Nebraska Staats-Anzeiger. (Lincoln, Nebraska) 1880-1901, January 11, 1894, Image 12

Below is the OCR text representation for this newspapers page. It is also available as plain text as well as XML.

    (a Marseillaise.
Man schrieb da Jahr 1791. An
einem bitterkalten Tczembertage jenes
Iah, landen sich zwei Männer in dem
Wohnzimmer eine großen Hauses der
lte Sladt Straßburg gegenüber, zwei
Männer, eiche in ihren Personen voll,
kommen die beiden streitenden Elemente
der damaligen Zeit repräsentirten; denn
der ältere war der Baron de Lau
na. iin ea, er velmann vei ancien
regime, der jüngere ein armer In
gknteurlieutenant und glühender Re
iblikaner. mit Kamen Rouaet de LiSle
Da kostbar ausgestattete Gemach mit
seinen zahllosen (Spiegeln, reichen Goe
liataveten. den hochlehnigen, mit vergoß
beten Kronen verzierten Stühlen und
dem aie Gla schimmernden getäfelten
Fußboden durchströmte eine von dem
Feuer eine tiefen Kamin ausgehende
behagliche Warme. Desto unbeyag
licher war die Stimmung, die sich au
den Gesichtern der beiden Männer ab
spiegelte.
An einer Seite de Kamin lehnte in
nachlässiger Haltung der Baron ein
kleiner, schmaler Grei mit vornehmen,
hochinüthigen Gestchtszügen. Er trug
ine weiße Perrücke und einen schwarzen
ammctantug.
Ueber seine mageren, weißen Hände
sielen breite Svibenmanschetten und an
seinen Schuhen glämten werthoolle Dia:
manlschnalle. In sichtbarer Ungeduld
trommelte er mit den Fingern auf dem
Zeckel einer goldenen Schnupftabaks-
iDsse.
Ihm gegenüber stand der Lieutenant
ein hochgewachsener, blasser Jüng
lin.z. dessen ausdrucksvolles, ernstes Ge
licht reiche, kaslanienbraune l'oaen um
rahmten. Um seine Hüfte schlang sich
eine dreifarbige Schärpe, und den breit
krempiaen Hut hielt er unter den Arm
gedrückt.
.Mein Herr sagte der Baron in ge
reizrem Tone, ,ej ist wahr, die Zeilen
sind schlimm, und der Adel erduldete und
duldet noch immer die unerhörtesten Be
leidigungcn von der Canaille, aber, dem
Himmel sei Dank, noch ist der Tag nicht
angebrochen, der unsere Töchter den
Bauern in die Arme wirft. Parbleu!
Gehen Sie ihrer Wege, Mensch Sie
müssen wahnsinnig sein!
Das bleiche Gesicht de Lieutenants
nahm einen entschlossenen, drohenden
Ausdruck an.
' .Herr Baron, ich nehme von Ihnen
keine Antwort entgegen, erwiderte er.
Ich liebe Ihre Tochter und bitte um die
Erlaubniß, ihr die Geständniß mit eige,
ncn Lippen machen zu dürfen.
,Ah, Sie lieben meine Tochter wie
derholie der alte Edelmann mit bebender
Stimme. .Ja, Sie senden ihr zärtliche
Verse spielen zur Nachtzeit fremdar,
tige Weisen auf Ihrem Instrument un
ter ihrem Fenster denn, wie es
scheint, sind Sie ebenso wohl Poet und
Musiker, als Soldat. Ma toi I Auf
einer Seite wollen Sie mit anderen
Sansculotten und Revolutionären die
Aristokratie vernichten, auf der anderen
beten Sie sie in der Person meiner Toch
ter, Mademaiselle de Launau, an. Ab
sonderliche Gegensätze!
Diese Worte enthielten so viel Wah,
reg, daß der Lieutenant schwelgend sein
Haupt senkte.
.Nun wohl fuhr der Baron fort,
,da Sie auf ihrem Willen beharren,
werde ich meine Tochter hierherbitten
lassend
Er zog an der Klingelschnur, und
einen Augenblick später betrat Mademoi
seUe de Lailnay das Zimmer. Sie war
eine echte Aristokratin, schön, blond, an
muth'g und schlank. Auf ihrem wunder
vollen Haar lag feiner, kaum sichtbarer
Puderftaud, welcher, nach dem Aus
kpruche George Sands, den Damen erst
die echte Noblesse verleiht.
Rouget de LiSle ward bei ihrem An,
blick blaß wie der Tod. Er machte ihr
eme tiefe, ehrfurchtsvolle Verbeugung.
