Tägliche Omaha Tribüne. (Omaha, Nebr.) 1912-1926, August 16, 1919, Image 6

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lagnqe maya ?rn,
Kriegsgefangener aus Kiörccltclr
. nnd der InjeL Wcrn.
Zageöltch eines Amerikaners. Fon Dr. Ebas. L. Kartmann.
(13. Fortsetzung,)
Dr. Ciemer ist Redakteur dkr hiesi
gen Loger-Zeitung ,TaS Camp-Echo".
In sämtlichen Lagern geben die Ge
sangenkn Camp-Zeitungen heraus, welche
natürlich unter der Zensur des Kam
Mandanten stehen, ohne daß letztere allzu
strenge betrieben wird. Die Qualität
dieser Zeitungen ist eine sehr verschie
dene; einige ganz ausgezeichnet, andere
wehr oder weniger banal. Tie beste ist
die Knockaloe Zeitschrift Quousque
tandern", welche auch sehr gut illustriert
ist. Ich habe eine Sammlung dieser
Zeitungen angelegt, welche eine sehr
wertvolle Erinnerung bilden.
Freitag. 19. Eovernbei 1915. Bei
Tisch gcbot der Kapitän durch Anschla
gen an seil GlaI Stillschweigen:
Meine Herren, ich will Ihnen zur
Erinnerung bringen, das; heute vor
einem Jahr: sechs unserer Kameraden
hier gefallen sind. Ihr Tod war eben
büriig dem auf dem Felde der Ehre.
Erheben Sie sich und weihen Sie den
selben ein gutes Angedenken.
Ich danke Ihnen.
Es handelte sich um das Gedächinis
jener, welche durch, ein von den engli
scheu Zeitungen als Meuterei dargestcll
i:3 beiderseitiges Mißverständnis den
Tod gesunden hatten. Ich habe mich
bemüht, aus den etwas widerstreitenden
Angaben von Augenzeugen mir , ein
klares Bild zu machen.
Am 17. November letzten Jahres
gingen die Gefangenen Kapitäne des
Nppcr-Camp zum Kommandanten, um
sich im Auftrags , ihnr Leute über die
Qualität des Essens zu beklagen. Das
selbe war damals einem Politiker der
Insel zu einem Pauschalpreis per Kopf
übertragen worden, und dieser gewissen
lose Konttaktor suchte einen möglichst
große Gewinn herauszuschlagen, indem
er den Gefangenen verdorbene, Fische
und andere vollständig ungenießbare
Kost lieferte. Für Internierte ist na
türlich die Essenfrage eine sehr wichtige.
Die Leute fühlten sich dadurch sehr un
glücklich.
Der Kommandant hatte gerade seinen
Gichttag. und er sagte dem Oberkapi"
idn: Get out" (Hinaus mit Euch!).
Die Behandlung der Sache und die
schroffe Abweisung ihrer gerechten Be
schwerde machte die Gefangenen nur
noch viel aufgebrachter. Man setzte eine
Bittschrift an den Kommandanten auf.
Auch diese hatte keinen Erfolg oder
wahrscheinlich dachten die Leute sich
dies bloß da sie unmöglich wissen
konnten, ob der Kommandant nicht, wirk
lich dem Kontraltor Vorstellungen ge
macht hat. Kurz und gut, die Garung
unter den Gefangenen nahm zu. Die
Leute redeten von nichts anderem, als
dem ihnen angetanea Unrecht, ermutig
ten sich gegenseitig, und am 19. Novem
ber wälzend des Essens im großen Saal,
in dem tausend Internierte zu gleicher
Zeit abgespeist weiden, Wars einer der
Gefangenen von der Galerie einen Teller
in den Saal, andere folgten und warfen
ihre Bestecke na.es),,
Während des Essens ist stets, um die
Leute zu bewachen, in je einer Ecke
des Saales ein Soldat postiert, sowie
sechs Soldaten bei der Türe, welche zum
Küchenraum führt. , Einer dieser Sol
daten, durch den Lärm des zerbrechenden
Tellers ncroös geworden, verlor den
Kopf und schoß in die Menge hinein.
Alle Gefangenen suchten sich zu retten,
stürzten nach den Türen und Fenstern.
Tie anderen Soldaten fürchteten, sie
würden angegriffen und schössen eben
falls. Die außen befindlichen Soldaten,
als sie die Schießerei hörten, glaubten,
daß ihre Kameraden Im Saale in Ge
sahr feien. Als sie die Gefangenen zu
Türen und Fenstern heraus sich über
stürzen sahen, feuerten sie auf dieselben,
töteten sechs und verwundeten 29, von
welchen spater noch eine Anzahl ihren
Wunden erlagen. Alle Soldaten hatten
den Kopf verloren, einige waren sogar
auf Baume geklettert. Tie Offiziere
eilten herbei, schlugen denselben mit der
Faust ins Gesicht, entrissen ihnen die
Gewehre und brachten nach und nach
wieder Ruhe und Ordnung in das La
Ver. Es wurde eine Untersuchung ein
oeleitet. die natürlich rcsultatlos verlief.
Die SoldatenZeugen behaupteten, die
Gefangenen hätten einen Fluchtversuch
durch die Küche ins Freie gemacht (man
fragt sich, welches Freie, da man von
der kleinen Insel nicht entrinnen kann)
und sie bedroht. Tie Zeitungen wälzten
' natürlich alle Schuld auf die befangenen
und schrieben, die armen Tommys
schwebten auf der Insel Man in beftäa
diger Todesgefahr.
. Tas Essen wurde darauf besser, auch
die Behandlung. der Gefangenen des obe
ren Camp eine weniger harte.
