Tägliche Omaha Tribüne. (Omaha, Nebr.) 1912-1926, September 02, 1918, Image 3

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Uovcllc, von
Weil der bestaubte Besitz- semer Bäter
ihm eine Last war. halte sich Cylvester
Noll entfchffen, die ganze spie Habe, zu
welcher er auch HauS und Garten rech,
riet?, auf AuktionsNgen ZU veräußern. .
Andere hätten jrie Habe mit bedeu
tungSvollerer Bezeichnung geehrt. DaS
HauS war t ein ernstes, schönes und
großes Schloß: der Garten ein Park! der
'in eigene Forstung auslies. Sylvester
Noll aber betrachtete sein .feudales Erbe
mit den nüchternen Augen eines Nützlich'
keitsphilosophn und Ieiiflitete sowohl den
Zauber heimischer Altcriümlichkcit. als
auch den Wert Überlieferter Einrichtun
gen und ererbter Ehren.
So hatte er auch seinen alten Adel
abgelegt und lebte in schlichtester Zivil
kleidung als .Massenmensch", wie er sich
selbst gern nannte. , , .
Sein Charakter hatte eine ungewölzn
liche Entwicklung durchgemachtunv nun
besaß er ganz und gar die Richtung ei
nes Neutrums, jenseits von Freud' und
Leid? wie sein eigenes Wort lautete.
Der einzige LebensinhaU des Manms
war der, das Nützliche zu fördern. Ohne
idealistischer Volksfrcund zu seist, nahm
er sich dex sozialen Fragen an und half
den Mörtelzu rühren -um Baue derbes
ferter Zustände. Er hatte einen schar
stn Kopf, und diesen verwendete er dazu,
anderer Ideen, anderer geniale Fehl
griffe zu kritisieren. Selbst weder Er
finder noch Finder, besaß er Urteilsver
mögen, und damit diente er ehrlich.
Wenn da! Steucramt oder die zustän
dige Behörde ihn aber an sein väterliches
Besitztum erinnerte, da verzog sich lein
matt.blasses Gesicht ärgerlich, und rnür
tisch" murmelte er vor sich hin: Hab'
keine Zeit für das tote Gerumpel !"
Er war kein Träumer, der im Schat
len der Ruinen das Liften" lieben lernt.
Er hatte keine Sehnsucht danach, die
Spielplätze seiner Kindheit" mit dem
Wehmutslächeln deZ enttäuschten Welt
menschen aufzusuchen. Seine Kind
heit war nicht schön gewesen; leine Ent
täuschungen als Weltmensch hatten ihn
Hiebt wehmÄig gemacht. ',
Was- hieß auch Enttäuschung'?
Was hieß .Wehmut"?
So hinderte ihn nicht! an dem Ent
schlusie. die jäte Habe zu versteigern und
daS bröckelnde Gestein, das verwilderte
ParZgehege, däs verlassene Gehöft gegen
den lebendigen nervus rerum dieses
Lebens umzuwechseln.
Und das Geld, sollte in seiner Hand
wirklich dem Leben dienen. Nicht daß er
sich selbst danvt weich betten der per
änliche Wünsche damit befriedigen
möchte. Nein! er faß für feinen Ge
schmack weich genug. ud mit Wünschen
trug er sich nicht. Aber das Geld sollte
irgendwie dem Wohle der leidenden
Menschheit dienen. Vielleicht vergrößerte
er damit ein Waisenhaus oder unterhielt
eine Pslege .und Kostanstalt für hun
gernde Schulkinder, denn für die un
glückliche Lugend regte sich besonders sein
sonst stark beherrschtes Gefühl. Der An,
blick bleicher, verelendeter -indergesich
, ter machte ihn gleichzeitig zum Welthas
fer und zum erbarmnisreichen Wohltä,
ter letzteres aber ließ er niemanden
ahnen, geschweige wissen. J
Zu Beginn des neuen Jahreö sollte die
Besitzverfteigerung vor sich gehen, und ei
nige Reflektanten waren zu erwarten.
Auch hatte es sich als nötig erwiesen, daß
Sylvester Noll persönlich auf dem Land
raisamt erscheinen mußte, und so kam er
in der dritten Woche des Dezember nach
Nepkenshagen, in seine norddeutsche Hei
wat
intet dem an Bttgen kauernden
Dorfe lag die Besitzung feiner Vorsah
ren hoch an einer Waldsteigung. mit
Parker Mauerbrust dem offenen Tale zu,
gewandt.
ES war ein stiller und trockener Tag,
mäßig kalt, nirgtndZ lag Schnee. Die
Natur sah übermüdet, beraubt, verraten
aus; auch die bereits neu bestellten Aecker
erinnerten nur an den ausbeutenden
, Fleiß der ewig hungrigen Welt.
' Zu Fuß. von niemanden mehr recht
erkannt. , ging Sylvester Roll dukchs
Dors den .Schloßweg" hinan. Er
nahm die breite Fahrstraße und respek
tierte spöttisch lächelnd eine von seinem
Bater noch angeordnete, den Durchgang
verbietende WarnungZtafil bezüglijh Sei
steil aufkletternden FußwegeZ quer durch
das Eebölz.
Die Portaliür war verrammelt, 'nur
eine kleine Seitentür gab seinem Drucke
nach, und in der weiten Erdgeschoßhalle
erblickte er sosort den alten Beschließer,
der hier seine Tage verleben durfte.
Der Alte zerkleinerte soeben im Schutze
eines steinernen Wappengreifes Sam
. melholz. Die Schläge feines Beils jie
ßen klingende Laute von den hohen Hal
lenwänden springen.
Ter Luftzug der geöffneten Tür vcr
anfaßte den Mann sich umzudrehen. Und
erschrocken richtete er die gebückte Gestalt
glf, wischte mit dem Handrücken die
Nase und rief: Der Herr Bansn bei
meiner Seele!" ' .
Ihr kmbt do meine Anmeldung be
kommen?" fragte Sylvester, dem Alten
kurz die Hand drückend. Ich schrieb
eine Karte!"
Gewiß, Herr Baron, gewiß! Alle!
