Tägliche Omaha Tribüne. (Omaha, Nebr.) 1912-1926, March 31, 1920, Image 6

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    Aschermittwoch.
Kostspielige Pfannkuchen. Maskenkostüme, ein LuznS.
Preise der Tcherzartikel.
V e 1 1 i n, 18. Februar. Wir hätten
es im Grunde genommen ja nicht nötig,
den Fasching zu feiern. Ersten auS all
bekannten' Gründen, und zweitens weil
der Karneval doch eigentlich den Abschied
en da Fleisch bedeutet. Diesen Abschied,
den wir doch nun wahrlich schon seit so
langer Zeit feiern, daß ine solche Feier
zu einer ständigen, wenn auch nicht lie
den Gewohnheit geworden ist. Aber eS
gibt nun einmal LeAte, die alle Feier
tage, und seien es selbst die gesetzlich
nicht festgelegten, mit einer gewissen
Hartnäckigkeit innehalten müssen. So ist
- denn auch in diesem Iah freilich in
ziemlich mäßigen Grenzen der Kar
' mval zu seinem Recht gekommen. Un
mäßig waren nur die Ausgaben, die
ine solche Feier erfordertet Zwei
Dutzend Pfannkuchen, die zu unserer
Läter Zeiten noch zwei gute Silber
loschen, im Jahre 1914 1.20 M. koste
ten, erforderten in diesem Iah einen
Kostenaufwand von durchschnittlich 36
M.. gleich 1,30 M. pro Stück. Dabei
ließen sich nur wenige Bäcker auf das
Risiko des Backens ein. Auf Punsch
wurde zumeist verzichtet, da nicht mehr
festgestellt werden kann, welches Gut die
Flagge deckt, und welche Mengen von
Anilin die zur Verschönerung der künst,
lichtn Flüssigkeit benutzten Farben ent
halten. Selbst unsern gewiß nicht mehr
verwöhnten Eingeweide können so etwas
unmöglich vertragen. Der Wein würd
also zum Pfannkuchen bevorzugt, so
weit daS Portemonnaie dies zuließ.
Sonst tat'S auch, weil Alkohol doch ein
mal dabei sein muß, ein Topp Bier,
ine Zusammenstellung freilich, die bei
jedermann vor dem Kriege einen leichten
Schauder lzervorgerufen hätte. ' '
In zweiter Linie handelte s sich ir..i
die Beschaffung von Maskenkostümen
für diejenigen, die endlich einmal wieder
aus ihrer eigenen Haut hinaus wollten.
Wer noch eines von früher her im
Schranke hatte, war gut daran. DaS
Leihkostüm war unter 100 bis 150 M.
überhaupt nicht mehr zu haben. Stoff
teuerung und hohe Arbeiislöhne tragen
hier die Schuld. Maskenkostüme sind
selten geworden. Dem Maskcnfest ist im
Film der größte Feind entstanden. Die
Filmgesellschaften und die Filmschau
spieler kaufen alle Kostüme auf, wo sie
sie auch finden mögen. Neuangefertigtes
ellt sich im Preise noch weit höher. Im
ibrige wurde auf den Feste deS dies
jährigen Karnevals der Jdealwunsch
Die Millanten des GTkaijers.
WaS gehört zum private Familienschmuck?
Orkg!naericht be Neu Wiener Four
als'.)
Seit zwei Jahren schon ist die Schatz
lammet in der Burg geschlossen, aber
nichtsdestpweniger bildet ein Teil ihrer
Kostbarkeiten, der bald nach dem Um
stürz mit dem entthronten Kaiser Karl
in die Schweiz wanderte, den Gegenstand
' immer neuer Diskussionen in der Oef
' fentlichleit. An einem Spätherbstsonn
tag deS Jahres 1913 hielt nachmittags,
als in der Wiener Burg die idyllische
Stille einer fast vollständigen Verkehrs
losigkat herrschte, vor der Schatzkam
' mtt ei Hofauto aus Eckartsau, dem
' ei hochadlig gewesene, Obersthofmeifter
entstieg und dem maßgebenden Funktio
' när deö Kämmeramtes den kaiserlichen
Befehl auf Ausfolgung deS Familien
schmuckes überbrachte. Diese Brillanten
schätze wurden auS den Vitrinen XII
und XIII der Schatzkammer herausge
: nommen, in die zugehörige Lederetuis
' ' verschieden Große und Forme gelegt,
in einem Protokoll verzeichnet und samt
den in einem Nebenraum unter feuer
. sicherem Kassenverschlutz aufbewahrten
j" andere Juwelen des Kaiserpaares, die
j nicht ausgestellt warm, weil sie gelegent
lich benutzt wurden, dem Abgesandten
des Exkaisers ausgefolgt. Sorgfältig
wurden sie in einem großen Lederkoffer
. verschlossen, der in das Auto getragen
..! wurde, das samt dem ehemaligen Hof
' i Würdenträger davon fuhr. Als der Ex
kaiser bald darauf samt seiner Familie
rn . r ' i MAf:sX.fl Ok..
1 in cgiiliung eines irnjuiywi juiiit
', in die Schweiz reiste, befand sich der Ju
i velenkoffer unter feinem Handgepäck.
Nun Brno von leiten oer oeuriq-oner
. reichifchen Regierung behauptet daß der
' " j Kais nicht Ms seinen privaten Fami
lienschmuck. sondern auch Juwelen auZ
sideikommissanschem Besitz, der letjt an
j den Staat übergegangen ist, mit i die
Schweiz genommen habe. , Von den
l Vertretern deS Exkaisers wird dagegen
i darauf hingewiesen, daß Kaiser Karl
als Chef des ehemaligen Kaiserhauses
( rechtlicher Besitzer und Genießer des Fa
- mLienfideikommißvermögens ist und da
: her daS unbestrittene Recht hat, nicht nur
mit seinem privaten Familienschmuck zu
: tun, was ihm beliebt, fondern auch bis
zn einem gewissen Grad 'ein Recht auf
' I freie Verwendung des Fideikommißver
mögens hat.. Er kann zum Beispiel
Liiertituae aus oem locliommioermo
aen belehnen lassen. Ja, Kaiser Franz
Josef hat sogar auS dem Fideikommiß
besitz an einen anderen Herrscher ein Ge
schenk gemacht. Die Krone. daS Zepter
und der Reichsapfel gehören streng ge
nommen auch zum Familienbesitz. blie
' bea aber in der Schatzkammer zurück.
