Tägliche Omaha Tribüne. (Omaha, Nebr.) 1912-1926, March 23, 1918, Image 7

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Ja, fco. ist' eben. Das tmtlemal
bot der m Ladonir.S den klc!!nsZn
Knopf so stst tineterriiefj,, beiß der m
richt mehr itaii6aht. Nun fcheUt'4
halt immerzu.
Ich schickte da Wdbfrn sofort zum
Elektriker; na einer falben Stande, in
der mich das Gkklrnricl bald wahnsinnig
gemacht fcattf, twt Totenstille ein.
WaS mochte der alte u von mir
Wollen?
Ein Sonderling, nicht ohne Lieben?
wLrdinknt, Hansie er seit Jahren in bet
Stege üb mir, führte ein äußerst ge
regelte Leben, dos dem zertiiiischim
Beobachter manchmal reuige Gedanken
brachte, und pflegte seine kleinen Lieb
habenien. Im Sommer gofz. schnitt,
düngte und entlauste er die zahlreichen
Pflanzen nd Pfl!in-,chen in der gemüt
liehen Loggia; im Winkr sortierte er
seine Sreinsammlung. blätterte in seinen
alten DnicZen. dercn'er sehr schöne kiatte.
und nahm seine Chodwiccki.Ctiche
liebevoll unter die Lupe. Zuweilen
spielte er auch auf einem nicht sehr
klangfchönen Klavier ein paar alte Lie
der und Mörsck, die aus einer anderen
Zeit herüderzukliiigen schienen.
Zweimol in der Woche ging er in ein
kleines Wemstübchen in der Nähe des
Zoologischen Gartens feinen Tarocl spie
len und eine halbe Flasche Mosel trinken.
Sonst verbrachte er die Abende, von
einem Diener, der schon die silberne Die
daille für treue Dienste erhalten hatte,
umsichtig und fast fchon ein wenig tt)
rannisch betreut, in feiner behaglichen
Cofaecke, die mit unzählige Kissen crnS
gelegt war, und rauchte eine so lauge
wie leichte holländische Zigarre zur Lei
iiire alter sporfleckizer Bücher, aus denen
ein sanfter Dust von Lavendel und biir
gerlicher Wohlanständigkeit aufstieg.
Eine Toözter des alten Herrn, die ein
jlge, war verheiratet an einen Land
geistlichen im Hessischen.
' Jeden Wonlag und jeden Freitag er
hielt er von ihr einen vierseitigen Brief,
auf blaues Papier geschrieben, um die
Augen des alten Herrn zu schonen, und
ln jenen sanften, leidenschaftslosen
Schriftzügen, in denen ein bescheidenes
Zfrauengemüt, fern vom Getriebe der
Großstadt, ohne Nervosität, ohne große
Erschütterungen und beunruhigende
'Hoffnungen ein treuherzig stilisiertes
Bild seiner friedlichen Tage gibt.
Zweimal in den letzten fünf Jahren
hatte der alte Herr die Tochter besucht.
Beide Male, um einem feierlichen Tauf
alle beizuwohnen und als stolzer Groß
Vater und Pate ein strohblondes Kinder
kopfchen unter baS Taufwasscr zu hal
ten, da! der Schwiegersohn mit der
ruhigen nd des der Amtshandlung
durchaus Gewohnten auf den Scheitel
des kleinen Christenmenschen niederträu
fel ließ.
Vom Wachstum der Kinder, ihren
leiblichen und seelischen Fortschritten,
handelten stets zwei Seiten allemal
die dritte und die vierte in dem Brief
der Tochter. Tcr alte Herr erfuhr
Genaues über Gewicht und Aussehen,
nahm freudig zur Kenntnis",- was die
Messungen an der .weißgestrichenen Tur
des Schlafzimmers ergeben hatten,
machte die ganze Zahnkrankheit, die
?1!ascrn und den Keuchhusten mit durch,
nfah aus kleinen abgeschnittenen Hanr
proben, wie die Zeit hier fchon verän
derte und nachduntcln ließ, und erfreute
sich der ersten Schritte, der ersten Worte,
und der ersten GkistcLblitze seiner Enkel
so lebhaft, als ob er bei all diesen er
ftaunlichen Aeußerungen des Lebens, des
Wachsens und der Energie persönlich an
wesend gewesen wäre . . .
