Tägliche Omaha Tribüne. (Omaha, Nebr.) 1912-1926, April 04, 1919, Image 3

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Tägliche Omaha Tritt
- vwat,4M
pic MSytage 1848
: in ptrlin.
iiS tortt 0 inhfipifÄrrinncritfiiipn
"
5 von Paul Lindau.
Einige Tage aus meiner Kindheit
I'abcn sich so tief in meine Erinne
lung eingeprägt, daß mich die späte
ten Erlebnisse und Eindrücke von
, t;atjcju sechs recht ivechselvolle und
bewegten Jahrzehnten das damals
Erlebte und Empsundene nicht vev
wischt, geschweige , denn gelöscht ha
ben. Tas alte Bild ist nicht nachge
dunkelt, seine Farben sind nicht ver.
blaut, seine Uinribllmen nicht ver
ichwommen. Lch vranche meine
Phantasie nicht zur Mitarbciterscfjasl
heranzuziehen, um die Märztage des
Jahres 1843 noch einmal zu durch
ikven. ch zahlte öamais neun
Jahre.
Wir wohnten in der Dorotheen
ftrasze, der Schadolvstrasze gegenüber,
auf dem Grundstück, auf dem jetzt
die Markthallen stehen. Wir, hörten
icn nichts anderem sprechen als von
Revolution". In Paris war schon
eine gewesen, und in Äerlin muhte
ye bald kommen. Wir jüngsten Ge
jchmiftcr wußten sreilich nicht, was
das zu bedeuten hatte, aber daß es
seine Kleinigkeit war, merkten wir
doch.
An bevorzugten Tagen, namentlich
an den schulfreien Nachmittagen,
Mittivoch und Sonimbend, gingen
wir mit unseren Eltern spazieren
und kehrten im Tiergarten ein: bei
ilroll auf dem Exerzierplätze oder
nebenan tu den Zelten, im Uempcr
hos oder in Sommers Talon in der
Potsdamerstrabe. Da gaben die be
rühmten Kapellmeister von der Do
iiau, Josef Güngl und Nelcr Bcla,
Nachmittags' Konzerte; wir hörten
gute Mutf und kriegten Kaffee und
Napfkuchen. An genugjamen Tagen,
o?e uns immer eine fchmcrzliche Ent
lau chung oerciielen, maanen wir
blos Äeivegung" als ob wir das
gebraucht hätten! und rasteten
gewöhnlich auf einer Bank bei der
langweiligen Flora am Goldfisch
reich. Es ivar vielleicht ebenso ge
juiid ,abcr lange nicht so hübsch. Tie
Liebe zur Natur war in uns um
dcrn eiitschiedeil weniger stark ent
wickelt, als die zur Kunst. Diese
gcmeiniainen Spaziergange nahmen
niit den ersten schönen Tagen des
Jahres ihren Anfang.
Ter Vorfrühling des Jahres 1843
war nun von einer für unser nordi
sches iUirna ungeivöhnlichen Milde,
sonnig und warm. So belebt wie an
diesen wundervolle Spatnachmitta
gen des März halten wir den Tier
garten nie gesehen. An den Zelten
war kein Durchkommen., Da standen
cuf dem groszeil runden Platz mit
den Puppen", wie die Berliner die
verwirrten (Äöltcrgestalten des Hei,
dentums nannten, auf dem Rondell,
von dem die Spazierwege auf die
große Ouerallee der Eharloltenbur
ger Chaussee und auf den Kleinen
Stern auflaufen, viele, viele Men
schen Millionen taxierten wir --
iiopf an Kopf, und horchten mit gro
ßer Aufmerksamkeit auf einen Mann,
der wohl auf einer improvisierten
Bühne stand und alle Häupter über
ragte, große E!eberden niachte und
nill laut schallender Stimme etwas
sagte, das die Erwachsenen offenbar
mehr lntcrejlierte als uns Binder,
Die Freiheit der Bewegung, die uns
gvöhnlich in ausgiebiger Weise em
geräumt war, wurde uns jetzt be
schräntt. Wir durften uns keine
fünf Schritt von den Eltern entfev
iie; wir empfanden es als eine De
mütigung, daß man uns wie die
kleinen Sünder" behandelte.
Manchmal wurde überall Bravo I
gebrüllt und Beifall geklatscht. Wir
jubelten natürlich mit, ohne zu wis
jen, warum, In dem Punkte unteo
schieden wir uns verinutlich nicht er
heblich von vielen der erwachsenen
Zuhörer.
Unsere Eltern blieben in einiger
Entfernung vom dichten Menschen
inäuel stehen wohl eine Vierteljiun
de, jedensalls länger, als uns ttin
dcrn lieb war. Bon der erhofften
Einkehr in die Zelle wurde Abstand
genommen, weil da kein Äpfel zur
Erde fallen konnte. Wir gingen
durchs Brandenburger Tor geraden
wcgs nach Haufe.