, erhten Meine Alte ist schon oben ufS
dutzl die Herrn? stuben!"
Daisoll.sic bkikn lasscu!"
Herr Baron woll!', doch, nicht ins
Gasthaus gebend"
Wen man mir hier c! Bcit richten
kann, 'nein! Heuciistafctu aUt b,auche
ich nicht."
' '' .. '
Man IfllU xhm'cia BU gerichtet und
euch den Tisch im lltfsicn Saal oejl.
Ta leine iWjtn für die Veuchler v,re
banden irar:n und die Äckttslampe de
selige ii Herrn Such :rlogni war,
stand eie . kleine Ä,m?e!c. Lampe
aus dem Haucrat V.i BrschÜi'ße auf
0 1
'
El-Csrrei.
dem großen runden Kulissentisch. Eine
rauhschalige Bauernwurst lag. gleich ei
ner- Schnecke gekrümmt, auf alter stlbcr
ner Platte, und eine Kugel frischer But
ter saß fahnewciß in der Tiefe eines ro
sarotcn Toinapfes. " f
Einen dicken Eierkuchen aber hatte
Sylvester Roll verspeist und dazu von
dem edlen, hundertjährigen Rauwkhaler
getrunken, den er eigenhändig aus dem
uralte Staube dcö Weinlager! drunten
Im Schloßkeller hervorgeholt halte. Er
mußte' sich In der Tat dazu selbst be
mühen, obwohl er kein Bedenken gehegt
hatte, dem Beschließer die Erlaubnis zu
erteilen, das Siegel vom Kellerschloß zu
entfernen. Allein, der Alte war erblaßt,,
entsetzt und hatte sich gewehrt: Nein
nein, Herr Baron! AlleZ!nur nicht'daö
tue ich!" ' - .
Bald hatte Sylvestererfahten,, der
Alte für,tete sich vor einem Gespenst,
das unten umgehen sollte. Weil es ihm
aber nach feurigem Trunke gelüstete, be
gab er sich selbst die ticfabsteigendcn,
ausgetretenen Stcinstufen zur Kellerei
hinab.
Ohne fchreckgebleichtes "Haar, ohne
Zungenlähmung, die der Alte bestimmt
erwartet, aber- mit Staubflocken und
Spinneweben an den Kleidern und et
liehen Bouteillen im Arm kehrte ,, der
Schloßherr zurück. Und mit freundlichem
Lächeln reichte er dem Alten eine der
Flaschen: Auch eine für Sie, alter
Freund! EtwaS für den heiligen
Abend!"
, Der Alte war sprachlos ob der Herab
lassung Sylvesters, dessen Vater'derglei
chen niemals ersonnen hätte. Dieser
hätte einen Untergebenen vielmehr mit
der Reitpeitsche ' in die. Hölle gejagt,
wenn dort ein Dienst für den Herrn Ba
ron zu verrichten gewesen wäre!
Seiner eigenen rühmlichen Menschlich,
keit durchaus nicht bewußt, trank Syl
bester ein Glas nach dem andern.
Der Gispensterwein stoß gar zu willig
über die durstigen Lippen.
Im 1 Kamin , umstritten leuchtende
Flammen stark Buchenklobln und der
zehrten fauchend das trockene Holz. Der
Widerschein des FeuS aber malte Licht
flecken an die dunkle Tür, von der der
staubige Lorhang zurückgeschlagen war.
Fast unbewußt reckte Sylvester den
Arm herüber und drehte-die Lampe aus.
Das sanfte Flammenlicht aus dem Ka
min genügte ihm. Die Lichtflecken an
der Tür blickten freundlich ihm her
auS dem Dunkel der Wände. Die tiefe
Stille der verlassenen, verödeten Gemä
cher schien ihn in Schlummer wiegen zu
wollen. Ohne Bewegung lag er in dem
Modergeruch ausströmenden Gobelin
stahl. , 7 .
Dn hrflsFcfi hfnhliriß snlit in Kr'nN'N,
Pei Tannenzweig au? und erfüllte den
Raum mit dem Weihrauch der süßesten
Traulichkeit.
Weihnachtens
Sylvester tfyt'S, als flüstere es ihm
jemand leise leise ins Ohr.
Erst morgen war der, heilige Abends
jedoch dein, Einsamen wa,r'sals ho
die Kirchenglocken läuten, wie sie Nur'
zweimal im Jahre zu läuten vermögen.
Einmal am heiligen Abend, ein ander
mal am Ostermorgcn. Einmal in der
Nacht, um den Stern -i- dann am
grauenden Morgen, um die S o n n t
der Christenheit zu verkünden.
Sylvester hörte ,ie Christmeßglocken
läuten, wie sie damals geklungen vor
,zehn, zwölf Jahren.
Er war mit seinem Vater, dem alten
Baron von Steineberg-Noll unter den
Festgzften deS -Grafen von Sodney ge
wefcn, und Sylvester stach mit feiner
glänzenden Husarenuniform hervor auS
den Kavalieren im Frack, aus dem Da
menkreis mit seiner hellen Kleiderpracht.
In einem riesig großen Saale brannte
die hohe, schwerastige Tanne ein kö
niglicher Baum mit starkem Stamm
holz. Und ein flimmerndes Mejr von
Licht, fron goldenem und silbernem Zier
rat durchwogte und durchzitterte das
dunkelglänzende Nadelgrün.
Bor der Tanne aber standen zwei En
gelögkstalten mit hohen Fittichen und
weißleuchteitden Gesichtern; und diese
Engel deö Lichts sangen ein feierlich-ju
belndeö Hallcluja!
Graf Sodney erntete damals viel Lob
wegen dieser Idee, Die beiden ilowb!
Waisen des verstorbenen Barons Jelle
Witz eigneten ;sich vorzüglich zu dieser
Verschönerung des Festabends. ,
Reizende Idee! Reizende MädelL
die beiden!
