Tägliche Omaha Tribüne. (Omaha, Nebr.) 1912-1926, May 17, 1919, Image 6

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    Tägliche Omaha Tribüne
NatiOnalitäten und Nassen.
TaZ Alter und die Allgemkinkixit der
ZtNtionnlitütrnbeivegungen.
Die Wcllenfolgc im Strom der Ge
schichte ist nicht aus. menschliche Zeit ge
stellt; wie mag man, da Jahrhunderte
nach politischen Merkmalen benennen?
Ich sehe nur Trübung der Einsicht in
den wirklichen Berlauf der Dinge in der
Bezeichnung des 38. Jahrhunderts als
. Jahrhundert der Aufklärung, oder bei
39. als Jahrhundert der Nationali.
taibbewegungen. Nicht darum , etwa
möchte ich solche Namen beanstanden,
weil eine große Bewegung mitten in
ein Jahrhundert fallen kann und eine
andre in die Wende zweier Jahrhun
dcrte, so wie etwa die großen Länder
und Mceresentdeclungen von 3492 bis
1321 oder die französische Revolution,
wo , man dann ganz richtig von dem
. Jettauer der Entdeckungen und . von
dem Revolutionszeitaltcr spricht; fon
dern weil ich bedenken mutz, wie klein
ein Jahrhundert in einer so großen Be
wegung wie das ichausringen eines
Volles ist. Tie modernen Natwnalita
lenvewegungen yaoen allerdings am
Ende des 19. Jahrhunderts kräftig sich
zu regen begonnen und politische Gestalt
angenommen; es ilt bekannt, wie die
unkluge Siaatseinheitspolitik - Josephs
des Zweiten sie m Oesterrnch und Un
gärn aufgerüttelt hat und wie. die
Beschäftigung mit den kleineren, ge
fchichtlich weniger hervortretenden Wl
kern, die man spater die .interessanten
zu nennen pflegte, mit Percy, Herder
imd anderen Mannern anhub, die tief
tni 1. Jahrhundert wurzeln. Die Be
wegung strahlte nach allen Seiten hin
aus, traf hier auf Griechen, dort auf
Katalanen, an einer anderen Stelle auf
Finnen, politische und wissenschaftlich
liierarische Anregungen weckten damals
schlummernde Bolkchen erst aus und aa
den ihnen das Bewußtsein selbständigen
Äbens; und im 39. Jahrhundert haben
dann allerdings die beiden so energisch
zusammengearbeitet, da man der Wis
fenfchaft den Borwurf machen konnte, sie
habe eme Reihe von Natwnchen erst
mit einem übertriebenen Gefühl ihrer
Bedeutung ausgestattet, und einzelnen
Gelehrten ist sogar das zweifelhaste
Verdienst zugesprochen worden, daß sie
kmer neuentdecktcn kleinen Nation eine
Kultursprache' erfunden hätten. Wahr
daran ist, daß das politische Interesse an
den Nationalitaten die wissenschaftliche
Tätigkeit immer wieder angeregt hat
und ungefähr seit 18o0 Sprachgrenzen
; und Sprachgebiete eingehender erforscht
wurden und die Geschichte kleinerer Sich
ker Süd- und Ofteuropas erst aufgehellt
worden ist. Vergessen wir aber doch
über solchen Zeitbestimmungen nicht,
daß die erste Nationalitatenbewegung
der Tschechen dem Eindringen Mittel?
europäischer Kultur seit dem 14. Jahr
bunden folgte, daß sie nach Ottokars'
Tod deutlicher hervortrat, und daß sie
schon damals ihre politische, religiöse
und literarische Seite hatte. Nationalen
Charakter hatten die Kampfe der Deut,
fchen und Wenden, der Angelsachsen und
steuert, der Spanier und Mauren. So
lange es Volker g-cht, die sich ihres
VolkZtumS bewußt sind, stoßen sie auch
in nationalen Kämpfen zuammen. Un
ter wirtschaftlichen und religiösen Ge,
ensätzen verbergen sich zuerst die natio
lcn Abneigungen, und erst die Pslege
der Volkssprache und der Geschichte,
der Volksliteraturen und der AMtü
mer läßt die letzteren jene Hüllen ab,
streifen und scheint die nationalen Ge
gensätze für eine Zeit gleichberechtigt ne
ben bis kirchlichen, wirtschaftlichen und
in politischen stellen zu wollen. War
nicht schon die römische Politik gegen
über unterworfenen Völkern streng na
tional? Das Römertum' wurde als et
was Höheres betrachtet, das nur als
Ziel einer längeren politischen und kul
turellen Entwicklung erreicht werden
konnte. Nur dem Griechentum, von
dessen kiüturlicher Überlegenheit man
sich nicht befreien konnte, gestand man
immerhin auf nichtpolitischen Gebieten
sine gewisse Gleichberechtigung zu, und
Griechisch konnte neben Lateinisch als
eine Rcichssprache' - angesehen wer
den. Wenn auch in einem großen
Land wie Gallien römische Bürger
kolonien eingerichtet wurden, die gleich
sam kleine Nachbildungen Rom! waren
, die Hauptstadt, Lyon, war die
erste und größte davon , s wurde
doch das Bürgerrecht air Gallier nicht
häusig und nicht im großen vergeben,
und besonders nicht mit dem Recht der
Aemterbemerbung. Mommsen nimmt
an, daß AugustuS neben dem Ziel, das
Nomertum rein zu erhalten und zu he,
ben, das andere verfolgt habe, durch die
Wahrimg der gallischen Eigenart bei
verständigem Zunickhalten die schließ
liche Verschmelzung um so sicherer zu
federn. Erst das hier lateinisch der
kündete Christentum hat die Romanisie
?ung Galliens, bis auf die Bretagne,
vollendet. Gleichzeitig machten aber die
Römer einen großen Unterschied zwi
schen den im Grunde ihnen doch ethnisch
näherstehenden Griechen. Galliern und
Jbericra und ihren semitischen und ha
mitischen Volksgenossen im Osten. So
groß die Geltung der punischen Sprache
in Nordafrika von. Mauretanien bis
Levtis war, Regierungssxrache wie das
Griechische ward das Punische nicht.
man findet es nicht auf Münzen, es ist
srilq abgestorben, während da! gepflegte
Erihische sich erhielt und verjüngte.
