Tägliche Omaha Tribüne. (Omaha, Nebr.) 1912-1926, July 13, 1918, Image 7

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    Tägliche LmaZa Trllillne
-
1
--J
Wulterbrieje.
Lnsiigi Studentenlieder, ausgelassene
i Cchnze, dazwischen da Knallen der
Ehampagnerpsropsen, Gläserklirren, wil.
yj y des Durcheinanderrückcn der Stühle, Ju.
' " belndes Lachen, humoristische Dieben, die
mit tollem Händeklatschen aufgenommen
wurden so war es die ganze Nacht
hindurch bis zum Moracnarauen acaan
gen. Dann hatten die tollen Genossen
den Freund noch einmal umarmt und
waren mit einem Etoia".. aus ihre
lustige- Kameradschaft davongegangen
durch dal Gärtchen, wo die Astern fto
ren, hinaus in den riefelnden Herbst
. nebel.
Noch an demselben Bormittage hatte
der Gefeierte, der schone, blonde Gchemi
ler mit den rätselhaft tiefen Blauangciz.
dem die Frauen und Mädchen in der
ganzen Nachbarschaft derstohlen beirnin
dernd nachblickten, auch von feiner Bude
, lustigen Abschied genommen und war
'davongezogen, dem fernen Rußland zu,
wo ihm eine brillante Stellung als Di
rcktor angeboten worden war.
In der verlassenen Bude wirres
Durcheinander: alte Zeitungen, Cou
pletS, Cotillonorden. lce Cartons, alte
Wäschestücke und Schuhe, die der der
wohnte Patriziersohn noch in gutem
Zustande als invalid relegiert hatte, und
hier sogar ganz rückwärts in der Schub
lade ein Päckchen Briefe, mit einem rosa
Bändchen zusammengehalten und frei
ßen, welken Kirchhofsrofen darauf. Ge
, wiß verschmähte Ueberrcste einer schiff
brüchigen Liebe! Natürlich, gleich die
erste Aufschrift:
-Mein einziges, sllszcs, sonniges Glück!
Bis Du Dich noch zweimal füh aus
geschlafen hast, mein Goldkind, bin ich
wieder bei Dir und bringe Dir einen
Riescn'Hanswurst mit. Spiele den gern
zen Tag unter den Tannen im Park, da
mit Du auch in meiner Abwesenheit,
Deine schonen, roten Wangerln behältst,
auf die Dich viel, vielmals küßt
Dein Mutterl.
Karlsbad, den 10. August 1872.
Ein alter Brief schon, den die rosigen
Patschhändchen des Adressaten damals
arg zerknittert hatten. Angesügige, dicke
Lleiftiftstriche, die der junge Herr wohl
als Antwort auf seinen eisten Brief da
rauf gekritzelt hatte, liehen nur schwer
die schönen Schriftzüge erkennen, die das
Kind dann später, als eS fern von der
geliebten Briefschreiberin, seinem Mut
terl, weilen muhte, schon von Weitem
immer jubelnd begrüßte.
Schloß Skcklih. den 4. Oktober 1883.
Mein großer, verhätschelter Junge!
Rasch steck' Dein Taschentuch ein!
Schämst Du Dich denn nicht, Heimweh
zu haben, nachdem Du erst zwei Tage in
B. bist? Für Dich, mein kleiner Junge,
smd ja die Schulen hier längst nicht gut
genug, während Du dort in B. die Weis
heit mit vollen Löffeln schöpfen kannst.
Für mich zwar kannst Du genug, und ich
wäre töricht genug. Dich von der harten
Schulbank am liebsten wieder auf mein
Schloß zurückzunehmen und Dir, wie
ehedem. Märchen ins Ohr zu flüstern
und süße Bäckerei ins Schnabcrl zu
stecken. Aber es ist Väterchens Wunsch,
daß ' auk Dir einmal ein - tüchtiger,
brauchbarer Mensch wird. Wir müssen
uns fügen, und gewiß wird eZ mit der
Zvt auch gar nicht so schwer werden.
AIS erstes Linderungsmittel habe ich'
heute mit einem Kistchen guten Kuchen
versucht. Tante Emma soll recht Ob
acht geben, daß Du, kleiner Unverstand,
Dich nicht überessest. Ich habe ihr
übrigens in einem sechzehn Seiten lan
gen Briefe all' die Maßregeln für Deine
Gesundheit aufö Wärmste ani Herz ge
legt; und wenn Du Dich auch meinem
Wunsche. Dich am liebsten in die Schule
tragen zu lassen, aufs Energischste ent
gegenstcllen, wirst, so wirst 'Du's doch,
mit meiner Mahnung ernst nehmen
müssen, Dich in den belebten Straßen
B.'s vor den Wagen recht in Acht zu
nehmen, sonst mache ich auS dem Spaß
Ernst.
Nächsten Sonntag, so Gott will, bin
ich wieder bei Dir und bringe Dir als
Kameraden Deinen Cäsar, sowie eine
ganze Wagenladung Jndianergeschichtn
mit.
Auf baldiges Wiedersehen.
Deine Mutter.
Schloß Tkalid. den 17. Mai 1884.
Mein liebes, fltifciaeä 5k!nd!
V . Die Antwort auf Deinen letzten Brief.
der uns die Belobung Deine Professors
brachte, ist in dem Wertschächtelchen ent
halten, das Dir zu gleicher Zeit zugestellt
wird. Ich will cS heute noch, obwohl es
donnert und blitzt, daß die alten Eichen
vor unseren Fenstern ächzen, auf diePost
tragen, damit Du es in der Frühe schon
erhältst. Darum für diesmal so wenig.
Möge der kleine Goldzciger rasch lib;r
die Stunden hinweggleitcn, die uns noch
von einander trennen, und recht balv
bei der ersehnten Stunde stehen bleiben,
die Dich auf die Ferien zurückführt zu
Deinem Mütterchen.
