Nebraska Staats-Anzeiger. (Lincoln, Nebraska) 1880-1901, March 15, 1894, Image 12

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    chluch unter der Asche.
iion lor Hedberg
Rittmeister Karl xadtu von Stahr
raar ein itann, der feiner .Seit Zehr ge
feint, sehr gesucht, sehr geliebt und doch
sehr wenig beneidet wir. ?r war einer
jener Menschen, welche den Andern einen
starken Glauben an ihn Fähigkeiten in
ftSßen. aber er hatte sich niemals der
Kritik dadurch ausgesetzt, daß n die
Fähigkeiten zur Wirklichkeit gemacht
hülle. Man sagte von ihm. daß er,
wenn er gewollt, gekonnt Hilfe und
man dachte nicht schlechter von ihm, wett
er nicht gewollt hatte, im Gegentheil.
Man sagte zum Beispiel: wenn t ge
wollt hätte, hätte er riegZmtnlfter wer.
den oder eine brillante Partie machen
oder Vermögen gewinnen können, und
man sagte e darum so gern, weil er we
der Kriegsminister geworden, noch eine
brillante Partie gemacht, noch e:a ZZer
mögen gewonnen hatte. So erklärte er
zum Mindesten die Sache selbst mit set.
nem seinen skeptischen Lächeln unter dem
gewichsten Schnurrbart, denn er war
weder, noch stellte er sich unkundig seine,
RuseZ. Er sagte: wer ein Vollblutpferd
reitet und doch Andere auf schlechteren
Gäulen vorbeireiten läßt, wtrd de, ihnen
unfehlbar ein Gefühl der Dankbarkeit
erregen. Ich bin immer meiner Pferde
wegen berühmt gewesen, war aber nie
mal ein Freund von Wettrennen und
auf einem edlen Rosse im Schritt zu rei
ten. ist in jedem Falle das nobelste Ver
gnügen. da eS gibt, aber man muh ein
wenig Feinschmecker sein, um sich daraus
zu verstehen.
Während er nun im Schritte geritten
war, waren in jedem Fall die meisten sei
ner Altersgenossen ihm zuvorgekommen.
Und nun geschah e,, daß. als er die
Fünfzig überschritten und nicht mehr ge.
worden war, als was er war, die alte
Auffassung von ihm ansing, gleichsam in
Vergessenheit zu gerathen. Man äußerte
sie wohl noch, wenn eS sich so traf, aber
im Allgemeinen war man der Ansicht, daß
eS sich nicht gerade verlohnte, sie zu
äußern. Er empfand die aufkeimende
Mißachtung, die hierin lag, und das
kränkte ihn tiefer, al er sich selbst be,
kennen wollte.
E giebt Menschen, die sich daS ganze
Leben hindurch gleich bleiben. ,ür welche
Jugend und Aller nur verschiedenartige
Massen sind, hinter denen die wirkliche
Natur mit demselben unveränderten Blick
hervorguckt, aber eS giebt auch andere,
bei welchen da hereinbrechende Alter
eine durchgreifende Veränderung mit sich
bringt. Die war mit Rittmeister v.
Stahr der Fall. Vom fünfzigsten Jahr
an kannten seine Freunde und Bekannten
ihn nicht mehr wieder. Er fei gleichsam
ein anderer Mensch geworden, sagte man.
Aber der Blick war doch im Grunde der
selbe sein Charakter hatte sich nur so.
zusagen umgekehrt. War er früher mit
heilsam gewesen, so war er jetzt ver,
schlössen, au einem Gesellschastmen
schen wurde er ein Einsiedler, die Lie
benSwürdigkeit verwandelte sich in Bit
terkeit, die Sorglosigkeit in Interesse,
losigkeit. Er halte eine lange Leine ab
zuhaspeln gehabt, länger als die meisten
Anderen aber nun war die Leine ab
gelaufen, er hatte den verhängnißschme,
ren Stack gespürt, und nun wand da
Leben sie langsam wieder auf, Zoll für
Zoll.
Ganz plötzlich, nachdem er bei einer
Beförderung Übergängen wurde, nahm
er seinen Abschied. Seitdem lebte er
einsam, fast ohne Umgang. Jeden Vor
mittag konnte man ihm auf seiner schönen
braunen Stute reitend begegnen noch
immer ein hübscher Mann, tadellos, die
freie Haltung jetzt ein wenig steif, indem
er feine ehemaligen Freunde mit einem
Wink und die Damen mit einem Lächeln
grüßte, welches die fehlerlosen Zähne
entblößte, aber niemals da Auge er
reichte. Die Abende brachte er immer
im .Club- zu, wo er Schach spielte. Er
war jetzt nämlich ein leidenschaftlicher
Schachspieler geworden.
