Tägliche Omaha Tribüne. (Omaha, Nebr.) 1912-1926, February 22, 1919, Image 7

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Cniit Triliie
II
A
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' Kriegsende in den Srö
berliner
NevslutZsttstage.
Bo Gabriele Reuter.--
Ein ung, heurez Schickfcif liegt 1 auf
der Lauer und Berlin lauscht in dum
Pfcr Spannung auf f in Entladung.,
I ist rurr rrr,. i.,v,,.
h l (" u" VVIk WllUill, Ull JUWfc
( gellt bedrückt seinen Geschäften ach. daö
milde Weiter lockt viele kleine Binder
vm loten, 'iu ane rinne heraus alles
s.int (i tisf!, .4 u,:ir. vu
j ,"," w iniyuu;, uiiu uuuf iuiin.il Ul(
Menschen: es wird fieberhaft gkarbntet,
ein unilcywung bereitet sich vor, der zu
den gewalligsicn der Weltgeschichte ge
hören wird. Wann wird es eintreten?
Wie wird er entscheiden? Was wird
dann werden? Diese Fragen gehen von
Mund zu Mund. Aber wie es ge
schieht. das lang und bang Erwartete
. -m ....A,jia; ,f; ttt. 4.
v VUB u ' biiuu&ll'llUflilll LUlllJllC
wt wird doch für Zausende eine llcber
kiischuna von niederschmetternder Wucht,
Eine Familie sitzt bei Tisch das
.ieiiptjeu lautet; die btimrne klingt
1 fern, undeutlich: Der Kaiser hat abge
dankt die Bolksrepubkik . ist auSge
UlJfN. '
Deuischland Ncpublik . . . soziale Re.
Publik ? ES acht wie ein Blitz und
s Knall durch Hirn: Also Revolution!
Und man stürmt hinan Ins -Freie,
unter die Leute. Tort an den Ecken der
breiten Straßen des Westens wilde
Kämpfe gutgekleidcier Menschen um die
Extrablätter, wie an jenem unvergeß'
lichen 1. Auqust 1014. Und doch an
der die 2)ienge ist dumpf erschüttert,
das Eiznum dieser eleganten Pelz
dämchen, dieser eben noch gemächlich
spazierenden Herren und Familienmüt
ter ist vorläufig eine verständnislose
Verwunderung
Ein Hnpcnton, da kommt es daher
gebraust: ein graues Lastauto,' besetzt mit
Matrosen, deren Mühenbäuder lustig
wehen, mit bewaffneten Feldgrauen: die
Gcwehrläufk starren in die Höhe, eine
rote Fahnk flattert wild in der grauen
) Nebelluft, und vorn, tvaH ficht ooji.
von Blumen weih und grün umkränzt?
Tas unheimliche Ting, man kennt es
cus lausend Abbildungen, ein Maschi
nciigewchr, hochaufgerichtet, ein Mann
zu feiner Bedienung daniben.'TaZ Auto
hält, zwei Fcldgröxie springen heraus
treten auf einen vorübergehenden Ofsi
i)ltl jll, H.IC ltlC iiUUlUtlUlü(, u
) stutzt greif! gelassen an seine Schul'
' i ... n.it r:- Mt.tri:: a.
III, IUICll CJIC ilUyltlllUUC UU, nimmt
l!. .v., . . . t !.f.fi .
ne itoiatjc von ver .utugt, roiucu u
. Viä in i Qfii utirt Wifi ir in Vni ftnnh
l ... .IV VIMU VIV (I ...
r.x't ..i inh;u;!ii.in)i hinn
tyUU, llilljlf VV Att- I tu1lHltVinU VUVVII,
f'.i. s..r. Tva r:...
im auiu uuu lutuci. juuo tun
j Publikum starrt' auf die Szene, ein paar
' junge Mädchen lachen erschreckt .und der
Liegen. Ist das die Revolution? '
s Sie. äußert sich auch anders. Im
innern li'r Stadt iielien aewalii Äüae
ifstoen Re,isck)en durch die Straßen, Harte,
verarbeitet!, vergrämte Vestchtcr, eckige
Gestalten; rote Fahnen wehen, man
, sieht Trupp von Fraukn, bewassnt
!, mit Gewehren. und Säbeln, die wild und
ungeduldig aufkreischen, wenn dos Los
lösen der Kokarden ihnen picht schnell
s'tgeniig von statten zu gehen scheint.
' Reden werden gehalten, deren Worte
! vnteraebcn in tosenden Hochrufen der
Arbeitermenge. Hier W das Volk, das
sich befreit, befreit zunächst aus der vier
jährigen Qual dieses grauenvollen 5irie
ges. und in der neuen Zukunft vor allem
dem Frieden entgegenjubeln.
?,Ui Erstaunen und doch eigentlich
l wieder selbstverständlich für den, der
norddeutsches Wesen kennt, ist die Prä
)zision, Ordnung und Sachlichkeit im
i.k.k. fc.--. 1Iksk
i vytujcycii wi. ivuuvnuiytu. 4tvtu
( ti üth k,ist in hprr slfpii-ficn Normen
riv. - ,'1 f-1- ' I) , "
c&. Die Behörden, ob sie nun 5criegs
Ministerium. Polizeipräsidium oder
.soiistmie heißen alles steht seit Tagen
r l an'...- .1- ri'si-
!nno jtanjicn unicr ,iaiic, ihuuuii
schem Schutz. Ein Zug Arbeiter und
vEsldaien riiekt an und aus den In
,kxi fliegen die Gewehre der zur Wache
' kommandierten Mannschaften auf die
j Straße nieder, dasj es prasselt, wie das
? I Knattern von Geschossen, und sie win
len und rufen jubelnd ein Willkomm
nr -den Kameraden unten entgegen. Eine
J SAportmutig begibt ich zu dem Borge
? ) schien. Um Verhandlungen folgen
i,,)das Gebäude mit seinem Inhalt geht In
'bie Hände der neuen Vollsrcgierung
z ' über. Wie tie darin betriebenen, iveit-
i verzweigten und mit lausend alten In
,ß istitutionc verknüpften Geschäfte von
j ,en Ma mern der neuen Regierung Ivci
t ) suh.it oder aufgelöst werden sollen,
erscheint als unlösbare Aufgabt. Es
I Zmufz eine kolossale Organisationsgabe
5' fordern. Der inbrünstige Wunsch be
vegt wohl in diesen Stunde zahllose
'? Herzen. Mögen sie sie besitzen, möge
i'klhnen unerhörte Kräfte des Güstes und
W eele wachsen, damit sie das arme
Molt sicher hinausführen aus diesem Ab
' qruin voll Schrecken und GrauZ, ange
, füllt mit allen zaknebleckenden Ungeheu
i rn er Tiescj Denn schon drohen die
Ä.'fahc.n, die mit beinahe ehernir Ge
schmäZziglct den guten und ehrliche
islea aller ResolutionZbcginner ver
$ huhlf und sie unwidcrslchlich ins Meer
(dir milden, gegeneinander tobenden Ge
I '.walten hinai.ereitzen.