So wie also die Nationalitäten so alt
sind wie das Heraustreten der Menschen
aus der Isolierung der kleinen Fami
Zifnsiämmt, so sieht süch der undefan,
e,n Lüobschier kein Ende ibrer Unter
friede und impfe ab. Die jüngsten
C;?!'Kbilö!!nsk sino Nicht'' wenig
all frei den Ihnen, im Gegenteil, sie zei
? r In der chinz:' Harte und Frische
i-t IM.-.S. lein Staat Amerikas der
Australien, der icht seine Koi?f zwi,
s.f'iz Rasse uns Rskie. seine Reibunse
ecz mili a m$lt
Don gdrok. Dr.
Vereinigten Staaten von Amerika haben
in den letzten 80 Jahren des 19. Jahr
Hunderts 7 Millionen Anglokcltcn aus
Großbritannien und Irland. 6 Millio,
nen Teutsche aus Deutschland und an
deren deutschen Ländern. 1'2 Millionen
Skandinavier empfangen, insgesamt ge
gen 20 Millionen Einwanderer, und -s
gehört zu den Leistungen, die die Welt
noch nicht gesehen hatte, daß fast alle
diese Zugewanderten sich in der ersten
und zweiten Generation in die Sprache
und Bitten der Angloamerikaner emge
lebt haben, so daß sich die Entstehung
einer einheitlichen Völkerlegierung aus
den Elementen weißer Rasse absehen
laßt. Aber es sind auch gegen 9 Millio
nen Neger und Mulatten' über U Mil
lion Indianer. 120.000 Ostasiaten da,
von denen man nicht dasselbe sagen
kann; ne sind zu verschieden, um sich ein
leben zu können, und wegen dieser Ver
schiedenheit will auch das Volk der Ver.
Staaten von Amerika, so wie es heute
ist, nicht, daß sie sich einleben, drangt sie
zurück, möchte sie womöglich aus dem
Lande hinaushaben stellt jedenfalls
ihrer weiteren Vermehrung durch Zuzug
alle Hindernisse entgegen. Aber auch
die Einwanderung aus Europa, das
noch immer die Völkerquelle für Ame
rika ist, bringt seit einer Reihe von
Jahren Elernente, die man nicht mehr
so gerne aufnimmt, wie einst die aerma
nischen und keltischen. 1901 brachte
136.000 Italiener.' 113.00 Oesierrei
eher und, Ungarn, 85,000 Russen, dage
gen insgesamt kaum über' 100,000 Ein
anderer aus Großbritannien und Jr
land, Deutschland nd den skandinavt
schen Ländern. Man fürchtet eine zu
starke Zufuhr romanischen, slawischen,
finnischen, jüdischen Blutes in das noch
immer im Werden befindliche Volk; da
her die Schwierigkeiten, die man der
steigenden Einwanderung aus oft und
südcuropäischen Ländern macht. Man
umkleidet sie mit hygienischen und sozia
lcn Erwägungen, im Grunde sind eS
hauptsächlich Gegensätze des Volkstums.
Das gleiche in Australien und Neusee
land, wo man die englische Einwände,
rung begünstigt, jede andere erschwert.
Diese jungen Länder haben also nicht
bloß ihre Rassen-, sondern auch ihre
Nationalitätenfragen, die auch das
Merkmal der .Kleinlichkeit nicht mtbeh
ren, wenn z. B. den emgewanderten
Dalmatiern in Neuseeland das mühsame
Ausgraben des Dammaraharzes nach
Möglichkeit erschwert wird.
Tie Rassenfrage in der Rationalitä-
tcnfragr.
Im tiefsten Grunde hängen die beiden
zusammen. Der Anfang des National
bewußtseins ist ein Stammesbewußt-
sein, d. h. die Ueberzeugung, der gleicken
Wurzel entstammt zu lein. Mit Be
rechtigung konnte indessen diese Ueber-
Zeugung immer nur in den engsten Be
zirken festgehalten werden; die Bluts'
Verwandtschaft der Bevölkerung eines
ganzen Staates ist längst nicht mehr
möglich. Nur in den alten Staaten, dc
ren Umfang oft nicht weit über den
eines Dorfes hinausging, mochten sich
alle. Bewohner bona fkie als bluts
verwandte Nachkommen eines einzigen
Ahnen fühlen; nur da gab es in Wahr
heit keinen Untcrichied. Auch in man
cher abgelegenen Kolonistenqemeinde
Amerikas, Australiens oder Sibiriens
mag die Abkunft von bestimmten Ahn
Herrn und Ahnfrauen mit Grund be
hauptet werden. Nicht zu vergleichen
damit sind die mythologischen Annah
men von der Abstammung von Aeneas
oder Mannus, die nur einen Wunsch in
afs'rmativer Form ausfprechen. Aber
das streng festgehaltene Blutsverwandt
schastsgefuhl. das Zur die Volker der la
teinischen Familie auch heute noch eine
so große politische und, kulturliche
Bedeutung hat, und das manche in den
germanischen Völkern schmerzlich ver
missen, ist es so viel begründeter als der
Zusammenhang durch die Zurückfüh-
rung auf einen mythischen Ahnherrn?
Es fehlt ihm das Mythische insofern
nicht, als es bemußt von den klaren
Tatsachen der Geschichte absieht, die die
gemischte Abstammung für jedes grö
ßere Volk bezeugen. Alle Völker, die
nnen Anspruch auf Geltung ihres
Volkstums erHeden, haben sich aus klei
nen Anfängen ausgebreitet. Auch die
größten Völker habe einen kleinen
Ursprung. Denken wir an Rom. an
Neuengland! Mit Recht hat man sie
mit Strömen verglichen, die aus Quel
Kn im Dunkel entspringen und aus klei
nen Bächen entstehen. Es ist unmög
lich, daß sie sich ausbreiten, ohne Glie
der anderer Völker in sich aufzunehmen.