Als ich mir in meinem Studierjim
wer bei einer Zigarre den Seclenzustand
de alten Lavoiüus, soweit er sich aus
den Mitteilungen SrvhienZ erkennen
ließ, noch einmal in Ruhe übirdachte,
kam ich zu dem Resultat, daß sich die
freudige Erregung t-:i vortrefflichen al
ten Herrn zweiftlloZ aus einer Nachricht
von seinen Enleln h?r!eitte. Ich eiin'
nette mich daran, dzß er wir schon
einmal eine Korridsittingel ruiniert
hatte; damals, vlS ffrihchen, der ältere
Enkel, nach dem B'richt der stolzen
Mutter zum erst'n Male Opapa" ge
stammelt Halle. Und ich entsann mich,
daß die Selig!,:!! t?9 ffolj'N roiMterS
bei einer endeten el.'g'nd?it näm
lich damals, als t?rna, die Äachgeioi'rk.
dat erste Mhrche bekommen
mich
schon einmal einen Porz.Lanschirmstän
der im Korridor gekostet r,!:;.
Meine Vermutn ei'a bestätigten sich
vollkommen. Als ine kzalük Stunde
spater der alte Lsssni.'? mit freudig
geröteten BiZcn. die : Tilbermimen
de kir geschnittenen Äackenbartet fast
jugendlich frisch d-aituen. in mei
Zimmir trat, enllni H i i ci;utHift,
Ke sonst nur H w!-:.-k'..v Meldung'
in KriezZz'ik:,, per i S5err'r
fchluvfit:i:t1rt i't. der folg-nDe
Xwioi:
.FM-Z, sind: ich 2-'. Toktor. aber
Ifufei! ü'S ft'ififit i !h ff
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JtitiviUn Ctt fitf (ff (.pj.).,
' o i? t ü5i( ',y ,rn .!(:
mM in dir Cuu Äüi.-Z , i
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.''kuf. kk. der dris "h ttal Ich
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b'uie Vlcnt in, perwutk ich
et it i't l
rirtsri tfif? AH f.?i ;r- !
'Kirnte tit ja, ja. '.nt iti datin
frlt. b:t"
.Bn Jkk.n ?nl l.'
.7'. Allnd'n. Al'kr C if sind j
t- Hellsekier! ?ib,t Kni en ulne
Enkel bann stfl't, ii5 daZ 1. 1;.
tun Sie iii.t! taten. Zti'N h-iff
Sie ls'en die Aktie gewonnkn."
entfchü-b ich nach einiger liebfilf nn ncj.
Denn die Za'hne ttvrn bei hlideaEn.
kein ti; und fptfrtvrn Kinnten sie
:ch schon. ?aß der siinfjShriqk Irijz
für eine wisfknschaiüiche Lcistung b-rcitS
den Robelpreij deki'mm:n habe, war
nicht anniiichmcn. ll::b daß die vier.
ialirrne litna sich twrloM lulv, durste ich
iä!t vermuten. Also blieb mir nichtZ
übrig. a!Z meinen rasch und billig er
worbemn Ruhm alS .hellschkr daranzn
g'ben und ruhig z bekennen: ich bin
ahnungslos.
Tcr alte Mann Ivar äußerst vergnügt.
Er rieb sich nach seiner Gewobnheit den
Nasenriietm mit dem Zeigksingcr der
rechten Hand und wiederholte immer
wieder: Seh'n Sie. Sie wissen'ö nicht
Sie wissen's nicht "
Mir kam plötzlich ein Gedanke:
Sollte am Ende im Sunde der
Tritte "
Aber nein, wo denken Sie hin. Et
was ganz anderes. Sie kommen. Ver
steh'n Sie? Sie kommen.'
Ah. daS heißt Pardon, wer
kommt
Nun sie. Die Enkel! Meine Enkel,
Fritz und Erna."
Allein?"
Aber wie sollten sie! AuZ dem Hes
sischen hierher nach Berlin. Obschon
ftrife, da? geht ernä den Briefen hervor,
ist ungemein selbständig für sein Alter.
Ja. Merkwürdig selbständig. Das
kommt von der LavoniuSschcn Seite.
Bestimmt. Ich war auch so. Erna ist
etwaZ schüchterner. Lieber Gott, ein
Mädchen und dann: daZ kommt on
der Muckelschcn Seite. Sie wissen,
meine liebe Frau war eine geborene
Muckel. Ich habe, noch an!' unserer
Brautzeit, warten Sie, ja aus dem
Jahre Juni, wenn ich nicht irre
einen Brief von meiner Schmieger
muttcr, in dem sie mir den Cwratter
pon Mathilde das war meine Braut
genau au? ihrer Kindheit, sozusagen
us ihren Anfängen, entwickelt. TarauS
geht hervor, daß
Ich unterbrach rasch, eine Freude hen
chelnd. die jene kleine Ungezogenheit gut
maskierte: .Also sie kommen. Das ist
die Hauptsache. Mit Ihrer Frau Toch
itx."