Monta?. 22. November 191.'. Wie
immer interessieren mich ganz besonders
die überall angeschlagenen Pla'Ste:
Oegk tltmiU ie.hU ju ,dcr?5u'tn an Feld
seil, selfnigi Suirei!. iu stuften bti in
ko!S. '
(Sin :n?(icrimaatt! ßrffera abhanden Mlom
ifii. dcm Ätiio wiis oaceruirn, Idn (ofott
nieder dabm k' leim, so sich befand.
b. Mui't, X. i-axitt. , .
t lalholtt ivl'edi?ntt wird tnowit,
f cinitog, im flrjijtrt ooJ m tü't ott
tjiten, TaS ,-jeicMii icä tzeziillics fruU mit
fcr $loit qegcöen. ..
33. Wmike. tll IS. itmaSt eh d'n
pttittm w'0afu ans Zuv'.cn, etruftn
fctmeit, iome ai oller Hita'tt an
Iboiinrnren. Mtelk i. steif.
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sij UTS. fSsit. cttr ifi .
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i;u;ftt i ddind.
Heule Abend In er 4u!6otraft 6 Uht,
Cutttiifl von Herrn . aepten über: tilettiu
jiüit und Leuchtgas al Bui,deSenuIscn,
Schwedische Hnlnvmnallil. Herren, die sich
dem tttlils anzulchlirkcn wiiiticben, werden
rjuchl, sich bei Herrn Jr. Sommer j melden.
Dienstags. November 1915. Sin
sehr krank. 'Seit acht Tagen im Bette.
Unsähig zu schreibe. Wird wohl das
Ende meines Tagebuches sein.
Donnerstag. 9. Dezember 1915. Der
Kommandant befürchtet, ich würde ster
den, der Arzt hat nach London tclegra
phiert, um durch das Ministerium meine
Frau zu benachrichtigen, und da man
aus meiner Korrespondenz ersehen hat,
daß ich sehr einflußreiche Freunde in
Paris besitze, erwartete man Wahlschein
lich nach meinem Tod eine Untersuchung
und etwelche Unannehmlichkeiten. Man
hat mich daher gestern in einem Sani
tätswagcn nach dem Hospital geschafft.
Möglich, daß dies auch nur meine eigc
nen Ideen sind. Bielleichi denken sie gar
nicht daran und bin ich für sie einfach
ein Zivilinterniertcr wie jeder andere.
Dienstag. 14. Dezember 1915. Der
erste Eind: :& deS Hospitals ist ein sehr
beruhigender. Modernes Gebäude mit
großen Seitenflügeln, Wandelhalle, Ge
müse und Ziergarten, ganz im Freien
außerhalb der Stadt gelegen. Die innere
Einrichtung nach neuesten hygienischen
Prinzipien, alle Zimmer ohne Eden, der
Fußboden und die Wände an den Seiten
abgerundet, so daß sich kein Staub in
die Ritzen einsetzen kann, anheimelndes
Kohlenfeuer im offenen Kamin, außer
dem Dampfheizung aller Zimmer und
Korridore. Wie öfters in diesem Lande,
ganz ausgezeichnet geplant, vorzüglich
eingerichtet, aber durch die Unerfahren
heit und Unzulänglichkeit des Personals
ich! den vollen Nutzen gewährend.
Alles Frauen, kein einziger Mann als
Verwalter oder Beamter. Tie Tirck
trice der Typus der englischen alten
Jungfer. glatt wie ein aKrtosselfeld,
hochnäsig, unwissend in allem, was den
Haushalt anbetrifft und auch was
außerhalb desselben steht Z:rei Tage
lang hatte ich kein Trinkwasser. Ich
mußte nach außen schielen, um mir
einen Syphon holen zu lassen. Suppe,
für Kranke ein so notwendiges Nah
rungsmittel, ist hier gänzlich unbekannt.
Stets das ewige einerlei, Beef und Kar
toffeln, mit einem mikroskopischen Stück
chen Brot und als Nachspeise Pudding
oder was man Pudding nennt, ich
glaube, man macht ihn einmal das Jahr,
wie das Sauerkraut, in Waffer abge
kochter ReiS mit Apfelmus darüber. Der
englischen Arbeiterklasse und dem Klein
hürgertum ist Suppe etivas völlig un
gewohnte.s. Ich fragte meine Kranken
Wärterin, ob sie selbst denn ni'inals zu
Mittag Suppe nehme. Sie sagte :
Oh ja. einmal in Liverpool in einem
italienischen Restaurant habe & Suppe
genommen, aber ich kann wirklich nicht
sagen, daß sie mir gut geschmeckt hat.
Ich zahle hier drei Pfund die Woche
und bekomme dafür das Zimmer mit Bc
dienung und die Kost. Tie Ichterc in
vollständig ungenügend, ich muß fast al
les von draußen kommen lassen, Ta
mir der Mangel der Suppe sehr em
pfindlich ist, hatte ick mich auch bei der
Direktrice betreffs derselben und die für
einen Kranken ungeeignete Kon be
schwert; erlüelt darauf zur Antwort:
Sie müssen bedenken. Herr Doktor,
Sie sind hier nicht in ein?m Hotel ersten
Ranges.
Ich erwiderte, daß ich das schon längst
gemerkt hatte. Ein Engländcr versteht
keine Ironie. Man kann ihm dasselbe
nur durch eine chirurgische Operation in
seinen Schädel bringen.
DaZ alles ist jedoch nichts gegen die
so wohltätige Ruhe. Allein, ndlich al
lein, nach Monaten, während welchen
ich nicht den kleinsten Winkel hatte, um
mit mir selbst zu bleiben. Dazu die an
genehme Wärme, das reinliche helle Zim
mer. der Gedanke, nicht bewacht zu fein,
und freundliche Mädchengesicbter. DoS
Ideal der Engländerin der Mittelklasse
ist Nurfe zu werden. Das kleidsame Ko
stüm macht sie auf der Straße bemerk
bar und reizt gerade durch feine Ein
fachheit die Männerwelt. Viele NurfeZ
machen glänzende Partien. Man findet
unier denselben auch sehr gebildete Mäd
chen. fast alle Suffragetten oder Sozia'
liftinnen, sehr selbständig, etwas herab
lassend den Kranken gegenüber, wie dies
übrigens im englischen Jraucncharalter
liegt.
