Tägliche Omaha Tribüne. (Omaha, Nebr.) 1912-1926, March 27, 1920, Image 7

Below is the OCR text representation for this newspapers page. It is also available as plain text as well as XML.

    ,1
5
v
X
Tägliche vVShs TMSse
r
Mein und
i k Vefürchtunge, Um wir sofort
Ausdruck verliehen, all um dlt Mtttt
Dezember v. I. die Ergebnisse der preu,
fjifche und hessische Domanial'Wtin
guter, dit sich, alt PreiSsukwüchs
schlimmster Art kennjelchneten, bekannt
wurde, sind leider in vollem Umfange
iugeltttk. Die schon vor diese Verstel
gerungen ungerechtfertigt hohe Wein
preis j freien Verkehr habe sich dit
Vorgänge aus den Versteigerungen zu
übe gemacht, um von neuem einen
fühlbaren Ruck nach oben zu nehmen,
y iud wir dle Lcrhältnisse zurzeit liegen,
ist gar nicht abzusehen, b!S zu welcher
Höht dit Weinpreife noch Netter wer
den; denn die Bewegung ist noch immer
in Fluß. Ueber die Lagt am Wcinmarkt
gibt die folgcndt Zuschrift deS Handels
kammersyndikuk Dr. Wieduwilt, Bin
gen, ein anschauliches und meist zutref
fendeö Bild: - '
- . Aus den letzten Zverittigkrungen der
staatlichen Weindomänenverwaltung in
Wiesbaden wurden geradezu märchea
hafte Preise, erzielt. Für 1917er Rhein
gauweine würdcn für daS 'Halbstück im
Durchschnitt ungefähr 90,000 Mark, für
da! Stück (IM Liter) also 180,000
Mark, für 1918er Oualitätsweint cwö
dem Nheingau 40,000 Mark durch
schnittlich, für das Stück mithin 80.000
Mark erzielt. Zu betonen ist allerdings,
daß es sich bei den versteigerten Weinen
ausschlieszüch "um erste Qualitäten, ja
um sogenannte Spitze gehandelt hat.
In Anbetracht dieser gewaltigen Preis
, sä'dt muß unwillkürlich die Frag uf
geworfen werden, wo soll diese Ent
Wicklung hinaus und wie wird ein solch
ungesunde Entwicklung enden. Für den
Meinen Mann und den Mittelstand sind
die Zeiten des MintrinlenS Zweifels
ohne vorbei. Schon heute ist da! äiiein
trinken ein reiner Luxus geworden. dn
sich nur noch der sehr begüterte Mann
oder noch begütertere Schieber täglich
leisten kann. Heute sind aber nicht nur
die Preise auf ein schwindelnde Höhe
geklettert, sondern und das ist die
Hauptsache selbst zu den höchste
Preisen ist tS dem einzelnen Verblau
eher kaum noch möglich, irgendwelche
nennenswerte Mengen von Wein in sei
nen Besitz zu bringen. Damit kommen
wir zur dritten und Hauptfrage, wclcleS
find denn die Ursachen der gewaltigen
Preissteigerung für, unsere ehedem fo
wohlfeile deutschen Rhein und Mosel
weine.
Durch bie Kontingentierung von
Malz und Gerste ist das früher U blü
hende Braucreigewcrbt fast bosselt,
gleichzeitig die Bierherstellung abzr auf
ein Mindestmaß herabgesetzt worden.
, Auch heute dauert dieser Zustand noch
fort. Ganz von selbst mußte der Wem
verbrauch in den Kriegsjahrcn sieige.
Die Wemerzeugung aber Iie im
Durchschnitt dieselbe, da sie zu fehr von.
der Natur abhängig ist. Ein quantita
tiv schlechtes Jahr, 1916, und drei quan
titatav nur DurchschuittsMngen , lie
send Jahre warm das Ergebnis du
sei Zeiten. . Nehme wir die Rebbau
fläche Deutschlands mit 70.000 Hektar
a und die Durchschnittsernk' eineS
Jahres, z. B. 1919 mit W3 Million
Hektoliter, so ist klar ersichtlich, daß bei
50 Millionen Einwohnern, die daö Va
terland unserer Tage noch haben wird,
uf de einzelnen Kopf nur drei Liter
Wein entfallen können. Eine fehr ge
' ringe Menge. Diese Berechnung schon
ergibt, daß eine Preissteigerung an sich
durch die gewaltige Erhöhung des Vcr .
brauchs und die stets begrenzte Ernte
verständlich weiden kann. DaS bedingt
aber noch nicht, daß derart hoke Preiz
sich kntwickeln, wie wir sie in diesen Zei
ten erleben müssen. Dazu bedarf eS
noch einer anderen Erklärung. Ein fpe
kulativeS Moment kommt, hinzu. Das
Anziehen der Preise beobachten wir seit
1316. In diesem Jahre kamen die. im
Vergleiche zu den heutigen, immer noch
angemessenen Preise dem Weinhandel
zugute. Aber bereits im Iah 1917
und 1918. vor allem aber 1919. gelang
es den Winzern, diese Gewinne für sich
zu erzielen. Er hielt und hält, beson
derS 1919 mit den 'Verkäufen feiner
lircszenzen dem regulären Weinhandel
gegenüber zurück und legt fein Weine
größtenteils ein, vergärt, zuckert und be
handelt dieselben selbst. Dem Winzer
stände war sicherlich nach manchen ver
lustreichen Jahren, die er ohne Zweifel
gehabt hat. ein Gewinn zu gönnen, der
ihm wieder auf die Beine half und ihn
u muer,. im Weinbau so mühseligen
und harten Arbeit antrieb. Aber die
Gewinn, die der Weinbauer , mittler
weile, vorzüglich 1919. erzielt hat und
noch erzielt, sind w'hr als ein Ausgleich,
für die mageren i,ahre; sie gehen über
alle? daS hisuuS. was als gut und an
gemessen zu bezeichnen ist. Der Winzer
halt auS dem Grunde mit seinen Wei
nen zurück, weil er hofft, im Lauf dcS
Jahres 1920 noch große Gewinne zu
machen. . Di durch die neuen Steuer
gesetzt verursachte Unsicherheit spielt hier
ohn Zweifel noch besonders mit, da der
Weinbauer seine Weine vorläufig mög
lichst nicht in bareS Geld umsetzen und
verwandeln will. ,Es werden als? be
deutende Mengen dem Handel wit dem
Verbrauch vorläufig vollkommen entzo
gen. WaS der Winzer aber während
der Lese 1919 und in den Monaten D
zember und Januar 1920 abgegeben hat,
war ihm nur zu ungeheuren Preisen zu
entnehmen: selbst die kleinsten Weine
stiegen Im Preist zu tiner Höhe, daß
eben in Zukunst die Flasche von vorn,
herein 20 Mark kosten muß. Wa als
dann die Qualitäten. Riesling. Beeren
Auslesen, kosten müssen, kann sich jeder,
selbst ausmalen. Selbstverständlich ist
auch wieder, daß der Winzer sich bei der
gewaltigen Wemnachsrage derartig hohe
Forderungen leisten kann. Der legal '
Weinhattdel ist einfach gezwungen, wenn
kr iuii einig Vorräte in fein Hände
bekommt will, die hohe Preis anzu
legen. '
Da,, kommt, daß ein neu, unkau
et Konkurrenz dem regulären Handel ,
auch hier rstanden ist. der unS so be
imk d Ist MckrmktiÄ5!ick Cü I
Mucker.