Sein Partner war zumeist ein gewisser
Revisor Roth und ungefähr in gleichem
Alter und Junggeselle wie er war. Sie
hatten sich früher schon flüchtig gekannt,
und nun war eS ihr gemeinsames Jnter,
esse für daS Schachspiel, das sie zusam
mensührte. Sie trafen sich übrigens
nur am Schachtisch, und außer den un
vermeidlichen SpielauLdrücken sagten sie
nur guten Tag" und Adieu zu ein
ander. So ging eS etwa ein Jahr.
Da geschah eS, daß der Rittmeister
sich den Fuß verrenkte und vierzehn Tage
zu Hause bleiben mußte. Die Abende
wurden ihm entsetzlich lang; eine Woche
hielt er eS aus, aber dann ergab er sich
und schickt einen Boten zu dem Revisor
mit der Anfrage, ob dieser ihn nicht be,
suchen und bei ihm zu Hause eine Partie
spielen möchte statt im Club. Der Re
visor kam und kam von nun an jeden
Abend, so lange der Rittmeister zu Hause
lag. Dann trafen sie sich wieder im
Club, aber gefielen sich dort nicht mehr
so gut wie früher. Und dann fügte e
sich dann so ganz allmälig, daß sie regel
mäßig eine Partie zu Hause bei dem
Rittmeister spielten, da sie dort unge,
störter waren und ohne Ungelegenheit
eine unbeendigte Partie unterbrechen
konnten, Denn ihre Partien begannen
sich immer weiter hinauszuziehen, theil
weil 1t ihre Taktik jezi gegenseitig durch
und durch kaiinten, theils weil sich zwi,
schen den Zügen die Unterhaltung auszu
spinnen begann.
Revisor Roth machte bei der ersten
Bekanntschaft den Eindruck der personi,
sizirten Bescheidenheit. Er war äußerst
entgegenkommend in feinem Wesen und
stimmte Demjenigen, mit dem er sprach,
immer bei. DieS jedoch nicht aus Falsch,
heil der Schmeichelei, sondern aus Scheu
oder Unvermögen, sich auszudrücken. Un,
selbstständig, nachgiebig gegenüber Frein
den, wurde er fest und selbßstlndig erst
?egenüber Denen, welche ihm näher ge
ommen; er mußte mit einem Menschen
befreunde! sein, um ihm widersprechen
zu können. Lbcr er war auch s?, daß
er unbedingt für jeden Menschen Freund
schaft faßte, mit dem er nur lange genug
zusammen gewesen war.
Der Rittmeister hatte ihn im Anfang
mißachtet der, richtiger gesagt, als Men
schen vollkommen ignornt und ihn nur
all ordentlichen Schachspieler geduldet.
Aber als der Revisor ein Jahr lang mit
ihm gespielt, begann die Freundschaft
bereits bei ihm emxorzusprießen, wuchl
während de Rittmeisters kurzer Krank
heil und blühte auf, al sie da erste
Mal in ei ordentliche Gespräch kamen.
Der Rittmeister war ganz erstaunt
daS war nicht eine Memme, mit der er
zu thun hatte, fondern eine Person mit
selbstständizen Meinungen; ihre Ansicht
ten stimmten nicht sonderlich überein und
sie kamen oft in Streit. Sie diZputirten
bald ebenso gern, all sie zusammen
Ichach spielten, und wurden, wie ei
schien, einander allmählich unentbehrlich.
Namentlich der Revisor für den Ritt,
meister.
So vergingen ein paar Jahre. An
einem Frühlingiabend saßen sie zusam
men in der kleinen Wohnung de Ritt
meist; sie hatten eine Partie beendigt,
die sich eine ganze Woche hingezogen, und
ruhten nun, indem sie schweigend ihre
Cigarren rauchten. Der Revisor faß
und sah träumend zum Fenste? hinaus
zwischen zwei Giebeln auf der andern
Seite fiel da Sonnenlicht in daZ Zim,
mer mit dem starken strahlenden Glanz,
den e an schönen FrühlingSabenden hat.
Der Rittmeister betrachtete den Freund
und lachte plötzlich sardonisch.
.Weißt du aa. Alter." sagte er.
.du siehst aus, als wärest du verliebt.
Der Revisor sah ihn gedankenvoll an,
ohne daß er verletzt oder verlegen zusein
schien.
.Ach nein," sagte er, .dazu ist e zu
spät. Aber ich mußte daran denken .
Er schmieg eine Weile und fuhr dann
fort: .Warum hast du dich eigentlich
nicht verheirathel?'
.Ich!"
Der Rittmeister riß die Lugen auf und
lachte kurz. .Hast du je gehört, daß
man Hechte mit Stecknadeln fängt? Ich
wurde niemals gefangen, mein Lieber.
Aber du, das könnte man eher fragen,
warum hast du dich nicht verheirathel?