.Meine Tochter sagte der Baron,
indem er mit verächtlicher Geberde auf
den jungen Mann hinwies, .dieser
Herr erklärt sich als einen Bewerber um
deine Hand. Er hatte die Dreistigkeit,
dir Briefe und Sonnctte zu schreiben,
deinem Wagen durch die Straßen zu sol
gen, dich in deiner Loge im Theater zu
bewundern und deine Nachtruhe durch
allerhand musikalische Experimente auf
den Terrassen unsere Garten zu ftären.
Und, um Allem die Krone aufzusetzen, er
kennt er meine deines Vater Ant
ort nicht an und wünscht von dir selbst
abgewiesen zu werden
Die junge Baroneß ich mit einer
Bewegung der Entrüstung fast bi zur
Thür zulück. Der ganze unnahbare
Stolz und Hochmuth ihre Standes
prügle sich in den geringschätzig gekräu
selten Lippen und dem kalten Streifblick
ihrer Augen au. Wußte dieser Mensch
nicht, welch' tiefer, unübersteigbarer Ab
rund zwischen ihr, einer Tochter der de
Launay's, und einem republikanischen
Lieutenant lag? Aber Rouget de LiSl;,
durchaus nicht eutmuthigt durch die ab
sende Miene der jungen Schönheit,
rief mit wilder Energie:
.Ja, ich lieb Sie, mein Fräulein!
Ich beanspruche da Recht, Ihnen meine
Liebe gestehen zu können. Jetzt ist nicht
die Zeit, um über Rang und Stande
unterschiede zu streiten. Ich bin ein
Mann Sie sind ein Weib da ge
ügt. ES ist wahr, ich bin Ihren
Schritten gefolgt berauschte mich an
Ihrem Anblick im Theater, durchwachte
ganze Nätte in der Nähe diese HauseS,
welches Sie beherbergt. Können Sie
mich dafür verdammen? Mein einziger
Gedanke, mein Leben, meine Seele sind
Sie? Wa bedeutet der Zufall der Ge
burt gegen eine Liebe wie die meinige?
Seine Leidenschaft überwältigte ihn
jetzt und besch Hörend streckte er die Hand
au.
Jedoch die Baroneß hatte sich zu ihrer
vollen Höhe aufgerichtet und unheiloer
kündend blitzten ihre Augen ihn an.
.Mein Herr sagte sie ausgebracht,
.erwähnen Sie nicht da Wort .Liebe
in meiner Gegenwart: e ist eine bei
spieUose Frechheit. Ich glaube noch
an Stand und Rang, denn ich bin eine
Aristokratin, keine Revolutionärin, und
Frauen mei.ieS Standes heiralhen nicht
Männer au Ihrer Sphäre. Hier sind
Ihre Verse sie übergab ihm eine
Rolle Papier .ich fand sie höchst
aliern. Mein Herr. Ihr Antrag ist ab
gelehnt. Ich gestatte Ihnen, sich sofort
zu entfernen.
Mit spöttischem Lächeln blickte der alle
aron aus seinen Besucher, welcher,
aschfahl im Gesicht, die Papiere in'
Kaminfeuer schleuderte. Sein große,
dunkle Auge heftete sich noch einmal
wie in stummer Anklage auf das Gesicht
von Mademoiselle de Launa, worauf
diese sagte:
.Mein Herr, ich bin die Tochter einer
Rasse, welche zu Grunde gerichtet, aber
nicht gevemulhigt werden kann, und
unsern Stolz wirö weder das Gefängniß
noch vaS ischanot beugen!'
Er wußte, daß sie die Wahrheil sprach.
Von Verzweiflung ergriffen, wandte er
sich und verließ daS Zimmer, das HauS.
ES war eine finstere Dezembermacht.
Nur hin und wieder huschte ein Mond
strahl über die Festungswälle der Cita
dclle und den hohen, gen Himmel ragen
den Thurm des berühmten Straßburger
Münster. Zweihundertfünfzig Meilen
weiter, in Paris, tobte der Aufruhr
Auch hier, in dieser alten Stadt, reg,,
sich die Revolution.
Der unglückliche Rouget de Llöle
rannte blindlings durch die Straßen,
ohne zu wissen oder zu fragen, wohin er
seine Vchrttle lenkte. Nur hmauS wollte
er, fort, immer weiter, um feinen Schmer,
auslosen zu la en.
iso gelangte er schließlich, auf 3 tiefste
erschöpft, in eine ärmliche, schmale Gasse
ohne Pflaster und Beleuchtung. Die
niedrigen Dächer der elenden, winkeligen
Häuser konnte man fast mit den Händen
erreichen, und der unebene, verwahrloste
Fußstieg wie so viele Vertiesungen auf,
daß Rouget plötzlich stolperte und zu
Boden fiel. Zu müde und willenlos,
um wieder auszustehen, schleppte er sich
bis zu einem Maueroorsprunqe, gegen
den er seinen Rücken lehnte, um einen
Halt zu gewinnen, und in dieser halb
liegenden, halb fitzenden Stellung, mit
tief aus die Brust gesenktem Haupte,
überwältigte ihn alsbald der Schlaf.
