Nebraska Staats-Anzeiger. (Lincoln, Nebraska) 1880-1901, December 21, 1893, Image 9

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    Was die kiebe vermag.
GMne lustige Geschichte on Blrna Sonn
Ire Unrecht gewesen, wenn man
behaupten wollte, daß Bertha von Dah
len ihre Tanten nicht herzlich lled geyavk
hätte; und ebenso wär tt Unrecht, wenn
man annehmen wollte, daß die beiden
alten Damen nicht ihr Herzblut sür ihre
Nichte hergegeben hStt.cn, wenn es für
deren Wohlergehen hätte sein manen;
und doch gab e ftetl ein ewige Bnusen
und Zurechtstutzen aus der einen Seite
und ein ewige Schmollen und ütfler
wissen auf der anderen Seite. Dieser
scheinbare Widerspruch hitte seine Ursache
in der Erziehungsmethode des Baker
Bertha, der seine Tochter nach allen
Regeln der Kunst verzog; und der. da
fein LiebltngSwunsch nach einem Knaben,
bei BerthaS Geburt, die seiner Gattin
da? Leben gekostet hatte, nicht in Er
jüllung gegangen war, Alles daran
setzte, ein Benehmen bei seiner Tochter
zu erzielen, welches dem eines naoen,
so viel wie nur irgend möglich, nahe kam.
.Hummel, hatte er eine TageS, als
er annehmen zu können glaubte, daß sie
ihn verstehen werde, zu ihr gesagt,
.Hummel, Du kannst thun und lasten,
a Du willst. Du bist leider kein
Junge, aber dafür wünsche ich, daß Du
Dich gegen jeden Menschen, der Dir nicht
gefällt, kratzbürstig benimmst.'
Bertha wußte allerdings nicht, was
kratzbürstig ist, und ebenso wußte sie
nicht, warum ihr Vater ihre Mädchen
haftigkeit bedauerte; denn sie war zur
Zeit, IS ihr dieser etwas eigenthümliche
väterliche Rath ertheilt wurde, erst vier
Jahre alt. Aber trotzdem wußte sie ihr
Benehmen instinktiv so einzurichten, daß
sie auch, ohne daß ihr dieses zum Be
wußtfein kam, in des Wortes verme
genster Bedeutung kratzbürstig wurde, so
daß selbst ihr Vater nicht mehr mit ihr
auskommen konnte, und froh war, als
fein beiden Schwägerinnen, Hildegard
und Gertrude, sich erboten, die Er
tiehung dieses .Balges', wie er sich
dann und wann auszudrücken beliebte, zu
übernehmen.
ES war keine ieneidenSwerthe Auf-
alt, welcher die beiden Tanten BerthaS
ch unterzogen halten: denn die Er
ziehungsmethvde dcS Rittergutsbesitzers
ven Dahlen hatte bei feinem Sprößling
Erfolge gezeitigt, die emsach unglaublich
waren.
Dennoch gelang eö endlich, nach lan
gen, vergeblichen Versuchen, Bertha, die
gut angelegt war, zu einem im Beneh
wen menschenähnlichen Wesen zu er
ziehen; und mit der Zeit wäre sie sogar,
aller Wahrscheinlichkeit nach, vollkom
men gesittet geworden, wenn ihr Vater
dann und mann nicht zu Besuch gekom
men wäre: Eine Zierpuppe sollte auS sei
ner Tochter gemacht werden; und wenn
er nach zwei, drei Tagen wieder abzog,
länger konnte er eS bei seinen SchwL
gerinnen, die bei jedem kräftigen Don
ermetter zusammenfuhren, gerade so,
als wenn er einen seiner Jagdhunde eins
über das Fell zog, dann war feine
Tochter von ihm derartig wieder verdor
den worden, daß ihre Erzieherinnen ibre
liebe Noth mit ihr hatten.
Leider kam BerthaS Vater sehr oft zu
Besuch, denn seine große Liebe zu ihr
veranlaßte ihn jedesmal, kurz nachdem er
zum so und so v leisten Mal einen
Schwur geleistet hatte, nie wieder einen
Fuß in das Haus der .vertrackten alten
Jungfern' zu setzen, wieder einmal nach
dem Rechten zu sehen.
So vergingen Jahre. Bertha hatte
die Prophezeihungen ihrer Tanten, welche
diese ihrem Vater machten, nicht wahr
gemacht. Sie war ein guteS.herzigesMäd
chen geworden, welches mit spielender
Leichtigkeit die Aufgaben in der Schul
bewältigte, und die sich infolge ihres
aufrichttqen, ehrlichen Charakters, trotz
mancher übermüthiger Streiche, die Liebe
aller ihrer Lehrerinnen und Lehrer ermor
den hatte.