Schloß Skalitz. den 1. Okt. 188?.
Mein lieber Herr Student! , .
Die Leute im Torfe fragen mich oft:
.Wo ist denn Ihr hübscher Karolek. daß
eS jetzt wieder gar so still bei Ihnen zu
.geht?" Und wenn ich, dann auch mit
demselben Stolz, wie der selige Poln
krateS, auf seinen Besitz nach Norden
weise und sage: Auf der Hochschule
studiert ei jetzt!" so kommen mir doch
immer dabei die Tränen. Denn wie
schön waren die Ferien, wo Du mit mir
lange Streifzüge in Wald unh Feld
machtest und mich so klug belehren kann
test, wie noch vor Kurzem erst Dein teu
rer. seliger Bater. Sein Bild, der ganze
schöne Traum meines Lebens an seiner
Q Seite, tauchte dzbei vor meinen Blicken
v auf. Wie rasch verflog auch diese Jl
lusion!
Doch will ich's gerne tragen, weil ti
die erste Stufe zu unserem Luftschloß
ist, schon bald nach Bändigung Deiner
Studien, auf immer ui'g.'trennt beisam
men zu sein. X'ui ist ist Trost in b:t
Einsamkeit T einer M itcr.
Schloß Ckalis. den ,15. J:,li IWi.
Mein lieber Karl! .
. WIsMU'M
mmü mm mmm
DaS Bild, dal Du in so neckischer
Weise, von den Vorbereitungen entwirfst,
die ich zur Feier Deine erkämpften Ehe
mikei'Tiploms veranstalte, entspricht
noch lange nicht der Wirklichkeit. Zine
ganze Menagerie, Kälber, Gänse, Hllh
er. Tauben, muß alS Danlopfer für
Deine eroberte Freiheit ihr zartes Leben
lassen, und ihr Lratgcruch wird, der
Weihrauch sei, den ich Deiner tiefen
Weisheit streue. Nicht nach Dutzenden,
sondern wie die Ziegel wirst Du die
Kuchen zählen müssen, und möglicher
weise hältst Tu Dein Baterhaus unter
der Last seiner Kränze und Blumen für
.einen Maulwurfshaufen; aber fürchte
Dich nicht, mein Kind, daß Du Dich
den ganzen Sommer über wie ein Maul,
wiirf hinein vergraben mußt. Ich habe
nämlich eigentlich sollte es eine Ueber
raschung sein aber schwatzhaft, wie
wir nun einmal Alle sind . . . nun, ich
habe Dir ein Rundreisebillct nach Schwc
den und Norwegen bestellt. Es war ja
das immer das Ziel Deiner Wünsche.
Doch jetzt ntuß ich schleunigst aufhö
ren, sonst erdrückst Du. wilder Junge,
unter Deinen stürmischen Freundenum
armungen Dein Mütterchen."
Schloß Skarlitz, den 10. August 1893.
Mein liebes, feines Kind!
Hast ja dort die Berge und hast dort
die Seen, hast all' das Wunderbar
Neue; warum sollt' ich Dich immer wie
der aus dem Zauber jener traumverlore
nen Einsamkeit wecken, die Du mir so
schön in Deinen Briefen zu schildern
weißt. Mir ist oft, als säßen wir Hand
in Hand am User eines jener dunklen,
norwegischen Seen und schauten in der
traumvollen Tiefe unser Bild, in eines
verschwommen, so wie unsere Seelen in
Wahrheit eä'find. Die meine begleitet
Dich auf all' Deinen Pfaden wie ein
endloses Gebet für Deine Sicherheit, die
in jener Wildnis so vielfach gefährdet ist.
Möge es Dich gesund wieder zurückge
leiten in die Arme
Deiner sich sehnenden Mutter.
Schloß Skalitz. den 10. August 1803.
Mein liebes, großes Söhnchen!
Obwohl ich es Dir nicht eingestchen
wollte, sehe ich ein. daß Du Recht hast,
Deine Kenntnisse nicht in müßiger Un
tätigkeit verrosten zu lassen und gleich
eine Stellung anzunehmen. Du brauchst
mich also nicht immer wieder um Ver
zeihung zu bitten, daß Du das Ersuchen
Deines Studienfreundes, im Laborato
rium seines Vaters tätig zu sein, ange
nommen hast. Die Aussicht, den groß
tcn Teil des Jahres nun bei Dir in P.
zu fein, mildert den erschreckenden Ge
danken, dafür meinem l. Dörfchen Ade
sagen zu müssen, wo Dein Vater, meine
Jugend und der größte Teil meines
. Glücks begraben liegt, und wo auch ich
einst zu ruhen hoffte. Endlich, endlich,
wenn auch nicht im trauten Baterhause,
wie ich es mir so gern gedacht, werde ich
Dich ganz bei mir haben und brauche
nicht mehr zu bangen, daß ein Paar
schöne . Mädchenaugen oder die Ber,
suchungen Deiner Kameraden das innige
Band lockern das uns seit Deiner Kind
heit umschließt.
Nur wenige Tage noch trennen mich
von der Erfüllung meines sehnlichsten
Wunsches.
Es küßt Dich, mein Liebling.
Dein Mutterl.
Schloß Skalitz. den 28. Januar 1894.
Liebstes, ängstliches Kind!
Was für absurde Gedanken spuken
denn in Deinem lieben Kopferl? Die
Furcht, daß ich krank sein könne, verfolgt
Dich bis in Deine Träume? Närrisches
Kind! Bedenke doch, daß eine alte Frau
wie ich o! protestiere nicht, wie eS
Väterchen immer getan allmälich die
Gewohnheiten einer Eidechse annimmt,
die nur bei warmem Sonnenschein us
ihrer Behausung kriecht und nicht bei
solch einem stürmischen Tauwctter, wie
es seit einigen Tagen unsere Landstraßen
durchweicht. Finde lieber in Deiner
Chemikerweisheit ein Mittel, das all'
diese Pfützen und Seen auf der Straße
wieder ziim Gefrierpunkt zurückbringt,
dann wirst Du sehen, wie zu Dir gelau
sen kommt Dein Mutterl.