.Ich sing keine. versetzte der Revisor
einfach.
Der Rittmeister sah ihn an und drehte
seinen Schnurrbart.
.Ja, ich habe dich immer im Verdacht
gehabt, daß du dich auf Frauen nicht oer
stündest.
Der Revisor lachte ein wenig zer
streut. .Eigentlich, glaube ich, habe ich
mich nie um mehr als eine gekümmert,
sagte er.
.Und die bekamst du nicht?
.Nein.'
Sie saßen eine Weile stumm da, dann
fragte der Rittmeister.
.War sie hübsch?'
.Ja, damals war sie die Schönste, die
ich mir wenigstens denken konnte.
Der Rittmeister schob anzüglich die
Lippen vor, sagte aber nicht.
.Wessen ich n ich eigentlich am besten
entsinne, das sind ihre Augen, ich habe
niemal gedacht, daß fo viel Ausdruck in
einem Paar Augen liegen könnte, und
gleichwohl wurde man aus ihnen niemals
klug und wenn sie über etwas unzu
frieden war, biß sie immer in die Unter
kippe.' Der Rittmeister sah hastig auf. Na,
da ist wohl nicht so Ungewöhnliches!
Der Revisor hörte ihn nicht, sondern
fuhr mit einem wehmüthigen Lächeln
fort: .ES ist merkwürdig, welch' tiefe
Wurzeln ein solches Gefühl haben kann;
man glaubt, es fei vollkommen todt und
dann bleibt doch immer etwas davon am
Leben, und wenn man eS am Wenigsten
ahnt, sprießt ein Wurzelschößling her.
vor. Ich traf sie heute auf der Straße.
.Aha!
Der Rittmeister entblößte seine weißen
Zähne und eS leuchtete in seinen Augen
auf. .Ja, das ist wirklich ein ganz
kuriose Gefühl, feinen alten Flammen
auf der Straße zu begegnen. Aber e
wird bedeutend weniger intensiv, wenn e
oft geschieht. Jetzt rührte eS mich nicht
sonderlich mehr, aber früher, seine
Augen leuchteten immer stärker .da
durchführt mich stets wie ein leichter
elektrischer Schlag sehr behaglich
übrigen.
Der Rittmeister pflegte niemals mit
seinen Erfolgen bei den Weibern zu
prahlen obgleich er nichts dagegen
hatte, wenn Andere davon sprachen, aber
nun fühlte er eine unwiderstehliche Luft,
feinen Freund ein bischen zu blenden.
Er war aufgestanden und ging, seinen
Schnurrbart zwirbelnd, mit elastischen
Schritten im Zimmer auf und ab. Dann
war es auch ein alte Erinnerung, die
Macht über ihn bekommen hatte.
.Auf Eine besinne ich mich besonders,
der ich niemals begegnen konnte, ohne
daß e mir in die Beine ging. Ich
wurde förmlich schwach in den Knie
kehlen. Na ja, daS war auch das einzige
Mal, daß ich nahe daran war, im Ernst
gefangen zu werden.'
.Siehst du auch du, sagte der
Revisor gutmüthig.
Na ja, daS war doch auch etwas, um
sich fangen zu lassen. .Ah. solch ein
Weib eine Königin, eine vollkommene
Königin und doch so sehr Kind. Ja,
eS war eine absonderliche Mischung. Und
dann so schön schön wie ein Engel!
Schultern und Arme fo und dann er
hob sie ihren Kopf der Mund ein
wenig spöttisch, ober leidenschaftliche
Augen, man glaubte, sie wäre kalt,
aÄein die Augen verriethen sie. Ich
traf sie in einemBadeort. Ja, daZ war ein
Sommer! Ich entsinne mich noch un
serer letzten Begegnung ich mußte am
Tage daraus sorrreisen vielleicht ge
schah e darum: aber all wir schiedea,
ließ sie sich von mir küffeo ein einzige
Mal! Der Kuß brannte mich die ganze
Nacht ich hätte wer weiß was gegeben,
um noch dableiben tu können, und dann
märe mein Sch'cksal besiegelt gewesen
da weiß ich aber ich mußte fort
und dann, na dann g'!ng e, wie e ging,
und da war wohl ganz gut. Ich tauge
nicht dazu, im Joch zu gehen. Aber
wunderlich war e, sie wiederzusehen.
Ja, nun hat sie erwachsene Kinder ihr
Mann ehrte mich eine Zeit lang durch
seine Freundschaft, ich habe viele Mit
tage bei ihnen zu Hause gegessen, er
gab gute Diner, der alte H,Im'.
Der Revisor rückte näher und sah ihü
verwundert an.
.Holm, sagtest du?
Der Rittmeister biß sich in die Lippen.
