Tägliche Omaha Tribüne. (Omaha, Nebr.) 1912-1926, March 18, 1919, Image 2

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    , TSjMe Ctttap tnni
Die wirtschaftliche Lage
Von
Die Industrie und die Juden.
Als obrigkc'ittichcs Kunstprodukt wurde
um 1820 18: in da polnische Send
Jesuit verpflanzt. Sie nqhm in den
drei Hauptbczirkcn Lodz, Warschau und
Sosnowice eine glänzende Entwicklung;
istt verdankt Polen seinen steigenden
Wohlstand; in den letzten sechzehn Feie
densjahren (1897 1913) hat sie 4i
Städte neu entstehen lassen.- lettisch
christliche Einwanderer haben 1820 bis
1S30 den Grundstein zur großen Ttjtil
Industrie um Lodz gelegiJuden tarnen
erst nachher hinzu. Doch waren bei den
ersten, für den industriellen Aufschwung
entscheidenden Bankgriitidungen Juden
stark beteiligt, sie haben die ersten Eisen
bahnlinien, die großen Zuckerfabriken
um Warschau mitbeariindet, auch die
Koblenindustrie in Tabrowa mitsingt
ziert. Als die Zollgrenze zwischen Po
len und Rußland und hernach auch nach
Ästen zu siel, waren aus Jnnerrußland
zurüaewanderte Juden die Eroberer der
Absatzgebiete für Polens Industrie tief
drinnen im eigentlichen Rußland, bis
nach Sibirien, "Persien, in die" ffiar.d
schnrei.
Doch nur mehr einzelne Schichten d.r
Juden waren daran aktiv beteiligt. Die
selbe industrielle Entwicklung, welche die
Juden fördern halfen, wurde ihnen in
Polen zum Verderben. .Dazu wirkten
diele Monient zusammen:
1 Die tapide Vermehrung
der polnischen Juden. Im Jahre 1850
zählte man ihrer in Kongreßpolen 1550.
307 11. Prozent der Gesamtbe
völkerung, im Jahre 1913 1,957,000
15 Prozent der Gesamtbevölkerung.
Wenn wir den Juden eine spezifische
kommerzielle .Begabung zuschreiben tniis
sen unkl nach den vorliegenden Be
ruftstatistiken aller Länder ist daran
wohl lein Zweifel mehr möglich so
bedeutet dieses Zusammendrängen der
Träger dieser besonderen Begabung für
weit; Teile die Unmöglichkeit, von ihr
GcbrauclMu machen, für die übrigen aber
"eine Verschärfung der Konkurrenz und
damit Heraödrü'ckung der möglichen Ge
winne in einem Maße, wie man dics
fönst in der modernen Wirtschaft kaum
noch fmdet. Dies wurde noch verschärst:
2. Durch die rechtlichen Be.
schriinkuggen im Wohnsitze
der Juden. Polen war einst, das Zu
fluchisland der Juden gewesen, nicht
Rußland. Mit der Ausweitung dcZ
polnischen Reiches waren sie mch Litauen,
Podolien, Wolhynien und Weißrußland
g 'zogen. Tas Zarenreich selbst hielt
seine tammprovinzen den Juden der
schlössen, doch zogen sie im 18, und 13.
Jahrhundert in die neueroberten SiiV
Provinzen und mit freiheitlichere Giro
münzen auch ins inner.? Rußland hinein,'
Mi zum Kaukasus und, nach Sibirien,
Dem machten die Judenhetze und tein
Poräre Bestimmungen des Grafen
Jauaüew von 18811852 ein dauern
des Ende. Das Aufenthaltsrecht der Ju
den wurde auf die lg Gouvernements
Kongreßpolens und aus 13 weitere West,
rußlands, im ganzen auf den 23. Teil
des russischen Territoriums eingeengt,
und das Wohnrecht auf dem Lande, von
dem allerdings nur ein Heiner Teil (8
Prozent) Gebrauch gemacht hatte, wurde
ihnen ganz genommen. Freie? Aufent
haltsrecht im ganzen Reiche hatten biS
zum Krieg nur die jüdischen Kaufleute
erster Gilde", die dieses Recht mit einer
jährlichen Gewerbesteuer von 1800 Mark
erkaufen konnten, dazu die Absolventen
russischer Hochschulen, deren Zahl durch
die Prozentnorm" sehr gedrückt ist und
einige kleine, der Zahl nach ganz be'anz
lole Personenkreise., So erklärt sich das
seltsame Bild in den polnischen Städten;
man fand zum Beispiel:
in Vankchau ..,. von S21,Sf9
in Lodz (1915) ä 0,00
; Kubi, ...... OMS) 62,354
in 4,tsch . ... (1908) ,.
io Radom ....... (wobj , 3,343
Tie vielleicht an sich schon eiwas zu
niedrigen Prozentsatze steigen aber für
IM in mittleren und kleineren Gtäfc.
chm zu Sätzen wie diesen:
in WgdiZww fjttficej ...... doi, 5 in
in 3fmfrfiSi)fiflr ....... 2.1 ir.
n mmtetola (ilublm). . . . , , . ,,i.;q
in Pwtrolo a. Warschau) . , , 1,214
in Eömadns (8, Lomicha . . . jj,SJ
Wo sich die jüdischen Massen in solch??
Weise zusammendrängen, da konnten sie
nicht, wie in Teutschland und Frankreich,
eine wirtschaftliche Oberschicht darstellen.
Im Kaufmanns und Handwerkerstand
Kitt ein gewaltige Uebersüllung ein. und
von der Landwirtschaft, der Urproduk
tion, die in Polen noch so viele Kräfte
nähren könnte, hielten sie Gesetze und un
günstige Verhältnisse fern.
Tie jüdische Ei uni Auswanderung.
Tit iyftr unser sie fiihisffum !N?lr.
