eine Weite gefahren
sind, fängt der Bordorser an z rauchen
und bläst zum Spaß dem Hund den
TaSaksrauch ins Gesicht.
Bitte, thun Sie das nicht,' lispelt
das Fräulein, mein Fips kann das nicht
leiden !" Dc Bordorser lachte ungeheuer.
Da mag er sich ins Tameneoupee setzen,
wenn er's Rauchen nicht ertragen kann !"
fat er nd blast von Neuem : Paff !
Paff ! Paff ! dem Hunde mächtige Wol
kcn in die Augen. Der winselt, beult,
und das Fräulein jammert: Lassen
Sie doch das arme Thier in Ruhe!
Es hat Ihnen ja gar nichts gethan!"
Das ging 'k lange Weile so fort,
bis das Fräulein die Geduld verlor.
Mit Ihrem verwünschten Glimmsten
gel sagte sie wüthend, reißt dem Bauer
die Cigarre aus der Hand und wirft sie
fchwuppdich zum Wagensenster
'naus ! Da fuhr derMann wie'ncRaket
in die Höhe, packte den Fips bei den
Ohren und warf ihn hinter der
Cigarre drein ebenfalls aus dem
Fenster ! Wurst wider Wurst !
Na, was das für einen Spctakel gab,
könnt Ihr Euch denken ! In Radebeul
lief das ganze Zugspersonal zusammen,
wir mußten aussteigen und der Zug
dampfte ohne uns weiter ! Der Bordor
fer schimpfte, das Hundefräulein weinte
um ihren Fips, ich raisonnirte Über den
Aufenthalt, aber den Inspektor rührte
das gar nicht ; in Gegenwart des Ge-
nieindevorstandes verhörte er ns und
nahm alles ziiProloko. Ich merkte bald,
daß die Sache sür den Boxöorser unddas
Frauenzimmer schlimm werden konnte;
der Inspektor schlug das Gesetzbuch aus
und zeigte mir die betreffenden Paragra
phen, Es darf nichts aus den, Fenster eines
Bahnwagens geworfen werden! Die
brennende Cigarre kann einen Wald
brand verursachen! Thierquälerei! Dieb
stahl! Unfug!" Das ist ja Alles ganz
schön und gut" sagte ich zu ihm, aber
ich muß um 8 Uhr in Dresden bei den
fidelen Mondbriidern sein ! Könne Sie
mir nicht einen Ertrazug anspannen
lassen?" Nein das könnte et nicht,"
meinte et, ich müßte bis zum näch ten
Personenzug warten ! Na jetzt sagt
selbst, ob ich nicht ganz unschuldig a
meinem späte Eintreffen bin?
Ja wohl !" riefen wir Alle enistiin-
mig nd detPtäsident schiittelteBomeiern
die Hand und stieß mit ihm an. Nun
erzähl' uns aber noch den Schluß Deines
Abenteuers 1 1 der Bordorsct wegen
Thierquülerei verhaftet worden?"
Nein ! antwortete Bomeier und lachte
tccht verschmitzt. Denkt Euch, wie der
nächste Zug kommt, sitzt auf der Loko
motive neben dem Heizer, der Kohlen
einschaufelt der Fips höchst ver
gnügt und raucht dein Bordorser!
seine Cigarre !"
Wahrend Bomeier ein Glas Kulm
auf einen Zug leerte, lachten wir uns
halbtodt über seine närrische Geschichte.
Ta gebot der Präsident Ruhe. ,Weißt
Du vielleicht, wie die Lokomotive hieß,
aus der der kluqeFipsPlatzqenommen?"
Bomeier gerielh ausnahmsweise in Per
legenheit und stamnieltc: Das weiß ich
wirklich nicht !" Aber ich weiß es !" ent-
gegnkte stolz der Präsident. Sie Ine'
Schwindelmeier !"
Erinnerung eines Kriegskorrespvn
deute.