.Pardon nein, davon weiß ich ich s
.Der Revisor sah ihn noch immer an
und wurde immer bleicher.
.Holm Konsul Holm und sie hieß
seine Stimme wurde plötzlich rauh
.Anna Hjelm?"
Der Rittmeister drehte sich verdri.ßlich
auf dem Absatz um. .Der Tausend
du kennst eS geschah rein in Gedanken
e bleibt nalürlich unter uns!
Er wandte sich wieder gegen den Reoi
sor um, blieb aber bestürzt stehen. Die
ser war todtenblaß, und die Lugen, die
noch immer starr auf den Rittmeister ge
richtet waren, nahmen allmählich einen
krankhaften, fast feindlichen Ausdruck an
er halte denselben früher in Anderer
gesehen, und er verstand sofort AlleS.
.War sie es?' fragteer.
Der Revisor antwortete nicht, aber
sein Blick glitt hinweg.
Der Rittmeister gtng ein Mal durch
da Zimmer und blieb wieder stehen.
.Da ist ein sonderbares Zusammen,
treffen,' sagte er.
.Ja sehr sonderbar! miederholte der
Andere mit erzmungenem Lachen.
Der Rittmeister sah ihn an und pru
stete plötzlich loS. Er konnte sich nicht
helfen, nun, nachdem sich tie erste Ueber,
rafchung gelegt, kam ihm das Ganze so
komisch vor.
Der Revisor erhob sich, warf ihm ei,
nen hastigen und scheue Blick zu und
ging nach der Thüre. Da wurde der
Rittmeister wieder ernst.
.Aber so höre doch wo willst du venn
hin?'
Allein der Revisor war bereit zur
Thüre hinaus.
Der Rittmeister ging ihm bis in den
Flur nach, aber er war bereits fort.
Der Rittmeister zuckte die Achseln und
ging wieder hinein.
.Eifersüchtig auf mich so lange her
nach! Solche Dummheiten!' dachte er.
.Bah e geht wohl vorüber bis
morgm.
Er beruhigte sich und lachte wieder
über da Ganze.
Am folgenden Tage, um die Zeit, da
der Revisor zu kommen pflegte, war er
aber doch ein bizchen unruhig. Der Re
visor kam nicht, und ebensowenig am
nächste Tage. Drei Tage lang erwar
tete er ihn vergeben. Dann ging er in
den Club auch hier war er nicht. Da
schrieb er einen langen Brief an ihn er
bekam keine Antwort. Da wurde er är
gerlich, verfluchte die Dummheit der
Menschen und endete mit einem Achsel
zucken: .Wie er will meinetwegen!
Vierzehn Tage lang hielt er eS aus,
obgleich feine Abende unendlich leer und
lang waren, aber dann biß er endlich sei
nen Stolz in sich und ging zum Revisor
hinauf, selbst auf die Gefahr hin, nicht
angenommen zu werden.
Aber der Revisor empfing ihn, ja, im
ersten Augenblick schien er sich fast zu
freuen, daß er ihn wiederzusehen bekam.
Der Rittmeister that, als wenn nichts
geschehen wäre, sondern plauderte auf
seine alte Art. Am Anfang stimmte auch
der Revisor in seinen Ton ein, aber dann
allmählich überkam ihn ein gewisser
Zwang, sein Blick nahm wieder den
verwundeten, feindlichen Ausdruck an und
es kam eine gezwungene Artigkeit in fein
Wesen hinein. Schließlich saß er ganz
still da oder antwortete nur einsilbig.
Der Rittmeister schwieg dann auch,
und eine Weile faßen sie steif und unbe
meglich einander gegenüber.
.Ich quäle dich? sagte er schließlich
kurz.
Der Andere nickte, ohne aufzusehen.
.Aber der Tausend! rief der Ritt
Meister, das ist ja doch längst vorbei;
und eS war ja nichts ein einziger Kuß
ich gebe dir mein Ehrenwort!'
Der Revisor erhob abwehrend die
Hände. Nein, ich bitte dich rede
nicht davon ich ich kann daS nicht
ertragen.
Der Rittmeister biß die Lippen fest zu,
fammen und erhob sich langsam.
So leb' wohl! sagte er traurig,
verbeugte sich mit steifer Würde und
ging.
Dann trafen sie sich zwei Jahre lang
nicht mehr. Sie gingen bisweilen auf
der Straße aneinander vorüber, aber sie
nickten sich nur aus der Ferne zu.
! Der Rittmeister ritt wie früher jeden
Vormittag au. Aber feine weiblichen
Bekannten bemerkten, daß er sie wohl
mit derselben ausgesuchten Höflichkeit wie
früher grüßte, ihnen aber nicht mehr sein
hübsches Lächeln schenkte. Abends dage
gen hatte er begonnen, in die Theater zu
gehen, wo er bald einer der treueften
Stammgäste wurde, sah aber immer ein
wenig ironisch-uninteressirt aus. Man
meinte auch, er hätte angefangen, gründ
lich alt zu werden.
