Tägliche Omaha Tribüne. (Omaha, Nebr.) 1912-1926, February 12, 1920, Image 2

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    E!
Im Bernßeinwald.
G Üb ins
von Dr. lludwkg GsldsteZn-NönZgsberg.
CF4 Bat einmal... und ist doch kein
larche. leint Phantasterei, sondern Er
ernster Forschungen. ES war
einmal nur daß wir un diese! ein,
mal" recht weit zurückdenke müssen.
Daß Gustav Adolf am Morgen der
Lubcner Schlacht Zum lebten Male sei
nen Kollee anlegte. da! war erst
gestern; und dafz am Weihnachtstage der
große an vom Papst' zum aiser ge
frönt wurde. bis wir vorige Woche!
Wen wir uns daran gewöhn, unk der
Vergangenheit so nahe zu fühlen, dann
genügt es, zu sagen,, es ti nur viele,
viele Jahre" her. wovon ich erzählen
will. Sonst mühten wir von .Billionen
Jahren" sprechen könnten uns dabei
doch nicht viel mehr denken!
Also eZ war damals, als daS sTc:n
. dinavische Festland noch viel näher nach
Deutschlands Küsten herüberreichte all
heute wenn man'S ganz genau wissen
will: .in der Eozän oder Unteroligozän
Zeit, wie 'die Geologen sagen. Damals
herrschte im Bezirk des Baltischen Mee
jre! ungefähr dasselbe Klima 0 selige
kZeit! wie heute an der Nordküste vvn
Lfrika und och weiter südlich. ES
rouchsur dort immergrüne Eichen und
Kuchen. Zimtbäume, Fächerpalmcn und
lordeerartige Gewächse; es grünten und
hlühttn Zazodium jinb Thuja. Mag
Holten und Zypressen, und vor allem der
Vernsteinbaum. Vornehmlich waren dieS
kohl vier Kiefernarten, die jedoch mit
(ben heute hier wachsenden weniz zu tun
jhaben. eher schon an gewisse Arten in
Japan und Nordamerika erinnern. Im
Vernsteinwald gab's - natürlich keine
Rorstwirtschast; vielmehr schaltete . und
- toaltet die Natur 'darin, wie .4 ihr
paßte. Windbruch. Blitzschlag und
Waldbrand. Sturz und Riß. pflanzliche
lind tierische Mitesser beschädigten Rinde
im. Holz. Ja, vielleicht gab es im
Bernsteivwald nicht einen einzigen tte
funden Baum! Aber gerade diesen
zahllosen Erkrankungen verdanken wir
die köstlichste Hinterlassenschaft jener
graugrünen Vorzeit:, den Bernstein, der
weiter nichts ist als das erstarrte Harz
prweltlicher Nadelholzwälder. ,
Jene Bäume waren ungemein fast
teich; , erlitte sie durch atmosphärische,
tierische oder andere Einflüsse Beschädi
ungen, so floß das Harz durch die
Baumader an die verletzte Stelle und
legte sich wie Balsam um die Wunde.
Gleich Blut aus lebenden Körpern er
goß sich der dünnflüssige Saft, wo im
mer der Baum geöffnet oder angeschla
n wurde. Er floß wie das Stearin
kiner vom Wind geblasenen Kerze am
Laum herab, oder bildete dicke, schwere
Kröpfen, wie deren, wohl bis zu fünf !
Lentimeter im Durchmesser, noch dielfach
gefunden werden. Man, denkt an die I
griechische Sage, wonach bei Phae !
Ion! Sturz feine Schwestern, die Helia
den. Tränen weinten, die sich alsbald
ln daS kostbare Elektron verwandelten,
kluch tropfte daS Harz auf den Bodrn
und versteinert dort an der Luft zu gro
ben .Waden", nicht selten mit Boden
teilen gemifcht oder mit Millionen klci
er Bläschen begabt und daher trübe
milchig und flohmig. Rann es jedoch,
dft noch durch die Sonne erhitzt und gc '
klärt, über Stamm und Aeste, fo über
kann und überrannte es kleine Tiere und
pflanzenteilchen, und die mußten nun '
immer darinnen bleiben! Dieser Pro
seß vollzog sich nicht selten , in einem
kinzigen Augenblick so schnell, daß
selbst bewegliche Hüpfte und Flugtiere
on dem Verderbe überrascht wurden,
fei sind nicht umsonst gestorben! Denn
tziefe Bernsteineinschlüsse sind Nakurprä
darate von einem Reiz und Wert, von
iiner Schönheit und Vollkommenheit, daß '
sich ihnen kaum etwas an die Seite fiel
!en läßt. Wir erhalten oft nur durch
sie Kenntnis von Tier und Pflanzen
irren, die längst ausgestorben sind. And
iese Geschöpfe sind in dem häufig glaS.
Vas deutsche National
I ' , lieb.
Unter der Spitzmarke .Wen zwei
asselbe tun' schreibt die Lerner Zei
irng: .DaS freie Wort: Man hat im
Zerlaufe des Weltkrieges und schon
orher gar oft und fehr diel, speziell in
n italienischen Presse,- des deut
chea Volkes prächtige?, Vaterlandslied
Jeuifchland, Deutschland über alles'
ngegriff'n, mißverstanden, besudelt,
vlißverstandkn (oder absichtlich falsch
verstehe wollen?) insofern, t als man
)
iefem Liede den Gedanke unterlegte.
er Deutsche Zolle in Sang und Klang
tazu erzogen werden, ftig Deutschland
'per alles übn .alle' in der Welt hin
uZzuheben. um andere Völker zu rer
achten. Während doch der Sin der
prachtvollen Lerfe nichts anderes bedeu
Vt, als .Deutscher. Deutscher, lieb deine
Keimst Wer alles, 'ei Deutsch!' Aber
Klbft diese Auslegung wäre lr?hl haß
Ksüllt Umwelt als zu naUersl, an
k
iriffbsr rfchiine. JedensaS. man
at dieKS Lied besudelt. dtesiS Lied. daZ
nchtS end'rek ausdrückt. lS was jeder
uidikn Nation heiligste Forderung an
Z T?lk bedeutet.