Schloß Skalitz. den 29. Januar 1894.
Mein einziger Liebling!
Erinnerst Tu Dich an unseren letzten
Weihnachtsabend? Wie jubelte mein
Herz in freudigem Tankgcfühl, als ich
an Deiner Seite in den Lichterglanz der
Kirche trat und olle Augen bewundernd
an meinem schönen, großen, blonden
Liebling festgebannt blieben. Mir war,
als gelte der Weihnachtsjubel Dir allein,
als könne die heilige Jungfrau nicht fcli
ger in ihrem himmlischen Besitze sein,
als ich es in Deinem war. und ein stür
mischcs, heißeg Glück, wie damals, als
ich in derselben Kirche Deinem Batcr
treue Liebe gelobte, wogte mxr durch das
Herz und Irleb mir das Blut heiß in die
Wangen. Und als Dir dann draußen
die vielen Bekannten zu Deiner ersten
Stellung, zu Deinen Erfolgen gratulier
ten und die FrcundschaftZworte auf mein
verwöhntes Kind dichter herabflogen als
die Schneeflocken, die in wildem Tanze
auf dem zugigen Kirchplatze um uns
schwirrten, da empfand ich daS übergroße
Glücksgefllhl in der Brust fast wie einen
Sckmerz.
Der blieb mir auch in der Nacht, in
den folgenden Tagen. Ich dachte an
fangs, dicfts Stechen habe nichts zu be
deuten. Ich wich Deinen besorgten An
fragen aus. um Dich nicht in Deiner
neuen Stellung zu stören, sckiob mein
Ausbleiben auf die schlechte Witterung
ach Gott, hätten mich denn sonst
Sturm und UnNKlter hindern können, in
Deine Arme zu eilen? Aber nun fühle
ich', daß mir auf der Schwelle des er
träumten Glückes die Hand erstarrt, die
scl on jubelnd nach der Klinke faßte.
5komm, mich, mein Herzenskind, noch
umarmen; aber komme sogleich! Tcle
graphieren wollt' ich nicht, um Dich nicht
zu erschrecken; aber nach einer solchen
Nacht, wie die heutige, s'he ich ein, daß
es viklleickit noch Zeit sein könne. Aber
rna Dir. mein Liebling, nicht zu große
Sorgen; an Lungenentzündung ist nicht
mwmmmmmmm
i mui whu mm mm kmi mm miu
Es halte den ganzen Tag geregnet.
Helene trat ans Fenster und blickte hin
aus. Noch immer rann die graue Flut
vom Himmel nieder. Noch immer daS
leise Picken der Tropfen an den Fenster
scheiden. Noch immer das eintönige
Rieseln und Rauschen. Noch immer
das Stöhnen dcS Winde! im Ofenrohr.
Helene hatte genäht und dann einen
kurzen Brief geschrieben. Nun war eS
sechs Uhr, und die Dämmerung kam
schon geschlichen. Wie Nebel auf bet
See die stillgleitcnden Schiffe einhüllt,
sank Traurigkeit über die Frau. Eine
trübe Melancholie von den fchmutzi
gen, naßglänzcnden Straßen, von den
kahlen, triefenden Baumzweigen, die stch
vor ihren Augen wie in Schmerzen man
den, auS der schweren feuchten Luft
schien sie durch die mit Dunst und Ge
rinnscl bedeckten Fensterscheiben zu ihr
einzudringen.
Helene seufzte ungeduldig. Sie hatte
gehofft, der Regen werde aufhören, daß
sie noch ein wenig ausgehen könne. Sie
war ja nicht unbescheiden gewesen und
hatte gleich auf Sonnenschein und blauen
Himmel gerechnet. Nur ein wenig auS
ruhende Stille in der Natur.
Es lag ihr so schwet auf dct Brust . .
Und jetzt rauschte es wieder heftiger,
das feine Rieseln wurde ein hartes
Klatschen, große Blasen tanzten auf den
braunen Lachen über dem Pflaster.
Ein Wagen fuhr vorüber. Sein ?:
der blinkte vor Nässe wie häßlich bc
spritzt es war. wie trübselig die
Mähnen der Pferde niederhingen,
wie demütig In sein Schicksal ergeben
der ' alte Droschkenkutscher mit dem
Wachstuchhut, von dem kleine Bäche ihm
in den Kragen liefen, sich in seinen gro
ßen Mantel hineinduckte.
Ach Gott so ein lummes, armes
Leben Tag und Nacht da au'- seinem
Bocke zu sitzen und nur zur Abwcchse
lung den müden, lahmen Gaul durch die
Straßen treiben... Jämmerlich...
Helene wartete wußte nicht, was
sie wollte, und überlegt., warum sie sich
durchaus in daS absck.uliche Wetter
hinauswagen müsse.
Sie konnte ja auch daheimblciben. Es
wäre viel verständiger gewesen.
Sie hatte nur so eine klägliche Sehn
sucht nach Menschen... Sie, die sonst
stolz darauf war, die Einsamkeit zu lie
ben und sich selbst genug zu sein. Nur
irgend eine Zerstreuung ein törichtes
Geschwätz, das ihr über die Stunden
weghalf, in denen sie den Tag nicht
mehr ertragen konnte.
Es kam immer so über sie um diese
Zeit. Ja, ja... auch im goldensten
Frllhlingslicht da eigentlich erst recht.