Auf dem ' Pariser Platz dem
.Viereck", wie er von alten Verli
nrrn im Gegensatz zum Achteck-,
dcm leipziger Platz, damals noch ge
nannt wurde nxu wieder etwas
Ungelvvhillicheö. GardeS'duEorps
mit gezogenem Pallasch umritten
langsam den Platz; eine Abteilung
Hielt vor dein Generalkommando in
den Marken, der Wohnung dcS Papa
Wrangcl. Auf meine wiederholte
Frage, was denn das alles zu bedeu
tcn.habe, gab mir mein Vater die
wenig befriedigende Antwort: Tas
geht dich nichts an, mein Junge.'
Meine zwei Jahre altere und cnt
sprechend klügere Schwester hatte die
Sache erfaßt und gab mir die er
wünschten Ausschlüsse. Tie Solda
tcn niit den blitzenden Kürasscn und
Helmen, du; gehörten zur ölevolu!
tion: und was wir' von den Zelten hatte man sogar einige große Oua
gehört und gesehen hatten, das war dcrsteine des TrottoirS gelockert und
eine Volksversaminlung. . Möglich. 'schleppte sie inS HauS. aufs Dach,
daß sich meine Abneigung gegen daS zuni Teil schon abgedeckt war.
Menschenansammlungen zu höheren! Ich sah mir daS allcS mit lebhaftem
Zwecken von diesen unliebsamen Er! Interesse an, ohne jedoch den tieferen
fahrungen meiner Kindheit her! Sinn recht zu erfassen. Denn die
schreibt von der Langweile, die ich Erklärung meiner Schwester: Tas
wayreild der Liede ausgestanden, M Revolution!" genügte meinem
von der Enttäuschmig. die mir das Wissensdranae dock nur unacniiaend.
Ausbleiben des Kassces mit Napf-, Und wenn ich mich mit der Bitte um
ruchen bereitet hatte. gründlichere Aufklärung an jemand
In den nächsten Tagen wurden anders wandte, erhielt ich beständia
wir Kinder überhaupt nicht mehr die Antwort: Das geht dich nichts
mitgenommen. Weshalb denn ou, mein Junge!" ,
nicht?... Weil am Ende die Revo Auf einmal kam in die Schar der
lution kommt, belehne mich meine Entpflastcrer eine heftige Bewegung.
chwcitci?. , orancn und Mädchen, die mitgcarbci
Sie kam auch. tet hatten, kreischten auf, und alle
rannten davon und suchten Unter
Blicke nach ob., nach dem Balkon' t,
dcS Schlosses richteten den Bai.
kon selbst konnten wir nicht sehen
ständliches Geschrei. Dazwischen cr
klang etwas wie Gesang, erst un
deutlich, dann immer vernehmlicher.
Am 18. spielten wir. mm nn. W"Pf in den Nächstliegenden Hau
lick in der Mittaakeit mUchcn brA- Bon den Linden her durch die
letzten chmlstnnde und dein ersten 'arlot en träne kamen Dragoner
Losfei Süppe, in dem kleinen Gar Wangetrabt; eine Abteilung po,l,er.
ten. der bmter hm .ön i,n?,r,8 f.1 vor der nördlichen Ecke der
Hauses an der Spree lag. Da' riek ademie, so dag s,e die ganze Toro.
,.NZ iW ?w,r in Mlrtrfom" ccniirauc vcitrciaien konnte, scic
imi ....mr,.n mrfohi?jJa war aber im Nu wieder wie
7 77.77 7. 7"' 7.77.' ausgefegt. Tie Haustüren wurde
jubii iltii, 14 v nui ((WUIIILU, c :r st, .
Kinder, macht, daß ihr herauskommt A"' . " .0Ü tcr"
Schnell!" Und entfernte sich so llf (?'üm. I öcc Äin3
. 1 1 I rt'tt sttr IS hrtr!rtfslMtt'rtTrt .'TN-
stlCtCl) I . wV-w'l-t!-UÜ- ivv viv IU
l
Gru
Borderh
ätteft
regt zu sein. Um uns Jüngste kum
inerte man sich nicht weiter; mit un
seren prägen wurden wir kurzer
Hand abgerertigt.
n wahrer Bestürzung kam ein be
nachbarter Bekannter, ein ZeitungS
schreiber herbei, Dr. Gulav von Wa
chenhusen, und erzählte in sonderbar
Wir folgten "ihm über die beiden T 1 77 i 7 j , ,
mm schmalen Höfe des tiefen :aJ - ld) ilc bewaftncte Macht.
ndstückes in unsere Wohnung im . 7 VTi a1
ause. Meine Mi.tter und die L'' ' ? 0C5
en Geschivister schienen sehr er ÜZ : ,.u . v"ui au,
um (jitiiiuu; u;muitii oucuuc ll'ul.
der etwas höher laa und durch dil!
cssenen Nlnniteliie vom Fahrweg gc
trennt war, die Straße entlang. Eine
weite strecke ohne jeden Zwischen
soll .
Als etwa zehn, zwölf Dragoner
uns gegenüber an der Schadoivstraße
I y. l . fr Atnn .-.....