I Es I,t immer wieder derselbe Verlauf:
Man erinnert sich, mit dugipsem Grauen
s fchon in der Schule g!nt rJ haben,
i wie sich dies? Tinge vollziehen. Aus
I , ?!n!en Hüuftrn fallen Schüsse, dort
haben sich iönigstreue Ofsiziere ver
i stanzt. ... Es entbrennen regelrechte
' '.cimpse mit Wsschnievgewehrftuer und
iHandgrana'.en. die Wut aus beiden Sei
Jen w'rd briinstiaer und wüdcr. und
: ... i- , 7 . w. rn 'ii...
vaijttno IN v?l V5UUII l't JUI ', 2
beiittek delfiändia? und tüchtige Man
n'k alle ihre Kraft r.d Äfug'ifiU flf
'fiiv'n, ur., einigte:, zwischen dn sitz
tzckkkdenden Gruppen der vemiizig;,n
.ü'.d der Unibl,!ingi.i'N n nsAtn, um
,if der Hitt: vsetklls.'idtliebkndkr bin,
ilW: Ei,mee eine brauchbare Re, ,
Woinciiiöikderialls Aerlin, Kamöurg und Wien.
gicrung zn bilden, wüten draußen die
ganze Nacht hindurch die Kämpfe we!
ter. von der ' Leidenschaft, von , der
Uebcrzeugungstreue, der Glut des He
roismus einzelner unterhalten,, die in
Ehren untergehen wollen und vielleicht
nicht einmal ahnen, velä)es Verbrechen
sie so an ihrem Volke begehe? Leider
lt man auch eine Gruppe junger Pfad
finder aufgestachelt, sich im Easö Bauer
zu verteidigen und da edle junge
Blut wird in romantischer Auswallung
verströmt. Es werden nicht die Letzten
sein, die für ihre Ueberzeugung zu
arunde geh:n, eö werden ihnen noch viele
folgen, auf beidenSeiten.
In der übrigen Stadt wurde die Ruhe
meisterhaft gewahrt.- Ueberall durch
sausten die grauen Autos mit ihren I
fassen und den In der Herbstdämmerung
seltsam unheimlich wirkenden blutroten
Fahnen die Straßen. Wie eine Konzen
tration von Energie ftantzcn statt der
Schutzleute zu drei Mann wachthabende
Feldgraue ohne Kokarden oder Gurt
und Eeitengenzehr, zwischen den Passan
ten. und forderten höflich, aber be
stimmt ie Frauen auf. weiterzugehen.
Männer dürfen stehen bleiben". Kurz
vor 8 Uhr erging die Mahnung: piach
Haute, nach Hau el , .
Und die neugierigen Dienstmädchen
klapperten eilig auf Hohschuhen davon,
die Damen nahmen die Pelze fester um
die Schultern, die Hausfrauen hoben die
schweren Einholtaschen auf, die Männer
steckten die Zeitungen ein. und d,e klci
nen Benczcls warfen schnell noch ein
paar Feuerfrösche aufs Straßenpflaster
und wurden angeschrien, machten sich
aber nichts daraus, denn sie spielten Re
volution. Und olles schien eigentlich
ganz plasierlich und ein wenig unwirk
lich. Aber oben, irgendwo hinter einer
von den matterhellten Gardinen schoß
sich ein einsamer alter Offizier ins
Hrz. weil er den Fall der Hohenzollern
nicht überleben konnte, und viele heiße
Tränen strömten aus Franenherzcn, in
dem Schmerzcnsschrei: Dafür hat mein
Junge bluten müssen, dasür mußte ich
den lieben Mann geben und meine Kin
der verwaisen lassen!
Wehe, dreimal Wehe den Acrmsten,
die so fest auf Sieg und Macht bautet,
die in dem gewaltigen Geschehen dieser
Tage nur Niedergang sehen, denen keine
Ahnung tröstend zuruft: Auch dies ist
ein notwendiges Entwicklungsstadium
und wird sich am Ende auswirken z
einer höheren Kulturstufe des Meuschen
'geschlcchtes. r '
Und wenn tausend geliebte, heilig g?
halten! Symbols zum Opser fallen
mögen sie stürzen wenn Millionen
Menschen dafür gesünder, froher, wür
diger leben! -
Auf dem alten, schweren, düsteren
HohenzoUern-Schlosse weht statt der
Ztaiserftandarte die große rote Fahne,
und eö ist nun Volkseigentum Auf dem
Brandenburger Tor, . durch, das die
Truppen siegreich einzuziehen hofften,
haben dieselben Truppen nun die rote
Fahne der Volksrepublik gehißt und
eine leuchtende Herbstsonne strahlt heiter
über die tausendköpfige Menge, die sich
davor drängt, die sich vor dein Kuppel
bau dcö Reichstages ftaut und dem
neuen Baterlande entgegenjubelt, das
aus den Trümmern des alten geboren
werden soll. Eine jede Geburt aber kostet
Oaal und Blut und tiefe Todesnot; der
erste Laut eines jungen kräftigen Leben!
ist in Schrei!
.
Hamburger Revo-
lutisnstage.