Eine wunderliche Ungeduld... Sehn
sucht und Verzagen Ucberdruh und
Begehren Langeweile oder Lebens'
fieber... Sie wußte nicht.
Gewöhnlich wartete sie nicht, biS das
Gefühl ein Schmerz geworden, sondern,
rannte fort, sobald sie es nur von wei
tem kommen ahnte.
Rannte?... Natürlich rannte sie
nicht, sondern ging still und gesittet,
einen Besuch oder, eine Besorgung zu
machen. Aber eine Flucht war es doch.
Zu wem könnte sie jetzt z. B. gehen?
Zu der Professor Berthold? Guten
Tee fand sie dort wenigstens. Auch Ge
schwätz. Wie der Gedanke daran sie de
goutierte. Diese geistreichen Disputa
tionen über Fragen" : über die
Frauenfrage, die soziale Frage, die Ehe,
frage, die Uebervölkerungssrage . .. Als
überböte man sich. Leitern hinaufzuilet
tern, einer immer höher und kühner als
der andere aber die Leitern führten
gar nirgends hin, sondern ragten nur so
in die Luft hinein das war auch
wert, sich darum eine Lungenentzündung
zu holen! Allerdings dnn hätte ja
alles auf einmal ein Ende.
Warum fürchtete sie sich also davor?
Ach sie würde wahrscheinlich keine
Lungenentzündung bekommen, sonder
einen albernen Schnupfen, der sie nur
noch ein wenig müder und mißvergnüg
jeder noch gestorben, da ich Dich selbst in
Deiner Kindheit zweimal daraus heraus
gerissen habe. Ich fühle mich sogar jetzt
fast wohl, weil es mir vergönnt ist, so
viel mit Dir zu Plaudern.
Ich danke Dir für die Freude, die Du
mir in .meinem einsamen Leben gewesen.
Und müßte ich im Jenseits von Stern
zu Stern irren, um einen Strahl des
Segens und des Glückes für Deinen Le
bensweg zu erbetteln Dein Wohl
ergehe, bleibt auch dort der einzige Ge
danke meiner Seele.
Zum letztenmal nach langen Jähren
Tu weißt, ich litt immer an Schlaf
losigkeit bin ich heute totmüde. Die
Augen fallen mir ,u; so Gott will, wird
eS heute eine gute, erquickende Nacht, und
morgen kann ick, noch viele Seiten hinzu
fügen, da Du so gerne lange Briefe liest.
Gute Nacht, Herzenskind!
.
Em anderes Blatt l:g nicht mehr da
bei. Hatte der Sohn die letzten Lieb
kosung.n der öreils entfliehenden Mut
tcrsecle mitgenommen inS sturmbcwegte
Leben, war dieser letzte Teil des Briefes
schon längst unter wertlosen Papierkram
geraten oder war die Mutter beim Mor
gengrauen nicht mehr aufgewacht das
erzählten die armen, vergessenen Blätter
nickt.
Die blasse Herbstsonne aber sah so
traurig auf diese verachteten Ueberreste
der Mutterliebe mit ihrem heißpulsieren
den Leben, ihren lebensvollen Akkorden
auS dem Hohelied der Liebe; und an den
Fensterscheiben glitten ihr dabei langsam
die hellen Tränen herab.
Draußen aber auf einem kleinen Darf
kirchhofe glänzten sie wie Perlen in den
Kelchen der Astern, die heute zum vier
tenmale auf dem verlassenen Grabe der
Mutter blühten.
Graue Stunden.
Novelle von Gabriele Deuter.
ist machen würde, al! sie sich bjuhta
schon fühlte.
Ob Rudolf jetzt wohl eine ähnliche
Stimmung zu leiden hatte? Der Ge
danke machte sie lachen. seinem An
wnltsbureau, mit dem schwierigen, ver
antwortungsvollen Prozeß im Kopf und
auf dem Gewissen der hatte gerade
Zeit zu aussichtslosen Melancholien!
Wie grundverschiedenen doch das innere
Leben vom Manne und von der Frau
bleibt auch wenn sie noch so glücklich
verheiratet sind.
Helene ging in das Zimmer zurück,
nahm den eben geschriebenen Brief,
blickte zerstreut auf die Adresse und
warf ihn mit einer gleichgiltigen Bewe
gung wieder auf den Tisch. Auch eine
Freundschaft, von der man sich einmal
unendlich viel Schöne versprach
nun hatte man sich schon längst nichts
mehr zu sagen. Es hatte keinen Sinn,
sich überhaupt noch zu schreiben, sie
nahm auch immer ihre kleinsten Brief
bogen.
Wie viel Ueberflüssiges man auf die
Weise mit sich schleppte Dinge. Ber
Hältnisse, die einem anhingen, ohne daß
man es doch wollte.
Lag es an ihr, daß ihr alles Erleben
so zerrann, wie Sand, der einem Kinde
zwischen den Fingern hindurch läuft,
weil es nicht gelernt hat, was Festhalten
ist? . ,
Warum sollte sie festhalten, was ihr
nicht wertvoll erschien? Warum das
bischen Kraft vergeuden, um gewaltsam
abzuschütteln, was ja dock endlich von
selbst sich löste?
Hu da schlug ein gewaltiger
Schauer gegen die Glasscheiben. Wie
das Wetter draußen plötzlich l.idensck,aft
lich werden konnte: als bräche aus den
Wolken ein zorniges Schluchzen hervor
und dann rannen bis Tränen wie
der gelassener in müder Wehmut eine
lange Weile, bis der Wind und r ? Re
gen aufs neue lautere Klage begannen.
Sonderbar als fühle die Natur auch
hin und wieder das Bedürfnis, alle Le
bensfreudigkeit aufzugeben und sich
einem haltlosen, geheimnisvollen Kum
mer zu überlassen. Helme träumte hin
aus. Sie fröstelte. Ihre Hände wur
den kalt. Und es erschien ihr mehr und
mehr, sie habe ein Recht, eine zwingende
Pflicht, traurig zu sein.
