Tägliche Omaha Tribüne. (Omaha, Nebr.) 1912-1926, December 10, 1919, Image 7

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Die Wahrheit" üöer Wußlnnd.
Die 2!rgumentat!on der 2adikalen. von ats vsrft.
(Pcrlinct Tageblatt,)
,Pi,ffl WrDiib, Hnn, dir Krllndkl'
(ylilelpcar, .Hci,ich des Weite".)
Die dkutschcn Radikalen bcflnden sich,
Ttttt ihrer bolschewistenfreundlichen Agi
tation, etiva In der Lage bei in die Enge
getriebenen HrnnS Falstaff. Friiher ha
- bcn sie ihre Rettung im Schimpfen ge
such! (fort mit dir, du Hungerbild, du
Aalhaut, du getrocknete Rinderzunge.
du Ochsenziemer, du Stockfisch, o
hätt' ich nur Odem, zu nennen, was
dir gleicht"). Aber bald empfanden sie
es wohl selbst als unbequem, mich als
Lügner" und bestochenen Agenten des
,KapitaliömuS" zu beschimpfen, nach
" dem sie mich früher, solange ich mit
ihnen gemeinsam den Imperialismus
bekämpfte, so oft und warm als objek
tiven und kompetenten Beurteiler ge
" rühmt hatten. So wurde eS denn still
mit dem Schimpfen, , und als ich ihre
Dolschewistenfreundliche Argumentation
eingehend widerlegte und sie dringend
einlud, ihre Gründe zu nennen, wie sich
die erwiesenen Widersprüche und Irr
, tümer ihrer Beweisführung erklären, da
blieb es still.
Friiher zeigte sich aufs neue, wie
die ' Zeugnisse, auf die sich alle Ra
- dikalen berufen, so völlig auf den Sand
, gebaut sind. Aber es bleibt still. ES
ist natürlich auch sicherer, sich gar nicht
erst auf eine Diskussion einzulassen.
Wenn der Sand auch nicht gut ist, um
ein festes Gebäude der Beweisführung
,darauf aufzubauen, fo ist er doch gut.
um ihn den unwissenden und leichtgläu
bigen Massen in die AugeN zu streuen.
Dabei derfährt man zunächst nach der
bekannten Methode .Fuchs gewinnt.
HaaS verliert". Lobt nämlich einer den
Bolschewismus, so ist er stets ein lau
terer Zeuge der Wahrheit: ist er arm,
so spricht aus ihm ein reifes, proleta-
, risches Klassenbewußtsein! ist er reich,
so dient das vollends als Beweis dafür,
daß die Macht der bolschewistischen
Ideen groß genug ist, um. trotz Kameel
und Nadelöhr, selbst einen Reichen in
das Himmelreich des Kommunismus zu
führen. Greift aber einer den Bolsche
wismus an, so mag er sich drehen, wie
er will, die Sache liegt stets umgekehrt:
ist er reich, so hat er kein Herz für die
Sache des Proletariats und vertritt
eben nur seine Geldsackinteressen; ist
er dagegen arm, so sieht er offenbar im
Solde des Kapitalismus.
Es ist im einzelnen Falle schwer zu
unterscheiden, wie weit unsere radikalen
Verteidiger deZ Bolschewismus mit fol
chen Methoden andere täuschen wollen,
oder wieweit sie selbst vielleicht durch die
früher widerlegten Zeugnisse getäuscht
worden sind. Sofern das letztere zu
trifft, so kann man sich doch des Ein
" drucks nicht erwehren, dah sie sich allzu
gern haben täuschen lassen, und jan
ioird ihnen den Vorwurf nicht ersparen,
das; sie jene Zeugnisse leichtfertig und
ohne Prüfung hingenommen haben.
Sonst hätten sie selbst deren Schwäche
erkennen müssen. Jedenfalls wird man
den Vert-idigern deS Bolschewismus den
guten 'ouben nicht ohne weiteres zu
billigt Innen, solange sie nur auf oen
iorichttt Uebertreibungen der antibol
schewist,,chen Propaganda herumreiten,
aber daoor zurückschrecken, sich mit den
sten und wildesten Argumenten rumg
selnandenuseken. die gegen den Bol.
bemismus vorgebracht worden lind.
Nit der weisen Zurückhaltung, die sich
twa die .Freiheit" in der Beurteilung
y.i Bolschewismus auferlegt, ist es
nickt getan. Auch diese Zurückhaltung
'irflfit nrnnn n(nmW(fl N'ilkN die
politische Redlichkeit. Die Frage nach
"km Bolschewismus ist gegenwärtig daS
ntscheidende Problem. Der Philosoph
'mag sich da Zurückhaltung auferlegen.
für den Politiker heißt es Farbe bcken
inen. Der Politiker ist verpflichtet, zum
i Bolschewismus Stellung zu nehmen,
'will er den Massen ehrlich und offen
.11
'Wwiisipii umVÄüddeutlme.
