Tägliche Omaha Tribüne. (Omaha, Nebr.) 1912-1926, July 08, 1919, Image 6

Below is the OCR text representation for this newspapers page. It is also available as plain text as well as XML.

    t !' 1 WmMMHMtHI IIHIIII
Verheirntet
Bau B.
II
II MMM'MtWftMIMM II MIIMM
(42. Fortsetzung.)
Frau Leach, bei solchen Geegenhei
ün ihre stete Begleiterin, laS mit der
Leuchte ihrer eigenen Erfahrungen in
dem Herzen MadelineS und entdeckte
bald, daß ihr daS sie umgebendn Leben
und Treiben nicht die Befriedigung ge
währte, wie andern jungen Mädchen.
15 War etwas Rastloses in Fräulein
Wests ganzem Wesen? eS schien, all
-suche sie stets mit den Augen nach Je
mand, nach einem Jemand, der nie
!am, nie zu entdecken war!
Madeliae, welche, Lady Rachels oder
Frau Lorimers Gesellschaft bei toei
lern der der schlauen Frau vorzog, die
sich auZ eigener Wahl und Machtvoll
koinmenh.-i! zu ihrer Begleiterin und
Ehrendame aufgewmsen hatte, rüttelte
dergelich an den Fesseln, in welchen
jene sie gefangen hielt, und vermochte
ebensowenig, sich den beobachtenden
Nugen der schönen Wittwe zu entzie
tn, wie es ihr gelang, inmitten des ge
sellschaftlickier. Trubels, der sie umgab,
inmitten alles Glanzes, aller Zerstreu
ungen und Triumphe die Erinnerung
an Laurence aus ihrem Herzen zu der
bannen. .
Madeline empfand ein heißes Miß
behagen, wenn sie an ihn daAte, und
dennoch war sie voll Sehnsucht nach
ihm, so ungerecht, tyrannisch und ab
schkulich er auch sein mochte. Daß er
ernstlich daran denken könnte, sich von
ihr zu trennen, glaubte sie keinen Au
genblick, denn wenn er sie so in vollem
Glänze ihrer Triumphe sah. würde er
sich'S wohl zweimal überlegen, einen
solchen Schatz aufzugeben.
Die Idee einer gänzlichen Trennung
war ihr nie gekommen, besonders, nicht
im Auslände, wo alles ihr so völlig
neu und fremd war. So weit von
Mann und Kind entfernt, war es gar
nicht so schwer gewesen, einen Schleier
über die Vergangenheit fallen zu las
sen und sich wirtlich und wahrhaftig
als Fräulein West zu fühlen. Aber
hier in London, wo sie als verheirathe
te Frau gelebt und den heißen Kampf
um's Dasein gekämpft hatte (welch ein
Kampf war das gewesen!), hier lagen
die Dinge anders. Nun, vielleicht schrieb
sie ihm eines Tages und reichte ihm den
Oelzweig; aber das konnte jetzt noch
nicht geschehen, und inzwischen mußte
sie ihn zuweilen sehen.
Auch der alte West war verstimmt.
Er fand die Hitze und den Lärm der
Stadt unerträglich und klärte, zum
großen Kummer seiner Freundin,
Frau Leach, und einiger andrer Per
Tonen, die ein Interesse an feinemHier
bleiben hatten, daß er willens sei, noch
bor Mitte Juli England zu verlassen
und nach Karlsbad oder in die Schweiz
unp den kommenden Winter nach Biar
ritz zu gehen. ,
Ehe diese Pläne zur Ausführung
gelangten, wollte Madeline Laurence
aber nochmals sehen und rechnete dabei
auf Lady Rachel. Sie wußte, daß ihr
Gatte jeden Sonntag die Tempelkirche
besuchte, und Lady Rachel. ohne eine.
Ahnung der wahren Ursache, welche die
Freundin mit diesem plötzlichen Jntcr
esse an dem ehrwürdigen , Gotteshause
und dem dortigen Prediger erfüllte,
löste zwei SitzplatzbiLets, welche ' die
Damen denn auch am nächsten Sonn
tage benutzten.
Diese etwas erhöht liegenden Plätze
gestatteten einen vortrefflichen ' Ueber
blick über das Mittelschiff der Kirche,
welches von den Bewohnern der der
schiedenen Abtheilungen des Tempels
eingenommen wurde. Die .Herren ka
men einzeln und nicht in der Amts
tracht, wie Madeline halb erwartet
hatte, sondern in ihrer gewöhnlicken
Kleidungund Madeline beobachtete die
Eintretenden mit so gespannter Aus
merkfamkeit, daß' die scharfäugige
Freundin sie leicht mit dem Ellbogen
berührte und fragten .Noch wem
schauen Sie denn so eifrig aus, Mad
die?"
.0, nach Niemand." gab Madeline
nröihend zur Antwort. D alte
Kirche interessirt mich so, daß ich mir
sie ordentlich ansehen muß. Wie viele
Menschen aber keine Sitzplätze bekom
men und stehen müssen."
Jetzt begann die Orgel ihre Stimme
zu erheben, der Chor fiel ein und daS
sitzende Publikum stand auf. In dem
selben Augenblick raunte Lady Rachel
der Freunvin in aufgeregtem Flüster
tone zu: .Dort, sehen Sie, dort kommt
Her, Wynne.".