Herr von Dahlen war mit diesem Re-
sultat allerdings nicht zufrieden. Seine
Tochter war ihm zu zahm, zu blöde. Die
emgemorfenen Fensterscheiben, welche er
zu bezahlen hatte, waren entschieden zu
wenig. Die Garderobe des Mädchen
war ihm zu heil, zu abritt; nirgends die
Spur eine tollen, waghalsigen Streiches.
Mit einem Worte: Bertha war nicht
da geworden, was er von ihr erhofft
hatte. Kein so wilder Racker, wie r
sich ihr von ganzem Herze gewünscht
hatte.
Aber, da sollte anders erden.
Gleich nach Bertha'S Konfirmation sollte
sie zu ihm aus' Schloß, heraus aus der
Stadt, wo man dem Mädel nicht allein
den Kopf .verkeilt' hatte, sondern wo eS
noch schmalmangig und blutarm gewor
den war.
Und wie er eS sich vorgenommen
hatte, so führt er es auch auS. Das
heißt, mit einer kleinen Zugade ; und
die Zugabe waren seine beiden Schwä
gerinnen, welche Bertha erzogen hatten.
Diese hatte nämlich kaum gehört, was
der Vater mit ihr vor hatte, als sie auch
schon mit ganzer Freude darauf einging.
Nur von ihren Tanten wollte sie sich
nicht trennen, und erklärte diese mit
ine? solchen Energie, daß Herr von
Dahlen heute wie immer nachgab.
.Hummel hat entschieden Charakter,'
sagt r zu sich selbst, als er sich auf
seinem Zemmer befand. .Die wird
ine Freude haben, wenn sie mit mir über
die Felder oder zur Jagd reitet.
Und wirklich empfand sie ine
.klotzige' Freude, wie sie sich auszu
drücken beliebte, wenn sie mit ihrem
Bater durch Dick und Dünn jagte.
Herr von Dahlen hatte seine Freude
an dem Prachimädel. Nur schade,
schade, daß sie kein Junge war. Das
Benehmen eine? Jungen hatte sie ja.
Aber damit war sie denn doch in Wirk
lichkeit noch kein solcher. j
Der
Jahrgang 14.
Herr von Dahlen halte einmal in
Lertha'S Gegenwart eine derartige
Aeußrrung geihan: und sie beschloß
daher, so viel, wie in ihr lag, diesem
Mangel abzuhelfen.
Am andern Tage hatte sie sich von dem
PastorSsohn im Dorfe dessen Sonntags
anzug auSgeliehen und überraschte ihren
Bater damit, daß sie ihn trug, und hoch
und heilig schwur, nie wieder Frauen,
klelder anzulegen.
Herr von Dahlen bekam doch einen
gewaltigen (schreck, alS er diese Ber
wandlung sah; denn der .Racker' hatte
nicht allein Mannerrleider angezogen
sondern sich auch das Haar kurz ge
chnitten. '
Die Tante nlamenttrlen natürlich ganz
entsetzlich über diesen Stre ch; aber dies
veranlaßte Herrn von Dahlen nur,
Bertha Recht zu geben. Als sie jedoch
über die Felder ritten, wobei Bertha sich
eine Cigarett in den Zviund gesteckt hatte,
die ihr allerdings abscheulich schmeckte,
begann ihr Vater plötzlich: .Hummel,
warft Du nicht etmaö voreilig von wegen
des Abschneiden der Haarn'
.Nicht die Bohne. Papa. Männer
kleider und lange Haare passen nicht zu
einander.'
.Aber Du wirst doch nicht immer als
Junge herumlausen wouen."
.SelbstoerNSndlich will ich das.
.Aber dann kannst Du doch nicht hei
rathen.
.Will ich auch nicht I Dem scanne, der
mich heirathen will, kratze ich die Augen
aus.'
Aber sie kratzte doch nicht, als Einer
kam. der sie heirathen wollte, sondern
doch ich will nicht vorgreifen.
Vater und Tochter rttten eines Tages
wie gewöhnlich über die Felder. Herr
von Dahlen paffte seine Pfeife und
Bertha paffte ihre Cigarette, woran sie
sich im Lause der Zeit ganz gut gewohnt
hatte.
Da begegnete ihnen einer ihrer ycom
barn. Curt von Trautwitz, der ihren
Vater nach den ersten BegrüßungSworten
nach seiner Tochter fragte, die jetzt, wie
er gehört habe, bei ihm auf dem Schlosse
wohne.