Sylvester von Stcincberg'Noll' abe:
hatte s,ch noch selbigen Abends Mit der
älteren der Schwestern,' mit Tiziane,
verlo-bt. Er liebte sie nicht rasend
im Sinne seiner Jugend er liebte sie
mit einer-Lußerlich kühlen Liebe, die aber
tief ging, bis ins Innerste seine der
schlossenen Natur. '-. ' --
Tizian; wat alter als er, von fesseln
der Schönheit und stolzem Wessn. Ihr
Charakter hatte einkge Aehnlichkcit mit
dem seinen, und daher, glaubte er, sie
besonders zu. verstehen. .
Seine Werbung nahm sie mit fast
hochmütiger Kalte an. Als er sich bc
klagte, daß sie ihn nichts von der Liebe-,
fühlen lasse die doch zweifetzohne ihrem
Ja zugrunde liege, ntwortete sie ruhig:,
WeiSchiffbrüchige gerettet werden,
jubilieren sie auch nicht gleich wie flügge
Finken !Jch ftchenit meiner Schwestrr
vor dem Abgkun der Not! .Sie find
unscr Netter!"
Ich dank. Ihnen für Ihre OfNu
heii hatte er erikidut. 'Fühlen Sie
sich Nun geborgen!"
In der Nach'. abr hatte er geweint
zum letztenmal In frin.'t Jugend. . .
Sein Vater hatt? nichts grgm die'
Verbindung, Trr gestrenge Mann, er
bitlert bis ins Mark hinein, hatte nur
achöiwt: Das ist die Recht, für fci$
Wird deinen Eisnschädel schon zum
O
Glühen bringen! Eine Schlange ist 4afi,
wie alle Weiber Schlangen sind!... Ist
die Rechte für dich, mein Junge!"
Wenige Tage darauf aber brachte der
alte Baron aus einer Herrengesellschaft
die verbürgte-Mitteilung mit. daß Ti
ziane von Jellewitz sich bereit und
Zwar noch zu Lebzeiten ihres Bat-L
durch eine verbotene Leidenschaft der
Anwartschaft auf ein unbefleckte Wap
Pcn verlustig gemacht habe.
Sofort und ohne Verzug , zog Syl
bester sein Wort zurück. Nicht weil sie
rhm seines Namens unwert 'erschien,
sondern weil sie ihn betrogen hatte.
Sie hatt?' sich ihm nicht entdeckt und
hegte wohk, noch im Herzen ihre geheime
Liebe zu dem andern.
Sein Schreiben blieb ohne Antwort.
Ex sah Tiziane auch nicht wieder und
hörte nur nach zwei Jahren, daß sie
verheiratet fei an den verschuldeten,
alten Gutsbesiker Mittesteak, her fi, nn,
sang alö feint bezahlte Pflegerin und
sU.T.flTX. et . f. . J
ic,eui,azaslcrm rn sem yaus genommen
hatte.
Die Schwester Tizianes, die kleine,
feine, blonde Selene, sollte zur Bühne
gegangen sein...
Ein heller, rücksichtsloser Lichtstrahl
weckte Sylvester auS seiner Bersunk,
heit in die Gescbichte vergangener Tage.
Und das runzelige Gesicht deS Be
fchließers erschien im Türrahmen, wäh
rend der Schein d. Blendlaterne rund
um den kleinen , Saal durchleuchtete. .
Ach -.Verzeihung. Herr Baron!"
stotterte de Alte jetzt zurückMkend.
Glaubte den Herrn Baron schon zur
Ruhe gegangen!" '.:
Sylvester winkte nur mit der Hand.
Als er wieder allein im Dunkeln, erhob
er sich, reckte seine große Gestalt und
ging etliche Male vor, den Jenstern auf
und nieder. , .
Eine leichte Eiskruste -lies bereits an
den Scheiben auf und mattes Mondlicht
ließ den zu Blumen sich' prägenden Reif
glitzern, t)
- Sylvester empfand ein kaltes Rieseln
über die Haut ihn fror plötzlich. Ihn
fror bis ins Innerste hinein.
Ein.Gesühl der Vereinsamung, der
inneren Armut ließ' ihn zittern.
Er leerte noch einmal den Römer,
dann suchte er sein Bett auf aber der'
Schlaf kam Nicht . . 1
Andern Tags fuhr Sylvester - auf
hartgefrorener Chausse dem-Gute Witte
stegk zu. Nur fo meinte er sich äus der
Unruhe zu retten, die ihn nicht verließ.
-
Ohne jemanden nach den häuslichen
Verhältnissen im voraus befrögt zu
haben, trat - Sylvester von ' einem
schäbiges, Diener geleitet in das Ar
beitszimmer des Gutsherrn'. Wi ein
dicker Sack lag der alte Trinker in sei
nem Sessel, erhob sich jetzt schwerfällig
und hinkte gichtsteif auf den Gast zu.-,-
.Ha, Nollechen!" lachte er vergnügt,
und feine Kupfernase schob sich zusam
mcn zu einem dunkeln Klümpchen.
Was der Tausend! Lange nicht ge
sehen!" - Und noch erkannt!" vollendete Syl,
vester, seine Haltung blieb jedoch reser
viert. Wie geht es Ihnen, Herr Witte,
stegk?" , , .
Der , dicke Korpus fiel wieder zurück,
in den Stuhl.
Uff!" stöhnte er. Setzen Sie-sich,
lieber Baron! So nah heran!
Wie mir's geht? Na. liebe Zeit, so so!
's geht so fo! Podagra Aerger
mit der Wirtschaft kürzlich drei
Pferde krepiert kn Influenza! Was
wollen Sie noch mehr?... Habe gehört.
Sie wollen verkaufen! Jammerschade
um die schöne, alte Herrschaft. Baron!
Sollten Sie -nicht tun! Mächte Sie
Ihnen gern abluchsen, aber was tut der
Mensch? Nix! Nir!"
Und in Ihrer Familie ist alles wohl
auf!"
Hm ttja 'i geht!... Einsam!
ist jie! Schad't ihr aber nichts!"
..Frau Gemahlch ist einsam?" .fragte
Sylvester zitternd.
Da aber wandte sich das rote Falstaff,
gcsicht herum und ,die verquollenen
, Augen sprühten auf Ein Wort schien
bereit, den andern niederzufchrgetlern. . ?