Natürlich verwandte Madeline kein
Luge von ihm. Ihr? Blicke folgten ihm
bis'zum Ende der Sitzreihe, wo er sich
niederließ. Der Platz war so glücklich
gelegen, daß sie ihn genau beobachten
konnte, obgleich er sie nicht sah, und so
gab sie sich, das Gesicht mit , beide
Seiten vorgehaltenen Händen vor den
scharfen Auqen ihrer Begleiterin schll
hend. ungestört dem Studium seiner
Erscheinung hin.
Er sah gut, wenn auch vielleicht et
was müde und angegriffen aus. Je
denfalls arbeitete sehr' angestrengt.
Er blickte sich nicht wie die ander tu
derKirche um und warf icht einen ein
zigen Blick nach den Sitzplatz der
Damen. Anfänglich schien er zerstnut
cder in Gedanken dnsunken, dann aber
fötale er voll Aufmerksamkeit der Pre
d'gt. die er mit übereinander geschlsze
nta Armen und eine? Miene anhörte.
x
oder ledig? 1 j
M. Crokcr. , ,
als wiege er jeS Wort und unterwerfe
eZ einer krijisctjtn Beurtheilung, als
komme c3 daraus an. die Indizien für
einen zur Verhandlung stehenden
Rechtsfall zu sammeln und zu sichten.
Er sah keineswegs auS, als ob andere,
ferner liegende Dinge ihn beschäftig
ten, im Gegentheil, er war ganz bei der
Sache, hatte allem Anschein nach mit
Vergangenheit undZukunft abgeschlos
sen'und lebte ausschließlich der Gegen
wart.
Als die Predigt zu Ende war und
die Zuhörerschaft durch daS alte Por
tal hinausströmte, blieb Lady Rachel.
sich eifrig umschauend, noch ein Weil
chen stehen. Endlich entschloß sie sich,
den übrigen zu folgen, indem sie ärger
lich und ziemlich laut sagte: Ich hät
te Herrn Wynne gern zum Frühstück
eingeladen, wenn es möglich gewesen
wäre, an ihn heran zu kommen. Aber
sehen Sie. dort geht er hin." setzte sie
verstimmt, ihren Sonnenschirm nach
der Richtung hin schwenkend und ihn
dann mit einem unwilligen Ruck auf
spannend, hinzu. .Dort geht er hin!
Er läßt sich richtig von dem Mädchen
im grünblauen Kleide.,eineIarbenzu
fammenstellung. bei der mir körperlich
übel wird, umgarnen. Und sehen Sie
nur, wie der alte Papa daneben her
läuft und in Wvnne hineinredet. Es
ist wirklich ein Skandal, wie sich diese
Frauenzimmer jetzt den Männern an
den Hals weisen. Uebrigevs irren sich
solche kecken Kreaturen, wenn sie glau
ben, daß sie geheirathet werden. Die
heutigen Männer heirathen lieber eine
Dame vom, Theater, oder aus einer
Singspielhille, oder auch eine kleine
schüchterne Landpomeranze. Was übn
genö Wynne anbetrifft, so ist er Witt
wer, und da seine Frau allem Anschein
nach ein wahres Greuel gewesen ist, so
wird er sich nicht so leicht wieder san
gen lassen. Ah, da steht endlich ein
Wagen! Steigen Sie ein Kind, steigen
Sie ein. Diese trockenen Predigten
machen schrecklich durstig, und ich sehne
mich förmlich nach einer Tasse Thee.
Vierunddreißig st eZ
. Kapitel.
Das Haus am Belgraviaplatze stand
viele Monate leer, während der Jnha
ber von einem Modebade, einem ange
nehmen Orte des Festlandes zum an
dern reiste, um das. zu suchen, was er
Gesundheit nannte, was in der That
aber nichts anderes war als Abwechs
lung, Unterhaltung und Bergügen.
Madenne hatte anfanglich gegen eine
solche lange Abwesenheit gestimmt.
Aber sie bekam fortgesetzt gute Nach
richt über Harry. Laurence beharrte
in seinem, wie sie es nannte. Groll und j
seiner ubeln Laune, und jeder Tag lo
ckerte das Band zwischen ihnen und
schlug Madeline mehr und mehr in die
Banden der gegenwärtigen Verhältnis
se. DaS weibliche Geschlecht ist zu An.
sang der zwanziger Jare noch so weich
und empfänglich für alle Eindrücke, ist
noch so leicht zu formen und zu beein
fluffen, daß Madeline zeitweise die
Vergangenheit ganz und gar vergessen
konnte und es ihr fast -vorkam, als sei
sie nie etwa; andres gewesen, als der
sonnige Schmetterling, der sie jetzt war.
Erwachte ihr Gewissen dennoch dann
und wann und machte sie sich des Kin
des wegen Vorwürfe, so beruhigte sie
sich ebenso schnell wieder damit, aß sie
es in guten Händen wußte. Sie sagte
sich, daß andre Familien ihre Kinder
immer bis zum vierten Jahre auf's
Land aeben, und arrv war erst zwer
Jahre alt. Was Laurence anbetrafso
lebte sie der festen Zuversicht, er werde
mit der Zeit zur Vernunft" kommen.
und so gerieth der Gedanke, den Va
ter von ihrer Verhej.rathung zu unter
richten, mehr und mehr in die Rurnpel
kammer ihres Gedächtnisses und tauch
te immer seltener daraus empor.,
Gegen die Weihnachtszeit langten
Herr und Fräulein West mit Gefolge
in Diarritz an und stiegen im größten
rnd feinsten Hotel ab. wo sie die besten
Zimmer deS ersten Stockwerks in Be-
schlag nahmen.