Ja und dabei hielt man sie für
eine Frau, die auf der Höhe des Daseins
stand.
Eine glückliche Frau...
Sie glaubte das ja auch von sich
selbst. 4 ,
Sie hielt Unglück nicht nur für einen
Schicksalsschlag es kam ihr blamabel
vor, niedrig und gemein.
Oft und oft hatte sie sich gesagt, daß
sie auch die Kraft haben wollte, glück
lich zu sein, venn ihr Mann sein Ber
mögen verlor, wenn Krankheit und Not
sie prüfen wurden.
, Und sie begann-ihrer Seele verständig
zuzureden, wie man einem verdrossenen
Kinde Zuspricht. Sie erzähle sich von
ihrem lieben, guten Mann, von ihren
Sommerreisen, von Musik und Blumen
und Bildern . . .
Was hatte eS nur auf sich mit die
fcr Traurigkeit, die im Hintergrunde
von allem lauerte, mit diesem trostlosen
Widerwillen gegen die ganze Welt?
Vlclleicht war es körperlich? Viel
leicht,.. Wenn es einen besonderen
Grund hätte?
Sie hielt den Atem an vor plötzlichem
Schreck, vor jäher Freude. Aber
nein... dann... Unsinn! Es konnte
ja nicht sein. Sie war ja kindisch.
Wer weiß wie oft als Kind schon,
als junges Mädchen war sie so lebens
müde gewesen.
Und das war es hauptsächlich so
offenbarte ihr jetzt plötzlich eine aus
ihrem tiefsten Seelenleben emporquel
Icnde Stimme, weshalb sie die Hoff
nung l?egte, durch die Liebe von diesem
heimlichen Schmerz befreit zu werden.
Alles andere kam erst in zweiter Linie.
Sie fühlte deutlich, wie es wieder
dieselbe Hoffnung war, aus der hervor
sie sich, so heftig ein Kind wünschte.
Und ihr wurde llar, daß ihr dann nur
eine neue, die letzte und ödeste Enttäu
schling bevorstand: die Erfahrung, daß
auch das Muttcrglück 't nicht au'sfüllen
und befriedigen würde.
Keine Rettung keine auf dieser
Erde., ,
War eS ein Wunder, daß die Men
fchen sich ein Jenseits schufen und in un
bestimmten Träumen eines Kommenden
sich trösteten?
Oder sie erkünstelten sich seltsame
Freuden: legten Briefmarkensammlun
gen an oder schrieben Dramen, lernten
Radfahren, machten Bergtouren, oder
sie arbeiteten fieberhaft für irgend et
was, von dem sie doch selbst wußten,
daß es nicht viel Zweck hatte. Und wie,
der andere legten Feuer an die Häuser
ihrer Nachbarn wenn sie zufällig die
Macht besaßen, verwüsteten sie auch die
Welt durch Kriege und Schlachten...
und die Frau ihr gegenüber im er
sten Stock räumte unaufhörlich ihre Mö
bel um und schallt mit ihrem Dienst
Mädchen. Es war im Grunde alles ein
und dasselbe: ein fortwährendes Fliehen,
ein ängstlicher, banger Kampf gegen das
Eine Unaussprechliche Unbegreif
liche, das allen Menschen auflauerte,
und von dem doch niemand wußte, waS
es war, woher ti kam und wohin es
trieb.
Undenklich Lbrwältigt eS uns doch
alle olle...
Oder sind wir ti, die da siegen ?
Wer will das sagen.
Ist der Tod em Sieg oder ein Unter
liegen . . .?
Helene schloß die Augen und versuchte
sich das Verschwimmen nnd Vergehen
jeder Empfindung vorzustellen die
große Stille.
Illlliffl
Langsam und' schwer rannen ihr die
Tränen auS den geschlossenen Wimpern,
glitten an ihren Wangen nieder und
tropften lautlos auf ihr Kleid.
Der Regen rann über die Scheiben,
als pochten Geifterfinger eintönig gegen
das trübe GlaS. Der Wind stöhnte,
wie er über die Stadt und die weiten
Felder fuhr. Und ihre Seele seufzte in
einer verborgenen, tonlk n, ei, schlösse
nen Welt.
i
0, wie allein wie allein sie wa . . .
Nur einen- Menschen! Einen Men
fchen zum Liebhaben! Wenn Rudolf
jetzt nur kommen wollte sie in die
Arme nehmen, in unendlichem Ver
stehen...
' Und käme er wirklich waS
konnte er ihr helfen? Sie blieb ja doch
allein und er blieb auch allein. Im
mer war da ein Rest, in dem sie. sich
nicht verstanden ein weites Gebiet,
zu dem er den Eintritt nicht fand. Und
oft war eS ihr, als spiele sich hie- ihr
ganzes, wahres, eigentliches Leben ab.
Liebesstunden ... Ein Aneinander
pressen vonHerz an Herz, von Mund
an Mund ein .vildes schmerzliche!
Versuchen, eins zu werden... Und
dann alles wieder wie vorher. Und kc!
nes wußte, wie das andere dachte
fühlte empfand wie e! tief, tief
in ihm aussah.
Man redete miteinander. Man schonte
sich nur. So fremd so fremd...
zum wahnsinnig werden sremd.
Darum war Ehe so etwas Auf
reibendes: ein fruchtloser Versuch,. daS
Unerreichbare zu greifen, das Unmög
liche zu verwirklichen.
Sonderbar, daß es Zeiten gab, wo sie
trotzdem ganz fröhlich war.
Aber dann regnete es auch nicht so
unaufhörlich.
Es half nichts.
Sie wollte ankämpfen. Und so holte
sie ihren' Mantel, ihren Hut, zog ihre
"Gummischuhe an und beschloß zu Lal
borg zu gehen.