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von Dr. Gtts Schtff
tfs war aus der Terrasse eines
Schwarzwälder Gafthoss ! vielmehr
HineS Schmarzwälder HtelZ; denn in
folge eines merkwürdigen Zufalls, dem
ut verrannte Heißsporne" eine tiefere
Bedeutung beilegen, wird Jeulscken
die höhere Stufe, der gemheit yausig
durch ein Fremdwort bezeichnet. An
'in, benachbarten Tische unierbielt man
Isich so laut, daß ich es jcl;! oder übel
i hören mußte. Ein Herr in hellem An
1 zug. det dem Anschein nach der söge
ß . ,,.. rtj.r.ftf i AnAflfvrtvtft
IlUitlt'lCIl jjiucil VJl CUu;u l iyii)viu,
führt daS Wort: .68 ist ein Jammer
um Bozen und Meran", sagte er; daß
"'V . r -. r.-w . . -. a kAf..M
-,fSKB Ioue 0CUla;t tanw ui'. ucuuicr
f1ntn mitfc!" llnh T'.nmtn " fnnff sin
leisere Stimme. Tanzig ist mir voll
ständig wursch!!"' klang es zurück; .Tan
zig war eine polnische Stadt; wS geht
vv.i Süddeutsche Tanzig an." Der an
den widersprach; Danzlg sei eine alte
deutscht Stadt und ilberdiei sehr schön
gebaut". Aber die laute Stimme be
hauptcte daS Feld: .Preußen Ist mir
Überhaupt wurscht; wenn wir Sllddeut
scheu zusammenhalten, kommen wir
allein viel weiter."
Ich habe den Fehler, weder am Main,
noch am Neckar geboren zu sein. Meine
Vaterstadt Brcslau liegt im fernen
j Osten" und trotz ihrer halben Million
1, Einwohner lauter Einwohner deut
l scher Zunge, wie ich nach meinen Ersah
rungen ausdrücklich hinzufügen muß
I irofa ibrer bunderiiäbriae Universität
und ihrer jungen technischen Hochschule
ist sie hierzulande so wenig bekannt wie
T2nzig oder Jrkutsk. 2 ich also jenen
Geburtsfehler habe, konnte ich mich nicht
sofort zu der Anschauung erheben, daß
zeigen, wohin er sie führt. Die Frage
steht klipp und klar: ist der Boschewiö
muS lebensfähig, so wird er sich bei der
gegebenen politischen Situation notwen
digermkise über die ganze Kulturmell
ausbreiten, und eS bleibt nichts übrig,
als ihm zu folgen', läßt eS sich dagegen
zeigen, daß der Bolschewismus zu
gründe geht, und zwar (wie ich schon in
meinem Buch f DaS- bolschewistisch,
Rußland gezeigt zu haben glaube) in
erster Linie an den Fehlern feines
Systems zugrunde geht, so wird die so
ziale Bewegung in Westeuropa andere
Wege einschlagen, wird sie sich auf den
Boden der Demokratie zurückbegeben
müssen. Deshalb ist eS so wichtig, die
Wahrheit über Rußland zu ergründen.
Indessen zeigen gerade diejenigen der
deutschen Radikalen, die sich nicht an die
vorsichtige Zurückhaltung der Freiheit"
halten, schon durch die widerspruchsvolle
Art, ihrer Beweisführung, daß sie die
Schwäche ihrer Position wohl fühlen.
Einerseits nämlich sind sie eifrig be
müht, die wirtschaftliche und politische
Lage der Sowietrepublik weit günstiger
darzustellen, als sie ist Im EKoruS
wurde seinerzeit die Aussöhnung der
Menschewiki und Sozialisten-Neoolu
tionäre mit den Bolschewik!" und die
einheitliche sozialistische Front in Ruß
land" gefeiert, nirgends aber babe
ich in den radikalen Blättern eine Zu
ttchtstcllung gefunden, als diese Seifen,
blase zerplatzt war. Genau wie sei
nerzeit die Rote Fahne" frisch von der
Leber weg behauptete, die russische Sow
jetrepublik habe die Fülle an Lebens
Mitteln und Rohstoffen", sobald ihr
Verkehrswesen verbessert sei, und sie
biete diese Fülle" zugleich mit der
Fahne der Freiheit dem deutschen Pro,
letariat an, so erklärt Däumig noch
heute, Rußland könne Deutscbland Le
bensmittel und Rohstoffe für Ezportar
tikel g'ben. Und in der Republik"
ging ein Herr Franz Schulz soweit zu
verkünden: Bürgerkrieg, Wirtschafts
katastrophe, Hunger herrscht in Deutsch
land, im demokratischen, bolschewiki
feindlichen Deutschland weit stärker als
in den bolschewistischen Ländern!" Um
besser zu überzeugen, wiederholte Herr
Schulz seine Weisheit, daß der Hunger
in Deutschland weit schlimmer wüte. aU
in Rußland, gleich noch zweimal. Er
hätte sich statt dessen von einem rus
sischcn Genossen auZ der Petrograd
skaja Pramda" (dem bolschewistischen
Parteiorgan) vom 27. Juni d. I. den
Bericht über den Sowjetkongreß -.des
Tichwinschen KreiseS übersetzen lassen
sollen. AuS diesem Notschrei hätte er
ersehen, daß selbst in weiten landlichen
Gebieten Rußlands (von den Städten
ganz zu schweigen) ein Hungerelend
herrscht, von dessen Furchtbarkeit , wir
glücklicherweise nichts ahnen. In den
Dörfern ist das ganze Stroh verzehrt,
sogar von den Dächern. Me hungrigen
Bauern essen MooS und Baumrinde.
