Nebraska Staats-Anzeiger. (Lincoln, Nebraska) 1880-1901, October 05, 1893, Image 9

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    Der Fischer.
Von War ltst edt.
Hold zog sie ihn, halt sank et bitt
Und ma mal mkhr gcjrtj'n.
oeihe ,SIchn'.
Sr Kiek 3p4rt.
Wa fiocäen war? Ein arm Teufel,
der sich in einer Fabrik durch seiner
fände Arbeit sei täglich Brod verdient,
ümmttliib aenua war dieser Verdienst
Jochen hatte kein Handwerk gelernt, eil
r ein verwachsener, ungelenker Krüppel
war, und so mußte er alle möglichen
andlanaerdienft verrichten, für die sich
kein Andern fand. Er that rt ohne
Murren; ruhig, still und gemessen kam
er taaSllber seinen Ö Ssttgungen na,
und am Abend ging er nach Hause, setzte
sich ruhig und schweigsam in sein Dach
mmnchen uno iaz
sin der That. Jochen USl Jede Woche,
em Gamftag, erhielt er feinen spärlichen
Lohn, gerade eben so viel, daß er nicht
junger zu sterben brauchte; trotzdem
aber brackle er tt fertig, hiervon noch
einige Pfennige zurückzulegen. Diese
bewahrt r sorgfältig in einer Ecke sei
ntr alten. wurmstichigen Kommode auf.
und wenn nach Ablauf mehrerer Wochen
stiS den Kupferxfennigen ein paar blanke
Silberlinge geworden waren, so nahm
sie locken strahlendmAugeS heraus und
ging zum Antiquar. Der kannte ihn
schon, wußte ganz genau, daß der arme
Krüppel sein regelmäßiger Kunde war,
ein Kunde zwar, der ihm nur wenig in
ifelne GeschäfiSkasse brachte, der aber mit
einer egeimagigrett jtmen, o,e oewun
dcrSmerlb war.
Nun kauste Jochen Bücher; im Laufe
der Zeit hatte er schon Einiges zusam
'mengebracht, und diese Bücher waren
sein Heiligthum. Er gab sie nicht au
den Händen, .Bücher und Regen
schirme dürfe man nicht verleihen, denn
Beide erhalte man nicht zurück meinte
er nur er selbst las in tonen, las o
lanae. bis er ihren Inhalt tast auSwen
big kannte. Und dann theilte er ihn den
Andern mit. die ihm wortlos zuhörten,
und wenn er zu Ende war, sich zuflüster,
ten:
.Schad um den Jochen! Aus dem
hätte in tüchtiger Kerl erden können,
wenn die Natur ihn nicht körperlich gar
so ebr oernachlässtgt hätte I'
DaS hört natürlich Jochen nicht, und
wenn r eS gehört hatte, ta giauve nicht,
da er sich viel daraus gemachl haben
würde. Gleichmäßig floß ihm ein Tag
nach dem andern hin; mit vemletven
gleichmüthigen Gesicht erschien er täglich
bei der Arbeit, mit demselben gleichmü,
thigen Gesicht ging er am Abend feinem
Heim zu.
Noch eine Leidenschaft neben der fü
Bücher hatte Jochen. Er war nämlich
ein. großer Freund von Funmanderunaen,
und trotz seiner verkrüppelten Gestalt
konnt: er tüchtige Wegstrecken zurückU:
gen. Jeden Sonnlag in oller Frübi
brach Jochen aus, wanderte hinaus in
Wald und etve. uns kehrte erst am
Abend heim. Und nie vergaß er dabei,
ein Buch in seine Tasche zu stecken; sorg
ältig wickelte er es in Papier em und
orgfältig lieh eS in der Tasche ver,
chwinden. sich jedesmal gewissenhast
Sberieuaend. ' ob r eS auch nicht etwa
daneben gestellt halle.
Seit einiger Zeit hatte Ischen bei sei:
en Wanderungen immer nur ein bestimm
tes Ziel: Halte er früher Darin gewech
seit, war er an dem einen Sonntag da
bin. an dem andern dorthin gegangen,
so führt ihn fein Weg jetzt regelmäßig
zu einem träumerischen Heidesee. der
ring? von dunklem Kieferwald umgeben,
etwa zwei Stunden von dem Orte lag,
wo Jochen wohnte und bettele.