UWfc ....V .t. jHHIUII MVUlli
die Konkunenz in ganz anderer Schärfe
sls bei weniger rührigen Stämmen
waltet, wird eben dadurch det osmoti
sche Druck" in diesem engen räumlichen
Behälter um so stärker, und der Abfluß
euS ihm zeig! sich in der Maffenaus
Wanderung der Ostjuden; allerdings ist
sie aus Pole lange nicht so stark wie
aus dein übrigen Radon. Immerhin
nisandte Polen nach ?ksrdameriks:
km Ja?r
191
19')
8.313 UnsoNkN
4. 00 ,
7.50f
e.m t
6,fr"0 ,
11,000 ,
l&il
! il
1'12
li13
CJ
km. Turchschnitt 1909-1313 als?
jährlich 7300 öpft. Seltsam ist bei
t'.vtt Auswanderung ein doppeltes:
'ii'M wie bei anderen Stämmen Ivan
tan vorzügsweisi die jungen, unverhei
rotten Männer, sondern ti ist Familien
rftnirrung. Im kräftigsten ManneZal
j-r -ikh'ii die VerbeirZteten samt ihren
Müikg über Meer: im Lande bleiben
ti 'M und Schwachen zurück und le
I.e? fc-p, tlry'r! tr'tt-.fp 'fl trt
f. -,.,.:-r ,i.,,s-i-.-r !',') btX . :!!-.! v:' tv, ..
j f i;':''.r:i-ani 6-!j"ni I
r : i r-rt .,-, t-. ft i.'ii t.ss-u't
i KilVi.
der Juden
Dr. Zulius tzkrsch, siöln.
btn bald von den kleinen Summen, die.
drüben bei öanz anderen Nominallöhuen
mit Leichtigkeit abgespart, in Polen bei
der dort weit höheren Kaufkraft dcs
Gelde die Alten zu Rentnern machen.
Und eS ist hauptsächlich eine Handwer
kerwanderunq. Nicht der Kaufmann
vder Händler stellt die Massen der Man
derer nach Uebersee. Der Handwerker,
durch .den Prozeß der Industrialisierung
durch seltsame, gleich zu zeigende Ur
fachen aufs tiefste inabgedrückt. zieht
fort aus dem Lande, wo auch seit fast
tausend Jahren die Grabsteine feiner
Väter stehen. Er wandert hinüber, und
doch wird der Truck in Polen darum
nickt leichter.
Tie Auswanderung wird nämlich
iiberkompensiert durch Zuwanderung.
Wie ist sie möglich, da doch das Zaren
reich sich gegen den Eintritt ausländischer
Juden so überaus zah zu wehren der
steht?
Run. der Zuwachs kommt aus Ruß
land selber. Seit der Aera der Pogrome
strömten die noch im AnsVdlunLsravori
Gebliebenen, zurück und zwar am liebste
dorthin, wo die Juden so dicht und in
solcher örtlicher Masorität zusammen
wohnen, daß ein Pogrom technisch UN
möglich ist. Also nach Polen. Und wenn
nack Kaplun-Kogan die Zunahme der
polnischen Judenbevölkerung über ihr na
türliches Wackstum hinaus etwa 16.M
Köpfe beträgt, fo müssen wir, da jährlich
über, 7300 von bannen ziehen, mit einer
jährlichen Zuwanderung von fast 2-4,000
Köpfen aus Rußland nach Polen rechnen.
Berufliche Gliederung der Juden in
Kongresipolen.
So sind denn unmittelbar vor Kriegs
ausbruch in Kongreßpolen, in den Ttäd
ten und Städtchen des Landes etwa 2
Millionen Juden zusammengedrängt ge
Wesen; es gehörten an:
an nbet ..,.,.
deM Gikrb? , .
fii-ftt Irnnsrr!ßesü'"t
d Tien'lbols iinb Taglöhnekschickt.
ben freien Ben,!eil
der Landmirllchast ......
dem cere ,..,.
, den BcnifZIosm . , i . .
Tcr jüdische Handel.
Zwei Fünftel alleiJuden in Polen
gehören dem Handel an; von den Siaiio
nalpolen noch nicht 2 Prozekit. Ter
Kaufleute und Händler unter ihnen, die
formal als Gewerbebetreivenhe" gezählt
werden, sind ober noch, feie gleich zu zei
gen, weit rnehr. Handel ist und bleibt
auch in Polen das Hauptelemeni jüdi
scher Wirtschaftstätigkeit. Beginnen wir -mit
den Größten: 7 ' ,
In jüdischen Händen liegt nahezu der
ganze Absatz der Textilindustrie. Etwa
20,000 jüdische Reisende und Handlungs
angestellte leben allein in Lodz, und ob,
wohl die meisten von ihnen für die Pro
vinz oder bei Werbung und Kontrolle
der jüdischen. Heimarbeitet tätig sind, so
hat ihre Elite doch die kommerzielle Er
oberung des Ostens für die polnische
TcztilindustZie durchgeführt, ihre Waren
durch Jnnerruhland, über Nishnj-Now
gorod und Jrbit. bis in den Kaukasus,
Sibirien, Persien und selbst Kleinasien
hinausgebrachi. Die Produkte der ge
rade in Polen in ihrer traurigen Eigen
art entwickelten Konfektionsindustrie
vertreiben sie fln ganzen großen Reiche
und weit darüber hinaus; sie führen die
Arbeit der jüdischen Tischler, ihre Fuß
bodcnparkeite, Möbel, Zigarrenspitzen
vom Schwarzen bis zum Weißen Meer,
sie organisieren den Export der zahlrei
chen Tabakfabriken, sie bringen das Er
Zeugnis der 000 jüdischen Strumps
Wirker ins Land. Grosjkausleute sind eS
im besten Sinne, obwohl sie die Hinab
drückung der jüdischen Handwerkermas
sen vollenden: diese ist nun einmal, wie
Sin. R7,S77 Lude 36,3 Pttzkitt
155,092 35,
31.721 . " si(,8
. 21,324 . ai,8
, . 10,7i7 . 3 4",,5
gleich zu zeigen, ein Produkt der Eilt
Wicklung. Ihr ganzes wirtschaftliches
Interesse war bis zum Kriege dem
Osten zugewendet; dorthin haben sie das
S:NW. ,?Z Isg "," Prozent Juden
m 1.685 . . 86.7
2,109 , !.2 . .