Archibald Forbes, der bekannte eng-
lische Kriegskorrespondent, hat soeben
unter deni Titel "Memories and
Studios" einige besonders interessante
Erlebnisse ans seinem bewegten Leben
publicirt. Er erzahlt darin in packen-
der Weise u. A. eine traurige Episode
aus den ersten Tagen des deutsch-fran-zöfischcn
Krieges. Es war zu Saar-
brücken und man lebte in der Bcsurch
tung, daß die Franzosen die Stadt von
einem Moment zum anderen nehmen
könnten. Ein junges Mädchen hatte
sich eingefunden, um von ihrem Bräuti
gam, einem Sergeanten des Regiments
Hohenzollern, Abschied zu nehmen. Die
Freunde des Bräutigams machten den
Borschlag, daß das junge Paar noch
vor dem Ausbruch der Feindseligkeiten
schnell verhcirathct werden sollte. Die
Brautleute waren damit einverstanden
und Alles wurde schleunigst für die
Trauung vorbereitet, als plötzlich
Alarm geblasen wurde. Der Sergeant
umarmte schnell das arme Mädchen und
begab sich aus den Sammelplatz. In
zehn Minuten war der Kamps in voller
Schärfe' entbrannt nd von den Höhen,
welche die Stadt umgaben, sandten die
Franzosen ihr Artilleriescuer aus die
Preußen herab. Unser Hotel, so er
iählt Forbes, war gerade in der Schuß
tinie und wurde von Minute zu Minute
ein immer unangenehmerer Aufenthalt.
Wir brachten die Frauen im Keller
unter und harrten der Entwickelung der
Dinge. Plötzlich schlug eine Granate
in die Küche, krepirte auf deren Herd
und das Hochzeitsfrühftllck, das auf
diesem warm gehalten wurde, war da
hin. Es war hier unten zu heiß ge
morden, und Jeder zog sich vorsorglich
zurück. Einige Zage später wurde nahe
bei Saardrücken die Schlacht an den
Spicherer Höhen geschlagen. Am Tage
nach der Schlacht wandelte ich übet das
Schlachtfeld, um den atmen Vetwundc
ten Hilie zu leisten. Plötzlich etblickte
ich auch unseren Bräutigam vom Regi
ment Hohenzollern, er befand sich in
sitzender Stellung, den Rücken gegen
einen Baumstumpf gelehnt. Er war
todt, eine Kugel halte ihm den Hals
durchbohrt.'
Bei der Aufzählung det hctvorraqen-
den Soldaten, die Forbes kennen ge
lernt, nennt er Moltke einen unge
wöhi, lich stillen und unanssalligen
Mann", während er kobelem die be-
merkenswert hefte Erscheinung nennt, der
er je begegnet ist. '
Ui'ie Archibald Forbes, ein ehemal,-
ger Tragoner, seine Ausgabe aussaßt,
und fein (eschast betreibt, davon erqiebt
das von ihm verfaßte Buch eine große
aht Beispiele. Tie Echlacht vonl
Teligrad im tiirkisch-serbischen Krieg!
deS Jahres 1870 war geschlagen und I
verdien wat in Folge davon in den
Händen der Türken. Es galt, das Re-
sultat vom nächsten Telegraphenamt an ,
die Londoner Daily NcwS" z tele
graphire. Dieses befand sich in Sem
lin, 200 Kilo,,,, entfernt. Im Galopp
ritt Forbes von bannen, ans einem ser
bische Postpserd, nd serbische Post
gäule sind, wie er bemerkt, keine Reit
Pferde; aber scharfe Sporen und die
Hantirung eines alten Dragoners brach
ten sie zum Gehen.
Die ganze Nacht hindurch dauerte der
Ritt, alle 15 Meilen wurden Pferde ge
wechselt. Um 9 Uhr am nächsten Tag,
wund von Kops zum Fuß, ritt er durch
die Straßen von Belgrad, wohin der
Fcldtclrgraph blos eine kurze Meldung
vom unglücklichen Ausgang der Schlacht
gebracht hatte. Ganz Belgrad war in
den Straßen, in fieberhafter Auslegung
nach vollständigerer Auskunft fragend.
Aber Archibald Forbes hielt sich nicht
auf, um zu schwatzen: erst bei der Fähre
ließ er die Zügel schlaff werden. I
Sciulin, ei langer Schluck Bier, und
dann gings ans Schreiben, Stunde nach
Stunde, bis alle Nachrichten über die
Schlacht zu Papier gebracht waren.