Deß diese Forderung in jede, Nation
ttiZcht und in Sang und Klang zur,
Ausdruck gebracht wird, ist selbftoer
ländlich. Weshalb eZ auch nicht Wun
er nimmt, daß der italienische Minister
fciHemi in einer Nedt ganz ausdrücklich
ie Worte in sein Programm aufnahm:
Nfllkni, serapre Itsliani, eopr
ttrtto Itslinnl! (öuf Deutsch: Italiener.
mmtx Italiener, über allcS Italiener,
der, keger gesprochen: Italien, Jta
Len über alle. tUx alle? in der Welt!).
Es ist erfreulich. dS Herr -Tittoni
h'esc Standp" vertritt: daß tt des
Deutsche deutsche?! I Lied wenigstens
!u vnstehen feint. TZti: wird euch
: Seil d,r Xesjine? Preffe, di da
NmeltStsgNl.
helle Bernftel mit all ihren- Härchen.
Fühlhörnern und Beinchen so untadel
haft erhalten, daß man sie noch heute
zum Gegenstand mikroskopischer Studien
machen kann. Ja, man sieht wohl mit,
unter noch deutlich an SckjliereV im
Bernstein, welche verzweifelten Anstreng,
ungen die Insekten gemacht haben, um
der Harzsl zu entkommen, um den
Käfig, tt sich immer drohender um sie
schloß, zu vur:req:n.
Natürlich hat es manche Forscher ge
reizt, auch in .daS Innere der Natur'
zu dringen und die Einschlüsse zu öff
Ttn. Aber sieh da: er fand nichts,
Pis auf Kohlerestchen müssen die ein
grfchlossene Körper eine nachträgliche
rwesung, ein gasförmig Verfluch
tuiiz erfahren haben, so daß von den
feshca Bestandteilen nichts geblieben ist
als nur eine, Art Hohldruc! ähnlich
wie sich die vom Aschenregen del Vesuvs
verschüttete Pompeianer nicht mehr kor
Perlich, fonder ebenfalls nur in Nega
tiven, in Hohlabdrückcn konserviert ha
ben. Wenn ehedem .wirkliche Frösche in
Bernstein" all Fürstengeschenk -umgin
gen. so handelte eS sich um plumpe Fäl
fchungen ob bewußte Spielerei; die
Röntgenphorographie hat den Nachweis
geliefert, daß diese künstlich zwischen zwei
Harzstücke geklebten Tierkadavern noch im
Besitz ihrer Knochen sind, und das wäre
bei echtei? Bernsteineinschlüssen undenk
bar. ' v '
Der Erdboden senkte sich im Laufe
vieler Jahrtausende. Wo einst der Bern
fteinwald gestanden, begann die Ostsee
zu fluten. Harz und Hölzer gerieten
ins Wass und lagerten sich in der to
nig'sandigrn Mceresschicht ab, die man
die blaue Erde' nennt. Und hier oder
auch im aufgespulten Seetang des Sam,
landftrandes finden die Bernsteinsucher
noch heute und wohl noch lanae das
Äektron der Alten daS samländische
Vvw.
Denn nZrgend In der Welt mehr sin
dct man däi Bernstein so viel und viel
salkzg wie an der Nordwestkuste deS
Samlandes, der in die See vonagen
den, von zwei Haffen 'rnitbegrenzten
Halbinsel OKpreußens.' Und in der
Hauptstadt d Provinz, in Königsberg,
befindet sich eeuch die großartigste über
Haupt je zufcrmmengebrachte Bernstein
jammlung (im Geologifch'Palgontolo
gifchen Universitütsinstitut; derzeitigen
Leiter: Prof. Dr. K. Andröe). die an
hunderttausend Stücke umfaßt, davon
mehr als die Halste orqanische Ein
fchlüsfe. Vom., unverarbeiteten Lern
stein imponiert unS hier am meisten ein
Originalftück von 3.8 Kilogramm Ee,
wicht. Nebe den. landläufigen Färbun
gen entzücken schwärzliche, grünliche und
selbst bläuliche, opalisierende Sorten.
Rohgebildete Figürchen au! der Stein
zeit zeigen die erste Bearbeitung durch
Menschenhand. DaS Schönste aber blei
vea doch d m langen Glaskasten auf
gestellten, unter die Lupe zu nehmen
den pflanzliche und tierischen Ein
schlösse in dem goldgelben Stein, der
schon dem Griechen NiuaS fo in die
Auge funkelte, daß er ihn für der
dichteten Ssnnenather hielt. "
So Vieles der Laie hier mit Stau
nm und Ehrfurcht betrachtet, den Preis
erteilt er wohl doch einer etwa drei Zea-
kimcker ungen Eidechse, d nicht bloß'
ihre Formen, sondern fast ihre Farben
durch die Jahrtausende hindurch be
wahrt hat. Menchem. Gelehrten freilich
steht wohl noch höher lm Werte ein an
dereS Unikum: der einzige Floh, den
man bisher im .ewigen Harz' gcfun
den ht. Die Gewissenhaftigkeit eines
Zforscyers. ver diesen vorzeitlichen Hüpfcr
behandelte, unterließ nicht hinzuzufügen,
daß diese Tiergattung noch heute ' in
Ostpreußen vorkommt, eine wissen
schaftliche Behauptung, die auSnahmS
weise keine Kontroverse herausgefordert
hat. f
Geschrei gegen der Deutsche wunderdol
leZ Lied mitmachte (wohl auch öhne des
s wahren Sin verstehen zu wollen),
nu nach de Worte deS Herrn Tittoni
eine verspätete Achtung nd Wertschät
zung fih diese Lied empfinden müssen.
daS zweifellos auch nach Deutschlands
Niederlage ja jetzt erst recht der
Deutsche stolzestes und tiefempfunden.
PeS WsWied bleibe wird. -
UebrigenS hat vor einige, Zeit ein
englisches Blatt feine Leser gleichfalls
belehrt, daß die Worte, .Deutschland
über alles' den schöne Sinn haben
.Deutschland, liebstes Land von allen',
und fein Bedauern ausgesprochen, daß
S nicht euch f England ein so durch
auS gemütvolles, tiefempfundenes Lied
gebe.