SS LWiNk
fenbar schon erzählt hatte, was wir
aoer zetzt zum eritenmale hörten: vor
di.'M schlo se ,e auf das Bolk ae
schonen worden; nun sei kein Halten
mehrl Erbitterung sei unbe
schreiblich, nun gehe es los! Er habe
vcrgeHIich versucht, über die Linden
Hans dringen und ver
suchten mit Gewalt, die geschlossene
,auötr zu lprengen, wahrend gleich.
wohnte, einer der großen Troitoir.
amdern herabgeworfen. Er traf ein
Pferd, das hoch aufbäumte, stürzte
und feinen Reiter abwarf.
sofort fa&en mehrere Draaoncr
ei), iue eiiien machten sich mn den
sVun'tiirufott in Sii ..5...
jii fnnjitimt ,lss,'L rnh,ntl -i"0- 0" uiv uuuacu
V" " " Hilf""! ,fll rni ,
,, III" "UUH. III
i'i'ii viuuiuh, vun oon orgern, oie
das Pslauer aurrmen. Droschke
titr?4(in MiiiiFrtii Ut,l
"""' WUUHUUtlt VUU1L-I1.... .ifi,, ., S TV. .t v .
Wäbrmd ?r in fhrrh h,, , -Ui "I nc
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nti XenUorhraH ,..,S v,,; ;.. uuü lU meinem KUÜUU)
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also niÄ üi ll7an an hatte, ohne et
Hause vorüberfuhr. Darin aßen ""7..
Studenten, di mit ihm --"u-, y naw
nosies eoauern darüber, öaij ich
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Lungen hergeben wollten, brüllten: " " .'
Zu den Wa,sen!" Der Droschke Ü;Z i.a x'Z " - L T
illsltf im Pftiiffrfiri o-n Tn.hh "v" """" U"""' UUB
'-O"- ' "-. im.;. Vlll -VVMVV Vül ms fw-fll rti il i.f.ltfyt.r;.4.
Zehn, Mölf jungen Leuten, wahr 777", M3Ä SL
i-TisllM 1(11 (tll.sttltlrt Äit k.,..,VS I ' ' ' " ........v
vmmiiiwi, vic ttitil UUS tiTdlii- r,u.. mi:rr-
v fj.:... ""V bviiiui.ii uuucii. Att WU C'
iuwiii uiiu lujliun. u;:. ,.nttf M,sftrs Sia
Uns gegenüber hielt der Wagen Tn ' 77X,.,;.. ir"7i"
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77,77.. : r Hauswirt wurde tilitgenommen
.....,..,. ,v,,.,...n.ii viuiiutii in üus) mn iftn-M Tnr,. k, .il ...
SÄIÄI ": m iÄ LwS
U"tw mn ai hiPimu nnn heu i.nlmt ... st,'..
nit i n um ?irn,. k k,.. f,r.r.:i " 7". u" v0v"-",
" "-"1 "in Ulltll liuvi U l hin T.? fk, v
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wLdegeii. Sie schwangen sie unter .i!,. TLuT. r.i. .v ,v
rt-iThmn MntArni ,S .. J v".t " IJUUC ciUUWL'n
v..... .um u..u vijjiLiiuit ru uit' mm.;ir
vollgepackte Droschke, die kehrt hatte uin 'icr ZMnMt die Gsi i
machen müssen, in der Richtung aus J, w f Z mÄ,? ria
die Universität-unansgesetzt brül! 2 3ASft,S
c - "") ivilltl. llilvllUK.ll JC Ulji
IHIÖ. fs;f;, m'...!;... '
oa !.'.,. u:fA. " 'ü'"' fifuüiuuon vor
wuu, n.u.1, uuu UIUUUCH Uül ü i.nhm A ngü t.,Wn,"f;. ,s..
, S. 4.. if. i , ' ' M.i.m( UlllVk ILllX. iUflU ;
s ... Wirkung wird sie auf die Schule
r Zi 7.77 if t , u 1 "5iwcn? den nach ten vierund.
tZ? fJ Ql tet3Qottln' Swanzig Stunden war die Frage, ob
rave vor,pr,ngenden Fluge s der wir Schule oder srei haben würden.
!. ?vmrriin um. milnnmi ,.k . .2 ' ,, 1 ' .vi.ii,
vu.i uii..vtiu OJUU UUV tl-rtlt DnttrfiniHn CT.,.. S jt.
f.. . , . flt- wll.u.tlULIt. C'Cllll VfC Illlül
f"' "ffb'cht wr. hatte bis fte Tag war ein Sonntag, der von uns
dahin ublassg gearbeitet. P otz. oMin aU F,j,rtag-und zwar in
ausgiebigster "Weis? verbrach!
v. n y b VMlUJUJUl.4i:l.
Die Straize war ganz menschen
ieer. cur eiien u azie ern leveiides c?.? .. ;a
ci.i p " , v rv ' ' , I i t. nui vlh1 Ul vtC Ul illlt
Wesen über den Fahrdamm. Ich er UfblthrnV KmL fc
kr, v.t. .1. --vv-"'"
i.i.iult ....uL,u hi-uuh van oie cenkwürd aen Taaen mit üoraeam.
Ue und fctiüe am hellichten Tage wärtige, nie recht verständlich gewor-
- PL , r T 7 ..U9"i,Ql n, wie uns Kindern von unserem
rn (TVistf tAfrtl not 4,. 1 . , . .