Dagegen wurden der Vitrine XII die
Kollane deö Ordens vom Goldenen
Vlies, des ungarischen Stephan, und
Leopoldordens, dann deS OrdenS der
Eisernen Krone, acht brillantene Toison
erden, darunter einer mit sieben Solitä
ren im Gewicht von 83 Karat und drei
Achtel Gran, verschiedene Ordenskreuze.
darunter solche, die von der Kaiserin
Marie Theresia und Feldmarschall Na
' d.'tz! getragen wurden, der Stern del
militärischen MarisTheresien-Ordens.
mit Brillante. Rubine und Sinarag
t gefaßt, ein Leovoldorden. mit et
i'3 und gelben Brillanten karmonsiert.
ird der Sin der vereinigten Pier
" ' t: ' js. "zj
Tie
jede! Maskierten zum erstenmal, seit die
Sitte deS Maskenfestei überhaupt be
steht, erfüllt: Infolge der frühen Poli
zeistunde brauchte keine Demaslierung
zu erfolgen.
Märchenhaft muten auch die Preise
der Scherzartikel an, die vielfach an
Stelle des Maskenkostüms traten. Wer
mit einer künstlichen Nase geziert, den
Saal betritt, der ist durch dieses At
tribut doch wenigstens andeutungsweise
maskiert. Aber eine olle, ehrliche, künst
liche Säufernase kostet heute dreißig bis
fünfzig Mark. Dafür konnte man früher
schon an sich denjenigen Zustand hervor
rufen, der hier nur vorgetäuscht wird.
Verhältnismäßig billig sind Papier
kostüme, die vielfach an Stelle der uk
Stoff gefertigten traten. Sie bewegen
sich in Preisen von 80 bis 100 Mark
und haben nur den einen Nachteil, daß
sie infolge ihrer zarten Beschaffenheit
zumeist nicht einmal den Rausschmeißer
erleben. Weibliche Masken, die mit der
artigen Kostümen bekleidet waren,
glichen einem menschlichen RUHrmich
nichtan. So ängstlich und schüchtern
drückten sie sich um jede gefährliche Be
ruhrung herum. In diesem Falle wurde
wirklich aus der Not eine Tugend ge
macht, und die öffentliche Sitlsamkeit
zog einen wesentlichen Vorteil daraus.
Konfettis gab es nur sehr wenige, ob
gleich diese angeblich zur Stimmung
mache sehr geeignet sind. In früheren
Zeiten war ja der .Konsettischmiß' ein
beliebtes Anknüpfungsmittel. Hingegen
haben die Zauberartikelgefchäfte einen
sehr lebhaften Absatz von Vexiergegen
standen zu verzeichnen. Die Preise ent
sprechen denen aller übrigen Dinge, so
daß es geradezu ratsam ist, einen der
artigen Zauberapparat auf Kredit zu
. erstehen, um dann unte. Ausnützung der
ihm innewohnenden Kraft die Barmittel
hervorzuzaubern, die zu seiner Bezah
lung nötig sind.
Es wurde nicht allzuviel getanzt!
Auch die Tanzwut scheint im Schwin
den begriffen zu sein. Der Ernst der
Tage überfallt auch die bisher scheinbar
Nichtsahnendsien. Das Vergnügen wurde
mit Maß genossen; die Sorgen des
Alltags wichen nicht gänzlich von den
Stirnen und aus den Köpfen. Und weil
kein allzugroßcr Unterschied zwischen
Fastnacht und Aschermittwoch bestand,
werden die Menschen diesmal diesen Tag
des Sacks und der Asche auch nicht
ebenso drückend empfinden, wie in ftllhe
ren Zeiten.
Hauptorden, mit Brillanten. Smarag
den und Rubinen gefaßt, entnommen.
In der ganz geleerten Vitrine Xlll te
fand sich der noch weitaus wertvollere
Privatschmuck der Kaiserin, vor allem
die diamantene Krone, die seinerzeit für
Kaiserin Elisabeth geschaffen wurde und
deren Wert schon in der Friedcnszeit
auf mehr als drei Millionen Kronen be
ziffert wurde. Die größten, reinsten,
durch holländischen Schliff ausgezeichne
ten Brillanten stammen aus dem Haus
schmuck der Kaiserin Maria Theresia.
Zu dem Schmuck der Kaiserin gehören
nebst zahlreichen kleineren Stücken die
Smaragdgarnitur, bestehend aus Dia
dem, Korsage. Kollier, zwei Braceleties.
zwei Schleifen. Uhr und Chatelaine,
dann die Perlengarnitur, bestehend aus
einer Schnur von 114 Stück großen Per
len, dazu als Schließe der sogenannte
Badener Solitär im Gewicht von 30
Karat, ein Halsgehänge aus 121 Peilen
samt Brillantsolitär im Gewicht von
14 132 Karat, zwei Armbänder mit
240 Perlen, einer Seviguö mit 49 Karat
Brillanten und sechs Perlen im Gewicht
von 75 Karat. Weiters ist von dem
Schmuck hervorzuheben das Brillantdia
dem mit einem Mittellolitär im Ge
Wichte von 44 Karat; das wunderbare
Rosenkollier (em Halsschmuck gefaßt aus
13 Stück von Brillanten gebildeten Ro
fcn) nebst Ohrgehängen, der berühmte
Florentiner, bekanntlich der größte Dia
mant der Welt (133y3 Wiener Karat),
in einer Hutagraffe gefaßt, die Rubin
garnitur (Diadem. Gürtel. Kollier, Ohr
gehänge, Corsage und Uhr), ein Bril
lantfäch, ein Brillantcorsage mit 380
Brillanten im Gewichte von 2663132
Karat, Armbänder, Fingerringe, bril
lantcne Ordensmaschen, Aigrctten, die
Chatongarnitur mit 33 Brillanten an
zwei und 700 Brillanten an 14 Schnü
ren etc. Der Wert dieser Schätze läßt
sich natürlich heutzutage nicht annähernd
bestimmen, er beträgt viele, viele Millio
nen.