,DaS Madel rönnen gleich tn
Augenschein nehmen,' antwortete Herr
von Dahlen, hier ist sie," und davct deu
tete er auf Bertha!
.DaS ist Ihr Fräulein Tochter'i'
ragte Herr von Trautmitz, und eine
große Verwunderung mal! sich auf sei
nem Gesichte.
.Ja, daS ist meine Tochter,' antwortete
Hm von Dahlen. .Ein fixer Junge,
was?'
Herr von Trautwitz gab keine Ant,
wort; nur einen eigenthümlichen Seiten,
blick warf er auf Bertha, die bis in die
Haarwurzeln roth geworden war, und
am liebsten gesehen hatte, daß der Boden
sie verschlinge.
DaS geschah aber nicht; und da Herr
von Trautwitz sich sehr bald empfahl, so
fing Bertha an, auf ihn zu schimpfen.
Am liebsten aber hätte sie gemeint.
Am andern Tage ritten sie nicht aus,
ebenso am zweiten und dritten Tag nicht.
Dann kam Tant Gertruden? GeburtS
tag; und da eS sich doch nicht geschickt
haben würde, in Männerkleidern ihre
Gratulationen bei der geliebten Tante
anzubringen, so verwandelte sie sich wie
der in ein Mädchen. Tante Gertrude
war glücklich, alS sie ihr Nichte wieder
in der alt gewohnten Kleidung sah, und
herzte und küßt sie. Ebenso sprach
Tante Hildegard ihre Freude über Ber
thas Sinnes und Kleiderveränderung
au und auch sie herzte und küßte sie.
Daß lieh sich das junge Mädchen auch
gern gefallen; und plötzlich brach sie in
heftiges Weinen aus. Die beiden alten
Jungfern machten gar kein verwunderte
Gesicht, als sie diese unmotivirte Wei.
nen bemerkten. Sie warfen sich nur
einen verständnißoollen Blick zu und nah
men das junge Mädchen auf das Sopha
in ihre Mitte, wo sie es auswtinen ließen.
Dann faßte Gertrude Bertha an die
Hand und indem sie diese liebevoll ftrei,
chelte, bat sie Bertha, ihr zu ihrem Ge,
burtdtage das Versprechen zu geben, von
nun an stets wieder Frauenklcider zu
trage. DaS sei ihr daS liebste Geburt,
tagsgefchenk.
Bertha gab dieses Versprechen, und
froh. Jemandem einen Wunsch erfüllen
zu könne, der tief in ihrem Innern
alS ihr eigener verborgen schlummerte,
gab sie sich ihrer wieder erwachenden
Luftigkeit hin.
ES waren etwa vierzehn Tage ver
strichen, Bertha ' halte ihr Benehmen
gänzlich geändert. AuS dem wilden,
tollendenMSdchen war eine sittsame junge
Dame geworden. Da brachte ihr Vater
eines Tages seinen Nachbarn, Herrn von
Trautwitz, mit auf'S Schloß, der dort
zwei Pferde ansehen wollie.
Nachdem die Herren ihr Geschäft er
ledigt hatten, führte Herr von Dahlen
seinen Gaft zu seinen Damen. Die
beiden alten Damen maifm sich wieder
einen verständnißvollen Blick zu, wäh
rend Lertha ganz gegen ihr sonstige Gc
vohnheit dem Gaste ein steife, form,
volle Verbeugung machte und im Verlaufe
ttl Aber.dS diesem rur die nothiokn
Soinikst$pi
Beilage zum Nebraska Staats-Slnzelger.
digste Antwort gab; dagegen wenig oder
gar nicht an der allgemeinen unterhat
tunq theilnahm.
Nachher allerdings, als Herr von
Trautmitz gegangen war, schalt fit sich
tüchlig auS über ihre Ungeschicklichkeit,
die dem Besucher ja unbedingt aufge,
fallen sein müsse. Aber dennoch war
sie froh; sie wußte selbst nicht warum.
Sie mußte immer an Herrn von Traut
witz denken, der so ernste und doch so
gute Augen hatte; dann kam jedesmal
diese Fröhlichkeit über sie, die so ganz
anders war, als sie sie bisher gekannt
hatte.