Als aber Sylvesters Miene ohne Arglist
mar. legte sich der innere Sturm des
Alten, und. heiser kam' nur die bittere
Antwort: Ah Sie wissen noch
nichts.. Da verzeihlich Ihre Frcsge.
Baron! Die greift mich nämlich an der
Ehre an!. Und tauge ich selbst auch
nix mehr' meine Ehrej Baron, ver
trete ich noch, und sie soll rtin bleiben
und daS nicht allein für mich." '
Mit der Einsamen hatte Witte,'
stegk seine kkine Tochter gemeint, die
Svlvcster alsbald kennen lernte.
Das Kind besah Tizians Züge und
die Schönheit ihrer Haltung. '
Sylvester ward seelisch krank bei dem
Anblick dieser verjüngten Verkörperung
toter Hoffnungen, und seine kranke
Seele ward gebannt und gefesselt.
Sein' Inneres stöhnte und jubelte
aber, als Wiitcstegk ihkkzu längerem
Bleiben lud. - , ,
WaS wollen Sie allein auf Ihrer
Ahnenburg, die Sie nicht als Heimat
lieben? Unter Menschen, zum Beer
gehört das zweibeinige Gesellschaftstierk
Vielleicht können Sie der Kleinen
auch ein bißchen .heiligen Abend' machen.
Ich kann's'nicht! Und gewöhnt ist sie
auch nicht dran!"
Die alte Haushälterin hatte mit. dem
wiener einen Baum notdürftig ausge
putzt, und der Kantor, d Manuela
Unterrichtete, hatte ihr einen Wejhnachts
gcsang gelehrt.
. llfd als der Baum brannte, trat das
Kind ungerufen hervor und sang -.mit
heller Stimme sin Halleluja . . ."
Ueber den blonden Locken,. die frei an
dc schmalen, blassen Wanglein nieder
slatterten, lag d? Schein bunter Kerzen,
und das weiße Kleidchen floß t weichen
Falten um die keuschen jungen Glieder.
Wie ein Engel deö Lichts stand daß
Kind vor der grünen -Tanne, unsicht
bare Fittiche feiner Reinheit schienen, eS
über den Boden zu erheben über den
Boden des s!illi,t'usterkn Aaumes. n
dem vor Jahren das. Schlimme gr
wandelt. . -. w
Mein Arennd Lilienlljal.
Skizze von Clara Sysett - 2ttlburger.
Mein Freund. Lilienthal ist Künstler,
man kann ihm nur gerecht werden, wenn
man mit seinem künstlerischem Dränge,
der schöpferischen Sehnsucht, seine Ideen
zu verkörpern rechnet. Er arbeitet fozu
sagen In der angewandten Kunst,"
großes, gestaltendes, geniales Schaffen
ist durch die ganze Richtung feiner Kunst
ausgeschlossen, aber die Umrahmung
eines Kunstwerkes, die künstlerisch ge
steigerte Wirkung feiner Reize, das Ist
sein Fach. Kurz heraus gesagt. iHrwin.
Liliettthal ist, Haarkünstler, Friseur.
Seine Spezialität sind Damensrisu
ren. Freilich verschmLbt er es nicht ge
rade Herrenbärte und' Herrenkopshokr
modischund mit sorgfältiger Schonung
etwaiger von der Natur gegebenen be
sonderen' Reize, einen feinen Haaransatz
an der Schläfe, eine allerliebst spitz aus
lausende Schnebbe im Nacken, zurecht zu
machen, aber sein eigentliche Feld bleibt
immer die Damenftisur. Hier mal? er
mit dem Striche seines Kammes, er
dichtet'mlt dem Brenneisen, seine Hand
steckt Puffen. Rollen, Schleifen zurecht,
die mt dem Gesicht zu-einem bestimm
ten Stil zusammengehen-, eine Blume,
eine Schmucknadel gerade sohinustecken,
haß' sie wie mit mnerer Notwendigkeit
aus dem Bau des Ganzen heövökgegan
gen zu sein scheint das versteht eben
niemand so, wie mein Zreund Lilien
thal. Niemals arbeitet er nach der
Schablone, daö Individualisieren ist
seine Kunst und sein Stolz. Bevor-er
ans Werk geht, studiert er seine KlieZtin,
wie ein Maler sein Modell, und auch
darin macht er sich den Stolz sehr gro
her und sehr berühmter Maler zu eigen,'
daß er sich nui, mit jenen Köpfen be
faßt, die ihn reizen den ander.n ge
geniiber findet er einen Vorwand für
seine Ablehnung. Die Mode existiert für
ihn nur insoweit, daß sie seinem Schaf
fen in großen Zügen Halt gewahrt, im
übrigen erfindet er frei, rus Inspiration
und angeborener Künstlertum heraus.
JedeseZner Frisuren ist ein inbividu,cK
les Kunstwerk, dem Kopfe der Klientin,
der Toilette, der Gelegenheit angepaßt,
'und von der Stimmung des Schaffen
den beeinflußt. Eine rifur. die Er-
Sylvester küßte den' Scheitel des
Kindes, 1 , :' v
Sei behütet, süße kleine Ella!"
'Ja. das ist's... Bebiitet werden!"
mr?t 1sli(f(ffirif Vt fififnf frimfpnnn
wcinseuchten Augen reibend. Behütet
werden! Wö'r wjid die mal behüten?.
Ich?, Du liebe Zeit! Wo ist Georg
Kaspar Wittestegk, wenn die der rechten
Hut bedarf?" Er lachte glucksend.
Das kleine Mädchen aber setzte sich
still-mit ihrem Zuckerwerk . und eiriem
neuenMärchenbuch hinter den Lichter
bäum, und nur ihre schlanken Füßchen
waren den Männcrnsichtbar.
In dem großen Wohngebäude schien
es totenstill zu fein. Nur manchmal kam
aus dem Gcsindehanse t'm frohes Krei
scheu, das über den Hof flog und die
stille, eiseskalte 'Nacht belebte, -
Funkelnde Sterne waren droben er
wacht und glitzerten feierlich in der
Hohe. Bon. der nahen Ortschaft her er
hoben sich endlich Glockcntöne. , die
hallend die klare, Luft dikrchfchwebten.