Für die Sommermonate smd keinerlei
Borräte vorhanden und die Zustellung
von Lebensmitteln ist gar. nicht zu er
warten." So steht es wörtlich in dem
bolschewistischen Organ. Oder ist das
auch eine Lüge"? Soll man das Blatt
einer vereidigten Kommission von
Uebeisetzern vorlegen? Jeder, er eine
Ahnung von Rußland hat, weiß, daß
der Hunger unter den gegenwärtigen
Verhältnissen eine traurige Selbstver
ständlichkeit in Rußland ist. wo doch
schon in FriedenSzeiten der Hunger ein
häufiger Gast war. Und Rohstoffe und
Leb?nsmittel, Herr Däumig, kann
Rußland in nennenswertem Umfing
erst wieder exportieren, wenn sein Wirt
schaftsleben in Gang kommt, uno daS
ist eine l,inge Arbeit, die durch den
Bolschewismus nicht geleistet werden
kann.
Und nun die ewigen Widersprüche!
Heute liest man in deutschen radikalen
Blättern, die russische Wirtschoftskata.
strophe sei gar nielif sz schlimm, Ben
' s
(Zrankfurt a. ITC.)
Preuße irgend einem Deutschen Wurscht
sein kann. Aber Scherz beiseite die
Sache ist furchtbar ernst. Schon nach
der Veröffentlichung der Friedensbedin.
gungen hatte ich den Eindruck, daß man
im deutschen Westen nicht überall be
greift, wie schwere Verluste unserem
Volkstum. unserem Geistesleben und un.
serer Wirtschaft im Osten drohen. Und
auch da! begreift man nicht, was Preu
ßen für Deutschland geleistet hat.
Der Einwand liegt nahe, daß die Un
kenntniS und Ungerechtigkeit auf der
preußischen Seite- nicht geringer ist.
Aber man denke nur an die Scharen von
Studenten auZ den altpreußischen Pro
vinzcn. die jährlich noch Heidelberg und
nach Freiburg, noch München und
ach! nach Stroßburg pilgerten und
die herrlichste Erinnerung in3 Philister
dasein hinübertrugen! Viel seltener
sucht der süddeutsche Student den Nor
den auf. Nur wenige sind so einsichi!
voll wie der junge Schweizer, der mir
einmal sagte: Mein Vater hat mir er
laubt. zwei Semester in Deutschlank! zu
studieren. Ich hab' mir'S genau über
legt, wie ich Deutschland am besten ken
nen lerne. Ein Semester war ick in
München, ober jetzt geh ich nach Kiel."
Nur nach Berlin geht man, denn eS ist
doch - immerhin die Neichshauptstadt.
Tort stößt man auf die Hoffart, die sich
in einer hauptstädtischen Bevölkerung der
Provinz gegenüber leicht entwickelt, und
erklärt .schnellfertig den Berliner, mit
dem der gelassene Pommcr, der gemüt
liche Schlesier wenig gemein hat. für den
echten Vertreter nord und ostdeutschen
WcsenZ. So fremd steht der eine Teil
bei deutschen Volke? heg. anderen gegen
falls viel geringer als in Deutschland.
Morgen aber wird die Katastrophe ruhig
zugegeben, nur heißt eS plötzlich, daran
sei nicht der Bolschewismus schuld, son
dern der Krieg und die Regierungen
deS Zaren und KerenskiS. Weist man
dagegen, wie ich eS getan habe. Ziffern
mäßig nach, daß die Katastrophe in der
bolschewistischen Aera rapide angewach
sen ist, so sprechen deutsche Radikale lie
ber nicht davon, bemerken aber gelegrnt
sich einmal, nicht das bolschewistische
System sei an der Katastrophe schuld,
sondern die Blockade. Zeigt man ihnen
aber wieder an der Hand bolschewisti
scher Quellen,, daß daS bolschewistische
System auch auf den Gebieten versagt
habe, wo S durch die Blockade nicht ge
hindert wurde, daß die Produktion auch
in den Industriezweigen stockt, für die
Rohstoffe und Heizmaterial jm 'Lande
selbst-vorhanden sind, ja, daß nicht nur
die Produktion lahm liegt, sondern auch
die Verteilung der vorhandenen Warer
gescheitert ist, dann ist die Antwort
Schweigen. Und Schweigen- ist wirk
lich auch eine Antwort.
Bei anderer Gelegenheit wieder haben
deutsche Rcidjtale wohl vergessen, daß sie
früher erklärt haben, an der Katastrovke
sei die Blockade schui'z und obgleich
die Blockade ununterbrochen fortdauert,
wiederholen sie, was uns die Bolsche
misten seit über einem Jahr immer üufs
neue versichern: bisher sei eS zwai
schlimm gewesen, jetzt aber werde es
besser, die Verhältnisse hätten sich sta
bilisiert und eS vollziehe sich zusehends
der wirtschaftliche Wiederaufbau. In
Juni vorigen JahreS habe icb selbst
mich durch diesen Optimismus der bol
schewistifchen Führer täuschen Men
und habe damals ihre Darstellung in
loyalster Weise der deutschen Oeffent
lichkeit unterbreitet. Wann hätten die
deutschen Radikalen diese Loyalität be
wiesen? Inzwischen habe ich mick aus
meiner Reise durch eigenen Augenschein
von der Haltlosigkeit jener Illusionen
überzeugen lassen, die Bolfchewisten
selbst haben sie fallen lassen, haben sich
seitdem wieder neue gebildet und anck,
diese wieder aufgeben müssen. Sind
wir Kinder, dah wir dieses Spiel odm
Ende kritiklos mitmachen soll? 3m
Dezember noch versprach uns Mister
Price, daß in sechs Monaten das rus
sische Eisenbahnsystem mit der berühm
ten halben Million Pud Kohle und
Eisen wieder hergerichtet werden würde.