Sie fanden den Ort bezaubernd.
Madeline liebte die See, die großen,
breiten, heranrollenden Wogen des At
lantischen Ozeans, die baskische Spra-
che, die fast bronzefardigen halb sparn
schen Bewohner, und ihr Vater sand
die Gesellschaft, das Kasino, die wel
lenförmigen Dünenketten des Mcerbu
senS sehr angenehm.
Eines Tages landete 1 in demselben
Hotel ganz unerwartet, mit einer Un-
zahl von Koffern und Reisekorben und
einem Kammermädchen, auch Frau
Leach. Sie sah sehr hübsch aus und
war entzückt, hier so ganz zufällig"
mit ihrer liebsten Madeline und dem
lieben Herrn West zusammenzutreffen
Sie hatte gehört, die beiden wären in
Pau, und fand sie nun zu ihrem größ.
ten Erstaunen hier. Madeline war,
wa? daS Schreiben anbetraf, ein sol
cheS boseS Madchen und als Korre
spondentin daS unzilverlässigste, was
man sich denken konnte.
Der Wahrheit zur Ehre müssen w.ir
sagen, daß Fräulein Wst viel darum
gegeben hätte, die anhängliche Witoe
abschütteln zu können, und sich des
halb ziemlich schweigsam verhielt.
Dennoch hatte tet Tome in kaum
acht Zsgenihre frühere Herrschaft über
Tägliche
dm alten Herrn wiedergewonnen. Ihr '
sanfte, angenehme! Wesen, ihre aus,
drucksvollen Augen, ihre ganze stattn
che Erscheinung, der einschmeichelnde
Ton ihrer Stimme übten auf'S neue
eine unwiderstehliche Macht auf ihn
aus. Er hatte die Dame beinahe der
gkssen gehabt, und nun, schon nach drei
Tagen, war er wieder, und zwar mehr
als je, ihr ergebenerSklave. Da Wer!
männlicher Eitelkeit und weiblichen
Willens! Sie schmeichelte und er glaub
te-nur zu gern.
So erschien es denn bald als eine
selbstverständliche Sache, daß die Da
me bei jeder der täglichen Spazierfahr
ten neben Madeline im Fond deS Lan
daueri saß. und daß ihre Dienerin
ungeheißen Umhanz und Sonnen
schirm an den Wagen brachte, als fei
eS der Wagen ihrer Herrin. Diese
Herrin theilte außerdem Fräulein
Wests Salon, npfing dort ihreFreun
de. schrieb und arbeitete in dem Ge
mache, laö alle Zeitungen und Bücher
der Wests, theilte ihre Mahlzeiten tm
Speisefaal und gestattete dem alten
Herrn (dieö aber ohne MadelineS Vor
wissen), auch ihre Hotelrechnung zu be
gleichen. Ein kleines Arrangement,
das wenige, eineS Abends auf dem
Balkon geflüsterte Worte zu Stande
gebracht hatten.
So war denn das Leben, der hub
schen Wittwe auf's innigste mjt dem
der Familie West verkettet i und ver
tsebt. Sie war ia alle Einladungen,
die Madeline und ihr Vater empfin
gen. ebenso mit Inbegriffen, wie in ih
ren Ausgaben, und jeden Tag nach der
Hauptmahlzeit saßen die beiden, sie
un der alte Herr, allein in einem klei
neu lauschigen Zimmer oder auf der
Veranda, wo er seine Zigarette rauchte
und seinen Kaffee schlürfte und sie ihn
mit allerlei Histörchen und kleinen pi
kanten Geschichten aus der Gesellschaft
auf's beste unterhielt. Auch über ihre
eigenen Angelegenheiten machte sie ihm
vertrauliche Mittheilungen.
Hätte sie ihm allerdings ihre wahre
Lage enthüllt, so würden ihm seine,
wenigen Haare zu Berge gestanden ha
den. Thatsache war, daß sie mit ihren
Hilfsquellen und ihrem Witz vollstän
diq zu Ende war und in dem reichen
Australier" ihre, letzte Hoffnung, ihren
letzten Rettungsanker , erblickte. Seit
Jahren hatte sie über ihre von Haus
aus nur bescheidenen Mittel gelebt.
Der Betrag ihrer unbezahlten Schnei
derrechnungen würde selbst den alten
West erschreckt haben. Allen Bckann
ten war sie Gld schuldig, ihre Gläu
biqer fingen an, sie zu drängen, die
Einladungen der Freunde fingen dage
gen an, weniger dringend zu werden
und die Familie ihres Mannes küm
merte. sich schon lange nicht mehr um
sie. Gelang eö ihr aber, sich im Her
zen und im Haufe Robert Wests fest
zusetzen 7,d seine zweite Frau zu wer
den, so lag ein neues, schönes Leben
vor ihr, und der Ansang war verspre
chend genug! -
Freilich ließ sich nicht leugnen, daß
Madeline, obgleich stets liebenswürdig
und höflich, eine sehr kühle Haltung
ihr gegenüber behauptete, und die kluge
Frau vermochte sich diese Veränderung
nickt zu'erklären. aber war sie nur erst
Madelines Stiefmutter, dann sollte
jene Ursache haben, eine Veränderung
zu empfinden! Jeden Abend, wenn die
Wittwe den Aufzug betrat, um sich in
ihr höher gelegenes Nest hinaufbesör
dern zu lassen, sagte sie zu sich selbst:
.Morgen wird er sich erklären!" Leider
aber gingen eines Abends alle diese
schönen Träume und Pläne in Trüm
mer. Das Gespräch hatte sich dem Lieb
lingsthema des altenWest, seiner Toch
ter, zugewendet.