. . Slötzsicfriegte Wittestegk seine'
schwere 9'nd auf Sylvesters Arm. An
eiiftm Weihnachtsabend Baron s
.so einem Weihnachtsabend ist sie fort
von mir und dem Wurtn!,.. Sie, war
nicht behütet! Vui Anfang an nicht!"
Sylvester blieb still. -
Im geheimen und für sich hatte er
Tizjane gerichtet und verurteilt ohne
Gnade. De5 Kindes holder Anblick hatte
ihm die ganze Schwere feines Lebens
Verlustes fühlen lassen und ihm die
Nüchternheit all feiner Philosophie, mit
der sein ausgeraubtes Dasein künstlich
ausstaffiert "war, zum Bewußtsein ge
bracht. ' ,
Sie ' Tiziane hatte ihn um Glück
und Ftdfo! betrogen! Sein konnte
solches holde Kind.seinsein der Ruhm,
ihre Seele behütet zu haben.
Oder war ergibst schuld' daß er
diesen Nuhil nicht gewann? Hätte er
sie besser schützen können als jener alte
Zecher, cm nur die zunehmende Un
sähigket und ein letztes Restchen Man
ncswiirde moralische Redensarten auf
"die Lippen legte? War er fchulddaß.
dieses Kind elternlos war. Ohne Schutz
und ohm! kiebessnne?
- Ein Lichtflämmchen fing einen kleinen
Nadelast und entzündete ihn zu Hellem
Auflodern. Es knisterte und qualmte
im Gezweig; Weihrauchduft erhob sich.
Trinken Sie!" mahnte Witkestegk
und führte selbst den großen Pokal zum
Munde. ' ' !
Und wenn ich mich zum Beschützer
dieses Kindes machte? .dachte Sylvester,
ober durch sein heiles Hirn ging ein
Rechenexempcl. In zehn Jahren...'
Nein nein er war dann zu alt
für sie. Sie würde vielleicht nur der
3lo gehorchen und ihm als ihren Retter
dir kalte. Iweiße Hand reichen
Nern, nc!r!" Da .war kein Schutz!
Das war Gefahr!
ifiif Licht, nach dem andern erlosch
am Zeugniebaum der Christenliebe, und
der Glanz des Flitters ' erstarb, s
wurde fast dunkel im Raume. .
Und doch sah Sylvester Licht... Er
sh ringsum ein Leuchten von reifer
Klarheit, da! bis in fein Jnnhes
strahlte.
. Und fein gaujes' einsames, leeres
Lebeirrfchien ihm mit einem Male der
wandelt. Das Licht das Licht der
,ew!e?. Liebe erwärmte sein Herz...
Sein konnte - dieses holde Kind
noch rojtben (ein sollte es wer
den, wenn tö einsam stand. Sein eigen
in der ewigen L"be der Erbamnis
ss'.n eigen in der rastlosen Liebe des
rastlrjen Herzenkdranges nach Glück,
selbst nach dem letzten Glücke li,4eöollen
TerzichtS . . . -
Win Lilienihal im vollen Hochschwung
der Begeisterung geschaffen, sieht dann
auch ganz anders auS, als eine, die' er
bedrückt, vielleicht im Zweifel an seinem
Können zustande gebracht hat.
Zuweilen läßt er sich auch herbei, in
den AtelierS einer großen, tonsngeben
den Modenzeitung auf den. beiden idea
len WackSkovien. .Lotte" und .Elölra"
geheißen, feine Ideen zu verkörpern.
Nicht wegen- der paar, lumpigen Mark,
aber man bringt doch so die wahre-Kunst
in die Welt hinaus." Und es verlohnt.
.Lotte' ist blond und zeigt sentimenta
len Typ. wahrend .Elvira" schwarz,
aristokratisch, nd so weit es einem
Wachskopfe möglich ist temperamentvoll
in das Leben schaut.. Höchste Bollen
dung ihreS Typus erhalte aber beide
erst, nachdem Lilienthal mit dem Auf
gebot seines ganzen Genies frisiert hat.
Kein Wunder, daß er nach Vollendung
deö Werkes, in dem Atelier der ersten
Modenzeichncrin, wohl der berühmtesten
von ganz Deutschland, bei Betrachtung
ihres Aquarelles, einer prachtvoll leben
digcn, milt aller Kunst und aller raffi
nierten Technik dargestellten Gesell
schaftsszenc, mit dem Kopfe nickenh,
wohlwollend zugab: Na. wenn tfttm's
rechte bedenkt, ist das ja auch eine Kunst."
Zwischen Erwin Lilienthal und mir
besteht ein Freundschaftsverhältnis.
Wenn man durch' Jahre den Erfolg je
den Ballabends zum größten' Teil diesen
kunstgeübten Händen zu verdanken H5k,
wenn man ihnen zudem, jeden Monath
iem Haupt zum yamponleren anver
traut, so ist das eigentlich felbstverständ
lich. Mail, müßte ja ein Stein, fein,
wenn man es ganz gefühllos über sich
ergehen ließe, wie er diese lctzchn pflan
zenhaftcn Ausläufer dek Körpers knetet,'
spult, schlichtet, abreibt, durcl sanftes
Fächerwehen gänzlich ' trocknet, und
schließlich zu einer Frisur ordnet, die
ihm soeben eine Inspiration eingegeben'
Es ist eine förmliche Idylle in dem klei
nn, seitab von dem größeren GeMfts
räume gelegenen, von allerlei Parfüms
durchsetzten Toilettezimmer m! dem
Riesenspiegel und den vielen Brausen
und Hähnen über dem vertieft die
Marmorplatte eingelassenen Becken. Dis
junge rotblonde und liebenswürdige
Frau Lilienthal geht ab und zu, um
frische Handtücher zu reichen, und
.Pflücks". ein kleiner brauner Köters
von. seinen guten Moralischen Eigen
schasten abgesehen eigentlich ein Scheu1
sal, schnellt sich mit kühnem Hechtsprunz
aus meinen Schrß, wo et während der
ganzen Prozedur , ftekcnruhig liegen
bleib, , als fei diessein gutes Recht.