Das war ein erlösender Einfall. Wa
rum war er ihr nicht s' on früher ge
kommen?
Walborg die war eine von den
Vorsichtigen. Die wußte, was es mit
den Tücken und Bosheiten des Schicksals
auf sich hatte, die glaubte nicht mehr an
Freundschaft beteuerte keinem, daß
sie ihn brauche.
Sie verlangte auch von niemand, daß
er glücklich sein sollte, wenn er keine Lust
dazu hatte.
Das war so angenehm. Sie war so
gelassen. . .
Mit ihren ruhigen Händen würde sie
ihr den nassen Mantel abnehmen. Und
die Lampe würde schon brennn.. , Und
sie faßen auf dem kleinen Sof und re
beten leise mit einander: wie wunder
lich doch alles sei und wie närrisch die
Menschen, wie verworren und nutzlos
ihr Tun. Und Helene dachte daran, wie
Walborg den Allsspruch ihrer alten
Waschfrau über daS Leben zu zitieren
Pflegte: so alles in allem kann die Ge
schichte mich nicht gefallen" ein Aus
spruch, über den sie einmal ''ehr gelacht
hatten und der stets etwas Erheiterndes
für sie behielt, weil er alles, wofür sie
die feinsten und delikatesten Worte such
ten, so kurz und bündig zusammenfaßte.
Helene stellte sich das deutlich vor,
während sie durch die Straßen schritt,
um sich Mut zu machen. Die Luft
wehte ihr frisch über die Wangen, und
der Kampf, den sie mit dem Sturn'um
ihren Schirm zu führen hatte, belustigte
l'e.
Als sie ihr Ziel erreicht hatte ui, die
Treppe hinaufstieg, fiel ihr plötzlich auf,
daß die Stufen noch unbeleuchtet waren.
Wenn Walborg nicht zu Haus wäre?
Nein daran mochte sie gar nicht
denken. Sie verlangte so sehr nach ihr.
Helene drückte mit erwartungsvoll,
klopfendem Herzen n der Klingel. Sie
war zitternd gespannt und lauschte auf
den ihr so wohlbekannten Schritt.
Nichts . . . Alles blieb still. Sie drückte
noch einmal.
Trostlos blickte sie einige Augenblicke
die Treppe hinab und klingelte dann
ganz hoffnungslos zum drittenmal.
Mit schmerzzuckenden Lippen ging sie,
und unterwegs auf Jtx dunklen Straße,
unter dem schützenden schirm, bra, sie
in Weinen aus. Das tat ihr gut. Ihre
Brust bebte in kindlichem, heftigem
Schluchzen. Ihre Tränen strömten in
reichlicher Flut, wie der Regen, mit dem
sie sich mischten. Sie dachte nicht mehr
an das öde, widerwärtige Wetter. Sie
verfolgte ihren Schmerz nicht mehr bis
zu seiner Wurzel und von dort wiede zu
allen Ausstrahlungen h'..iaus. Fühlte
sie überhaupt noch Schmerz?
Sie weinte nur anfangs stürmisch,
dann gelinde, friedlich beruhigt.
- Als sie auf einem weiten Umweg wie
der nach Hause kam, trocknete sie sich mit
ihrem Tuch die letzten Tropfen von dem
feuchten Antlitz, indem sie zu den Jen
ste.n ihrer Wohnung empors Jetzt
schimmerte hinter ihnen ein rötlicher
Lampcnfchein. Er verbreitete nicht viel
Helle in der Finsternis rings umher.
Ein bescheidene: engumgrenztes Licht
ging von ihm aus. Und doch e ipfand
Helene Vergnügen, als sie ihn erblickte.
Es war ein Zeichen, daß Rudolf sie er
wartete.
.Du. Frau." sagte er, als sie zu ihm
trat, ich habe prachtvolle! Material!
Jetzt keinen Zweifel mehr mein
Klient ist unschuldig. Das war ein
Laufen und Umherjagen bei dem Hunde
wettet... Aber so schritt für Schritt
zu sehen, wie man sein Ziel erreicht
daS macht doch Freude!"
Sie interessierte sich nicht sehr für
den Mann, den Rudolf verteidigte. Gott
mochte wissen, ob diese viele Mühe nicht
verschwendet war. Sie lächelte dennoch
und setzte sich auf die Armlehne seine
Line Aahrt
von R.
Da kam also die Eisenbahnfahrt durch
Slavonien. Früh am Nachmittag der
ließen wir Belgrad. Der Himmel hatte
sich mit endlosen Herden weißer Schäf
chcnwolkcn überzogen und eS wehte ein
kalter, scharfer Wind. Gegen den Abend
hin begann eS zu schneien. Ganz feine
Flocken fielen gleichmäßig und ohne Hast.
Durch ein flaches Land fuhren wir.
Wohl war die Erde weiß, aber die gro
ßen, wohlhabenden Bauerngehöfte ver
rieten die Fruchtbarkeit des BodenS.
An jedem Bahnhofe wiederholte sich
das tolle Treiben und Gedränge. Bauer
in fremden, bunten Trachten, städtisch
gekleidete Menschen, die nur durch we
nige Kleinigkeiten daS Ferne und Fremde
verrieten, und vor allem feldgraue Sol
daten, strebten zum Zuge hin oder streb
ten dem Ausgange zu.
Der Zug war. das versteht sich, über
füllt. In den Gängen standen die Leute;
in jedem Winkel standen sie. Geheizt
wurde der Zug nicht; dafür waren viele
zerbrochene Scheiben in den Fenstern.
Und als die Nacht kam, wurde kein Licht
angezündet.