, Sie hat mich so gut durch die ab
scheuliche Krankheit im vorigen Win
ter hindurch gepflegt, und das werde
ich ihr nie vergessen," sagte er. .Man
hätte meinen sollen, sie sei daran ge
wöhnt, Kranke, ja sogar kranke Män
ner zu pflegen, so vortrefflich verstand
sie sich darauf! Wenn sie mal heira
thet, werde ich sie sehr vermisst."
Aber dazu ist vorläufig, wie S
scheint, keine Aussicht," enkgegnete
Frau Leach in halb fragendem Tone.
.Nin, sie zeigt sich bis jcht sehr we
nig geneigt dazu. Sie findet ihr Ver,
gnügen daran, zu reiten, zu tanzen, zu
lachen und sich zu unterhalten, zeigt
aber einer, der jungen Männer ein
wärmeres Interesse, so zieht sie sich sro
ftig zurück. Ich fürchte, sie spricht im
Ernst, wenn sie behauptet, sie würde
gar nicht heirathen. Wie viel Mühe
hat sich nicht schon Lord Tony um sie
gegeben."
,O, glauben Sie nicht, daß er jetzt
bis über die Ohren in Fräulein Pa
aus New Fork verschossen ist?"
(Forksetzung folgt.)
Im Eifer. Professor: Gar
nichts wollt Ihr lernen! II babe zu
meinen Zeiten die Griechen und Römer
mit Haut und Haar btitäUnatnl"
AuSnahmepretS. LN
derhändln: .Ich will Ihnen dieses
Gemälde fix 100 Mark lassen."
Herr (der schwerhörig ist): .Lierhun-
dert Mark rst mir zu ich gebe
2bi.300 Mark!" BUderdans
Iet: .Meinethalben denn, weil
Sie eS sind!
t- Nach dem Manöver.
Hauptmann: .Sie waren gestürzt,
Herr Leutnant? Leutnant: .Ja.
Herr Harptmann." Hanptmann:
.Wie sind Sie den gxfaÄn?"
Leutnant: .Auf den spf, Herr
Havtmsnn." Hssdtman: .So!
Vsde jtsLjttö tvsa
Omaha Tribune,
Sas Abcntcntt.
Novelle von Curt Moreck.
Hvv mt
Lanns Wolmcrod hatte die
Freundin, mit der er einige Früh
jahröta'ge in dieser vicljach gespie
gelten Wunderstadt Venedig ver
bracbt, zur Bahn bc-gleittt, sich von
ihr Aochmals mit allen Lemzen des
sbedauernS verabschicdct und dem
entrollendm Zuge nachgewinkt,
UMe dann dem leeren iöelelje den
glucken und schritt über dcs Äahn
Hofs breiten Vorplatz. Ein merk
würdiges Gefühl dejchlich ihn nun
nach dieser Trennung, die er sich so
leicht gedacht. Nicht zum criun
mal trennte er sich von einer Frau
nach einigen schönen TaseiiisslUttden,
aber niemals hatte er diese Verein
samung und Traurigkeit empjun
den. Äar es etwa die Atmosphäre
der Stadt, die ihn so bedrückte?
Hing auch das etwa mit der merk
würdigen bzistcnz öle,cr zersallen.
den Stadt zusammen, daß er gestern
der Freundin jene sonderbare Äe
gegnung in der heimatlichen Ltadl
am Vorabend seiner Abreise er
zählte? Er war spat aus dem
Theater heimgekommen und hatte
in der Türmjche eine vom Later
ncnlicht unbestimmt beleuchtete Ge
stalt kauernd gefunden. Zunächst
dachte er, es mit einem Trunkenen
zu tun zu haben; erst als er sich um
den Fremden beschäftigte, sah er,
daß es ein kranker, wenn nicht gar
ein toter Mann sein müsse. Ein
Polizeimann war gekommen und
ließ den Unbekannten dann fort
schaffen. Unter einen: Lichtstrahl
hatte Wolmcrod noch gesehen, daß
an 6es Fremden taufeuchter Schläfe
zitternd ein kleiner Spinnenkörper
haftete, den der Wachmann mit er
ner kurzen Handbemegung weastrich.
Tiefe Beobachtung hatte Wolmcrod
damals bestürzt und seltsam ergris
sen; etwas Geheimmsvoucs dunk
ler Zusammenhänge witterte er in
dieier Erscheinung, die an sich nicht
einmal ungewöhnlich war. Und ge.
stern, bei der Erzählung, hatte rhn
dasselbe wieder mit UnHeimlichkeit
erfüllt. Wie eine Vision war ihm
manchmal die Spinne an dcr Schla
fe erschienen. Warum überhaupt
hatte er gestern zu dcr Freundin
davon gesprochen? Es war etwas
wie innere Angst, die ihn dazu ge
zwungen. Aber war es schließlich
ein Wunder, daß alles Unklare und
Geheimnisdunkle in dieser Stadt Ku
einem schattenhaften Leben aufer
stand?