Acht Monate sind um, und wie steht eS
mit dem Verspreche? Aber Mister
Price wird wohl nicht gern darauf zu
rückkommen.
Es konnte hier nicht meine Aufgabe
sein, d früher vorgebrachte Beweis
führung zu wiederholen, der auszu
bauen. Ich muß in dieser Hinsicht auf
mein oben erwähntes Buch und beson
ders auf sein Schlußkapite! über das
bolschewistische System" verweisen. Für
dieses mal galt es nur zu zeigen, wie
haltlos und widerspruchsvoll die M
schewiftenfreundliche Argumentation der
deutschen Radikalen ist. wie schlecht die
Zeugnisse sin, auf die siesich stützen,
und wie deutlich sie selbst die Schwäche
ihrer Position zu erkennen geben, in
dem' sie jeder 'ruhigen und sachlichen
Diskussion ausweichen. Und man
möckite sie fragen, wie Prinz Heinz den
Falstaff fragte: Welcben Kniff, wel
chen Vorwand, welchen Schlupfwinkel
kannst du unsaussinnen. um dich vor
dieser offenbaren Schande zu verber
gen?"
6s mag wohl sein, daß deutsche Ra
dikale sich auch künftig mit Gewalt"
keine Gründe abnötigen lassen, daß sie
auch weiter schweigen werden. Dann
schweigen 'sie eben, wie Falstaff, aus
Instinkt". Und wenn sie dann fort
ftWn wollen, den Bolschewismus au
loben und i h r e Wahrbeit" über Ruk.,
land zu verbreiten, so mögen sie es tun.
ohne Gründe", sondern einfach, wie
SanS Falstaff. auS Instinkt".
über, daß der schwäbische Dichter Edu
ard Mör'ke seinem schleswig-holsteini
schen Genossen Theodor Storm in kind
lichem Staunen schreiben konnte: Höchst
angenehm frappiert hat mich die große
Ähnlichkeit JhreS Nordens mit unserer
süddeutschen Gefühls und Anschauungs
weise." Aber es ist nicht nur Mangel
an LandeskenniniS. der zu jener Unge
rechtigkeit gegen die Brüder im Osten,
jener grauenhaften Gleichgültigkeit gegen
ihr Schicksal führt, sondern vor allem
Mangel an geschichtlicher Bildung. Hier
zeig! sich deutlich, wie berechiigt die Be
sirebungen sind, die darauf oukgehen,
Schulunterricht zu erringen. Hierhan
delt es sich nicht um chauvinistischen
Ueberschwang, sondern um ein gcbieteri
sches Bedürfnis unseres nationalen Da
seins. Wie hätten so beschämende An
schzuungen sich verbreiten können, wenn
jede Deutsche ouf der Schule eine Ahn
ung bekommen hätte von der Größe der
deutschen Kolonisation im Mittelaller!
Wenn er fürs Leben gelernt bätte, daß
die Besiedclung deS Ostens die größte
Tat ver Deutschen ist; daß Danzig längst
eine deutsche Kolonie war. als ti sich um
die Mi!!t deS 1.?. Jahrhunderts den Po.
len unterwarf; daß ein Herzog von
Breslou schon im 13. Jahrhundert
deutsche Minnelieder gedichtet bat!
Wenn er wüßte, daß die Volksgenossen,
die unS in SUdtirol verloren gehen, nach
Zchntauscnden zählen mögen, die im
Osten aber eine Million übersteigen!
Allein man soll die Stimmen wagen und
nicht zählen! Nun gut, dann erinnere
man sich, daß der Osten unS nicht nur
politische vnÄ militärische, sondern auch
rein geistige Schöpfungen von unscbätz
barem Werte geschenkt hat. AuS Ost
Preußen kamen Denker wie Kant und
Herder, uS Breslau ein religiöser Ge
niul wie Schlciermacher. und köstliche
deutsche Volkslieder danken , dem Ober
schlesier Joseph d. öichendorsf ibr Da
sein. Daß solch ErkennäniS Gemein
gut werde, kann nur. tneicht roerden.
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V - .!-.
Wat ßajke Dir vaandai!
n Vl!Ä tu das Verlkn unserer Sage.
(Ilölnllchs Zeitung.)
Berlin, im Oktober.
WaS muß daS doch für eine selige
Zeit gewesen sein, als in Sprceath:n
noch Adolf Glaßbrenncrs, des unüber
troffenen Schilderers berlinischer Men
schen und berlinischer Kultur, Humor
voller Eckensteher Nante fein beschau
liches Wesen trieb oder vielmehr sein
immer schlagfertiges Mundwerk in den
Straßen und Schenken Berlins spazie
rcn führte! Als noch das hauptsäch
lichste Ereignis im Wochenlcbcn deS
Berliners die mit Kind und Kegel und
gefülltem Freßkober der Berliner
hat es zu jeder Zeit geliebt, sich deutlich
auszudrücken nach Treptom oder
Tegel. nach Tempelhof oder Schönebcrg
unternommene Krcmserpartie war, ver
schönt durch etliche Weißen mit Strippe,
einen Dauerskat und liebenswürdigen
Familienstreit! Als vor den Stadttoren
Berlins noch die Sandwüste begann und
die landwirtschaftliche Herrlichkeit der
nachmaligen Millionenbauern! Wenn
Nante Strumpf heute vom Himmel her
niederstiege und seinen geliebten Kom
missarius besuchen wollte: Herr Kom
m'ssar, ick melde mir! . . . Herr
Komm'ssar, ick habe mir jemolden!!"