(Berlin Lokalanjeigcr,)
' Für den Chronisten unserer ufgereg
ten Zeit ist eZ. nicht von Nachteil, wenn
er auf eine gewisse Distanz zu den sich
jagenden Bildern hält, die. in der Nähe
gesehen, ineinander verfließen und sich
vermischen. So haftet Wichtiges, Ne
benfächlicheS verblaßt, Aufregungen und
Impulse zerre? nicht mehr an hex Feder,
und eine Beobachtung, die wohl
namentlich alle die gemacht haben, die
draußen im Kampfe standen durch
die Wolken et, furchtbarster und häß
lichster Erinnerungen zwängt sich niäh
lich, ganz 'allmählich, mit dem Zuwachs
der Tage hie? und da ein freundlicher
Strahl humoriger Betrachtung des Ge
wesenen.
Aui tiefstem Frieden was man so
Im fünften Kriegsjahre in unserer aus
geregten Hcuplstatii, die immer ein paar
Grade Teittpeiatur mehr hat als die
nächstgroßte Provinzftadt, zu Anfang
Novembec so Nrieden nennen konnte
im nickt überfüllten D-Zug 2. Klasse
direkt hmeiazufahren in die Revolution,
mitten hinein ist schon eine raffinierte
Emotion, das muß mir der blasse Neid
lassen. Zlvar ' a.m 5. November
flüsterte man sich in den Cchreibftuben
der Zeitungei allerlei zu. was man aui
Kiel uno Hamburg durch Presse und
Telephon e:fahren hatte, aber die wei
land Z'nsur verordnete kühlere Kom
presse .lokale Erscheinungen'
.werden wir bald haben' usw., und
kam in ihm goldigen Ahnungslosigteit
gik nicht darauf, daß such außerhalb
der Redaktionen Kieler und Hamburger
Zeitnnaei: gelesen werden. Na im.
Hierhin: Wenn die Zensur auch manches
derschwiege hat, so hat sie doch manch
mal such etwa ewukt: warum sollte
an ibr' alfs diesmal nicht vertraue?
Ich macht, mich also nach StUl auf. um
nach den Ursachen des .lokalisierten'
ud wabrscheinlich langst wieder er
loschenen' Brandes zu fsksck'en.
6. Norembek. 7 Uhr 30 Win. früh.
Lcbrker Bahnhof. ka!t, nüchtern, kom
miß!z, !?ie sonst an jedem Tage seit
KriequtzKruch. Plakat: ,7er Ziig
verkeZir nach Ki'l ist g'Kört." Warum?'
smqtr ufc t' kvinen T.amtif vsr mir.
X". sih mit der slcidSülligsien Miene
über -jni hinweg (83 ich n uin
Hauptes tärfl überrag!?, immerhin ein
Kunststück!) und sagte: .Störung, mein
Herr!" Eine Störung kann ja nun im
merhin die verschiedensten Ursachen ha
den, und ich erlaubte mir daher die Frage
nach der Ursache der Störung. Der
Beamte wandte sich schon dem nächsten
Bittsteller zu, bemerkte aber noch: Ich
kann Jhn'n wcita nischt fa'en, mein
Herr." Immerhin machte ein anderer
SZeamter mir die Hoffnung, daß der 1
Uhr-Zug nach Kiel vielleicht' führe.
Der Stationsvorsteher nützte auf tele
graphische Anfrage jeden Augenblick
Antwort haben. Aber auch dieser Zug
fuhr nur bii Hamburg. Hamburg ist
aber nicht weit von Kiel, und . von
Hamburg nach kiel, ein Automobil, das
kostet' nach den Worten eines Dich
ters nicht viel'. Es sollte ganz an
ders kommen.
Ahnungslos fuhren wir hinein in die
nicht gerade, liebliche Gegend zweischen
Berlin und Hamburg. Ein Backfisch
neben mir aß mit Appetit gute hollan
dische Schokolade. Die Großmama ae
beniiber seufzte: Die Butter kostete
kilmeise' schon 23 Mark, woraus ihr
Nachbar tröstend . bemerkte, daß der
Preis der Zigarren sinke. Em Herr in
der Ecke, der diskret etwa? von Bezic
hungen zum Auswärtigen Amt mur
mclte. wußte aus bester Quelle, daß die
im Waffenstillstand normierte neutrale
Zone an unserer letzten Frontstellung
entlangliefe und 30 Kilometer Freit
wäre. M.r waren alle froh über diese
Jnsormatibn und schlufen ein.
Hagenow! Merkwürdig lebhafte Be
wcgung N-Zug; alle Offiziere im Uni
orm steigen aus. Wie auf eine Ver
abreduna (Befehl der Bahnhofskom
maiidantur!) Ein Raunen, ein Mun-
kein läuft durch die Gänge, springt von
Abteil zu Abteil, wachst, nimmt be
stimmte Gestalt an. Es bilden sich
Gruppen von Leuten, die sich nicht ken
nen; man sieht im bleichen Licht er
regte Gesichter. Ist das wahr?' Ja
za, Hamburg haben sie. Und rn Lu
deck sind sie auch schon.' Ein Coupe
genösse, der Direktor eines Bades bei
Lübeck, mischt sich ein: Unsinn! In
Lübeck kommt so was nicht vor. und
außerdem muß ich nach Trademllnde.'
Es stellte sich bald heraus, daß auf den
Badcdircktor keinerlei Rücksicht genom
men worden ' or.
. Jetzt treffe ich im Gang Herrn Haasc,
M. d R., dem übrigens attestiert wer
den darf, daß er im persönlichen Ver
kehr ein Mann urbanster Höflichkeit ist.
Erzählt mir, daß er noch mittags habe
zum Kanzler wollen: sei aber auf drin
gcnde Anforderung ungegessen'. Hals
über Kopf in den vermeintlichen
Zug nach Kiel gestiegen. Von ihm er
fuhr ich genau die Lage und die war
allerdings wenig hoffnungcriveckcnd.
Ucbrigens gab er mir genau die gleiche
Entstehungsgeschichte für die Kieler
Vorgänge wie sie später der Vor
wärts' veröffentlichte. Am Schluß der
Unterhaltung stand fest: Wir fuhren
geradewegs in eine Mausefalle, die hin
ter uns zuklappen würde.
Uns litt es nicht mehr in den Abtei
len. Die Frauen angstvoll, die Man
ner von seltsamen Gefühlen bewegt.