Man mußte JochenS Geschmack alle
Anerkennung widersahren lassendes war
schön, wunderschön hier an diesem Heide
see. Ringsum herrschte feierliche Still
keine Menschen Fuß verirrte sich hierhin.
nur in den Abendstunden traten Hirsche
und Rehe aus dem Dickicht, um in den
gluthen ihren Durft zu löschen. Nur
daS Hämmern des Spechtes war vernehm
bar und der Ruf der Amsel, die von Ast
zu Ast flog. Bunt Liebellen gaukelten
über daS Wasser hin, auf Wasserrosen
und Lilien wiegten sich Schmetterlinge,
und leise zirpte die Vriu ihr ied.
ES war in der That in Platz zum
Traumen.
; Aber Jochen träumte nicht; mit off!
tun, starren Augen vielmehr sah er hier
m die Welt, wenn er im Grase dahinge
sireckt lag, Nichts entging feinem Blick
und so hatte er denn auch seit einigen
Wochen berrrerkt, da die große Stille.
die sonst hier herrschte, in der letzten Zeit
durch Menschen gestört wurde. Regel,
mäßig kamen an den Sonntagen, gegen
Abend, wenn Jochen der scheidenden
Sonne nachsah, eine Frau und zwei Kin
der hierher. Woher sie kamen und wohin
sie ginge, Jochen wußte es nicht.
ES war ihm auch gleichgiltig, aber merk
würdig, sobald er in der gern di ju
belnden Kinderstimmen vernahm, wenn
r die zarten frischen Gesichter des Kna
den und deS Mädchens au dem Grün
des Buschwerks auftauchen sah, so wandte
er seinen Kopf dahin, starr wurden seine
Augen und keinen Blick konnte er abmen
den, wenn dann hinter den Kindern her
ine schön Frau kam, die mit Wort und
Geberde die kleinen Wildlinge lenkte und
leitete.
O, Jochen mußte es. daß sie schön
war, diese Frau! Er hätte nicht so viel
gelesen haben müssen, er hätte nicht den
Jubel und die Klagen der Dichter um
schöne Augen und um schönes Haar ken
nen müssen, hätte er das nicht wissen
sollen! Aber daS Eigenthümlichsu war,
daß eS Jochen unwidelstehlich hierher
zog, seit er zum rsien Mal diese Äuaen
gesehen hatte! Und selbst, wenn er sich
einmal vorgenommen hatte, sein Revier,
y, ..i.,., ,..:(.; ijc,. t,:.
Ver
Jahrgang 14.
Fuß doch nieder hierher und geduldig
rraitete er, bjS sie kam, di er sehen
wollte.
Und bald schien es ihm. als fei sie gar
nicht von Fleisch und Blut, al sei sie
vielmehr eine? jener schönen Wesen, von
denen seine Dichter sangen, daß sie Wald
und See bevölkerten. Wie ine überir
dische Erscheinung kam sie ihm vor, und
jedesmal, wenn sie an ihm vorüberschritt
und nicht im mindesten erschrack, wie S
so Manche thaten, eiche vermuthet
den häßlichen Krüppel erblickten, jede
mal schoß ihm dünn eine heiße Blutwelle
vom Herzen zum Gesicht, wenn er linkisch
seine Kappt zog und sie ihm freundlich
grüßend zunickte.
Die Wa erseei" nasterte er dann
wohl hinter ihr her und schlug in seinem
Buche die Ballade vom Fi eher" aus
Er konnte sich nicht sagen, warum gerade
diese Ballade Goethe, die ihm früher
me so recht verstandlich gewesen war,
jetzt geradezu inen dämonischen Zauber
aus ihn ausübte, da er nicht wieder los
kam von oem ii: am geyeimmnvouen
Sang und immer wieder und wieder vor
sich htnmurmelte :
.Halb zog sie ihn, halb sank er hin,
Und ward nicht mehr geseh'a.
Noch ruhiger, och stiller war Jochen
geworden in dieser Zeit. Und wenn ihn
seine Kameraden in der Fabrik darob
hänselten, er kümmerte sich nicht darum.
AIS aber mal Einer gefragt hatte:
Jochen. Du bist wohl verliebt?' da
hatte er den Frager mit einem so eigenen
Blicke wortlos angeschaut, daß Jener
keine Silbe mehr über seine Lippen brm,
gen konnte und auf dex Stelle alle Spott!
reden, die sich erhoben hatten, verstumm
ten.
Aber in seiner Brust hatte jenes Wort
einen furchtbaren Sturm entfesselt. Ber
liebt? Er Jochen, verliebt?
Thorheit!