Nennen wir dies den ersten Grund in
nerer Verschiedenheit, so ist der zweite.
daß kein Völkerwachstum stetig weiter
geht. Es gibt in der Geschichte jedes
Volkes Momente der Stauung. Zu
rückdrängung, Zerspaltung, Zerspren
sprengung. Schon W. von Humboldt
neigte der Ansicht zu. deß der Zustand
der sogenannten Wilden nicht der einer
werdenden, sondern vielmehr der einer
durch große Umwälzungen und Un,
glücksfälle zerschlagenen, auseinanderge
rissenen und untergehenden Gesellschaft
sei. Das ist eine Ansicht von ausae
dehnter Anwendbarkeit. Auch solche
rückgängige Bewegungen konnten nicht
ohn Berührung und Mischung staitfin
den. Und nun der Gang d Kultur,
wie louie ver mogii um, ohne das an
regende Zusammentreffen von Menschen
des verschiedensten Ursprungs, Tragern
em'.egcmter Einflüsse?
-ehkn wir nur einmal zu. wie wer
dende Völker und sogar Völkchen aus
sehen. Mommsen entwirft im Eingang
des vierten Buck?es der Römischen Ke
Ifyiu ein Bild von der Völker' und
Kulturmengung I beriet,! im zweite
vorchiikücden Jahrhnndert. das zugleich
die Zustände d werdden Völker in
aller, perirkeriscken Teilen s? hnmnlU
gen römischen Reiches zeichnet: Iberer
J.n.M WMk, L'-llkM Ä h
zfriedricl) Natzcl.
mer mischten sich hier dunt durchcinan
der; gleichzeitig und vielfach sich durch
kreuzend bestanden dort die verschieden
stcn Arten und Stufen der Zivilisation,
die oltiberische Kultur neben dollständi,
gcr Barbarei, die Bildungsverhältnisse
phönikischcr und griechischer Kaufstädte
neben der aufkeimenden Latinisierung,
die namentlich durch die in den Silber
bergwerken zahlreich beschäftigten Jta
likcr und durch die, starke stehende Be
Mtzung gefordert ward. Das ist doch
im Grunde dasselbe, wie was unS in
viel größerem Raume die Bcr. Staaten
von Amerika zeigen: ein werdendes
Volk. In dessen Zusammensetzung Ele
mente der verschiedensten Herkunst ein
gehen, so daß man den Schluß ziehen
kann: jedes Volkes Wachsen und Ent
wickeln geschieht unter Blutmischung.
Was die Vergangenheit an Völkern und
Völkersplittern zusammen geschmolzen
hat. lehrt uns. was die Zukunft trotz
alles Streites der Gegenwart bringen
muß. Nicht der Wille der einzelne
Völker, sondern der Gang der Kultur,
wie weit wir zurückschallen mögen, wirkt
notwendig und mit Macht darauf hin.
Verschiedene Kulturzentren haben in
vorgeschichtlichen Zeiten auHrahlend ge
wirkt; wir folgen schon in der Borge
schichte der europäischen Völker diesen
Strahlen rückwärts und werden bald
nach Osten, bald nach Süden geführt..
jin olilichen Europa und im angren
zenden West und Jnnerasien haben wir
die Heimat der wichtigsten Kulturpflan
zcn und Haustiere zu suchen, von eben
dort dürfte die erste Kenntnis der Me
talle. zuerst des Kupfers und Goldes.
dann die Bronze, dann des Eisens ihren
Weg nach Europa gesunden haben. Aus
Aegypten haben Uebertragungen nach
Südcuropa stattgefunden, wo dann in
Griechenland und Italien neue Aus
strahlungsgebiete nach Norden und We
sten hin entstanden. Nachdem sie In
West- und Mitteleuropa ausgebreitet
und eingewurzelt, verbreitete sich diese
von Osten und Süden her eingewan
dcrte Kultur nach Amerika U.Australien,
und balddarauf trat ein osteuropaischer
Ableger seinen Weg nach Osten durch
Nord und Mittelasien an. Von Oft
asien hatte Altcuropa sehr wenig unmit
telbare Anregungen empfangen, ober
Spuren osta statischer Einflüsse, die über
Zentraasten kamen, reichen doch tief
nach, Deutichland hinein. Keine von
diesen Strahlungen und Begegnungen
kann auf die Dauer ohne Blutmischung
verlausen sein f denn die Kulturelemente
wandern nicht anders als getragen und
geleitet von Menschen, und je primitiver
die Formen des Verkehrs, desto mehr
Menschen setzt er in Bewegung. Man
denke an die Arabcrkarawanen, die noch
heute Inner frika durchziehen.
Jedes fremde Wort in einer Sprache
bedeutet einen fremden Tropfen iin
Blute des Volles, dos diese Sprache
spricht. Die romanifch-keltische Hälfte
der Sprachwurzeln im Eikglischen, die
romaniscke im Albancsischen sind sehr
starke Beweise für Mischung. Im
AegyptNchen und Griechischen gcht es
semitische Wörter, und Gemancn und
Finnen haben nicht bloß manchmal helle
Haare und Augen gemein, sondern ihre
sprachen haben Worter getauscht.
Wenn unter den? Jndianersprachen, die
der Schmarzfüße nur scbmer als ein
Zweig der Algonkin ' erkannt wurde,
weil sie so viele Elemente aus anderen
Jndianersprachen aufgenommen hat,
daß nur die Grammatik noch die alte
V erwandt sckaft zeigt, so muß man an
die Einverleibung ganzer Stamme oder
wenigflens ihrer Weiber und Kinder in
einen siegreichen Stamm oder e,ne
Stammesgruppe denken. Und wo nun
unter dichteren Bevölkerungen, die fest
auf ihrem Boden sitzen, solche große, ge
waltsame Verschiebungen und Perpflcin
zungen nicht mehr vorkommen, ist es
das vereinzelte Eindringen und Durch
sickern. Wem. der die Rheinpfalz durch
wanderte, wären nicht die zahlreichen
dunkeln Köpfe und scharsgeschnittenen
Gesichter aufgefallen? Man mustere
die Familiennamen und wird in der
großen Zahl französischer den Beweis
finden, daß noch in den letzten Jahr
Hunderten eine starke Einfuhr französi
fchen Blutes stattgefunden hat.