1K Handel, der sich ii an di Quelle
der Produktiv bei den EinkaufsgeZchäf,
ten mit den Weinbauern breit macht.
Ganz besonders blüht er an d:r Mosel,
Schufter, Schneider und andere Hrnd
werter, verkrachte und noch sragwtirdi
ge Existenzen mit und ohne Handels
erlaubni habe sich auf dal Weinge
schüft geworfen. Der Wein Jeht nicht
allein durch Dutzende von Händen, dos
Hand zu Hand natürlich teurer werdend,
sonder der Neuling im Weingefchaft
geht unmittelbar zum Anlauf zum
Winzer, dem er, daS ist.ein Hauptpunkt
der ganzen Frage, jeden, aber auch jeden
hohen und höchsten PniS für fein Wei
ne bietet. Und dieser fühlt sich hoch
beglückt, daß er s viel' Geld erblickt."
Infolgedessen sind die Preist für Wein
im Lauft ein Woche , um Tausende
von Mark stiegen. Daran trägt allein
daS illegal Angebot di Schuld, der
regulär Handel hat nicht das geringste
mit solchen Preistreibereien zu tun.
Durch dikse Angebote wird der reguläre
Handel teilweist vollkommen auf die
teut gevru, r im rncur meyr nm
kommen, odex waS feit dem lebten
Herbst der Fall ist r will nicht mehr
mitbieten. Eine ganze Reihe von ersten
Weingroßhondlungen hat mit Willen
und in vollem Ernst bei der Lese 191S
mit seinen Käufen zurückgehalten, um
die Preist durch feine, das Angebot ver
mehrende Abschlüsse nicht noch mehr
unwillkürlich in die Höhe zu treiben.
Darunter befinden sich Weinfirmen, die
allein so kapitalkräftig sind, datz sie daS
Rheingaugebiet in feinn gesamten Qua
litatsweine leerlaufen konnten. Sie ha
be bewußt zurückgehalten. Auf den
eingangs erwähnten Versteigerungen in
Wiesbaden beherrschten einige wenige
Kommissionär die Lage. ' Es ist,, mit
Sicherheit anzunehmen, daß sie einmal
im Auftrage ausländischer Auftraggeber
gehandelt 'haben. Ein weiterer Punkt,
der zu beachten ist. Bei dem heutigen
Stand unserer Valuta kann der Aus
länder jeden noch fo hohen Preis in
Mark anlegen, er kauft immer noch lä,
cherlich billig. Anderseits bot durch den
Mund dieser Mittelspersonen des Han
dels auf die edelsten Marken deutschen
Rebensaftes em Konsortium von großen
Kanonen, bei denen niemand fehlgehen
wird, wenn er annimmt, daß ihr Reich
tum ebenso groß wie jung ist und sicher
lich nur Tornisier, Feldflasche. !a
nonen, Büchsensleifch und ähnliche
nützlichen Fabrikationen und Lieferun
gen die Entstehung verdankt. Ein Not
opfer' für daS arme, blutende Vater
land kann ja verschiedenartig ausgelegt
werden. Und trotzdem, das klingt wie
Ironie auf da! vorher Gesagte, verhin
derte die Herrschaft dieses Konsortiums
auf der Versteigerung, daß die er
schreckend hohen Preise nicht noch hö
her gestiegen sind. DaS kann die Phan
taste sich bei diesen Phantasiepreise
kaum noch ausmalen, und doch ist dem
so. Denn den etwa 150 Halbsiück Wein,
die zur Versteigerung standen, wartete
vielleicht zusammen 6000 Weinhändler
'und Jntekessnte mit . ihrem , Angebot
uf. Und. Zwar mit Angeboten, die.wik
wir ebe schilderten, außerordentlich zäh
waren. " De Leuten, die dort boten,
war jeder. Preis, auch der allerhöchste,
unerZlärNchste und unverständlichst
recht. Neben einer nicht mehr zu über
bietende Unmoral im geschäftlichen Le
hen, die wir allerorten beobachten kön
nen, müssen wir im Weinverbrauch auch
von einer Unmoral der 'Verbraucher
sprechen. Vor dem Kriege gab es eint
Berbrauchtr-Moral, durch die Segnun
gen unserer, heut vollständig zusammen
gebrochenen Zwangswirtschaft längst
vernichtet und zerschunden. Die gewal
tigen Kriegsgewinne müssen jetzt so
schnell wie möglich, unter dem Druck der
echt kaufmännischen Geist" atmenden
Steuergesetze unseres Jinanzministerö
zum Verschwinden gebracht werden. Un
sere guten, heute hoch bewerteten Weine
eignen sich ganz vorzüglich dazu.. Die
Qualitätswein werden von unsern
jungen Geldaristokrat' gekaust, koste
eS. waS eS wolle. In diesen Kreise
spielen Preise überhaupt gar kein Rolle.