Srnnfeln-Briefmarkm.
Die Sinnftiner haben in ihrem
Kampf um Irlands Unabhängigkeit
öfters versucht, besondere Briefmarke
einzuführen, und iren die nglische
Pftrwaltng diese von irische Post
beamten hi und wieder anerkannte
Frakierung auf hgS strengste verbot, s,
sind doch iü SinnfeinMarken zu Pro
pagcmdazweckc stet? auf die Friese ge
klebt wörde. Natürlich haben diese
Politische Marke' für de Marken
smmker ine hoben Wert und werden
ieifra ersucht. Die Lltesten dieser War
re der irische Republik gehe auf das
Jahr 1863 zurück, als der New Yorker
Fenier-Vund irische 3, 1 und 2i
5entMarke ausgab, den Zeichnung
in Harfe in einem vvalen Rahmen
zeigte mit dem Motto; I.iberts, et
Xstsls Sehnn. Eine große Menge
von SinnfeiaMarZe ist dan lm Jahre
1908 gedruckt worden, und zwar ia zwei
verschiedene NuZsührungeg; di ine
zeigte ei.. weibliche Gestalt mit ex
Harfe nd fei andre ein keltisches Kreuz,
von Kleeblättern, dem irischen National
piche, umrahmt, Di Inschrift wa
Wiener Mrief.
. von ttt3 veiiauer.
Trostlose Weihnachten. Kein Christbaum nd keine Geschenke. , Ein Schrei deS Entsetzens ertönt.
Gi grauenhafter Fall mit einem Liinde.-. Die Teuernug inö Unermeßliche gewachsen. Wien will
nicht sterbe. Premiere im Burgthcater. .
W i e , 15. Dezember.
XVIII. Walllic,lrab, VI.
Niemali noch im Laufe der Jahihun
dert hat dies Stadt traurigere Weih
nachten entgegengesehen al! heute. Sicher
war der Krieg Zurchtbar, sicher Haien
viermal unterm Tannenraum Frauen
ihre Männer, Mütter ihre Söhne, Mäd
chea ihre Geliebten beweint oder inxban
ger Angst um sie die Hände gerungen,
aber allen Mensche leuchtete in Hoff
nungöstern, jeder wußte, daß dal Mor
den doch inmal ein Ende finden wede,
jeder glaubte, daß mit dem Kriegsenoe
auch das Ende der boseu J:it kommen
und Frieden gleichbedeutend mit Clück
und Ruhe sein würde. Und nun feiert
das klkin ' geworden Oesterreich zum
zweitenmal seine Weihnacht im Frieden,
dieser Frieden ober bedeutet Hunger,
Kälte. Armut und Verzweiflung. Nur
in ganz wenigen Häusern wird ein Tan
nenbaum im "Glanz der Kerzen ersirah
len, nur ir. wenigen werden sich auf dem
weihgedeckten Tisch die Geschenke auS
breiten, die liebevolle Eltern, glückliche
Kinder, dankbare Freunde stiften. Den
kür reunundneunzig von -undcrt ist
hcuer der Tannenbaum unerschwingbor.
Kerzen sind nur für Millionäre vorhan
den, weiße Tischtücher, die nicht. zerfetzt
sind, gehören zu den Seltenheiten, und
GeschcnkeZ Wer soll schenken, wenn eine
Puppe ein paar hundert Kronen, ein
Ledertaschchen mindestens tausend, ein
Bilderbuch sicher nicht weniger als fünf
zig Kronen kostet?
. Dafür ist die Zeit erfüllt mit Schrek
ken, Unruhe,, Angst und Hunger. Seit
Wochen ist lern Fleisch abaegecen wor
den. seit fast zwei Monaten kein Ei. statt
einem Pfund-weiße Mehlet, per Woche
gibt es langst nur mehr ein halbes
Pfund schwarzes, übelriechendes, und
daS Brot ist feit meinem letzte Wiener
Brief buchstäblich ungenießbar. . eS ist
überhaupt ke Brot mehr, sondern eine
zerbröckelnde, aelb'braune, ins Violette
schillernde Masse, die man trocken
und eS gibt weder Butter noch Mar
melade nicht herunterwürge kann.
Der für Oktober fällig oewesene, Zucker
ist noch nicht ausgegeben worden, es gibt
keine Kartoffel, kein erschmingbares
Obst, keine Fische, keine Orangen und
?.!tronen, keine Nüsse und Feigen keine
Milch Und keinen Käse. Und die Men
schen werden 'fahler und gelber von Tag
zu Ta. die Kinderstttblich!?;! ist bis
auf fechzig Prozent angewachsen, Ta
fchcndiebftähle, Einbrüche und Ueberfälle
am hellichte Tag mehren sich. Hunger
itr.h Verbreche halten treue Freund
schast. Ein amerikanischer Arzt, der hier
weilt. Tokio? Frank Lester auS New
Vork. machte mich dieser Tage auf etwas
ausmerlsam, wa uns Abgestumpften,
Eleichgiltigkn icht mehr ausfällt. Man
steht so viele Leute, besonders Frauen
und Mädchen, demn da! untere Augen
ljd nach abwärts hängt, so daß man dek
blutleere Gelbweiß dek inneren Auges
sieht. Was hat daS zu bedeuten? Nun.
Muskelfchwäche infolge von Unterernäh
rung. fonft nichts!
Vor zehn Tagen etwa schrie ganz
Wien vor Entsetzen laut uf. Mit acl
ten durnn Worten teilte der Pvlizcibe
richt mit. deß sich der erste Fall von
Anthropophagie, von Menschenfresser
tum i Wien ereiarset habe. Vielleicht.
daß der Fall schon durch daS Kabel ia
Amerika bekannt geworden ist, vielleicht
aucy nicht. ledensallS fei daS Charakte
riftische des Falle? hier rekavituliert:
Draußen in Favoriten, wo die untersten
Bons cyisilen hau en. vatte eine man
von einer andere ihr nur flücht! be
kannten Frau namens Steirer ein halbes
Pfund kchwkincsleisch gekauft. Tiefe!