7 . 7 7 'l"""tt,l,U lU' l'Nl un er Xöoljl ehr be orgten Eltern
dentenbewafsming hatte mich gar eine solche Freiheit der Bewegung zu
nicht er chreckt. Ich mochte wohl ,n ntm,, n,i. ,.i, ,;. ,-; .:...
frndlicljan Instinkt die beruhigende tatsächlich gegönnt war. Freilich war
'II httiiv hrthrt XrtH ttti SrtM I . . . , ' .
"V""" v-i., vuö .1111, vtii uutii üolt ccn ieraören des hpuHnfn
ödjatiefen fein Unheil angerichtet Straßenverkehrs damals noch nicht
werden wurde. Nun der Lärm vor- die Nede. Die Straße war vielmehr
i t 7T' "m,nie mia 0,c der allgemeine Spielplatz der Schul,
luwKuuii iiiye. niaenÖ. Aber mmorliin bi,-i in
uin luck wurde die . schwule die Nackt bine n fiatt, Srfuiifp
Pause sehr zivcckmäßig benützt. Wir knattert, hüben imd drüben waren
,eicn uns zu x., cu, wom eme ganze die amvtcr dak naeiunken. ..dw
isiunoe zpaier als gewvynlich. Und üugel mitten in der Brust, dn?.Stir
eS ist mir nicht in der Erinnerung ne breit gespalten" auf Seiten
geblieben, daß die ernsten Ereignisse, der Bürger allein mehr denn zwei,
die sich draußen vorbereiteten, viel- hundert! und unsere gewöhnliche
leicht zum Teil schon crsüllt haben Sonntagsordiiisng erlitt dadurch sei-
moozien, aus un,ercn Appetit ungun nerlei Veränderung. Wir durften.
slig eingewirkt hattm. Von dem be els ob nichts geschehen sei, gerade
-reunoeien aazoarn, oer ,ich nicht wie am Sonntage vorher, zum Spie
mehr aus unserem Hause auf die len auf die Straße aeben: wenn wir
Straße traute, könnte ich sogar das nur, an Körper und Kleidern leidlich
Gegenteil mit Bestimmtheit behaup- unversehrt, rechtzeitig zum Mittag,
ten. , ' esien Zur Stelle ivaren. bekümnwrtl
Als wir nach Tisch ans Fenster man sich aar nicht darum, was mir
traten, wars unten wieder ,eyr ve uizwiichen getrieben hatten.
lebt. Uns gegenüber, m der Scha Ild es war ein so wundervoller
dowstraße, war man damit beschäf. Frühlingstag, dieser 19. März, so
ligr, am mir uiweianmett runoen warm, sonnig heiler'
dos Pilaiter auizureiDen. Vor dem Es mochte so etwa 10, Uhr mor
Ecknauie der Schadow und Toro- anis lein, als wir uns auf den Aez
thcenftraße, in den, ein Optiker machten, unsere Freude von aeaen
wohnte, sein Sohn, Paul Bau. über, die beiden Kinder des Optikers,
mann, war mein ischulimma j meine Schwerer und ich. Vier mn
der, daS älteste dreizehn Jahre alt,
ich als Neunjähriger daö jüngste
ahnungö und sorglos auf der Straße
der vom Ausstande noch zuckenden! und wiederum hörten wir unver
laoii . . .
In einer Schilderung der März
tage habe ich einmal gelesen, daß an
diesem leuchtenden Morgen als wir
mit unseren neugierigen Ninderaugen
dim nn3 blickten und vor allem
Ungewohnten Halt niachtcn die
Straßen Berlins einen surchtbaren
Anblick dargeboten hätten: Blutlachen
vor den Häusern, auf dem Pflaster
cutietzllch entstellte eichen, von,
Blutverlust erschöpfte Verwundete,
die man noch nicht hatte fortschaffen
kenneil.i ,
Wenn das Bild ähnlich gewesen
ist, mim es in ganz zruhcr Morgen
stunde aufgenon.meii worden sein.
Als wir durch du Straßen zogen, in
denen am Vorabend blutig gekämpft
worden war, war von diesen Greueln
gcttlob nichts mehr zu sehen. Das
wäre meinem Gedächtnis gewiß nicht
entschwunden.
Wir gingen wie gewöhnlich zu
nächst durch de Schadoivskraße nach
den Linden. Sie waren schwarz von
Menschen, die überall kleine Grup
pcn bildeten und sich sehr lebhajt im
terhielten.
Eine besonders starke Ansamm
lung ivar vor einem Hanse auf der
Nordseite, nahe der Friedrichstraße.
Da lagen auf dem Trottoir linrnh
lige Paare zerrissener Handschuhe i
Wir verstanden das zwar nicht, aber
die Auskunft genügte uns. Das
erbitterte Volk hatte den 'aden fie
stürmt und. um die Tat der Nache
n,cht durch die Niedrigkeit der rechts
widrigen Aneignung fremden Eigen
tunis zu entiveiheii, die ichonen
neuen Handschuhe zerrissen und aus
Scltjamc Uhrcn.
Üvkkrkwurdiae ijcttmrfskr im
Altertum und Mittelalter.