Stunde um Stunde verrann, die Lust
wurde immer schneidender: die Glieder
des Schlafenden begannen zu erstarren
er merkte e nicht.
Der Mond war schon fast gänzlich
hinter dem hohen Thurme der Kathedrale
verschwunden, als das Echo nahender
schritte in dem engen Gaßchen wider
hallte. Nicht lange darauf stand ein
schlankes, dunktkS Madchen neben dem
betäubten Mann. ES beugte sich tief zu
ihm nieder und berührte leise seinen Arm,
während ihre großen glänzenden Augen
die Finsterniß zu durchdringen versuchten.
.Es ist Bürger Rouaet, Vater sagte
sie zu einem ihr auf dem Fuße folgenden
Greise, welch einen Violinkasten unter
dem Arme trug. ,Mei Gott, waS mag
mit ihm vorgegangen sein ?
Der alte Andre Dierick riß seine Auoen
auf.
.Rouget l schrie er, indem er die
regungSloS am Boden liegende Gestalt
derb schüttelte. .Mann ! Schlafen Sie,
oder haben Sie Wein getrunken ? Him-
mel I Sie gehen hier zu Grunde er
muntern Sie sich !
Die Freundesstimme erweckte Rouget
wie ein Betrunkener blickte er um sich.
.Dierickl murmelte er, .und die
kleine Bettina I Ich sehe. Es ist wohl
pät Ihr kommt aus dem Theater.
Geht weiter und laßt mich allein.
.Rein!' erklärte Bettina fest; .Sie
erfrieren hier. Die Nacht ist fürchterlich.
Es ist Ihnen etwas Böses widerfahren,
Rouget. Kommen Sie mit uns kom,
men Sie sofort I Ihre warme, weiche
Hand umschloß die feine.
Er leistete nicht langer Wlkerstand.
sondern duldete eS, daß sie ihn die Straße
entlang bis zu einem kleinen armseligen
Häuschen führte, in welchem die Diericks
wohnten.
Bettina öffnet die Thür, und die drei
überschritten die Schwelle eines höchst
einfachen Zimmers, dessen ganze Einrich
tung au mehreren eichenen Stühlen,
einem runden Tisch unv einem niedrigen,
altmodischen Schrank bestand. In einem
Winkel lehnte eine Harfe neben einem
mit Noten gefüllten Notenständer.
Schon nach wenigen Minuten hatten
Bettinas flinke Hände das kalte Gemach
in einem warmen, behaglichen Raum
umgewandelt. Die beiden Männer saßen
dicht am hell flackernden Kaminfeuer,
während da junge Mädchen den Tisch
für die frugale Abendmahlzeit deckte.
E war nicht viel, was d e Tafel bot:
einen Laib Brod, einige Schnitte Schin
ken und eine Flasche Landwein, doch
Rouget de Lisle wurde auf die liebe
vollste Weise zur Theilnahme an dem
Mahl genöthigt.
Seit vielen Monaten verkehrte er als
häufiger Gast in dem kleinen Hause.
Der alte Dierick spielte die Geige im
Orchester des Straßburger Theater,
an dessen Bühne auch Bettina sang.
Rouget selbst war kein unbedeutender
Musiker. Er componirte gute Melo,
dien und verfaßte die schönste Verse.
DaS langweilige Garvifonslcben machte
ihm den Umgang mit den Diericks, mit
welchen ihn so viele gemelnschastliche
Neigungen verbanden, noch mehr zum
Bedürfniß.
.Den Magen werden Sie sich bei un-
serem .Festessen nicht verderben, mein
junger Freund, sagte Dierick traurig.
.Die Zeiten sind schlecht das Brod ist
theuer. Doch Muth! Wir haben ja
noch unsere Trösterin, die Musik, und
gute Kameradschaft. Ah, Rouget, Sie
hätten heute im Theater meine kleine
Bettina hören müssen! Welche Stimme!
Sie versprachen doch, ihr ein Lied als
Einlage zu componiren. Vergessen Sie
nicht.
Der junge Lieutenant riß sich gemalt
sam au seinem düstern Sinnen und
warf einen freundlichen Blick auf da
iqone, vrunelke Mavchen thm gegen
der.
,ie oj lyr rico yaden. mm auter
Dierick', sagte er. Der alte Andre
schenkte ihm ein GlaS Wein ein, füllte
auch fein eigenes GlaS und erhob eS
gegen feinen Gast.
.Trinken wir sprach er feierlich,
.auf die Freiheit, aus den neuen Tag,
ver user granrreich herausoammert!'
.Mit ganzer Seele!' rief R-uget de
geistert.