wenn er sich wieder mal de ..Jejend be
kieken" wollte um zu sehen, ob noch
allenö in Ordnuiig" fei, er würde seinem
Freund Ncumann oder sonst einem be
kannten Berliner Jungen auf die Schul
ter klopfen und ihm in einwandfreier
Mundart - zuflüstern: Mannekcn, wet
haste dir dcä.idat!" Als )!ante Strumpf
lebte, war ich allerdings einige Jahr
zehnte lang noch nicht geboren; trotzdem
nehme ich an, fühle ich es, daß es in
Berlin damals eine selige Zeit gewesen
sein muß gegenüber der. die man beute
,in feinem Bannkreis erfährt. Darf
mari eS, ohne einen strafenden Blick da
vonzutragen, überhaupt heute noch laut
sagen, daß man Berliner ist? Seit die
glorreiche Revolution vom November
1913 daS Kartenhaus eines zaghaften
Bürgertums über den Haufen warf und
diejenigen in die weichen Klubsessel und
lautlosen Kraftwagen setzte, die bis da
hin sozusagen polternd vor der Tür deS
Regierungshauses gestanden hatten, hat
Berlin ein ganz andres Antlik b?kom
men. Den, der es seitdem nicht mehr
gesehen hatte und allein daS Bild vom
Berlin auS den Tagen des verflossenen
Kaiserprunks und der preußischen
Manneszucht im Gedächtnis trug, über
rascht daS aufs unangenehmste. 0 alte -Preußenherrlichkeit!
Ich habe, seit Ich in Köln helmisch ge
worden bin. die Domtürme Immer weit
lieber hinter mir versinken alö vor mir
auftauchen sehen; wenn ich jetzt die bei
den Städte vergleiche so finde ich. daß
Köln sich immer gleichgeblieben ist, Ber
lin aber .sich bitter verändert hat, so
süble ich, daß ich in Köln bodenständig
geworden bin und Berlin mir fremd ge
worden ist LeUt' und Land, die
meine Kinderjahre sahn, sind mir so
fremde jetzt, als wär' eS Lug und
Wahn". Wer die Menschen hier leben
wenii olle Schulfächer zu dem gleichen
Ziele zusammenwirken. Tann wird der
unnatürliche Zustand aufhören, daß un
stre Gymnasiasten, nur griechische und
römische Gcschichlsquellen reichlich ken
nei, lernen, daß aber fast keiner einen
Blick in die Chronik deS holsteinisckcn
Pfarrer Helmold geworfen hat, der schon
im 12. Jahrhundert die deutsche Besie
dekung der Slawcnländkr eindrucksvoll
zu schildern wußte. Jeder Lehrer in
Süddeiitschland, dem die Worte Bolk"
und Vaterland" mehr sind als eine
klingende Sch'lle. sollte seinen Schülern
bei jcder Gelegenheit klar machen, daß
die Süddeutschen, wertn sie unter sich
zusammenhalten, nichU anderes erreichen
können, als einer, neuen Rheinbund, d.
h. schmachvolle Fremdherrschast. . Wem
aber ideale Werte nichts gelten, wem nr
wirtschaftliches Gedeihen erstrebenswert
scheint, der solle auf der Schule wknig
stevS gelernt haben, daß die bielge
schmähten Preußen eS waren, die den
deutschen Zollverein geschaffen und da
mit die größte wirtschaftliche Blütezeit
der deutschen Geschichte möglich gemacht
haben. DaS alleS sollte unser Voll nicht
vergessen, wenn d! auch die Reste de!
altpreußischen KlassenstaatcS ubttwindeis
M!e,
;s
,j &;i-wx&'-
Blick ans die Berliner Börse,
und schieben, sich vergnügen oder, dar
ben sieht, wer den ganzen Zustand des
sorglosen Bcrlimr 'Gemüts wieder ein
mal kennen lernt, dessen Grundstim
mung doch immer noch die alte Berliner
Selbstherrlichkeit ist: Mir kann kee
ncr!" der möchte annehmen, daß die
Mehrzahl- der Berliner Menschen gir
keine Ahnung davon hat, wie es in den
Seelen der Landslcute am Rhein, in,
Schlesien, Ostpreußen oder . Holstein
heute aussieht; daß sie gar nicht fähig
sind, sich ernsthaft mit den Problemen
auseinanderzusetzen, die auf den Deut
schen in den Grenzgebieten jetzt einftür
men. Die HamletmeiShcit trifft das
Rechte: WaS ist ihm Hckuba, waS ist
er ihr, daß er um sie soll weinen?"
