Nebraska Staats-Anzeiger. (Lincoln, Nebraska) 1880-1901, October 31, 1895, Image 12

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    KMmr-x-BrvBwwsircynn.m-.wn laK-atarc
Die Lricdeii5palme.
".'an A, Wehroro.
Sie stand mitten in einem Ausbau
. ton yirtcn Treibhauspflanzen und blil
hcndcii 'Topjblumcn, diese Friedetts
palmc.' E-3 war ein herrliches Eremplai:
Bon Chiimiinrops excolsa mit zwölf
breiten, sächerischen Blättern, nd sie
hatte itire Gelchichte.
Vor drei Iahren hatte Herr Wend
land sie seiner jungen grau zin Ge-
scheut gemacht bei Gelcg.cttl)ett bei
Gelegenheit einer grossen Bersöhnnng.
Damals war das Wliirf der erst zwei
jährigen Ehe stark im Schmanten ge-
meten, und zwar in ,voige oer eigen
thtlmlirhen und nervösen Beranlagung
von ffrau Susanne.
Frau Susanne war durchaus nw
der, das heifit sie verlangte im Haufe
, bedingungslose Gleichstellung mit ihrem
Mann. Außer dem Hanse drausien
in der Welt bah! was ging sie die
Welt an! Mochte er da den Gebieter
spielen, den Willcit-Mriistitieit, llnraftt
gen, Geisteökraftigen!
Frau Susanne intisite lachen, wenn
' sie an die so pootiliire Kraftmeierei
dach!.', welch.' die Herren insgesammt,
Philister sowohl wie Genies, einträchtig
lich trieben. Und waren doch alle so
schwach i gewissen Punkten! Standen
so niedlich unter dem weiblichen Seep
terchen da nämlich, wo es geschickt
geschwungen wurde, Susanne war
aber nicht geschickt" in dieser Hinficht;
sie beging immer denselben Fehler,
allzu unverblümt ihre Meinung auszu
sprechen nud sich unverhohlen dasselbe
Urtheil über Menschen und Dinge an
zumaßen, wie ihr Gebietet:.
So also war es gekommen, das; sie
eines Tages in heftigen Streit mit
(krwin gekommen war. Den Anlas!
hatte ein befreundetes Ehepaar gegeben.
Dort hatte die Gattin ein etwas beweg
tes Leben hinter sich, das heißt bewegt
nach den kleinbürgerlichen Begriffen
Herrn Wendland's und auch Su
sannens. Der Gatte dagegen war ein
Mustermenseh. Letzterer aber hatte
aus's Genaueste vor der Hochzeit die
Vergangenheit seiner Gattin gekannt,
hatte ihr Alles vergeben und sie gehei
rathet. Nach einigen Jahren aber hatte
er begonnen, seine Iran erhaben und
dann tyrannisch zu beHandel! Sie
dürfte sich beileibe nicht mit anderen
Frauen vergleichen! Alles, was er einst
um sie gelitten hatte, jede Unüberlegt
fieit, jeden ungehörigen Schrill begann
er ihr vorzuhalten. Sie hatte zu schwei
gen, sie hatte ihm dankbar zu sein, sie
hatte an ihm gut zu machen", kurz,
sie hatte ganz einfach zu kuschen".
Susanne war empört. In der Per
schwiegenheit eines dämmerigen Som
merabends hatte ihre Freundin ihr un
tcr bitterem Schluchzen ihr Herz ausze
schüttet. Du Aermste!" rief sie erschüttert.
Und ich dachte, dein Mann liebte
, dich?"
O ja!" flüsterte die Andere. Er
liebt mich auf seine Art. Hätte er mich
sonst geheirathel? Aber nun hält er
wie eine Oieifcel meine unbesonuene Ver
gangenheit über mir! Er will, ich soll
in steter Demuth gedrückt neben ihm
hergehen. Und das kann ich nicht! Ich
sühle nieine Seele so rein wie die irgend
einer Frau. Ich kann nicht leben, ohne
daß er mich respektirt und er ver
sprach mir das vor der Hochzeit,"
Es ist gemein!" brach Susanne
heraus. Jemandem etwas vorzuwer
fe, was man gewußt hat, Jernan
dem auch nur merken zu lassen, daß
man noch an etwas Vergangenes denkt,
wag man langst verziehen hat, das ist
und bleibt gemein!"
Und aus jenem Gespräch war der
erste Zwist hervorgemachfen. der sie und
Erwin io glücklich zu machen drohte.