Es ist eine der wichtigsten Tatsachen
des VLlkcrlebens, daß dem beständigen
und unvermeidlichen Einstießen verschic
denstcr Elemente nur wenige und nur
unbeträchtliche Aussonderungen gegen
überstehen. Der Prozeß der nationalen
Läuterung durch Herauslösung eines
Volksbestandteiles aus seinem Zusam '
menhang nt dem übrigen Volke ist
praktisch selten möglich, und es liegt da
rin die Ursache der Versumpfung so
mancher Bestrebungen, die auf Aus
ßoßung stammsremdcr Elementergerich
tet waren. So wie es den Franzosen
selbst 1870 nicht gelungen ist. die Deut
schen, die sich in Frankreich angesiedelt
hatten, ganz zu vertreiben, haben die
Antisemiten nie angeben können, wie sie
die enge Verflechtung der Juden mit
dem Wirtschaftsleben der europäischen
Völker auflösen wollen. Es Ist sehr
fraglich, ob die Juden restlos aus
Aegypten ausgewandert sind. Als Ruß
land seine Krimtataren zur Uebersiede
lung nach der Türkei veranlassen wollte,
lagen die Verhältnisse so günstig wie
mögü die pcripherifchen 'Wohnplätze,
die nomadischen , Gewohnheiten, der
ethnische und religiöse Unterschied schie
nen die Aiisscheivung dieser Völker
sckaft zu begünstigen, die Türkei war
bereit, ne aufzunehmen und dafür christ
liebt - Bulgaren abzugeben. Und doch j
verließ envZich nur ein kleinir Teil der
Tataren ihren neuen Staat. Rußland
zählt Heute noch g'gen vier Millionen
Tzlaren. Tat Zkutzekft'. was mözlick.
ikt das Aiiteinctndercückcn widerstreben
der Elemente durck, geographische San i
dru.ig, die llcrd
zk aua, nur d't. i
5 oui !.!k o'i :?, !
sie M.zM cuj i
lufeirä ttlWi
die Dauer Hindern kann. Unter Um
ständen kann sie sogar gefährlicher sein
als die zersplitterte Verbreitunei. Wel
chcs neue Element wird der Zionismus
in die Politik Vorderasiens hineintragen,
wenn ein Judenstaat in Syrien sich aus
eine geieyioyene zudische Bevölkerung
nutzen wird?
Der Zionismus ist eine Aussonde
rungsbewegung, die durch die von der
Mgenscite stattfindende , abschließende
Bewegung gegen das Judentum wirk
sam unterstützt wird. Der Versuch, die
weitzerstrcuten, so verschieden angcpaß
ten, kulturlich voneinander getrennten
Juden auf ein so fernes und nicht im
ganzen günstiges Gebiet zusammenzu
führen, ist ein neues Erperiment Im
Völkerleben. Gelingt es, so werden wir
auch in anderen gemischten Völkern den
Ruf nach Aussonderung, wenn nicht
Ausstoßung sich erheben hören. Tie
Natur fordert von jedem Volke, das als
Volk gedeihen soll, ein Wohnen auf zu
sammknhängendem Boden, auf dem es
breit ruht, in dem feine Wurzeln zu
Tausenden sich verslechten. Nur den zu
sammenhängend und geschlossen verbrci
teten Völkern kommt jene Kraft des
Antäus zu, die aus dem festen Verhält
nis zur eigenen Scholle entsteht. Juden.
Armenier, Zigeuner wohnen bei anderen
Völkern gleichsam zur Miete, ohne eigc
nes Land, auf dem sie als Volk sieben,
für das sie als Volk kämpfen, aus dessen
Eigenart ihnen die Eigenart zuwachst,
die aus Verbindung eines Volkes mit
seinem Boden entspringt.
In ungemein wirksamer Weise sind
solche Sonderungen innerhalb Europas
nur im Südostcn eingetreten, seitdem
die dortigen Völker ihrer Eigenart sich
bewußt geworden sind. Westeuropäische
Kriege ließen die Völker im allgemeinen
wie und wo sie waren, die orientalischen
Kriege haben Immer Völkerströme zur
Folge gehabt, die mit den abziehenden
Armeen flössen. Wenn gegen Ende des
vorigen Jahrhunderts ein Fremder
Serbien betrat, so mukte ibm nlckis s
sehr auffallen, als der Gegensatz von
Stadt und Land. In den Städten,
größeren und kleineren. Festungen und
Pamnie. woynien die Türken, auf dem
Lande die Serben, streng getrennt.
Mancher Serbe war 60 Safire alt. okne
eine Stadt gesehen zu haben,' sagt Ranke.
Es ist eine verwandte Erscheinung.
wenn kämpfende' Nationalitäten -durch
innere Kolonisation" ihr eigenes Ge
biet abzurunden, das ihrer Gegner zu
spalten, zu zersplittern suchen. Jrl Un
garn sahen wir beide Bestrebungen ne
beneinandcr an der Arbeit; man siedelte
Magyaren an. wo es magyarische Min,
derheiten zu stärken oder fremde Mehr
Heiken zu spalten galt. Achnliches wurde
in Posen und Wesipreßen versucht. ,
Eiiivcrlkibiinz nd Absonderung,
Nasse nnd Sprache.
Da sehen wir also zwei verschiedene
Arten von Nationalitätcnbcwegnngen.