Schweinefleisch machte aber in gebrate
nem Zustand ine unheimlichen Ein
druck, die Frau konnte eS nicht herunter
würgen, bekam Erbrechen und lief mit
dem Rest des Fleisches erbost zur Poli.
jei, da sie überzeugt war. daß ihr die
Frau Steirer Hundefleisch als Schweine
sinsq ausceyangt hatte. DaS Ware ja
nichts Besonderes gewesen? nach Polizei
licher Feststellung dürften in den letzte
zwei Jahrm in Wie etwa zwanzigtau
fund Hunde gestohlen und gegessen wor
dq sein. Nun. der Polizei kanwaber
daS Fleisch erst recht verdächtig bor,
rasch wurde " es dem Nahrungsmittel
Experten Professor Haberda vorgelegt,
der nach kurzer Untersuchung feststellte:
DieS Fleisch ist nicht Schweinefleisch,
nicht Hundefleifch, , sondern Menschen
fleisch . es stammt von einem Kinde
her! ,
) Die Polizei begann fieberhaft zu ar
beiten und erhob folgendes: Frau Stei
r. die das Fleifch der anderen Frau
verkauft hatte, war bald eruiert und gab
an. daß sie ei großes Stück Fleisch an
einem bestimmten Platz unweit ihrer
Wohnung in einem Abfallhaufen der
graben gefunden habe. Sie pflegte näm
lich sehr oft in diesem Abfallhaufen nach
Nahrungsmitteln zu suchen. Sie
dachte, daß ei 'Schleichhändler' es dort
re ii englisch Sprache. Vor em
Osteraufftand von 131 wurde von
Dublin aui Wer to! ganze Land hi
ein geheimer Postdienst organisiert, und
alle zur - Revolution auffordernden
Briefe, die mit dieser Seheimpost be
fördert wurden, waren mit Sinnfein
Marken frankiert. Eine Woche vor der
Ausrufung der irische Republik wurde
dann eine neue Marke in großen Men
gen hergestellt. um'alZ offizielle irische
Marke zu Jelten. - Die Ausschrift war
dreifarbig, ia Orange, Weiß und Grün,
gedruckt auf einem fchwarze Hinter
gründ. Die Zeichnung zeigte die Bild
nisse der ,ManchestnMörtyttr'. Allan.
Larki und O'Brien, in einem Klee
blsttrah-me.' -" -
versteckt ha! und nahm Überglücklich
den Fund nach Hause, um ihrem Ge
liebten, dem Kanalräumer Maschck, ei
nen ordentlichen Braten zu bereiten, den
dieser auch mit großem Appetit verzehr
te. öS fc!id ihr aber noch genug Fleisch
Ubkig. um etwa! den Brüdern deS Ka
nalräumer! und einer ihr bekannten
Frau zu verkaufen. , Gut da! wäre
ja an sich nicht unglaubwürdig gewesen.
Aber gleichzeitig lag der Polizei eine
Abgängigkeitsanzeige vor. Gerade einen
Tag ror dem , angeblichen Fleischfud
war die achtjährige Anna Kramm. ein
kleines, brave! Mädchen, da! Kind blut
armer Proletarier, spurlos verschwun
den. Und die Anna Kramm wohnte in
unmittelbarer NähedeS Kanalräumers
Maschck und war vor ihrem Berfchwin
den in der Slähe diese! Haufe! gesehen
worden und es wurde festgestellt, daß
die Frau Steirer fünfzig Jahre. ihr Ge
liebicr ober erst vierzig Jahre alt ist,
und daß die alternde Frau di, Liebe det
ManneS auf dem wohlbekannten Wege
iibtr den Magen suchte und Tag und
Nacht an nichts gedacht hatte. alS: Wie
verschaff ich meinem Geliebten ein or
dentliches Stück Fleisch? Und gestern
Kurden im hinterste Winkel deö Küchen
Herdes der Frau Steirer-bei einer gründ
Iiche Untersuchung seltsame Knochen
rcste und ein verfaulendes Schnenbün
del gefunden, von dem die Gerichtsärzte
jetzt schon behaupte, eS feien menschliche
Ärterien und w ganz Wien erzählt
man von diesem und jenem Kind, da!
seit Wochen, seit Monaten vcnnißt wer
de und heute ist die Frau Steirer
unter dem dringenden Verdacht die tlei
r.e Anna Kramm ermordet zu haben,
dem Landesgericht eingeliefert worden.
Ich erzähle die Geschichte wahrhafkig
nicht gern. Warum soll ich auch braven
New Jorker Menschen, die niemandem
Uebles getan haben, den heiligen Sonn
tagsfrieden und gor de Appetit auf ihr
lecken? Mahl verderben? Aber e! mußte
doch erzählt werden, weil da! keine ge
wohnliche Sensationsgeschicht ist, son
der ei greller Blitz, der die Dunkel
hcit zerreißt. Und weil die Welt e! er
fahren foll und muß. daß sich k Wien,
der Stadt der sanstcsten Lebenskultur
und mildesten Sitten, der Behaglichkeit
und Freude. Menschen in ihrer dumpfen,
stumpfe Lerzweiflung mit gezücktem
Messer auf Kinder werfen, fo wie e!
dereinst im Dreißigjährigen Krieg der
Sage nach vorgekommen sei soll. Ich
aber fage, daß der Fluch, den Tücke und
.haßerfüllte Niedertracht dieser ungluck
nazen Ktadt rettet haben, nicht nur
Wie erfüllen, sonder fortschreitend die
Welt verpesten wird, wenn i zwölfter
Stunde nicht Hilfe kommt! Da! ist
keine wienerische Angelegenheit und keine
österreichische und keine nur-einopäische,
sondern ine Sache der ganzen Welt,
denn die ganze Welt ist mitschuldig
daran, daß ein Handvoll politischer An
vlphabete oder sadistischer Hasser ein
tausendjähriges Rech auseinandkrgefctzt
und das Herz dieses Reiches zuckend und
blutend liegen gelassen haben! Und wen
die Welt noch einen Funke von Gewif
fen hat. so muß der Fall, der kleinen
Anna Kramm diese! Gewissen ufrüt
teln und der gellende Aufschrei darüber
m'ißte den Schuldigen in Paris. Lon
d?n, Prag und sonst? da! Trommel
sell. zerreißen!