Die Schatzkammer enthält jetzt noch
immer zahlreiche historisch unschätzbare
Stucke. Der strahlende Brillantenglanz
allerdings ist in diesen Räumen die sei
nerzeit viel von Fremden und Einheimi
schen besucht wurden, erloschen.' Die
Schatzkammer ist, um ihre Bewachung zu
erleichtern, von den Funktionären der
hofärarifchen Verwaltung versiegelt wor
den. Wenn eine Inspektion stattfindet,
weiden die Siegel herabgenommen und
nachher wieder angebracht. Der Streit
um die Brillanten des Exkaisers aber
wird wohl nicht anders als im Wege
einer Verhandlung entschieden werden,
in der zwischen den Vertretern der Re
publik Deutschösterreich und denen der
ehemaligen kaiselrichen Familie die kom
plizierten Rechtsfragen, die sich auS der
Fortschaffung der Juwelen aus der
Schatzkammer ergeben, eingehend beraten
werden. ,
AuS Mainz wird gemeldet: Die im
besetzten Gebiet ansässigen Franzosen
sind beim Präsidenten der interalliierten
Kommission in Koblenz vorstellig gewor
den. weil sie sich mit den gleichen Lebens
mi!telrationen begnügen müssen wie die
Deutschen. Sie verlange, die gleiche
Menge wie die französischen Besatzungs
truppen
GVst-Rgchrichöey.
Jas Attentat auf ßrzberger.
Oltwig v. Hirschfeld 1 Jahre tteföngnis.
B e r l I n. 23. Febr. DaS Cchmurge
richt verurteilte gestern den Fähnrich a.
D. Oltwig von Hirschseid, der am 26.
Januar den Revolvcronschlag auf den
Reichsfinanzminister Erzberger verübt
hat, wegen körperlicher Mißhandlung
mittels einer Waffe unter Zubilligung
mildernder Umstände zu einem Jahr und
sechs Monate Gefängnis; die Untersu
chungShast in Höhe von 26 Tagen wurde
dem Angeklagten voll angerechnet, der
vom Verteidiger gestellte Antrag auf
Haftentlassung jedoch abgelehnt.
Der Angeklagte ist körperlich zurück
geblieben und geistig nicht auf der Höhe
..." so sagte der Gcrichtssarzt von dem
jugendlichen Attentäter' und der pcrsön
liche Eindruck, den man von dem Ange
klagten gewann, bestätigte diese Charak
terisierung auf den ersten Blick: Ein
nichtssagendes knabenhaftes Gesicht, eine
schmale, schwächliche Gestalt, zu der die
Uniform mit' den Kriegsabzcichen in
einem gewissen Gegensatz stand. In
wohlgesctzter. fließender , Rede äußerte
der Angeklagte seine politische Meinung,
und seine Ausführungen ließen die Ver
wirrungen ahnen, die in diesem Gemüt
durch die Anteilnahme an dem politischen
Tagesstreit entstanden -sindi Die An
klage lautete auf versuchten Mord. Tie
Einzelheiten des Attentate? sind noch in
Erinnerung. Hirschfeld ! hatte sich an
dem Ausgang, durch den der, Reichsfi
nanzminister das Kriminalgericht zu vcr
lasse pflegte, aufgestellt und feuerte aus
einem kleinen Revolver, den er in der
Tasche bei sich trug, - zwei Schüsse auf
Erzberger ab, von denen der eine den
Minister an der Schulter verletzte, wäh
rcnd die aitdere Kugel an der Uhrkctte
bzw. einem Hoscnknopf abprallte.
AuZ den Angaben über feinen Lebens
lauf ist folgendes zu erwähnen: Hirsch
feld ist mit 11 Jahren in das Kadetten
korps in Plön eingetreten, wurde dann
nach der Kadettenanftalt Groß-Lichter
felde versetzt und ging Ostern 1918 als
Freiwilliger ins Feld. Er wurde ver
wundet. kam ins Lazarett nach Bremen
und rückte wieder ins Feld, wo er dann
zum zweiten Male verwundet wurde. Die
erste Verwundung bestand in einem
Brusischuß. die zweite in einem Unter
schenkelschuß. Während Hirschfeld in
Berlin als ambulanter Kranker behan
delt wurde, brach die Revolution auS,
und er meldete sich bei den Regierungs
truppen als Freiwilliger; er hat dann
die Märzkämpfe in Berlin mitgemacht.
Der Angeklagte gibt an, daß er gern
hätte Offizier werden wollen und seine
Erziehung hierauf aufgebaut war. Durch
die Revolution sei er auf die Politik ge
stoßen worden, 'als Soldat habe er sich
um politische Dinge nie bekümmert. Aus
der Lektüre verschiedener Schriften und
vieler Zeitungen, besonders ober aus
der Helfferichschen Broschüre .Fort mit
Erzberger". bildete er sich nun eine po
litische Meinung, die dahin ging, daß der
Reichsfinanzminifter ein Schädling -für
das deutsche Volk sei und fort müsse. Der
Angeklagte bat drei Tage vor dem At
ten tat eines Vormittags von einer Tri
büne aus im Schwurgcrichtssaal dem
Helfferich Prozeß beigewohnt, und er
behauptete gestern, daß das, was er in
jener Sitzung hörte, seine Meinung , über
Erzberger bestärkt habe. Tie Art, wie
der Minister sich vom blutigsten An
nexionisten zum Gegenteil gewandelt, wie
er in den Fällen Thyssen. Berger und
Bourbon-Parma sich vorbehalten habe,
hätte ihm die Ueberzeugung beigebracht,
daß Erzberger für englisches Geld in
seine Tasche arbeite. Hirschfeld beteuerte,
daß er nicht die Absicht gehabt hätte,
Erzberger zu töten, aber der Gang des
Prozesses Helfferich sei viel zu langsam
und jeder weitere Tag der Tätigkeit Erz
bergers fei verhängnisvoll, infolgedessen
hätte er beabsichtigt, Erzberger durch eine
Verwundung zum sofortigen Rücktritt
zu zwingen; die Weiterfllhrunz des Pro
zesses habe er nicht verhindern wollen..