. i---.. -. .. j --
F I T I T 7TTTtTTTTTt7TTTTTTTt
Der Lärm dämpfte sich zu leiserem! Tie Mittel, mittels welcher der
m t , r. ...i . it,.s k! ,, . -'.
Acensch die Tageszeit zu veitlmmen
suchte, haben von jeher seine Phanta
sie und Erfindungsgabe stark befchäf
tigt. Die Zeit, in der er sich n'cht
mehr begnügte, ans den Schatten des
Baumes oder der Berge die Tageszeit
zu erkennen, liegt weit zurück in den
Gemurniel, verstümmle, um sieg
reich, seicrlich, ergrcisend ertönte
nun von Taufenden von Stimmen
der Ehoral: Jesus, meine Zuver
sicht!"
Aller Häupter entblößten sich.
Was daS zu bedeuten hatte, was
diese erregte .andächtig singende
Mcnschcnnlenge wollte, ahnten wir
nicht. Aber wir Kinder suhlten doch,
daß eS etwas unendlich Trauriges
sein müsse.
ES war, wie ich später hörte, der
historisch gewordene Zug: der Nönig
und die Königin mußten auf dem
Balkon des SustosseS erscheinen, um
die Leichen des gefallenen FreiheitS
kampfer, die man auf Leiterwagen
und Tragbahren auf schwankern
Brett" mit entblößten, blumen
gc schmückten Wunden vorübersührte,
zu grüßen.
Als der Zug, dessen schauerlicher
Anblick unseren Üindcraugen er
syaet blieb, vorüber war, verlief sich
die Menge, die Absperrung hörte
auf, und wir . mußten laufen, was
wir konnten, um rechtzeitig zu Tisch
nach Hause zu kommen.
Anfängen der Kulturgeschichte. Die
die Straße zerstreut.
Alö wir über den Schloßplatz
gingen, iahen ivir oben m der Brer
temtraße wieder eine ungewöhnlich
Aufstauung von Menichcn. Wi
mußte natürlich wissen, was dar
los war. n eine der häßlichsten
Pumpen, die damals noch das Stra
ßmbild verunzierten, war eine Born
In; eingeschlagen, die aus dem selbst
gebohrten oche halb heruoriah. De
boshafte Berliner Wi!z hatte darüber
den berühmten Anrrur des Uönias
,.An meine lieben Berliner!" ge,
klebt, dann den Tert foiveit entfernt
oct) das Vcch mit der Bombe völli
stchlbar blieb als ob die Ringel
das schon früher an das Brmmena
Hänse befestigte Plakat durchlöcher
hatte und erst die chlnßivort
wieder lesbar waren: Eure lieb
reiche Königin und wahrhait treue
Butter und rennd,n. die sehr lei
dend darniederligt, vereinigt ihre in
nigen tränenreichen Bitten mit den
meiiiigen." Da entstand alio das
zu jener Zeit geflügelte, seht in Ver,
gencnheit geratene Wort: Tie lie
beu Berliner mit Bomben und Gra
naten.
Viele Häuser zeigteil och im ab
geblätterten Kalk uugelspnren. Am
ärgsten war daö Haus am Kollm
schen Fischmartt, Ecke der Roßstraße.
n.itgenommen, in dein sich eine der
bekannteste Berliner Konditoreien,
die von. d'Heureuse, befand. Da
hatte eine ganze Jnfanleriesalve ein
geschlagen.
Mit den Barrikaden war schon
c'iim gronen eil aufgeräumt: an ei
nige Straßenecken sah man die Icü
tcn Ueberreste, mit deren Wegschoß
fung man sich e,,r,g beschäftigte. An
vielen Stellen war aber daS Pflaster
noch aufgeriiien. Eme Barrikade.
eben in der Königstraße, nahe dem
tcrauöerplaye. hatte man wohl als
römischen Zeugen des blutigen Er
stes in wohlerhaltenem Zustande
lehe lasten . Sie war im wesentli
chen aus Kulissen des alten König,
städtischen Theaters errichtet ,die mit
einem gewissen Galgenhumor zu son
derbarcr Wirkung zusammengestellt
waren. Wenn mich meine Erin
nerung nicht trugt, hat man sie noch
mehrere age uls kurioies Wahr
zeichen der stürmische Nacht unver
feyrt erhalten. Tiefer Ban aus bc
malte und ausgesteiften Leinwand
stucken mun wohl einen besonderen
liidruck ans mich gemacht haben:
er ist mir noch heute in allen Einzel
yeite gegenwärtig.
Wir hatten uns weiter als ae
wöhnlich vorn Hause entfernt . Auf
unserem Heiniwege mußten wir ge
räume Zeit an der Lange Brücke
ehe bleiben. Vor dem Königlichen
Schlosse war der Aufkauf so stark,
daß wir seinen Schritt vorwärts
machen konnten. Der Schauplatz
war auch abgesperrt. Nicht vom Mi
itär, nicht von der Polizei von
einer sreiivilligen Schutzinaimschaft,
die sich eben erst aus dein Bedürf
nisse deZ Augenblicks gebildet hatte.