Erwin, dein Susanne unter dem Siegel
strengster Verschwiegenheit jenen Zwie
spalt der Frede anvertraut hatte,
vertheidigte den Gatten. Und Susanne
mit ihrer idealen, aufgeregten Natur
war außer sich über diese Vertheidigung,
Ein Wort hatte das andere gegeben,
und wie gewöhnlich rotten ne schließlich
von ihrem Ansangsthema weitab getrie
ben und hatten sich gegenseitig in Feuer
und Zorn geredet.
Dann geschzl, etwas Schreckliches.
Erwin erklärte mit seiner gewohnten,
für ihn so überaus bequemen Philister
haftigkeit, ft.ift selbst in der E!e eine
Frau dem Manne Alles verzeihen miifje
der Mann der Frau nichts.
Mit flammenden Augen sah Susanne
ihn an. Sie sprach plötzlich ganz ruhig,
doch mit klagloser Stimme:
,Vt das ernstlich deine Ansicht?"
Aber felbgveriländlich ! Ja, ja,
liebes Jfino, gcwdme dich nur endlich
daran, daß wir Männer etwas mehr
Freiheiten und Rechte haben als ihr!
So ist nun einmal die Welt und
darein hurt du dich jpi fügen,"
Sie schwitz einen Augenblick, obwoM
sie z sprechen versuchte; doch war ihre
Stimme r stickt.
0 kann ich dir also nicht mehr
vertrauen," sagte sie endlich und fügte
dann hinzu: ,Ja nicht einmal rück
w.trts traue ich dir mehr, X kannst
mich ja schon n'äbligemale betrogen
sieben bei solche Änsich'en, Schade ist
es!"
Und llin -iam v'rüeß sie das Zimmer.
Vor der üiur brach sie obnntachlig $
samm'N und verfiel bann in ein mehr
tä .ie fintier.
ler et! trockene, be'zens'itte Iiwin,
der nur in t dem ffiunJe ein Tsramj
w.:r, ffcjjtr sie an, seine Worte nicht cn;
seine Person zu übertragen. Er schwur
ihr, daß er stets der treueste Gatte gewesen
sei, und Susanne lächelte aber sie
blieb in ihrem tiefinnersten Herzen miß
iranisch. Als sie das erstemal wieder den Talon
betrat, grüßte sie die herrliche Palme
von der Fensternische her. Eine kleine
MarrnorNgur, den iyneben darstellend
leuchtete darunter und Erwin führte
seine geliebte, kleine Frau zu der Ueber-
raschung hm. Gerührt siel sie ihm um
den Hais,
Wie gut d bist! Du verwohnst
mich viel z sehr. Welch herrliche
Palme ! Soll das unsere Friedeuspalme
ein?"
Ja, mein Lieb, Es ist zwar kein
Pljönir, aber dennoch soll sie uns im-
inergrüuen frieden bedeuten.
Und nun wurde die Palme für die
zartfiunige Susanne z einem Idol.
Erwin hatte natürlich nichts dergleichen
init seinem Geschenk beabsichtigt und
sah mit heimlichem Schrecken die aber
gläubische Aengstlichkeit, mit der seine
Frau den Baum behütete. Die Palme
spielte sortan in dem Hanshalt bei Bei
den etwa die Rolle, wie bei anderen kin
derlosen Ehepaaren zum Beispiel ein
zärtlich gepflegter Schooßhuud. Wor
qens, Mittags und Abends besprengte
sie Sutane mit lauwarmem Wasser
und richtete überdies in ihrem Pflanzen
Erker eine kleine Ziinnierfontaine ein,
in möglichst feuchte Luft herzustellen,
Sie reiste nickt mehr fort, ohne einem
zuverlässigen Gärtner die tägliche Pflege
über die Palme übertragen z habe
und beobachtete mit ArgiiSange das
Befinden ihres Pfleglings. Bei gliedern
war sie von einer so liebreizenden Lie
beilsmürdigkeit und Nachgiebigkeit, daß
allerdings nicht das kleinste Wollchen
den ehelichen Himmel trübte.
Nach einen, Jahre hatte der Ehamae
ropS ein neues Blatt. Aber ein nSe
reS welkte.
Erwin !" sagte mit ängstlichen
Auge Susanne. Es welkt ein
Blatt!"
Ja natürlich, liebes Kind! Weißt
du denn noch nicht, daß bei solchen
Pflanzen immer ei Blatt abstirbt,
wenn ein neues kommt?"
Wein das wußte ich nicht."
Siehst du? Aber ich weiß es. Frage
nur den Gärtner."