Sich mal an! Das tut er nicht bei
jedem. Darauf können gnädige Frau
sich was einbilden." '
. Tue ich, Herr Lilienthal. -Sagen
Sie, welcher Rasse ist Pflücks eigent
lich?" En tout cas, en tout cas, gnädige
.Frau. Bei Sonne und Regen gleich gut
'zu gebrauchen. Absolut rasselos!"-
Er beginnt mein Haar loszustecken
und einzuseifen, während das rührende
kleine Ungetüm auf meinem Schoße
grunzende Schnarchtöne von sich gibt.
Kennen gnädige' Frau Dr. . .'.? Er
nennt den NameniNes unserer Be
kannten und Größten, dessen Stücke die
gesamte Bühne beherrschend '' '
Aber Herr Lilienthal!" sage ichlä?
chend. V . .
Pardon, ich meinte nur so, dachte an
eine persönliche Bekanntschaft. Ich selbst
genieße nämlich die Ehre." Dabei macht
er eine kleine Kunstpause, um den Ein-
' druck abzuwarten, wobei die nassen'
Strähne mir ins Gestchtfallen;. seine
Beziehungenzur Bübne und zur hohen
Literatur sind sein Stolz. Ich höbe
den Borzug gehabt, die Frau Doktor
für den Presse ball zu frisieren famos,
etwas Rokokoanklänge,' ganz dem Gesicht
und der Toilette, weiße, bunt geMmte
Seide, ein pompöser Stoff, angepaßt.
Dr. . . . .war fast wahrend dkr ganzen
Zeit dabei, wir gaben ms gegenseitig
gute Ratschläge." .
Sie ihm, Herr Lilienthal? Hinsicht,
lich feiner, literarischen Arbeiten?"
Aber sicher, gnädige Frau. Künstler
bleibt Künstler und Laie bleibt Laie,
und roenn cin Lait wie Dr. . . .
Sie werden doch nicht -in Abrede stellen
wollen, daß er in meiner Kunst ein Laie
ist? Geben Sie ihm doch mal ein Pa
riser Welleneisen in die Hand, er wird
nicht wissen, was oben und unten ist und
ob man mit dem Griff oder dem Eisen
arbeitet wenn - also ein Laie,' wie
Dr . . ., der nicht mal ein Toupct von
einer : gewöhnlichen Waldwollunterlage
zu unterfchnden versteht, sich jeraus
nimmt, bei meiner Frisur ä ka Marie
Antoinette St!rn7ckchen vorzuschlagen
nun dann habe ich auch wohl das
Recht, Hm meine Meinung zu sagen.'
Herr Doktor, sagte ich ihm dann,
Sie sind nun mal solch großer Künstler,
Lhre Stücke werden überall gcgebel und
man kennt Sie jetzt in Paris ebens so
Wie in Prenzlau und es läßt sich ja
nicht anders sagen, Talent haben Sie
und verstehen Ihr Fach, aber nun sagen
Sie mir nur mal, warum stellen Sie
eigentlich -feie Welt auf den Kops? Da?
ist doch ganz absurd wie Sie das schil
dern. daß immer die Frauen noch einen
Geliebten nebenbei haben, und daß die
edelsten Mädchens von den grünsten
Beugels so mir nichts, dir nichts ver
führt werden. Das sollten Sie wirklich
nicht schreiben. Da sah er mich von
ode bis unten an und sagtcSo twaö
kommt vor. liebetLilienthal,ie können
eS glaubend Aber wie würden Sie z.B.
das schildern? Es intcressiciit mich."
Nun. erwiderte ich dann, ich bin kein
Bühnenschriftsteller, jeder hat nuq mal
von uns beiden seine" Kunkt für sich,
aber.dsi weiß ich, wen ich so wie bet'
Herr Doktor ti verstände, wein Publi
kum zu packen, dann würde ich diesen
großen Ejnfluß auch daza verwenden,
daß die' Moral wieder zu Ehren Jäme.
Dann sollte mir der Schuft, der grüne
Bengel nicht einfach drauf los Verführen
und daS alte Weibsbild Wann und Kin
der betrügen, dann würde ich gute und
anständige Menschen beschreiben, die
ihre Pflicht tum und sich'S sauer werden
lassen, die aber schließlich ihren Lobn
dafür empfangen. Ja, daS würde Ich
tun, Erwin Lilienihal und von meinen
Stücken, daö heißt von Ihren Stücken '
Herr -Doktor, denn ich würde doch nur
schreiben, wenn ich eben Sie wäre, würde
eS in daS Publikum hinunterwchen wie
eine' Aufforderung zur Bravheit und'
zum Gutfein, die der Moral endlich wie
der auf die Beine hilft." ',
" Air dabei ziepen Sie mich aber mäch
tig, Herr Lilienthal. ' Ich bin eS nicht,
die 'moraluntergrabende ' Bühnenstücke
geschrieben hat leidr nicht., Ja, wai
antwortete Ihnen denn Dr. . . . dar
auf?"' Großer Gott, dieser verwöhn,
teste aller Autoren, der ein Lob als' eine
Anmaßung, eine Kritik einfach als etwas
Unmögliches sich anzusehen gewöhnthat.
WaS mochte der darauf erwidert haben!
Pardon, gnädige Frai,, daS riß mich
so mit fort, Ivenn ich auf die Moral
komme, kenne ich keine Rücksichten! Nun,
'er wurde sehr ernst, hatte von da ab
nicht mal einen Blick für die Frisur der
Gnädigen. Schließlich richte er mir die
Hand: Wenn ich wlider an ein neues
'uszusq sZ uv h? ,0,130, 'zhsS xnzZ
lieber Lilienthal. Schade, daß Sie nicht
niit mir arbeiten können. Bcdaure es
selbst, Herr Doktor aber jeder in
feiner Kunst. Bitte,' gnädiae Frau
so, den Kopf gefälligst etwas liefer über
daS Becken beugen erst der warme
Strahl, dann die kalte Brause, fürchten
Sie nichts Apropos, gnädige
FrauUannten doch Helmerding?"