Auf die Einverleibung fremder Völker
geht die eine aus. sie ist ist wesentlich
politisch, wird von politischen Mächten
geführt und, benutzt; auf die Abitoßung
und womöglich Ausstoßung ist die an
dere gerichtet, sie ist rein raffen ha st.
wird mehr vom Gefühl, als von xoli
tischen Gedanken geleitet. Es liegt ein
so augenfälliger Widerspruch in dem
Bestreben, beide Richtungen miteinander
verbinden zu wollen, das eigene Volks
tum hochzuhalten und es zugleich and?
ren Völkern aufzuzwingen. daß sie un
möglich auf die Touer nebeneinander
bestehen können. Ein Rassenqe'fühl. das
feiner Natur nach etwas Familienhaftcs
bat, kann nicht auf die Dauer politischen
Zwecken dienen., die 'direkt gegen die
Rasse gericbtet sind. Die eigene' Rasse
glorifizieren und ihr mit allen Mitteln
frerNdes Blut bis herunter zu zigeunc
rischem zuführen, das kann unmöglich
zusammengeben, wenn nicht etwa das
aneignende Volk eine so elementar wir
kende Assimilationsfäbigkcit besitzt, daß
es ohne Mühe alle nicht unmittelbar ras
senfremden Elemente in sich aufnimmt;
so mag einst das Römertum romani
siert haben, und so haben die Anglokel
ten der V. St. vor? Amerika ein neues
amerikanisches Volk gebildet. Noch nie.
hat die Welt einen so großartigen völ
kerbildenden Prozeß gesehen, der sich
mit solcher Schnelligkeit und Sicherheit
vollzieht, wie die Zerknetung aller euro
päischen Nationalitäten in das Nord- ,
amerilanertum; ob es ihnen bei dem
starken Zufluß sud- und osteuropäischer
Elemente weiterhin ebenso gelingen j
wird, wie mit germanischen und keiti i
schen Einwanderern, sieht dahin.
aue diele allc von Volker ufsau
aung können nur unter dem Schilde der
Nationalität stattfinden, weil die
Sprache als Erkennungszeichen der Ver
wandtschaft angenommen und, dielleicht
nicht ohne Absicht, überschätzt wird.
Ganz abgesehen von dem sehr häufigen,
aber leicht erkennbaren Fehler. Sprache
und Rasse zusammenzuwerfen, dessen
sich auch die Wissenschaft schuldig macht,
wenn sie von semitischer, arischer Rasse
u. s. w. spricht, kann die Sprache durch
aus nicht einen engeren oder festeren Zu
sammenhang mit dem Volke beanspru
chen, von dem sie gesprochen wird, als
irgend ein anderes Merkmal. Wir er
leben es, daß ein Teutscher, der vor
Jahren ins Ausland gegangen Ist, seine
Muttersprache größtenteils verlernt hat;
die Fälle, wo die Muttersprache absolut
vergessen wird, kommen besonders bei
Züngeren Menschen vor. Daß ganze
Volker ihre Sprache Im Lause weniger
Generaiionei, ausgeben und eine andere
annehmen, ist zu ollen Zeiten vorgckom
men. Ich erinnere nur an die Germa
nen, die i lateinischen Tochtervö'kcrn
aiifgingen, an die Slawen, die in den
Teutschen ausgingen, an die verschieden
sten N'gervö'ker, d,'e in Nordeimerikz
Englisch, in tkMindi' Französisch und
jKjnua!, N
VttkziM
parns. ,11' Südamerika 2rar.it und
frjliia iU:rÄ und
eigenen Sprachen biö auf die letzten
Spuren vergessen haben, wobei Sie tief
ste Rassenunterschiede bestehen blieben.
Sind die Neger von Haiti weniger Ne
gcr, weil sie Französisch, und von S.
Dominzv. weil sie Spanisch sprechen?
Rasse und Sprache.
Rciffe u. Sprache sind zwei so gn,nd.
verschiedene Dinge, nach Herkunft. Wert
und Wirkung so weit auseinander, daß
hr 9irm,vSfim. H:.-ii tr-t .
.....u4iH um, viufl ein ein
facher Fehler, sondern ein Atrium in
der verhängnisvolle Wirkungen politi
o,"a,er an nach sich zieht.
Wir stehen alle unter der Herrschaft ei
ner Bildung, die die Bedeutung der
Sprache übertreibt, weil sie selbst Haupt
sachlich mit linguistischen Fasern In der
'crgangknyeil wurzelt. Aber diese
Herrschaft ist vergänglich, die Fordmin
m der Wirklichkeit werden sich immer
stärker erweisen. Wenn Ich im Ver
gleich mit der Rasseberwandtsachft. die
in der Uebereinstimmung dcS Blutes
tief gründet, die Sprachverwandtschaft
etwas Aeußerlicheö nenne, so soll damit
nicht die Bedeutung der Sprache als
Völkermerkmal. oder besser als Kultur
Merkmal überhaupt, herabgesetzt sein,
denn gerade als solches hat sie in dem
Maße wachsen müssen, als die Völker
cmen reicheren geistigen Inhalt In Ihre
Sprache, zu legen und dadurch die
Sprache durch Ihren Inhalt zu adeln
gewußt Haben. Man hat sich das nicht
so zu denken wie ein Gefäß, das das
selbe bleibt, wie auch sein Jnbalt s,ch
verändere, sondern die Sprache ist mit
dem Inhalt reicher und tiefer geworden.
Das kommt daher, weit die Sprache
mehr als Gefäß ist: sie ist ein Wk,,a
das bildend auf den Geist zurückwirkt,
der es zu führen versiebt, und mit tvm
datier dieser Geist sich verwachsen, fühlt.
DaS erklärt eben die Bedeutung, die, auf
der einen Seite ein herrschendes, kultur
kräftiges Volk der Ausbreitung seiner
Sprache beilegt, und aus der ntifcrn
Seite die Leidenschaft, Mit der ein kle!
nes. schwaches Volk an seiner Sprache
festhält, deren Geltung nicht nur. deren
Fortexistenz vielleicht in Frage steht.
Für die politische und kulturliche Auf
assuna. die In die Zukunft siebt, ist nun
die Sprache In erster Linie Verkehrs
Mittel. Alle Kulturvölker lernen fremde
Sprachen, um durch ihre Hilfe mit an
deren Völkern verkehren ,u können: ie
der Staat braucht andrerseits eine ein
zeii'.e Sprache für feine einheitliche Ver
Ivaltung und Armee. Mit welchem
Ziclbewußtsein wird , im freiheitlichen
England den keltischen Idiomen jede Po
litische ' Berücksichtigung versagt, mit
welcher, Selbstverständlichkeit in dem
Völ'.crgemisch Rußlands und der V.