Alles steht im Gang und sieht in das
Dunkel des- grämlichen, schicksalsschwe
ren Novekuberabcnds. Die Lichter von
Reinbeck ziehen vorbei, vön Bergedorf,
jetzt schüttern dje Wagen in schwerfällt
ger Takt über die Bille-Brücke, und al
' les starrt links voraus. Hamburg liegt
da, die Stadr, die ein Geheimnis, viel
leicht das Grauen birgt, in das wir nun,
Frauen, Kinder, und Mäniicr unent
rinnbar hineinmüssen.
Mutter aller Gerüchte ist das Dunkel
der Nacht. Fern und hoch streuen ein
paar spärliche Bogenlampen kalkiges
Licht über die fpiegelnden Schienen,
sonst liegt die Stadt merkwürdig dunkel.
Die wildesten Gerüchte laufen durch den
Zug; eine Frau verliert alle Behcrr
schung. Vor der Station Rothenburgs
ort fährt der Zug langsamer, bremst
und hält. Kein Beamter auf dem lee
ren Bahnsteig. Ein paar Soldaten,
rote Schleifen im Mantel, ohne Kokarde
und Nationale, die Gewehre umgehängt,
treten an die Wagen: Alles, was Of
fizier , ist. aussteiqen. Unteroffiziere,
Mannschaften die Waffen abliefern! Zi
vilperfonen drinbleiben!'
- Das war also die Revolution . . . Die
Gewehre waren geladen, ich sah's an den
nach rechts hcrumgelegtc Sicherungs
bügeln der Gewehre., Der Untergebene
kommandierte, der Vorgesetzte mußte ge
horchen. Gespaßt wurde nicht. Nur
mein Nachbar im Fenster, früher
wenn ich nicht irre Direktor eines
großen Opernunternehmen! in Harn
hur, schien den Ernst der Lage nicht
ganz begriffen zu haben. Er sang leise
gegen die Fensterscheibe (Walküre, Sieg
mund. l. Akt): .Waffenlos bin ich' . .
u. f. w. Ich beneide den Mann, deß er
sich in diesem nicht gerade lieblichen 'Au
genblick so lieblicher Rcminifzenz hinge,
ben konnte.
Es bedürfte eines zweiten, dringenden
Aufrufs der Bewaffneten draußen, um
die waffentragenden Urlauber zum
Verlassen des Zuges zu bewegen. Auf
dem Bahnsteig gab es dann zwischen
Jugend und grauem Alter, Untergebe
nen und Vorgesetzten recht dramatisch?
Szenen. Nach einer Weile suchten die
Revolutionäre noch einmal den ganzen
Zug ab nach versteckten Offizieren und
versteckten Waffen. Es sollte angeblich
an einem diskreten Ort noch ein
Offizier verborgen sein. Warum, hätte
wohl keiner sagen können. Berlin
sind dann ja such, wie ich später las,
diesen überall .angenommenen' Ossizie
ren ganze Gefechte geliefert worden.
Mit der gleichen Erbitterung wie im
Manöve: dem marlierica ober nicht
vorhandenen Feind. '
Ich faßte min Müi, sti'z aus dem
Zuq und fragte einen der Soldaten, der
wahttnddeffe mit äufzrrfteN M?ß-
trauen mein s?i?arz,'chcs Bandchen m
Knopfloch murrte, ob man nach Kiel ,
ßstüdten.
fahren könnte. stiel ist' in unserer
Hand, da können Sie hinfahren. ' Nach
allen Städten, die In unserer Hand sind.
können Sie hin.' Kann ich zurück
nach Z" .Nach Berlin löinen Sie
nickst zurück. Das haben wir noch
nicht.'
In unserer Hand' . . . .haben
w i r noch nicht", wie das klang. UnS'
und wir" das war die Rkvolution.
Das Gesicht des Manne zuckte, vor
schlecht verhaltener Erregung..
Ich habe im Feldzuge Wohl ein Dt
zend Gefechte und Sturmangriffe mitge
I macht und darf behaupten daß ich mich
w- iYit .' j. l . . c: i, i . . f. , f. .
vvx oin yiuitn nityi gcuiiu uvc.
Aber vor meinen eigenen Landsleuten
das kann ich nicht leugnen begann
ich mich zu fürchten. Und ich muß sa
gen, daß kaum eine Erschütterung mei
nes Lebens mich so zutiefst getroffen
hat wie die plötzlich aufzuckende Erkennt
nis, daß ein deutscher Mann sein Ge
wehr geladen hatte nicht gegen bin
Feind: gegen den eigenen' Landsmann.
Vielleicht war der erste Schrecken auch
nur deswegen so groß, weil ich absolut
nicht sah, wohin diese bewaffnete Beine
gung des Deutschen gegen den Deutschen
hinaus sollte.
. , ' '
Wiener Valznhsfbttder.
Von Ludwig Hirschfeld.
Die erste und letzte Szene derTra
gödie spielt sich im selben Rahmen ab.
Im Bahnhof hat der Krieg begeistert
und hochtrabend begonnen, hier geht er
jetzt konfus und armselig zu Ende: Hier
ist die Eingangs und die Ausgangs
Pforte des vierjährigen Inferno. Es
waren Bilder, gegen deren täglichen
stereoptype Anblick man schließlich
stumpf wurde, ein Jammer, eine Trost
losigkeit, an die man sich im Laufe die
scr Jahre gewöhnt hatte, die man gedan
kcnlos hinnahm .als Celbstocrständlich
kei.t, weil eS angeblich so sein mußte.