Immer wieder betonte der Angeklagte,
daß andere reifere Leute von politischer
Erfahrung seine, des Angeklagten, Mei
nung über Erzberger ebenfalls teilten,
aber es sei ihm klar gewesen, daß ältere
Personen mit Rücksicht auf ihre Familie
Wl!s sann man W
em m klttiscil?
Wien, Ende Februar. Seit der
Straßenbahntarif auf zwei Kronen er
höht wurde, sieht man die roten Scheine,
die den Wert einer Krone vortäuschen
sollen, mitleidig und zugleich mißtrau
isch an. Was soll man mit ihnen an
fangen, die kaum mehr ihren Zweck r
füllen, sich zur Bezahlung von irgend,
etwas zu eignen? Was bekommt man
heutzutage überhaupt noch für eine
Krone? Es bedarf immerhin fchon ei
nigen Nachdenkens, um auf diese jetzt so
oft gestellte Frage ine Antwort zu sin
den, aber am Ende kommt man doch noch
auf manche!, das den Wert der Krone
als Zahlungsmitel rehabilitiert. Satt
essen wird man sich um ine Krone frei
lich nicht können, denn selbst die Ge
müseportion in der Kriegskllche kostet
heute schon mehr und höchstkni die Aus.
lagen für die Suppe werden sich dort,
aber auch nur dort, mit unserer diskre
ditierten Währungseinheit bestreiten las
sen. Aber der Maronibratek wird die
Freundlichkeit haben, zwei gebratene Ka
ftanien um diesen Preis zu verabfolgen,
unter den Bonbons gibt es noch einige
schmächtig geratene, .Exemplare ohne
Schokolade, dik nicht höher geschätzt
nicht so vorgehen konnte wie r, deshalb
habe er die Tat auf sich genommen, die
er gewissermaßen all einen Akt der Not
wehr . betrachte. Mit Entschiedenheit
wandte sich der Angeklagte dagegen, daß
er mit Ueberlegung gehandelt hätte. Er
sei von großer Auslegung und Derwir
rung ergriffen gewesen und habe erwar
tet. daß man ihn in Anbetracht des Be
lagerungszustandeS einfach o die Wand
stellen werde.
In der Beweisaufnahme wurde als
Sachverständiger der Geheimrat Pro
fessor Dr. Hildebrandt, der mit Profes
sor Plesen den Minister Erzberger be
handelt hat, vernommen. Er erklärte,
die eine Kugel habe den Minister am
Rücken, in, der Schultergegend, getroffen.
Bei der Röntgenuntersuchung konnte
das Geschoß nicht entdeckt werden. Tie
in Fraqe kommenden Muskeln wiesen
starke Schwellungen auf und bereiteten
deftige Schmerzen. ', Es war auch eine
blutige Verletzung vorhanden. Der
ganze Befund erwies, daß eS sich um
einen Tangentialfchuß handelte. Nach
baltige Folgen für den Verletzten sind
nicht eingetreten; der Minister war schon
wenige Tage nach dem Vorfall wieder in
der Lage, seine Amtstätigkeit auszuüben.
Der Geh. Mcdizinalrat Dr. Hosfmann,
der den Angeklagten untersucht hat, be
kündete, er habe eine Reihe nervöser
Symptome bei Hirschfeld gefunden. Die
Revolution, die Hirschfelds Offizier,
laufbahn vernichtete, hätte bei diesem die
fixe Idee wachgerufen, daß die Regie
rung und ganz besonders Erzberger
schuld sei. Der Sachverständige hielt
eine gewisse geistige Minderwertigkeit
für vorliegend. Die Zeugen, Mi
nister Erzberger, Geheimrat Hemmer,
Rechtsanwalt' Dr. Friedlaendcr und
Chauffeur Voigt bestätigten lediglich
den fchon bekannten Hergang der Sache.
Die für den Angeklagten vernommenen
Leumundszeugen gaben über Hirschfeld
ein sehr günstiges Urteil ab, er hätte sich
stets einwandfrei geführt, fei im Felde
ein guter Kamerad gewesen und im
übrigen wohl etwas idealistisch veran
lagt. Der erste Ctaatsanwalt Brii
ning hielt die Anklage auf versuchten
Mord aufrecht und führte aus, trotz des
bedauerlichen Tiefstandes vieler unserer
hohen und höchsten Güter stehe doch eine
noch unantastbare da: das Recht und
die Rechtsprechung. Dematmäß sollten
die Geschworenen ibrcn Wahrspruch ab
geben. Der Umstand, daß Hirschfeld
zweimal geschossen habe, beweise, daß er
die Absicht der Tötung gehabt hätte, zum
mindesten mußte er mit der Möglichkeit
des TodeS reckinen. Eine solche obscheu
liche Tat, aucd wenn sie auS politischen
Gründen qeschähe, , verdiene sirenge
Strafe. Mit Rücksicht auf die geistige
Minderwertigkeit des Angeklagten jedoch
empfahl der Staatsanwalt den Geschwo
renen die Zubilligung mildernder Um
stände. Der Verteidiger, Rechtssn
walt Bahn, plädierte in erster Linie aus
Freisprechung und bat im Falle der
Verurteilung für seinen Klienten weitest
gehende Milde.