Ein Gang durch die Weinlokale der
Großstädte bestätigt diese Tatsach auf
Schritt und Tritt. Der Kriegsgewinn
ler und seine modernste Spielart, der
Schieber, hat nicht allein daS Geld dcS
Volkes ingesteckt, er trinkt auch fyste
matisch dem Volk den Wein fort. s .
Um dies Zustände,- soweit es über
Haupt möglich ist, zu andern, haben die
WeinhäMtrverbände, unterstützt durch
int Reih angesehener WeingutSbesiIer
und die Verband der Kommissionäre,
ein befristetes Verbot der Versteigerun
gen und in Verbot der Submissionen,
der Versteigerungen durch Listen im
Kelle,' der Besitzer verlangt. Als Er,
gebniS dieser Sanierungsbestrebungen
liegt ei Antrag Dr. Kalle (D. Vp.)
gegen die Weinversteigerungen der preu
ßische Landesversammlung vor. Der
Antrag ersucht die Staatsregierung er
stenS. baldmöglichst anzuordnen, daß die
preußisch Domänenverwaltung von der
Abhaltung von Weinversieigerungkn bii
auf weitere? absieht, und zweiten?, bei
der Rcichsregierung dahin zu wirken,
daß dit Abhaltung von Weinversteige
rungea im Reich für die nächste Zeit
zum mindesten für ein Jahr verbo
ten werde. -
4
Kontrolle für Schreibmaschinen?,
fuhr.
Berlin. Nachdem he Schreibma.
schinendieben durch verschiedene Maß
nahmen der Vertrieb der gestohlen Ma
schinen im Inland -wesentlich krfchwcrt
worden ist. gehen jetzt die Schreibmaschi
nendiebe dazu über, die gestohlenen Ma
schinen in daS Ausland zu perhandeln.
Um diesem schwunghaften Auslandkhan
del mit gestohlenen Schreibmaschine
vorzubeugen, haben jetzt di Verbände der
Schreibmafchinenhersteller und Händler
die Errichtung einer besonderen Kontroll
stelle beschlossen, durch die die Ausfuhr
von. Schnibmaschine ,,ach dem Ausland
überwacht werden wird.
Kernst 6o üm j9t mttt M
Der Massen Hüngertod bcnttycx Kinder.
Line furchtbare Anklage an die Verbandsmächte.
von Dr, ?ncd. Hnas Steuernthal, Facharzt für Kinderkrankheiten
in Essen.
Deutschland sieht unmittelbar bor dem
wirtschaftlichen Zufammenbruch. Füh.
ren die Verhältnisse aber bei unö zu
tiner Katastrophe, so werden Frankreich
und mit ihm ganz Europa iu ixn Ab
gründ gezogen. Diese Erkenntnis däm
mcrt allmählich auch bei unseren Fein
den, und ei mehren sich die Stimmen,
die in angstvoller Sorge um die eigene
Zukunft einer Revision det von uns von
vornherein als unerfüllbar erkannten
wirtschaftlichen Bedingungen des- Ver
failler FriedensvertragS das Wott den.
Wird aber eine Abänderung dieser Be
dingungen, soweit sie di Ablicfrung leb
loser Güter betreffen, verbunden sogar
mit iner wirtschaftlichen Hilfe für
Deutschland, dit Gefahr deS Zusammen
bruches dauernd beseitigen?
Diese Frage muß entschieden. verneint
werden. . Der Schandfriede von Wer
sailleS'ist ein fo raffiniert teuflisches
Machwerk, daß. wenn die eine' Schlinge,
die man uns um den Hals gelegt hat ge
lockert wird, sogleich eine andere bereit
ist. uns um fo sicherer zu erdrosseln. Wir
haben das Würgmal dieser Schlinge
schon während des Krieges in Gestalt
der jedem Völkerrecht hohnsprechenden
Hungerblockade a unserem Volkskörper
grausam verspürt, die insbesondere durch
den Ausfall der Futtermitteleinfuhr vn
fern Viehbestand furchtbar verminderte.
Der Verband hat sich nicht gescheut, ohn
den geringsten Grund einer kriegerischen
Notwendigkeit unserem . Waffen und
wehrlosem Volke die mörderischche Hun
gerblockade, die Abschnürung der Lebens
mittclzufuhr unter dem Vorwande der
Gerechtigkeit auf den Waffenstillstand
und sogar darüber hinaus auszudehnen.
Ueber eine Million Menschenopfer sind
unter der Zivilbevölkerung Deutschlands
dieser barbarischen Folter zum Opfer ge
fallen.
Aber damit nicht genug. In dem uns
aufgedrungenen Friedensvertrage i ft
Borkehrung getroffen, dcch daS große
Darben in Deutschland kein Ende nehme.
Unserm ausgehungerten, elenden Volke,
das seine Kinder jetzt schon nicht mehr
ernähren kann, so daß Tausende dauern
dem Siechtum anheimfallen, sollen jioch
weitere, unerhörte Opfer auferlegt wer
den. Schon jetzt fehlt die zumm Wachs
tum der Kinder unentbehrliche Milch in
solchem Maße, daß es in den Industrie
Zentren deS Westens beispielsweise nicht
mehr möglich ist, allen Kindern im zwei
ten Lebensjahre regelmäßig die tägliche,
wenn auch karg bemessene Milchmenge
zuzuführen. Tagelang müssen dieKlein
stcn die Milch, die doch für sie' durch
nichts zu ersetzen ist völlig entbehren, an
anderen .Tag erhalten sie ganz unzu
reichende,, oft angesäuerte Magermilch
i Da hat denaie Unterernährung auch
!i diesen ärmsten Kleinen, die man
während des Krieges immer noch Kid
lich zu ernähren und zum Gedeihen zu
bringen vermochte, bei Arm lind Reich
in gleicher Weise Platz gegriffen. Sa
geHort es in den letzten Monaten zu den
täglichen Vorkommnissen, daß die Klei
nen. sobald ihnen daS Liter Vorzugs
milch entzogen wird, das man unter den
heutigen trostlose Milchverhältnissen
nur den Säuglingen im ersten Lebens
jähre garantieren kann, zunächst in ihrem
Körpergewicht siehe bleiben, dann aber
weiterhin rettungslos einem ständigen
Gewichtsverlust anheimfallen. Das be
deutet ein langsames Hinmorden. Wer
den die Kinder aber von einer 'dazwi
schentretenden Krankheit, etwa einer In
fektion befallen, fo ist meist ein rascher
Tod die Erlösung aus dieser Hunger
quäl.