Aber warum nur, warum würd ihm
die Zeit so endlos lang bis zum nächsten
Sonntag, warum schlug ihm das Herz
o, als endlich an diesem Sonntagmorgen
golden und klar die Sonn ausging, und
er sich zu seinerWanderung rüstete? Wieder
fleckte er, sorgsamg tn Papier gewickelt,
Gocthe's Gedicht ein; er kannt den
Fischer" längst auswendig, aber ihm
hätte etwas gefehlt, hätte r dieses Buch
nicht bei sich gehabt. Und so wanderte
er denn hinaus durch Wald und Feld,
bis er an die Ufer des stillen Sees ge
kommen war.
Und nun er staunte ! Da am Ufer
rand lag etwas, was er hier noch nicht
gesehen hatte: ein kleines, zierliches Ru
derboot. Prüfend betrachtete er es von
allen Seiten. Es war festgeschlossen,
war braun gestrichen, schmal, ftachgehend.
Jochen schüttelte verwundert den
Kopf: ob es der Wasserfee gehörte? Scheu
und schüchtern wurde er. als ihm dieser
Gedanke durch den Kops schoß. Wenn
dem wirklich so war, wenn das Boot der
Wassernixe gehörte, was hatte dann er,
das arme, verkrüppelte, verlassene Wen
cheniiud dabei zu suchen
Er eilte bestürzt weg. Es war ihm,
als habe er mit prosanen Blicken ein
Heiligthum entweiht. Zu seinem Lieb
lingsplatz begab er sich, warf sich in das
Gras nieder und lauschte dem Raufchen
der Bäume. Wie herrlich das heute
klang! So hatte er eS noch niemals g
hört; so ernst, so hehr konnt nur Orgel
klang sein, wenn seine Töne inen müden
Wanderer auf dem Wege zum Grabe be
gleiteten. Ihm war eigenthümlich um
das Herz: er mußt jener Stund geden
ke, wo man fein Mutter hinaustrug.
die Einzige, die ihn geliebt hatte auf der
Welt. Damals hatte auch in der kleinen
Friedhokskapelle die Orgel getönt, und
jetzt wollte ihm bedünken, als ob heut
das Rauschen der Bäume ebenso klänge,
wie damals jener Todtengesang.
Er kam nicht los von dem Gedanken;
hm war es, als tollte eS heute in rei
chenfeier, werden, zu der auch er geladen
wäre.
Da aber fuhr er auf. Er hatte Kin,
derstimmen gehört. Starr blickte fein
Auge nach jener Richtung bin, woher er
e vernommen hatte. Und da trat auL
dem Buschwerk heraus feine Wasserfee
und die Kinder; jede? von ihnen trug ei
uder n der and. Er tolqte allen
hren Bewegungen. Die schöne Frau
legt die Ruder in daS Boot, die Kinder
stiegen ein, sie lost die Keti, mit der es
gefesselt war, dann stieg tu selbst em und
mit einigen kräftigen Ruderschlägen trieb
ste das Boot hinaus in den .
Wie die Kinder lachten, und wie
strahlte vor Freude das Gesicht deS fchö
nen WeibeS. Jochen feuftte laut auf, so
laut, daß er sich erschrrck: umschaute,
ob ihn vielleicht Jemand gehört haben
könnte. Aber Niemand war in der Nähe.
und der Ruf der Amsel erschallte oben in
den Wipfeln, und sie erzählte das, waS
: geHort, nur hin und wieder einem
lnntagttinde.
Stöhnend barg er sein Gesicht im
Gras. Er hörte das Plätschern der
Ruder vom See .her, hörte einen leisen
Gesang vom Boote, ihm wurde unsäglich
weh uni daS Herz, krampfhaft umklam
werte er Goethes Gedichte, die er in der
ft , .
00 X-t(C -I5C -p"
Beilage zum Nebraska Staats-Anzeiger.
.Halb zog sie ihn, halb sank n hin,
Und ward nicht mehr geseh'n
Da erschallte in furchtbarer Schrei
om Wasser her. Erschrocken fuhr
Jochen auf und im selbe Augenblick
stieß auch er einen entsetzlichen Schrei
aus. Kieloben trieb da Boot auf dem
Wasser.
Er stürzte auf da Ufer zu; in den
Fluthen rangen drei Personen um ihr
Leben auch die Wassers. Hilfe,
Hilfe, schallte au ihrem Munde.