Es war natürlich eine Ersindung von
Erwin, der schleunigst den Gärtner von
dieser skiner Entdeckung benachrichtigte;
aber Sufannens Nerven waren jetzt so
empfindlich, daß et ihr jede noch so
thörichte Beängstigung zu ersparen
suchte, WeShatb sie nur so reizbar
war?
Nach einigen Wochen verreiste Su
saune zu ihrer Mutter, die schwer er
krankt war. Erwin blieb allein zurück,
und entsetzlich ! Er vergaß die Palme
zu begießeu!
Naq acht .agen bemerkte er den
Schaden. Aber nun war es zu spät,
die Palme war unrettbar verloren.
Was thun?
Erwin fuhr von einem Kunstgärtner
zum andern, nein, es war unmöglich,
eine genau solche Pflanze wieder zu er
hallen. I
Mit schmerein Herzen entschloß er sich
endlich Susannen von seiner Vergeß
lichteit Mittheilung zu machen aber
nein ! Er konnte es nicht. Gerade jetzt,
wo er allein in dem sündigen Babel
Berlin gewesen war nie würde Su
sanne es über sich gewinnen, einen
Zusammenhang zwischen dem Tod der
dummen Palme und seiner ehelichen
Treue von sich zu weisen. ES mar z
ärgerlich !
Plötzlich versiel er ans einen glänzen
den Ausweg, In einem Laden inmitten
der Stadt hatte er kürzlich herrliche Pal
men gesehen, aus natürlichen, künstlich
präparirten Blattmedeln zusammen
gestellt. Er eilte dorthin und trug sei
Anliege vor. O ja, man konnte
ihn! nach jedem beliebigen Muster eine
Nachbildung anfertigen! Gewiß! absolut
naturgetreu! Und nun wurde der
rücksichtsvolle Betrug mit höchster Sorg
fält in' Werk gesetzt.
Jedes Blatt, das nach Erwin's fchnö
der Behandlung mit gelbe Spitzen
trocken in die Luft ragte, wurde, copirt
in herrlich saftigem Grün, um einen
naturlichen, faserigen Stamm gefügt.
Genau dieselbe Anzahl Blätter in der
selbe Bertheilnng befestigt, auch
das kommende Herzblatt und sogar das
melk gewordene erste Blatt all das
erstand i überraschender Täuschung
auf's Neue. Tann wurde das neue
Gebilde in Sufannens Palmentopf ge
pflanzt, an die alte Stelle im Erker
gerückt und nun konnte selbst ein schar
frs Auge den Tausch nicht entdecken.
Erwin siel ein Stein vom Herzen,
und er erwartete nun mit !I!uhe die
Heimkehr seiner Gattin.
Susanne kam. ganzLächeln und Zärt
lichleit. Ihre erste Frage nach der Be
grußunq galt der Palme.
Siel, selbst." sagte der Heuchler.
Sie schlug entzückt die Hände zusam
nie. Wundervoll, Erwin! So schön ge
pXv.t hast du sie! Sie sieht ja ordentlich
er! o!t aus."
Dem guten Erwin schlug doch ein
wenig das Herz. Solche Iteine Uomvdie
war !bm recht zuwider. Ader wenn er
an Tast'S damalige Ohnmacht dachte
ut:b das Fieber und seine Angst
nein! Viel lieber diese gutgemeinte Täu
schte,. " !
.Du. hir' rnat," sagte einige Zeit
d ?caf die kleine Frau, .liniere Palme j
nächst gar nicht so recht. Das Herzblatt
r:rd gar nicht größer." Erwin
meinte, das täusche blos". Heimlich
aber fragte er sich, wie lange den diese
Splegelsechterel nach nieuschlichein Er
messen noch dauern könnte.
Der Himmel aber feilst den Schlot
ehe, ES kam ein Tag, da Susanne
m,t geschlossenen Augen, damit ic ja
nichts von dem sehe könne, was sie
sagte, ihrem geliebten Erwin ein großes
Geheimniß in's Ohr flüsterte. Und
nach der ersten stürmischen Frcudenerup-
tion ging Erwin mit der üblichen, un
geheuer spaßigen erhöhten Würde des
znküustigen Vaters einher. Er kam sich
überaus gewichtig vor, und beinahe
schien es, als wollte cr Jedermann zu
rufen: Seht mich einmal an, was ich
für ein Kerl bin! Ja, ja, ich und meine
Frau, das sind ein paar ganz besondere
Leute,
Susanne wollle sich ausschütten vor
Lachen über den aufgeblähten Stolz
ihres Mannes. Himmel, was war er
doch für ein cchier, rechter Esel von
einem lieben Kerl! Ueberhaupt lachte sie
wieder sehr viel. Sie hatte die ganze
sprudelnde Heiterkeit, die ganze leicht
herzige Vertrauensseligkeit der früheren
Jahre wiedergefunden.