Meist junge Leute, die sich brüderlich
die Hand reichten, umzingelten den
ganze Platz und sperrten jeden Zu
gang voil den darauf mündenden
Verkehrswegen: von der Langen
Brücke, der Breiten und Brüder
traße, den Werdersche Mühle und
der Schloßfreiheit.
Wir waren zu weit entfernt, hin
die schauerliche Szene, die sich vor
dem Königsschlos'e abspielte, zu sc
;Cit. Wir hörte nur ei dumpf-
raufendes Stimmengeivirr. Lärm.
der bedrohlich anschwoll, dazwischen
mverflandilche ufe... .Dann plötz
ich trat Piufcj ei, während sich aller
Die Frage, die mich unablässig be
schäftigt hatte, wie das mit der
Schule nun eigentlich werde würde,
wurde' am folgenden Tage, am
Montag, entschieden. Unseren Wü.
scheu entsprechend. .Wir hatten frei
bis ans weiteres. Die unverhoff.
ten .um so willkommeneren Feier
tage wurden von uns gehörig aus
genutzt. Wir strolchten natürlich be
ständig i den Straßen. herum, sperr
ten die Augen ans und spitzten die
Ohren. Wir freuten uns über die
''chwarzrotgoldene,i Fahnen, die
von de Dächer herabivehten, freu
tut nnö über die jchvarzrotgolde
nen Kokarden, die von de Herren"
an ihre Zylindern, von kleinen Leu
ten und uns Jungen a der MHe
getragen wurden, und waren stolz
auf die bemerkbarste Errungenschaft:
die Rauchfrciheit auf der Straße.
Mein Freund Paul Baumann, der
Dreizehnjährige, machte sogar hinter
dem Rücke seines Vaters davon Ge
brauch und kaufte sich bei Gerold
eine Tmierzigarre, die er stolz im
Luden ansteckte und kühnlich auf der
Straße paffte mit lächelnder
Selbstverständlichkeit, bis ihm, der
Angstschweiß auf die Stirn trat und
la-j Lächeln verging. Als er die
Zigarre wegwarf, war es leider
schon zu spät.
Ich glaube, es war schon am er
sten Montag, also am 20., als wir
da, zu unserem Vergnüge i der
dlanguull fürchterliche Enge her
umgestoßen und gepufst, aus irgend
eine angenehme Ucberrajchung war-teten.
Da kam auf einmal in die dichte
lebhafte Bewegung. Nach1
recht und links wurden die Leute
beiseite geschoben und gedrückt, um in
der Mitte eine Gasse zu bilden
Vorn Brandenburger Tor her zog
ein Trupp eigentümlicher Erschei
nungen Hera im Marschschritt
Bürgersleute, die. wie ich mri jetzt
konstruiere, wohl überwiegend dem
Handwerkerstände angehörten, sonn
täglich herausgeputzt, im schwarzen
Bratenrock, de Zylinder ans dem
K'opf, die Plempe über den Nock ge
hnallt, den Kuhsufz auf der Schul
ter; und vor ihnen in gleicher Aus
tattung zwei Trommler ,die u
barmherzig aufs Fell schlugen. Of
fenbar sympathisch gesinnte Leute.
U'.eist in jugendlichem Alter, gaben
ihnen unter freudigen Zurufe das
Geleit.
Tas war die neugeschaffene Bür
gerwehr!
Wir schlösse uns' natürlich der
Eskorte an. Die bewehrten Bürger
marschierten zum Palais des Pri
ze voit Preußen, auf de man in
dieser Zeit gar nicht gut zu sprechen
war. Da hielten schon bürgerlich,
Kamerade Wache. Tie Wache wur
ö.- abgelöst.
Ans der ür zum Palais standen
grone Buchstaben, mit Kreid,
g schrieben, die uns rätselhaften
Worte: National-Eigentum". Sie
mußte wohl viel zn bedeute haben,
denn sie wurde von denen, die sie
verstanden, stürmisch angejubelt. Daß
ie von 'iiiem klugen Manne her
rührten, der irch seine Geistesge
Ä'ienge
genwart, das Palais des Prinzen
von Preuße als Eigentum der Na
tien zn proklamieren, das schöne Ge
,'iiude vor finnloser Zerstörung er.
rettet hatte, lernte ich erst viel spä
ter begreife.
alten Äegypter benutzten ihre Obclis
ken als Sonivenuhren, aber sie er
kannten bald, daß diese Uhren zu sehr
abhängig von Witterungscinslüssen
waren, und ihre Genauigkeit versagte,
wenn Wolken den Himmel bedeckten.
Erfinderische Mechaniker sannen da
her auf künstliche Mittel, die diesem
Uebelstande abhelfen sollten. So mt
standen die Sand- und Wasseruhren;
es blieb jedoch nicht lange 5ei der
nüchternen Zweckmäßigkeit, die Appa
rate wurden ausgeschmüclt und sinn
volle Mechanismen hinzugefügt, und
es entstanden allerlei seltsame Mei-
sterwerke, an denen gerade die Ge
schichte der Uhrmacherkunst sehr reich
ist. So wurde von den Zeitgenossen
die brühmie Wasseruhr, die Harun al
vtaschid Karl dem Großen zum Gc
schenk machte, als ein Wunderwerk
angestaunt. Sie war aus Bronze an
gefertigt, kunstvoll vergoldet und zeigte
aus einem Zifferblatt tue Stunden
an: jedesmal, wenn eine Stunde
verstrichen war, fiel eine entsprechende
Anzahl von kleinen Eifenkugeln auf
eine Glocke, und wenn dkser Stun
denschlag ertönte, öffneten sich zwölf
kleine Fenster, ein Ritter trat aus je-
dem hervor, vollzog eine gewisse An
zahl von Bewegungen und verschwand
wieder im Innern des Mechanismus.