1,1(19 . M.t
Z,6 . . ,
ökonomische Ziel der polnischen Jndu
strie gerichtet, von dort, trotz aller J
dknbekamvkiing. winkte ihnen Reichtum.
f Alt und fein durchgebildet ist tu
Holzhandel. Kleine Agenten, die im
Lande umhernisen. kundschaften die zur
Fällung reifen Wälder aus die Reife
steht oft in Beziehung zum Geldbedarf
ihres Besitzers der jüdische Pro,
vinzhändler. lausig den Wald, jüdische
Holzfäller bringen ihn herunter; auf den
Strömen gleiten die Stämme bis zur
Sägemühle des ersten Händlers, von da
oft noch zu einem Großhändler des Ez
Porthafens. t?ön diesem zum Exporteur,
und dieser hat noch feinen jüdischen
Agenten zum Heiallssortiercn feines
Sortiments".
Vom Kleinen zum Groß! ging bis
her auch der Handel mit Landesproduk
itn. 24 ist der kleine .Prsßler'. der
bald als ,Tgrsgänger von einem Dorf
zum anderen kauft und wieder verkaust,
woran hier Mangel, dort Ueberflub ist,
bald zielbewußt mannigfaltige Ge
brsuchZg?gens!änle zusammenkauft. Re.
den den Getreideüöerschüssen kauft
Artneikräutek, Felle. Hühner und Eier
auf, und gerade mit Eiern hatte sich vor
dem Kriege bekanntlich aus Südpolen
und Galiziktt ein Welthandel entwickelt,
der wegen absoluten Kapitalmangels der
kleinen Ankäufer ganz seltene Formen
des Kreditkaufes fchaffen mußte.
"Turcheg liefern aber die Kleinen
und Kleinst: ihre gesammelten Pro
dut.'e nach d'm .Konisrliändlei' ab,
dem stoljen P?ov!n;großkänd'er, ' t
nur tern Kontor aus" feine Geschäfte
macht und on,den grnftM Ksll'g'n in
Warschau, 7.'Z ode' ::ji s:::?:va
in HÄen:'')
treibt; doch auch er hat jetzt bittet zu
kämpfen. Denn durch daS Vorschußg?
schüft, da? russische Banken und auch
die Etaatsbahn eingeführt halten, konnte
der kleine Händler den großen umgehen,
und so hebt auch bei diesen scheinbar ge
sicherten Großen da! Ringen um die
m immer neuen Variationen
an . . ,
Während alier dks'i Ringen bei sok
chen Rohstoffen zut Herabdriickung der
Handelskosten und damit ?ur höheren
T,aseinssorm des Handels führt, ist es
Im Handel mit Fertigwaren umgekehrt.
Die moderne Entwicklung des Detail
Handels gipfelt in der. Entstehung des
Handelsgroßbetriebes: Waren und
Kaufhaus. Massenfilialbetrieb, Versand,
geschäst und Konsumverein sind feine
weithin k!cktvaren Vertreter, die Juden
überall Haupt- oder doch Mitbegründer
mindestens der kapitalistischen Formen.
All das, besonders die angebliche Ju
deneefindung. das Warenhaus, gibt es.
in .den großen Jud?t!stödten PoleuZ
Nicht.
Statt dk"en eine für den Westeuro
päer, ganz unbegreifliche . Zusammen
drängung von Geschäften und Geschäft
cken klkinster.Art. nebenan und über
einander, und in die Eingänge..die Tor
weae schieben, immer noch ein paar
Männer und Frauen ihre Auslage
schränke s.AImerln") oder auch nur
nu. Auslagettsche hineiz. Spezialisie
rung scheint hier noch die alleinige Lö
sung zu fein; durch höchste Reichhaltia
keit in einem Artikel will man die
Kundschaft gewinnen. Im Getto zu
Lublin steht man Speziala?sck!äfte kür
Schuhnänel. für Gebetbück'er. für
Trahigeslecht. Und vbgleich nach Volks
dichtigkeit und Kaufkraft olle Beding
ungen für Handelsgroßdeiriek gegeben
wären, fehlt es an aeeigntem Personal:
MM Pro',ci!t der ErwerböIiaen
34 ftj,
: : :
'-'
12 -
fol : : :,
6.30 .
polnisches gibt es noch nicht, der inten
sive Selbsländigkeiisdraiig der jungen
jüdistoi llaufleute un'terbindct ihr
Entstehung.
Die Konzentration, von Waren, die
der moderne Kauftr im Warenhausc
sucht, findet er auf bn stoßen Märk
ten, Dicht gebrängt wird da gehandelt,
am liebsten täglich, unter höchster St:!
gerung von Handelsgeist und -Fäkig-keit.
Man sehe nur die hageren Juden
frauen zu Lodz oder Launisch, wie sie
im Augenblicke wechselnd zwischen
Polnisch und Nu-ssifch. Jiddisch oder
Teutsch jede Schwäche in der Kauf
neizung des einmal gefaßten Kunden
zu erspähen wissen. In Lodz sind die
Markte fpkjialifikrt; auf dem einen wer
den nur Tertil- und Schuhmaren, auf
einem endeten nur Zuckerwaken, auf
einem dritten (bei der Hauptsynagoge)
nur frisch: Lebensmittel gehandelt, und
man muß den Eifer gesehen haken, mit
dem dort um eine Apfelsine gescilscht
wird oder um eine halben Hering!
Oder auch um rote Kopekensiückc, die
man gegen österreichisches, deutsches
oder Lodzer städtisches Papiergeld ein
zuhandeln sucht.
Ueberhaupt spielen die Märkte in Po
len noch eine ganz andere Nclle als im
westlichen Europa. Zwar sind sie in
langsamer Abnahme begriffen, aber ne
ben dem Händler wir der Unabhängig
!e!tcang der jüdischen Handwerker sie
noch auf lange hinaus bevölkern.
Und g?ßen diesen jüdischen Handel,
der das ganze Land belebt, und in sei
r.er Uebersüllung zwar dem Juden viel
Not, dem Polen aber eine relativ billige
und ungewöhnlich reiche Versorgung
bringt, erhob sich vor mehreren Jah'ren
der Ruf des Bvykotis: Kauft nicht bti
Juden!" Die antisemitische Bewegung,
die wir hier nicht zu schildern haben, hat
polnische Konsumvereine entstehen las
sen, auch polnische Ges.s'äste, die' aus
den Antisemitismus spekulierten. Räch
der ganzen, hier geschilderten Sachlage
mußte dek Rus gegen den jüdischen Han
dcl wirkungslos bleiben. Schwerer traf
er den jüdischen Handwerker.