St. von Amerika an der Allgemein
geltung des Russischen und Englischen
festgebalten? Dabei leben gerade in
Nordamerika unter ' dem mächtigen
Strom der politischen und kulturlichen
Vereinheitlichung die Völker rnd die
Völkersplitter ihr eigeues Leben, und es
blüht . die deutsche Dialektdichtung,
selbst die kleiner Gruppen, wie der
Luxemburger, oft mehr als im Mutter
land. Aber dieses Zusammenhangsge
suhl derer ans gleicher Heimat hat et
was ganz, beschränkt Familienhaftcs, Ist
sich dessen bewußt, und verlangt wedck
Politische Geltung noch ewige Dauer für
sein Idiom. Wir sind z. B.' ganz da
ran gewöhnt, in den Lokalgeschichtcn
deutsch-ümerikanischer Gemeinschaften
ohne ein Uebermaß von Wehniut das
mit jeder, Generation sich wiederholende
Ausgehen ihrer Muttersprache im Eng
lischen geschildert zu finden.
Wir leben gegenwärtig noch , In einer
Zeit der Uebcrfchätzung der Sprachen
wegen ihres historischen Wertes, und
unglücklicherweise triff! diese nun mit
einem , Streben, nach Ausbreitung der
Völker und Siaatengebiete zusammen,
wie eS so stark sich noch niemals geregt
hat. Es kann nicht anders sein, als
dah da die kleinen Wellen acacn die
große,! anbranden, aber die großen
schlagen über die kleinen weg. und aus
dieser Völkerbrandung fließen die gro
ßa größer zurück, als 'sie gekommen. So
!t es immer gewesen und wird es im
mer sein. Wer diesen Tinaen nacka?.
siebt schon so manche Symptome bevor,
stehender Aenderungen. Sie alle In der ,
Richtung der vermehrten Geltung eini
ger wenigen großen Svracken und des
Rückganges der zum Teil nur künstlich
emporgetriebencn kleinen Sprachen lie
gen. Die gemeinsamen wirtschaftlichen
Aufgaben der Völker in ein und demscl
ben Kulturkreis fordern alle ohne An
sehen der Sprache zur Mitarbeit aus.
und olle folgen.. Instinktiv werfen ein
!a!iige lggismanner die wirtschaft
lichen Fragen aus. wenn die Svrack-
kämpfe drohen, jedes ruhige Urteil über
die wirklichen Interessen der Völker und
ihres Staates unmöglich zu machen.
Ter .nationale Bonkott' bat im Svra.
chenstreit bisher niemals dauernde Er-
. f. .T . -. f, - (. i r t ri - . r m
",c gryllvi, qoaiiiens in engllkN Be
zirken gelingt ihm die Ausnutzung und
Verschärfung der Gegensätze noch für
einige zeii. ,e Zustande eines der
Zerfttzung anheimgesallenen Reiches mit
einer, an politischen Gaben armen Be
völkerung, wie Oesterreichs oder Un
garns, wo ein geschichtlich junges Volk
sich auf Kosten der anderen politisch
emporzuheben sucht, sind nicht beweisend.
In dem.ngen, aber weithin strah
lenden Bezirk der Wissenschaft sehen wir
Immer mehr den Gebrauch des Deut
schen, Englischen, Französischen und
Russischen sich verallgemeinern, denn
wer, wie es In diesen Dingen Im
Grunde selbstverständlich Ist, zu einem
großen Publikum sprechen will, darf
nicht magyarisch?, holländisch oder dä
nifch schreiben. Wie lange wird es bau
ern, bis Englisch die Geschtzfissprache
im größten Teil des überseeischen Han
dels und Verkehrs ist? ' Gibt es ein'N
Teutschen, der In dusem Verkehre tätig
lt und nicht schon heute neben seiner
Silltt?i!viache eine oder zwei fremde
Handel-spracken Inn-hLtte? Buch an
grcß'n religiösen Gemeinschaften, di?
fält überall viel ausgedehnter als die
Sprachgebiete sind, brechen sich die Wel
lcn der Sprachkämpfe; viele Menschen,
d'c lcichi ihre Sprache ausgeben, wär
den lieb"? ihr Lb-n al! ikr'N Glauben
htn; Auf der Vattanb,lbiM smd
ti tttg rM 19 fcj d fftrcj&tt2!
Aerl'iner
Die kleine Pscrdchen', die die Ro
manen in Ihren Ländern laufen lassen,
die öffentlichen Glücksspiele, sind In
Deutschland verboten. Aber das Spiel
bedürsttie der Leute kcgulicrt den. Druck
von oben, und die Polizei läßt nur so
viel Spielklübs ausfliegen. wie zur
Reklame 'dieser staatlichen Institutionen
nun einmal unbedingt notwendig' Ist,
und nur so viel, daß noch immer genug
nebenbei bestehen können und bestehen
bleiben.
Mit Verboten ist allerdings nicht viel
getan. Wenn die, Verführung durch
öffentliche Spielunternehmer auf den
Plätzen und Straßen, in den Vcrgnü
giingsparkS und Variöt1oy.cr ausge
schattet ist, so ist da schon eine ganze
Menge. Aber zwischen Oeffentlichkcit
und Privatleben hat sich eine lzalbe
Oeffentlichkeit aufgetan nicht zeder
kommt hinein, aber wer will, kann es,
Und wer will?
Nicht nur der Schieber. Das ist der
groß: Unterschied zw, chen dem Berlin
vor dem Kriege und dem von heute, daß
sich die Unsoliditat dieser Zwitterschich
ten bis tief ins Bürgertum hineinge.
fressen hat. Es' sind durchaus nicht nur
jene Gauner im Frack und weißer
Binde, wie sie zum Entsetzen aller Gut
gesinnten früher auf den Leintüchern der
Moritaten und heute aus der Leinwand
des Kinos vorgeführt werden. Die Gut
gesinnten spielen heute selber, daß es eine
Lust ist.