Und Herr von Trautwitz? Der ritt
ganz langsam über die Felder feinem
Heim zu, vor feinem geistigen Auge stand
daS Bild BerthaS, die fo ganz anders
war, als wie er sie das erste Mal ge
sehen. Und eigenthümlicher Weife siel
ihm erst jetzt ein, daß er mit Herrn von
Dahlen wenig nachbarliche Freundschaft,
wie eS doch eigentlich gaz natürlich ge
wesen wäre, gepflegt hatte; und da er
sich an diesem Umstand am meisten schuld
fühlte, so beschloß er, von nun an in die
ser Beziehung eine Aenderung eintreten
zu lassen.
Nach wenigen Tagen wiederholte er
seinen Besuch, und da Herr von Dahlen
immer mehr Gefallen an diesem prächti
gen Menschen fand, lud er ihn ein, doch
recht bald wieder zu kommen.
Bertha war bei dieser Aufforderung
ihreS VaterS roth geworden, und da
Kurt dieses gemerkt hatte, so fragte er
sie, al sie gegen Abend allein durch
den Garten gingen, da BerthaS Vater
nach den Ställen gegangen war, um ein
neues Pferd zu besehen, und die beiden
Tanten zufällig im Vordergarten Reseda
pflücken mußten, ob sie etwa dagegen
habe, wenn er dieser Aufforderung Folge
leiste. Sie war stehen geblieben und
hatte ein Blatt vom Baum gebrochen,
daS sie jetzt aufmerksam betrachtete.
.Gnädiges Fräulein, haben Sie keine
Antwort auf meine Frage?'
Bertha schwieg abermals.
.Soll ich der Aufforderung Ihres
Herrn VaterS folgen, oder soll ich fort
bleiben?'
.Um GotteSmillen nicht!' Erschrocken
hielt sie inne.
Kurt jedoch hatte ihre Hände maßt
und sah ihr in das erglühende Gesicht.
.Fräulein Bertha; so sehen tote es
Sem, wenn ich wiederkomme; wenn ich
a'.d und häusiq wiederkomme?'
.Ja!'
Warum Kurt sich wohl jetzt zu ihr
niederbeugte, und warum Bertha eS
geschehen ließ, daß er sie küßte unzählige,
mal?'
Die Nachtigall schlug so wunderbar
schön und zwei liebende Menschen hatten
ich gesunden.
Taute Elsriede sowohl wie auch Tante
Gertrud thaten allerdings erstaunt, als
sie nach einiger Zeit erfuhren, was sich
an jenem Abend zwischen den Beiden zu
getragen hatte. Ader sie thaten nur so;
denn sie wußten ja längst, waS die Glocke
geschlagen hatte.
Herr von Dahlen schüttelte aber ernst
lich verwundert den Kopf. Seine Hum
mel war Braut. I, das war doch son
derbar! Deßhalb also wieder die Mäd
chenkleider. Wieder zu Zweien.
Von A. Fromme.
Wir haben fünf Kinder, drei Söhne
und zwei Töchter. Sie waren auf klei
nen Füßchen durch HauS und Garten ge
sprungen, sie waren größer geworden und
hatten den Weg zur (schule und zurück
gemacht, sie waren endlich der Schule
entwachsen und inS Leben hinausgegan
gen. Zuerst unser ältester ösohn, dann
unser Tochter, die sich beide früh oerhei,
ratheten, dann ging unser Zweiter, und
nicht lange ach ihm der Jüngste. Das
Nest war leer.
Wie leer mir daS HauS. wie öde mir
der Garten vorkam, nachdem die letzte
und schwerste Trennung vorüber war!
Wir leben auf dem Lande, aber unser
Haus liegt fo nahe der Stadt, daß die
Kinder jeden Tag nach den Schulstunden
nach Hause kamen. Zum erstenmal saß
ich allein meinem Manne gegenüber am
Eßtisch. Rur einer mehr hatte in der
letzten Zeit mit uns daran gesessen, aber
dieser eine hatte alle anderen gleichsam
vertreten. ES war nicht nur daS Tren
nungsaieh, was mir die Kehle zuschnürte,
eS war daS bange, dunkle Gefühl, wie
leer es um mich und tn mir war. .Das
wird sich geben,' dachte ich. Aber eS
gab sich nicht, eS wurde nur stärker.
Wir beide hatten, ohne eS zu wissen,
eigentlich nur durch die Kinder miteinan-
der verkehrt. Nun da wir ganz auf ein
ander angewiesen waren, sah ich ant
Schrecken, daß keinS von uns an das an.
dere etwa herzugeben hatte, daS wir, der
Vnbindung zwischen uns beiaubt, eman
der wie Fremde gegenüberstanden
chlimmer als Fremde, die sich loch
kennen lernen und sich näher kommen
können. Wir hatten außer den Kindern
kein gemeinsame? Interesse. Mein Mann
war Landwirth mit Leib und Seele,
während ich mich niemals ganz in das
Landleben hatte hineinfinden können und
letzt noch eine halbe Städterin war.