Jochen konnte nicht schwimmen aber
was schadet das? Jene mußt r rt
tn hinein in daS Wasser sprang er,
mitten hinein, wo Schlinggewächse
wuchern und Wasserrosen emporsehen
Zum lachenden Himmel. Um ihn rausch
ten die Fluthen, er sah, er hö:t nicht?
mehr er fühlte seine Fuß festgehalten,
fühlte seine Brust umschlungen, noch ein
mal sah r zum Licht auf, und dann glitt
er hinab in die Arme der Wasser
fee
Die Wellen rauschen und murmeln.
Mehrere Leute fahren über den See und
suchen ihn mit Schleppnetzen und Stan
gen ab.
,Gott sei Dank. sagt Emer von
ihnen, daß die gnädige Frau und die
Kinder gerettet sind! ES thut mir leid
um den Andern!'
Wer heißt ihn auch in daS Wasser
gehen, wenn r nicht schwimmen kann
ntgegnet der Zweite.
Er sollte zu Haus bleiben der
Narr!'
Sie suchten weiter. Aber man fand
seine Leiche nicht. Die Wellen spülten
am nächsten Tage ein Buch an das Land;
ein Lesezeichen lag darin und als man die
Stelle nachsah, las man dort: Der
Fischer von Goethe
Rolhangestrichen war das Gedicht.
Die Leute schüttelten den Kopf, als ste
das sahen
Das Goldstück.
Von FrangoiS Eopper.
AIS Lucien de Hem gesehen, wie sein
letzter Hundert-FrancS-Schein durch den
Banquier eingestrichen wurde, und als
er sich vom Roulettetisch erhoben, wo er
die Dümmer feines kleinen, für diese
letzte Schlacht zusammengerafften Ver
mögevs verloren, hatte er das Gefühl,
daß AlleS über ihn zusammenstürze, und
er glaubte, er müsse zu Boden sinken.
Mit wüstem Kopf und wankenden
Beinen warf er sich auf die breite, leder
überzogene Bank, welche sich längs der
Wände des SpielsaaleZ hinzog. Wie
im Traume umfaßt er mit einem Blicke
diese geheime Spielhöhle, wo er die
schönsten Jahre seines Lebens vergeudet;
er sah die wüsten Gesichter der Spieler,
grell beleuchtet durch die drei großen
Lampen, hörte da? leise Klingen deS
Goldes auf dem grünen Tuche, dachte,
daß er ruinirt, verloren war und erin
nette sich, daß zu Hause in einer Schub
lade, die alten Reiterpistolen seines Ba
ters lagen, des Generals von Hem, die
diesem, als er noch Rittmeister gewesen,
bei dem Angriff auf Zaatscha so gute
Dienste geleistet hatten. Dann versank
Lucien, müd und gebrochen, in einen
tiefen Schlaf. y
Als er mit trockenem Halse erwachte.
ersah er durch einen Blick aus die Uhr.
da er kaum eine halbe tunde geschla
fen, und er empfand das unbesiegbare
erlangen, die trische Nachllu t zu ath
men. Die Zeiger der Pendeluhr wiesen
auf dreiviertel auf Zwölf. Während er
sich erhob und di Arme streckte, erinnerte
ftch Lucien, daß man vor dem WeihnachtS
morgen stand, und durch em ironisches
Spiel des Gedächtnisses sah er sich als
kleines Kind wieder, voll freudiger Auf,
regung erwartend, was ihm das Christ
kindleM bescheeren wurde. H
In diesem Augenblick näherte sich Lu
cien der alte Dronkki eine Säule der
Spielhölle, ter classische Pole mit dem
mächtigen Schnurrbart und dem schmutz,
gen Rocke und murmelte einige halb
laute Worte.
.Leihen Sie mir doch fünf Francs,
mein Herr. Seit zwei Tagen bin ich nicht
aus dem Cercle gewichen und feit zwei
Tagen ist die Siebzehn' nicht heraus
gekommen. Spotten Sie meiner, wenn
Sie wollen, aber ich lasse mir die Hand
abhauen, wenn die Nummer nicht mit
dem Schlage Mitternacht erscheint.'
Lucien de Hem zuckte die Achseln.
Seine Taschen waren leer und er konnte
nicht einmal die Steuer zahlen, welche
die Habitues des Lokals die hundert
Sous des Polen' nannten. Er trat in
das Antichambre, legte den Pelz an,
setzte den Hut auf und eilte die Treppe
mit der Beweglichkeit der Leute hinab,
welche das Fieber halten.