Diese Nurses müssen eine dreijährige
Lehrzeit durchmachen, um ihr Diplom
zu erhalten. Im ersten Iabre gibt man
ihnen überhaupt keinen Gehalt, selbst Hit
Uniform müssen sie auS eigenen Mitteln
be streiten. Im zweiten Jahre gibt man
ihnen ein Pfund den Monat mit freier
Kleidung. Trotzdem finden sich bestän
big mehr Bewerber, als Platz da ist,
denn ihre Beschäftigung ist weniger mo
noton. wie die vieler' anderer Rerufe.
mehr wissenschaftlich, was vielen Frauen.
zusa?t.'
, Mittwoch. V. Dezember 1115. Im
Korridor, wo auf einem Fahrstuhl
liege, wahrend man mein Zimmer rei
nigt, treffe ich einen englischen Vater
landeverteidizer in Khaki, der seine
Pfeife tnii. Er hat den Arm in der
Binde. Ich surfe ihn ins sprach zu
ziehen, frage ibn, SS er verwunöet
wurde. Brummt und saut mich miß
trauisch an. Will sich über mich luftig
machen, denk! er. Ich offeriere ibm ein
Glas Notwein. das einzig: Getränk, das
ich habe, schlaffes Zeug, nennt er es.
Nach tagelangem Versuche ist es mir doch
gelungen, ihn zu zähmen. Tabak war
das Mittel, um ch und nach seine Le
b?nöefchicl!e fcrtfjutnt!ffer? Er
kommt von London, war Dsckarbei'.e,.
Sedea Tie. ein, fw'ci Gickst,
n'anchmol i.v.i A k.zß van
nick-t ash d,'m '24iSat btk:nt.
und dann i;.h;t Tag: faulenzen. ' Ta
m:;n man irden Moraen vor den Torrn
der Docks in Haufen stehen, sich drän
gen und stoßen und wird dann nach
Hause geschickt: Für heute bereits die ge
nüqende Anzahl Arbeiter angenommen.
Was will man tun, man ist da zu
Hunderten bei einander, bleibt also zu
fammen und geht in daS nächste Wirts
haus, um die Zeit tot zu schlagen. Im
Sommer ist daS nicht so schlimm, da
trampt man einfach auf ein paar Mo
nate über Land; zu schlafen und zu essen
findet sich überall Gelegenheit, auch Ta
hak bekommt man öfters geschenkt.
Als der Krieg ausbrach, ging eS mir
sehr schlimm, so ließ ich mich halt an
werben, bekam sofort etwas Geld in die
Hand, gut zu essen und anständig; Klei
dung.
Montag, 20. Dezember 1912. Ich
werde hier wie. ein Privatmann behan
delt, denn alle im Zivilhospital Befind
lichen sind von den Gefangenenliflen ge
strichen. Ich habe bereits früher er
wähnt, daß der Grund dieser Maßregel
darin liegt, daß dadurch die Sterblich
keitszifser der Gefangenen zum Scheine
vermindert wird.
An demselben Tage kamen mit mir
acht andere Gefangene, welche schwer
krank waren, nach dem Hospital. Fünf
sind in den drei ersten Tagen sofort ge
storben: jetzt wird wohl bald die Reihe
an die noch übrigen vier kommen. Ich
kann hier alle Zeitungen erhalten und
lasse mir die Times". .Daily Tele
graph", Morninz Post' und .Man
ehester Guardian" regelmäßig zustellen.
Letztere ist zur Zeit die einzige anstän
dige Zeitung- in England. Merkwürdig
ist der Mangel an jedwedem kritischen
Sinn der Leser, denn sonst würden sie
sich sicher solch unglaublichen Blödsinn
nicht täglich auftischen lassen, diese täg
liche Aufzählung von in den Rcdaktions
stuben ausgeheckten Schandtaten des
Gegners, alle die Erfindungen. Entfiel
lungen, welcbe in ein förmliches System
gebracht sind! Man sollte glauben, ein
jedes zwölfjähriges Kind müsse darüber
in ein .lustiges Lachen ausbrechen und
selbst den allerdümmsten der Leser end
lich zur Besinnung bringen.
Ein überaus charakteristisches Beispiel
der systematischen Vergiftung der Volts
Meinung in England ist die folgende Zu
schrist, welche sich die Redaktion der Lon
doner Morninq Post" nicht gescheut
in ihre letzte Nummer (19. Dezember)
aufzunehmen und sogar mit einem be
siatiaenden Titel zu versehen. Ich habe
mir dieselbe ausgeschnitten und gebe sie
hier wieder:
Pakete, die niemals a ihre Adresse
gelangen.
An die IZedatiion der .Morning P":
Ich möchte Ihnen, hiermit den' Fall
eine meiner . Freunde unterbreiten,
welcher sich hx Teutschland als Kriegs
gefangener befindet. Seine Familie hat
ausgefunden, daß man ihm nicht ein
einiges der Pakete, welche ihm von sei
ncm Vater, seiner Frau und seinen
Kindern zugesandt werden, ausliefert.
Trci U.'berzieber und alle möglichen
sonnigen Gegenstände wurden von den
Teutschen weggenommen, den ganzen
letzten Winter 'und auch diesen Winter
blieb er ohne Ucbenock. Tie Deutschen
benachrichtigten ihn, daß die Pakete an
'gekommen, aber weigerten sich, ihm die
selben aliuhändigen: dieselben sind für
gite Teutsche notwendig und nickt für
ellch englische Schweine. Dies waren
ihre Worte.
Ihr ergebener
William Iarren.