TaS jüdische Handwerk.
Aus rituellen Gründen waren von
jeher drei Handwerker unter den Juden
seht stark vertreten: Schlächter, Bäcker
und eines biblischen Verbotes wegen
Schneider. In Polen haben sie, wie
schon erwähnt, auch die anderen Hand
Werke früh übernommen, und nur lang
sam sind die Polen ihnen nachgedrun
gen. Um die .Jahrhundertwende fand
eine Untersuchung statt, die 'folgende
Ergebnisse zeitigte: es lebten damals in
Polen von
dem B?k!?ISiiiig?gekerbe , . tu.
dem Nahrungs. u. enubmUlelgelveibe , . .
d?m Tcniiqsnzerbe .
im MeiallKkrawetlmigSgcwerbe ..... .
dein Bllugckoerb ,
Im Verhältnis der Bevölkerungszahl
waren sie Im Bekleidungsgewerbe sieben
mal so park als die Polen, in der Ta
baköerarbeitung L?mal so stark, in
Uhren. Instrumenten und Spiclwa.'
rcnherstcllung etwa 10mal, im Gold,
schmiede und Lukusartikelgewerbe 5mal,
im Nahrungsmittelgewerbe Lmal, und
im Baugewerbe doppelt so stark. In der
Textilindustrie waren beide etwa gleich,
und das Verhältnis verschiebt sich zu
gunsien der Juden, je wehr eS zur Ur
Produktion, zumal zur Schwerindustrie,
hin gcht. Die Beliebtheit der einzelnen
Handwerke unter den Judm hat Mar
oolin Plastisch azeigt. Man hat diese
BeruftgrupSttkung unter die Formel ge
saßt: Die Jckcn arbeiten in den End
fiadien der Ptodukiiou. Ihre Mitarbeit
ist am geringsten bei der Gewinnung der
Rob''tizk'?, sie ft;igt, t mehr die !ßfre
ficd der Lkller,S:mz näbert, sie wird am
lsktc &': letzten Stadium der Pro,
duktion. nämlich keim Absatz der fertigen
Ware durch den Handel. Unter den Ur
lach dieser seltsamen Erscheinung stellt
Margolin die Beobachtung voran, daß
viele Bergwerke und sonstige Gewin
nungsstälten der Rohstoffe außerhalb
ves RanonS" liegen und d,e Juden
deshalb schon von ihnen ausgeschlossen
seien. Doch liegen die Kohlengruben zu
Dabrowa und Tschmstochau mitten im
Rahon, und doch sind die Juden trotz
aller Bedürftigkeit nur wenig darin zu
finden (ISlJS samt Angehörigen 654
Seelen).
Vielleicht blickt man den Et
Wicklungsgang richtig, wenn man die
Juden vom Handel her ' ins Gewerbe
hineingedrängt iht. und die besonderen
Formen, die das jüdische Handwerk in
Polen annimnit. versteht man am besten,
wenn man zwei Grundströmungen wir--Kn
sieht: er Tran? aZY Selbstän
digkeit. nach einem Hosfnungsschimmer
auf Emporkommen und den Zug zum
Handel, zur Warenvcrmüllung. .
Der jüdische Handwerker strebt, seiner
Hände Werk selbst abzusetzen. Die alte.
normale Art auf Bestellung für Kunden
zu aib:iten (Kundenproduktion), ist ihm
für die große Masse der Landbevölkerung
schon durch feine Gebundenheit an die
Stadt äußerst erschwert. So sucht er
seine Abnehmer auf d?n Messen zu gc
winnen. er bevölkert die Jahrmärkte, df
ren nach einer Untersuchung vor 1? Iah,
ren im G?1ibcrncmeiit Lomza jährlich
177, im Gouvernement Radom gar 331
stattfandek. Diesen Typ des Waren
haudwerkers" ficht man wohl auch nach
Kirchenschluß in den Städtchen und
Dörfern, er zieht gelegentlich hausierend
übers Land und arbeitet wohl auch als
Wanderhandwerkcr' im Hause, solange
der Tschinownik es duldet. -
Richtige Kundcnprodu!iin kann der
Handwerker an seinem Wohnorte der
suchen, iodr-miiljen sich um denselben
Kunden nicht' nur allzuviele jüdische
Handmerkskonturrenien, sondern da tritt
ihm die groß: Liquidationsanstalt des
alten 5?aiidwerks" entgegen, das Maga
zin. Es findet seine Stütze in den mo
derik'n Umwandlungen des Bedarfs, de
Iren wir alle unterworfen sind, und die
auch in Pokn ihren, für die Handwer
kcr so verderblichen Eingang gesunden
haben: Mode ist der Sammelname für
die eine Seite dieser Erscheinunzen,
Auswahl der für die andere. Der mo
derne Käufer will sich nicht auf die Ge
schicklichkeit eines Handwerkers verlassen,
wenn er Hut und Kleid. Zimmercin
iung oder Zigarre kauft. Fix und fertig
will er all das sehen, miialichst viele
solche Gegenstände verschicdlisier Aus
führung ' und Qualität nebeneinander,,
aUk denen man dann prüfen, auswäh
len und höchste Wonne wieder um
tauschen kann. Das eben bietet dr
große Laden, das Magazin"; es läßt
aus Borrat arbeiten, bes.bäfiigt Hunderte
von Hemdivcrlern zugleich; woie sitzen
ist gleichgültig, je billiger, desto lieber.
So wird dek armseligste Handwerker der
beliebteste, feine niedrige Lohnforderung
wird zum Normalnrnh sur alle anderen,
er wirdum Grenzkuli". zum Maßstab
der Lohne nach unten,, un dder jüdische
.handwerkei'Grenzluli ist eine der jrau
rigstkn Figuren.
In per Auswahl kaun er nicht mehr'
Schritt halten. Zu wesentlicher Hapl
talbildung reicht sein winziges Einkcm,
inen chnegin iiick't aus. Margolin lt
richtet, daß von den Polnischen Schnei
dermeisiern um die' Jahrhundcrtwenoe
nur etwa 20 Prozent die Einkommens
höbe von 400 Rubeln (600 Mark) er
reichten, ibrer 47 Prozent mußten mit
250 bis 800 Rubel jährlich ihr Dasein
fristen, und ein volles Drittel (33 Pro,
zen!) hatten weniger als 250 Rubel jähr
lich zu verzehren.