. . .
WaS wird die nächste Zukunft krin
gen? Eine Frage, die wohl schon ent
schieden ist, wen diese Zeilen im Druck
erschiene sind. Unser Staatskanzler,
Dr. Nenner, ist nach Paris gefahren,
um Hilfe zu erbetteln und den großen
Herren dort klar zu machen, daß, wen
nicht endlich ein neuer Nahrungsmittel
kredit gegeben wird, unserer Regierung
tflisM2 finhfirtZ tiftr? W.ffi fa s,,,,'i.
w bbj. V.VIV.I Hl ftitUM.
umten und die Leitung der Krapute,
m v . ... , . t rr
vtiii mwu, uc cua$i zu uvrrianrn.
Möge dann die Entente Truppen nach
Oesterreich schicken, da! Land besetze,
zusehen, wie sie mit der entfesselte An
archie, die ja a den Grenzpfählen nicht
halt mache würde, fertig werden kann.
Allerdings - eS wird dazu nicht kom
men. Ich bin fest überzeugt, daß wie
der ein Kredit gegeben werde wird, der
hinreicht, um zwei oder gar drei Mo
naie daS Brot. Mehl. daS Fett ,u
sicher, da! ausreicht, nicht um den
Hunger zu bannen, sondern wenigsten
daS Verhungern zu verhüten.' Jnzwi
schen macht die Kronenentvertung un
aufhaltsame Fortschritte und - damit
steigt die Teuerung in! Unermeßliche.
ES ist müßig, neue Ziffern anzuführen,
weil sie überholt sind, bevor der Brief
der Post übergeben ist. AuZ der Fülle
der originellen Preisscherze nur eine klei ,
ne Auslese: Ei Ei im Schleichhandel
acht Kronen, da! sind ach der Friedens
Parität anderthalb Dollar. Ei Herren
kut. glcichziltig ob sieif der weich, hun
dert Dollars, ein Paar Schuht zwei
hundert Dollars! Ein Herrenhemd scck,
zig. ein Paar Winicrhondschuhe fünfzig,
eine Wollmlltze für ein Kind achtzig
Dollars. Damensiriimpfe au! Wolle
zwanzig, aus Seide hundertfünfzig Dol
lars. Herrensocken zwischen funfzebn und
vierzig Dollar!. ES gibt reiche Leute,
die sich irgendwie ein fette Gan! kür
Weiynachtc zu dcrfchaffe wissen, aber
sie müssen tausendfünfhundert Kronen,
ffriedenskur! dreihundert Dollars, da
für bezahlen. Und, lieber Leser, freue
dich mit mir, ich bin für den erste
Weihnachklfeiertag zu einer Familie ge
laden, die eia ganze! Schwein ihr eigen
nennt. Mit unsagbaren Müde hat sie
el au! Oberösterreich eingeschmuggelt.
Kostenpunkt mitsamt Transportkosten
und Ktstechunasgeldttn 12,000 Kronen!
Also der PreiZ, den man einmal für
Ine Villa bei Klosterneubura mit Gar
tzn, pr in jürWchzZ AtoZdbil lt .
KÄMT!
zahlt hat, die Summe, mit der eine vier
köpsige Familie ein Jahr lang behaglich
und bequem lebzn konnte!
.
Ta! .La! von Wien!' ist in ein oku.
tcs Stadium geinten. Die Landtage
von Vorarlberg, Tirol, Salzburg haben
AbsallbeschlUsse gefaßt. Vorarlberg will
zu der Schweiz, Tirol und Salzburg
zu Bayern. Natürlich wird die Entente,
die die von Ihr erzeugte Mißgeburt mit
Wiclelbändern aus Stacheldraht zufam
menhalt, davon nichts wissen. Sie hat
ja das schöne Wort vom Selbstbestim
muiigsrecht der kleinen Völker geprägt,
also ist ei nur natürlich, daß sie ihnen
dieses Selbstbestimmungsrecht versagt.
Dem Zwang gehorchend, nicht dem elge
nen Trieb, werden die Länder zusam
menblcibcn müssen, aber innerlich sieht
Wien vereinsamt, allein, von de Nach
bar physisch und moralisch verlasse
da. Di kleinen schwachen Glieder wol
len und können von dem 'Zweieinhalb
Millionen.Wasserkops nichts wissen, sie
wollen nicht sterben, damit Wien leben
kann. )n Wien ist man über diese Ab
fallbewegung durchaus nicht entrüstet.
Wir möchten ja selbst nur zu gerne von'
u.tk weg, und je rascher der Auflösung!
Prozeß vor sich geht, desto besser. Noch
gibt es zwar Leute, die an ein Wirt
fchaftsbiindni! Oesterreichs mit der.
Tschechoslowakei und Jugoslawen glau
be und auch darauf hinarbeiten, aber
in der Mehrheit hat der Anschlußge
danke feste Wurzeln geschlagen und die
überwältigende Ueberzahl der Bevölke
rung. vk-ne Unterschied der Parteilich
tiing, will den Anschluß an daS Deutsche
Reich und wartet auf ihn. Die Welt
geschichte, die sich weder von dem Haß
eine! Pariser GreiseS, noch von vierzehn
phantastischen Punkten dirigieren läßt,
wird bald zu entscheiden haben. '
Und doch Wien will nicht sterben, wird
nicht sterben! Diese von Hung und
alle geplagte wtadt, die die köstliche
Schönheit ihre! nu bald ganz ermor
deten Wiener Waldes hingeben muß, um
den Winter zu überdauern, hat aerade
jetzt Proben einer seelischen Wider,
siandslraft und eines Willens zur Kul
tur gegeben, der bewunderungswürdig
ist. DaS österreichische Museum hat
eine Auestellung für Werikunst eröffnet,
die einen glanzvollen Beweis von der
ungebrochenen Kraft unseres Kunstge
wcrbeS liefert. Und während der oroße'
Nichard Strauß die ehemalige Hofoper,
jetzt Staatsoper, zur neuen Blute bringt,
schwingt Meister Weingartner in der
Bolksoper den Taktsiock und schafft au!
diefem Opernhaus ebenfalls ines, da!