Eines TageS las er in einer Zeitung,
daß Frau Anna Holm, geborene Hjelm,
gestorben fei. Im ersten Augenblick gab
eS ihm gleichsam einen Schlag vor die
Brust e machte eine besonderen Ein
druck aus ihn. diese Todesanzeige zu
sehen; doch spielten die Jugenderinnerun
gen hierbei keine Rolle, nem, e war so
sonderbar, weil er diese letzter: zwei Jahre
ihr immer gegrollt hatte.
.So, nun war sie also todt!'
Al er mit diesem Gedanken veilrai.:
geworden war, machte er weiter keinen
Eindruck auf ihn, er wunderte sich bi
! weilen selbst darüber, wie gefühllos er
geworden.
Einen stärkeren Schlag vor die Brust
bekam er jedoch, al er einige Abende
später ein wohlbekannte Läuten n der
glurglocke vernahm und die Haushälterin
hereinkam und Herrn Revisor Roth an
meldete. Sein Gesicht leuchtete einen
Lugenblick auf, aber dann beherrschte er
sich, erhob sich und stand wartend, in
strammer Haltung, nur ein wenig bleicher
als gewöhnlich da.
I Der RevisorZ kam hinein; er sah ziern
lich verlegen au, blieb an de? Thüre
stehen, hustete, vermochte ober nicht? zu
sage. Der Rittmeister rührte sich
nicht. Plötzlich ging der Revisor auf
ihn zu, erfaßte seine Hand, drückte sie
warm und sagte schnell, al wenn er eine
Lektion aufsagte:
.Ich bekam eine solche Lust auf
eine Partie und da dachte ich ein wenig
bei dir hinaufzusehen aber du haft
vielleicht keine Lust?'
Der Rittmeister sah ihn fragend an,
machte dann eine schnelle Bewegung nach
dem Schachtisch hin und versetzte: ,Oh
warum nicht!'
Sie setzten sich schweigend, begannen
schweigend das Spiel und setzten es den
ganzen Abend schweigend fort.
Aber unter diesem Schweigen kamen
sie so ganz allmälig wieder in das alte
Verhältniß hinein. Jhie Blicke, die im
Anfang einander vermieden, trafen sich
allmälig immer fester und vertrauter; eS
wurde wieder ganz wie in alten Tagen.
Die Uhr wurde elf, sie wurde zwölf,
aber die Partie wollte kein Ende neh,
men.
Da erhob sich schließlich der Revisor
und sagte: .Ja wir müssen wohl mor
gen fortfahren.
Im selben Augenblick senkte sich etwa?
von der früheren gezwungenen Stirn
mung über sie, ihre Blicke flogen
haftig aneinander vorbei. Dann sagte
der Revisor erklärend, in seiner gewöhn
lichen. schlichten Art: .Siehst Du
nun ist sie ja todt! Ja, ich komme
also morgen.'.
Der Rittmeister sah ihn ein wenig ver,
wirrt an, hatte sicherlich eine" Frage auf
der Zunge, bezwäng sich aber. Du
bist willkommen! sagte er nur.
Sie drückten einander kräftig die Hand,
und der Revisor ging.
Als der Rittmeister allein war, ging er
eine Weile nachdenklich auf und ab, und
das alte ironische Lächeln schwebte um
seine Lippen.
Was ist der Mensch doch für ein
wunderliches Geschöpf!' murmelte er
schließlich.
Aber dem mochte nun sein, wie ihm
wollte, froh war er in jedem Fall, fast
glücklich, denn er hatte sich fo verdammt
einsam gefühlt er begriff nun erst
recht, wie schauerlich einsam er gewesen.
Line Rache.
AuZ den Erinnerungen eines S.'emannes.