So suck,! der Handwerker sich mit
fremdem Kredit in seiner Existenz zll
halten. Aber das zinslose Gefällig
keitsdarlehen.'der Gmilath Chessed, kann"
ihm beim allgemeinen Kapitalmangel
nur selttn helfen, und so muß der Wo
eher" eingreifen, eine seltsame Dar
lehcnssorm, Anleihe kleiner Beträge, die
von Woche zu Woche verzinst wirö wo
chentlich mit 1 bis 3 Prozent, also jähr
(ich mit 50 bis 150 Prozent, und deren
Zinsbetrag solange bleibt, bis dit ganze
Schuld getilgt ist. Dabei erfolgt die
Tilgung nicht selten in Waren, die dann
zu niedrigsten Preisen angerechnet wer
den ein. umgekehrtes Trucksystem
schlimmster Art.
Tie jüdische Genossenschaftsbeivegung,
die bis 1900 in Kongreßpolen V.) jü
dische Leih-' und Mpargenossenschaftcn
hatte entstehen lassen, sucht dieser Aus
bkuiung entgegenzuwirken; sie hat sicher-,
lich segensreich gewirkt, doch kann sie das
Hinabsinken des jüdischen Handwerkers
in die Hausindustrie nicht aushalten; sie
wird wohl nur das Kapital des .Ber
legers" ergänzen. Damit sind wk? schoir
in die Sphäre der modernen Industrie
eingehet?!,.'
Die jüdische Industrie.
Die beiden vorigen Abschnitte Haien
schon das Werden des einen bedenklich
wachsenden Ziveigcs der polnisch-jü.
dischen Industrie, der Hausändustrie, gc
zeigt. Wir sahen ja.- wie der Magazin
Händler zum Verleger, der jüdische
215.000 17 $104. aii gezäh!!,n Juden -
4?,5W 4 ,
Wjjm 8,2
4,1'Ki 2 , ;
ÜVJOÜ s 2,2
Handwerker zum Heimarbeiter wird.
In einer Fülle von Formen sührt diV
ser Prozeß in den verschiedensten Gc
werben zum gleichen, traurigen Resul
tat: Ter Maciazinunternehmer. der sich
weist zum Grossisten, oft genug zum'
Exporteur entwickelt, sendet seine rei,
senden Kommissionäre' übers Land; sie
arbeiten oft mit Zwischenmeistern s,Lie
feranten"), die noch große Bruchteile .des '
kärglichen Lohnes für sich vrrDegneh
men: die Reisenden verteilen' mit den
Aufträgen auch das Skohmvleiial (Garn, .
Wolle, Felle) und auch an diesem bcrei
chern sich die Zivischenmeister noch so re '
gelmaßig, daß nach Margolin ge
stohlene Garnspulen geradezu als Zah
lungsmittel kursieren. So sink!, wäh
rend die Arbeitszeit dauernd steigt, das
Verdienst der jüdischen Heimarbeiter'
Massen tiefer und ki'fer. Ter selbstän
d'ge. Schneider, der roch Tft) Auk! ver
tiente,' sink: ali Heirr.atieit aas lit .
Hälfte Gesellen müssen,ch mit IkO
1.0 ludel jährlich begnügen. Damit
wird dann auch In diesem genügsamen
Mittcu mit hohem Geldwerte doch die
Grenze des höelisten Lohndrucks erreicht.
Der jüdische, Heimarbeiter wandert au
nach den Gebieten minderen Lohndrucks,
Mit ihm wandert das drückende System
der Hkiinarbeit nach Belgien, England,
Amerika und während die Geschicktesten
bald zum Zwischenmeiflcr. viele andere
auf anderen Wegen emporsteigen, bedeu
ten für die abgewanderten Waffen schon
etivaS erhöhte Lohnsätze gegenüber da
heim einen Ausstieg, doch sie selber wir
ken für die ArbeilermasseN der Einlösn
derungsländer als lohndriickende Grenz
kulis. .
Weshalb aber' bleiben sie njcht daheim
und wenden sich der heimischen poln!
scken Fabrik als Arbeiter zu?. Diese
blüht doch, wie uns Rosa Luxemburg
zuerst gezeigt hat und wie der Augen
schein lehr! in ihren drei Hauptralzons
Lodz, "Warschau. Coönowice mächtig
empor, hat emen dauernd wachsenden
Arbeiterbedarf und muß nach Schulze
Gävernitz' berühmter Formel den Wirt
schastlichen und sozialen Fortschritt drin
gen. Da stehen wir vor einer jener
Nätsclerschkinungen im ostjüdischen Le
ben. Der Jude wird nicht in Massen
zum Fabrikarbeiter, er industrialisiert
sich nicht". ,
, Än der Tatsache kann kein Zweifel
mehr sein. Unter fast zwei Millionen
Juden in Pole findet man nicht ganz
12,500 wirkliche Fabrikarbeiter. In der
Fabrilsladt Lodz lebn LO.000 jüdische
Reisende und sonstige HandelsangesieUte,
viele tausend Handwerker und Gesellen,
cUt kaum 1000 wirkliche Fabrikarbei
ter. Ter Ursachen dafür hat man viele ge
nannt. Die wichtigste ist zweiscllos:
1. Die rückständige Entwicklung dzr
jüdischen Fabrik. Jüdische Arbeiter sind
im wesentlichen aus jüdische Fabriken
angewiesen. Die Juden, im übrigen
Europa und in Nordamerika die Mit
fchcpser der Großindustrie, zumal bei
allen Webstoffcn, haben ihre Entstchssng
in Polen anderer, hauvtsäcklich deut
scher Initiative überlassen. Wohl zählte
man im anzen Rayo schon um die
Jahrhundertwende 3000 Fabriken jü-
bischer Eigentümer, fast 40 Prozent aller
Fabriken, aber ihre Größe blieb hinter
denjenigen der anderen zurück, ihre
Turchschnittsproduktion war kaum die
Hälfte derjenigen christlicher Eigentümer.