Nein, leider ohne. Ueberhaupt die
Veranlassung ist sehr merkwürdig. Ein
Kuisbesidir da unten aus deck Hessischen
ist hier tu Berlin gestorben. Er wird
hier beerdigt, und nach seinem letzten
Willen darf niemand anders die Grab
rede halten, als mein Schwiegersohn."
Das ist sehr ehrenvoll für "
Ja, ein bißchen verrückt, aber ehren
voll. Nun meint meine Tochter, ich
hätte die Kinder so lange nicht gesehen.
Und sie ist natürlich sehr stolz auf sie.
Ich bin alt und kann nicht mehr so
lassen Sie's gut sein, ich kann wirklich
nicht mehr so. Na also, so kommen die
Kinder eben zu mir. ffür drei Taae.
Mein Schwiegersohn hat auch noch sonst
zu tun. Besuche und so allerlei. Aber
denken Sie, ich bin gar nicht böse. Ich
freue mich, die kleinen Kerlchen mal so
ein bißchen allein zu haben, verstehen
Sie. Wird ja doch wohl das letztemal
fein . . . Nein, lassen Sie'S gut sein,
e3 wird schon. Aber waS schadet das?
Zunächst weiß und fühl' und denk' ich
nur das eine: sie kommen!"
Recht so, Herr LavoniuZ, daZ dürfen
Sie auch."
Nein, sehen Sie, das darf ich gerade
nicht. Die tterlchen sollen doch auch von
ihrem Großvater 'ncn netten Eindruck
bekommen und von Berlin und von dem
Haus, wo er wohnt, und den Zimmern,
in denen er haust, und von all dem
Trum und Tran. Tas muh doch für
Kinder zugerichtet weiden, ein bißtln
auf Kinder zugeschnitten, nicht?"
Hm, ja - wie denken Sie sich das?"
Tja, wie ich mir das denke? Tas
ist's ja, das wollte ich mit Ihnen erst
besprechen. Zunächst möcht' ich ein Pro
gramm machen. G?ls spielt keine Nolle.
Tarf's diesmal nicht spielen. Die Enkel
einmal Kim Großpapa! Zum ersten
und wobl zum letztenmal nicht ? Na
also, Ta haben wir zunächst" er
holte ein Zeitungsblatt aus der Tasche
hflhcn wir zuerst das Theater.
Theater ist ml für Kinder. Also, bitte,
he'sen Sie mir. Hier der Spielplan:
Königliches Schauspielhaus Tas
dunkle Tor". Tas geht nicbt. Da wird
geschossn drin; da erschreckn sich die
Kinoer. Teutsches Theater Tcr
arme Heinrich''. Tas soll unappetitlich
sein uns zum Jacken. Gebt auch nicht.
Theater d's Westens Tie Jüdin".
Ooern sind langweilig für Kinder.
Neues Theater Pastor Hansen".
Tas kenn ich nicht? aber ich möchte nicht
wegen meines Scliwiegersohnes. Thalia
Theater .Tie bll'en Mädchen". Hm,
riz scheint eine hestine Trikot Sache.
Kleines Thäter Erdgeist" . . . Tag
wäre vielleicht? Ich lemi's nicht. Ux
es klingt verttauenenveckend,"
,73i alt sind doch die NindetZ"
r!tz ist f i,'?, Erna beinahe vi'k
J.'hte." t sah rri-.fi dabei lwkivurfs
voll in. Th ich d? nicht wußte! ,
.Tann sch.'int mir dach auch der
ErM'isi"1 nicht ganz das g'e!gne!e
tVi t sei. Mitfrnt, r-t Y Km.
t!t pi.i) jnt mild lu d -.. C; t twl.
l"Z ldm d-ch j'depf',', m !!
h -! ''"
Jihf i"i !,! r- I
Ml m tit ilr.itanir,Madn,
U'M, Tarnt Kvlr (ij , r fu'J
p.'t! ru'k?i. 'i.w m:i Jr.:f"'
trirn, Z,,. M ,ini r-cn sie 1'..;ü
ß'!Z. Ta;;S fi,iti;u, nt Ui Kein
' 'lt " WltH."(t ji ii(
i.teliinj ti )V.rtet, n''J ,'-
."k',,'ch, Rittst ! I'l .! T.'f. tS
?kt nis t Klirr ZI,kf, lr,!,l
''k t..n.: !,'.! ' '
ffc bulle ,m r.'in! ffuis derauk.