Während der vier Stunden, die Lu
cien in dem Tripot verbracht, war reich
lich Schnee gefallen und die Straße
eine Straße im Centrum von Paris, eng
und mit hohen Häusern war ganz
weiß. Der Himmel war nun wolkenlos
und schimmerte in dunklem Blau mit
kalten Sternen.
yr ft"nrftwVh. Tjii.f .ff.rf
unter seinem Pelzwerk und ging rasch
vorwärts, Ihren er sich im Geiste mit
verzweifelten Gedanken trug, die mehr
al je zu den Pistolen in der Schublade
zurückführten. Er hatt jedoch nur
we ige Schritt gemacht, als er plötzlich
stehen blieb, aufgehalten durch i r
greifende Schauspiel.
Auf einer steinernen Bank, di nach
altem Braucht neben dem monumen
talen Portal in, Paläste angebracht
war, saß ein kleine Mädchen von sechs
oder sieben Jahren, kaum bekleidet mit
einem dünnen schwarzen Kleidchen in
Lumpen, im Schnee. Sie war da trotz
der grausamen Kälte eingeschlafen, ihre
Haltung verrieth erschreckliche Müdigkeit
und Erschöpfung, der arm kleine Kopf
und die winzige Schulter waren wie
hineingepreßt in eine Vertiefung der
Mauer und ruhten auf dem eisigen
Steine. Einer ihrer zerrissenen Schuhe
war von dem bloßen Fuße geglitten und
lag im Schnee.
Mit einer mechanischen Bewegung
griff Lucien de Hem in die Taschen. Er
erinnert sich jedoch, daß er dort noch
vor einem Augenblicke vergebens ein ver
aesseneS Geldstück von zwanzig SouS ge
sucht hatte und dem Diener im Cercle
kein Trinkgeld geben konnte. Indessen
näherte er sich, durch ein inftinctive Ge
fühl deS Mitleids geleitet, dem kleinen
Mädchen und schickt sich an, es in den
Arm zu nehmen und nach Hause zu tra
gen, um ihm für ine Nacht ein Asyl zu
bieten. Plötzlich bemerkte er in dem
heradgefallenen Schuh der Kleinen e:maS
Glänzende?.
Er beugte sich hinab. ES war ein
Louisd'or.
Eine mildthätige Person, ein Frau
ohne Zweifel, war an dem WeihnachiS
abend offenbar hier oorübergekominen und
hatte mit discreler Hand in den zerrisse
nen Schuh der armen Kleinen ein groß
herziges Almosen gleiten lassen, damit
die Verlasse?' doch an die Geschenke des
ChristkindchenS glaube und trotz ihres
Unglücks einiges Vertrauen unv einige
Hoffnurg auf die Gü!e der Vorsehung
bewahre.
Ein LouiZ daS waren einige Tage
der Ruhe und des Reichthums für die
Bettlerin. Und Lucien wslll sie eben
wecken, um eS ihr zu sagen, als er plötz
lich nahe seinem Ohre wie durch eine
Halluncination ine Stimm hörte die
Stimme deS Polen mit seinem langge
zogenen, satten Accmt die leise die
Worte murmelte:
Seit zwei Tagen bin ich nicht aus
dem Cercle gewichen und seit zwei Tagen
ist die Siebzehn' nicht herauZgeknm
men. polten Wie meiner, wenn ie
wollen, aber ich lasse mir die Hand ab
hauen, wenn die Nummer nicht mit dem
schlage Mitternacht erscheint.
Und da faßte dieser junge Mann von
dreiundzwanzig Jahren, der von einer
Familie rechtschaffener Leute abstammte,
der einen glänzenden militärischen Na
men trug und niemals gegen die Ehre
gesehlt halte, einen chrelkllchen Gedan
ken; er wurde die Beute eines wahn
sinnigen, ungeheuerlichen Verlangens.
Mit einem Bli verstcherte er na), da
er allein in der öden Gasse war ; dann
beugte er ein Knie, streckte vorsichtig die
Hand aus und stahl das Goldstück, das
in den Schuh deZ Bettelkindes geworfen
morden war. Hieraus lief er. wie er
nur konnte, erreichte das Spielhaus,
zprang die trepp m einigen isatzen
hinauf, stieß die angelehnte Thür deS
verfluchten Saales auf, trat in dem
Augenblicke, an den Tisch, als die Uhr
Zwölf schlug, legte das Goldstück auf
das grüne h und jagte:
Auf die Siebzehn.'
Die Siebzehn' gewann
Mit dem Rücken der
Hand schob
Lucien di sechsunddreißig
Rouge.
LouiS auf
Rouge gewann.