Aber jetzt, wo alles, was vorgestern noch
unerbittliche Wirklichkeit war. plötzlich
gespcnsterhafte Vcrgangenh.it geworden
ist. da werden die qualvollen Eindrücke,,
die bitteren (Zrinnerungen aufs neue
lebendig. Wiener Bahnhöfe . . .. fast
für jeden für uns Ucberlebenden bedeu
ten sie eine schmerzliche Stunde. Eine
Stunde, in der man einem lieben, nahen
Menschen das Geleite zum Bahnhof gab,
einem Sohn, einem Bruder, einem
Freund, der einem, feldgrau verkleidet,
eingeschnürt und. verpackt, fchon irgend
wie entrissen war. Man fuhr mit ihm
durch die vom patriotische Strafn'
lärm erfüllten Gassen, man stand mit
ihm im Bahnhofsgewllhl der Soldaten
koffcr und Rucksäcke, der Landsturm
Männer und Offiziere, man trug ihm
seinen Mantel, Küste ihm ein Buch
oder Xwies ihm sonst irgendwie hilflose
Abschicdszärtlichkeit. Man sichte nach
guten herzlichen letzten Worten und
konnte nur unbeholfen sagen: .Schreib'
bald . . . 'viel Glück . . .', erwog im
letzten Moment noch Möglichkeiten und
Aussichten und kam so bis zur Aus
gangstllr. Weiter durfte damals, in
diesen furchibar geordneten Zeiten, der
Angehörige nicht, autzer er haue Pro
tektion, die damals sogar zum Abschied
nehmen nötig war. Dann konnte man
noch eine Weile winken und dem Zug
nachblicken, und sür manchen der Zu
rückblcibendn ist der winkende Arm. das
flatternde Taschentuch die letzte Erinne
rung geblieben. ' Tagtäglich hat sich dies
auf der Abfahrtssei'te zugetragen: Ein
rücken, Abschiednehmen, verwundet, ge
heilt, noch einmal hinaus und noch ein
mal und immer wieder . . . Vier Jahr?
lang war dies das Selbstverständliche,
und heute ist's einem unfaßbar, daß
unschuldige, harmlose Menschen das vier
Jahre lang ertragen haben.
Nun ist die Tragödie bei ihrer letzten,
trotz allem- versöhnlichen Szene ange
langt: die Heimkehr der Soldaten.
Mancher hat sich diesen historischen Mo
ment etwas anders vorgestellt: Einzug
durch Triumphpforten, jubelndes Spa
licr, Reden. Musik. Hurra. Aber auf
dicse Lesebuch und Ansichtskartciihcrr
lichkeit läßt sich verzichten, und alle Ent
täuschung Ui'.d Resignation vermag das
Gefühl dieser Tage nicht zu trüben: es
ist zu Ende, es gibt nur mehr eine An'
kunftsfeite, die Soldaten werden wieder
Bürger und kehren heim. Sie fühlen
sich jetzt schon als Zivilisten' diese Sol
baten, die zum Teil ganz junge Burschen
und zum größeren alte oder alt aus
sehende LandsturmmLnner sind, jene
braven, durchaus unmartialischen Land
ftrnmmänner, die eigentlich den ganzen
Krieg auf ihrem geduldigen Rücken ge
tragen haben das Menschcnmatcriak,
mit dem nach strategischen Plänen bis
poniert, das hin und her geworfen
wurde. Wenn man sie jetzt auf den
Bahnhöfen sieht, da erscheint einem die
Angst des von wilden Gerüchten beun
ruhigten Hinterlandes vor den zurück
flutenden Massen einigermaßen über
trieben. Die unberechenbare Masse ist
vielleicht nie so gefährlich wie der be
rechnende Einzelne, und auch diese Land
fturmmänner haben alle nur denselben
friedlichen Wunsch: heraus aus der selb
grauen Verkleidung, nach Hause gehen.
zur Familie. Das .ist der Grund, wa
rum es jetzt aus den Wiener Bahnhöfen
eigentlich erLaunlich ruhig zuzeht. Der
Rummel, dit Andrang und das Durch
einander sind natürlich viel heftiger als
in den Wochen der Mobilisierung.- aber
man spürt den friedlichen Sinn deS
Ganzen. Und ebenso selbstverständlich
ist es, daß die Zivilisten, überhaupt'
alle, die -vier Jahre lang in ungniörter
ichergeit geicflen lind, zetzt aufs Reifen
gänzlich verzichten müssen. Die Bahn
iöfe, die Elndahnen, der ganze Ber
khr gehört jetzt nr den heimkehrenden
Soldaten. Der ganze Apparat, ist auf
diese eine Aifgabe eingestellt: es gibt
kein KartrnaSzirick'n. k.-in Ausruf'.
keine Träger keine Tchnelk.züge, keine
Huikojfcr nd elegant; Taschen, bloß
schivarze Soldaienkoffcr und Rucksäcke'
und Landsiurmmänner, die nach Hause
fahren wollen. Ab und zu drücken sich
Hanistcrer ängstlich durchs Gewühl, de
nen auch jcht noch ine Kanne Milch, ein
Tack Erdäpfel den Sinn deS Lebens be,
deuten. Und kirn AüZgang ficht noch
Immer der Herr Finanzer', der die jetzt
immerhin schwierige Aufgabe hat, genau
acht zu geben, daß kein verzehrngs
steuerpflichtiger Bissen Passiert. Er
denkt natürlich nicht daran, Ernst zu
machen. Er muß aber da stehen, als
harmloser Lerzchrungsstcuermann, ein
Ueberbleibfcl, ein vergessener Posten deS
alten Oesterreich .-. ,(
Aus allen Wiener Bahnhöfen sieht es
jctzt ungefähr so aus, aber am stürmisch
sten staut sich der Strom der großen
Heimkehr auf den vier Bahnhöfen, die
die letzten Ausläufer der Fronten sind:
der Ost und Slldbahnhof. der West
bahnhof und der Nordhahnhof. Dort
hat schon die ganze Umgebung nur die
eine Farbe .und den einen Sinn: ,Sol
Voten, Soldaten,' dazwischen Gefangene
und icdcr Soldaten. ' Auf. dem, vom
Novembernebel schmutzigfeuchten, Stra
ßenpflaster liegen überall . leere Kon.
scroejibüchsen umher, jene ständige Sol
datenspur. Auch, der Trog- der. Nach
läufcuind Gaffer fehlt nicht. '- Frauen
und Kinder kriegsmäßig verwilderte
Straßenjungen und jcne Burschen, de,'
ren verdächtige Hüte allein schon wie
ein Delikt anmuken. ''Ein sonderbares
Jahrmarktstreiben' mit. gewiß nicht ganz
'einivandfrcicn Handelsgeschäften hat sich
hier entwickelt. Der Verkauf von tcu
ren, unheimlich aussehenden Leckerbissen
und Zigaretten ist noch das Harmloseste.
Minder harmlos sind die Geschäfte, bei
denen . hie Soldaten die , .Verkäufer sind.