Die Wasseruhr spielte auch eine be-
sondere Rolle im mittelalterlichen Ge
richtswesen; ihr Lauf wurde von ei
ncrn bestimmten Beamten überwacht,
und war die festgesetzte Zeit abgelau
fen, so kündete der Beamte mit einem
kurzen Schlage dem Anwalt an, daß
er seine Verteidigungsrede zu been
den habe. Als dann die Uhrmacher
kunst so weit vorgeschritten war, daß
ne ourcy eigene rieowerte die üyren
i Gang halten konnte, entstanden die
phantastischen Turmuhren des Mit
telalters, bei denen man zu jedem
Stundenschlage seltsame Gestalten,
oft ganze Prozessionen in der Höhe
auf dem Turme auftauchen ließ.
Meist waren es religiöse Motive, wie
die drei Weifen ' aus dem Morgen
lande, die zur heiligen Jungfrau ka
men und niederknieten; bisweilen gin
gen aber auch geharmfchte Ritter mit
Speer und Schwert aufeinander los
und zeigten durch Stiche und Siebe
die Stundenzahl an. Berühmt war
die Turmuhr von Lund m Schweden,
wo bei dem Erscheinen der drei Wei-
sen schmetternde Fanfaren erklangen
und nach dem darbringen der Ge
fchenke die ganze Szene wie durch ei
nen Spuk plötzlich wieder im Gehäuse
verfqwanv. ,sur Ludwig XIV. ser
tigte Burdean eine Meisteruhr an,
auf der man den Sonnenkönig auf
feinern Throne sitzen und alle Sinn
den die anderen europäischen Fürsten
antommen und sich bis zur Erde ver
neigen sah.
Dazu wird eine interessante Anek
dote erzählt. Unter den Fürsten mußte
sich Wilhelm III. von England be-
fonders tief in den Sand neigen. Ei
nes Tages löste sich in der Uhr. die
dem Publikum öffentlich gezeigt
wuroe, eine eoer im Werk und
schlenderte Ludwig XI V. von seinem
Thron, so daß cr gerade vor die
Fufze des aufrechtstehenden Wilhelm
III. zu liegen kam. Da man darin
eine Absicht des Uhrmachers erblickte,
mußte Burdeg, in die Bastille wan-
bern und erhielt mehr Zeit, als ibm
lieb war, darüber nachzudenken, wie
er seine lihr hatte regulieren könne
Rluttcrs Sriefe.
Fei herausgeredet.
Onkel: Na... dji hört sich doch al
les aus! Also die Uhr willst du
rein aus Ordnungssinn versetzt ha-
ben?!"
Student: Jawohl, Onkel! Ten
ling, de goldenen Kneifer. .. und
ie Bücher habe ich schon dort....
und da habe ich, damit alles schön
beisammen ist.... die Uhr auch
hinzeacben!'
Von Lotte Gubalke.
Sehr sriih schon komme beute
Knaben und Mädchen aus dem El
ternhnus, um sich im Interesse einer
gründlichen Erwerbsfähigkeit gute
Fachbildung anzueignen. Ter Vogel
wird auS dem Nest geschickt, kaum
daß er flügge geworden ist. Fliege,
lerne auf eigenen Füßen stehen!"
sagt man zu ihm.
Es ist wirtlich erstaunlich, wie
früh unsere Kinder fertig und
ell'fländig sind eigentlich allzu
früh. . .
Dem Kind werden m bald die lie
benswürdigen und weiche Her-.enS
beziehnngen genommen, die das Ei
gentümliche eines gemütvolle Fami
lienlebens bilde.
In den erste Lebensjahren na
turgemäß, und in dielen Fällen über
Haupt, ist die Mutter die Erziehe
ri des heranwaschenden Geschlechts.
Selbsiveriiändlich sollen die Einflüsse
des BaterS auf den jungen Men
scheu nicht gering gewertet, noch die
indirekten Beeinflussungen geheimer
Miterzieher geleugnet werden. Aber
die eigentliche Erziehungsarbeit, die
Arbeit, die der des Gärtners zu
vergleichen in. wenn er den jun
gc Baum stützt, anbildet, beschnei
det, wird in allen Fällen, wenn
alles wohl steht", von der Mutter
selcijtet.
Und darum ist daS nur Muiter
und Hausfrau-Sein wirklich nicht
mit verächtlichen Blicken und gering
schätzigem Achselzucken anzusehen.
Eine Mutter, die ihren Beruf so
ausüben will, daß sie alle Anforde
rungen des wachsenden und werden
den Menschen erfüllt, muß die Weis
heit Salomonis, die Klugheit der
Ruth, den Fleiß einer Martha und
so viel viel Güte und Geduld be
itzen. . .