Wir Rheinländer, die wir nun fast ein
volles Jahr fremder Besetzung hinter
uns haben und noch ' Jahre desselben
Zustandes vor unS, wir kommen unS
doch so vor, wie im alten Polizeistaat
Preußen einem Menschen zumute ge
wesen sein mag, wenn der Spruch des
Gerichts ihm verkündete: wird für so
undso viel Jahre unter Polizeiaufsicht
gestellt." , Und wenn der Druck auch fast
unmerklich ist, unter dem wir Menschen
des besetzten Gebiets leben, so ist doch
das Gefühl davon da, und eine unbe
fchreibliche Empfindung ist es für jeden,
der nicht stumpfsinnig dahinlebt oder
?anz eingefangen ist von dem Gleichmut,
er nach Kleist die Tugend nur der Ath
leten ist, wenn an den Grenzen deS be
setzten Gebiets unsichtbar sichtbarlich
das Gatter in die Höhe gezogen wird
und die Menschenmaus hinäusschlüpfen
darf inS Freie, ins unbesetzte Deutsch
land. Und wie viel schlimmer muß
jenen Deutschen UmS Herz sein, denen
nun kraft deS FriedenZvertrsgZ. der
Deutschlands Schicksal ist, fremder Wille
befehlen wird für wer weiß wie lange
Zeit; für die man unter französischem,
dänischem oder polnischem Gebot die
wenig lockende Zukunft der nationalen
Minderheiten' Wirklickikeit weiden soll.
Daran denkt man unwillkürlich, wenn
der überfüllte Zug durch lachende Ge
genden den vor der fremden Ueber
wachung für einige Zeit befreit Aufat
menden der Rcichsbauvtftadt entgegen
führt, dem großen Wasserkopf, wie man
Berlin teils gehässig teils voll Neid
nicht zu Unrecht oft genannt hat.
, Was zunächst ausfällt, ist die man
gelnde Sauberkeit. Die Stadt, die einst
als die sauberste der Welt galt, gleicht
heute einem Manne, der vom Pferd auf
den Esel und vom Esel auf den Hund
gekommen ist und kein Geld, keine Zeit,
vielleicht auch keine Lust mehr hat. sein
AeußcreS zu pflegen, seinen Anzug vor
Flecken zu bewahren. Köln hat sich
auch nach der Revolution seine Sauber
keit bewahrt, nach dem kurzen Zwischen
spiel der Rätercgierung, in dem ja auch
dort alles drunter und drüber ging:
heute ist Köln ein Schmuckkästchen aegen
Berlin. Wie sehen die Berliner Stra
ßenbahnwogen heute aus: In frühern
Jahren hätten sie schon dreimal . einen
neuen Anstrich erhalten. Oecr der Un
icrbau der Hochbah. der jetzt von einem
schmutzigen ' Graugrün überzogen ist.
Berlin, wie, hast du dich verändert! Und
verändert hat sich auch das Leben aus
den Straßen gegen früher das aller
ding noch ebenso lebhaft und betrieb
sam ist wie in den vergangenen Jahren.
Was besonders auffällt, ist die Unzahl
neuer Zeitungen und Zeitschriften, der
Flugschriften und ähnlichen Geschrcib
sels, mit dem man überschüttet wird.
Und die Ausrufer, Männlcin wie
Wciblein, bekunden in ihren Anpreisun
g?n dieser Ware einen Geisteszustand,
der schlimm wäre, wenn man ihn er
allgcmüncrn 'önnk und annähme, was
da geboten' würd:, entspräche dem Ge
schmack de Berliners von heute. Die
homosexuelle Hochburg in det Beethoven
straße",-das Kostümfest der Homo
sexuellen im Dresdner Kasino" solche
anreizenden Lockzeilcn sind - besonders
beliebt. DaS Geheimnis der jüdischen
Weltherrschaft" usw. usw.. lauter Blöd
sinn und Berechnung auf die niedrigsten
Instinkte. Selten einmal, daß Witz da
bei ist Der Potsdamer Platz nament
lich ist da! Dorado dieser Zeitungkver
treibe?, die ihn zu den ErscheinungZzei
ten der verschiedenen Blätter nahezu u
einem Jahrmarkt machen. Nebenbei ge
sagt, erhält det Berliner seine Neue
Berliner MittagZzeitung bereit! um
A' X a-V-H fJ& :i
10V Uhr morgens und sein Acht-Uhr
Abrndblott schon kurz' nach sünf Uhr
nachmittags lucras a non lucendo.
Auch sonst blüht der Straßenhandcl,
namentlich mit englischen Zigaretten aus
dem besetzten Gebiet, und mit der Scho
kolade aus derselben Quelle, die man
auf den Straßen und in den Läden
sieht, könnte man ganz Berlin eindecken.