EZ sträubt sich die Feder, Szenen wie
derzugeben, wie Mütter, die um jede?
Opfer ihrem Liebling Siettung vor dem
Tode zu bringen bereit sind, den Arzt
bestürmen, ihrem Kinde die zur Gene,
sung notwendige Milchnahrung zu be,
schaffen aber zusehen müssen, wie ihr
Teuerstes langsam dahinsiecht. Für deq
Arzt sind es die bittersten Momente, htr
leine Hilfe bringen zu können.
Man wende nicht ein, daß ich zu
schwarz male. Beispiele dieser Art stehen
mir von ärztlicher Seite zahlreiche zur
Verfügung.
Schlimmer aber noch ist es um di
Kinder jenseit! des Säuglingsalters be,
stellt. Das Elend dieser Kinder, nicht,
nur der wirtschaftlich schwächer gestell
ten, fpottet jeder Beschreibung. Kinder,
di mit drei Jahren kaum sich aufrecht
halten, mit vier Jahren noch nicht lan
fen, gehören zu den täglichen Erschei
nungen der arztlichen PraziS. Hohläu,
gig. bleich und abgemagert, den Leib auf,
getrieben, die Bein verkrümmt, fs krie
chen die leklagenswerten Geschöpfe i de
Arbeiterwohnungen umher als stumm
Ankläger gegen dit Urheber solchen Jam
merS. den unsere Feinde im Begriffe sie,
hen. durch Ausführung ihrer Friedens,
bedingungen noch zu vermehren. Diefct
unsägliche Elend, dieR mörderische Da
hinfterben der Unschuldigsten, ist für je,
den, der sich noch menschliches Gesühl be
wahrt, der noch nicht ganz vertiert ist,
in herzzerreißender Anblick und bedeu,
tet ine furchtbare Anklag gegen die Ur
Heber dieses Massenmordes ahnungs und
hilflos Kleiner jenseits des RheincS und
de Kanals.
Die größeren Kinder im schulpflicht!
gen Alter habe seit Jahren keine oder
doch kaum nennenswert Milchmenge
bekommen. Nun wissen wir, daß mit
der Mil4) nicht nur Nahrungsstoffe. Ei,
weis, Fett und Kohlenhydrate dem wach
finden Körper zugeführt weiden, d! so
schließlich durch die Nährstoffe anderer
Herkunft setzt werden können. Weit
wichtiger sind gewisse Wwehrstoffe,, Oi
tamine genannt, die mit der Milch auf
genommen, den Körper gegen schädliche
Einfluss ; widerstandsfähiger machen.
Muß der Organismus diesen Schutz auf
so lange Seit ntbehre. so ist eS nicht
bkkwsttduö. dcck di, TMlltlldtt d
Kinder in s.ngeheurem Maße zu
nimmt, wie jeder Arzt bestätigen kann.
Wa die Nährstoffe anbelangt, so wif
fen sicher viel Kinder den Ausfall in
der Milch aus ander Weise z ersetzen.
Bekannt ift beispielsweise, daß Tjut ge
kochte HLlsensrüchte eine iweißniche,
nahrhafte Kost bedeuten. ,'Aber solche
Ersatzstoffe stellen an die kindlichen Ver
dauungsorgane erhebliche Anforderun
ge, denen nicht alle gewachsen sind, zu
mal die Empfindlichkeit der Kinder un
ter de mannigfache Beschwerde der
Kriegsernährung entschieden zugcnom
men hat.
So sind denn Fälle von Unterernäh
rung an der Tagesordnung. Häufig
sind mir im letzten Jahre Kinder zuge
führt worden, die vor Erschöpfung, in
der Schule ohnmächtig zusammenbrachen
und vonseitcn der Lehrer und der Schul
ötztk werden di gleichen Erfahrungen
als tägliche Vorkommnisse berichtet. Dit
Kinder sind heute durchweg nicht mehr
imstande, den an sie gestellten Ansorde
rungen der Schule voll zu genügen.
Die Wiedergesurrtrnng nach schweren
Krankheiten, wie Lungenentzündung.
TyphuS, Ruhr oder ähnlichen, zieht sich
heute unter dem Einfluß der fehlenden
Milchnshrung so in die Länge, wie wir
eS in früheren Zeiten auch nicht annä
hernd erlebt haben. Trotz der größten
Bemühungen in der Beschaffung von Le
benkmitteln scheitert die völlige Gene
sunz leide? so oft an der Unmöglichkeit
ousreichnder Milchernährung. Dauern
des Siechtum und die Disposition zu
späteren, tödlichen Krankheiten sind so
oft da! traurige Ergebnis folcher der
schleppte Genesung.
Beispiele so fürchterNchen Ernährung;
elendes lassen sich noch manche anführen,
auf die aber hier nicht nähtr eingegan
gen werden kann. Auf eine Tatsache muß
aber selbst bei der so notwendigen
Raumbeschränkung noch kurz hingewie
scn werden, insbesondere weil uns hier
statistisch einwandfrei Daten zur Ver
fügung siehen. die. weil sie frei von den
Mängeln jeder subjektiven Darstellung,
an Beweiskraft durch nichts Lbertroffen
werden. Vor allem ein, verheerende
Krankheit ist es. der die so geschwächten
Körper der Kinder gerade in dieser Zeit
der unzureichenden Ernährung in er
schreckender Zahl zum Opfer Men. Ich
meine die Tuberkulose.