HannZ Wolmcrod war nachdenk'
lich stehen geblieben. Nun rief er
einen Ruderer an, daß er ihn zu
icinem Quartier an der Zattere, der
lonnlgen Uierstraße des Giudeccaka
nals, zurückbringe. Nachtmahlen,
dann Einlegen und ausschlafen für
den nächsten Tag, so hatte er es sich
gedacht. Aber dmm glaubte er,
daß ihm daS mit dieser prickelnden
Nervosität im Körper, dieser grellen
Wachheit im iseiite doch nicht ge
lingen werde. Als das Boot durch
den feuchten Schatten der Nialto
brücke geglitten, wac ihm sein Enfr
schlug . bereits leid, und als der
große 'Kanal sich am Ende der
Stadt össnete, die dunklen, durch
brochenen Fronten dcr Paläste m
rücktraten und auf dem erbreiterten
Wasser das selige Rosenrot des
Himmels schwamm, da hieß er den
Rüderer, abzuliegen und ihn bei
Wßrtrrti im IftwSo
. UHV 0 fc 4UHVVtii
Er überschritt den mäßig beleb
ten Platz, zeigte erst die Absicht, sich
dem Gassenmirrsal der inneren
Stadt zuzuwenden, bog aber dann
nach rechts ab. ging über den ans
ten Bogen einer kleinen Brücke und
suchte das User wieder zu erreichen
Auf der Riva degli Schiavoni ange
langt, verlangzamte er angesichts
des unwirklich schönen Blldcö, das
sich rhm bot, seinen Gang. Und be
nommen vzn einer wirklichen Feier
oer Minute viiev er lteyen und ver
weilte, schauend den Blick nach ' der
Lagune gerichtet, die unbewegt das
hlmmlizche Feuer des Sonnenun
tergangs trug. Die Lust war von
gläserner Durchsichtigkeit. Auge
strahlt von dem Brennen der Feo
nen erhob sich mit erhabenem Kup
peljchmung Santa Maria della Sa
lute über die flache- Landbank und
aus der zärtlichcn Umarmung der
errötenden Flut, Hinter Venedig
sank die L,onne: am Himmel be
zeichneten gleitende Strahlen die
Stelle ihres Lerjcheidens, und schon
schwammen werdide Sterne in der
ausgrauenden Dämmerung des
Ostens. Ter Entzückte, Berauschte
atmete den reinigenden keuschen
Atem, der vom offenen iKtm her
über den Lido und die Lagune die
Stadt anwehte, Erst als dcis allge
meine Erglühen zu erlöschen bfr
gann, fetzte er seine Wanderung am
User entlang gegen den Volkspark
hin fort, aber ehe er dessen Eingang
erreicht hatte, wandte er sich wieder,
ziellos und ".unbestimmt, dem Molo
zu. Er begegnete Fremden, das
Handouch in der Hand oder von ei
nem schreienden Führer begleitet
Ein Sonnenunteraanz stand o gut
in ihrem Programm, als die Mo
saüen von San War und baS
HauS der Tesdemona. Ein junger
Mann lehnte an einer Mauer und
zeichnete die Umrisse von San Eior-
a a Maaaiore m em graues i,z
zenbuch. eifrig, fleißig und ohne
Ergriffenheit. Ter Wandernde ge
langte abermals auf den Tomplatz;
die beiden Säulen am Molo hoben
ihre Knaufzicr in die dunkelnde,
blasse Luft. Er fühlte sich leicht er
müdet und war dennoch nicht ge
willt, sich wicdcr dcr beunruhigen
den Enae eines Fahrzeugs aiizuuer.
trau:, diesem Schweben und Glei
ten hinzugeben. daS über fielen.
Dunkel und Echcimnisse trug. Durst
trocknete seinen Gaumen, und er er
innerte sich, daß er seit dem Lunch
nichts mehr genossen und die Stun
de der Abendmahlzeit bereits nahe
gerückt sei. Trotzdem war er un
lustig, in sein Hotel schon- zurückzu
kehren.. Er dachte es spät zu tun
und dann köstlich und kurz zu ru
hen. In einem Kaffeehaus an der
Piazza nahm er hinter einern klei
nen Tischchen Platz und ließ sich ein
Glas Limonade bringen, das er
langsam und wohlgesällig durch den
Halm leer sog. Tarauf bestellte er
einen ztarken, aromatischen iror
und entfernte sich, als er die Zeche
bezahlt, nach dem Inneren der
abenddunklen Stadt hin.
Er verfolgte dm engen Lauf ei
niger Gäßchcn, ohne zu fragen, wo.
hin sie ihn sührten, überschritt ein
paar Brücken, ' die über schmalen,
schmutzigen Kanälen lagen, welche
unbelebt und totenstill waren und
nur vereinzelte Lichtflecke von klei
nen erleuchteten Fensterluken tru
gen. Leere Fensterlocher, dunkle
Türbogen klafften in dem gedräng
ten Mauerwerk und ließen Schmutz
und Unredlichkeit im Innern ver
muten. Ganze Inseln faulender
Abfälle und Gemüselaub trieben auf
dem Wa scr. Eme Ga,se glich der
anderen uild bald kannte der Um
herschlendernde sich nicht mehr aus,
schritt aber denen ungeachtet scheu-
los ins Ungewisse hinein. Verschie
dentlich nahm er sich vor, den ersten
ihm Begegnenden anzuhalten und
sich zurechtwenen zu lasen, aber
dann schenkte er dem Aussehen deS
Elitgegenkommenden kein Ver
trauen, oder es entschwand einer,
ehe er ihn erreichte, in einer Tür.