Wer sei? Leben lang als guter
Preuße durchs Dasein gegangen ist und
mit dem November des vergangenen
Jahres seine Ueberzeugung nicht wie
ein schmuddelig gewordenes Hemd , ge
wechselt hat, der lieft mit ÜiZehmut so
manche Aufschrift in den Straßen Ber
linS, die an sich ganz unbedeutend sich
gegen früher gcwandilt hat und doch
Bande redet. Die Königliche Porzellan
Manufaktur ist zur - Staatlichen Por
zellanmanufaktur geworden, die König
liche Bibliothek zur Preußischen Staats
bibliothek. Und dann die andern Wand
lungen, die das Auge wahrnimmt. Der
Schinkelbau im Kastanienwäldchen, wo
ehedem zur Mittagszeit Hunderte von
müßigen Strcißenbummlern aller Klassen
den Aufzug der Wache erwarteten und
dem klingenden Spiel oder dem Trom
melklang lauschten, liegt öd und tot da:
man spürt es, das Volk in Waffen von
einst, wir sind es nicht mehr; das Zeug
hauS daneben und die Standbilder der
großen Generale der Freiheitskriege, sie
kommen dem Beobachter von heute fast
abgetan vor, und kein Zweifel,' wenn
man sie entfernen könnte, ,wie man die
Kaiserbilder aus den Berliner Schulen
entfernt hat, 'man würde auch sie in die
Rumpelkammer gesteckt haben. Der
Kronprinzenpalast, ehedem immer be
guckt von einer Anzahl Menschen, na
mentlich, wenn ein Kraftwagen auf der
Rampe die nahende Ausfahrt eines fei
ner Bewohner ankllndete, sieht aus. als
wäre er ausgeplündert worden. Da ein
Teil der zur Nationalgalerie gehörigen
Sammlungen dort untergebracht ist. hat
man die Vorhänge ' von den Fenstern
entfernt, was diesen toten und un
freundlichen Anblick hervorruft. DaS
Scbloß. von dem heute keine Fahne mehr
weht, trägt noch deutlich die Spuren
aus d?n Januarkämpfen; auch das be
schädigte Denkmal des alten Kaisers, an
dessen Herstellung jetzt gearbeitet wird,
weist einige Schrammen 'auf. Am mei
sten jedoch sind sie zu schen am Mar
stallgebäude, das jetzt mit Gerüsten um
pflastert ist zur Wiederherstellung der
glatten Schönheit von einst. Nicht nur
diese ehedem königlichen Gebäude haben
ja damals Wunden davongetragen. Wer
etwa daS Berliner Zcitungsviertel durch
wandert, bleibt erstaunt namentlich vor
dem Hause des Verlages Mosse stehend
Es ist mit Kugelspuren wie übersät
und macht den Eindruck eineS Gesichts,
dessen Besitzer früher einmal die Pocken
gehabt und tiefe Narben zurückbehalten
hzt. Werden jene Kämpfe die letzten
gewesen sein? Werden nicht vielleicht
alle jene Gebäude, die int Januar litten,
noch einmal umkämpft werden und noch
andere dazu? Das Reichskanzlerhaus
ist immer noch mit Drahtverhauen ge
sichert, und die eisernen Pforten zum
Borhof, die man im kaiserlichen Deutsch
land nicht anders als offen sah, sind
fest geschlossen, eine Rcichswehrmache
hütet den Eingang zu Bismarcks kuru
lischem Stuhl, auf dem jetzt Herr Bauer
sich wohlfüblt.
Daß in Berlin im öfsentlichen Jntcr
esse auch gearbeitet wird nein, besser
gearbeitet werden könnte, zeigen die vie
len Straßcnzüge, die mit den Vorar
beitcn zur Lcgung der Nord-Süd-Un
tergrundbahn aufgerissen worden sind.
Jm Norden und in der Mitte der
Friedrichstraße zeugen Holzzäune da
von, die verschwiegen sind und n'cht ver
raten, ob in ihren Grenzen geschaufelt
wird; im Süd.'n der Friedrichstraße
kannman manche hundert Meter weit
hineinblicken in den aufgebrochenen Erd
leib. Arbeiter aber habe ich nicht viel
dabei gefunden, ebensowenig wie bei den
Uniergrundbahnarbeiten in der Gnei
senaustraße, wo der ehedem so präch
tige Baumschmuck ein Opfer des Ver
kehrshungerS geworden ist. Allerdings
sah ich dort neben einer Miniaturloko
motive. deren schweigendes Stillflehen
eine Anklage gegen die mangelnde Ar
beitZlust im Deutschland von heute zu
bedeuten schien, wenigsten zwei Man
ner in Arbeitskleidung stehen, die suh.
die Pfcise im Mund, unterhielten, und
daS ist doch immerhin schon etwa. Wat
in den Straßen Berlins weiter sehe
augenfällia ist und dem Vorbeigehenden
manches Mal schmerzlich dS Herz h
rührt, 'st die große Anzahl der ehema
ligen Fcldgraucn, die. noch angetan mit
ikrer alten Kriegskleidung, nun die.
Feldmütze den Vorübergehenden ent
g:acnhalten . und betteln'. M-ncher ist,
dabei, der keine fünfundzwanzig Jahr
zählt, und dessen Eliedcrzittern doch
verrät, wie hart ihn der Krieg anfaßie.
Auch die Zahl der blinden bettelnden
Feldgranen ist g. der solcher, die
auf der Mundharmonika, manchmal zu
zweien oder dreien mit Geige, Ziehhar.
monika oder sonst noch einem Jnstru
ment. die Mildtätigkcit de? Vorüber
gehenden anrufen. Man muß sagen,
die früher immer als Bild deS Elends
der Kricg?kschLd!gten herangezog'nen
bärtigen Krieger im Jnvalidenrock mit
dem Leierkasten neben sich sind recht oft
Götterbilder oder Bilder deS Wohlcr
gchens gewesen 'gegenüber dem Elend,
daS aus den Zügen dieser vielen zur
Untätigkeit verdammten, auf die Milde
ihrer Mitmenschen angewiesenen Jüng:
linste im Ehrentleid deS alten Reiche
redet.
Noch ein darf nicht vergessen wer,
den: das Leben und Treiben, daS sich
in den Wirtshäusern entwickelt. Hier
wird geschlemmt wie nie zuvor. DaS
ist Zum guten Teil eine Folge deS blü
henden SchieberwefenS. Ter eine schiebt
Kohle, der andre Benzin, der dritte Le
bensmittel. der vierte Zigarren;' nur,
wer zu dumm dazu ist oder ganz und,
gar keine Gelegenheit findet, schiebt
nickt; aber dann sehnt er sich danach
un? beneidet seine gewandtern ZeitoeB,
nvssen. Ist in solchen Köpfen ohne
damit verallgemeinern zu wollen
wohl Platz, für vaterländische Not tut
fett Grenzen oder die Frage nach der
allgemeinen Zukunft Deutschlands?