Am 30. Juni 1313 befand sich die
französische Kriegsbrigg La Cuirasfier',
welche den französischen Konsul M. in
der Levante mit seiner Familie nach
Smyrna brachte, auf der Höhe von AI
gier. Abends um 9 Uhr signalistrte die
Wache ein großes Schiff, welche auf die
Brigg zufegelte. Der Kapitän gab Be,
fehl, den Lauf des Schisses zu befchleuni
gen, weil ihm befohlen war. den Feind
zu meiden und sich nur im Nothfalle auf
einen Kampf einzulassen. Al der Tag
graute, zeigte sich das fremde Schiff noch
am Horizont. Der Wind ging stark und
der Cuirassier war genöthigt, einige
Segel einzuziehen, weshalb ihn das an
dere Schiff gegen 11 Uhr einholte. Es
war ein großes, schwarz angestrichenes
Schiff von gutem Bau, einem Piraten
ähnlich. Jedoch bemerkte man in seinem
Takelwerke, an welchem einige Taue ge,
brochev waren, eine Unordnung, die sonst
solchen Fahrzeugen nicht eigen ist. Ueber,
dies ließ sich Niemand blicken; die Stück
Pforten waren geschlossen. Beide Schisse
segelten eine Weile zusammen. Da ließ
der Kommandant, in der Ueberzeugung,
eS fei zu spät, das Gefecht zu vermeiden,
dergestalt manöoriren, daß man sich auf
Schußweite Bord und Bord befand. Er
selbst schloß die Damen in das Gemach
ein und stieg in großer Uniform auf das
Verdeck, in einer Hand den Säbel, in der
andern da Sprachrohr. Der Tambour
rührte die Trommel und Jeder begab sich
auf feinen Posten; darauf schmieg Alles
und harrte. Der Kapitän stieg auf das
Hackedord und rief das unbekannte Schiff
an. Es erfolgte keine Antwort. Zieht
die französische Flagge auf und schießt
Pulver in der Kanone ab! lautete nun
das Commando. Alsbald entfaltete sich
eine dreifarbige Flagge und der Kanonen
donner rollte über das Meer. Doch keine
Fahne erschien auf dem schweigenden
Schiff. Seltsam! rief der Comman
dant. Schießt mit der Kugel!' Ein
zweiter Kanonenschuß ertönte. Die Ku
gel zerriß da Hauxtsegel und das
schweigende Schiff verlor an Schnellig,
kett. Aber auch dieser Kanonenschuh
blieb unerwidert. Nun richtete der Com
Mandant das Fernrohr aut's Verdick und
Staunen malte sich alsbald in seinen
Zügen. Er reichte dem Lieutenant das
Fernrohr und dieser rief: Ich sehe zwei
oder drei Menschen, die am Boden liegen,
und einen andern, der sich an ten Haupt
maft lehnt, aber sie rühren sich nicht!'
Er rief nochmals ,durch'S Sprachrohr,
aber auf dem schwarzen Schiffe rührte sich
nichts. Der Commandant nahm eir.en
Karabiner, zielte auf den Mann, der sich
an den Hauvtmaft lehnte und schoß
der Mann machte em Bewegung vor
wärt, blieb aber aufrecht stehen. Nun
rief der Commandanti Geschwind, ein
Boot in See, zwölf Mann und ein
Offizier! Nach fünf Minuten segelte
dal Boot unter dem Hinterthcile de
fremden Schiffe hindurch, um seinen
Namen zu erfahren. Mit großen Luch
staben stand daraus: .La Annun.iatio.'
Die Mannschaft, di, an die Zähne be.
waffnet. stieg durch di EtückxfoNen der
Schiffskammern. Alle war zertrüm.
mert und in Unordnung. Aufgebrochene
Schubladen und zerstreut umher liegende
Goldstücke brachten sie auf den Gedanken,
daß das Fahrzeug geplündert worden fei;
eine große blaue, gelbe und ro:he Flagge
ließ schließen, daß man e mit einem
Nezeischiff von Columbia zu thun habe.
Im ganzen Schisie hrnföt die gleiche
Äerwiirurg: Pulver, LebenSmiltel, Was
fen, alle war durchnäßt, und nirgends
ein menschliche Wesen zu erblicken. In
dessen hörten die Eingedrungen über
ihren Häuptern verworrenen, seltsamen
Lärm. Mit dem Säbel in einer, der
Pistole in der anderen Hand, stiegen sie
hinauf; vom Verdeck drang ihnen Pest
hauch entgegen und da gräßlichste Schau,
spiel bot sich ihren Blicken dar.
Achtzig Unglückliche lagen auf dem
Verdecke, an Armen und Beinen ange
nagelt; ihre fürchterlich hageren, ver,
westen Leichen waren halboerzehrt von
einer unzähligen Menge großer Ratten,
deren Laufen und Pftifen da seltsame
Geräusch erzeugte, welches unten im
Schiffsraume gehört wurde. Einer der
Seeleute, welcher der Kapitän zu sein
schien, war gleichfalls an Aimen und
Beinen, aber aufrecht an den großen
Mast angenagelt; zweifelsohne aus grau,
famen Spotte hatte man, ihm unei reich
bar, ein Faß mit SchiffSzwieback und
einen Schlauch füßeS Waffer hingestellt.
Die Leiche mit durchlöcherter Bruft von
der Kugel deS französischen Kommandon.
ten, war vorwärts geneigt, als hätte der
Unglückliche versucht, die Hände loSzu
reißen, um da Faß zu erreichen. Nach
der Magerkeit aller dieser Leichen zu ur
theilen, war die ganze Mannschaft leben
big angenagelt worden und dann verhun
gert. Die Ratten hatten die Beine deS
Kapitäns bis zum Knie aufgezehrt, und
die Knochen lagen bloß.