fflen. tv.uw i!!i,jüikl!,!l sii:ir;t lnrch
dir jifflfatl(t. ,:j'V C"e," kr!l,n!k
er I, !!-!,'!;!, ud, wa 'Ihi Iwu ich
Mir fl,,,,!, fi'tault. ü'uUI darf j, '. t
vwt an.'ii it s,'i'n t:!t cni'iit s!,-q,t
l!',k. och t'um:ti(;e foVii fnl l-'-ule
t?rs!a Mtor.rn :,d iaM.i!,! n.
i n üie m!,h mal utvii-iH':nf ü'iit!
tut oruitich I. 14 ir. b'Z lü'i
Nriedrich II., der Cifetilt. 11W til
I ST1.), Johann Cicero, nein, Pardon, erst
Albrecht Ack.il!., 147 lil 11''; dai:n
;saa;::n 1. nein, nun im ich k,?f.ss,
jetzt erst Johann Cicer IlN Vii. bil
x,i Ctf,n if, immer bei diesem
Ciecro werd' ich ,!nsl5:r."
Ncspckt und Mitleid und Humor
kampslen in meiner Brust. Aceinen
Sie wirklich, daß das nötig fa ?
.Aber natürlich," er wurde fast heftig,
Miz gewiß ist dos nötig. Kinder ein
psindcn ficht fein. Eine Lücke in un
sercm Wissen, und wir sind um ihren
Nespclt gekommen. Nein, daZ soll mir
nicht passieren. Sehn Sie, darum führe
ich sie nicht ins Zeughaus. Da könnten
ffrogen kommen, auf die ich nicht vor
bereuet bin. .Tafur natürlich: der Zoo
log, che Garten,
So, fühlen Sie sich in der Zoologie
i) stark r
Er lächelte verschmitzt. Nicht gerade
stark in der Zoologie. Aber ich hab?
hier einen Plan des Gartens gekauft.
Ich führe die Kinder nur sehn Sie,
hier die cn Hauptweg an den Elefan
ten vorbei da weih ich das Nötige
zu den Raubtieren ich lese beute
vend noch im Brehm darüber und
dann zu den Affen. Weitere Wißbe
gierde, die mich entlarven könnte, werd'
ich mit der Propvsition, in einer Kon
ditorei eine Schokolade zu trinken, nie
Verschlagen. Dann bin ich gerettet."
Und wenn eS, run immerfort reg
netl" '
Ich muß natürlich auch zn Hause
vorbereitet sein, ffür die Stcinfamm
lung sind sie vielleicht noch ein bißchen
zu klein?"
Ich fürchte fast."
Schade; aber ich dacht' es selbst. Ich
wollte Sie deshalb bitten, ob Sie Nicht
mit mir in die Lchrmittelanstalt gehen
wollen? ??an bekommt dort die Spie
lereren, die das Kindliche mit dem Be
lehrenden verbinden, besser wie irgend
wie sonst."
Ich konnte nicht gut nein sagen. So
wanderten wir in' die ffriedrichstraße
nach der Lehrmittelanstal!.
Der Hinweg, auf dem mich der enthu
fiastische Großvater umusgesetzt von den
merkuxirdigen Anzeichen hoher Jntelli
genz, die er in den Enkeln an Hand der
mütterlichen Briefe entdecken durfte,
unterhielt, verlief recht anregend. Tie
Heimfahrt im Taxameter war nicht an
nähernd so genußreich. Ich hat ein
teickilich mit Wasser, Schliugvfkanzen,
Goldfischen, Wctteraalen und Lhnliclzem
Getier gefülltes Aquarium auf dem
Schoß, wobei ich noch mit der linken
Hand zu sorgen hatte, daß eine Eleitri
siermaschine aus dem Sitzchen gegenüber
nicht herunterfiel. Der alte Herr hielt
eine Schmetterlings Sammlung, eine
Dampfmaschine, ein Uhrwerkschiff, das
sauber präparierte Skelett eines Frosches
und einer Fledermaus, einige auZge
stopfte Vögel sowie ein geographisches
Lotto heftig umklammert. Durch das
Kehupf des schlecht federnden Wagens
fiel ihm der Hut vom Kopse und mir
der meine über Stirn und Nase, so das;
ich, unfähig meine Hände von dem
Glaskasten zu nehmen, so ziemlich die
ganze ffahrt im Dunkeln machte. Erst
gegen Ende des Vergnügens hüpfte mir
der Hut mitten in ts Aauarium, was
meine gute Laune nicht erhöhte . . .