Das alle? machte die Fahrt lang und
ungemütlich. Wir sehnten unS allen
Ernstes nach einem Zimmer und nach
einem Bett. Gleichgültig wo. Wir
fragten 'deshalb den Schaffner, wann
der Zug in Vinkovce eintreffen könne.
Der Schaffner rieb sich mit dem Hand,
rücken daS ruppige Kinn und sagte:
Meine Herrschaften das kommt
ganz auf die Lokomotiv an. Wenn
Lokomotiv geht gut, dann um acht
Uhr. Wenn Lokomotiv geht schlecht,
um elfe. Vielleicht überhaupt nicht.
Niemand kann nichts sicheres wissen . . .
Jetzt fährt sie noch das ist ein gutes
Zeichen. Lokomotiv ist alt, meine Herr
fchaften ...
Die Lokomotive fuhr zwar noch
aber wie.
Sie gemahnte an ein müdes, abge
hetztcs Roß, das an jeden Schritt feine
letzte Kraft hergeben muß. Auf den
Stationen hielt sie jedesmal eine Viertel
stunde an, um zu verschnaufen.
Der Schaffner aber versicherte uns
stets trostlich:
Immer geht eS noch gut. meine Herr
schaften. Das ist wegen dem Dampf
. . . Wenn der Kessel hat Dampf
dann geht Lokomotiv wieder. Ist sonst
ein gutes Lokomotiv, nur a bissel alt.
Und die Kohl' ist schlecht viel Dreck
und wenig Hitz'. Wenn . nix Rechtes
nicht hat im Bauch da mag der Teu
fel gehen. Jawohl, meine Herrschaften
Die Sache war schon so, wie der
Schaffner sagte. Und dagegen ließ sich
nichts machen.
Man konnte bei dem schleppenden
Gange des Zuges das Gefühl nicht los
werden, daß man zu schwer auf die Bank
drückte und man hätte sich gerne so
leicht gemacht wie ein Fläumchen, um
der -men Lokomotive etwas von ihrer
sauern Arbeit abzunehmen. Dieses Ge
fühl wirkte auf die Dauer ermüdend;
aber es kam durchaus nichts dabei he
raus. Nicht einmal wärmen konnte es.
Etwas nach zwei Uhr am Morgen ka
men wir in Vinkovce an.
Da war die Sehnsucht nach einem
Zimmer und einem Bett noch um .ein
gut Teil großer. Doch stellten sich die
fer Sehnsucht allerlei Hindernisse entge
gen.
Wir wurden mit der abziehenden
Menge gegen den Ausgang des Bahnho
fcs hingeschoben. Tort brannte eine
gelbe Laterne mit schläfrigem, mattem
Scheine; ringsdarum her aber war kohl
rabenschwarze Nacht. Mein Oberleul
nant meinte, das sei schon mehr eine
Schweinerei.
Wir konnten nicht bis zum Morgen
an der Grenze zwischen Licht und Schat
ten stehen, und die Stadt lag aus
irgend einem Grunde wohl eine halbe
Wegstunde weiter hinten im finsteren
Lande. Wir wandten uns also wieder
zurück ans Bahnhofwachtkommando.
Dort entwickelte sich ungefähr folgende
Unterhaltung: '
Wo ist euer Kommandant?" fragt
mein Begleitoffizicr.
Er wir!) gleich kommen, Herr Ober
lcutnant," antwortete der Feldwebel.
Eine lange, lange halbe Stunde ver
strich. Dann kam der Bahnhofkomman
dank. Ein baumlanger Oberleutnant
mit aufgedunsenem, rotem Gesicht und
kleinen gutmütigen Aeuglein.
Wo sind die Zimmer, Kamerad?"
fragte mein Oberleutnant.
Ich weiß nichts von Zimmern."
Zwei Zimmer sind von Belgrad aus
telearcivhifch bestellt worden, Kamerad."
Mir nichts bekannt . ... Hier herrscht
Ordnung," entgcgnete der Bahnhofkom
Mandant und gähnte. Ist ein Zimmer
bestellt, wird ein Zimmer besorgt ist
aber kein Zimmer bestellt, wird auch sei
nes besorgt."
Wir sind müde. Einen halben Tag
und eine halbe Nacht fuhren wir. Jetzt
müssen wir ein Bett haben."
Hem," sagte der Bahnhofkomman
dank, schaute ur Decke empor und be
sann sich. Hem ..."
Vor sechse müssen wir weiterfahren."
Hem so."
Stuhles und ließ sie erzählen. Lauter
Dinge und Verhältnisse, die ihr .fremd
waren, die sie nicht recht verstand. Und
dazwischen bereitete sie ihm Tee, und er
fütterte sie mit kleinen Fischen, die er
mitgebracht hatte, weil er wußte, daß
sie eine Schwäche dafür "esaß. Und sie
fühlte seine Freude, die er mit ihr tei
len wollte. Und sie empfand die Le
bensgemeinschaft. die sie beide verband.
Und ek war. als rettete sie sich aus tie
sen, dunklen SSassm, auf eine kleine,
grüne Insel.
Und draußk, rauschte der Regen. Und
draußen stöhnte der Wind.
anm
in Slavonien.
F. 25urz.
Wenn man nur eine Stunde schlafen
könnte sich waschen wenigstens,..'
Weißt du. Kamerad, hier passiert
jetzt gerade eine verdammte Geschichte.
Kommt da ein blutjunger Leutnant ge
fahren, mit einem Frauenzimmer so
einem . Verstehst du . . "
.Ja doch also. Und was ist da
bei?"
Det Bahnhofkommandant wurde noch
tötet Im Gesicht als er schon vorher war,
blickte zur Seite und sagte leise:
j , V " drüben im Ho
'.Na - also." .
Ja aber daS kann hier nicht ge
duldet werden." schrie der Bahnhofkom.
, Mandant laut und hastig. Hier herrscht
Ordnung. Verstanden?"
ES geht schon gegen drei, Kamerad."