Grausen ergriff die Mannschaft deS
Cuirafsier'. Da kam ein Matrose, der
unten geblieben war, und brachte eine
Flasche, welche er in einem Schubfach
gefunden Haiti. Der Offizier zog in in
englischer Sprache beschriebenes Blatt
heraus, folgenden Inhaltes:
Am 7. Dezember 1812, in den Ge.
wässern von Puerto mavor de las ES
mangas, stieß der Kapitän W j, Be
fehlshaber der Fregatte Sr. br. M.
.Hamlet', auf das kolumbifche Neger,
schiff La Annunciacion. Gemäß den
englischen Gesetzen gegen den Sklaven.
Handel, gebot der Commandant deS
Hamlet, die ganze Mannschaft gefan,
gen zu nehmen, die völlig betrunken war.
Da aber im Schiffsräume der Annun.
ciacion die Leichen zweier Engländer
gefunden wurden, die man in der Eile
nicht mehr in daS Meer werfen konnte,
und Waaren, die man auf einem Schiffe
des britischen Volke! geraubt hatte, übte
der Commandant des Hamlet Wieder,
vergeltungSrecht; er lieg die ganze Mann,
schaft auf da Verdeck nageln und über
gab sie mit allen Segeln den Winden.
Auf der See, den 27. Dezember 1312.
Der Kapitän, Befehlshaber der Fregatte
Tr. br. M. Hamlet W z.
So waren jene Unglücklichen umher,
geirrt, ein Spielwerk der Stürme, und
von ihnen durch seltsamen Zufall durch
die Meerenge von Gibraltar getrieben.
Auf Befehl deS Kommandanten nagelte
man die Liichen lo und hüllte sie in alte
Segel. Den Kapitän nähte man in feine
kolumbifche Flagge; als die Sonne un
terging, senkte man alle bei Kanonen,
donrer in'Z Meer. Man zündete die
Annunciacion an, welche die ganze
Nacht hindurch brannte; mit TageSqn
bruch begrub sie sich in die Fluthen.
C. T.
Der ,,?asttin-Okd".
AIS Nachtrag zum letzten OrdevSfefte
erzählt ein Berliner Berichterstatter fol,
gende Geschichte: Ein Berliner Bau.
Unternehmer, der räch seiner Ansicht
längst verdient hätte, tmaZ in'S Knopf,
loch zu bekommen', aber bei allen Or,
densfeften leer ausgegangen und dekhalb
die Zielscheibe fortwährende? Spötteleien
seiner Freunde war, erhielt einige Tag
vor dem Ordensfeste ein sauber gcschrie
benes, angeblich von der General.Or
denkkommission unterzeichnetes Schrift
stück, in welchem er zur Theilnahme
an dem Ordensfeste eingeladen wurde.
Schon traf Herr H. alle Vorbereitungen,
um bei dem Feste zu erscheinen, al plötz,
lich ein zweites Schreiben eintraf, mel,
ches daS erste als einen Irrthum bezeich
r.ett und H. zu einer näheren Rücksprache
in eine der vornehmsten Restaurants in
der Friedrichftadt einlud. Pünktlich zur
festgesetzten Stunde erschien Herr H. in
dem fraglichen Lokal und würbe hier von
einer befrackten Kommission empfangen,
die unter Führung eines ihm bekannten
Hofschlächtermeiflers G. ihm in feter
licher Ansprache den sogenannten Dach,
sieiN'Orden überreichte. Derselbe war
eine Art Nachbildung deS Schwarzen
Adlerordens, er zeigt in der Mitte an
statt des LdlerS und der ReichS.Jn
signien einen au Silber hergestellten
Dachziegel. Em solennes Festsouper be
ruhigte schließlich den über den Scherz
etwa erregt gewordenen OrdenShascher.
ttt fferd tveeS schon!"
Lag da jüngst an einem Abend fern im
Osten von Berlin, an der Ecke deS Wei.
denwegeS und der nach dem Zentralsieh,
1
Hof führenden noch unbenanr.tea S raße,
ein Fuhrknecht am Boden, der ii folge
üdermätzigea ÄlkohslgenusieS da Lor
recht, da der Mensch vor dem Thier
vorau hat, denken zu können, eingebüßt
hatte, und neben ihm stand mit trübselig
gesenktem Koxfe sein Pferd. Zwei Her
ren, die de Wege kamen, suchten den
besinnungslosen Mann zu ermuntern,
halsen ihm auf d:e Beine und fragten
ihn nach dem Wohin? und Woher?, um
ihn und sein Rößlein mitleidsvoll nach
Hause zu geleiten. De? Liebe Mühe
aber war vergeblich, auf alle Fragen
hatte der Berauschte nur die Antwort:
Det Fnd weeß schon!' Und richtig, ,tt
gnd.' das die Bemühungen der beiden
Samariter mit freudigem Wiehern be
gleitet halte, .wußte. Nachdem man
den torkelnden Knecht mit der Lein an
seinen Pflegebefohlenen befestigt hatte,
zog tl den Taumelnden hinter sich herdil
zum heimathliche S.all.
cin gesunder patiert.