Und selbst in den jüdischen Fabriken
bleiben die jüdischen Arbeiter prozentual
hinter den anderen zurück, um so mehr,,
je mehr der ganze Betrieb mechanisch,'
eigentlicher Großbetrieb wird. Damit
berühren wir die
2. Ursachenreihe der Nichtindustrial!
sicrung des jüdischen Proletariats: In
seinem Unabhängigkeitsdrang und un-ou-löschlichen
individuellen Geltung!
willen kann der Jude sich in die üttcha
ni)icrmig, die absolute Gleichmacherei der
grvßindustriellen Maschinerie nicht ein
ordnen; ailsüelilsloses Gleichgestelltsein
mit allen anderen geht ihm gegen die
Natur.
3. Die Sabbairuhe, deren Sirenge
im ganzen nicht assimilierten Judentum
Polciis unerschüttert ist, kann für die
übrigen Arbeiter, enen der Sonntag
heilig ist. nicht durchgeführt werden; die
Speisegesetze verbieten Einführung ge
einsamer Fabrikkantinen. Erschwerend
wirkt die meist niedrigere Lohnforderung
des nichtjüdische Arbeiters, dessen Fa
siulie oft auf dem Lande tifte weitere
Unterhaltung-Möglichkeit hat, während
der Jude von Arbeit seinen ganzen Be
darf decken muß, der ohnehin bei ihm
als allen Stadtbewohner höher ist. Und
zuletzt doch nicht zum wenigsten: Der
Antisemitismus der nichtjüdischen Ar
beiter und Werkmeister. Ta der Jude
sich bisher nicht industrialisiert" hat,
betrachtet die polnische Arbeiterschaft die
Fabrikarbeit als ihre Domäne und er
zwingt gelegentlich bei Einführung von
Tampskrast die Entfernung jüdischer
Arbeiter aus Fabriken, in denen sie bei
Handarbeit seit vielen Jahren ungestört
tätig waren.
So erlebn wir das seltsame Schau
spiel, daß der .Allgemeine Jlldisclie Ar
beiterbund in Polen und Litauen"
(gegr. 1837) der einer der ersten radi
kalen Vertreter marxistischer Gedanken
Welt im russischen Reiche war. und so
mit theoretisch das Werden des Groß
kapitaliSmus nur begrüßen konnte, sich
praktisch doch ganz überwiegend aus
Handwerkern und Heimarbeitern kekru
iierie, deren materielle 'Interessen der
Ausbreitung der Großifdustrie schroff
entgegengesetzt waren. Die Jndusiriali
sierung Polens trieb jüdische Massen
teilweise ganz aus dem regulären Er
werbs leben hinaus.
Wirtschaftliche Kriegswirkungcn für
5.:. h.suisi,... . . w . ..
un tiuiiiiiujni uocu.
Scho als vom ferne Osten her die
Kosakcn bei der Mobilmachung einrück
ten. waren die Juden als Rechtlose nicht
selten das Ziel ihres Tatendranges. Der
Antisemitismus der Nationalpolen be
zeichnete sie, deren Söhne in höhcrem
Prozentsatz als die der anderen Stämme
im russischen Heere standen, als natio
nal unzuverlässig, und während des
Stellungskrieges beschlossen, wie der Le
richt im Ledzer Tageblatt eS so ku
sagt, hinter der russische Front die
ettige (örtlichen) Poljakcn, arauszutrei
ben die Jud-n'. selbst "in Städtel Nado
schitz'. wo sie über 50 Prozent der Be
dv'kerung ausmachest, und wo der rus
sische Kommandant dieser freundlichen
Anregung alsbald Jolne leistete. Be
kannt sind dit massenhaften Bustrcibun
gen der Juden dann im, Bewegunas
kriege; schauerliche Bilder solcher Züge
haben wir auf den Straßen OflpolcnS
täglich erblicken müssen. Nach vielen
Niederbrennungen blieben zwar die gro
f?eren Städte durchweg hrtasi; ober die
kleineren Dörfer und Einzelgehöfte wa
ren meist radikal niedergebrannt. .
Dennoch leidet der Bauer In Polen
ritt so schwer wie der Städter und vor
allem der Jude. Ihm half ja der Bo
den, die noch gebliebenen Lebensmittel
Vorräte, zumal an Kartoffeln und Vieh,
übe? die schlimmste Not hinweg. Gvnz
anders h-i den Jichen.
' 1. Jfit Wiktschstsjzkbr! war zm grc
fei Teil naö CsUn fittickiet, TorHiu
Mas ivirö alls
dmilcl
i
Von Viktor
terliiikr Lotalanäelücr. .21. Januar.)
Wir hatten gehofft, daß rnit Beend!
gung des Kricgözustandes auch die Ge
selligkcit wieder ausleben würde, die Ge
selligkeit in den Formen, wie wir sie lie
ben. Mit der Aussicht auf Besserung,
auf baldige Rückkehr der zwanglos ge
mütkichcn Zusammenkünfte tu?n Gleich
gesinnten im Rahmen des Herkömmlichen
und Altgewohnten ist ' es freilich noch
schlecht bestellt. .Vorläufig fehlt es noch
so ziemlich an allem, an der Stimmung
sowohl wie ganz besonders an den stofs
lichen Grundlagen. Denn es ist nun ein
mal so, und wir brauchen uns dessen
nicht zu schämen: der Teutsche hat dit
Geselligkeit am liebsten in Verbindung
mit einem gewissen Maß materieller
Verpflegung und körperlichen Wohlbe
hagcns, er sitzt nicht gern .trocken" am
Tich," sondern wünscht sich auch .etwas
Gutes auf den Teller und ins GlaS.
Andere Völker, andere Sitten. In
Frankreich oder Italien hat schon man
eher Landsmann zu seinem Erstaunen
bemerkt, daß dort eine Einladung zum
Abend keinesfalls immer die Darb!ung
leiblicher Genüsse in sich schließt. eS sei
denn, daß eine Tasse Tee und ein wenig
Gebäck alS vollgültige Berpfleguug be
trachtet werden. Wir denken da groß
zügiger. Lud man beisuns einen Be
kannten zum .Butterbrot" ein, so bedeu
tete das In liebenswürdiger Uebertrei
bung nach unten einen gutbesetzien
Abendbrotlisch, zum mindesten ein paar
Schüsseln mit Aufschnitt, ost genug auch
eine Kalbskeule mit allen Schikanen oder
einen anderen Braten, dazu neben Tee
Bier oder Wein. Wir haben lr3 diese
angenehme, Sorte von .Butterbröten" in
den letzten Jahren lcioer abgewöhnen
müssen, und es" wird noch mancher
Tropfen ins Meer der Tränen rinnen,,
ehe sie wieder in aller Glorie in die Er
scheiNung treten.