7 Cambridge Road. Wimbledon
Wird wohl in den meisten Ländern
dasselbe sein. Ueberall die Lüge als
unumschränkte Herrscherin auf allen Ge
bieten. Nichts ist zu groß, nichts zu
klein, nichts zu unbedeutend, um erfun
den, entstellt, gefälscht zu werden. Und
diese Tätigkeit ist eine gut bezahlte, zieht
daher die Talente an sich und wirkt als
das allcrvcrhängnisöollste AgenS unserer
ganzen Zeit. Wer hätte vor zwei Iah
ren diesen plötzlichen Zusammenbruch
aller Jvcale der Kulturmenschheit für
möglich gehalten. Auf fünfzig Jahre
hinaus wird dieser Weltkrieg und seine
Folgen jeden Zivilisations-Jorfchritt.
jede moralifche Vervollkommnung der
Menschtieit unmöglich machen. ' Der tech
niscbe Fortschritt wird wohl dadurch
nicht aufgehalten werden, aber an diesem
ist mir blutwenig gelegen. Daß wir
uns auf die Entfernung von Hunderten
von Meilen unterhalten, .hundert Kilo
meter die Stunde dahinrasen oder ein
Geldstück im geschlossenen Portemonnaie
mit den' Röntgenstrahlen beleuchten
können, ist für mich fast bedeutungslos.
Ich gehe eben so gern wie früher zu
Fuß und verzichte noch viel lieber auf'
das Telephon. Ein wirklicher Fort
schritt ist dies durchaus nicht. Tas Be
jammernswerte, das zum . Wahnsinn
treibende dieses Krieges ist der Gedanke,
daß, wenn wir alle diese unglaublichen
Opfer, Enerzieentsaltunz. Mut. Im
tiative, Organisationsgaben, den Ver?
brauch an "Mensch:, an Material und
an Geldmitteln zu konstruktiven statt zu
lestruktiven Zwecken benützt, wir das
Antlitz der ganzen W.'lt geändert, alle
als Träume, als Utopien bisher verlach
ten Weliprojektk verwirklicht betten, die
Erd: zu einem blühenden Karten ge
sunder, zufriedener und glücklicher Mcn
scbrn gemacht hätten.
Mittwoch. 22. Tezembcr 1915. Ich
bab: noch ein' anderen Tommy auf
dem Korridor kennen gelernt, einen recht
interessanten Mann. Er ist hier aus der
Jnlcl geboren, war früher Schullehrer
ilüd ozialin. Er wurde von seinem
Tckukrat ! "dröhnn? des B:rluft:s
seinr Stellung g'-wung'N. sich bei
nira ?rs Kiiezes anwerb'e ; lauen.
'Nach ?:': g? schick!, erfriert er ml
eine Kuge! jr.fi. 35;. 593 rs-M-tr Lei
wund:!!?? rt sich biet auifurienrt soll, if:
kommt fast jeden Zea auf eine halbe
Stunde auf mein Zimmer, um sich mit
mir zu unterhalten. Sagte mir:
Wir alle sehen den Zweck deö Krieges
nicht ein. Ich meine damit, wir engli
schcn Soldaten an der Front und nicht
die grimmigen Helden der wohlgcheizten
Redaktionsstuben.
Wir sprachen über die Organisation
der Lüge, die verderbliche Macht der
Presse auf den' Volks und Einzel
charakter.
Als Beispiel, wie der Krieg und die
Zeitungs-Propaganda der Lüge selbst
die besten Charaktere verwandelt, erzählte
er mir folgendes:
Einige Tage vor nincr Verwundung
sprach ich mit unserem Feldkaplan. einem
alten herzensguten Geistlichen, ver saZl
fein ganzes Leben in den Londoner
SlumS der Armen und Elenden gemid
met hatte, von einem nächtlichen Ueber
fall, den wir auf deutsche Patrouillen
gemacht hatten und ich fügte hinzu: Ich
glaube, wir haben unaefäbr sechzig
Deutscht getötet.
Nicht mehr? sagte er mir mit wirk
lichem Bedauern und Enttäuschung.
Hätte ich ihm sagen können, wir halten
damals statt sechzig, sechshundert mit
unserem Bajonett durchbohrt, oder mit
den Kolben die Schädel eingeschlagen,
so hätte er, ein christlicher Priester, mit
freudigem Behagen auf seinem ganzen
Gesichte, sich die Hände gerieben. Und
dabei war er ein herzensguter Mensch.
Freitag. 24. Dezember 1915. Heute
Weihnachtsabend. Ich bin allein, höre
die Nurscs, welche am Ende des Korri
dor ein Gesellschaftszimmer für sich ha
ben, auf dem Klavier hämmern, singen
und tanzen. Wir haben einig: invalide
Soldaten im Spital und daS farbige
Tuch übt auch in England seine An
zichungSkraft aus. Sie'sind alle Helden,
namentlich, wenn sie wieder zu Hause
sind.
Der einzige, der an mich denkt, ist
Kallcnbach. Ich bekam dor einer Stunde
einen herzlichen Brief von ihm mit dem
großen Band der Tolstoi-Biographie als
Weihnachtsgabe.
Ich glaube nicht, daß ich davon
komme; als Mediziner weiß ich das und
suche mir deshalb auch kein: Illusionen
zu machen. Merkwürdig, wie wenig
mich das auch berührt. Ich hatte früher
imnier gedacht, daß jeder, absolut jeder,
ohne eine einzige Ausnahme, vor dem
Unbekannten, vor dem Nichts. Grauen
baben müsse. Ich verspüre davon nicht
das Geringste und was ich hier schreibe,
ist ganz aufrichtig. Nicht einmal Neu
gierde. Ich glaube, das zunehmende Al
ter gibt uns ist dieser Beziehung eine
Art Dämmerungszefühl. ähnlich wie der
den Tag hart Arbeitende und sehr stark
Ermüdete für nichts anderes Sinn hat,
als inS Bett zu kommen, ruhen zu kön
nen. zu schlaseu. Tas beste Konzert.