Den Schulärzten ist eS in letzter Zeit
schon aufgefallen, wie häufig man heute
unker de. Scbulkindern Fällen von au!
gesprochener Lungentuberkulose begegnet,
während in FriedenZzeiten solche Vor
kommnisse zu de seltene Ausnahmen
gehörten. Bereits in den letzten Kriegs
jähre haben die Erkrankung und
Sterbeziffern dieser Volksseuche eine un
geahnte Zunahme erfahren. Heute be
wegen sie sich dank der immer weitn um
sich greifenden Folgen deS Aushunge
rungslriegc aus irrer schreckenerngen
den Höhe.
WaS wir in erfolgreichem Kampfe ge
geu-diese Seuche in den letzten 60 Iah
ren erreicht .haben. daS bat der Krieg,
hat die Hungerblockade, die hier gerade
die doch sicherlich gänzlich schuldlose
Kinderwelt besonders hart getroffen hat,
zunichte gemacht.
Einige Zahlen sollen diel besserols
alle Worte es vermögen beweisen. Von
je ,10.000 Einwohnern der mittleren
Jahresbevölkerung starben in Essen an
Tuberkulose im Jahre 1914: 11,6; 1919:
29.1.
Die Sterblichkeitsziffer hat sich also
in diesem Iah um da? Zweieinhalb
fache vergrößert.
Während bei den Kindern unter ei,
nem Jahre in den beiden Vergleichsjah
ren ein Unterschied kaum besteht, schnellt
bei den Kindern von 15 Jahren die
Sterblichkeit an Tuberkulose im Iah
1919 um daS Dreifach in die Höhe,
bei den Kindern von 1015 Jahren fo
gar um dak Vierfache, während sich die
Sterblichkeit bei Erwachsenen, und Kin
der zusammen stark verdoppelt hat.
Solche Zahlen reden eine deutliche
Sprache. Es sind dabei nur die Sterbe
fälle brückstchtigt. die Erkrankungsfälle
haben natürlich in demselben Maße zu
genommen. Bei dem Fehlen hochwerti
er Nahrungsmittel, besonder der
Milch, Ist an eine wirksame Bekämpfung
dieser Seuche vorläufig nicht zu denken,
und so sind denn der Weiterverbreitung
der Krankheit durch die Bazille aus
hustenden Kranken, da nS zudem die
Geldmittel zu iner ausreichenden Heil,
siättenbchandlung fehlen, Tür und Tor
geöffnet. Deutschland ist infolgedessen
auf dem heften Wege, durch die Tuber,
kulofe dahingerafft zu werden, wenn
nicht bald eine Besserung der Ernäh
rung. insbesondere durch eine reichlicher
Milchzufuhr. einsetzt.
Schon vor länger als einem Jahre hat
ine Kommission von Berliner Hochschul,
lchrern und Aerzten die furchtbare Lage
unserer Bevölkerung in gesundheitlicher
Beziehung durch statistische Angaben der
breiten Oeffentlichkeit und auch unseren
Feinden vor Augen sführt. Aber Eng
Herzigkeit und Egoismus ließe diesen
Notschrei bei de Feinden wirkungslos
verhallen. Man wollte unS ja den Frie
den unter Bedingungen abpressen, dit in
ihren Folgen für die Bevölkerung noch
weit vkrhangnisvoller werden sollen. o,lS
der Abschluß von der ausländischen Le,
benSmitelzufuhr. 140.00 Milchkühe soll
daS hungernde, entkräftete Deutschland
seinen kaltherzigen Besiegn auslieser
und damit di knappe Milchration feinet
unterernährten Kinder noch mehr be
schneiden. Da dann einsetzend Elend
ist xicht ftuSzudenken.
Im verflossenen Jahr haben wir in
Kommission von Aerzten neutraler und
feindlicher Staaten in Deutschland her
umieisen sehen, denen daS traurig Bild
unsere, Kinderernährung rtitrM tri&
entgangen ist. Der Bericht dieser Kom
Mission ist denn auch fo ausgefallen, daß
r die schwärzesten Schilderungen aus
Deutschland noch In den Schatte stellt.
Aber wal ist die Wirkung bei unseren
Feinden gewesen? Etwa ine Abänd,
rung der mörderische Bedingungen deS
FrüdenövertrogeS. ein Verzicht auf die
Ablieferung der Milchkühe? O nein.
Deutschland kann ja den Ausfall an
Frischmilch durch den Ankauf ausländi
scher Milchtonferven ersetzen. - Und da
Deutschland dazu infolge deS Valuta
elendes gar nicht entfernt in ausreichen
dem Maße in der Lage ist, so hat man
den fogar bei unseren Feinden, ins?e
sondere in Amerika in christlicher Rüh
rung einen Akt der Mildtätigkeit be,
merkt. ES soll und wird hoffentlich
auch bald Büchsenmilch zu niederen
Preisen für unsere Kinder nach Deutsch
land versandt werden. So erfreulich
dieser schwache Hoffnungsstrahl auch ift,
so muß doch ärztlicherseits im Namen
der Wissenschaft mit allem Nachdruck
darauf hingewiesen werden, daß die
Konfervenmilch die Frischmilch keines
Wegs völlig ersetzen kann. Gerade die
oben erwähnten, so wichtigen Schutz,
stoffe, die wir Vitamine nannten, sind
in der Büchsenmilch durch daS Konfer
vierungsverfahren vernichtet worden. Ist
eS doch schon lange bekannt, daß durch
den ausschließlichen Genuß von Kon
serven Ernährungskranlheiten lebensbe
drohlicher Art entstehen.
Bei der Kinderernährung kann somit
die Frischmilch in keiner Weise ersetzt
werden, und eS ist immer wieder zu be
tonen, daß der weitere Verlust von
Milchkühen noch mehr Kinder dem Hun
gertode preisgeben, daß diese mörderi
schen Paragraphen des Friedensvertra
ges, wenn die Feinde auf ihrer Erfül,
lung bestehen, Deutschland zu inem
großen Leichenfelde machen werden.