Es ist ja heute bei uns seht im
Schwang, Vergangenes zu überprüfen
und Fehler und Jriliimer zrl bekennen.
Gestehen wir also nur essen ein, daß
wir fürhcr in der üppigen Zeit vor dem
'Kriege, im Punkte der Geselligkeit bis
weilen doch gesündigt haben und daß
manches, was in den legten Jahren auf
gesellschaftlichensGebict durch dek Zwang
der Verbältnissö verschwinden mußte, am
besten, für immer verschwunden bliebe.
Gegen eine Geselligkeit, wie sie unter dem
vorhin erwähnten Zeichen des stark cr
weitaten Butterbrotes gedieh, wird sich
nichts einwenden lassen, wofern jie in
weiser Beschränkung nicht aus dem Rah
men behäbig-biikgerlicher Gastfreund
schaft fällt. Reizend ist es. wenn sich'
ein kleiner Kreis gleichgescknter oder
wahlverwandter Menschen, die sich gegen
scitig etwas zu sagen, etwas zu bieten
haben, unter det Obhut einer treusorgen
den Hausfrau um die Tafel fchart, wenrl
ei Bravourstück dek Küche, ein guter
Tropfen, mit Ernst und Heiterkeit gc
würzt, die Zungen löst und die Kerzen
näherbringt. Solche Symposien, nicht
zu häufig Und nicht zu selten vcranstal
''tet Und womöglich die Reibe herum, sind
ein Jungbrunnen für Geist und Gemüt,
der schönste Lohn sür eine von Arbeit
erfüllte 'Zöche. Aber wie st hat maß
lose Uebertreibung in jener Zeit, die ns
jetzt fast legendenhaft erscheint, die For
wen edler Geselligkeit verzerrt! In wel
chem Umfang waren aus harmlosen Fe
slivitäteit geistlose .AbsUtterungen" ge
worden, deren Beranstalter sich nach dem
Beispiel des römischen Schlemmers Tri
malchioS gegenseitig zu überbieten such
ten! Leider hat sich, wir wollen es ossm
gestehen, dieser ungesunde Zug zum
tZrRivtf&vt ntib fTtriinf-rtSirn -7N,'Kw,?n?
j .1. ( 11 1 1 L 11 un. yiuii..tl.i ....... -.w-
allein ans jene Kreise beschränkt, bei
denen man' das im Hinblick auf ihre
Herkunft und Hemmungslosigkeit ollen
falls verstehen konnte; der Mangel an
Maßhalten machte sieh auch ost genug
dort bemerkbar, wo er nicht erwartet
werden durfte und deshalb um so Pein
licher berührte. Man wird diese mccha,
nischkn Abfütterungen einerlibergroßen
Anzahl von Gästen, die sich kaum kennen
oder sich pleimgultig gegenüberstehen, die
endlosen, kostspieligen Speiscsolgen. olle
die Umstände, die daS ganze Haus auf
arbeitete ihre Hausindustrie, dorthin
richteten die Fabrikanten ihren Absatz,
von dort bezogen sie ihre wichtigsten
Rohstofse. Bon dieser ihrer Lebens
auell: wurden sie mit dem Augenblick det
Besetzung abgeschnitten.
2. Die ganze Terttlinduslrii im we!
testen Sinne, für Wolle und Baumwolle,
Kunstwolle. Jute und Flachs verlor den
Zustrom von Rohmaterial. So wurde
Fabrik, Handwerk und Heimarbeit gleich
sam mit einem Ruck stillgelegt und fast
einem Drittel der polnischen Juden die
kärglicb.e Nahrungsquelle abgegraben..
3. Schon vor der Besetzung war eine
ungeheuerlicheStörung bc3 ganzen Wirt
schastslebens dadurch hervorgerufen wor-'
den. daß die kussisch Reichsbank, die
wichtigste Lieferantin der Jahlungsmit
tkl auS Westpolen einfach alle Barbe
stände zurückzog und ihre Zahlungen ein
stellte. So trat ein unttwarteter. allen
Geldverkehr zerrüttender Mangel an
Zahlungsmitteln ein.
Dennoch litt der kleine Handel u
nächst nicht so sehr, wie man e! hätte er
warten sollen. Infolge seiner zeisplit.
leiten, rückständigen Orgnaisation wa
ren die vorhandenen Vorräte weit grö
ßer, als etwa im besetzien Nordfrank
reich, und der deutsche und österreichische
Soldat war in eifriger, zahlungSwil
ligrr Käufer; noch Im Mai 1915 fand
man in den feit Dezember besetzten Ge
bieten Vorräte an Südfrüchten und
Südweinen. an Schuhwerk uns
Schmuckstücken; selbst Depot? deutscher
militärisch Aleidungjstücke wußten unS
die diensteifrigen Jungen auf den Stra
ßen schon anzugeben, es war wirklich
noch so ziemlich für Geld zu kbe
alle;'. Freilich oft r.nr sür el I.
Und tiVn dara,!m rangelt: es" a'söald
den jüdische Massen,
der
im pje cj
.
Giimam,.
den Kopf stellte'?, ohne irgendeinem 3it
Haber wahre Freude zu eretten. gern
für immer erledigt sehen
Bielleicht sorgt dafür schon der ZToang
der Zeit. Höchstwahrscheinlich haben wir
auch nach Friedensschluß mit Irtschaft
lichen Verhältnissen zu rechne, die ge
rade dem gebildeten Mittelstand eine
Sparsamkeit zur Pflicht machn, wie sie
unseren Voreltern vor hundert Jahren
aufgenötigt war. Man wird mit einer
kleineren Wohnung vorlieb nehmen, wird
vielfach auf Dienstboten ganz verzichten
und sich mit vorübergehender Aushilfe
begnügen müssen. Der ausS äußerste
eingeengte häusliche Nahmen verbietet
dann schon ohnehin ausgedehnte Gaste
reien, ganz abgesehen von der auch noch
weiterhin zu erwartenden Knappheit und
Teuerung aller Lebensmittel. Aber sol
len wir deshalb auf ie Pflege der Ge
selligkeit im eigenen Heim verzichten, sol
len wir uns zu allen anderen Entsagun
gen auch noch diese auferlegen? Keines
wegs! Es bedarf nur einigen guten
WillenZ, einiger Anpassungsfähigkeit.