Theater, alle Reiz: in der Welt sind uns
alsdann gleichgültig. Ebenso witö wohl
bei dem herannahenden Tode unser ein
ziger Wunsch der der Ruhe sein.
endlich von all dicser fiktiven Tätigkeit,
diesen Mühen. Sorgen erlöst zu werden.
Ich hatte stets die Ueberzeugung, das
Leben sei nicht wert, gelebt zu werden.
Kampf. Feindschaft. Plagen, und wozu?
Was ist der Unterschied in hundert Iah
ren? Ob gelebt, ob nie gewesen.
selbst der Staub ist verschwunden und
hat längst im Kreislauf der Natur hun
dertmal seine Geilalt geändert.
Etwas Gutes hat doch die Ruhe, die
ich hier genieße. Im Bette liegen zu
können, 'stundenlang an die lecke
schauend, ohne jemand um mich: 'Ich
mackie Inventar meiner geistigen Errun
genschaften und Verluste, was der
Krieg und die letzten Jahre von meinen
Ueberzeugungen übrig gelassen oder ge
ändert.
l&',. t 'elg!.
Ticrftuhling.
Einen Monat schon regnet es unun
terbrochen. Unter grauen Fäden, wie
unter einem Spinnennetz liegt die Erde:
eine große schwarze Fliege. Die Maggia
rauscht, gelb geschwollen. Ein tropi
scher Salamander 'durchstürzt. sie das
Tal. , Noch glänzt auf ihren Schaum
kämmen das grüne Eis des Lasolino
glctschers.
Der Eheridone speit vulkanisch Wol
ken aus feinem Lchneemaul.
Schon blättert die ' rote Blüte der
Mandel. Tie violetten Glyzincn zcrfal
Im. Tie Kirsch und Birnenbäume
verblühen sie sahen noch keinen Son
nenstrahl. der erst der Frucht im Herbst
sich ofscnbaren wird.
Tie Inseln von Brissaqo schwimmen
wie tote Wasscrläfer mit dem Bauch
nach oben.
In einer Koniscre zwitschert ein Am
feinest. Tie Tmaragdeioechsen, kleine
Drachen der Vorzeit, rascheln mit blauer
5tehle und grünem Tchlanaenkörper durch
das Tel:a oder die vom Herbstkaub des
vergangenen Jahres noch verschütteten
Hänge Monüs.
Ein Kuckuck singt im N.'bel.
Wie lauge noch Z Wie lange noch?
Weissage. Kuckuck!
Unaufhörlich, unzählbar stößt er seine
Schreie in dni ?!?c,,en.
Vielleicht iu'l rur ein künstlicher, ein
Kuckuck aus Ton, mit dem ein Kind aus
dem Haiis da drüben sich vergnügt, un
wissend, daß es Cchiäsal spielt.
Schwersällig schleicht ein schwarzer
Molch mit gelben Tupfen, einen Regen
wurm im Maul, über den feuchten Weg.
Zwei Grillen gehen zirpend, im Kamps
u:n das Weibcbcn. auseinander los.
An der Mauer der Skorvion bebt b'.n
Siaebel xegen einen roten Franzsieii'
lfer. ''
Und ri:z entfaltet in . c:t lamme
un in einem Augenblick da der Aeze
ckläb'. ds Wiener Rachspuensiige
die braunen Fittiche.
Die Gegenrevolution
ul Judapest.
Die rötrsten Radikalen ergreift blasse Furcht. Hetze gegen Jude und
Klerikale. Sofort aufhangen." Ter Kampf mit den Donan
Monitoren. Meuternde Regimenter. Der Terror der Minderheit.
Jeix ?i u ö o kf.?l i'd se n m e t.
Budapest. Ende Juni.
Schon seit einigen Tagen sprach man
in Budapest von einer bevorstihenden
Gegenrevolution. Tie Bewohner redeten
schon ziemlich ofsen über die Unfähigkeit
der Regierung, bessere Zustände herbei
zuführen, und die Rcgierungsartikcl in
der Presse taten das ihrige, um den Un
willen der Bevölkerung zur Siedehitze zu
bringen. Ihre vollständige Unfähigkeit
wollten die Genossen Kun u. Co. natiir
lich nicht einschen, und so legten sie die
Angrisfe gegen die Räteregicrung als
Aufreizung zum Pogrom und Nassen
haß aus. Die Ursache der Erbitterung
lag und liegt noch heute einzig und allein
in der Schreckensherrschaft, unter der
Ungarn seit drei Monaten leidet. Es
hat nicht an Stimmen gefehlt, die die
Räteregierung zur Milde mahnten; aber
alles blieb erfolglos!
Bereits am Sonntag, den 22. Juni,
konnte man sich im Soviethaus von der
Unsicherheit der Lage überzeugen. Es
wurden überall verstärkte Verteidigungs
maßnahmen getroffen, und das Gespräch
der Kommuniftenführer drehte sich im
mer um die Gegenrevolution. Tie
schlimmsten, unkontrollierbarcn Gerüchte
zirkulierten: Man sprach davon, daß das
Soviethaus (,Hungaria"-Ho!el) unter
miniert sei; auch erzählte man sich, daß
eine Aktion von der Touau aus, durch
die Schiffsarbeitcr, unternommen wurde;
wieder andere wußten zu berichten, daß
oben in Ösen (Buda), an geheimen Stel
len. Artillerie aufgestellt sei. die, sobald
die Aktion losginge, den Sitz der Näie
regieriing zusammenschießen tocrde. Be
sonders ernst wurde die Situation, als
die feit einiger Zeit in Gödöllö (dcm
Commerwohnsitz des Ezkönigs Karl)
einquartierten Terroristen der alias
mein bekannt als Leninbuben"
plötzlich mit schwerbewaffneten Lastauto
mcbilen wieder in der Stadt auftauchten,
um die Wacbe im .Hungaria' zu über
nehmen. Tiefe Leute, die sicb aus der
Haft befreiten Mördern und Dieben rc
liniierten, sind die einzige Slütz: der
Sovictmacht in Ungarn. Sie benehmen
sich überall äußerst frech, stehlen wann
und wo sie nur können und tragen man
chen Mord auf dem gestorbenen Ge
wisscn. Erst in den leUen Tagen hat
man einem jeden von diesen ,Leibgar
disten" wieder eine Summe von 10,000
Kronen in Gold das den Kapitalisten
abgenommen wurve ausbezahlt.