.Bürger Rouget begann Dierick,
auch Sie haben schon genug von dem
Elend in unseren Dörfern gesehen, aber
lange nicht so viel wie ich, der ich in der
Gegeno von Montceau geboren und aus
gewachsen bin, wo, zur gelegentlichen
Belustigung des Hofes, Wilö gejagt und
cultioirt wurde. Schaaren von Wild
durchstreiften nach Belieben das Land
und oerwüstcten die Saat des Bauern;
da halfen weder Bitten noch Klagen, im
Gegentheil, merken Sie auf! Es existirte
em Edlct, welches bei Strafe das Jäten
und Hacken untersagte, damit die jungen
Vögel nicht aufgestört wurden, und auch
die Stoppeln durften nicht entfernt wer
den, so lange die Vögel noch in denselben
Unlerschiups suchten.
.Das Wild hatte meines Vater Snn
licheS Feld zu Grunde gerichtet. Um den
Hunger feiner Kinder zu stillen, tödtete
er eines Tages einen Hirsch. Zur Strafe
für jenes Verbrechen sandle man ihn aus
die Galeere. AIS meine Mutler im
Alter von dreißig Jahren vor Kummer
und Verzweiflung starb, hatte sie den
weißen Kopf einer Matrone.
.Nach meiner armen Mutter Tode
erzählte der alte Mann weiter, .nahm
sich der Geistliche der benachbarten Ge
meinde meiner an. Er unterrichtete
mich in Musi? und lehrte mich viele an
dere Dinge.
Dierick stand aus und ging nach seinem
alten Platz am Kamin zurück. Rouget
folgte ihm. Vielleicht errieth der alte
Musikant halb und halb den Grund der
Verstimmung deS Jünglings ; denn mit
lauter Stimme rief er aas: .Zum Teu
fel l Jetzt ist keine Zeit, an das eigene
Vergnügen, an das eigene Leid zu denken;
Frankreich liegt in den Wehen einer neuen
Geburt; bei seinen Schmerien müssen wir
der unsrigen vergessen!
Er lehnte sich erschöpft m seinem
Stuhle zurück; das Alter machte sich gel
um, vaiv war er fest etngeschlasen.
DaS geuer im Kamin war tief herun-
tergebrannt, die Kerzen verbreiteten nur
noch spärliches Licht im Zimmer. Bet
tina saß schweigend, bewegungslos und
Rouget mit ihren großen Augen verfol
gend an einer Veite des Tisches. Ihre
chlanken, bräunlichen Hände ruhten
lässig im Schooß, die langen, glänzen
den, schwarzen Locken sielen schmor über
die Schultern und das schmale Kinderge
lcyt nug einen eigenthümlich schwer
müthigcn Ausdruck.
Plötzlich sprang Rouget auf. nahm deö
alten Diericks Geige aus dem Kasten und
begann zu spielen. Mit der Musik ftos
en ihm die Worte zu, in seinem Gehirn
erzeugt er wußte selbst nicht wie.
Sein Herz brannte, sein Kopf schien zu
zerspringen. Bald entströmten die Töne
dem Instrument und die Worte folgten.
bald nahmen letztere Gestalt und Leben
an und die Melodie folgte. Bettina
lauschte, staunte, zitterte; Thränen schim
muten in ihren dunklen Augen. Sie
wagte kaum zu athmen. Das Gemach
cylen quitt von Kamps und Rachege
chrei. Eine seltsame und schreckliche, bcrau
chend wirkende Macht, zu gleicher Reit
klagend, drohend, anfeuernd, alle Leiden-
chasten entseijelnv, wohnte den Tonen
inne. Die Revolution halte Stimme
gesunden. Etwas, das nie wieder unter
gehen sollte, ward hier unter des alten
Andre Dierick's bescheidenem Dach in's
reden gerufen.
Instinktiv ergriff Bettina eine anae-
brannte Kohle und schrieb die Crmpo,
fttion Rougel'ö an die Wand.
Der Al:e tchltts weiter. Die Kerzen
erloschen, das Zimmer wurde nur noch
vom Kaminfeucr erhellt. Außen klagte
und heulte der Slurm um die Fenster,
wie in Uebereinstimmung mit den Em
pstndungen des Spielenden. Und immer
noch war das junge Menschenpaar bei-
ammen. und der Mann componirte, und
das Mädchen schrieb die Wort nebst der
Melodie an die Wand. Im Osten däm
inerte schon der Morgen, als Roua?t.
bleich vor Erschöpfung, die Violine in
den Kasten zurücklegte. Strahlenden
Blicke? sah ihm Bettina zu.
Ah!' rief fte, .endlich haben Sie
Ihr Versprechen eingelöst einen Ge
sang für mich geschrieben!'