Furchtlos und mu der Gewißheit.
auf seiner Wanderung endlich in ein
bckgnnteS Viertel zu gelangen, ent
schloß er sich, weiter vorzudringen in
den steinernen Irrgarten dieser
Stadt, die, on Wasser umgeben, von
ihm durchädert war.
Die Laternen flackerten in der ge
ballten Dunkelheit der Straßen. Sie
drohten jeden Augenblick 'zu erlö
schen, obschon kein Wind sie anblies.
In einem vecheckten Hofe heulte ein
Hund. Endlich, als des Wandernden
Hoffnung, aus einer bekannten Stelle
auszukommen, ihn täuschte, zeigte er
doch das Bemühen, irgendwo das
User oder wenigstens den großen Ka
nal zu erreichen. Von neuem durch
schritt er sich unvermutet öffnende
Gassen, imzncr enger und dunkler,
überquerte stille, schlechtbeleuchtete
Plätze und kam bor die verichlojienen
Portale unbekannter Kirchen. Nach
einigen weiteren Winkelgängen ge
langte der Umherirrende in eine
Straße, an deren Stelle ehemals ein
Kanal mit seinem Wasser die Fugen
der Hausersockel ausgeipult zu haben
schien. Sie war schlecht gepflastert,
und es zeigte sich lern Menjch in ihr;
als aber der Suchende ihr nachging,
führte sie ihn auf den Vorplatz der
ihm nicht unbekannten Kirche I Mi
racoli ganz im Nordwesten der
Stadt, in dem Teile, der der Be
gräbnisinsel San Michele zuliegt.
Von hier aus glaubte der Beruhigte
sich zurechtfinden und, indem er sich
links hielt, den großen Kanal in der
Nabe der Rialtobrucke gewinnen zu
können. Die Gegend um die Fon
dace bei Turchi und die Fondace bei
Tedeschi, die nahelagen, war ihm
wohlbekannt. Auf sie hielt er zu, m
dem er sich von einem Gassenlauf auf
nehmen ließ: ober da sich am Ende
desselben rechter Hand ein verlasse
ner Kanal osfnete und btt Gasse zur
anderen Seite ihn auS der Richtung
bringen mußte, ihm aber keine Wahl
offen ließ, denn keine Gondel zeigte
sich auf dem Wasser, und kein Ge
rausch oder Ruf verriet die Nähe einer
solchen, so sah er sich bald wieder
mißleitet und der, Möglichkeit, sich zu
orientieren, beraubt. Von dem plan
losen Schlendern fühlte er sich zudem
noch ernstlich ermüdet, so daß er den
Wunsch hatte, m (Im Hotel zurück
zukehren, wo Ruhe seiner wartete,
Ruhe und Ordnung. Auch war wie
ber ein heftiger Durst in ihm aufge
kommen. Es war spat; zu welcher
Ttllnde wuhte er nicht. Er zog die
Uhr, ober das armselige Flackerlicht
ließ ihn die Ziffer, die der Zeiger
wies, nicht erkennen. Wohl hatten
die Uhren der Stadt' von den Glok
kentüimen herab die Zeit angesagt,
aber er bcAtt die Schläge nicht ge
zahlt. Einmal hatte er gemeint, die
erzenen Hämmer der Giganten am
Uhrturm dröhnen zu hören.
Sinnend, wie heimzukommen, und
dem Gedanken, den Weg zu erfragen.
nicht mehr abhold, sand er sich au
einem unter gelbtrübem Licht lieaen
den, einsamen Platz. Zwischen den
Firsten der ungleichen Häuser, die den
stillen Platz umrahmten, stand ein
Stück Himmel mit einem Nebel von
Sternen und Sternchen. Hinter deni
Fenstern der Giebel schien alles schla
send. Wolmerod schaute sich in der
Runde um. ob niemand zu erspähen
sei, und gewahrte im Erdgeschoß eines
Hauses, in der Mündung einer Gasse
halbversteat, dort allein, von aden
gedämpft. Licht hinter den Scheiben.
Im Oberlicht der offenen Tür
brannte eine Lampe mit zerbrochener
roter Scheibe und warf auf ein ün
leserlich gewordenes Schild flackernden
Schein. Nahertretend, erkannte ver
Verirrte, daß er sich vor einer Trat
tona befand, und war ent chionen,
einzutreten, sollte sie auch, wie zu ver
muten war, niedrigsten Ranges sein.
Ueber die Schwelle, in einen unbe
leuchteten,' übelriechende Flur tre
tend, wandte er sich um und wars
einen flüchtigen Blick am finsteren
Giebel des gegenüberliegenden Baues
empor. Es war ein unwohnbar ge
wordener Palast mit abgebröckelten
Balkönen.