Die Palme trat einigermaßen in den
Hintergrund, und susie tippte sich selbst
an die löckcheiinmkränzte Stirn, wenn
sie an ihre albernen Aberglaube zu
rückdachte. Du lieber Gott! Sie
mußte ja schon längst, daß Erwin viel
zu fest in ihren eigenen Bande lag,
in ihr je untreu werben -zu können.
Der gute ungeschickte Bär!
Und endlich kam ein Tag, da das
mißtönende Geschrei eines entzückenden
(o. h. für die Eltern entzückenden) klei
neu Meiischenmuildes die Wohnung
diirchtöiite. Ein toolin! Herr des
Himmels, ein Sohn! Erwin benahm
sich wie ei unzurechnungsfähiger Schul
junge. Er tanzte, cr nmarmtc die
weise Frau, er brachte ein Wagenrad
der betäubendsten Blumen in das Kran
kenzimmer und wurde auf der Stelle
damit hinauSeomplimeniirt er schrieb
sogar an seine Schwiegermutter einen
zärtlichen Brief.
Suite lächelte und lächelte. Wie war
es nur möglich, daß ein einziges Men
schenherz so viel Glück fassen konnte!
Sie betrachtete den neu erschienenen,
minzigen Atieinherrscher nd empfand
ein außerordentliches Wohlmollen gegen
die ganze übrige Welt, ein vergebendes
Mitleid mit allen Sündern.
Nach mehreren Wochen siel ihr zum
erstenmal wieder die Palme ein. Ein
schalkhaftes Lachen zuckte über ihr Ge
sicht, als sie sich erhob, um mit Erwin
ein Nachmittagsstündchen in dem lange
vereinsamten Salon zu verplaudern.
Dieser wars einen unruhigen Blick ans
die Marmorsignr nd die Palme.
!cn nur heute Susanne sich nicht
aufregte!
Komm doch hierher," sagte er, in-
dem er aus eine entfernte Eanseuse
mies, hier sitzt sich's so nett."
Ach nein, ich itze viel lieber hier.
Sieh mal an, ich habe ja unsere liebe
Palme so lange nicht gesehen! Weißt
Tu, Herz sie sieht doch eigentlich
nicht so recht gesund aus."
Ach, liebster Schatz, bilde Dir doch
nichts ei, Grüner kann sie doch gar
nicht sein."
Ja, das ist es eben sie t m
grün, weißt Du. Es ist gerade, als
wenn ein Mensch zn rothe Backen hat."
Na höre, Frauchen, das ist doch Un-
sinn. Aber laß jetzt den dumme Pal-
menbaum lieh mal hier, wie prächtig
das Weiter noch wird."
Susanne aber beugte sich oiitmcn
samer über die Pflanze.
Erwin!?"
Ja, Liebchen?"
Das ist ja gar nicht meine
Palme!"
Umlernst suchte er sie abzulenken
jetzt hatte die Stunde des Geständnisses
geschlagen
Und er beichtete. Er gestand ihr,
wie er aus Angst vor ihren, Aberglau
den diese unschuldigen Betrug in
Scene gesetzt hatte, und wie ihn all die
Zeit her diese Palme tgrannisirt hatte.
Aber nicht wahr?" schloß er. jetzt
brauchen wir solch ein äußerliches Sym
bol nicht mehr? Wir werden auch ohne
das Frieden hallen?"
Zu seiner sprachlosen Ueberraschung
platzte Stift mit einem schallenden Ge
lachtet heraus.
0 du hcrztausiger Tummerjah!"
ries sie lachend. Hast du denn wirklich
geglaubt, daß ich dein sauberes Trug
gemebe nicht laugst durchschaut habe?
Gleich am zweiten Tage nach meiner
iliückkunst entdeckte ich den ganzen
Schwindel, und cs hat mich ein halbes
Jahr lang löniqlich amüsirt, deine
Angst vor dieser Entdeckung zu bcobach
tcn. Strafe mußte sein! Erstens sür
deine antediluvianischen Ansichten über
die Berlheilung von Recht und Pflicht
bei den Geschlechtern, und zweitens sür
deine Angst vor eine! offenen Gestand
niß." Nun küßte Erwin seine kleine Frau.
bis sie außer Athem war. Er war or- i
deutlich glückselig, daß Alles so gut ad-!
gelauicn war. s
Der Klinge schreit! riet sie. '
schwind hol' ihn her, den kleinen Bur-
schen und, hörst du, Erwin die
ser, und dieser allein soll von nun an
unser wahrer Friedensengel sein!"