Am 24. Juni brachte d'-' Morgenaus
gabe des von der Presseabteilung der
Regierung redigierten Pestek Llorid',
einen Befehl des Militäriommandsn
ten" von Budapest. Joseph Haubrich.
der das Staudrecht über die Stadt ver
bängte. Tarin stand u. a. folgender
Passus zu lesen: Ich fordere die Pro-
tarier und in erster Reihe die atfcikcii
den Frauen auf. dem verbrecherischen
Bund: des um sein Vermögen klagenden
jüdischen Kapitals ni,d des um seine
Wacht zitternden Klerus nicht aufzu'
sitzen (!) und sich nicht als Werkzeug ge.
gen die Proleta,ri?rbrüdei aridem Glau
ben-bekenntnisses ausnützen zu lassen . .
Interessant ist es, zu wissen, daß es die
wirklich sozialistischen Arbeiter und Sol
baten sind, die die Revolution herbei
sübren wollen, weil sie ihr Land dem
Aborund: nah: sehen und es retten
wollen'. Tie Vörös Ujsag" (rote Zei
tuna) schrieb am gleichen Tage zur Er
örterung der gegenrevolutionären Um
triebe an leitender Stelle u. a. folgendes:
Sollen wir warten, bis die Gegenrevo
lution uns über den Kopf wächst und.
übermütig geworden, offen auf die
Straße läuft? Wird ihre Bekämpfung
nicht viel mehr Blut erfordern? Aus
jedem Platze die geeignete Methode, an
jede Stelle den geeigneten Menschen. Der
niederträchtigen Gegenrevolution daS
Standrecht, zur Niederringung der Ge
genrevolution Tibor Szamuely!!! . . . .
Dieser Name bedeutet Strecken und
Angst für Budapest. Er war schon in
Nußland, und scheint dort eine yute
Schale für Verbrecher besucht zu haben.
Er war es, der letzthin im Komitat
Oedenburg sieben angebliche Gegenrevo
lutionare 'füsilieren und dann vor der
Kirche aufhängen ließ. Und ein Ver
trauensmann dieses Vollskommissärs
für Unterricht lwohl für Schwerver
brecher!) erzählte mir von seinem
Freunde Szamuely, daß er letzthin, als
er beim Rasieren gefragt wurde, waö
man mit drei Verdächtigen tun solle,
geantwortet habe: Aufhängen!", und
als man ihm nahelegen wollte, eine Un
jersuchung zu vcranlasien, soll er mit
dem Fuße gestampft und zornig aus
gerusen haben: Sofort aushängen."
Ein Menschenleben gilt diesen idealen (!)
Kommunistensührern nicht viel.
Am Tienstaa. vormittags, wurden in
den Straßen Flugzettel verteilt, die die
Abdankung der Kommunistenregierung
und eine rein sozialistische Regierung
foroerten. Ein Kolporteur hatte das
Mißgeschick, einen dieser Ausrufe dem
Präsidenten des Revoluiionstribunals zu
g'ben; er wurde verhaftet und sofort
hingerichtet.
Ter gegenrevolutlonäre Putsch begann
om Tienetagnachm'ntag gegen I Uhr
(Sommerzeit!). Ein B:kg7!nter. ein
ehemaliger Grrßinduurieller, stieß auf
mich auf dem kurzen Wege, den ich von
meinem Hotel auk nach dem Hungaria'
Hotel macben mußte, m zum Mittag
essen zu sehen. Er war sehr erregt und
meldete mir, daß soeben auf das von in
der Sommerfrische weilenden Volks
kommistärinnci" bewohnte Grai'd Hotel,
auf der in der Tore Iwanwn War
garet'nins'l vier Salokit abg'g?ben wor
drn seien, I: Sovi.thaus fand ich die
geetz'e Ausiegui's. Alle Zugar.gkstiaß'n
waren von den Leibgardisten bewacht,
überall waren Maschinengewehre aufge
stellt und lagen Handgranaten umher.
Die Volkskommissare saßen mit umge
gürteten Revolvern bei Tisch und waren
äußerst aufgeregt. Als ich daS Hotel
eS war gegen halb 4'Uhr verließ,
standen in den Straßen mit Maschinen
gewehren armierte Lastwagen. Große
Menschenmengen gingen auf dem To
naukorso auf und ab, sprachen erregt
miteinander und gestikulierten mit den
Armen. Ich mochte kaum eine Stunde
in meinem Hotel (Tunapalota", es
liegt fünf Minuten vom Soviethaus)
gewesen sein. olS auf der Straße unter
meinem Fenster ein Automcbil nach dem
andern vorbeiraste und nach der Ketten
brücke einlenkte. Gegen 6 Uhr fielen die
ersten Schüsse. Sie wurden beim
Hungaria"Hotel abgegeben, andere von
Gardisten, die in den Straßen patrouil
lierten, auf Menschenansammlungen.
Um die Vorkommnisse besser beobachten
zu können, ging 'ich mit einem neben mir
wohn den und der hier Im Hotel wei
lendeil italienischen Waffenstillstands
kommifsion zugeteilten Oberleutnant auf
die Straße. Um 6 Ubr 1? meldete man
plötzlich die Ankunft eines von den Ge
genrcvolutionärcn besetzten Monitors.