Das Urteil lautete, wie eingang er
wähnt, auf Jahre Gefängnis, in der
Begründung des Urteils hieß es u. ei.:
Das Gericht habe berücksichtigt, daß der
Angeklagte in junger bisher unbestrafter
Mensch ist, und daß er zu seiner Tat
durch eine Uederzeugung getrieben wor
den ist, die er sich aus Schriften und
Zeitungen gebildet hatte. Aber auch
im gkgmwärtigen Ctaatsleben könne es
nicht eingeführt werden, daß inan einen
politischen Gegner mit der Sclißwafse
beseitigt. Im Hinblick auf seine Jugend,
seine offenbar dorbandene idealistische
Gesinnung und seine Unbescholtenheit
seien dem Angeklagten die mildernden
Umstade nicht versagt worden.
Bedenkliche Rechtsprechung.
Die .Frankfurter Zeitung" vom 23.
Februar schreibt: -
Wenn wir eine Anzahl von politischen
Prozessen auS der letzten Zeit verfolgen,
so finden wir in den Urterlsfällungen
so krass. Verschiedenheiten, daß nicht
mehr der Eindruck einer gleichmäßigen
Rechtspflege bestehen bleiben kann; auf
werden, die Gemüsefrau läßt sich herbei,
um eine Krone SuppengrüneS zu der
kaufen, und beim Greisler hat man so
gar noch eirte reiche Ausmahl, wenn man
eine Krone durchaus in Ware umsetzen
will. Verschiedene Gewürze wie Küm
mel, Pfeffer und Paprika sind um eine
Krone per Dekagramm oder sogar noch
um einige Heller billiger zu haben, eine
Handvoll Hobclscharten. die sich stolz
.Waschel" benennen läßt, kostet unge
fähr ebensoviel, auch gewisse Sorten
Waschpulver sind nicht zu teuer, und
von Preßhefe erhält man sogar SVz Te
kagramm um ine Krone, wenn sie nicht
gerade ausgegangen ist.
Eine reicht Auswahl von Waren um
eine Krone bietet noch der Papierladen.
Schreibfeder. Kanzleipapier. .einzelne
Briefbogen und die dazu gehörigen Um
schlüge,' Schulhcfte. Griffeln und selbst
Federstiele in einfacher Ausführung sind
im Preise unter einer Krone geblieben.
Nur Bleistifte scheinen sich ihrer vor'
nehmen Verwandtschaft erinnert zu ha
den. zu der hente nicht nur der Dia
mant. sondern auch die Kohle zählt, und
begnügen sich nicht mehr mit dem nied
rigen Preisansatz von einer Krone, ja
et gibt bevorzugte Mrken. die so kost
spielig geworden sind, daß sie mehre
Angestellte eines Bureaus nur mehr ge.
meinfam erwerben, weil dem einzelnen
die Ausgabe als zu hoch erscheint
Beim Krämer ist auch noch verschie.
denei um in? Krone zu haben. Fünf
der einen Seite außerordentliche Härten,
auf der anderen ungewöhnlich Milde,
da eine gegen Vertreter der äußersten
Linken, das andere gegen Leute aus dem
Lager der Rechten. In München wird
ein Verteiler kommunistischer Flugschrif
ten zu langjähriger Freiheitsstrafe ver
urteilt, in Berlin kommt Warloh. der
Dutzende unschuldiges Leute hat erschie
ßen lassen, mit einigen Monaten Festung
weg, und der Attentäter auf Erzberger,
der Schüler und frühere Fähnrich von
Hirschfeld, wird nur wegen Körperver
letzung zu anderthalb Jahren Gefängnis
verurteilt. Wir wollen die Urteile nicht
ohnk weiteres in .Vergleich miteinander
stellen, weil sie von verschiedenen und
verschiedenartig zusammengesetzten Ge
richten gefällt worden sind, aber auf das
allgemeine Rechtsempfinden muss! sie
den peinlichsten Eindruck machen, den
Eindruck, daß daS politische Gcsühl und
nicht das unparteiische Recht hier seinen
Ausdruck gesunden hat. Und in immer
bedenklicherer Weise verstärkt sich die sür
die öffentliche Sicherheit höchst gcfähr
liche Auffassung, daß Ausschreilungen
von rechts auf milde Beurteilung rechnen
können, auch wenn eS sich um Anschläge
auf Leben und Gesundheit handelt. Das
muß einmal 'deutlich und scharf ausge
sprachen werden, damit nicht gar der
vom Verteidiger Hirschfelds unternom
mene verwerfliche Versuch, den politi
schen Mord für straflos zu erklären. Er
folg hat. Im Prozeß Hirschfeld ist der
Urleilsspruch gar nicht mehr so weit ab
von dieser Ausartung, wenn auch unter
Zuhilfenahme einer formellen Rechts
auSlegung. die jeder vernünftigen Rechts
Überlegung widerspricht. Tie Geschwore
nen haben sich die ausgeklügelte Ausrede
deS unreifen Burfcken aus der Anklage
dank, er habe Erzberger nicht töten, son
dein nur verwunden wollen, zu eigen
gemacht, um die Grundlage für ine mil
dere Strase zu schaffen, obgleich hier der
ganz klare Tatbestand des Mordversuchs
vorlag. Der Angeklagte hat das Attentat
mit voller Ueberlegung, nicht etwa in
plötzlicher Erregung ausgeführt, er hat
auf die Brust gezielt, was keiner tut. der
nur verwunden will. In jedem anderen
Fall würde unter gleichen Umständen
der Tatbestand deS Mordversuchs oder
doch zum mindesten des versuchten Tot
schlags angenommen worden sein: das
würde im ersteren Fall eine Zuchthaus
strafe von mindestens drei Jahrr, im
lctzterrn eineinviertcl Jahr Zuchthaus
bedeutet haben. Statt dessen ist nur auf
schuldig wegen vorsätzlicher Körperver
letzung mittelst einer Waffe erkannt wor
den. worauf Gefängnisstrafe von 2 Mo
naten bis zu 3 Jahren steht, und das
Gerickit hat es dann unter Zubilligung
mildernder Umstände wegen der bekann
ten dlen Motive' bei anderthalb Iah
ren bewenden lassen. Eine solche Ent
Wicklung der Rechtsprechung kann nur
mit höchstem Bedauern verfolgt werden.