Aus dem Gastzimmer drangen ihm
Stimmenlärm und Mandolinenge
tlimper entgegen. Der Raum war
eng 'und mit rohen Holztischen und
Stuhlen ausgestattet; aus die jchmut
zigen Wände hatte Geschäftssinn eine
derartige Menge von grellen Rekia
mebildern geheftet, daß der abgeblät
terte Kaltvewurf nicht einmal ent
behrt wurde. Auf dem Schanktisch
verdunsteten , Reste vergossener Ge
tränte und Ueberbleibsel m schmieri
gen Gläsern, auf einer quer gcfpann
ten Leine war Trockenwäsche aufge
hangen. Hinter einem Tisch nahe
dem Ausaang lieg Wolmerod sich
nieder und verlangte bei dem verwun
dert hinzutretenden Wirte Wein. Er
wollte ohne Aufenthalt trmlen und
dann den .'zu nehmenden Heimweg
erfragen. Als er Flasche und Glas
vor sich stehen, auch schon des met
reren davon getrunken hatte, und es
nun aufzubrechen wohl an der Zeit
gewesen wäre, da empfand er mit
übermüdetem Körper das Ruhen und
Sichmchtbewegenmlljfen so wohltueno,
daß er es jäh abzubrechen nicht, ver
mochte. Noch eine kurze Weile ge
wahrte er sich. Er war bei seinem
Eintritt nich: willens gewesen, den
Anwesenden irgendwelche Ausmerk
samkeit zu schenken. Nun bemerkte
er mit einem leicht hinfchweiscnden
Blick, daß außer ihm nur noch eine
Trinkerschar um den benachbarten
Tisch versammelt und der ilcaum im
übrigen leer war. Lärm und Musik
dauerten fort, obschon die Tischrunde
nicht groß und das Genojfene nicht
überreichlich auf sie verteilt schien.
Sie bestand aus zwei Männern, die,
nach dem wetterfesten Pergament
ihrer an Gesicht, Brust und Armen
sichtbaren Haut und ihrer Kleidung
zu schließen, wohl Ltuderer sein moch
ten, ebensoviel Burschen, die dem
sorglosen Behagen des Müßigganges
ergeben schienen, und einem Knaben,
einem von jenen, denen man nackt
beinig, flink, bedingungslos, schön,
schmutzig und unverschämt auf den
Kais und den Stufen der Brücken
lungernd, auf der Piazza die Frem
den bettelnd umhüpfend, überall in
der Stadt begegnet. Dieser hier war
vielleicht etwas schöner, da in Ruhe,
etwas bewundernswürdiger, da in
dieser üblen Umgebung. Er saß
zwischen zwei Mädchen und trank aus
ihren Glasern, lniff sie übermütig
durch das dünne Zeug ihre roten,
fleckigen Blusen in Arme und Schul
tern und lachte, wenn sie auftreisch
ten und nach ihm schlugen, daß die
Lippe sich ihm von den Zähnen schob
und die weißen Zahnreihen blendend
hervortaten. Traf sine ihn, so fuhr
seine bebende Hand in ihr braunes,
zersaustes Haar und riß sie daran.
Trotzdem schien seine Rauheit den
Mädchen nicht unbillig, denn sie lach
ten schreiend und forderten seine Aus
gelassenheit von neuem heraus. ' Das
eine derMädchen, nicht unschön, rassig
und ledhaft, trug um den bloßen,
sauberen als eine lange, dreifach
geschlungene Amethystkette, die, wenn
auch unecht, sonderbar und märchen
haft zu ihrer sonst armlichen Klei
dung stand.
Wolmerod hatte mit Hinsehen nach
der Gruppe, die ihn fesselte,' eine
Weile verstreichen laffen, und feine
Aufmerksamkeit war nun auch dort
nicht unbemerkt geblieben. Xtx Bur.
sehe, der bisher die Mandoline ge
handhabt hatte, hörte mit Spielen
auf. erhob fein Glas gegen den Frem
den unv trank ihm, wenn auch nicht
mit vollem Ernst, so dennoch in der
gewohnten Form zu. Wolmerod, von
diesem Einfall verblüfft und in Aer
wuruna gebracht, antwortete in der
selben Weise, nahm sich ber sogleich
vor, der Gesellschaft weiterhin keine
!!.:achtunz zu schenken und sich un
auffällig zu entfernen. Aber bereits
hatte der Knabe das Vorgefallene
wahrgenommen und wollte nun hl
nerseits sich mit einem Streiche her
vortun. Also schwang er sich auf die
Bank, auf der er gesessen, umfaßte
den Hals eines der Mädchen, grüßte,
den Becher in der Hand, gegen den
Fremden, indem er ein zischendes
Dialeltwort über - die Lippen stieß,
und trank. Wolmerod mußte über
dieses Gebaren lächeln, und seine
Miene mußte wohlgesällig gewesen
sein, denn nun wandten sich auch die
übrigen ihm zu. lachten ihn unbefan
gen on; eS schien dem KreiS die An
Wesenheit des vornehmen Gastes zu
schmeicheln. Es wurden Worte laut.
die diesem galten; eine andere Spra
che war z, zu der sie M fcinew&Aäbea raochtcn. der zerMeu roar
'1
bemühten, wenn auch nch untermWl
mit den Lauten venezianischen Dm.
leiies. uri, 5"""'..-""
bisher den Rücken zugekehrt, ruckte
beiseite, und von Tisch zu Tisch war
in, Ll'kbinduna aeickasfen. Wlt eS
i miibt Wolmcrod nicht, aber
plötzlich überraschte er sich dabei, wie
er auf einen Zuruf von dort antwor
tete. Stumm zu. bleiben, schien ihm
eine herausfordernde UnHöflichkeit.