'Er wurde von der Kettenbrücke und von
den Usern aus von Rotgardisten mit
Maschinengewehrfeuer belegt. Das Feuer
wurde van den Gegeurevolutioiiärci!
plötzlich ebenso stark erwidert. Das
reinste Gefecht kam in Gang. Die Leute
rannten durck die Straßen, Kinder
schrien, Frauen und alte Männer dra
chen. ohnmächtig vor Schrecken, zusam
men und mußten in den nächsten Haus
gang geschafft werden. Ta kamen noch
zwei weitere Monitore die Donau
berauf, die die uncarische Flaaezc neSeii
der roten oedifzt hatten. Tas Schießen
strurdc geradezu unheimlich: man konnte
nicht mehr unterscheiden, wo geschossen
wurde es war ein einziges, ununter
brochcncs Knattern. Wir waren zurück
in unser 5?otel geflüchtet. In der Halle,
auf den Treppen, in den Korridors, in
Un Zimmern war die größte Aufregung;
zwei alte Damen und ein Herr der
Aristokratie mußten ohnmächtig auf ihr
Zimmer getragen werden.' Der hier,
nach ricrwöckiger Hast, internierte und
von zwei Detektiven bewachte, . ncun
zehnjährige Erzherzog Karl .Franz von
Habsburg (der Sohn von ' Erzherzog
Joseph) war ganz blaß und zitterte am
ganzen Körper. Plötzlich hörte man fünf
gnseiiianderfolgende, dumpfe Kanonen
schüsse: die Monitore hatten das So;
victhaus beschossen und auch wie ich
nachher feststellen konnte getroffen,
zwei Zimmer waren vollständig dcmo
liert; getötet oder verletzt wurde niemand.
Taranf setzte ein wirkliches Trommel
feuer ein, und in allen Gassen und
Straften k .tollten Schüsse. Erst gegen
7 Uhr kehrte einigermaßen wieder Ruht
ein. Ich wagt: mich auf die Straße
nd sehr bald fanden sich weitere Neu
gierige ein; das erste, was mir auffiel,
war. daß sämtliche am Budaer-Uscr
verankerten Donaudampfcr die ungarische
Nationalflagge gehißt und die rote
Fahne eingezogen hatten. Man glaubte,
daß die Gegenrevolution geglückt sei.
Leider war dafi nicht der Fall. Denn
als sich immer mehr Leute nach dem
Hotel Hungaria" begeben wollten, tra
ten die .Leninbuben' in Aktion: grup
penweise zogen sie dcm Publikum alle
Schnoddrigkeitcn zurufend mit umge
hängtem Gewehr und dem Revolver in
der f?and durch die Straßen, zwangen
die Leute in die Häuser und schössen
nach den Fenstern, wenn es jernavd
wagte, auf die Straße zu sehen. Selbst
den ausländischen Gasten gegenüber, die
in unserm Hotel wohnten, waren sie von
einer Frechheit ohnegleichen, bis ich mit
Protest einlegte.
Gegen halb 9 Uhr ging ich zum
Nachtmahl wieder ins Sovieibaus. Ich
fand vor dem Eingang eine zehnfach der
start: Tiache aus dubiose, wild drein
blickenden Elementen. Sie lachten und
gröhlten und rauchten prima Zigaretten
und Kopfzigarren., Tas Wohlleben war
ihnen vorläufig ja noch gesichert! Im
Korridor fand ich den früheren Wiener
Gesgndten. Dr. Bolgar. der seinerzeit,
beim Putsch auf dai ungarische Gesandt
schaftsgebäude an der Bankgasse, in daS
Jranziskanerkloster entführt worden war.
Er war mit' den Kommunistengenossen
und Genossinnen, die besonders park
vor Aufregung zitterten, in erregtem Ge
spräch. Ich suchte dann den Pressechef
auf (Redakteur Saxe, ei Sozialist), der
mir von seinem Balkon auS einen toten
Bourgeois", einen Arzt, zeigte, der auf
der Straße vor dem Hotel stand, als die
Monitore dieses beschossen. Er soll ein
weißefi Taschentuch hervorgezogen und
gerusen haben: Nieder mit Bela Kun",
als ihn daS tödliche Blei eimS Terro
risten erreichte. Er lag in der Gosse,
auf dem Rücken, Hände und Beine au!
gestreckt, und wurde dann später einfach
in die Tonau geworfen.
Gerade alj ich in den Speisesaal gehen
wollte, war wieder Alarm. Einer der
Monitore, die flußabwärts derschwun
den waren, kam wieder in Sicht. Wieder
begann daS Knattern der Maschinenge
wehre. Tie Leute rannten im Hotel
kopflos umher, die Frauen und Kinder
verzogen sich in den Keller, nur die Gar
disten machten sich, sichtlich voller Freude,
kampfbereit. Ich fand tS ratsam, auS
dem Ha! zu gehen. Keine zwanzig
Schritte konnte ich gegangen sein, al
laS Geseckt wieder in vollstem Gange
war. Mit einigen Gardisten flüchtet
ich mich, an die Tsuqua!muek, in
Deckung. Ta daS Scbiff lnsrk gepsn
zeit) ständig unter Maschinenzewehr
feuer war, kamen die Kanonen dieSmal
nicht zum Schuß. EI fuhr, immer von
beiden Ufern beschossen, donauouswärtS
nach der Margaretheninsel.
Im Hotel .Hungarla" fand ich, um
halb 10 Uhr. beim Nachtmahl die Kom
munisten zuversichtlicher gestimmt. Sie
sprachen davon, die Geiseln wieder ein
zuziehen und Artillerie herbeischaffen zu
wollen. Die Straßen waren, als ich
nach meinein Hotel zurückging, nut von
Terroristen belebt. Ich mußte meine
Legitimation beständig in Händen hal
len, um passieren zu können. Nur noch
vereinzelt fielen da und dort Schüsse.