Wir stehen nicht Im Verdacht, wie
lener Lizentiat Mumm, in der großen
Stadt nur den Sumpf (himmelnder
Blick nach oben) der menschlichen Laster
zu sehen, den Pfuhl, meine Lieben, den
Gott verderben möge. Wir wissen sehr
wohl, daß in der Großstadt, wie überall,
das soziale Moment den Ausschlag gibt,
daß der eine arbeitet, weil er arbeiten
mutz, daß der andere faulenzt, weil er
faulenzen kann, und daß der dritte
schiebt, weil es hier einen Boden zum
Schieben gibt. Es wäre also durchaus
falsch, diese neue Erscheinung der wilden
Berliner Spielhöllen bei den Frack
schößen ihrer Besucher anzupacken und
Moral zu blasen, wo ein ganz ander
Lied gegeigt wird. Was geht dfcin vor?
Es spielten früher in den großen Ber
liner Klubs Börsianer. Schauspieler,
Rcchtsanwälte, Leute mit durchaus ge
sicherten bürgerlichen Existenzen, denen
'das Spiel Lebensgenuß und unentbehr
liche Zugabe war. Heute wird in etwa
fünfzig bis achtzig neuentstandenen
Spiclklubs im Berliner Westen geßpielt.
Ter Eintritt Ist für den, der spielen will,
nicht schwierig zu erlangen, man kann
also diese Klubs getrost als öffentlich be
zeichnen. Die Einsätze sind für bürgcr
liche Verhältnisse hoch der Umsatz
außerordentlich, der Gewinn der Unter
nehm sehr gut. Die-Aufmachung der
Klubs Ist elegant, von jener ein wenig
frischen Berliner Eleganz, aber
immerhin kostet sie Geld; es gibt dort
reichlich und billig zu essen kein Kom
Pliment für das Kriegswucheramt und
seine Nachfolger und Sekt und Wein
sind schließlich nur Tropfen auf die
heißen Steine Im Schmuck der Damen.
Soweit gut.
Daß aber In den Spiclklubs ein durch
aus nicht unsolides Publikum verkehrt,
daß die Unsoliditat, die doch in jedem
Spieler steckt, das früher anständige
Bürgertum infiziert hat, halte ich für
das Bedenkliche In der Sache. Es ver
führt: das Leben nachts ist so leicht und
elegant und lockend', die Nerven schwin
gen. es kribbelt In den Fingern, und mit
heißen Augen wird ein grauer Tag be
grüßt ein Tag. aber kein Arbeitstag.,
Daß nur die Unternehmer wirklichen
Gewinn davontragen, die Kellner, die
Fleischlicferanten was kümmert das
den Spieler, der ganz andres sucht als
den rentablen Nutzen. Der wahre Spie
ler spielt nicht um des Geldes willen
ihn lockt der grüne Tisch, das Rascheln
der Karten, die Atmosphäre von Gier.
Hast, Neid nd Unruhe, die um den
Tisch zittert... Geld? Ba!
Das Berliner Bürgertum ist dieser
Krankheit gegenüber nicht Immun ge
blieben.. Man spielt, wo noch der alte
Fontäne beim Apftlsinensalat geplaudert
hat. man spielt auf Tamentees und
Herrengesellschaften, man spielt In und
außer dem Hause. Eine Verwilderung
der Sitten Ist clngerissen. wie man sie
früher nicht einmal In dem wenig stabl
lisicrten Berlin der ersten Jahre des
Jahrhunderts gekannt , hat. Da war
alles unsicher und schwankend, da war
vieles zu neu und noch unfertig daä
alte, gute Berlin lebte nur noch in ein!
gen Straßen, Quadern bröckelten, und
Stuck entstand freilich, aber eine ge
wisse arbeitsame Solidität war doch dem
Bürgertum nicht abzusprechen. Wo Ist
das geblieben? Fast wehmütig- blickt
man auf diese Friedensjahre zurück. In
denen doch die Moral des Kaufmann!
aller anständigen Firmen so groß war,
daß er mit einem Spieler, mit dem
Mang der Gelegenheitsgeschäfte nichts
zu tun haben wollte. Heute ?
Heute ist die Zahl dieser bodenstand!
gen. sauberen Kaufleute Immer mehr
und mehr zusammengeschmolzen. Dak
fing an, als man begann, Krlegsliefe
rungen zu übernehmen, von denen man
schiede, als fcie künstlich gesteigerten Ge
gensätze der christlichen Bekenntnisse, die
zerklüftend wirken. Die große negative
Tatsache, daß bort die geographisch so
weit verbreiteten Serben keine entschei
dende Macht ausüben, trotz Ihrer
Sprachtinheit, liegt in der Zerklüftung
in die katholischen Kroaten, BoZnin u.
a., die mohammedanischen Aristokraten
Bosniens, die orthodoren Montenegrl
ner und Serben. Rußland gibt unt
das größte Beispiel für den Zusammen,
ball einer weit zerstreuten, kulturlich
und rassenhaft in sich verschiedenen Na
tion durch den orthodoren Glauben; die
Sprgchgsmeinschaft für .sich allein
würde nickt genügen, ein so großes
Völkergemisch zusamm'nzüfassen, in
dem schon Groß und Kleinrussen sich
kür s'chr verschieden halten; die Gemein
schast d'k Giaubeiis ist hier wirksamer.
sn-.fli ((.).
Spielhöllen.
nichts verstand, mit denen man handelte, J
und die man hin und her schob, wie der
galizische Handclsinanil seinen Trage V
korb, der da enthalten kann, was Immer C
die anderen brauchen: Teckel, Hosenträ I
ger und Lampenschirme. Es folgten die tj,
unsinnigen Kriegsgcwinne. das Schlei f&
dern mit den Waren, das Hamstern der
Vorräte. r!e Spekulationen, verquickt f g
mit Politik und absichtlich hcrbcigesllhr. i f:
ter Hausse und Baisse. Und der Friede t,
wurde kein Erlösungsschrel der gcquäl ,
ten Menschheit, sondern die traurige !g s f
stätigung der Tatsache, daß nunmehr (
Schokolade doch erheblich fallen würde . . i j;
' Und der Bürger wendet sich nicht ab.