Damit wird nicht Recht gefunden, son
dern dem Rech! Gewalt angetan, und
trotz der Erklärung deS Gcrichtsvorsitzen
den gegen politische Attentate' werden
diese durch Urieilssprllche wie den Ber
liner fast schon außerhalb des Gesetzes
gestellt. Hiergegen muh Front gemacht
werden, damit nicht schließlich die Mei
nung aufkommt. Mordanfällt auf poli
tische Gegner aus den Reihen der LinkS
gruppen könnten ohne sonderliche Gefahr
für den Attentäter begangen werden,
und damit diese Leute nicht außerdem
noch in der ganz unverdienten Glorie
des edlen Märtyrers erscheinen. DaS
Attentat gegen Erzberger war eine in
aller Ruhe vorbereitete Gewalttat auS
dem Hinterhalt, die von allen anständi
gen Leuten verabscheut werden muß,"
ganz gleich wie sie über den Minister
Erzberger persönlich denken. Was der
Attentäter zu seiner Entschuldigung an
geführt hat, die Einwirkung verhetzender
Schriften, namentlich der Helfferichschen
Broschüre, läßt sein Vorgehen weder
edler noch .heldenhafter" erscheinen; eS
belastet nur diejenigen mit, die durch die
Art ihres politschen Kampfes solche
schlimmen Ausbrüche mit bewirkt haben.
Eine Rechtsprechung, die so schwere Ver
brechen in der Hauptsache ungeahndet
läßt, vernichtet ihre wesentlichste Grund
läge: das Lssentliche Vertrauen.
zig Stecknadeln dürften wohl den Re
kord dessen aufstellen, waö man noch um
eine Krone kaufen kann, fünf lange
Stopfnadeln oder ein kleine! Päckchen
Netzhoarnadeln sind ebenfalls nicht teu
rer. Auch einzelne Zwirnknöpfe hatten
sich noch unterhalb dieser Preisgrenze,
damit aber durfte gegenwärtig die Aus
Wahl dessen erschöpft sein, was im Kram
laden um eine Krone erhältlich ist, und
heutzutage würde S keinem Menschen
mehr einfallen, einen .Kronenbasar"
aufzumachen, wie sie früher an allen
Ecken und Enden mit einer sinnesverwir
renden Fülle von Artikeln zu sehen wa
ren.
Merkwürdigerweise kann auch die
Apotheke noch Anspruch daraus erheben,
zu jenen Unternehmungen zu zahlen, die
um eine Krön Waren abgeben. Eng
lischpfloster kostet zum Trost der Da
men. die eine kleine Unreinheit deS
Teints pikant unter einem fchwarzen
Fleckchen verbergen wollen, noch immer
nur 40 Heller, Zahnpulver in Päckchen,
die mindesten! für acht Tage ausreichen,
wenn auch nur bei täglich einmaligem
Reinigen der Zähne, gibt ! auch noch
um 80 Heller, ebenso sind Kindermeth.
Eibischtee und andere Hausmittel zwar
nur in kleinen Mengen, aber immerhin
um Beträge unter einer Krone zu haben.
AlleS. wa! der Unterhaltung dient, ist
im Preit weit über in Krone hinauf
geschnellt. Selbst da Reklomebüchel hat
dies Betrag längst ' überschritten und
ein in der Schweiz.
Intim eZ vo dem russische NkvolutionSsllhrer. Von Grif KrüneS.
Bern. IS. Februar. In den ersten
He sie der Revue Demain', die der
tapsen Henri Guilbeaux in Genf herau!
gab. tauchte der Name .Lenin" zum er
stenmal auf. Er stand unter ebens,
glänzend wie temperamentvoll geschrie
denen Artikeln, die Feuer und Schwefel
auf alle opportunistisch gesinnten Do
zialiften herabbeschworen und allen.' die
jemals die Hand für die Bewilligung !
ner Kriegsmillion erhoben hatten, in
gleicher Weise da! .Schuldig" an den
Greueln dieser Gegenwart sprachen, wie
sie die Scheidemänner und Ministerkan
didaten a la Albert Thomas in Grund
und Boden verdammen. Der Name
.Lenin" war. wie erst später bekannt
wurde, als Pseudonym für einen rus
fischn Schriftsteller gewählt, der damal!
in Bern ein kümerlicheg, doch mit Arbeit
erfüllte! Dasein fuhrt und dessen Kon
trollkarte auf Uljanom lautete. Damal!
ahnte wohl niemand, daß dieser Name
einmal über die ganze Erde erklingen
würde, ine Weltanschauung mit seiner
Persönlichkeit verknüpfend, ein Dorn im
Auge der anderen, die Kapital und Bür
gertum alS die wichtigsten Komponente
dieses Jahrhunderts verehrten.
Lenin war zu Kriegsbeginn au!