Es wird ein schwunghafter Handel mit
ärarischen Ausrüstungsgcgenständen o
trieben. Decken, Brodsäcke. Menage
schalen finden einen reißenden Absatz,
Lebensm!t! weroen unter -dem Höchst
preis abgegeben, aber, auch Bajonette
und Gewehre werden an den Mcinn ge
bracht und noch häufiger an- halbwüch
sige Buc'chcn und Vubcn. Der Chor
der Zuschauer, de? sich sofort teilnch
mend und sachverstandig um jeden sol
chen Handel ansammelt, macht dazu
seine volkstüumlichen Bemerkungen.
, Während die einen den Rcchtsstandunkt
vnneten, daß man dies eigentlich an
zagn' sollte, meinen die Opportunisten.
Bei die Bchmcn nehmen s' es rahm eh
weg.' Tie größte Sensation erregt aber
ein verhungert aussehender Soldat, der
am Straßenrand eine' köstliche Mahlzeit
halt: Brot mit Schweineschmalz. Die
Frauen aus dem Volke sageiibewuii
dernd und gaeiz aufgeregt: Ich,, dös
schene weißeSchmalz. So was hab' i
'n ganzen Krieg net g'seh'n.' Und als
bald ist der Soldat den . verlockendsten
preistreiberischl. Angeboten ausgesetzt,
die bei vierzig Kienen beginnen und bis
zu siebzig steigen.. Aber der arme Bursche
denkt gar nicht daran, Geschäfte zu ma
chen, er will nur einmgl seinen Hunger
stillen und derart feine Heimkehr ins Zi
vil feiern.' Er' ißt also unbekümmert
weiter, und ebenso unbekümmert bleiben
die Leute stehen und sehen andächtig und
bewundernd zu, wie ein Soldat
Schmalzbrot ißt .. . '
Vor dem Bahnhofseingang patrouil
licren jui:ge Soldaten mit aufgepflanz
tem Bajonett und Sturmhaube. Aber
diese Kampfmittel die hoffentlich bald
endgültig verschwunden sein werden,
dienen nicht dem Kamps und der Ver
nichtung, fondern der Ordnung und
Friedenssicherung. Es geht auch alles
ganz geordnet und geregelt zu. Jeder
wegfahrende Soldat muß beim Eingang
seine Waffen abliefern, und man kann
nicht sagen, daß ihm der Abschied vom
Schwert oder Bajonett an ihrer Linken
besonders schwer würde. Mit dem hci
teren Blinken war es ohnehin nicht weit
her. Im Vestibüle drängen sich abgc
nützte schwarze Soldatcnkoffcr, abgc
tragcne Ruckfäcke, die endlich in den bau
ern'den Ruhestand gehen dürfen, stehen
Gruppen von Offizieren aller Nationa
litäten ' in alter Verträglichkeit und
Freundschaft abschiednehmend beisam
men. Jtalienii Kriegsgefangene -ge
hcn munter und gut gelaunt umher, wie
Menschen, die von einem Ausflug heim
kehren, während die gutmütig blonden
Russen auch jctzt in der Freiheit eine un
veränderte, geduldig bedächtige, ernste ,
Miene bewahren. Alles gewohnte Bal?n
hofSlebcn.ist ausgestorben.,..Die Kassen,
sind geschlossen niemand kauft die neuen
Romane und .die. illustrierten Zeit
schriftcn. nicht, einmal das, frische Bier
und die Schnapse beim Vüfet finden Ab
nchmcr. Tie Soldaten haben kein: Zeit
und Lust, sich aufzuhalten. Sie wollen
nur in den- nächsten Zug einsteigen und
wegfahren. Manche scheinen es derart
eilig zu haben, daß sie sogar alles
Uebcrfliissige zurücklassen. In einem
Winkel bei der Gepäckskasse liegen aufgc
schichtet allerlei herrenlose Montursilleke:
Mäntel. Kappen, ZellbO, Brotsäcke.
Wäsche, alles sehr abgetragen und
schmutzig, aber eö gibt doch genug In
teresscntin, die darin wühlen, die suchen
und gustieren. Sogar ein komplettes
geladenes Maschinengewehr ist hier zu
rückgclassen worden, wird ctber wenig be
gehrt. Diese weggeworfenen und , zu
rllckgelaffenen Uebcrbleibsek machen einen
seltsamen Eindruck: ein Restcnausver
kauf des Krieges um jeden Preis. . . .
, Ein Zug nach dem andern fahrt, mit
Soldaten voll bepackt, .aus der Halle.
Ohne Hurra und Juhu. ohne pathetische
Ansprachen, ohne Hymne und Gesang.
Ganz still vollzieht sich die Heimkehr der
Soldaten. Sie finden alle ihren Weg
nach Hause, wcn auch niemand da ist.
der nach höheren strategischen Absichten
und Plänen über das Zkenschenmaterial
disponiert. Tas Menschenmaterial . . .
was für ein häßliches Wort das ist und
wieviel Gcringsatzunq für das Einzel
schicksal ?. ' das Einzelleben daraus
spricht. Hier, auf dem Bahnhof, emp
siiidet ma das auf einmal deutlicher als
je, jetzt, wo die Soldat, heimkehren, wo
sich daZ Menschenmaterial wieder in ein
zlne Menschen auflöst. Nie wieder dürt
seit Z-'iten wie diese kommen. wie
der darf a Menschenniüterial aeocn.
Nur Mcnfchcn das genügt.
Lm
'
Uovellette von
Er studierte Jurisprudenz in 'Berlin
und war erst im dritten Semester, und
doch gehörte er schon zu den besten
Schlägern unserer Verbindung mein
lieber treuer Leibfuchs Llttilla. Das
Selbstbewußtsein, ein fast nbesteglicher
Gegner zu sein, hatte aber leider eine
andere unangenehme Eigenschaft im Ge
folge: Atiila rempelte gern Menschen an,
und wo sich Ihm. irgend ein Anlaß bot,
einen Streit zu provozieren, hätte er es
für eine Schande gehalten, fein säubere
lich vorüberzuhen. Eigentlich hieß er
Siegfried Hauer: "ch dieser Name wäre
vielleicht, für ihn -schon Kneipname genug
gewesen, aber wir hatten es doch vorge
zogen, ihn, der das sireitsuchende Wort
stets wie eine Geißel schwang, Attila zu
taufen.