Das Ivitrtd'ceit.
Vom Hamburger St. Georgslhiirm
klingen sechs klare t'üockenschläge her
über, erst vier und dann nach kurzer
Pause noch zwei. Es sind die letzten
Lebenszeichen, die ich von der einschla
senden Weltstadt vernehme. Die Eisen-
bahn, die Dammbahn, die Pferdebahn,
die elektrische Bahn haben ihr Stöhnen
und Stavipsen nd Pfauchen und Ptet'
set, eingestellt, die Schienen klinge und
die Drähte surre nicht mehr; die ver
späteten Wanderer können mitten aus
dem Straßendamm ihren Heiiniveq vol
lenden, ohne durch warnendes Lauten
ans ihren Träumen zum Bemußisein
nahender Gefahren emporgeschreckt zu
werden; auch sie verschwinden in ihre
stillen Häuser und nur eine Droschke
noch höre ich in der Ferne über hol-
perigeS Pflaster klappern. Nun ist alles
ruhig. Die Gedanken finden keinen
Halt mehr im Dunkel, sie spielen bt
durcheinander, die festen Glieder der
Kette lösen sich nd frei zerflattern die
der strenge Ordnung Entlassenen in
alle Richtungen. Sie fliegen davon und
kehren zurück, alte Bekannte in neuen
Gestalten, führen fremde Gesellen heran
und Jugendgefährten, die ich längst er
gessen. Sie kauern dicht an meinem
Ohr, erzähle mir seltsame Waiidcr
geschichie, zeige mir zierliche Zauber
biider, lächeln nd nicken und schweben
davon.
Ich liege, so iränmt mir, auf einer
grünen Wiese, so grün, wie der mo
dernste Farbenphantast sie malt, und
über mir spannt sich der blaue Himmel,
so blau, wie ihn Boecklin zu särben
liebt, und hinter mir heben sich düstre
Eypresse, so düster, wie sie die Gräber
jung veistorbener Bräute beschatte; ich
liege als Staffage in dieser herrlichen
Landschast und rauche eine gute Ei
gärn, so gut, wie nur der Prinz von
Wale sie in seinem Schranlc hat. Ich
blase einen großen bläulich schimmern
den Ring und blicke ihm nach, wie cr in
die Lust zerfliegt. Er theilt sich in hun
derte von zarte Wöllchen und jedes
Wölkchen wird eine Gestalt, eine kleine
zierliche Zmergeiigestalt und jedes Zwerg
lein hat ein Geräth in den Händen, dem
es leise Töne entlockt. Er ist eine eine
einförmige Musik und ich denke im
Traum: Sieh, da hast Du den besten
Beweis, daß Du ein völlig unniusikali
scher Mensch bist. Nicht einmal träu
men kannst Du von edler Musik.
Und wie ich es denke, bin ich erwacht.
Die Musik aber klingt weiter. Summt
mir das Traumorchester noch in den
Ohren? Nein, das ist ein Geräusch der
Wirtlichkeit. Ein merkwürdiges Ge
räusch, als ob ein Danipfstrahl durch
eine feine Oeffuung zischt, und dazmi
schen wieder ein sanstes metallisches !ltei
den, und dann ein stärkeres Bibriren,
das ganze seltsam, bestimmt, fremd-
artig.
Da fällt mir plötzlich der Theekessel
ein. Wie oil habe ich zuqc chaut und
zugehört, wenn der heiße Dampf die
kleine Klappe hob, erst in langen, dann
in immer kürzeren Pausen herausschoß
und endlich in dichte Wolke sausend
und pfeifend, in die Luft guvll. Aber
das war es nicht, Ich grübele nach,
was es sein mochte. Doch der Theekessel
läßt mich nicht wieder los und ich quäle
in ich und suche in meinen, Gedächtniß
etwas, was ich nicht finden kann. Der
Theekessel der Theekessel der
Theekessel hat angefangen" jetzt hab'
ich's: Das Heimchen am Herd. Eharles
Dickens, der du dem Heimchen eine
warme Platz in der Dichtung aller
Zeiten gegeben hast, ich danke dir.