Selbst das einzige Interesse, das wir
theilten, einte un nicht: sein Liebling
war von icher unsere illnqste Tochter ge
wesen, deren anmuthige Schalkhaftigkeit
feinen schwerfälligen Ernst so schon er,
gänzte; ich hing mehr als an den anderen
an unseren Jüngsten, an meinem über
müthigen, muthwilligen, armherzigen
raiiskops. so lang; er bet uns war,
hatte ich gelacht, wenn mein Mann mich
mit meiner Schwäch für meinen Prinzen
Sonnenschein so nannte er ihn
neckte. Aber als er jetzt einmal ein
scherzendes Wort darüber sagte, war e
mir, als versetzte er mir einen (schlag
Er bemerkte es und verstummte sofort
Wir waren meistens stumm. O, die
schrecklichen, endlosen Stunden, die wir
Abendö einander gegenüber zubrachten,
jedes mit einer Zeitung in der Hand, wie
um es vor uns selber zu verbergen, daß
wir uns nichts zu sagen hatten.
Mein Mann merkte eS wie konnte
er wohl anders! daß ich immer stiller
und trübseliger wurde. .WaS metnft
Du,' sagte er IneS Abends, .wenn wir
eine Reife unternehmen'
.Eine Reise? Wozu?' fragte id
wenig erbaut.
.Um uns zu erholen und Dich zu zer
streuen. Es ist hier zn still sür Dich,
nachdem daS Haus leer geworden t st.
.WaS würde eine Reise da nützen?
ES würde mir um so stiller vorkommen,
wenn ich wieder zurückkehrte.
.Wir könnten unsere Kinder be
suchen.'
.Wir müßten sie immer wieder ver
lassen. Ja, wenn wir wenigstens mit
einem von ibnen zusammenlebten wenn
wir an den Ort zögen, wo Ella wohnt
Ella war sein Liebling.
.Wie wär das möglich?' fragt er
erstaunt.
.Ganz einfach, indem Du das Gut
verlaust. ES ziehen so viele GutS
besitz in vorgerückten Jahren nach der
Stadt, warum sollten wir das nicht auch
xqnni"
Verkaufen? Kronwalde verkaufen?
Wo ich geboren und aufgewachsen bin?
Helme, daS kann nicht Dein Ernst sein!'
Ich zuckte die Achseln und schwieg.
Wir hatten, wie immer, mit unseren
Reden nichts erreicht, als einen neuen
Beweis, daß wir in allen wesentlichen
Punkten himmelweit von einander ent
fernt waren.
.ES muß Ihnen wunderbar vorkom
men, letzt wieder zu Zweien zu leben.'
sagte die Frau deS Inspektors einmal zu
mir. Wieder zu Zweien? Ich fann
nach, wie es wohl das erste Mal gewesen
war, aber ich fand nichts, woran ich mich
halten konnte. Wir hatten zuerst eine
mehrwöchentliche Hochzeitsreise gemacht,
dann nahmen die neuen Verhältnisse, an
die ich mich nur mangelhaft gewöhnte,
meine Gedanken in Anspruch, und dann
kam unser Aeltester. Zu einem rechten
Einleben zu Zweien war eS nie gekommen.
Das einzige, womit ich die Leere, die
mich beängstigte, einigermaßen ausfüllte,
war der Briefwechsel mit meinen Kin,
dern. Ich achtete nicht sonderlich dar,
auf, dag mein Mann häufiger als sonst
in der Stadt zu thun hatte, daß er ost
in gedrückter Stimmung war; ich lebte
ganz in und mit meinen fernen Lieben.
Sie beschäftigten meine Gedanken; da
gab eS immer etwas zu rathen, zu for
gen, letzteres meistens, wenn ein
Brief zu lange ausblieb. Zu der Zeit,
von der ich sprechen will, war es mein
Jüngster, um den ich mich beunruhigte,
weil er länge? als gewöhnlich geschwiegen
hatte.
.Erich läßt nichts von sich hören,'
sagte ich zu meinem Mann, der. die
Hände auf dem Rücken, am Fenster stand.
.Er hat wohl gerade jetzt viel zu
thun,' war die gleichmüthige Antwort.
.Aber ein paar Worte könnte er doch
schreiben! Ich hoffte heute mit Bestimmt
heit aus einen Brief von ihm.'