Oesterreich in die Schweiz geflüchtet. Tie
ersten Monate hatte er in Zürich gelebt,
in einem bescheidenen Quartier nächst
dem Limmatkai. Stunden, ja Tage in
den Bibliotheken der Universität ver
bracht, mittag im Genossenschaftshauk
ein einfaches Mahl verzehrt und für die
Nachtstunden dicke Kompendien unter
seine Studienlampe geschleppt. ES kann
keinen Menschen in der ganzen Schweiz
geben, der Lenin nur eine Sekunde un
tätig gesehen hätte. AuS dieser Zeit
stammen seine Arbeiten, In denen er, der
f r 'rn i (n.i I.
fleoorene oer eicnn uta
marimalistischen Programms, zum
Kriegsgeschehen, zur Katastrophenpolitik
Europas erbitterte und verurteilende
Stellung nahm. Und ahnungsvoll be
hauptct eine Stelle dieser Schriften, .der
imperialistische Weltkrieg geht letzten En
de nur auf die Erhaltung der Sklaverei
au, der Sieger wird den Besiegten knech
ten und ihm sein Joch über die . Schulter
ziehen". Von den vielen Thesen aber,
die Lenin so ungeniert als letzte Wahr,
heit sprach, sind manche zur Tatsache
aufgerückt, etwa jene sehr frühzeitige Be
hauptung, daß kein Kleister für den Riß
existiert, der die zweite Internationale
in feindliche Lager zerrissen hat, oder
jene scharfe Stellungnahme gegen den
Kautskysmus, wie Lenin das Renega
tentum innerhalb der internationalen
Sozialdemokratie benennt.
Schon damals, während der Krieg
noch in der Maienblüte seiner Sünden
stand, hate sich um Lenin eine Gruppe
konsequenter Internationalisten zusam
mengcfunden, deren Ziel eine Revolution
in Rußland war, weil man darin ein or
ganischeö Glied der weiteren Eotwick
lung, den Anfand vom Ende erkennen
wollte. .Poragenzh", zu deutsch: .Die
Niederlage", hieß die Vereinigung. Sie
grüf-te jede Niederlage, die auf dem
Schlachtfeld dak zaristisch Rußland
schwächte, sie war von jeher für eine Zer
teilung de! kolossalen Reiches in die na
tionalen Atome. Trotzki war eine Zeit
lang, ehe er nach Amerika fuhr. Mit
glied dieses Schweizer KreifeS. ebenso
Radek und G. Zinowje. der schon da
malz wie in Adjutant LeninS austrat
und diese Rolle bis heute beibehalten hat.
Lenin war der einzige unter ihnen, der
nicht Jude war. Sein hartes, festes
Bulldoggesicht, die übermäßig hohe
Stirn, die kleine, fiarkgewachfene Sta
tur. die listigen Augen, immer in der
Ferne suchend, verrieten auf tausend
Schritte daS mongolische Blut, daS in
diesem Tamerlan deS neuen Wcltgerich
teS brauste. 4 ,
1915 kam Lenin nach Bern, sein
finanziellen Lebensvcrhältnisse standen
vor einem bürgerlichen Bankerott und
kümmerliche Einschränkung waren an der
Tagesordnung. In einem kleinen, elen
den Zimmer der Länggasse hatte er sich
eingemietet, die Mittagszeit sah ihn mil
seiner Frau, einer häßlichen, aber. unge
mein intelligenten Erscheinung, und sei
ner Schwiegermutter, die im folgenden
Jahr in Bern starb und hier begraben
liegt, in einer kleinen Pension zwei Por
tionen zu neunzig Centime! teilen und
Schmalhans regiert über feine Lebens
gepflogenheiten. Da ist e! nun wirklich
bewundernöwert, man mag über den
Bolschewismus denken wie man will, wie
sich fein geistiges Haupt in treuer Be
harrlichkeit zur einmal gefaßten Idee
durch die Windigkeit dieses LebenS rich
tig durchgehungert hat. Auch in Bern
war Lenin in keinem KasfeehauS zu
sehen. Tagsüber hockte er in den Biblio
nur die einzelne Zeitungsnummer ist auf
dieser Höhe geblieben, eigentlich' ein Be
weis dafür, wie dillig verhältnismäßig'
die Zeitung noch immr ist, wnn man
bedenkt, wieviel Papier, Druckerfchwärze.
geistige und physisch Arbeit um diesen
entwerteten Schein geboten Wird. Statt
de! Sitze! im Theater kostet jetzt der
Theaterzettel eine Krone, auch die Gar
dkrobegebühr für ei Kleidungsstück be
trägt so viel, mitunter sogar noch we
Niger. Raucher werden mit Wehmut da
ran denken, daß die rayoniert, Aegyp
tische" auch noch unter einer Krone
bleibt, während sich der Bedarf über daS
amtlich erlaubte Quantum nur mit i
nem größeren materiellen Opfer decken
läßt. Auch die geliebte .Virginier" ko
stet offiziell blos neunzig Heller. Aber
so lang sie ist. sllr die Bedürfniss del
Rauchers reicht sie nicht aul. Die Tra
fikanti hat übrigen! noch andere Dinge,
di weniger al! ine Krone kosten. Ein
Büchel Zigarettenpapier, ei Zigarren
spitz sind bescheidea im Preise unter einer
Krone geblieben, auch viele Popwert
zeichen und Stempelmarke lassen sich
vorläufig noch um ein Krone erwerben.
Soviel bekannt, hat selbst da! Sprich
wort: .Dem Verdienste seine Krone"
bisher keine Aenderung erfahren, aber
vielleicht ist darum daS Verdienst jetzt so
selten geworden, weil ihm die Krone al!
Belohrrmg nicht geniiat.
thekea und in den Lesesülcn der Mu
stumögesellschaft. nacht brannte da!
Licht hinterselnem Fenster bi! in den
grauenden Morgen. Zahllose Ärtikel,
durchfeilte und wohlüberlegte Aufjake
kamen in dieser Zeit von seinem Schreib
tisch. Fast all schienen in der Revue
Henri Guilbeaur oder i der damals in
Gens herausgegebenen Zeitung Sozial
demokrat". Die Honorare tzasür waren
mehr als klein, immer tiefer mußte Le
nin seine Lebensansprllche setzen. Er
war genügsam und fügte sich seiner Not.
Al! die Preise seiner MittagSpcnsion in
folge der allgemeinen Teuerung erhöht
werden mußten und Lenin! magere!