- Ich konnte nur schwach als Antwort
nickey, denn jetzt bearbeitete mein Freund
meinen Kopf mit einem Rubberhandtuch.
Auf - meinen Knieen höhnte Pflücks in
schweren Träumen.
Er träumt von Schafschlachten," ent
schuldigte ihn sein Herr. Also um auf
Helmerding zu kommen ich habe ihn ,
frisiert bis an sein Lebensende, habe
ihm seine Perücken gebaut, früher die
für die Bühne, später die sür das ge
wohnliche Leben.', Bon keinem andern
als von mir mochte er , sich daS Haar
schneiden lassen." ;i ' v
Ja -r wenn er "eine 'Perücke trug, so
war doch nicht vom Haarfchneiden bie
Rebe?"
' Doch wunderlicherweife hatte- sich
Um den Hinterkopf herum ein Kranz
von Haar erhalten, fein ganzer Stolz,
nicht mallweiß, wie es sich für seine
Jahre geschickt hätte, sondern von einem
seltsamen hellen Gclbrot. -Diesen Kranz
hielt er in Ehren, allevierzehn Tcrg'k
ganz regelmäßig, mußte ich ihn beschnei
den. Hia, da wat denn nicht viel zu ho
len tnd es ' jammerte mich jedesmal,.,
wenn er die paar abgeschnittenen Här
chen .zusammcuschob und zwischen den
Fingern zerriebe Mit mir 1 ist's nischt
mehr, Lilienthal, kein Haar, kein Mann,
na. nun werde ich ja wohl bald ins
Gras Meißen müssen. Wissen gnädige ,
Frau, worauf ich dann verfiel?"
Da wäre ich neugierig, Herr Lilien
thal." ' .
' Inzwischen war die größte Nässe mei
nem Haar entzooen. Mein Freund Li
lienthal harte nun seinen großen lapani
schen Fächer' ergriffen, den er in gra
ziösen Schwingungen über meinem
Haupte kreifenließ, dabei immer ein
zelne Haarskähne hebend, die nun in
ifa Luftwellen spielerisch flatterten. '
Ich schnitt also ehe ich an die Arbeit
ging, eine Portion Waldwolle, genau in
der Farbe von Hclmerdings Haar lein,
und ersteckte sie in meinem linken Aer
mel. Während des Haarschneidens ließ
ich dann nach und nach, ohne daß Hcl
merding. etwas davon ,merkte, hiese
Schnippe! rundum auf den Frisierman
tel fallen, bis sich eine ansehnliche.
Schicht gebildet hatte. Na, gnädige
Frau hätten dann die Freude sehen sol
len, wenn ich sagte: Danke verbindlichst,
ich bin fertig. Wenn der 'Herr Helmer
ding etwas vorsichtig aufstehen wollten,
von wegen der losen Haßre."- Ganz be
glückt war er, daß cr überhaupt noch so
viel Haar lassen konnte." '
Sie sind wirklich ein grundgutcs Ge
mllt, Herr Lilienthal, wenn Sie mir
auch eben, einen Klapp? mit dem Fächer
gegeben haben." r . .
Verzeihung, giuidlge Frau, die alten
Erinnerungen. Jetzt komme ich aberv
ans Frisieren. Ein grundgutes Gemüt,
waren gnädige Frau so freundlich z
behaupten? Na, daS läßt sich halten,
ich kann auch' höllisch fuchtig werden,
wenn man meiner Geschäftschre und
namentlich meiner Künstlerchre zu nahe
tritt. Wenn ich anfange mich zu rächen,
fo wird es fürchterlich. Waren gnädige
Frau vielleicht einmal auf dem Kunst
lerinnenfest?" ' i .
Aber Herr Lilienihal!" -
Richtig, wo hatte ich nur meine Ge--,
danken! Es wurde mir ja die Ehre zu
teil, gnädige Frau auf chinesisch zmich
ten zu dürfen. Das war vor drei Iah
ren. meine Rache knüpft sich aber an daS
letzte Künstlerinnenfest im vorigen Win
ter. trifft also die gnädige Frau nicht
mit."
Wie sollte mich denn Ihre Räch?
liessen? Sie werden ja ganz mysteriös,
Herr Lilienthal.7
Im Spiegel gegenüber fah ich ein
pfiffiges Gesicht, er kn.ifs die Aug'n halb
zu, um feine Lippen arbeiten" die Züge
unter dem dicken, schwarzen Schnurr
bart. Im rhytmischen Schwünge glitt
sein Kamm plättend durch mein Haar.
Nein. HerrLilienthal?" .
Sie winen. doch, gnädige Frau, daß
zu. dem Kostümfest der Berliner Künst
lerinnen auf keinen Fall .Herren zuge
lasse werden?" - -" '
- Freilich, das ist ja doch der Kern dir
ganzen Sache." Damen unter sich."
Nun ja, über manchmal gelingt es
doch vorbei. Es kommt wohl ob und zu
mal vor. daß einer sich einschlezchl."
4 Ach. das ist doch nur ein on dit.
Ertappt hat man noch , keinen. Die Her,
ren würden ja auch zu viel tiSferen,
wenn'S heraus käme. 'Nein,, das wagt
niemand." '
Wetten, gnädige Frau?"
. Ich sehe. Sie haben etwas lm Hin
icrhalt. Herr Lilienthal. Also schießen
Sie loi. ',. . -
'.ES war, also vor drei Jahren, das
Künstlerinnenfcst stand nahe bev, die
Damen deö Komitees hatten mit mir
schon" langt Merhandlungen wegen Lie
ferungen von Perücken gepflogen, die für
den Festzug verwendet werden sollten.