Er schien sie gar nicht zu boren. Wie
in einem Traum sah er sie an, griff nach
seinem Hut und taumelte, ohne ein Wort
deS Abschieds, aus dem Haufe und heim
in seine Wohnung.
Am folgenden Abend sang Bettina
daS neue Lied Rougel'S im Theater.
Ihre Stimme war die eiste, welche die
Hymne von Frankreich in die Welt
sandle.
Zur seiden stunde saß der lunqe
Lieutenant in seinem einsamen Gemach,
eine Beute der schre'lichsten Verzweif
lang. Er hatte deS Morgens, beim
Passiren eine öffentlichen Platze. Ma
demoiselle d Launav in ihrer Eauipage
vorbeirollen sehen, und die stolze Aristo
kralin hatte ihn mit einem Blicke kalter
Verachtung gestreist. Die Dierick mit
Allem, wa in der vergangenen Nacht in
ihrer Wohnung sich abgespielt, ent
schwanden au seinem Gedächtniß, nur
der ahnsinnige Schmerz verschmähter
Liebe blieb zurück er sehnte sich nach
dem Tode. Vor ihm lag eine gela
dene Pistole, die er krampfhaft mit den
Händen umschlossen hielt. Sein junge
Antlitz zeigte die puren tiefsten Kum
merS.
.eikiald oll ich solches Lesen er
terschlexpen?
.Die'e Leidenschaft entehrt mich, und
doch bin ich außer Stande st zu unter
drücken. Ich lieb und werde verab
scheut. Schmacher Narr, der ich bin
Nur der Tod kann mich von meinen Oua-
len befreien!'
Die wenigen Werthaeaenflände. die
er be ai), packle er in eine Schachtel.
versiegelte dieselbe und adressirle sie an
seine Mutter. Dann hob er die Pistole
und richtete die Mündung gegen seine
Stirn.
In diesem Momente tönte ein furchte
barer Tumult von der Straße hcrau
ein Brausen und Toben, wie dS
flurmgepeitschte Meer eS hervorbringt.
Näher und näher wälzte sich der Slrom
der Stimmen, und au der tausend und
tausendköpsigen Menge erschallte immer
lauter, immer deutlicher, immer begeil
sterter der Name: Rouget de LiSle.
Er ließ die Waffe sinken und eilte an
da Fenster.
Ein unabsehbarer Menfchenknäuel. der
Aiaire von slrakburg an feiner Spitze.
drängte sich vor feinem Hause zusammen
und verlangte jauchzend nach seinem An
dliii. Inmitten der Volksmassen erhob
ich, von rennenden ackeln umgeben.
ein Triumphstuhl, in dem die lordeerge
krönte Bettina lerlck sau.
W'.e au einer einzigen, ungeheuren
Brust lächle, weinte, brüllte Alles durch
einander.
Lange lebe Rouaet de Lisle ! Lange
leve der Schöpfer der Hymne Frank-
reichs!'
Bis daym hatte Rouaet gant leneS
Lied vergessen, und auch jetzt noch war
er viel zu erstaunt uns betäubt, um den
Zusammenhang zu verstehen. Aber man
holte ihn auS seiner Wohnung, umringte
ihn, überschüttete ihn mit Lob und krönte
ein Haupt mit Lorbeer, le man das-
ienige Bettina's gekrönt hatte. Der
Ruhm wand ihm die todbringende Waffe
auS der Hand. Beim rolhalübenden
Schein der ttaZeln blickte er innig in
Bettina'S große, sanfte Augen.
.Und du sangst mein Lied von der
Bühne? Während ich in feiger Schwäche
ein thörichtes Leid beenden wollte, ae
wannst du tapferes süßes Kind Ruhm
und Ehre für un beide?
Sie lächelte schmerzlich.
.Ich sang es, weil ich Sie liebe.
Rouget.'
Der junge Soldat dachte niemals
wieder an Selbstmord. Jene Nacht in
Strafzburg war nur der Beginn des
Applauses, welcher überall das neue
Lied begrüßte. W,e ein ildeS Feuer
flog eS durch die Städte von Frankreich,
in allen öffentlichen Versammlungen, in
allen Clubs und Theatern, von den So!
baten auf dem Felde, von den Opfern
auf ihrem Weg: zum Schaffst ward eS
gesungen.
Die mrchldaren Manner von Mar
eill donnerten es den Weg entlang,
als sie ihren berühmten Marsch vom
Mittelländischen Meer nach Paris in's
Werk setzten. Unter den Klängen der
berauschenden Melodie dieser Sieges
Hymne, dieser Rache und Tod athmen-
den Composition betrat jene wilde.
bronzefarbene Horde, mit den feurigen
Augen und den roth umbundenen Köpfen,
den gaubourg St. Antoine am 10. Juli
im Jahr 1792. Geführt von dem Brauer
Sanier machte sie Paris erzittern mit
der Hymne Rouget de Liöle's.