Der Fluch für diese in der Gefchichie
beispiellose Kriegsverbrechen fällt auf
die Häupter der Kämpfer für Zivilisa,
tio und Menschlichkeit", die sich gerade
anschicken, die Auslieferung deutscher
Männer zu erzwingen, um sie für an
gebliche .Verbreche , im Kriege" abzu
urteilen ...
Die bisher erörterten Ernährungs
fragen haben aber für unsere Feinde
ebenfalls eine eminent praktische Beden
tung. Glauben sie vielleicht heute durch
eine Revision der unerhört harten, fi
nanziellen Bedingungen uns noch lebens
fähig erhalten zu können, so treffen die
harten volkswirtschaftlichen Verpflich
tungen tödlich in daS Mark unseres
Volkes, fo daß wir als ein sterbendes
Volk auch nicht mehr in der Lage fein
werden, die silbrigen , Bedingungen des
FriedensvertrageS zu erfüllen. Mit ihrer
Erfüllung aber ist heute daS Gedeihe,
ja die eigene Existenz unferer westlichen
Nachbam enger denn je verknüpft. , ,
Ich betrachte es als die hohe Aufgabe
der Aerzte, als der gegebenen Hüter der
Volksgesundheit, auf de drohenden Zu
sammenbruch unseres Volkes auf gesund
heitlichem Gebiet hinzuweisen, kem wir
mit Riesenschritten unaufhaltsam ent
gegeneilen.
Doch nicht auf daS unS zum größten
Teil feindliche Ausland wollen wir un
lere einzige Hoffnung setzen. Angesichts
der riesengroßen Not muß der Frage
der Beschaffung frischer Kuhmilch auch
donseiten unserer Essener Stadtverwal
tung noch immer größere Aufmerksam
keit geschenkt werden als schon bisher
geschehen ist. Andere Städte sind in
der Milchversorgung nicht ganz fo ent
fetzlich gestellt wie Essen. Das darf in
Zukunft nicht mehr der Fall sein. Es
wäre zu erwägen, ob nicht die Stadt
Essen wenigstens zur Sicherstellung der
Milchberforgung der Säuglinge Kühe in
größerer Anzahl beschaffen und Milch
wirtschaft in eigener Regie , betreiben
könnte. Die Untcrkunftsfrage sowie die
Futterbeschaffung dürfen kcin .Hinde
rungZgrukid sein. Hier wäre auch der
privaten Wohltätigkeit in einer Zeit, da
daS bare Geld zahllosen Begüterte lok
ker sitzt, ein dankbares Betätigungsfeld
geboten. Eine reiche Werbetätigkeit
wird sich die Presse sicher gern angele,
gen fein lassen. Kann es ein dlcreS
und schöneres Werk geben, als dem
Massensterben unserer armen hilflosen
Kinder Einhalt zu tun? Rasche Hilfe
tut dringend not. .
Man soll im Lande, soll in der gan,
zen neutralen Welt die Gefahr kennen,
aber auch unseren bisherigen Feinden
inS Gewissen hämmern, wohin der Weg
der Verblendung führt, den die verbre
chcrische Hungerblockade vorbereitet und
der Friedensvertrag vollendet hat. Noch
ist es be! Anspannung aller Kräfte un
sereS Volke und der Unterstützung der
Völker untereinander möglich, daS Unheil
abzuwenden, daS unS in den Abgrund
stürzen, aber auch unsere Feinde von
gestern mit in den Strudel hinabziehen
wird.
Darum fort mit den unser Leben ab
schnürenden Fesseln deS Friedensvertra
geSl Fott insbesondere mit den mör
derisckien Paragraphen der Ablieferung
de, Milchkühe! Noch ist eS Zeit, bald
wird eS vielleicht zu spät sein!
, Jedem Bürger sein HanS!
.Sehen Sik, diese Einfamilienhaus,
das be jetzt fertig wurde, habe ich
mir buchstäblich vom Munde abgespart."
.Wie kann denn da möglich sein?"
Sehr einfach! Ich habe die Steine,
den Sand unrLebm aS meinen von
d Regierung gelieferten Erbsen, Boh
nen und Linsen gesammelt und war so
bald in der Lage, mir dieseS fchmuck
MkckM SaiM ft hl?
Aus den Erinnerungen des
Ämiie
V ' I
9sn Wi ,wtt, Wrtnh, htf Qt
5nxinniinn,n vnh tmlitfimti
fWfmiirWW. hS 2Sr.th.rTn nnn
frfflrhftin" yhn mtr tjnrt hi fijl
nrnbrn nt.r.,, Wmifinitt tm
fcr
Der GeschSsiskSiiig Leopold II. im
Januar 1901.
AuS de Tagen, da die Beisetzung der
Königin Victoria viele Fürstlichkeiten in
London zusammenführte, zählt Eckard.
stein: . '
.Unter den'vielen fremden Fürstlich'
ten befand sich auch der große belgische
Gcschästskönig Leopold IL Schon feit
tingerer Zeit versuchte er in Engalnd im
grüben zu fischen. Er war persönlich
an belgischen qndlkalen. weicye im ser
nen Oste Geschäfte machen wollten,
finanziell start beteiligt, hatte Anleh
vung an große russische und französische
Konzern in China gefunden und trat
m London gewissermaßen als Geschäft
agent für diese russisch-belgische Kombi
Nation auf.
Er suchte ine vertrauliche Aussprache
mit dem Kaiser über China zu haben,
und bat mich, ine Zusammentunst mit
ihm zu vermitteln. Ich tat aber, da ich
genau wußte, daß nichts Gutes dabei
herauskommen konnte, genau das Gegen,
teil, indem ich den Kaiser auf das nach,
vrücklichste vor diesem schlauen, alten
Fuchs warnte Er nahm meinen Rat
auch an und ging seinem belgischen Kol
legen aus das forgfättrgste auS dem
Wege. '
Der schwarze Adlerorden für Lord
Roberts. ;
.Nach den Trauerfeierlichkeite in
Schloß Windsor befahl mich der Kais
zu sich und ließ sich über alles nur mög
liche Vortrag halten. In seinen An
sichten und Absichten zeigte er sich durch,
aus klar, zielbewußt - und vernünftig.