AIs nach einigen Minuten einer der
Männer aufstanv, auf ihn zutrat uno
ihn, ohne zuoringlich zu erfcheinen,
bat. an ihrem Tische Platz zu nel
men. da machte ihn diese Tatsache
keineswegs staunen; auch nicht, daß
er sich darauf erhob, selbst sein Glas
und die Flasche ergriff und an den
Platz, der zwischen dem übermütigen
Knaben unv dem Mädchen mit der
falschen Amethystkctte freigemacht
war. niedersetzte. Ja. mehr noch er
fand iin Laufe dcs nun entstehenden
Gespräches, das von Lustigkeiten
durchsetzt war, die ihn lachen mach,
ten. wirklich Gefallen an der emfa
chen und heiteren, unbefangenen und
gewitzten Art dieser ärmlichen, unbe
kannten Menschen, die ihm namenlos
waren und blieben und nach dieser
Nacht sür ihn wohl auf immer wieder
in der Vielseitigkeit dieser unHeim
lichen Stadt verscbwindcn würden.
Er bewunderte sich selbst, daß er sich
diesen, die der Welt Elende und Wer
ächtliche hießen, ohne Mißtrauen ge
nähert hatte. Er war nahe daran,
in sich eine neue Liebe sür die Ar
men und Unbeachteten zu entdecken.
Aber er hatte über dem Sprechen
und Zuhören, der Zerstreuung und
Verwirrung oftmals das Glas ge
leert, ferner, in ein angestimmtes
altes Lied vertieft, nicht bemerkt, daß
der Wirt die leere Flafche gegen eine
frische ausgewechselt, der er nun zu
sprach. An maßlosen Genuß nicht
gewohnt, fühlte er seine Stirn heiß
werden und in den Schläfen das Blut
klopfen. Trotzdem dachte er nicht cm
Mp Rausch. Während ihm die Dinge
vor Augen manchmal verfchwam
men, hörte er das Gesprochene deut
lich und war sicher imstande, es aus
zunahmen, darauf zu reagieren. Auch
war sein Korper gegen jegliche Beruh
rung überaus empfindsam und fühlte,
daß einmal die Hand des Knaben
leicht auf feiner Schulter ruhte, ein
andermal das Mädchen nahe und
warm an ihn heranruckte, den Kopf
herausfordernd zu ihm bog und mit
dem braunen Haar seine Wange be
rührte. Ueber alledem war das Ge
ton der Mandoline, bald naher, bald
ferner, füß, lockend, schmelzend, lieb
lich und dumpf. . '
Der Berauschte wußte, daß' er sich
m't den anderen erhob, daß er seine
Börse zog und zahlte, was der Wirt
ihm abverlangte, obschon es ihm über
boten schien. Zwischen den beiden
Mädchen stand er auf der Schwelle,
uver die srijch und kaltend die dunkle
Nachtluft drang, während die ande
ren schon draußen über den Platz,
vorausschritten, und ihm fiel ein.
daß er vergessen habe, den Wirt nach
seinem Heimwege zu fragen. Aber
bequemer wollte es ihm dünken, so
geleitet zu sein, und er dachte an den
trunkenen Alkibiades, der zwischen
zwei Flötenspielerinnen zum Gast
mahl das Agathon kam. Wohin
ging es? Durch den Rausch und die
Nacht einem neuen Tage entgegen.
Er lachte in sich hinein, denn er
dachte, daß etwas Besonderes an die
lem neuen Tage sein müsse. Und
sorglos überantwortete er sich dem
weichen, zarten Geleit der beiden
Mädchen, die Arme ausgestreckt und
über ihre warmen Schultern gelegt,
die Amethystkette mit der rechten
Hand umschließend.
Ein Ruderer, der in frühgrauer
Stunde an seiner entlegenen Land
stelle anlegen wollte, fand auf den
schlüpfrigen Stufen eines Höusein
ganges den nächtlich Verirrten zusam
mengesunken und scheinbar schlafend.
Die Stellung des Ruhenden, dem
Wasser so nahe, wollte dem Gondolier
bedenklich und nicht .ohne Gefahr
scheinen. So näherte er sich ihm
denn und rührte ihn an, ihn zu wek
ken. Aber der Schlummernde schien
nicht gewillt, von seinen Träumen in
die wirkliche Welt zurückzukehren.
Weder Anrufe noch Rütteln störte
ihn. Ein Griff nach seiner Hand
überzeugte den um ihn Beschäftigten,
daß die Nachtluft ihn vollständig er
kältet. Als sich weitere Dienstbereit
einfanden, versuchte man ihn aufzu
richten, aber seine Gestalt, Leichen
blässe im Gesicht, brach haltlos schlaff
in sich zusammen, uno es erhellte sich
jenen, daß sie es hier weder mit einem
Trunkenen noch mit einem Schläfer,
wohl aber mit einem Nimmererwa
chenden zu tun hatten. Einer, der
seinen Kopf hob und daö Haar an
der befeuchteten Stirn zurückstrich,
glaubte an der linken Schläfe ein
Tier zu gewahren, .das wie ein klei
ner. rötlich glänzender Spinnenkörper
aussah und trotz der Berührung fest
haftete. Aber der kleine Punkt er
wies sich als der rote Glasknopf ei
ner lener langen cavein, wie .sie bet
niederem Volt zum Zusammenstecken
des Schultertuches in Gebrauch sind.
Ter spitze Nadelfchaft aber war mit
Wucht durch die Schläfe getrieben.
Zwischen den zusammengekrampften
Fingern der einen Faust bewahrte der,
Tote ein paar unechte AmethyststeZne,
die einem Halsschmuck angehört, ha