Die Polizei soll'S für ihn nicht besor 1 1
gen; wer fallen will, mag fallen, wir j l
haben genug Paragraphen Deutsch- f.f
land. So Ist dem Ding nicht beizukom
men. Nur eine geistige Kultur ist dem e
Spiclklub über nicht der meidet daS t
Spiel dem es zu unmoralisch, sondern l
der. dem es zu dumm ist. Ter Bürger
aber wendet sich nicht ab. Damit ist
natürlich nicht gesagt, daß nun jede, f f
bessere Familie ihren Roulettctisch unter Xn
hält, aber die Abneigung der breiten Jfc.
Mittelstandsschicht diesem Treiben ge
genllber ist nicht so groß, wie sie sein ,1 ,
sollte, um die Klubs ,u isolieren. Heute V
jenen brave, biedere Bürgcr. Wie lange JA
können fit'S bei dem Leben blechen?
, Was unS fehlt,- Ist, nicht etwa ein
neuer Kasten und Standesdünkel; von
dem haben wir übergenug, und werden
auch, wenn der Offizier aus dem gesell
fchaftlichcn Leben verschwunden ist.
Immer noch .genug haben. Was uns
fehlt. Ist der selbstverständlich solide
Geist, der da sagt: Ich bin ein Kauf
mann, nicht mehr, nicht weniger. Nicht
Ritter, nicht Professor, .nur' Kauf,
mann. Aber ich halte meinen Schild In
der Hand, und der Schild ist rein."
Brodeln die Fegefeuer in den Berliner
Spielhöllen? Die armen Seelen, zer
mürbt durch die langen Leidensjahre des
Krieges und trunken vom Gold und
Gewinnrausch des Krieges, taumeln wie
die Fliegen ins Licht. Laßt sie fallen.
Aber sorgt dafür, daß wir anderen, die
wir oben bleiben, die da unten als das
empfinden, was sie sind: als soziale
Schädlinge der anständigen Gesellschaft.
I a n a z W r o b e l.
Lamouklagk.
Aus der Oglcthorper Lagcrzeitung:
Tie Bombe."
Vor einigen Jahren noch hätten nur
wenige eine gescheite Antwort zu geben
gewußt, wenn jemand sie gefragt hätte.
was Camouflage eigentlich sei. 'ctjt hat
das Wort sich jm Fluge die Welt erobert,
und wenn auch nicht alle feine Abstam,
nillng kennen, so versteht doch ein. jeder
seinen Sinn. Camouflage" ,st zum
terminus technicusfür alles geworden,
t . ' f .K n-.r,.:, , ,i . . t.r
was man siuyei au -ouiiitant,iö s.
scher Tatsachen zwecks Täuschung rnidM , 1
rcr bezeichnete. T-iß die ganze zivil' sie ct.
Welt das neue Wort mit solcher Haft M
an sich riß. ist übrigens bezeichnend.
Denn es scheint uns zu beweisen, daß
man froh war. eine bequeme, wir möch
icn fast sagen gemutlich-heitere. Bezeich,
nung sür das zu finden, was man vor
kurzem noch mit harten Ausdrücken, wie
Schwindel. Gemeinheit. Betrug und
Heuchelei belegte. Ein Gastwirt z. B.,
der seinem Gaste einen so fein gehöute
ten und so sauber gespitcn Kater vor
schien kann, daß dieser ihn sür einen
.Hasen verzehrt, ist heute natürlich kein
Betrllacr mehr, sondern ein famoser
Eamoufseur. der es noch weit in seinem
Berufe bringen kann.
Wenn Ihr. geschätzte Leser, bald wie
der einmal einer blonden Schonen
klopfenden Herzens folgen und erst, sa
gen wir. im psychologischen Momente
ausfiriden solltet, daß alles, die schnee
weißen Zähnchen, die kirschroten Lippen,
die rosigen Wangen, die dunklen Brauen,
die interessanten Ringe unter den Augen,
das berückende Gvldhaar', die lieblich
gerundeten Waden, daß alles die! das
künstliche Gebilde eines Glicdermachers,
eines Anstreichers oder Chemikers war, .
dann fluchet nicht, denn es ist nicht etmi -gemeiner
Schwindel, sondern eine glän f
zende Camouflage, die Euch betörte. t
ElneH der beliebtesten . Camouslage- h
mitte! der Neuzeit ist neben der Schminke jj'
die Druckerschwärze geworden. .Letztere
wird weder auf die Wangen noch aus
sonstige Körperteile, sondern gewisser f
, maßen auf daS Gehirn geschmiert. Der
Erfolg diese, Mittels ist enorm, Ist eS f , ?
doch gelungen, früher ganz vernünftige t
Menschen so meschugge zu machen, daß
sie zwiiken Wahrheit und Dichtung, t
Pilsner und Nearbeer, rinem Lumpen X'
und elnn Schwärmer nicht mehr unters ,
scheiden können. So erfolgreich war
Anwendung dei Mittels, daß der Sei ,
sieszustand einiger sich verändert hat. ,
daß sie heute das verwerfen, wak fi: i
früher als gut gepriesen, daß sie heute
den schmähen, vor dem sie früher nicht", fj .
genug Biicklinze machen konnten. L
Freilich sind tS meistens die Elnsälti.
gen und Schwachen, die sich so leicht in .
eine andere Gesinnung hinelncamousla
gieren lassen, und deshalb ist ihr Verlud:
auch zu verschmerzen, sogar zu tegrüßes.
wie ein rciniaendeS Gewitter, das M
er, tv.rt . . t wi l . . w i i
vurren nie in oie iuiinoe oririKui, r r ?
starken aber am lebenbrlngendcn Staik,
mt las-!.
Jmriirlyasirr vr,,g. ii
A.: .Wie geht ti denn Ihrem j2or j i s
mit vr mf.rir' lr
Protz: 0, brillant! Jetzt habe
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irjrn lozzi r xtiti Aiener e;nraum;'
müssen ... da! andere ist voll!' '
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