Dann wurde der Bericht dem Draht
übergeben. Nachdem das letzte Wort
fort war, legte sich Forbes in seinen
Kleidern zum Schlaf nieder und schlief
zwanzig Stunde, ohne aufzuwachen.
Er hatte die Absicht, an, Tage nach De
ügrad zurückzukehren, aber die Ennü
dg war zu groß. Der Tag war ver
loren. Doch hatte er die Ruhe verdient.
Er hatte eine Schlacht mit angesehen,
die 0 Stunde dauerte, einen Ritt von
200 Km. gemacht nd siir die 'Daily
News" eine vier Spalte lange Draht
nachricht geschrieben Alles' innerhalb
20 Stunden. Von solchen Parsorce
Touren hat Forbes manche mitgemacht.
fyichftc Nengicrdc.
Sie haben keine Idee, wie neugierig
die Weiber sind! Was hat nicht meine
Schwägerin gethan, m die tägliche
Fortsetzung eines spannenden Zeitiinqs-
ronians einige Stunden früher lesen zu
können?! Zeitungsträgcrin ist sie ge
morden!" verblümt.
Elise: Liebste Stclla" vier Monate
habe ich Dich nicht gesehen! Wie geht es
Deinem Karl?"
Stella: O, mein Karl hat sich seit
dem sehr verändert er heißt jetzt Ro
bert !"
Stoßseufzer.,
Studiosus (der lange Zeit vergeblich
aus eine Geldsendung wartet): Ich
glaube, ich kann in meinet Dissertation
Über ausgestorbcnc Menschenrassen auch
gleich die Briefträger erwähnen!"
Er kennt sich.
Aber, Herr Professor, l
;ie haben ja
zwei Regenschirme!
Ganz richtig einer ist zum stehen
lassen!"
vorbeschdmft.
Im Meißen schdand in vor'gen Winder
Der Schuster Debbchen vor Gerichd.
Er bübde wie ä armer Sinder,
Der Angstschwceß drobbd 'n in'sGesichd.
Sein Sie schon vorbeschdraft, Herr
Debbchen?"
Würd er gefragd. Besinn' Se sich!"
Der aber schiddeld samsd sei Kebbchen:
Ich vorbeschdraft? Weeß Knebbchen
ich!
Wie ofd se mich bci'n Kragen backden,
I mt, das weeß ich Sie nich mehr,
Doch schweeren kann ich: se erknackden
Mich allemal ersch h i n d e r her!""
)m tonzert.
Lieutenant (als sich in einem Verqnü-
gnngslokale eine Sängerin durch ihr
schrillisOrgan bemerkbar macht): Kell,
ner! Bringen Sie 'mal dieser Person
eine Portion Mehlwürmer!"
Nach den jlittcrwochen.
Sie: Albert, was sinnst Tu eben?
Du bist ja so nachdenklich!"
Er: Liebes Kind, das interessirt
Dich nicht, woran ich gerade dachte!"
Sie (schmollend): Äbct, Albert, wie
kannst Tu an etwas denken, was m ich
nicht interessirt?!"
Aus dcr Schule.
Fritz: Tu, Emil, habt Ihr auch
einen so bösen Lehret? Det unsere haut
zu, daß es ganz schrecklich ist!"
Emil: O, der unsere auch! Der gibt
Tatzen het nach Noten det reinste
Tatzitus!"
Lesiomanie.
Veteinstednet: Tas Fest, welches
wit soeben beichloffen haben, ist unser
fünfundzwanzigstes in dieser Saison;
ich schlage dahct vor, anläßlich dieses
Jubiläums ein Fest zu begehen!"
t?crgalcxxirt.
Angeklagter: Was, der soll mein
Vertheidiger sein?! Ter dringt ja nicht
einmal einen Unschuldigen durch!"
,,
Wachtmeister: Ihr cä&cljft ja ganz
r,,,. wuiimi ie ve, ie rwio ei
der Laau-na rosticana r: '
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v.'pxkinn,.
vaden -ie ichon gebort, die Lochler
der Frau Geheiinrälhin hat sich im
Bade verlobt ?" j
La? bad i gleich qcmuut. da die "
mit ihrer Tochter eine .,Er"-dolungs
reise macht !"