sich in der Well sehe und höre lass
kann. Im Lurgtheater aber werde
Vorstellungen herausgebracht, die alle
Nörgler verstummen machen. Neue kluge,
feine Bücher erscheinen, die auSlänoi
schen Käufer, die Wien überströme,
sind verblüfft über die Unsumme an Ta
lcnt, die auf dem Gebiete der bildende
Kunst hier zu 'Hause ist, in den Kon
zertsälen, in denen man erbärmlich
friert, wird allabendlich da! Erlesenste
und Beste produziert. TaS aber ist daS
wahre Wien, auch in feinem Elend noch
ein Killturbesitz der alten Welt, den sie
allen Grund hätte, i einem Zeitalter
ödester Materialisierung nicht zu der
schleudern. Wie ein Mensch, der sich
von allem Ungemach nicht unterkriegen
laßt, so st letzt Wien. daS alle Schick
falsschläge nicht zur geistigen Enge einer
Prooinzstadt erniedrigen können. Und
wenn ich auch heute .in einem unaebeiz
ten Zimmer mis vor Kalte steifen Fin
gern schreibe, wenn ich auch daS Pein
iiche Gesuyl habe, feit Tagen nur Ru
ben und- Kraut. Kraut und Rüben ae
nossen zu haben, wenn ich auch, der ich
doch zu den sogmannkn besser gestellten
Leuten gehöre, aller Fadenscheinigkeit
zum Trotz an einen neuen Anzug nicht
denken darf, weil sich solchen Luru! uur
die Hyäne deS Weltkrieges leisten kön
nen, wenn ich auch manchmal verzagen
mochte in den ruhigen Momenten, in
denen eS einem glückt, sich zu objektivie
ren, fehe ich nicht ohne Vertrauen in
die Zukunft Wiens. Und wenn wir von
heute auch alle im Elend grau und alt
werden mögen - de Enkelkindern wird
es nur mchr Mädchen, unwohrschein.
licheS Greisengeschwätz sein, dieses Ge
rede über ungeheizte Oefen, Fleifchlosig
keit, Hunger und geschlachtete Kinder.
" "
Zum Schluß noch ei vaar Worte
über das Theaterereignis der Woche, die
Premiere nvn Fliz SaltenS .Kinder der
Freude' im Vurg!h:ater. Drei Einakter
sind eS mit einem Leitmotiv: der Mensch
denkt und da! Leben lenkt: du glaubst
zu lebe und du wirst gelebt.
DaS erste Stuck: Der tun Iran,
Rohrbach hat aus unglücklicher Lieb zu
der Schaufpielcrin Hedwig Bollinger
deg.Tod gesucht und beinahe gefunden.
Und nun Zehrt er genese inZ Vaterhaus
zurück, und das Mädchen, durch fo viel
Liebe gerührt, neigt sich ihm zu. Aber
für ihn ist es vorbet. Er hat den Tod
erlebt, und neben diesem stärksten Er
lebnis schrumpft alles andere in Nichts
zusammen. ,
Im zweite Einakter ili eZ wieder ein
junger Mann. Fripvo Kirchhof, der
ftM i'n (TT X..f w! .f ! il , ...
um M,p,rkii, juoji oen zu
rönne glaubt, aber noch rechtzeitig er
fährt, daß er eine Schulkolleain keiner
Mutter liebt. .In die Schule mit dirk'
fragt Fritz, .! dieselbe Klasse?' .So.
ar ein Klasse höher.' , erwidert die
Mutter. Und so mag er etwa dal Ge
fühl de! Doktor Faust im Volksbuch
haben, der plötzlich statt Helena ei grin
t . W.v Hlhh. 1. V ... tr . -.
cnw Kupp i 4)cn sannen lzau.
Im dritten Stück sehen wir einen lie
knswllidigen Hofschausvieler am Taae
lein! Bühnenjubiläum, Me, prahlt,
Kessas in
von Frktz
Voe mehr all dreitausend Personen,
vor einer gewaltigen Runde, die ein
Tausendstel etwa del Groß.Berliner
Bolle! darstellt, wurde kürzlich der könig
licht Grieche gespielt. Ueber dierund
zwanzig Jahrhunderte, über Höhen und
Tiefen der Weltgeschichte fort, dehnt sich
der Acther de! Geiste, der sinnend und
dichtend , dem ewigen Objekt .Mensch'
nachgeht. Diese Tatsache, die Verbin
dung allcS Erdgeborenen, ob es unter
dew Siegerfirmament Athens sich selbst
gespiegelt, ob eS unter Deutschland! nun
ewig grauem Nodemberhimmel knappe
Ct!?nden lang In der Kunst Entlastung
sucht, die Tatsache allein erschüttert be
viS. Näher freilich als der attische
Ruhmesglanz wäre uns der Schmerz der
Besiegten. Man müßte uni auch deS
AeschnloS .Perser' zeigen, in denen ein
triumphierend Volk der höheren 'Glorie
der Menschheit zustrebt. . Und wenn nicht
in Berlin, fo sollte diese! erhabenste aller
Festspiele in Pari! nd London vorge
führt werden.
Wir aber prüfen noch einmal diesen
Abend durch. Wir fühlen, wa! der
Erfechengigant unö gibt und wa! er unS
nicht mehr'geben kann. Wir fühlen,
wa! Lollmocller und Reinhardt au! ihm
für unl gemacht, der eine herrlich nach
dichtend au! dem köstlichsten Wortschatz
der deutschen Sprache, mit nützlichen
Auslassungen der andere voll Inbrunst,
wie Immer, wenn ine große Aufgabe
Gewalt über ihn bekommt. Wir sahen
zum erstenmal die ganze Trilogie. die
für den Deutschen doch nur wieder ein
Lorspiel zu Wolfgang Goethe! ganz aui
unserem seelischen Eigentum geflossener,
rerkufelt humaner' Jphigenie ist. Wa!
vor acht Jahren-nur eine ferne Schön
hcit gewesen, ist uvZ nun nähere Beruh
rung. Ein Krieg der Weltteile ist vor,
bei, Europa hat, scheinbar nur um einer
Dirne willen, mit Aste gefochten, eia
Kämpfer kehrt nach Hause. In sei
öffentliche! Dasein mischt sich bestimmend
und vernichtend sein bürgerliches, in diel
faltigster, Abwandlungen erfahre wir
da! nu täglich. Die Frau hat ihn be
trogen, -sie hat ihn hasse gelernt, an
geblich, weil er feine Baterpflicht verletzt,
mehr noch, weil er sich mit anderen
Weibern abgegeben hat. Ihr Willkom
mensgrnß ist Tod. Der Sohn, den sie
entfernt hatte, kommt nach Hause. Sein
Gedanke, seine Tat sind Rache. Er be
qeht den Mord aller Morde. Er massa
kriert den Schoß, der ihn geboren hat.