Denn jetzt weiß ich, wer das eintönige
Geräusch macht, ich frene mich, daß das
quälende Suchen ein Ende hat, und ich
freue mich noch mehr, daß auch an
meinem bescheidenen Herde (eigentlich
ist es der meiner Wirthin) ein Heimchen
sich niedergelassen hat. Ich höre mit
inniger Andacht dem kleinen Mnsikmi
tcn zu. Ich wundere mich über seine
Ausdauer, daß er es gar nicht müde
wird, immer dasselbe Lied zu spielen,
Oder hört er es so gern, weil er es
selbst gemacht hat.?
Eine Viertelstunde lang pfeift und
zirpt das Heimchen nun schon wenig
stens. Guter Dickens, den die Leute
auch Boß nannten, hat Dein Heimchen
auch so lange gezirpt und gepfiffen? Ich
mochte schlafen und es ist so heiß und
das miibe Gehirn möchte gern Ruhe
haben.
Das Heimchen hört auf z; musieiren,
ich schließe mit einem Seufzer der Er
leichterung die Augen, da beginnt es
schon wieder. Meine Pietät gegen
Dickens und seinen kleinen Schützling
sängt an zu wanken, ich ertappe mich
auf einem bösen Fluche, den ich noch
glücklich ersticke. Ich stopfe mir die
Decke i die Ohren, aber die feinen
Töne dringen durch Leinewand und
Kameelhaar. Ich horche, aus welcher
Richtung die peinliche Störung kommen
mag und finde, daß es die nächste Wand
ist. Ich ziehe mich auf das Sopha zu
rück, um dem Ruhestörer ferner zu fein,
das entsetzliche Echrillen klingt aus der
selben Nähe in meine Obren. Ich
wandere in dem einzigen Lehnstubl mei
er Bcbausiiiig von Ecke zu cfo, überall
werde ich von dem scharfen surrenden
Knirschen empfangen, nirgends giebt es
Rettung vor dem Lärm. Ich mache
mich aus die .suche nach dem peimaien.
ich wollle es morden, vergieb mir,
E hartes Dickens! aber ich erwischte es
nicht, und höhnisch klang nur ein Zir-
pen in die firc. j
Da hebt sich die Sonne Über die!
Baume, und mit den ersten Strahlen!
die in meine Fenster fallen, kk'rstummt'
die Äufit: Das Heimchen geht schlafe. '
wenn der Tag erwach,, und auch ich
iinde Rade siir meine geanätten Sinne. !
Am Abend darauf faß ich in meinem
Zimmer und wartete auf das Heimchen
Es dauerte nicht lange, da begann das
Koncert.
Mama, sie singen schon wieder,"
höre ich nebenan den Sohn meiner
Wirthin sagen. Wie pociisch bezeichnet
er die qnalenbringenden Uebungen des
kleine Lärmtenfeis! Ich gehe hinaus
und frage:
Wo sitzt denn eigentlich das Heim
chen?" Was ist da. Heimchen?"
Nun, Du hast es doch eben singen
gehört?"
Ach, Sie meinen meine Grashupfer?
Ja, die singen schön, koste auch drei
Stück einen Groschen."
Damit wie er mir ein künstlich ans
Eigarreiikistenholz aufgeführtes Gebäude
vor, in dem ich durch ei Glasfenster
chen 3 Grashüpfer friedlich eben ein
ander sitze sehen konnle.
Was, Du kaufst die Biecher, und
schleppst sie noch in's Haus V ficht ich
den Junge , die Unglückswürmer.
müssen weg,
Sie werden doch kein Unglück brin
gen?" fragt ängstlich meine Wirthin,
die eben dazukommt.
Aber wisse Sie das den nicht?"
Ich nehme mit großer Geistesgegenwart
den Faden auf, den sie mir nichtsah,d
in die Hände giebt: Ich halle als Zunge
auch mal einen Grashupfer mitgebracht,
es war nur ein einziger, aber trotzdem
hat eine Etage über uns ei achtzigjäh
riger Man zwei Jahre später darauf
einen Schlaganfall bekommen und nach
drei Jahre war er eine Leiche,"
Dieses treffende Beispiel von den n
heilvollen linflüssen die ein Grashupfer
auf die Gefniidheit von Leuten ausübt,
in deren Nälje er gebracht wird, leuch
Mc der Frau ei. Sie nahm den Ka
sten, schüttele die Grashupfer zum Fen
ster hinaus und der Junge lies schreiend
die Treppe liinab, um noch eins oder
das andere seiner schmählich verjagten
Hausthiere i, retten. Es ist ihm nicht
gelungen. Wer weiß, wem diese sal
scheu Heimchen jetzt die Nachtruhe stö
ren ?
fein mnsikrnafter Lberchgfmeister.