Warte!" .
Er schaute unS eine Weile in die mll
den Gesichter und sagte dann zum Feld,
webel:
.Bringen Sie die Herren hinüber. ES
muß für sie gesorgt werden auf irgend
eine Weise." Und gegen un gewandt
sagte er triumphierend:
Ihr könnt von Glück sagen!
Wenn ich Zeit, hätte, wurde ich selber
mit hinüber kommen. Aber ich muß dort
zuerst Ordnung schaffen ... Ein blut
junger Leutnant so ein Luder . . .
Wart' dir werd' ich den Braten verpfef.
fern und versalzen. Nur aufgepaßt!"
Der Feldwebel führte uns an der gel
ben, flackernden Laterne vorbei. Da
zeigte es sich, daß dahinter, in der Fin.
sternis vergraben, eine breite Straße lag
und hinter der Straße ein lanagestrecktes
Gebäude. Das war also, drüben".
Und drüben" wurde nun die Wirt
schaft waaetrommelt. Diese' Wirtschaft
bestand auS der dicken Besitzerin des
GasthofeS und ihrer unter aller Beschrei
bung dummen Magd.
Nach langer Beratung wurde unö ein
Zimmer zugewiesen. Dieses Zimmer
war ebenso kalt und feucht, wie der
Eisenbahnzug. Nach einer abermaligen
Beratung willigte die Wirtschaft ein, uns
das Zimmer zu heizen.
Zu einer Heizung durften zwölf Holz
scheitchen verbraucht werden. Zwölf
ganz kleine Scheitchen und die kosten
drei Kronen. Die Magd zählte denn
auch gewissenhaft, zählte hin und zählte
her. Wir standen dabei und wunderten
uns zuerst. Nachher ärgerten wir uns.
Die Magd aber tat ihre Pslicht so gut
sie konnte jedoch auf zwölf zählen
konnte sie nicht. Unsere Hilfe wies sie
mißtrauisch zurück.
Unser guter Diener Franz nahm
schließlich die Sache zur Hand, requi
tl die zwölf Holzfcheitchcn und mack'te
damit ein Feuer an. Der Ofen rauck'le
und gualmte eine Weile. Svöter ttw.t
er. Die zwölf Holzscheitchen wann zu
wenig und der Franz mußte eine zw'tte
Ration reguirieren. Er nannte das zwgr
trachinieren"; was ein Wort aus feiner
Schützcngrabensprache war.
Und ver Ofen wurde warm. Wir
standen mit ausgestreckten Händen' dar
um her und freuten uns. Dann gingen
wir zu Bette.
Eine Weile hörte man nur daS Sur
ren des Feuers. Dann aber erhob sich
im Gang ein Trampeln und Klopfen,
aus dem die dicke, schläfrige Stimme des
Bahnhofskommandanten herausklang.
Der war jetzt auf d,er Suche nach dem
blutjungen Leutnant.
Nicht lange nachdem det Bahnhofs,
kommandant sich verzogen hatte, klopfte
unser braver Franz an der Tür. Da
war es Zeit zum Aufstehen.
: Die gelbe Laterne flackerte immer noch
bor dem Bahnhof, wie ein einsamer
Stern aus schwerem Gewölk. Der Zug
aber ging mit fünf Stunden Verspätung
ab. In diesen fünf Stunden frühstück
ten wir dreimal in der Bahnhofswirt
schaft, aus der Nacht wurde Morgen
und aus dem Morgen Mittag.
Unsere Fahrt ging hinunter 'nach der
Grenze Bosniens, nicht gerade schnell
aber es ging doch vorwärts.
Ebenes Land war es, verschneite Fel
der und unendliche Wälder. Ungeheuer
große Wälder dennoch bemißt man
zum Heizen das Holz so kärglich; zwölf
ganze Scheitchen.
An Dörfern und kleinen Stgdten vor
bei ging es. Straßen und Gossen,
fremde Menschen und fremdes Leben.
Schon tauchte da und dort wieder ein
roter Fez auf oder ein bunter Turban.
Es wurde ein langer, langer Tag.
Aphorismen für nnd wider die Frauen
Die Frau will geliebt sein ohne
Grund, ohne Warum: nicht weil sie
hübsch ist, gut, liebenswürdig, graziös,
geistreich, sondern weil sie ist. Jede
Analyse hält sie für eine Verkleinerung,
eine Unterordnung ihrer Persönlichkeit
unter etwas, das sie beherrscht. Sie
wehrt sich dagegen, unT ihr Instinkt hat
recht. In dem Augenblick, in dem es
eine Begründung gibt, steht man nicht
mehr unter dem Banne, man schätzt,
wägt ab, ist frei wenigstens im Prin
zip. Tie Liebe aber soll ein Raush
bleiben, ein Zauber, damit die Herrschaft
der Frau von Dauer sei. Mit dem Ge
heimn' fchwindet-die Macht. Um die
sen Schein deS Unendlichen, Uebernalür
lichen, Minderbaren, der ihre Sö'ih.'it
ausmacht, zu bewahren, muß die Liebe
wirken wie etwa! Unheilbares, Unsaß
bareS, über jeder Analyse Siehend,s.
Tie Mehrzahl der Menschen vcrackitt.
toaS sie versteht, untz beugt sich nur von
oem unoegreisilcyen. .er.riumv
Frau' besteht darin, daS Dunkel in der
männlichen Intelligenz, die nach den
Licht strebt, zu erhäschen. Uno die
Frau, die geliebt wird, genießt die stol,;?
Freude dieses Triumöhe!.
l!,,!"!!l'sl!M!,!!!!ff'!(!!!IH!n,n!"
u;i ll ii l'M' t h Ci c
i ! 81' 'u1 1 U:IIH : ' ' !
MaUlliiihiH! Uliillll fSiiilltlü
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