AllcS war vorbcrerk?l Md von mir. be
sorgt da plötzlich traten die Damen ,
zurück, unter den albernsten Vorwände
natürlich. Mein Konkurrent na ich
will ihn hier nicht nennen der so ,
lang, hier dak Theatek frisiere, werde
die Sache befolgen, seine Erfahrung im
Historischen sei doch wohl größer als die
meine, und ähnliche Gemeinheiten mehr
der Dilettant, der Pfuscher, der gar
keine richtige Empfindung für Kunst
hat! Unterboten wird er rnichV einfach ,
haben um ein paar Groschen, das ist deö
Pudels Kern gewesen. Na. kurzum.' ich
war meinen Auftrag wieder IoS, und da
nichts schriftlich gemacht, konnte ich mich
nicht wehren. Aber daS schlimmste wat 1
mein gekränktes Ehrgefühl mich ge
Jen einen Kunden wie diesen zurückzu
chenl. Nun. Rache ist süß, daS habe ich
erfahren. Wissen Sie, was ich getan
habe, gnädige Frau? Einfach fünf Her
ren als Herren zurecht gemacht und hin
geschickt auf Damenkarten wenn ich
gewollt, hätte ich auch zehn oder zwanzig
hinschicken können, eö aren ihrer genug,
die sich dazu meldeten." ,
Herren als Herren zurecht gemacht?
rt . ... ... j-
Sinn iimit-nr nirr mini. cm iiiiul. j j( i i.
Lilienthal."
Das ist doc? so einfach, gnädige
Frau. Ziemlich die Hälfte aller Teil
nehmerinnen sollen doch jetzt im Herren
kostüm das Fest besuchen, da war eS das
Natürlichste,' auch meine Herren als Her
ren gehen zu lassen. Diese Herrcnko
stüme mußten also so beschaffen sein,
daß man darunter eine Dame witterte,
alle. Damenabzeichen mußten sozusagen
darunter hervorleuchten. Meine .Herren
mußten also von Kopf bis zu Fuß
gnädige Frau entschuldigen, daß ichdaS '
erwähn zuerst als Damen beklndet
werden, Damenwäsche, Korfette, das
Geficht weiß-rosa . geschminkt, darüber
eine glattanliegende Damenperücke. Erst
nachdem dies erreicht, wurden die Pseu .
dodamen n)M für die Herrenrolln um
kostümiert. ' Wir wählten weite, faltige
Kostüme, Inders Perser ut dergleichen,
mit dichten Bärten und Perücken, braun
geschminkt, kurzum,' wie eine Dame sie
wählen würde.- um reckt '.t&l' auszu
schen. Der Trick war nun dabei der,
daß immer durch das obere, Kostüm un,
auffällig ein Stückchen, des unteren her
vorlugte, als habe man versäumt, es
sorgfältig zu verdecken: . unter "der :
schwarzen Lockenperücke in bescheidenes
Stückchen blonden Zopfes, . neben'' der
braunen Gesichtsichminke .ein , Stückchen
weißen Halses, feie sahen vollkommen
aus wie verkleidete Dame., jeder mußte
sie dafür halten wie es dem auch
tatsächlich geschehen ist. Nun, was sagen
Sie zu meiner Rochs, gnädige Fnn,?",,
Sje sind in ganz gefährlicher
Mensch, Herr' Lilienthal, man wird sich
mit ''Ihnen inimer gu stellen müssen.
Uebrigens wie ist mir denn? Jetzt ,
-erinnere ich 'mich doch, gehört zu haben,
'daß man im letzten Jahre zwei ringe
schlichen Missetäter mit Gewalt an die ,
Luft befördert hat?" , . v ;
Waren aber keilte von meinen Herren,
wit iuj, miiiEiyii ynuusuun-, turnen,
die sich ellzuy geschickt und allzu echt"
kostümiert hatten. Aber wir sind fertig
danke verbindlichst wmsagt gnädige
Frau diese neue, tiese Frisur zu? Der
Knoten dürfte etwas mehr abstehen,
aber das Haar ist noch ziemlich feucht."
ch sah mich an. Sehr .gut. Mit
dem besten Willen war an dem Werke
nichts auszusetzen. Sie suid ein Kunst
ler in der Erfindung, Herr-, Lilienthal
vielleicht auch bei Ihren Geschjcht
chen?". , " . ,
' Er legte beteuernd du' 'Land, die noch
die Bürste hieltj auf die' Brust; Wie
würde ich mir erlauben, gnädiger Frau
etwas vorzuflunkern!. Alles lauterste
Wahrheit. Aber ich bin noch lange nicht
am Ende meines Schatzes ngelangt, und
wenn Sie mir im nächsten Monat wie-
derum die Ehre erweisen "
Sicher, sicher, lieber Herr Lilienthal."
Ich stöckte meinen Hut fest und griff
nach den Handschuhen.
Raffiniert.
WaS der Einfalt nur Äscheinet
' AIS ein Instrument zuri Sitzen,
Dieses wissen harte Männer .
Pädagogisch auszunützen. '
' In dich, Klage Gottfried Vimstein
stimmen die Jungens von Schnipfelberg
gar eifrig, ein. DerHerr Lehrer haut
aber auch zu. mächtig. Und als das
Klopfen aus die edlen Sltzteile der Dorf
fügend gar kein Ende nehmen will, fas-'
scn die Eltern sich ein Herz und .bckla,
gen sich bei einer hochwohllöblichen Rc
Vierung. - Große Untersuchuelg. Die
Regierung bat ein Einseheguitd Mitleid
mit der geprügelten Knabenschär, und
der Leksrer bekommt tatsächlich einen
Nasenstüber. - Unsere Schuljugend, die
helle ist und bald Wind von der Sache
bekommt, jubelt, nd einer von der Ge
sellschaft legt ti nun d'rauf an, dn
viklgeplagten Lehrer noch mehr zu pla
gen.' Keine Stunde fast vergeht ohne
di eine oder andere, Frechheit. Dem
Lehrer zuckt'S in den Fingern. Gern
hätte er zugehauen, aber . . '. Wr
mach, Sie hiermit darauf aufmerksam,
daß Sie sich in Zukunft einet weise,!
Milde zu befleißigen haben, oudcrn
wlls . . .'." Als der Junze die
Sache nun doch zu toll'trieb. packt, d-cii
Lehrer auf einmal "gerechter Zorn urd
mit geübtem Griffe legt er den Beg?l
über das Knie. Schon will er zum
' iQitDt uLyeien va neu er au; rtrn
bewußten Körperteil deutlich aufae
schrieben: .Gesetzlich schützt!"
:OII!l!0ijjllM
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