Der Herzog von Montanster, Ober
hofmeister des Dauphins von Frankreich
unter der Regierung Ludwigs des Bier-
zehnten, gab es nie zu, daß sein Zögling
die an ihn gerichteten Dedikationen ke
sen durste. Eines TageS überraschte er
den Dauphin doch dabei, als er eben
eine derselben las, um de ganze Siißig-
seit der verbotenen Frucht z losten.
Anstatt sie ihm wegzunehmen, nöthigte
ihn der kluge Herzog, sie laut zu lese,
und am Ende jeder Periode unterbrach
er ihn und fragte mit sarkastischem Lä
cheln: Sehe Sie nicht, mein Prinz,
daß sich diese Leute ungestraft über Sie
lustig machen? Den tonnen toie ich
wohl einbilden, daß Sie all die außer-
ordentlichen Eigenschaften und Geistes-
gaben wirklich besitzen, die man Ihnen
zuschreibt? Können oic wohl diese gro
be Schmeicheleien ohne Unwillen lesen,
d e man ihnen dartnbringen nicht wagen
wiirse, wenn man nicht die schlechteste
Meinung von Ihrem Verst,,NZe hätte?"
Wie nöthig wäre allen junge Prinzen
ein solch ehelicher Obcrhosnieister,
Die Mutter im Sprichwort.
Wahrhaft rührend spricht sich im
Sprichwort bei alten Völker die hohe
W'rthschätzung einer guten Miitterans:
Es giebt keine solche A!uer," sagt der
Spanier, wie die, welche ihr Kind ge
tragen hat!" Einer Mutter Liebe ist
die beste von allen," heißt es hindosta
nisch, Der Bergamask sagt: Mutter
mein, immer mein, möge reich oder arm
ich sein," und der Venetiancr: Mutter,
Mutter! Wer sie hat, ruft sie, wer ste
nicht hat, vermißt sie." Ter Teutsche
hat Über den Wert!, der Mutter die löst-
lichiten pricyworlpcrten: Mntt'rtren ,
wird täglich neu." Ist die Mutter
noch so arm. giebt sie doch dem Kinde!
iturun" Wer der Mutter nicht folgen !
roll, muß endlich dem Biiltel folgen."!
Besser, einen reiche Vater verlieren,
als eine arme Vkntter." Der Russe!
sagt: Das Geliet der Mutter holt vom .
Meeresgrund heraus." Der Tscheche ,
und Leite sagt: Multerhand ist weich.
auch wen sie schläat." Was dik i
Mütter leiden ,,, drücke diej
Italiener mit den Worten aus: Mutter ,
,;(! (.... HUrlnnn " '!,.
iuiii iullu iimin. -'M" j.'im- i
ter sind die Kinder verloren, wie die!
Bienen ohne 'Weisel." spricht der Russe, j
Wenn die Mutter stirbt, löst die
Familie sich, " s'gl der Jndier, Ist
die Minier todt, so ist der Vater blind,"
der Italiener.
Parabel.
Herr Rentier Le'imann, der sich in
seinen zahlreichen Mußestunden beson
ders qe ne mit der Lö'irng tiefsinnige,
Proeleme befaßte, zermarteite fei Hirn
mit dem Ttudiiim der ie, ausweiche
Weise man feststellen tS,!i,Ie. od unter
den Leuten mei r gesch-idte oder dumme
ikikii. Da plotzl'eri. IS er nach ein paar
crfiuiiit'M t!ihJkn aus dem Wemie-
slaura! aui die belebte Ztiaße hinaus
trat, kam ikm ein "iedante.
Er maebtc I'ch biner einem dielten
Wcnkchenschwarme ker und rief ein paar
Mal tont: Sie pefiVibtft M'niichi 5ie
wt'-icx IVchh! Zit kluger oss!' Hin
Mmand achte!.' daran'.
Da riet er blos ei '.'.'! ll: Sie dum
mer lierl!" und r t;'! wir emi
nent. Alte bis nil' den V;;!en ti'lrnn
wenig feriim. "Hiebt tii'teii dioVrd die
2'ivte. nd sin !,'.', r Surrten unten
vollends ant i! n lc und lii:b!,n bn
an: Hier ist meine Karte! Sie haben
mich beleidigt !"
Mit größter Mühe entging er der all
gemeinen Wuth aber das Problem
war gelöst,
rioatverguiigcn,
Frau Oberlehrer: Lieber Mau, ich
gehe jetzt aus! Inzwischen bist Du
wohl so gut, der Köchin, die morgen
weggeht, ein Zeugniß zu schreiben!