ES waren die Männer von Marseille,
welche dem Liede den Namen gaben.
Die Revolution griff mit rasender
Geschwindigkeit um sich. Der alte An
dre Dierick legte sein Haupt unter die
Guillotine, auf seinem letzten Gange
begleitet von den Tönen jenes Liedes,
welches in seiner Wohnung nieder
geschrieben ward. Buch der Baron de
Lauvay nebst seiner wunderschönen Toch
ter konnten weder der Hymne Rougets
noch dem Schaffst entrinnen. Selbst de
Lisle mußte bald in's Gefängniß wan
der. Die Geschichte seiner Unglück
lichen Leidenschaft für Mademoiselle de
Launay war zu den Ohren der Macht
hab er gedrungen und brachte ihn in den
Verdacht des RoyalismuS. Kurz vor
seiner Verhaftung hatte er in einer Srm
lichen Bauernhütte Zuflucht vor den
Verfolgungen der Polizei gesucht, und
dort hörte er eine! Tges die Kinder vor
der Thür fein Lied singe. Ergriffen
lauschte er.
.Wie heißt jene Hymne?
.Die Marseillaise antwortet der
Mann.
Bei der Gelegenheit hörte. Rouget
zum ersten Male den Namen, mit wel
chem die Nation seine Composition ge
tauft hatte.
Eine Zeit lang schien aS, als sollte
den Autor deS FreiheilssangeS dasselbe
Schicksal treffen, wie die. von ihm einst
so heiß Geliebte, jedoch der 9. Thermi
dor öffnete ihm ganz unerwartet die
Kerkerthüren und rettete sein Leben.
Nach dem Ende der SchreckcnSherr
schaft wandte er sich nach Paris. Dort
traf er zum ersten Male feit Jahre wie
der mit Bettina zusammen. AuS dem
zarten Mädchen, mit den traurigen dunk
len Augen, war ein bezaubernd schöne
Weib geworden, welches, als eine der be,
deutendsten Sängerinnen, der Haupt
anzilhung?xur.kt des Theater war.
Leichenblaß starrte Bettina auf Rox
et. II sähe sie eine Viston.
.Gedenken Sie och jener Nacht mei
ne! ersten Triumphe in Straburg,
Bettina? Erinnern Sie sich an die Worte
die ich zu Ihnen sprach, die Antwort, die
mir gaocn: fang Ihr Lied,
weu ,q sie liedte, ouget.
Sie wurde glühend roth.
,AH, Bettina, rief er leidenschaftlich
.wenn Sie wußten, wie theuer Sie m
seit jener unvergeßlichen Stund waren.
wie ,ch mich in Sehnsucht nach Jhne
verzkhite, di? vielrn. vielen Jahr bin
durch! Bettinas Geliebte! Würden Sie
auch heute noch dieselben süßen Worte
wiederholen, wo sie kein Kind mehr sind
sondern dt: gefeierte, b.rühvite Künst
leitn? Bettina, lieben Sie mich noch?
Der Ausdruck ihrer thränenden Augen
gao iym die gewunschle Zlnlaort.
Nach der Vereinigung führte der
Schöpfer der Marseillaise sie fort von
Paris nach feiner Heimalh im Jura.
II. F.
Sin hübscher R,v,anftoff
findet sich in den Memoiren deS MaiqiiS
von Eyarnay, eine Zeitgenossen Lud
wigS XV., der in feiner Jugend Page
diese Kö.iigS gewesen war. Der Herr
MarqiS hittU in seinem sechzigsten Le-
beniiahre eine junge hubjche Frau ge
nommen, die ihm zwar herzlich zugethan
war, ihm aber in Anbetracht deS großen
AlterkunterschieleS doch nicht wenig Sor
gen machte. Was er fürchtete blieb auch
nicht aus. Die Frau Marquise lenkle
die Augen der jungen Herren auf sich.
und eines Tages kam sie selbst und zeigle
ihm einen glühenen Liebesbrief, den ihr
der KaoauerleKoptlan von Breteuil qe
schrieben hatte. Sie wicS ihn lachend
vor, mit der ganzen Kindlichkeit ihres
Wesens, als sie aber sah. daß der Herr
MaiquiS die Sache ernster nahm, ver
suchte sie, ihm seine Grillen zu verlrei-
den. .Du glaubst also irklich, ich
könnte le aufhören, dich zu lieben?
fragte sie schmollend. Der MaiquiS sah
sie nachdenkend an und dann meinte er.
da er den Kapitän nicht auS Paris wel
sen könne, müsse eben die Marquise sort,
sie dürfe dem Kapitän nicht mehr beqeg
nen. Nun stiegen der hübschen Frau
plötzlich die Thränen in die Augen.