Ab wie lange solche Anwandlungen
von zeitweiliger klarer DenkungSart und
von Zielbewußtfei bei Wilhelm II. zu
dauern pflegen, davon sollte ich mich,
nachdem er nach Berlin zurückgekehrt
war, leider sehr bald wieder überzeugen
können. Am Tag der Abreife des Kai
fers von London am 5. Februar) gab
der König noch in Marlborough Haufe
ihm zu Ehren ein großes Frühstück. Fast
sämtliche Minister waren anwesend,
ebenso der Feldmarschall Lord Roberts
und viele andere maßgebende Persönlich,
leite Englands. Nach dem Frühstück
verlieh er Lord Roberts den Schwarzen
Aderorden. , König Eduard bemerkte bei
dieser Geegenheit zu mir: Ich freue
mich natürlich ungemein über die hohe
Auszeichnung, welche der Kaiser meinem
Feldmarschall hat zuteil werden lassen.
Ich fürchte aber sehr stark, daß dieser
Akt der Courtoisie von einem großen
Teil der deutschen Presse zu neuen hef
tigen Angriffe gegen England benutzt
werden wird." Sokam eS auch, leider!"
Einen Urberlandtelegraphen von Kap
' ftadt nach London über Verli,
plante Cecil RhoveS 1302, um Süd
afrika unabhängig von den englischen
Kabellinien zu mache.' Dieser Plan
sollte folgendermaßen verwirklicht wer
den: .Um die hohe Kabelgebühren bet
Telegramme zwischen Südafrika und
London zu vermeiden, hatte Cecil Rhodes
einen Plan ausgearbeitet, nach welchem
jedes Wort statt bisher fünf Schillinge
nur wenig über einen Schilling von Kap
ftadtnach London kosten sollte. Er hatte
in Aussicht genommen, ein Telegraphen
linie zu errichten welche von Kapstadt
auf dem Landwege durch Afrika, also
auch über Deutschostaftika, nach Kairo
gehen sollte. Von dort aus wollte er die
Linie durch Kleinasien hindurch bis nach
Konstantinopel weiterführen, wo sie an
daö dort beginnende deutsche Telegra
phenfystem angeschlossen werden sollte.
Auf diese Weise hätte Lch fast der ge
samte Telegraphenverkchr zwischen Kap
ftadt und London auf dem deutschen
Telegraphensystem von Konstantinopel
aus über Berlin abgespielt. Auf Ver
anlassung Don Cecil Rhodes hatte ich
eine Denkschrift in dieser Angelegenheit
für die deutsche Regierung gemacht und
auch persönlich mit dem Staatssekretär
des Reichspostamts sowie anderen zu
ständigen Behörden darüber gesprochen.
An der Aengstlichkeit, der Kurzsichtigkeit
und dem Mangel alpolitischer Instinkte
in Berlin scheiterte aber dieses geniale
Projekt." :
Die Möglichkeit eines deutsch.!!,
scheu TeilungSvertrags über Marokko
hat, wi Freiherr von Eckardftein weiter
erzählt, und zwar im Juil 1S01 beftan
den. Er macht darüber folgende Anga
ben: In den ersten Tage des MonatS
Juli, kurz nach Eintreffen der marokla
nifchen Gesandrschaft in London, suchte
mich der kluge und rührige englische Ge
sandte in Tanger, Sir Arthur Nichol
son, auf der Botschaft auf. Er erzählte
mir von den fortgesetzte Jntrigen und
Uebergriffen der Franzosen in Marokko,
welche den Zweck eines französischen Pro
tcktorats über daS gesamte Scherifische
Reich verfolgten, und machte im Auftrage
Lord LandsdowneS den Vorschlag
eineS Zusammengehens Englands und
Deutschlands in Marokko zur Erhil,
tung deS Status quo. Auch berührte
er den Gedanken einer gemeinsamen
deutsch-englischen friedlichen Durchdrin
gung (peaceful Penetration") des ma
rotlanifchen Reiches. Einzuleiten fei
dieser Plan durch einen von England
und Deutschland mit dem Sultan abzu
schließenden Handelsvertrag.' Zwischen
der englischen und deutschen Regierung
solle ein Abkomemn getroffen werden, in
welchem genau festzulegen sei, welche
Konzession in handelspolitischer Bezieh
Hund Deutschland, und welche England
zu erhalten habe. Unter vielem anderen
falle Deutschland dabei die Lieferungen
deS für eventuelle Eiefnbahnbauten nö
tigen Materials erhalten. Ebenso solle
die Installierung jeder Ari von elektri
fchen Einrichtungen (darunter auch Tele
graph und Telephon) Deutschland zufal
len. Im übrigen sollten alle weiteren
zu ergreifenden Maßnahmen, sei es auf
politischem, wirtschaftlichem oder finan
ziellem Gebiet, vo Deutschland nd
rrn von Lmarosteln
I
England nur gemeinsam durchgeführt
werden." '
Ein ähnlicher, noch diel weiter gehe
der Plan einer Austeilung Marokkos un,
ter Deutschland und England war jchoi
im Januar 1S01 zwischen Chamberlai "
dem Herzog von Devonshire und Eckarr
stein besprochen worden: Nach diesen
Plan,' welcher noch viel weiter ging, all
der Anfang Juli 1901 von Sir Arthu,
Nichölson vorgebrachte, sollte Englanr
Tanger besetze und die Kontrolle bei
ganze Mittelmeerküste Marokkos mit
Ausnahme der spanischen Besitzunge, .
iibernehmen. Deutschland konnt sich
Handels und Kohlenstationen an de,
Atlantischen Mt aussuchen, zum Bei
spiel Casablanca, Mogador und RabZlt,
ES sollte dann mit iner -gemeinsame
friedlichen, wenn nötig auch kriegerischen
Durchdringung Marokko' begönne wer.
den, und schließlich sollte eine endgültig
Teilung des Scherifischen Reiche? zwi
lche England und Deutschland stattsi
den. Wie mir der Herzog von Devon
shire und Chamberlain sagten, sei auch
Lord Salisbury im Jahre 1899 bereits
vollständig mit dieser Art der Lösung
deS marokkanischen Problems inverstan
den gewesen. Erst, nachdem er vom Kai
fer und der Wilhelmstraße vöa neuem
fortgefetzt irritiert worden sei, habe r
angefangen, Marokko als Kompenfa
tionsobjekt bei inem eventuellen AuS
gleich mit Frankreich inS Auge ,u
fassen."