Dann bricht er zusammen. Angst vor
Strafe jagt ihn durch di Lande, bis er
sich geheilt glaubt.
Ein furchtbare! Geschehen, auch in
unseren Tagen möglich. Heutige Ge
schworene würde vielleicht zu einem
Freispruch kommen. Auch Athen! Arm
pagiten entschließen sich zugunsten de!
Angeklagten. Mit Stimmengleichheit.
Weiter wagt sich der Dichter nicht. Er
fühlt die ungeheure Verantwortung und
endet mit einem Spruch, der mehr einer
Begnadigung gleichkommt. Die Schuld
frage bleibt im Grunde ungelöst, weil ja
doch ein iibmveltlichc! Lerhängni! vor
Uegt. Die Entscheidung wird denn auch
der Palla! Athene, der Lady Oberrichte
rin, zugeschoben. Da! findet sich in der
Schlußfzene, die aber fortblies. Ein
kühner Schnitt in da! Fleisch der Dich
tung. aber ein notwendiger. Dieser
Schluß ist für unS schon darum leer,
rveil er eine rein athenische Angelegen
heit behandelt. PallaS Athen als Stadt
Ltti ist un! Hekuba. Der erhabene
kluge AeschyloS gab. waS di klugen
Athener sehen wollt'. Er war ihr Wil.
dcnbruch, er schenkt ihnen. waS Mir den
deutsche Gott' nennen. Athene, hurra,
hurra, hurra! I der Stadt dieser tüch
tigen Göttin lasse sich sogar die Erin,
nyen. die Rachegöttinnen, nach einigem
Sträuben zu Eumeniden. zu Wolek
enden, umwandeln. Da Müßte da!
Interesse absterben.
Zum Begriff deS Schicksals stände
wir lange in ziemlicher Einhelligkeit an
derS als die Griechen in ihrer Höhezeit.
H't sich daS geändert? Beginnt der
NachkriezSdcutsche, wie manche eS schon
während deS Kriege! taten, an Schick
fälZnotwendigkeiten und Zwangöentwick
lungen der irdischen Dinge zu glauben?
Sucht er wieder, i die Enge seiner
Mausefalle getrieben, Trost und Hoff
nung außerhalb de! eigenen Willens, bei
geheimnisvollen Mächten über ihm? Die
Erde ist widerwärtig, möge der Himmel
da! Publikum, die Kinder, die Diener
saft. er selbst, nur eine strahlt nicht,
seine Frau. Ihr ist gerade an diesem
Ehrentage das Verlogene. Leere der Exi
sienz ihre! Gatten und ihrer langen Ehe
klar eworden. .Wie er dort herum
gebt geschminkt da! ganze Gesicht
geschminkt! Wie er da herumgeht und
edle Gebärde macht ich kann da!
nicht mehr aushalten! ' Fünfundzwan
Zig Hahre schau ich ihm zu. wie er Ko
mödie spielt, Liebesfztnen fpielt die
Kinder sind aufgewachsen ,und dernüns
tige Mensche geworden und er sieht auf
der Bühne und spieltLiebesszenen.'
Und sie beschließt, ndlich inmal ihrem
Mann alle zu sage, wa! sie denkt, und
unter vier Auge mit ihm Abnchnung
zu halten. Aber e! kommt nicht dazu,
er versteht gar nicht, wa! sie meint. Und
redet selber, gießt eine erfrischende
Platzregen feiner unwidstehlichen Gna.
de tier sie aus. küßt ihr galant die Hand
und begibt sich prahlend zu seinem Fest
bantett. Und schicksalergeben bleibt die
Frau zurück. Da! Leben hat eben einen
ganz anderen Mechanilmu! al! unsere
Seele
Eine glänzende, geistvoll Aufführung
hat daS ihrig dazu beigetragen, den
drei Einaktern zu inem durchschlagen
den Erfolg zu verhelfet Angeregt und
amüsiert verlleß da Publikum da
Theater, niemand wurde i diefem u
gendlick geglaubt haben, daß di zwei
tausend lachenden und plaudernd Wen
schen durch ftockfinstt Straßen in un
geheizt Wohnungen gehe werden, um
dort ihr Souper in Gestalt von etwa!
Rel? ode, 5,0. Bohnen einzunehmen,
1
Werlin.
6ttgel. (
helfen! Strömungen dieser Art fin
deutlich wahrnehmbar. Im Dunkel
vorerst beginnt dit Kirche den Kamps
um da,, wal sie .da, Göttliche' nennen.
Eine katholische Bevölkerung wlirde, M
allen zeremoniellen Unterschieden, die dM
,.rr. Air..,, Vi.i W.fMnl titrä
UIU1UUUC l'H IlMji.Uliy II w-
wandt und freudig begeUßen. Aber auch
tn dem vunigemlschien ivtnm renn i
letzt emuier gcren, o,e irtanajc, ivu,
! diesen alten Strophen gesagt und ge
lunaen wird, wie in Echo ihrer seldst
MpsMvkN.
Und nun kam diese Ausführung hinzu,
erregend fast In jedem Augenblick, nur
an wenigen Stellen nicht, wenn die Dia
loge zu lang wurden. Da! Niesenhau!
selbst, die Menschenmasse, die Neuheit,
die Fülle der Aussichten, die sich an ha!