Doctorkutscher: .Sie, sagen S' amal,
wer wohnt denn da im ersten Stock?
Hausmeister: .Ein Privatier!'
Doctorkutscher : .Sacra. muß der
g'suvd fein! So lang bin i' no' zu
Niemand' g'fahr'n !
Unsere Vitnhbrtvx.
Dienstmädchen (Kleiderputzend): .Wie
ich mich gift' da ist nicht zum sagen I
Ich glaub', , ist m in Rock und dürft'
eme halbe Stund' d'ran herum der
weil ist'S der v?n der gnädigen
Fraul'
Dramatische; ßii.
,. ..Wie kommt eS denn, daß Ihre
Stücke nie aufgeführt werden?
.Ja missen Sie, ich schreibe nur E i n
acter, und der Direktor streicht mir
immer inen Act!
höchster Geiz.
.Denken Sie sich den Geiz der
Geheimräthln!.. Jetzt hat sie sogar
ihren Goldfisch abgeschafft, weil er
ihr zu viel frißt!'
Für alle .falle.
Was wirst De Deinem Sohn lerne
lassen?
.Ich werd' ihn geben zu Purzl jfc Co.
als Volontär!
.Zu Purzl Co.? Die werden doch
bald Pleite machen!'
.Wa kann'S schaden, wenn er da?
auch lernt!?'
Zweifel.
Berliner (eine schöne Gebirgsland
schaft betrachtend): Diese Landschaft ist
wirklich großartig !'
Einheimischer: Aber bei Ihnen gibt
eS gewiß noch schönere!'
Berliner: O nein!
Einheimischer : DaS find Tie wohl
gar kein Berliner?'
Motivirte Unkennwist,
Passagier : Sagen Sie mal, Schaff
ner, was ist denn das für ein Wasser,
das dort drüben fließt?'
Kondukteur: DöS weiß i' net i'
trink' 'S ganz' Jahr kein'S!'
Aus Lrfalzrilng.
Vater (zu feiner Tochter): Ich be
merke, Du siehst es gerne, wenn ich den
Assessor zum Abendbrod lade. Da möchte
ich Dir aber für tag nächste Mal rathen,
garnirten Kalbsbraten zu machen!..
Mit dem hat mich Deine Mutter vor
zwanzig Jahren auch eingefädelt!'
Kühnes Bilo.
... .Ja. Frau Bas', ich hab' von mei.
nem verstorbenen Prinzipal manchen Fuß
tritt schlucken müssen!'
In der kzitze.
Jung: Hausfrau (zur Köchin): Wi
besprechen Sie mir nicht immer, oder
Sie dürfen mir nie mehr in die Küche
herein !'
Rechtfsrtigung.
Commerzienrath: .Einem so leichtfin
rigen Menschen wie Sie werde ich meine
Tochter nie zur Frau geben. Sie sind
mir als Verschwender bekannt, und zu
einem Menschen, der den Werth
de Gelde nicht zu schätzen
versteht, kann ich Idn Zutraue
haben!'
Freier : Aber Herr Commerzienrath,
ich beweise ja schon mit meiner Wer
b u n g gerade das Gegentheil!'
Unsterblick,.
, . . .Einer meiner Ahnen ist 93 Jahre
alt geworden !
Meine Großmutter ftarb in dem
hohen Alter von 103 Jahren!
Das will gar nicht sagen! Mein
Schwiegermutter stirbt überhaupt
nicht!
Gemüthlich.
Touristen: ,He, Weiter, wie weit ist'S
denn von hier nach Schmarzeusee?'
Bauer: No, wird fcho' a' halbi
Stund' sein I
Touristen: Können wir nicht mit
Euch gehen?
Bauer : Wohl, wohl ! Kimmt'S nur
mit!'
Touristen (eine Slunde später): Ja,
wie weit ist's denn eigentlich nachSchwar
zensee?'
Bauer: No. a' guati Stund' !'
Touristen: Waas? Ihr habt doch
vorhin gesagt, es fei nur eine halbe !'
Bauer: Wohl, wohl, dös hon' t'
g'fagt. . . . (Nachdenklich): Wolll'S epxer
gar hin?
Touristen: .Ja natürlich!'
Bauir : So, z'weg'n woS lauft'S
OeS der,n nachher mit mir nach Weißen
dach?!'