Der geplante deutsche Durchmarsch
durch Belgien.'
, Als sich im Jahre 1902 die deutscht
englische Beziehungen verschärft hatten,
berichtete Freiherr von Eckardsteiu dem
entsprechend an den Reichskanzler. Die
sei Bericht war mit Randbemerkungen
deS Kaisers buch an den Generalstab wei
tergeganzen. Und nun erzählte Eckard.
Mn: ,.
A ich Ende Oktober (1902) in Ber
lin auf Urlaub weilte, begegnete ich auf
einer Abendgesellschaft dem Chef deS
Großen GcaeralstabeS. Grafen von
Schliefst. Als er mich erblickte, kam
er sofort auf mich zu und sagte wort
lich: .Mit großem -Interesse hab ich
einen mir mitgeteilten Bericht von Jh
en gelesm, welcher die internationale
Lage, in der sich daö Deutsche Reich de
findet, nicht gerade sehr rosig darstellt.
Sollten Ihre Voraussetzungen betref
fend unser künftiges Verhältnis zu
England zutreffen, fo wäre ich ja ge
zwungen, meine ganzen Feldzugspläne
zu Lnderif, Ich kann mir aber unmög
lich denken daß Sie recht habe, ich bin
der Ansicht, Si sehen viel zu schwarz."
Ich erwiderte dem General, , daß ich
glücklich sein würde, wenn meine Be
fllrchtungen sich als unbegründet erwei
fen sollten, leider müsse ich aber an mei
ner pessimistischen Auffassung der Lage
festhalten. Als ich im weiteren Verlaufe
des Gespräches, die belgische' Frage be
rührte und bemerke, daß falls wirklich .
bei uns die Absicht bestände, im Kriegs
falle durch Belgien zu marschieren, wir
England, nach dem wie die Ding sich
jetzt zu entwickeln schienen, sofort auf
dem Nacken haben würden. Der Gene
ralstabschef hüllte sich auf meine Bemer
kung hin in tiefes Stillschweigen, brach
dann die Unterhaltung mit mir ab und
benutzte die erste beste Gelegenheit, um
mit anderen anwesenden Gästen ein Ge
sprach anzuknüpfm.
Im Auswärtigen Ami, wo ich gele
gentlich das Gespräch auf die Gerücht
brachte, nach denen im Kriegsfalle be
absichtigt sei, durch Belgien zu marschigB
ren, gewann ich den bestimmten Ein
druck, daß die Reichsleitung sich mit die
fer Frage überhaut noch nicht beschäftigt
habe und fo gut wie gar kein Jnteresst
an etwaigen diesbezüglichen Dispositio
nen deS Großen Generalstabes nahm.
Auch heute noch bin ich der feste Ueber
zeugung, daß diese wichtige Frage zwi
schen Reichsleitung und Großem Gene
ralstab überhaupt niemals ernstlich er,
örtert worden ist. "
Das selbstzielende Geschütz.
Mit der ausdrücklichen Versicherung,
daß es sich hier nicht 'm in Fiärchen
oder um einen verfrühte Aprilscherz
handelt, wird der .Hartungsche Zei
tung" geschrieben: Eine Erfindung, für
den Weltkrieg leider zu fpät, ist von dem
Leutnant der Reserve Georg Schut
kowski, Dulag-Hammerstein, gemacht:
worden. Durch diese Erfindung ist
ermöglicht, Schußwaffen Kanonen,
Maschinengewehre oder dergleichen
unabhängig von menschlicher Beobach,
kung auf bestimmte, bewegliche Ziele
Flugzeuge oder dergleichen sich selbst
tätig einrichten und seuern zu lassen.
Und zwar wird diese anscheinend schend
Kanone dadurch zur Wirklichkeit, daß sie
gewissermaßen mit einer künstlichen Seh
Vorrichtung, die vom Erfinder analog
dem menschlichen Auge konstruiert wor
den ist, in Kontaktverbindung gebracht
wird, mit Hilfe deren sie die Ziele wahr
nimmt und in jedem Augenblick in Ziel
richtung mit dem abzuschießenden Objekt
bleibt, also jeder Bewegung eines Flug
Zeuges selbsttätig folgt. Noch mehr:
Durch eine besondere Hilfsoorrichtung
ist e möglich geworden, die Entfernung
in jedem Bruchteil einer Sekunde zahlen
mäßig von einer Skala abzulesen, so daß
das Flugzeug tief unter der Erd von
einem Unterstande au In seinen Haupt
dten: Richtung und Entfernung ohne
daß eS gesehen wirö, trotzdem beobachtet
werden kann. ' Wenn ferner da Flug
zeug den Sehwinkcl der Sehvorrichluug
verläßt, wendet sie sich wieder selbsttätig
dem enteilenden Flugzeug nach (!) und
läßt eS nicht eher aus dem Auge". alS
bis er dem Wahmehmungsbereiche au
sich entschwunden ist. Der Apparat,
durck, den dies alles möglich wird, besteht
in eine, optisch elektrischen Vorrichtung
zum Ermitteln der Richtung und Ent
fernung vom Flugzeug oder dergleichen.
Der Apparat ist dem Erfinder in diese
Tagen mit fünf. PatentanMchc, baten
tikrt worden,
i
I
t
l