Für die Mehrzahl der Menschen in
Berlin und für die Mehrzahl vielleicht
der deutschen Menscbrn überhaupt gilt
heute die zynische Äeinung.' daß daS
Leben ein Abentcurerspicl sei; bewußt
oder unbewußt lebt sie im Hirn vort
Millionen Deutscher. Und nur in Um
stand kanrd in Verlitt damit versöhnen:
die ungeheure Betriebsamkeit, die ma
allenthalben bei jung und alt. soweit sie
nicht Arbciterkreisen angehören, wahr
nimmt. S:e ist die einzige Gewayr va
für, daß Deutschland mcht ntergehen
wird. So oder so. auf die Bcine Wirt,
es schon wieder kommen bei solchem
Tätigkeitsdrang.
Es wird allerdings noch ein weite
Weg sein von dem Tarpcjischen Felftn,
ein dessen Rand Deutschland heute steht,
bis zu dem neuen Kapital, von dem auS
Deutschland einstmals doch wieder Gel
tung in der Welt gewinnen soll. Ge.
rade in Berlin wird man z dieser
Erkenntnis kommen und danach han
dein müssen, wenn Berlin nicht die
Führung verlieren will. Die Führung
in Deutschland, die eS bis jetzt gehabt
hat, aber nicht lange mehr haben wird,
wenn der sittliche Ernst und die tiefe
Arbeitsfreudigkcit, die nötig sind, um
Deutschland wieder in den Sattel zu
heben, in Berlin nicht' gefunden werden
oder sich weiter verzetteln in billig'm
Schiebertum. ' Der Boden dafür ist
allerdings nicht günstig, bet der Unlust
der Massen zur Arbeit und dem bunten
Mischmasch von Menschen auS allen
Gegenden, das Berlin heute bietet, und
wenn einst für Preuße und durch
Preußen für Deutschland daS Heil vom
Osten gekommen ist. so dürfte es mög
lich sein, daß auch diesmal wieder die
nationale Wiedergeburt von den Pro
vinzen Deutschlands ausgehen wird, die
am härtesten jetzt unter der nationale
Not zu leiden haben und sie nicht nur
vom .Hörensagen oder auS den Zeituncea
kennenlernten wie der Berliner" von
heute. Als ich jüngst im eheknalige
königlichen Schauspielhaus Shakespeare
unsterblichen Coriolan zur Erholung
von angestrengter Arbeit sah, wurde ickz
tief gerührt durch die Parallelen, die
der Geist unwillkürlich zwischen den
Vorgängen auf der Bühne und unserm
nebelschweren Leben der Gegenwart zog.
Mar Pohl und Hermann Lcfsler gäbe,
die verhängnisvollen Volkstribuncn in
trefflichem Spiel; war es Zufall oder
Absicht, daß die Masken der beiden ge
wissen Vorkämpsem der Unabhängige
ähnlich sahen? Das vielköpfige Tier",
daS den Coriolan ausftieß, weil er eS
nicht verstand und nicht verstehen wollte,
ihm zu schmeicheln. eS ist auch im
Deutschland von heute daS große Kind,
daS sich nicht belehren lassen will und
eher auf die h'ört. die ihm goldene Berge
versprechen, als auf jene, die ihm als
ehernes Lohngesetz die ewige Wahrheit
vorhalten: Wer nicht arbeitet, wird
auch nicht essen!" Möge die Entwick
lung Deutschlands, dessen Massen von
Lohn und immer mehr Lohn fordernden!
Hindarbeitern getrost .einmal nachden
len dürften übet bis alte Barchen de
MencniuS Agrippa von dem Aufruhr
der Glieder des menschlichen Körper
g'gen den Meister Bauch mög? die
Entwicklung Deutschlands es nicht da
hin bring?n,,haß diel der Besten seiner
Volksgemeinschaft, angewidert vom
Treiben der Masse und gehetzt von ihr
wie Eoriolin von den Bürgern RomS,
ihr Vaterland verlassen mit dem bitter
verachtunqZ'orllen Rufe: Auch draußezt
gibt eS eine Welt'"
CH eigentümlicher Fkafchenfnnd.
Im Nord.'.i v?n. Norwez'U ist eine- Fla
fche N7getrikl'cn. worden. Die Flasche
Ttnrrntt nicht ven einem Schis? in See
not, sondern von dem Hydrologisch!
Institut in Peicrskurg. das sie am 30.
August 1913 in der Nähe des Ka?
Tscheljnelin ins W.iss werfen ließ. In
der Flasche befand , sich ein Zettel mit
einem aus russisch, engliscd und japanisch
vor.iedrckten Schema. Die Flasche müz
durch denPolarsirom. der ven Sibirien
über den Nordpol nach Grönland geht,
gekommen sein und genau die Reife ge
macht haben, die Amundsen für seine im
vorigen Jahre begonnen Treibfahrt Über
den Nordpol gevlant hat. Der wisse,
fchaftlicht Flaschenfund ist merkwürdi
erweise genau sechs Jahre unterweg,
denn sie wurde a 1. September 11
Nerd.Norlvegcn eu Lach. geftCH,
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