.So wird er morgen kommen. Ver
zeih,' sagte mein Mann und wandte
sich nach mir um, .ich dachte an etwas
anderes. An etwas, was auch Dich, und
zwar recht nahe, anseht,' sitzte er aus
eine unmuthige Geberde von meiner
Seite hinzu. .Du hast vordem den
Wunsch ausgesprochen, nach der Stadt
zu ziehen, wie wäre es, wen ich Ihn Dir
jetzt erfüllen könnte?
Ich sah ihn groß an.
.Die Sache ist die,' sprach er lang.
sam weiter, als hätte er sich vorher
jedes Wort zurechtgelegt und wieder
holte eS jetzt aus der Erinnerung: .Es
ist in der letzten Zeit nicht so gut in der
Wirthschaft gegangen wie bisher. Die
Kinder, besonders die Söhne, laben
viel gekostet, wir haben ein paar schlechte
Ernten gehadt dazu kommen man
cherlei Zärtlichkeiten, die sich nicht im
VsrauS berechnen ließen, mag sein, daß
ich fetbtr ms und das andere versehen
habe kurz, wenn nicht einige gute
Jahre kommen, vorauf mau verständi-
gerweise doch nicht bauen darf, so saunte
eS mir bald schwer werden, mich auf dem
Gute zu halten. Jetzt eben bietet sich
mir eine Gelegenheit, vortheilhast zu
No. 3l.
verkaufen. Thue ich eS, so bleibt un
immer genug, daß wir an einem nicht zu
theuren Orte mit Behagen leben können.
So steht eS,' sagte er und sah mich hei
ter an. .Ueberlege dir, wo du am lieb
ste wohnen möchtest; jedenfalls an
einem Ort, wo du nicht von allen Kin
dern so weit entfernt bist wie bisher.
Zu übereilen brauchst du dich nicht.' Er
nickte mir freundlich zu und ging hinaus.
Ich stand ganz betroffen da. Er hatt
mich mit seiner Mittheilung vollständig
überrascht. Mein Wunsch sollte also in
Erfüllung gehen! Aber der Weg, auf
dem eS dazu kommen sollte? Ja nun,
mein Mann hatte e ja selbst gesagt; es
zwang ihn nicht, ihn bestimmte nur
eine verständige Vorsorglichkeit. Ersah
so heiter au, alS er davon sprach.
Gewiß, er hatte einsehen gelernt, daß
auch für ihn daS Leben in der Stadt,
wo er sich nach so vielen Arbeitsjahren
Ruhe gönnen würde, daS Beste wäre.
In der Stadt leben, in der Nähe der
Kinder fein, es war ein herrlicher Ge
danke!
Mir wurde das Zimmer zu ng, ich
ging in den Garten hinaus. Es däm
merte schon stark, und der Himmel war
bedeckt, daS Laub der Bäume und die
Blumen in den Beeten sahen farblos
aus. Für mich aber konnte der hellste
Sonnenschein ihnen nicht die Farbe und
den Glanz wiedergeben, die ste verloren
hatten, feit der Kinder Schritte und der
Kinder Stimmen zwischen ihnen verhallt
waren. WaS verschlug eS mir, wenn das
alles bald todt für mich war!
Ich ging rasch auf dem breiten Wege
in der Mitte des Garten hin. An einer
Biegung blieb ich plötzlich stehen. Unter
einer Eiche, der einzigen im Garten, saß
mein Mann. ES war sein Lieblingsplatz
und der Baum war denkwürdig für ihn.
V ' c r - 11 fr. . I c . irr r . ..
ein maiex oai:e iyn vei oer Geouri
dieses seines einzigen SohneS gepflanzt,
er war mit ihm aufgewachsen und ein
kräftiger, stattlicher Baum geworden
.Mein Baum,' pflegte er ihn mit
lächelndem Stolz zu nennen, und er
wußte den Kindern viel davon zu erzäh
len, wie er in seinem Schatten gespielt
und gelernt hatte. Die Eiche war ncch
im frt ehesten Wachsthum begriffen, aber
der darunter saß, ganz in sich zusammen
gesunken, den Kopf an den Stamm ge
lehnt, der sah greisenhaft aus, todten
blaß und so müde! Jetzt erst meinte ich
zu sehen, wie grau er geworden war! Die
vielen Arbeitkiahre! Ja, und die vielen
Jahre, di wir nebeneinander gelebt hat
ten, ohne miteinander zu verwachsen, wie
er mit seinem Baum!