Im Hotel war schon alle zur Ruhe
gegangen; nur noch ein italienischer Ossi
zier und ich wann im Korridor und
rauchten, als bleich und zitternd, gegen
11 Uhr, Bela Kun mit einigen Genossen
erschien. Er wagte eS nicht, diese Nacht
Im Hotel Hungaria" bei feinen Ge
treuen' zu schlafen, sondern logierte nahe
bei den Zimmern der italienischen Mis
sion.. .
Als ich am Mittwoch morgen, um halb
6 Uhr. auf die Straße ging, fand ich
diese noch leer, was an den vorhergehen
den Tagen nie der Fall gewesen war.
Auf den Masten der Donauschiffe wehte
wieder die rote Fahne. , Ein Terrorist,
dem ich begegnete, erzählte mir prahlend,
daß in der Nacht wieder 1500 Geiseln
ins Gcsängnis gesteckt worden seien.
Zudem hab: man zwei Offiziere der
ehemaligen östeneichifch-unganschen Ar
mee. die auf patrouillierende Gardisten
geschossen haben sollen, zuerst halb tot
geprügelt und dann in die Donau ge
schmissen".
Punkt mittags um 12 Uhr. als ich im
Hungaria'-Hotcl mich zum Essen setzen
wollte, war wieder Alarm. Näher und
näher kam das Schießen, und von Mund
zu Mund 'ging das Schreckcnsmort:
Monitor. Aber jetzt kamen drei armierte
Boote angefahren, und trotz dem starken
Kugelregen bequemten sie sich nicht so
schnell, umzukehren, Alles rannte mit
Gewehren und Handgranaten hmaus,
ausgenommen die Frauen mit den Kin
dein, die sich auf die rückwärts gedeckten
Zimmer verzogen. Mit gutem" Bei
spiel gingen einige russische Kommuni
sten und Kommunistinnen mit Gewehren
bewaffnet den ttämpfcnden voran; die
weiblichen russischen Gäste fallen na
mcntlich durch ihre kurzgeschorenen
Haare auf. In den Straßen herrschte
natürlich wieder große Aufregung. Auf
der 5ct!cnbriicke waren diesmal vier
Kanonen aufgestellt, die aber nickt
i feuerten, 'da man die Schisse nicht ver
senken, sondern die Meuterer lebend fan
gen will. Ter Kommandant der Flot
tille, der die Unvorsichtigkeit beging, den
Kopf zu weit hinaus zu strecken, wurde
getroffen und so? getötet worden sein.
Nach etwa einer halben Stunde waren
die Ruhestörer" wieder verschwunden.
Wie man nachträglich erfahren hat,
haben ich die Soldaten der Engels
Kaserne gemeutert; die ersten Schüsse
der Gegenrevolution sollen von dort ab
abgegeben worden sein. In der Joseph
ftadt hatten die Weißen" in der Nacht
vom Dienstag auf Mittwoch unter der
Führung von gewesenen Husarenoffi
zieren die Budapest Telephonzentrale
besetzt. Es kam dort zu heftigen Kämpfen,
bei welchen es gegen 70 Verwundete gab.
Die Gegenrevolution mußten sich aber
gegen Mitternacht ergeben. Starke
Patrouillen durchzogen die Gassen bis
Tagesanbruch.
Lange halte man versucht, den Kom
munismus in Ungarn als ein Be
freiungswer? zu fchildcrnund man
zeigte mir, was schön nd gut war.
'Nun ich aber Zeuge der Schreckensherr
schafi war. kann ich nicht anders, als
auch das zu sagen, was ich gesehen habe
und was wirklich geschehen ist. und daS
nicht nur wie die Kommunisten gerne
und immer behaupten in der Fabel
lebt.
Es wäre wirklick höchste Zeit, daß man
in Ungarn eingreifen würde; die jetzige
Regierung stützt sich auf eine verschwin
dend klein: Minorität, die ihre Gewalt
mit Terror aufrecht erhält. Quonsqn
taiidom? . . .
Der Kunsisalon der Königinnen i
Eine eigenartige Ausstellung wurL )
dieser Tage in Paris eröffnet, ll ?
Ncwertrag soll jenen Belgiern zugi ' f
kommen, die durch den Krieg ihr ' I
und Gut verloren haben. Die AuSst V. .'
lung enthält nur Werke, die von Frau? !
aus königlichem Geblüt gemalt U (
modelliert worden sind. Als das schon
-aiio ver Sammlung nennt die Paris
Presse, vielleicht nur um eine . fmff-
BundeZaenossin" aeböria iu Mim.i-? i
ein von der Königin Alezandra v,
England ausgestelltes Gemälde, daS d
Schloß Windsor im hellsten Sonne
schein darstellt. Interessante Rikkni
haben zwei Prinzessinnen, gleichfalls''
Mitglieder deS englischen Königshausk' f
zur Ausstellung gesandt; ei handelt 17 I i
um die Bilder der Herzoginnen von ;
merset und Westminster sowie um de'
Bildnis der Lady Fenton. der Gattin d
im Laufe des Krieges sehr häufig ej '
nannten britischen Admirals. Man ve
sichert, daß auch diese Bilder durch!, '
nicht dilettantisch gemalt seien. Hubs , j
und geschmackvoll soll ein von der Kon '
ein von Rumänien gemaltes Bild sei: -Es
stellt einen von rosa und weißen Bü
ten übersäten Baum, der ein wenig h '(
schneit ist, dar. Nach dem Ausstelluno,i '
schluh in PariS soll der Talon der Ki
niginnen' nach Amerika gebracht und '
ollen großen Städten der Vereinigte i
Staaten gez:igt werden. I
Nimm die Blüten dankersreut. -Die
daS Leben wird bescheeren.
Und wenn ei dir Früchte beut, ,
Mußt du sie geschwind verzehren.
Wäget echt und gleich.
So erdet ihr selig und reich.
, Ii nächtlich Sonne flammt un'I (
Zuckt, und die brechenden Augen spiegel l
sich wieder, in seligem Hemlißtsnn. da r ?
si: Gott g'scheiui. l '
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