Genieinhiii begegnet man der An
sicht: Knaben brauchten eine starke,
feste Männerhand, die sie ziehe und
leite, und Mädchen könnten die wei
chen Mutterhände nicht entbehren.
Man hüte sich vor dem Verallgemei
nern, denn sehr oft wird in Wirk
lichkeit die Erfahrung gemacht, daß
gerade zwischen Sohn und Mutter
und Vater und Tochter starke sym
pathische Beziehungen bestehen. DieS
liegt in der Wesenheit alles Mensch
lichen begründet und mag mit dem
naturnotwendigcn Ausgleich alleS
Gegensätzlichen zusammenhängen.
Heißspornige Neuerer und unge
duldige Weltverbesserer, denen der
Fortschritt zu langsam herbeikommt
Fachdenkcr und Ueberidealisten,
die den erzieherischen Wert von Leid
und Elend nicht begreifen, glauben,
daß die Familienerziehung allgemach
überflüssig werde. ,
Dieser Irrtum ist so groß! Nie
nials kann eine Zeit kommen, die
ohne die Segnungen des Fmnilicn
lebenö auskommt. Treten Verhält
nisse ei, die das Kind früher ous
diesem naturgewollten Verband ent
fernen, so bleibt als einziger Ersatz
für die erzieherischen Einflüsse die
dem Zusammenleben mit Eltern und
Geschwistern entspringen, der Brief
wechsel. Hoffentlich find Mutters
Briefe wenigstens allerorten noch
freigeblieben vom modernen Dcpe
schensiil. Mutters Briefe! Wie oft sitze
ich vor der kleinen bunten Marbur
ger Bauerntruhe, in der ich sie auf,
bewahre.'
Sie isk grün, mit großen raten
Rosen bemalt, in. primitiver, naiver
Bauernart. Gottes Wege sind oft
wunderbzr", steht mit steifen,
schnörklig? Buchstaben unter dem
chloi.j. , '
Das hessische Bauernmädchen
birgt in einer solchen Truhe seine
kleinen und großen 5rostbarkeiten. Ich :
sammelte die Briefe meiner Mutter
darin. -
Mutters Briefe mein Vater
starb früh enthalten eine wunder
volle Lebensphilosophie. Sie klingt
in vielen Varianten immer wieder
von jeder Seite: Alles ist euer,
werdet niemandes Knechte, auch nicht
eure eigenen!"
, So lang und locker hielt die gute
rau das Leitseil - man merkte
kaum Zug und Ruck! Und : doch
führte sie ihre Kinder so sicher! Ei
nerlei ob Sohn oder Tochter. Sie
kannte uns so genau, wußte alle un
sere schwachen Stellen, die beim
Sturmlaufen feindlicher Mächte ge-
deckt werden mußten, und war nie
mals überrascht und kopflos, wenn
sie neue Entdeckungen an ihren vie
len, so verschieden gearteten Kindern
wir waren sieben machen
mußte. Mit Staunen, Jammern
und Entrüstungsreden hielt sich die
Kluge nie auf. Sie ging frisch
ans Werk und stand immer mit ei
nem Rettungsring in Bereitschaft am
Ufer. 7'- ' ' '
Lange schon sind auch meine Söh
ne und Töchter aus dem Neste geflo
gen. Aber Mutters Briefe sind noch
heute der Born, aus dem ich Rat und
Trost hole für mein Erzichungsge
scha st. .
Sie haben in meiner Jugend dem
Kind, als es in der Fremde weilte,
den Zusammenhang mit Heimat und
Familie geschaffen, die Freude an
der Schönheit der heimatlichen Land
schaft rege erhalten. Diese Briefe
nahmen Stellung zu Streit, und
Zeitfragen und erzählen auch von
ben kleinen Leiden und Sorgen einer
vielgeplagten Hausmutter. Nachbarn
und gute Freunde senden ihre Grü
ße darin, Mcnschenschicksale werden
geschildert, und auch Molly, die .
Hauskatze, Lur, der Hofhund, und
das Grasmuckenneft m der Flieder
hecke sind darin nicht vergessen.
Auch Träitenspuren finde ich auf
de vergilbten Seiten, die so viel
Liebe und Fürsorge in jeder Zeile
ausströnren.
Das waren teils Heimwehtränen, '
teils hatte sie die Dankbarkeit ins
Auge gelockt, die Dankbarkeit für so
viel treues Sorgen. Besonders rüh-
rend erschien es mir immer, daß
zur Bekräftigung eigener Ermah-
nungen die Worte gebraucht wur-
den: So dachte auch euer vortreffli
cher Vater."
Solche Briefe sind Dokumente, tk
eine unvergänglichen Wert besitzen,
Wertgegenftande, die keinem fallen
den Kurs unterliegen. Glückliche
Sohne und Töchter, denen solche
Briefe wie ein weiches, samtenes
Band Vergangenes mit Gegenwart!
gem. die Fremde mit der Heimat
verbinde!
.
Ein Geburtsfehler.
Sind Sie schon lange kahlköp
fig?" Jawohl, ich wurde schon fr g
loten,"
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