.Dann wird er ich umbringen. Er
chreibt eS ja hier. Wenn ich ihm nicht
meinen Anblick gönne, dann will er sich
lödten. Und mir sollten seinen Tod auf
dem Gewissen haben?
Der Marquis schwieg. Seine Lebens
erfahrung hatte ihn nicht betrogen. Er
erkannte, daß das kindliche Herz feiner
Frau durch das Geflunker des lungen
Kavaliers gerührt worden war, und er
agt ?ch auch, daß eine Trennung die
Sache nur schlimmer machen, die mit
leidige Wallung vielleicht in Liebe ver
wandeln könnte. WaS also thun ?
In derselben Nacht noch verschwand die
Frau Maiquise und am andern Tage
erschien ihr Gemahl betrübt bei Hose
und meldete, daß seine Frau aus seinem
Schlosse Charnov plötzlich schwer erkrankt
sei, daß er auf dem schnellsten Wege zu
ihr müsse.
Zwei Tage später kam .die Nachricht,
daß die Frau Marquise gestorben, und
der plötzliche Tod der hübschen fangen
Frau bildete einen Tag lang daS Gespräch
in den aristokratischen Zirkeln der Haupt
stadt. Acht Wochen später vermählte
sich der Kapilän Breteuil mit einem rei
chen Mädchen und an diesem Tage gab
der MarPlis von Charnay seiner Frau,
dre er aus einem einsamen Befttzlhum
verborgen hielt, die Freiheit wieder, nach-
dem er ihr alles erzählt und sie um Ver
zeihung gebeten hatte. .Du haft nun
gesehen, in Kind sagteer, .daß die
Marquis Breleuils nicht gleich Nerven.
Ich mußte ungefähr, wie es kommen
mußte und war nur im Zweifel, ob er
die schöne Grimmani entsühnn oder die
hagllche Villaret Joyiuse heirathen
würde. .Fühlst du noch Mitleid für
hn ? Die kleine Marquise flog ihrem
Gemahl an den HalS, und am andern
Tag füktte er die Wiedererstandene dem
König zu, der nicht wenig lachte über
oiefen letzten Pagennrelch seines Lied-
lings.
TeriVtesergesundene Diamant.
DaS grüne Gewölbe in Dresden be-
sitzt bekanntlich eine Juwelensammlung,
die wohl von fast allen Besuchern der
Schsischen Hauptstadt in Augenschein ge
nommen wird, unv dies auch verdiene,
ist sie doch mit den her, lichen Schätzen
mittelalterlicher Goldschmiedekunst vor
einigt. Vor etwa hundert Jahren wurde
sie nur mit spezieller Erlaubniß des
Kurfürsten gezeigt. Damals lagen die
Schätze auch nicht in Glaskästen, die
niemals geöffnet werden. Am 5. Oklo
ber1739 wurde das grüne Gewölbe wie
der auf Befehl einer Gesellschaft der
höchsten polnischen Aristokratie erschlos-
en. Der herumführende Kastellan re-
merkte, daß eine junge Komtesse einen
prächtigen Diamanten einsteckte. Er
that, als ob er nichts gesehen habe, beim
AuSgang bat er jedoch, eine kleine For
malilät zu erfüllen. Er brachte darauf
eine Schüssel mit Weizenkleie und bat
jeden der Anwesenden, sich darin die
stände zu waschen. .Weshalb "
fragte man. .Man sagt erwiderte
der Kastellan, während r die Komtesse
firirle, .daß, was an den Fingern kleben
geblieben ist, vsn der Kleie fortgenom
men wird. Es ist eben ein alter Brauch.
Die Komtesse verstand den Wink. Sie
wusch sich zuletzt die Hände, in der Kleie
aber sand sich der Diamant, se'ldem
werden die Schätze niemalz mehr aus
ihren Glaskästen genommen.
Ländlicht Hok,,eittbittr tn Polen.
Wie bei allen slavischen Völkerschaften
st auch bei den Polen die Rolle der
ländlichen HochzettSbitter eine ganz ori
ginelle. Die HochzeilSbitter erschee,
nämlich mitter, in der Rächt auf den
Bauernhöfen, ao sie durch Pistolen
schüsse und entsetzlichen Lärm die be,
treffenden Persone, welche sie zur Hoch
zeit einladen wollen, au dem Schlafe
wecke. Bauern, die nicht aus dies
Weise in der Rächt, sondern am Tage
eingeladen werden, sühlen sich durch diese
.unpassend Form der Einladung auf'
Höchste beleidigt und leisten der Ein
ladung nicht Folge. Die polnischen
HochzeitSbitter tragen dann noch bk
LiebeZgeschichte de jungen Paare in
einer Art Knittelversen vor. In dem
Bauernhofe, wo die Hochzeitibitter er
schienen sind, muß die Hausfrau für eine
Mahlzeit sorgen und ter Haukherr für
die nöthigen Getränke.