Er ließ die zmeiundsiebzig Louis auf
derselben Farbe. Rouge gewann wieder.
Er setzt dasselbe Spiel zwei, dreimal
fort, immer mit demselben Glücke. Ein
Haufe von Gold und Bankscheinen lag
nun vor ihm, und er begann, in siebn
haftn Weise das grüne Tuch zu belegen.
DaS Dutzend', die Folonne', die
Nummer, alle Combinationen glückten
ihm. ES war ein unerhörtes, über
natürliches Glück. Man hätte sagen
mögen, daß die kleine Elfenbeinkugel,
welche über die Felder der Roulette
sprang und rollte, von dem Blicke des
Spielers magnetisirt, fascinirt war und
ihm gehorchte. Bald halte er die elen
den paar tausend Francs, seine letzten
Mittel, di er en dem Abend verloren,
wieder gewonnen. N an pointirte er mit
zwei und dreihundert Louis und war im
Zuge, sein Vermögen wieder zu erobern,
das ererbt Vermögen, daS er in wenige
Jahren verschwendet. In feiner Haft,
daS Spiel zu beginnen, hatte er den
schweren Pelz nicht abgelegt; bereit
hatte er alle Taschen desselben mit Gold,
rollen und Bankscheinen vollgestopft; er
wußte nicht mehr, wo feinen Gewinn
unterzubringen, füllte die inneren und
äußeren Taschen seines Rockes, jeirieS
Beinkleids, die Täschchen seiner Weste,
s',n Kiaarren-Etui, sein Sackiuch, Alle,
No. 20.
wa dazu diene konnte, mit Münzen
und Pcrpingeld. Und er gewann immn
und gewann immer lebn, wie in
Wüthender, wie ein Betrunkener, und n
warf mit vollen Händen die Louisd'or
auf den Tisch, auf gut Glück, gedanken
lo, mit einn Geberde der Sicherheit
und Geringschätzung.
Aber dabei war ihm, al stecke in
glühend Eisen in seinem Herzen, und
er dachte nur an die kleine eingeschlafen
Bettlerin im Schnee, an da Kind, da
er bestohlen.
Sie ist noch auf demselben Platze!
Gewiß, sie muß ja dort sein!.... So
fort .... ja, wenn es ein Uhr schlägt
gehe ich von hier fort, hole ste, trage sie
schlafend zu mir, lege sie auf mein
Bett.... Und ich werde sie erziehen,
werde ste ausstatten, erde ste lieben wie
meine Tochter und immer für ste sorgen,
immn !....'
Aber die Uhr schlug Ein, und ein
Vintel, und zwei Viertel, und drei
Viertel. . . . und Lucien saß noch immer
an dem höllischen Tische.
Endlich, eine Minute vor zwei Uhr,
hob sich dn Chef dn Partie und sagte
laut: '
Die Bank ist gesprengt, meine Her
!(.... Genug für heute!'
Mit einem Satz stand Lucien auf den
Füßen. Di Spieler, die ihn umdräng
ten und mit neidischer Bewunderung be
trachteten, drängt r roh zurück, eilt
davon, sprang über die Stufen der
Treppe mit großen Sätzen und lief zu der
steinernen Bank. Schon von Ferne sah
er im Lichte einn Gaslaterne die Gestalt
deS kleinen Mädchens.
Gott fei gelobt !' rief er. .Sie ist
noch da.'
Er nähnt sich ihr und ergriff sie bei
der Hand.
O, wie kalt ihr ist! Arme Kleine!'
Er nahm sie in die Arme und hob sie
auf, um sie fortzutragen. DaS Haupt
des KindeS fiel zurück, ohne daß eS er
machte.
Wie mag in diesem Alter schläft!
Er drückte sie an seine Brust, um ste
zu warmen, plötzlich der bemerkte n
mit Entsetzen, daß die Augen deS KindeS
halb geostnet waren verglaste, erftor
bkne, unbewegliche Pupillen starrten ihm
entgegen. Ein schrecklicher Verdacht
durchzuckte sein Hirn. Er näherte seinen
Mund dem Munde des Kindes. Er
spürte keinen Hauch.
Wahrend er mit dem Louis'bor, den
er der Bettlerin gestohlen, in Vermö
gen gewonnen hatte, war daS Kind
ohne Obdach gestorben, erfroren in der
Kälte.