Ich ging in mein Zimmer und horchte
hinaus, bis auch er zurückkam. Dann
stand ich eine lange Weile unschlüssig, ich
wagte nicht, zu ihm zu gehen. Ader eS
mußte sein. Ich faßte mir ein Herz und
klopfte bei ihm an.
Er machte ein verwundertes Gesicht.
als ich auf seinen Ruf eintrat. .Warum
klopfst du an?' fragte er.
Ich wußte nicht, ob ich dich nicht
störte', sagte ich zaghaft, und dann mit
einem raschen Entschluß: .Franz, muß
eS denn fein? Mußt du Kronwalde ver
kaufen?'
Er stutzte. Muß? Ein Muß ist es
nicht noch nicht, wie ich dir sagte. ES
ist nur verständig, wenn eS jetzt ge
fchieht. Ich möchte nicht Hilf bei
Andern suchen, da ich ihnen nicht die ab
solut Gewißheit geben könnte, daß sie
keinerlei Nachtheil dadurch erleiden.'
DaS ist ia aber gar nicht nöthig,
Ich habe ja die Erbschaft von meinem
Onkel?'
Du veraissest,' sagte er streng, .daß
du daS Geld für die Kinder bestimmt
haft.'
Ach was, die Kinder! rief ich unge-
duldig. .ES handelt sich nicht um
die Kmder, fondern um Dich. Und
wie er mich ganz versteinert ansah
leider hatte er Grund genug dazu I
fuhr ich immer erregter fort: .Nicht
um Dich allein, um uns, Franz? Als
ich Dich vorhin unter Deinem Baume
sah, da ist etwas in mir aufgewacht
und mir immer klarer geworden: Du
bist nicht enger mit ihm verwachsen, als
ich mit Dir. Wir sind eins, nicht
wahr, Franz? Und was dem einen von
uns zum Leide gereicht, kann dem an,
deren kein Glück bringen. Laß unS hier
bleiben, mein liebster Mann, auf dem
Grund und Boden, auf dem wir bisher
zusammen gelebt haben, bei Deinem
Baum, der mich gelehrt hak, wie wir
ein müssen, ins. ganz ins, nicht
wahr?'
So ungefähr sprach ich, bis die Thrä
nen mich nicht weiter reden ließen. Er
sagte gar nichts, er hielt mich nur fest in
seinen Armen, und ich weiß, wir fühlten
uns völlig eins.
.Franz,' sing ich nach einer langen
Weile an, .ich schäme mich, daß ich eS
Dir jetzt erst sage: ich will thun, was ich
kann, um Dir Deine Last zu leichtern.
Ich will tüchtig werden, ganz gewiß.
Du glaubst doch nicht, daß Deine Frau
zu alt ist, um noch zu lernen?'
.Alt? Aber,' sagteer jubelnd, .mir
ist, als hielt ich erst jetzt meine junge
Frau in den Aimenl' Und dann, ja,
dann benahmen wir uns so, daß ich ihn
mit der Zeit ermähnen mutzte, daß nix
mit Rücksicht auf unser grauen Haare
wohl vernünftiger sein sollten. Ab r
wollt da nicht gelten lassen. .Schatz.'
sagt er lachend, ,ba weiß ich besser.
Unter manchen Verhältnissen ist rt da
einzig Vernünftige, sich genau so unser,
nünftig zu geben, wie man ist.'
Wir sind jetzt alte, weißhaarig Leute,
unsere Kinder find sämmtlich verbeirathet
und glücklich in ihrem Ehestand. Sie
besuchen un häufig, und wir suchen sie
in ihren Heimstätten auf und freuen un
an ihrem Glück. Aber wenn wir wieder
allein find, sage wir un: .Die wahr
Prob auf da Glück der Eh wird
erst gemacht, wenn man wieder zu Zweie,
P- j
ß r chule.
Bei der Schulprüfung in B. geht der
Serr Kommissariu, nachdem er di
ard der Klasse gemustert, zum
Schrecken de Lehrer immer weiter in
der Bankreihe zurück und verschont auch
jen Bank nicht, di in ihrem landläusi
gen Namen zoologisch Anklänge d. h. an
die Benennung eine langbeohrten Grau
thiere hat. AIS er beim letzten ihrer
Insassen angelangt ist, beugt der Lehrn
vor e wird gerade Rechne geprüft
indem er den Schüler al absolut un
fähig bezeichnet, Zahlenbegriffe in sich
auszunehmen.
.Giebt'S nicht, Herr Lehrer,' meinte
der Prüfungskommissar, .ich werd ent
wickeln. Kleiner, wenn Du heut uS
der Schule kommst, hast Du Hungrr.