(Ein neues H?ort.
A (sein Klavier zeigend): .Da
haben wir uns auch was NeueZ an
schafft...
B: .Aha. seh' schon -Nerve.
reib eisen!'
Falsche Auffassunz.
Dame zu einer jungen Frau, die ihrem
Manne selbst kocht): .Nun. wie lebt
Ihr denn miteinander?'
Junge Frau: ,O außerordentlich ant!
Mein Mann ist recht glücklich nur
bei'm Essen thut er noch etwas gezwun
gen!'
Sicher .Hobt.
.A: .Wenn ich nur erfahren könnte.
ob mich meine angebetete Laura wirklich
tleot r
B: .DaS ist ganz einfach. Setze Dich
beim nächsten Ball unter den großen
Spiegel und paß' genau auf: Wenn
Deine Angebetete zueist Dich ansieht und
dann erst in den Spiegel schaut, dann hat
sie Dich sicher lieb!
kompetent.
(Lei einem Familiendiner entstehe
MetiiungS, Verschiedenheiten über die
S o l d a t en - Un i f o rm e n.)
ausyerr: .a werden wir alercb
haben. . . Elise, rufe 'mal die Köchin
herein !'
Ein gut Bedienler.
Baron: .Jean, ich habe Dir doch auf.
getragen, Du möchtest mir die Briefe,
welche für mich eingehen, in's Bad nach.
chlaei,!'
Jean: .Weiß schon. Herr Baron.
aber eS ist nichls G'jcheidt's d'rinaestan.
den und da dacht' ich, eS wär' schade um'
Porto!'
Varch die Blume.
Die Frau Assessorin schmollt mit ihrem
Manne seit einigen Tagen, möchte aber
gern wieder mit ihm gut werden. Doch
irr sie nicht zuerst anfangen will, und
uch er keine Miene hiezu macht, so ent
schließt sie sich am achten Tage, die
Suppe zu versalzen.
Die en Wink verstand ,hr Mann und
gab ihr den VersöhnungSkuß.
Nur darum.
.Warum haben Sie Ihre Tochter
igentlich Pianistin werden lassen?
,Za, ste wußte absolut nicht, was sie
mit ihren zehn Fingern ansangen sollt I
Zweierlei Ansichten.
Onkel (sehr reich. ,u seinem etwa
leichtsinnigen Neffen): , . . .Nun bitte ich
um einigen Ernst, Herr Neveu! I
Geldsachen hört bei mir die
Gemüthlichkeit aus!
Neffe : Schau , lieber Onkel, und
Ich kann mir gar keine Gemüth
lichkeit ohne Geld denken!
Bestrafte Bonhomie.
Vertheidiger (um Angeklagten) :
WaS meinen Sie. bade icb nickt kür Sie
gesprochen, als ob Sie mein eigener
Sohn wären? I
Angeklagter: .Ist daS auch so 'n
n Lump?'
Bei'm Mittagessen.
Pepi, warum heulfcht?
Der Karli hat a' länaersck
Schnürle am Würschtle l
.Aber das schnurl, kann mer doch vit
sf.I'
,Ekse kann merfch nit, aber ab.
chleckel
Die kzasptperscm.
Gerichtsdiener (zu einem Bauern, der.
nachdem er bereits abgefertigt, noch
immer im Wartezimmer herumsteht):
Was willst D' denn noch der öerr
Bezirksrichker hat Dir ja schon meine
Meinung gesagt!
Dae,Unerwa riete.
Er: .Fräulein. bitte um lSntlckml,
digung ich ich habe schon die ganze
Woche an Sie gedacht.
Sie (entthend): .Wirklich, haben
Sie an mein, Wenigkeit gedacht?'
Er: .Und wünschte immer. Sie ein.
mal sprechen zu können.
sie: .Wie llkdeuswurdigvonJhnen!
Er: .Mit einer gewissen einer tu
wissen Hoffnung. . . .
Sie: ,Oh, ich Sie machen mich
neugierig, Herr Zeitig. Bitte, sorecken
Sie!'
Er: .Kaum waac ick eS Rhv.tn läsliit
r ,r " . " --- i- a
zu sollen...'
Sie leifricn: Ob. Sie ,'all:n mir ia
gar nicht lästig ; im Gegentheil
fec: .Wirklich ' sie machen mir
Muth. Fräulein! 5lck möckte minn
c8 Ihnen nicht ganz unangenehin
wäre....
Sie (leisk): .Garzurd garnicht
Er: .Nun rvobl. wenn Sie ci'.iunui
ich weih, daß Sie bei ihrem ruer
alle gellen. Möchlen Sie n.chl l,e
Güte haben, ihn lu bemeatn. da rr mir
hundiN Mark leiht? Tableau!