(Nach einer Sluude kommt die Frau
Oberlehrer zurück nd sindet die Köchin
ihrem Manne gegenüber am Tische
sitzen.) Ja, was soll denn da?"
Oberlehrer: Ich prüfe sie nur ein
wenig in Geschichte und Geographie!"
ZZci'm CEn.jagcincnt.
Hausfrau (zum neueiiitretendei, Ziin
inermädchen): Ich hoffe, daß Sie mei
ne Kindern mit Liebe entgegen-,
kommen werden! Mein achtzehn
jähriger Oslar ist natürlich davon aus-genommen!"
verfel,ltc ?reI,ig,
Meister: Warf. Tu Lausbub', von
heute an bekommst Du mehr Schliig'
ajö zu essen!"
Lehrjunge: Aber, Meister, schneide
S' doch nicht gar so aus!"
ülebrni.
Dame (in einer Buchhandlung): Ich
möchte eilten Klassiker haben!"
Gehilfe; Bitte sehr, welchen?"
Dame: Einen in rolhent Ein
band!" Xloppclfitnii j.
Er: , Klaube meinen Schwü
ren: Nie werde ich Dich verlassen;
Deine Heimat!) ist meine Heimath!"
öic enttenti : Aeb, und Dem Eid
ist Mein eid!"
?sl,.si.
Wittwe (die mit ihrem Mattn sehr in
Unfrieden gelebt, zu ihrer Nachbarin):
Sehen Sie, in diesein Zimmer saßen
wir oft in süßem Träumen!"
Nachbarin: Wie man nur so laut
träumen kann!"
Aas einer vctthcidigungsrede.
Zum Schlüsse, meine Herren
Geschworenen, möchte ich Sie noch dar
auf aiifmerksam machen, daß mein
Client Ihre Ausgabe wesentlich crlcich
terte dadurch, daß er nur e i e n n Para
graphen des Strafgesetzbuches verletzte,
obwohl ihm dreihündcrisiebzig zur Ber
fügung standen!"
Aus Freude.
Johann, Sie holen heute meine
Schiutcgcrntnttcr vom Bahnhof ab.
Dafür bekommet, Sie eine Mark Trink
geld." Wettn aber die gnädige Frat, nicht
atikonimt?"
Tann dann gebe ich Ihnen zwei
Mark!"
Nobel.
Ach, wollken gnädige Frau nicht
etwas sür den Wohlthatigkcitsverein
zeichnen?"
Ich zeichne nichts!"
Nun, dann bitte ich Sie, doch wenig
stens 'M Mark pro forrna zu zeichnen!"
Pro forrna? Na, ich will nicht
nobel sein da zeichne ich 50
Merk!"
Ans der Kinbcrstiibc.
Der kleine Willy, nachdem er un
glaublich lange still und nachdenklich
dagesessen hat,: Mama, wo hast Tu
mich eigentlich kennen gelernt ?"
Matiiiös.
Junge Frau: Diesen Mittag ist
mein Mann beim Essen fast ersticki!"
Bekannter: Sie hatten wohl selbst
gekocht?"
Auch ein Stand.
Herr Izt, einem Bettler): Je"i habe
Ihnen doch unlängst eine neue Hof? ge
geben, und sie tragen schon wieder ei'.'e
so schäbige?" 1
Bettler: Ja, wissen S', dös is et
standesgemäß!"
Anders gemein!.
Student: Sie haben ja ein Zimmer
zu vermuthen?"
Frau: Ja. aber für Studenten ist's
nichts, ich habe kleine Kinder!"
Student: Das genirt mich ich,!"
Frau: Aber mich; Sie tollen mir
nicht jede Nackt die Gesellschaft an!
wecken, wenn Sie ach Hause Ion, men!"
ISosHliii.
Jagdbefitzer: Hier an dem Triil
stein liabe ich vergangen? Woche einen
Hasen geschohen!"
Bekannter: Haben Sie desbalb den
Stein erricht, lassen?"
Anzüalib.
Ant imm Bekannten!: Ibr Jnt!.-,v
h.it mich ! r empfohlen in seinen Be
; kaniitentreisen!"
i riebt ihm ähnlich, dem ichademrohen
: Lumpen!"
: . hältst Du wirklich die vegeta
rücke L,b.!i-;n.'ci,'c si:r so 'ehr zunc' -t,d"
B.: ''utslieden, neulich t.outntc
mir 'mal. ich lütte eine Br,!irri:rst ge,
geiieii. t.-tuH dir. ich acht Tage Un
Iran! i; . treten!"
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"-x.
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