Budget dagegen obstruierte, verlegte er
seine Mahlzeiten in eine russisch Stu
dentenküche. wo man damals noch für
sechzig Centime zu essen bekam. Hier
wußte natürlich jeder schon, wer Lenin
war. die hungernden Proletarier einer
verkrachten Intelligenz schwärmten für
ihn und seine Ideen und es bedürfte gar
nicht seiner stillen, fast demagogischen
Liebenswürdigkeit, um ein Heros in
dieser Studentenküche zu werden. Be
zeichnend ist folgender Vorfall: Die
armen Musensöhne hatten abwechselnd
die Reinigung de! Eßgeschirres zu sor
gen, und als zum erstenmal an Lenin
die Reihe kam, wollten ihm seine Ver
hier dieses kaum unterhaltende Geschäft
abnehmen. Doch r duldete für sich
keine Ausnahme und cö bedeutet wirklich
kein Cchand für ihn, daß er, der starke
Gebieter tber Mütterchen Rußland von
heute, damals in Bern hinter dem
Wasierschaff stand, in dem die Teller
und Bestecke zur Reinigung lagen.
Lenin, der selbst keine Nachkommen
hat, ist ein großer Kinderfreund. Die
Buben der Länggasse, denen er öfters
trotz feiner Gcldsorgen Schokolade ge
kauft hatte, erzählen noch heule von dem ,
.Herrn Doktor", der inzwischen so
etwas wie Kaiser" in Rußland gewor
den ist. Anfangs kümmerte sich fast
kein Mensch um den notleidenden Schrift
sieller, der mit feinen Ideen die Welt
verbessern wollte. Später aber schlichen
schon Agenten um sein Haus und die
deutsche Regierung, die die Propagierung
des Bolschewismus im Ausland mit
ihren Kriegszielcn vereinigt hatte, suchte
mehr als einmal den Weg zu ihm. ES
Ivar stets umsonst. Wohl waren die
deutschen Regierungsstellen über Lenin,
seine Ideen, Pläne und Absichten unter
richtet, aber alle Versuche, mit Geld
seinen Eifer zu beleben, blieben erfolg
los. Der fozialdemokraüfche National
rat Zrimm war vielleicht der einzige
Nichtrusse, mit dem Lenin während sei
ner Schweizer Zeit ii? politischer Ver
iindung stand.
Es kam der Tag, da Deutschland ihm
die Rückkehr in sein Heimatland ge
stattete. Ein plombierter Waggon führte
ihn durch Bayern und Preußen bis an
die russische Grenze. Vorher aber hatte
r in einer denkwürdigen Versammlung
von den Schweizer Sozialisien Abschied
genommen. ES geschah dies im April
1917. in - dem kleinen Restaurant
.Schweizer Bund". Lenins Iheoretiscl
Begabung war nicht groß, obwohl er in
der Debatte ungcmein schlagfertig wirkte.
Damals aber soll er sich selbst übertraf
fen haben, sein Abschicdsgruß an die
Schweizer Arbeiter wurde ein Manifest
bolschewistischer Gesinnung, und der re
volutionäre Geist, der heute noch hier
gart, ist haiiptsächlich auf diese einzige
Begegnung zurückzuführen, die Lenin vor
eine größere Öffentlichkeit geführt hatte.
Lenin fuhr nach Rußland, ein halbes
Jahr später stand er an der Spitze der
Sowjetrepublik und heute fließt histo
lischst Nimbus um seinen Namen.
Das neue Studenten-
xarlanletii.
B e r l i n, 23. Februar. In den lctz
ten drei Tagen fanden in der Berliner
Universität die Neuwahlen zur Stuben
tenvertretung Patt; es wurden im gan
zen 6272 Stimmen (gegen 2600) im
Mai v. I.) abgegeben. Davon entfielen
auf den Waffenring der schlagenden Ver
bände (KorpZ Landsmannschaften. Bur
schen und Turnerschaften) 1001 Stim
men (16 Sitze), auf die deutsche Gruppe
der Korporationen (A. T. V., Dtsch.
Wissenschaftler-Verband. V. d. St.. freie
fchlagende Verbindungen) 900 Stimmen
(13 Sitze), auf die Deutscht Finkenschaft
(deutschnationale und völkische Nicht
inkorporirrte) 1722 Stimmen (23 Sitze),
auf den Kathol. Akademiker-Ausschuß .
222 Stimmen (3 Sitze), auf den Deut
schen Hochfchulbund (Freie Studenten
schaft) 614 Stimmen (10 Sitze), auf die
Freidtutsche Gruppe (Wandervögel,
Akad. Fnifchar) Lö3 (4). auf die Deut
sche paritätische Gruppe (BurschenbundS
Konvente, freie schlagende Verbindungen
wissenschaftlicher Vereine) 159 (2). auf
die ungebundenen Kriegsteilnehmer 358
(6), auf die Sozialistischen Studenten
(S. P. D.. U. S. P. D. und K. P. D.)
495 (8) und auf die deutschen Studenten
jüdischen Glauben (K. C. und Nicht
inkorporierte) 403 (8 .Sitze). Für un
gültig wurde 13 Stimmen erklärt.
Au diesem Stimmenverhältnis ergibt
sich ein starkes Ueberwiegen der rechts
gerichteten Gruppen; als stärkste Partei
tritt mit 23 von 100 Sitzen die Teutsche
Finkenschaft aus, die in wichtigen Ent
scheidungen mit dem Wafsenring (16),
der deutschen Gruppe (15) und den Ka
tholikeit zusammengehen und dabei über
ine Mehrheit tön 62 gegen 8 Stim
men in der Si.dentenvertretung verfü
gen dürfte.' Diese Vertre'g wird nun
in ihrer Sitzung am DoiM.rsiog nach,
!ler Woche den.Auöschuß der Sluden
enschaft" und die verschiedenen Unter
aukschllsse wählen. Der Ausschuß de
sorgt die äußere Vertretung und die lau
senden Geschäfte.
' -
ES ist der Segen und der Fluch der
Phantasie, daß sie leichter etwa! hcrzau
iern kann, waS fehlt, als etwa! weg
denken, waS da ist.