Dn fürchterlichst der Schrecken
schnürte ihm die Kehle zusammen. Lucien
wollte einen Schrei ausstoßen und bei
dn Anstrengung, die er machte, erwachte
er von seinem grauenhasten Traum au
on Banr oes Cercles, wo er gegen
Muternacht eingeschlafen war. uS
Mitleid mit dem Ausgeplünderten hatte
ihn der Diener, als er sich um fünf Uhr
Morgens entfernte, in Ruhe dort ge
lassen.
Ein nebelhaftes Dezemberdämmern
blaßte durch die Fenstn. Lucien ging
aus, verpfändete feine Uhr, frühstückte
und ging in's RekrutenaufnahmSbureau,
wo er sich zum ersten Regiment der
ChasseurS d'Äfrique einreihe ließ.
Heute ist Lucien de Hem Lieutenant.
Er hat nur seinen Sold zum Leben, aber
n kommt damit aus, denn er ist ein ran
girier Ofsijier und berührt niemals ine
Karte. E scheint sogar, daß er noch
Ersparnisse machen kann. Denn unlängst
sah einer seiner Kamerade in Algier,
als er nach ihm die bergige Gasse der
Kasbs emporstieg, wie er einer kleinen
Spanierin, welche unter einem Haus,
thore eingeschlafen war, ein Almosen
gab. Ja, dn Kamerad war sogar so
indiscret, zu sehen, waS Lucien dir
Aermsten gegeben, und war von der
Großmuth deS Lieutenants sehr über
rascht.
Lucien de Hem hatte einen LouiSd or
in die Hand des kleinen Mädchens ge
legt..
Etubeuarrest.
Zu den eigenartigsten Stiafen gehört
dn Stubenarrest, der in gewissen Stän
den verhängt wird und dessen Verbüßung
darin besteht, daß die betreffende Per,
sönlichkeit ihre Wohnung nicht verlassen
und keine Besuche empfangen darf. Die
Strafe kommt heute merkwürdigerweise
nur noch bei Schülern, Offizieren, Be
amten, Prinzen und Hosschauspielern
vor, und die Gründe, aus denen sie ver
hängt wird, sind sehr vnschieden. In
Internaten werden die Schüler wegen
UnfleißeS oder Vergehens gegen die B,S
ziplin mit Stubenarrest bestraft und
dürfen an den Spielen und ErholungS,
stunden ihrer Mitschüler nicht thcilneh
men. aS Milksr-sr:afge,etzvuq oa
gegen schreibt, als ofsizielle Strafe kann
der Stubenarrest die Dauer von vier
zehn Tagen erreichen, und dadurch ver,
schärft werden, daß er in einem besonde
ren OfftiienArrestzimmn verbüßt werden
muß. Eine solche Belschärsung ist indeg
nur gegen Uknimeistn, Zupileme uno
Subaltern Offiziere anwendbar. Die
Prinzen der regierende Häuser könm
vom Familienoberhaupt, dem betreffenden
Regenten, ebenfalls mit Stubenarrest
bestraft werden, und häufiger, al ma
glaubt, wird feilst in Deutschland n
diesem Sttafmitte! Gebrauch gemacht.
Gar manch Unpäßlichkeit eine Prinzen,
von der dn Hofbnicht meldet, ist uf
Stubenarrest zurück zu führe, der o
Xegente verfügt urd. Besonder
streng mit der Verhängung oo Stube
anest war in Preuße Friedrich Wil
helm III., und mehr al einmal dek
der geistvolle Kronprinz, spät König
Friedrich Wilhelm IV.. dies Strafe,
weil n seinen Witz nicht zurückhalte
konnte.
Zwei Vergehen von ihm, die ihm Stu
benarrest einbrachten, habe sich al
historisch Anekdoten erhalten. Dn erst
spielte auf dem Wiener Kongresse. Bet
in Hostasel, bet weichn d gut
Wüthige, ab keineswegs geistvolle Kai
ser Franz von Oesterreich den orfttz
führte, urden Räthsel zählt; al aber
die Reihe an den Kaiser kam, erklärte
er: .Mir fallt halt nicht, ein.' l, die
Reih de Räthselaufgeben an d
Kronprinzen oo Preuße km, stellte
er die Frage, wer dn größte Baumeist
sei, und gab als Lösung: Kaiser Franz,
den dem fällt nichts ein.' Di Beloh.
nung für diesen Witz aaren drei Tage
Stubenarrest, die Friedrich Wilhelm III.