Dasein - und die Arbeit eine solchen
Theater k.ni!pfen, strömen zu einer star
ken inneren Bewegtheit ziisamiSen. Die
alle? in sich selbst zu gliedern, wird Zeit
kosten. Wir werven vsl fragen mu,
wie weit unsere, Dramatik einem Elchen
Hause, wie weit dieses Haus der Dra
matik gewachsen sein wird. ES wird
einige Zeit dauern, bis wir klar daihr
sind, vb da Spiel in der Arena durch
auö da! Allheilmittel ist. da! unser
szenische Nöte beseitigen kann. Dek
Schauspieler soll nicht mehr vor dem
Publikum, sondern i m Publikum siehe.
Nur dann wird der berühmte Kontakt
bergestellt; auch für die Masse, für. die
Galerie? Nur dann wird Dichtung zur
Tat und die Kunst zum Erleben. Er
leben tritt aber aus Lebendigem, und e
wird, w'e seit undenklichen Zeiten, immer
die Dichtung selber sein, und nicht der
Raum, der das letzte Wort spricht. Pro
bleme de! . körperlichen Ausdruck!, ki
Kostüm!, der Schminke, der Tongebung
taucken auf. Eine, gewisse sprachliche
Uniformierung der Darsteller kann der
Persönlichkeit und ihrer Beseeltheit Ge
fahr bringen. Organe sind früher Ab'
Nutzung ausgesetzt. Die Gebärde kann
hohl, daS Pathos falsch werden.
Man sieht, daß wir erst in den An
sängen stecken, mitten im Experiment.
Wir werden daS noch mehr fchen. wenn
Reinhardt BZerke aufführt, die sich in
minder einfacher Linie bewegen, als
AeschyloS. Dann wird es darauf ankom
men, ob auch dös. Zarte, daS Lyrische,
das unbedingt Leise zu hören und zu
fühlen ist. Kürzlich wußte sich Neinhardt
aus vertrautem Boden. Er hatte helle
Nische Theatecgrundsätze, von ihm selbst
berekls erprobt, nur von neuem anzu
wenden. In manchem bescheidener als
vor acht Jahren, nicht mehr stolz uns
.tausend' Choristen, auch in der Bcwt
gung der Chöre sehr vorsichtig und fast
immer nur auf geschlossene Bilder be
dick't, konnte er doch die griechische Biih
nenkunst erweitern. Ihre Ieu,-e
mseliina-Apparatur ist weit überholt.
Hinter de ungeheuren Wand, welche die
eigentliche Bühne vom Zuschauerraum
abschließt, baut sich in den Eumeniden'
ln raschem Ineinandergreifen, mit dem
dumpfem Brausen eines fernen Gewit
ters, in Weg bis zum Sitz der Gott,
hcit, auf. Dieser Apollo. Tempel wird
nur durch eine unuberfthbar hohe Treppe
anaedeutct, fo wird die Erde mit der
Ueberwelt verbunden. Oben steht der
Gott, hier wirklich ein Gott, kein Schau
spielet; "wir empfinden Aehnliches. wie
wenn wir zur cupola der Peterskirche
aufblicken. Wo ist der deutsche Aeschy
loS. nach dem Karl Vollmoeller, nach
dem wir alle uns sehnen, wo ist der
Dramendomdaumeister, der nun die
Dichtung sckKtsfr groß genug, einer so
vollendeten Technik, einem so kühnen und
großen Reglegefühl die Heihe der Kunst
zu geben? .
Die ersten beiden Teile der Trilogie
vollziehen sich, mit einem Tempelausvau
ais uasronk. aus der Borbllhne und
ihrem verschiebbaren Stufenbau und m
dem KreiS der ehemaligen Manege, mit.
ten im Publikum'. Die besten Plätze
sind die. welche ,u diesen Schauplätze
quer liegen. . Man hat dann zwar nicht
das Glück deS .Dreidimensionalen', von
dem die Aesthetiker 'derneuen Bühnen
form etwas viel hermachen, aber man
genießt jehr interessante Profilwirkun
gen. Der Lichtkegel, au! kleinen Oeff
nungen der herrlichen Kuppel bedient,
folgt pudelireu den - Hauptfprechera.
Möge er nie vorüberwedeln! Aber auch
die Verdunkelung der Umgebungen hat
großen Reiz. Wie schön war di graue,
kaum diirchspurbare Luft um die Erin
nyen! Man sah sie kaum und empfand
sie ganf, r , '
,E bedarf starker und siürkster Sp!u
ler, um Ohr und Gemüt aus die Dich
tung selbst zu sammeln. Sie waren a,
von Hofmeister geschult, nit Abstufu.
gen. verbunden durch die Hingabe in
rpferdienstlichen Handlung und durch die
rhetorische Aufgabe, die ihnen gestellt
war. klgne! Sträub ist Klytämnestra,
im. Sprechen maschmal künstlich, im
Ausdruck gewaltig, jg Scheußllchkeit
groß, geprägtes! Einzelzüge in mächti.
em Schauspielerwillen oeeint. ei
schlimme! königliche! Weib in Blutrot.
Alerander MoisZZ ist Orest. Er wird
vom Wort dek Dichters, von der eigenen
plötzlich wieder jungen Kraft nach und
nach zur höchsten Höhe getragen. Wer.
er Kraut al! Agamemn. i der Ge
bundenheit des Stil, noch in Empfin,'
der, Elfe Heim! Kassandra. da! schön
Antlitz leider verschminkt. neu. aber stark
im Ton der großen leidenden Heroine.
Ihr Hall .Apollon!' war ausgezeichnet.
Wie hallen aber diese Vokale auch scho
von selber! Paul Harlmann ist der He
rold. ein junger Geniu, im Frühling,.
Kind. Josef Kl'.in ist Aegiftho!. gut in
Selbstgefälligkeit, feh, gut im Hohi?'
Maria Fein. ,ne blutleer scheinende, gut.
sprechende Ekcktra. Gregor! gibt al!
Wachter in der ersten Szene schon de
sprachlichen Anschlag für den ganse
Abend. Naoul Lange ist Apoll, ist wirk.
l.ch Apoll. Au! den. Chor ragt Ludwig '
Kpf. der keiner ge?
klebte Perück bedarf, diese Gestakt, di,
sich leine dicken Sohle unterfchicbt,
muß. diese! Wort, da! Dmdml