Es war an einem Junitag, etwa, vor
mittags elf Uhr, da schlenderte ich Arm
in Arm mit Attila durch die Luisen
straße. Plötzlich preßte er meinen Arm.
.Siehst D den Hohenpriester dort?" .
Ein lang aufgeschossener Mensch kam
uns entgegen. Ein rötlichblonder, spitz
geschorener Bart bedeckte sein Kinn, der
Hut schien eine hohe Stirn zu verdecken.
Den Mund hatte er ein wenig geöffnet,
wie ein Mensch, der eine' große körper
lich: oder seelische Qual fühlt, und seine
Backenknochen traten darum etwas her
vor; seine Augen'hatten etwas Starres,
Geistesabwesendes; sein langsamer Gang
war ungleichmäßiggleich als ob :r die
Macht über seinen Willen verloren hätte.
Als er näher kam, richteten sich seine
Augen auf uns, und doch hätte ich schwö
ren mögen, daß er uns nicht sah.
Attila ließ meiimi Arm los: Mein
Herr, Sie haben mich fixiert! Ich bitte
um Ihre Karte!'
Der Fremde, dessen Blick trotz oder
vielleicht gerade wegen des Stumpfen
etwas von dem eines Geisterbanners
hatte, blieb stehen. Ohne ein Wort zu
sagen, langsam und immer noch wie
geistesabwesend holte er aus seiner Brust
tasche eine kleine golbgeränderte Karte
und schrieb: Dr. Mittel, Alwinstraße
46.' Dann reichte er sie meinem
Freunde. '
- Ich werde Ihnen meinrn Sekundanten
morgen früh' um zehn. Uhr senden!"
sagte Attila mit scharfschneidigem Ton
fall und überreichte feine Karte. Dr.
Wittek nahm sie, steckte sie, ohne sie zu
lesen, gleichgiltig in die Brusttasche, und
ohne daß sich seine, starren Züge im
Geringsten . veränderten, ging er niit
ebenso ungleichmäßigen Schnürn, wie er
herangetvmmen war, weiter
' Weißt u.AMa." sagte ich nrich
einer längeren MißbiUigungspause, der
Mensch war entweder bezecht oder' gei
stesgesiört!' r. ; ' :' :- ' -..
Na, das kannst Tu ja morgen sehen,
lvenn Du mir den Gefallen tust,' mit
ihm die , näheren Bedingungen für unser
Duell zu vereinbaren. Tu kannst die
Zeit ja auf Samstag..,früh uin sieben
Uhr. ansetzen., en Ort kennst Du ja
wohl?'
Leider ja!"
Leider?" höhnte er. ...
Am folgenden Morgen stand ich pünk!
lich um zehn Uhr früh vor dem Hause
Alwinstraße ,46. Es war ein eigentüm
liche Gebäude, das halb wie eine Ka
ferne, halb wie eine Villa aussah. Ich
klingelte dem Portier.
Was ist das für ein Haus?"
Das ist das Sanatorium dcZ Herrn
Oppingcr."
Können Sie mir vielleicht sagen ob
hier ein Dr. Wittek wohnt?'.
Jawohl, der ist gestern vormittag
um elf Uhr gestorben."
Ich gehöre weder zu den Abergläubi
schen, noch zu den Aengstlichen. aber ich
muß gestehen, als ich diese Worte hörte,
überlief mich doch ejn gelinder Schauder.
Gestern früh um elf Uhr waren wir ja
gerade dem fremden Herxn mit den, slie
ren Augen begegnet. '
Sie sind wohl ein Verwandter .des
Verorbencn?" fragte der Portier, der'
mein plötzliches Verstummen anders den
tctc.
Jawohl," sagte ich rasch entschlossen.
Kann 'ich den Toten vielleicht noch ein
mal sehen?" '
Ja, freilich, das können ie, er liegt
gleich hier in der Leichenhalle des Sana
toriums. Bitte, einen Augenblick zu
warten
In etwa Zklui Wnuien kam der Por?
tier aus seiner Loge herauf'ticgen mit
einem großen Schlüsselbund. Er winkte
mir,, ihm zu folgen. Wir gingen durch
einen dunklen Gang, dann schloß er eine
Tür auf. .
Ein Zittern überlief mich und . ich
fühlte, wie ich kalkweiß wude. Schnell
mußte ich mich gegen den Türpfosten
lehnen. Da lag dcr Mann, den wir
gestern getroffen hatten.. Die hohe Stirn,
der rotlichblonde, spitzqeschorene Bart,
der halbgeöffnete Mund, die vorstehen
den Backenknochen, und durch die nicht -ganz
geschlossenen Lider blickten die
Augen stier hervor, fast so wie gcsUru."
Ja, ja, sagte der Portier, als er
meine Erregung sah. es ist schwer, einen
lieben Verwandten verlieren' zu muffen.
Und er war ein so lieber Herr, der Herr
Dr. Wittek, das sagte mir der Wärter,
der seit der letzten Woche Tag und Nacht
nicht von seinem Bett gewichen ist, und
das sagte auch das Mädchen, und das
sagte auch der Herr Dr. Oppinger. Und
nun m'e er so früh dadon. und er hat
selbst nicht geglaubt ganz kurz vor
feinem 7ode hat er immer noch von
Aufstehen und Spazierengehen gcspro
chcn.'
Ich drückte dem redseligen Alten schnell
ein Geldstück in die Hand und suchte
ein: Dschke zu erreichen.
Lachend erwartete mich Ailila: Run,
was macht Dein Geistc-z'stortcr?'
Da sah er mein rkönes Gesicht.
Er bot Dich wohl angesteckt f
.Me:M. Aliila. imi haft Tu getan!
Der Tr. Wittek ist gestern ftiih um elf
Uhe, g'üau zur Zeit, wo ?', ihn trafen,
in Oppinacej Sanatorium, Alwmftraßt
40, asiorbcn!" t . .
' " 1 ? r--. - .1 .
Duell.
o
Zttar Vattke.
Du bist wohl verrück: t
Nein, aber nahe daran. Es ist ein
Ernst, den ich in seiner Sonderbarkeit
selbst noch nicht begreife."
Attila sah mir prüfend in'ö Gesicht.