Was verlangst Du von Deiner Mut
ter?'
.Ein Stück Brot.'
.Das denke ich auch. Wie viel Stück
verlangst Du?'
.Ein Stück.'
.Zeige mir eS auch an Deinen Fin
gern, wie viele Stücke Brot Du ver
langst!'
Der Schüler zeigt es richtig, und der
Herr Inspektor wendet sich zum Lehrn:
.Sehen Sie, schon der Zahlenbegriff
einö l' Darauf fährt er fort: .Morgen
kommst Du aber nach Haufe und haft
einen noch größeren Hunger al heute.
Ein Stück Brot reicht Dir nicht, Deine
Mutter giebt Dir noch eine dazu. Wi
viel Stücke Brot haft Du jetzt?'
.Zwei.'
.Zeige mir e an den Fingern. Mach
mir so viel Striche auf die Tafel, als Du
Brot bekommen hast!'
Alle geschieht richtig.
Der Inspektor lächelte den Lehrer an
und spricht: .Nun weiter, aller guten
Dingen sind dr bricht hier aber rasch
ab und fäh:t siegesgewiß in der Ent
wickelung fort:, Ein anderes Mal kommst
Du aber nach HauS nnd hast in dn
Schule noch Arrest absitzen müssen, jetzt
haft Du noch mehr Hunger und willst
noch ein Stück Brot mehr, al Du da
letzte Mal bekommen haft. Wie viel
Stücke verlangst Du?'
Keine Antwort.
.Deine Mutter hat Dir noch ein
Stück mehr gegeben wie damals, als Du
zwei bekamst; wie viel Stücke haft Du
jetzt?'
Der Schuler bleibt abermals stumm.
Nach verschiedenen vergeblichen Fragen
wendet sich der Gestrenge zuletzt in ärger
lichem Tone nochmals an den Knaben:
Sage mir doch, wie viel Stück Brot
Du jetzt hast?'
.Jetzt hab' t grad gnua,' war die Ant,
wort.
Oessnet die Fenster.
Beim Eintritt der rauben JabreSnir
werden in vielen Wohnungen die Fenster
geschlossen und womöglich während des
Winters nicht mehr geöffnet, und mn ein
solch' ungelüftetes Zimmer betritt, dem
duftet eine Lust entgegen, welche ihn ge
radezu anwidert und ihm den Athem de
nimmt. Wie unwissend und unpraktisch
sind solche Leute, die da glauben, bei ge
schlossenen Fenstern eine wärmere Stub
zu haben und an Heizung zu sparen!
cicht unreine, andern eine reine Lust
wärmt am meisten. Wo in Räume
große Menschenmengen zusammenge
drangt sind, da möge man wahrend der
nun kommenden Zeit nach jeder Stund
die Fenster fünf Minuten lang öffnen;
lese Wohnung werde täglich zu wieder,
holten Malen gelüftet. Niemand braucht
sich zu fürchten, bei offenen Fenstern zu
schlafen, um frische Luft tn das Zimm
zu bringen, genügt im Winter oft in
kleine Spalte des geöffneten Fenster.
Nur reine, frische Lust schützt vor allerley
Krankheiten!
Der Befehl.
Daß die freien Reichsstädte manchmal
sehr unfrei dachten, beweist die Weisung
des Nürnberger Rathe an HanS Sachs
im Jahre 15:37. Dieselbe befiehlt dem
Dichtn, .fortan seines Handwerkes und
Schuhmachers zu warten und keine Büch
lein und Reime zu schreiben und unter
die Leute zu bringen.' Bekanntlich hat
der wackere Poet weiter gereimt, bi
Freund Hain ihn am 20. Januar 1576
küßte.
kin guter Rath.
. . . .Wie oft soll ich Ihnen noch wie
drholen, daß ich Ihre Sachen nicht oer,
wenden kann? ! . . . Sagen Sie mir 'mal,
warum dichten Sie eigentlich?'
.Ach, Herr Redakteur, ich möchte
meinen Namen für mein Leben
gern gedruckt khn!'
Ja, warum lasten Sie sich dann nicht
einfach Visitenkartn machkvl'
Kubner Schluß.
Fiäulein Bertha: .Wie leise derAffef.
or immer spricht !'
Sti fitilfln Paiira? flifcf rnnfcr t .
dabei kommt er mir manchmal so seltsam
vorl.. Ich fürchte immer, daß ich ein
mal eine Liebeserklärung von ihm
überhört habe!'