Einigen Humors, und wir werden bald
die Erfahrung machen, daß unsere Ge
selligkcit gerade durch die Vereinfachung
des ganzen Apparats an intimen Reizen
gewinnt. Die gute deutsche Hausfrau
wird zeigen, daß sie, vielleicht unterstützt
von 'einem Haustöchterchen, mich ohne
Kochfrau und sonstige fremde Hilfe sehr
wohl imstande ist. ihren Gästen eine
tüchtige Wirtin zu sein. Wir wollen
uns wieder darauf besinnen, daß es bei
solchen Zusammenkünften mehr auf das
Wie als auf das Was ankommt. Gute
Laune und den guten Willen, sich von
der besten Seite zu zeigen muß jeder
mitbringen, und damit ist schon sur dos
Wichtigste gesorgt. Die Bewirtung soll
auskömmlich und erfreulich, aber so an
spruchslos sein, daß sie dem Gastgeber
weder empfindliche Ausgaben noch über
große Beschwerden verursacht. Eine
ganz einfache Schüssel, vielleicht nur ein
Hausmannk-gericht, aber mit Hingabe
und Verständnis bereitet, kann auch im
Rahmen der bescheidensten Häuslichkeit
geboten werden. Und was das Poku
lieän betrifft, auf daS wir Teutsche ja
nicht unerheblichen Wert legen, so heißt
es, sich nach der Decke strecken. Wein wird
voraussichtlich noch auf lange Zeit hin
aus knapp und teuer fein, so daß er nur
alS besonderes Festgetränk in Fraae
kommt. Inzwischen erinnert sich aber
Gambriiius. hoffentlich seiner einstigen
Kraft und Fülle und beschert uns statt
des furchtbaren Kriegsgchräus bald wie
der einen achtbaren Tropfen. Es wird
wohl also dahin koinwen, und das wäre
auch aus triftigen inneren Gründen
durchaus zu wünschen, daß unsere Gk
selligkeit einen mehr familiären Charak
ter annimmt, daß der häusliche Bnkehr
sich auf einen kleinen Kreis von wirklich
zusamiiUltgehorigen, sich gegenseitig" s.
chenden. gegenseitig erfreuenden Menschen
beschränkt, daß große 'Gesellschaften
überall, wo sie nicht auS besonderen
Gründen durchaus nötig und unbermeid
lich sind, als lästig, kostspielig und unek
fpneßlich vermieden werden, und daß
der ganze Stil der gesellschaftlichen Ver.
anstaltuuzen zu den schlichtesten Formen
zurückkehrt. Ist es noch nötig, zu sagen,
daß Einfachheit nicht Mangel tt Cg
fall, nicht Kulturlosigkeii bedeutet? ES
wäre bedauerlich, wenn eine solche falsche
Auslegung des Begriffs Verwirrung
stiftete. Gerade in den Grenzen der
Schlichtheit läßt sich in hohem Maße
Geschmack und .Anmut bekunden, und
dafür zu sorgen,' mag eine der vielen
schönen Aufgaben sein, die den Hüterin
nen unseres Herdes jetzt, wo es sich um
größere Verinnerlichung unserer 'ganzen
Lebensführung handelt, winken.
Techsfingkrige Familien.
In der mathematisch natumissen
schastlichen Klasse der Gesellschaft der
Wissenschaften Christian! hielt Pro
ftssor Dr. Christine Vonnedie einen
ortrag über ErblichkeitsuntersuchuNgm
in einer Gruppe norwegischer Lan
deSbevolkerung. die ungcmein tnteres.
fante Aresschlüsse ergeben haben. Es
?mnoeiik um namii, m . h it...
. .' ' , " MlllVl.
luaMg einer Reihe vlelfingeriger (poly. '
caunter) yzmilten im südöstlichen Not
wegen. In diesen Familie hat eine
veocuiendc Anzahl von Individuen sechs ' ' l
Finger, und zwar entweder an einer oder .
an beiden Händen; oft finden sich aüch
sechs Zehen an einem oder an beiden ,V
jjuficn . Der sechste Finger sitzt in allen (
diesen yamilicn aus der eii tv iu-,. t '
eN ftlnn.ri I." in.. l f
u ,ilin,ikn UN Cft
rechten Hand entwickel.. Dies, ;,.
'umnazreit vererbt sich in den untersuch,
Jen Familien als ein dominierende?" V
Merkmal iinlv tritt hnW i. w.
... ,. cen i ,
meiste Faüen in einer N,!K, i,k.!. K !
ver lotgenrer elchlechter auf. Hat einer
von den Eltern sechs Finger, so ist a
-.-.T WMVlliUll. 1
wuyreimla). raß auch etwa die Halste ,
der Kinder sechsfingrig wird. Diese
verschiedenen Familien nun. die olle die '
selbe erbliche Eigentümlichkeit ha'ben
können, wie Professor Bonnevie sestge ?
stellt hat. ihr Gesckileckit uk .,.
dieselbe Gegend zurückführen, nämlich
nach Ringebu Im Gudbrandsdal. Bei
näherer Nachforschung über die Abstam
mung dieser Familien In diesem KhUL
gelang es. festzustellen, daß jede einzelne ,
der Familien zuletzt auf einen und den
,k,oen 'ann zurückgeht, der in der Mitte
des 17. Jahrhunderts in Ringebu gelebt
hat Ueber die Finger diese, Manne,
wußte allerdings die Ueberlieferun,
nichts mehr ,u melden. Mit der Viel
fmgkkigkeit verbindet sich innerhalb die
fes beträchtlichen, etwa &000 Individuen
umfassenden Familienkreise auch eine
auffallende Häufigkeit von Zwilling,,
rr.d auch Drillingsgeburten."'
Zweierlei.
SlM ift'l, z-'ht kei dir e, ein; ' ' "
Hat l der aro re, pennst du' .Schiv.'.
.(
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