Ein Irrtum ist nicht möglich." fuhr ich
fort, .ich habe den Verstorbenen selbst
gesehen, es ist der Herr, den wir gestern
getroffen haben."
Das muß ich erst selbst gesehen ha
ben!" lachte Attila wieder auf.
Meinetwegen, aber ich komme nicht
mit. Ich werde Dich hier erwarten.'
Attila ging, und ich blieb In einer
Sophaecke siken, unfähig, etwaszu den
ken oder zu tun.
Eine Stunde war vergangen. Da kam
eine Droschke vorgefahren. Schwerfällige
Schritte, begleitet von schlürfenden, nä
herten sich der Tür. Der Droschkenkut
scher stützte Attila, der sich willenlos
seiner Führung hingab und mehr ge
zogen wurde, als selber ging. Ich brachte
ihn schnell zij Bett... Schon phantasierte;
er heftig.
,Ha, warte nur, Tu, Du .Hohcprie
sier Du, Sonnabend früh um sieben Uhr
werde ich's Dir schon zeigen! Hahaha!
' Mich zu fixieren, haha, mich, den Atiila,
die Geißel unter den Schlagern, haha!'
Der Arzt wurde gerufen. Es schien
ihm schwer, eine Diagnose Zu stellen.
Es scheint ein starkes Nervevficber
im Anzug zu sein,' sagte er Mit bedenk
lichcm Kvpfschüttcln, nachdem er Puls
und Atemzüge gezählt.
Ich . wich nicht voiwv Bette meineZ
Freundes. Der Sonnabend graule.
Je später es wurde, desto aufgeregter
wurde er. Tie Uhr schlug Sieben. Da
fuhr er wild im Bette auf: Ha, Du!
Du willst mit mir fechten? Warte nur.
elender Geselle, dq da hast Du ein
vor Deinen dürren Backenknochen! Da
da noch eins! Aber was klap
pcrst Du so? Ah,. Elender, wo hast
Du plötzlich Deinen Schläger? Was?
Mit der Sense w:llst Du fechten? D?l
grinsendes Scheusal, ich will aber nicht
unterliegen, ich Will nicht, will nicht! Ah,
siehst Du; der traf, haha, der saß, oh
oh oh!"
Unverständlich murmelnd, sank er er
schöpft in die Kissen zurück. Der, Arzt
kam. Er fühlte seinen Puls.
Hm,' die Krisis ist vorüber. Er wird
wieder gesund werden. - Ha doch eine
zähe Natur, der Kerl!"' .
Ein Jahr etwa war vergangen.' Ich
war nach einer kleinen Provinzstadt ge
kommen. Um die Langeweile des Klein,
stadtlebens zu töten, las ich das Lokal?
6lLttchen. Plötzlich fuhr ich auf. Da
stand groß und deutlich: .Wieder zurück
, gekehrt! Dr. Wittek.'
Was hatte das zu bedeuten? LÜicder
zurückgekehrt? Etwa aus dem Jenseits?
Kommen denn auch Zote wieder? -
Ich sah den Adreßkalender. nach und
fand: Dr. Wittek, praktischer Arzt,'Kö
nigstraße 11, Sprechstunde-von 3 bis 1
und 4 bis 8 Uhr.
Die Uhr war kbeir halb Fünf. Ich
tvarf mich in eine Droschke und fuhr
nach der Königstraße. -.
Ein Diener ösfncte mir. , , ,
Ist Herr Witte! zu Haufe?"
. Ja, er ist gestern von Berlin zurück
gekehrt und hat feine Praxis wieder, auf
genommen." '"',.
Ich mußte kurze Zeit im Vorzimmer .
warten. Dann öffnete sich die Türund
ich stand dem Arzt gegenüber. Es war
wirklich der Fremde von damals. Frei
lich war der starre Ausdruck der Augen,
einem freundlichen, vertrauenerweckenden
Lächeln gewichen, und die Backenknochen
stachen nicht mehr so geisterhast hervor.
Womit kann ich dienen?" fragte er,
mich mit einer verbindlichen HandbeMb
gung zum Sitzen einladend.
Ich kämpfte eine gewiß berechtigte Be
fangenheit nieder. Ich bitte sehr um
Verzeihung. Ich komme eben von Ber.
lin zurück. Habe ich Sie nicht iiwJuni.
vergangenen Jahres dort in der Luisen
straße getroffen?" :
Im Juni vergangenen 'Jahres?"
wiederholte', er nachdenklich, das kann;
schon sein."
Wohnten Sie damals nicht Alwin!
straße 4(3?" ; .
Ah, jctzt erinnere ich mich. Alwin
straße 46, das ist das Sa'natorium von
Dr. Oppinger. ' Ja. richtig, ich hatte
damals gerade die Depesche bekommen,
daß mein Bruder, der Oberlehrer am
dortigen Louisengymnasium war, lcbens
gefährlich erkrankt sei. AIS. ich an das
Krankenbett trat und sah, daß mensch
liches Können nichts mehr ausrichten
konnte, ging ich hinaus auf die Straße,
um seinen Todeskampf nickt mit änzu
sehen." ,
Ich erzählte in kurzen Worten den
Grund meines Kommens.
So. so,' sagte Dr. Wittek, .nun
weih ich doch, wie damals jene Karte:
Siegfried ' Hauer, stud. jur., in meine
Brusttasche gekommen ist. Ich habe mir
lange vergeblich den Kopf darüber zer
brachen. Nun, und wie geht es Ihrem
Freund Attila?' -
ITanke, er . verspricht, ein tüch!iar
Jurist zu werden. Aber er schlagt ich
nicht mehr.',
Zarter Wink. '
A.k ..So, Dein (?bcf hat Dich
auch mit einem Geburtstage beschenl,
überrascht?"
. BLreaubeamter: Ja, mit einem
Schlnsrock, dessen Innenseite die
Worte enthalt: Schlafe zu Hanse!"
Augen-Tprachk.
inst blickt' ich gerne Dir in's $gc
(5S war so schwarz nd tief nd schön:
Ich fühlte aller Himmel Freuden,
Durft' ich in ö off ne Aug' Dir sch'!
Nun hab' ich fclHam wich verändert,
?ei!dc mein A'cik geworden Tu; , '
Ich fnktk tilcv Himmel Freuden,
Drückst T iinr, Weib, m Vzze al