sofort üb seinen Sohn verhängte. I
einem andern Falle gab e sogar acht
Tage Stubenarrest, weil der Kronprinz
sich eine Verspottung dn Paradesoldate
erlaubt hatte. Zu den Paraden, di dar
mal in Berlin Unter den Linden statt
fanden, schienen die Soldaten so steif
in Uniform, Gamaschen, Lederzeug und
Gürtel eingezwängt, daß sie sich in der
That nicht bücken konnte. D Krön
priaz, der auf dn Parade vor Eintreffe
des Königs erschienen war, legte et
Goldstück neben den rechten Flügelmann
und forderte ihn auf, dasselbe auf,
heben. Dn Mann war nicht im Stande,
sich in der Paradeadjuftirung zu bücke,
und der Kronprinz bemerkte sehr sarka
stisch: DaS sind preußisch Soldaten,
und mit denen will man Schlacht
schlagen!' Die Bemerkung würd dem
Könige hinterbracht und kostete die oben
erwähnte Strafe. Wenig bekannt ist e,
daß alle königlichen Beamten, soweit sie
bei Hofe beschäftigt sind, ebenso alle Hos
schaufpieler und Hosopernsänger unter
einem besonderen Gericht stehen, welche
wegen Nachlässigkeit im Dienst, wegen
Insubordination, Beleidigung von Vor
gesetzten, Versäumniß und Verspätung
ebenfalls Stubenarrest verhängen darf.
In jeder Hauptstadt Deutschland findet
man gewöhnlich ein besondere Arrest -lokal,
welches für die Verbüßung dies
Art Stubenarrest eingerichtet ist.
Beethoven'Reliquie.
Eine ebenso eigenartige als ergrei
sende Reliquie wurde in neuerer Zeit
durch Verfügung des deutschen Kaisn
aus der königl. Bibliothek zu Berlin
dem Beethooenhause in Bonn überwie
fen: die vier Gehörmaschinen nämlich,
welche der Hosmechaniker Mälzl, d
berühmte Erfinder des Metronoms, in
den Jahren 1313 bis 1314 für de
schwerhörigen Beethoven anfertigte. E
sind plumpe und wunderlich anzusehende
Hörrohre, auS Messingblech zusammen
gesetzt, und es befinden sich daran auch
noch die Mesfingspannen und Seiden,
bänder, mit welchen der unglückliche
Meist sich diesen ungenügenden Gehör
ersah am Haupte befestigte.
DaS Ohrenleiden BeeihooenS, für ihn
das furchtbarste aller Schicksale, begann
sehr früh. Schon im Jahr 1304, also
in seinem 34. Lebensjahre, berichtet der
ihm befreundete Herr von Breuning an
einen Dritten: Sie glauben nicht, wel
chen unbeschreiblichen, ich möchte sagen
schrecklichen Eindruck die Abnahme de
GehörS auf ihn gemacht hat!' Beetho
ven suchte trotzdem das unerbittliche
Schicksal zu bekämpfen, so lange es an
ging, r stand in der Oper ans Pros
nium gelehnt, m noch die Tonempfta
dung zu haben, er ließ sich ein starke
Klavier bauen, das heute noch erhalten
ist mit doppelten, weit hinauf mit vin.
fachen Saiten umsonst 1 Die unftcht
bare Mauer legte sich dichter und dicht
um sein Gehör, und bald mußte tx zum
letzten und traurigsten AuShülfSmtttel
greifen, zu den gleichfalls noch erhaltenen
KonoersatlonSheften , vermittelst dnen
er sich mit seiner Umgebung verständigte.
Selten wird wohl die Wehmuth übn
ein tieftrsgischeg Schicksal stärk regt
werden, als beim Anblick dieser Beet
hovewRel'quien. ,
Ballgespräch.
trffnrttt Qmff
Herr
wenn Sie
wohl gn
Bräu
einmal heirathen, möchte ich
iO"v
bei Ihr Hochzeit sein!'
Backfisch: Vielleicht., als
tigam?'
Selbftverrath.
Schon wieder zur Jagd befohlen,
Herr Baron?!' Da geht wohl heut' der
ganze Hof mit?'
Doch nicht, liebn Graf! Durch,
laucht jagen diesmal nur mit 6 c
schränkte Gefolge!'
Sie kennt sich aus.
Privat! Meier (zu sein Frau).
Heute muß ich drei Hasen schießen:
Einen für unsern Stammtisch beim
Rößl, einen für den Schwager
und den dritten für unil'
Frau: O, liebn Hugo, schieß' doch
ja den dritten zuerst!'
Eiu tzösticher Stallknecht.
Nun, wie geht eS den Pferdm,
Johann?'
Danke, gut und Ihnen, Hnr
Baron?'