Der alte Herr war aber voller Froh
lichkeit, die noch stieg, als ihm Christian,
die treue Dienerseele, gleich an der Kor
ridortür versicherte, daß alle Bcsorgun
gen erledigt seien und die hundert Ztoie
backe sowie der Lebertran bereits im
Eßzimmer standen.
Nu, sagen Sie selbst, ob ich nicht
an alles denke," triumphierte der Alte.
Nebmcn nicht alle Kinder Lebertran?
Meine Tochter hat nichts davon geschrie
ben. Abcr ich wette, ffritz nimmt auch
Lcbertran. Erna ganz gewiß. Und
nun wollen wir die Lehrmittel und die
Spielsachcn ausbauen. Bei intelligenten
Kindern wirkt der ästhetische Eindruck
empfehlend."
Und während Christian meinen nassen
Hut am Ofen trocknete, bauten wir nach
ästhetischen Prinzipien, wie sie im Haupte
des alten Lavonius spukten, das Aquo
rium und das geographische Lotto und
die TchmcttcrlingZsammlunq, die Ske
kette von Nrosch und Fledermaus- die
Dampfmaschine und den elektrischen Ap
parat auf.
Tie Enkel waren glommen.
Sophie hitte sie zufällig in einer
Troschte anfahren sehen. Sophie hat ein
Talent, olles zufällig zu sehen, was in
der Straße BemerkenZwert?! passiert.
Schön sind sie nicht." faßte Sovhie
ihr Urteil zusammen, ober gesund."
Ich hatie g.dacht, der Stolz deS alten
Herrn werde mir die Enkel sehr bald
zuführen. Sie mußten ja n meiner
Korridortür vorbei, wenn sie die Treppe
kzinunterginaen nach der Siegesallce oder
nach dem Zoologischen Karten. Aber
sie kämet, nicht.
Um Nicht interesselcZ zu scheinen, ging
ich den zweiten Tag hinauf. Christian
Sssnete die Tür, ohne im glattrasierte
CkMi eine durch dcn likbm Besuch ge
hsbrne Stimmuna zur Ccdau zu tragen.
In feinem getä'umigm Wohnzimmer
traf ich den alten Herrn. Er faß in
Llii
KciiIo iv n
Pr war VNN ?.'!! k h der Läük-kl
tv:i und tSM fH in jut lutr'tl-ff
?' unal In - U uir; ; ru.l;
uns .v'"ff. i fr in i'.ertrnT, d,i
!'c i ti!.!!tt 'fr'! ,,!!,!,, IN d d,r eö
nsgit !. na ') dem Lttiich, ,,kt czewiNk
ZltanmstttZt sich ti',;' die Ü'efchi,!tt
hU (tnt j.iifin ffuf ii!Ut;i;:n. U-n
ihm nie der lüsestt , da! t"e !,ldrt.
die ihm anrkt!ut p',,-n. ntchimssüg
I klkwi'ndsn uS sitz iuif z ,i'
ebnn, die ihm bit'iHi cafai i"atnt. it
blieb X'lflschiiie Im ans,,'' an' w(ti;h,
starret 'jjächainsiani. Uua E c.'iri
ideellen äMtf fein l'.Int cas-1 -!:it,
war fein H im, dte siebt zu 's, wem
t'-' l". Hirt fand et einen unniiii-S-f
Iiftien Cneil, an den, et alle Anwznd
Iiingfit aufkcgeiidcr Ce'n'.fücht, ellei
Wcitcthinauemollkn im Kcim ersti.tic.
Jeder Tag. jede CtuiUe, die kr daheim
erbrach!?, bot ihm Cidianiit zu ge
nichtkichcn Betrachtung:, finnrclltn
Tätigkeiten, die, einfach und lautlcs. ihn
eben durch ihr aufdringliche Lscn
kntziicktkn. Wenn er mit seiner Frau
zum Fcnstir hinaus! ?:.iü!e, wen,, er am
Beginn dcr langen Äintcrnächte in sei
nem Lehn ltuhl fasi und den hingedauch'
ten Melodien zuhörte, die seine Frau
anS dem Klavier zauberte, pflegte er sich
Über diejenigen lustig zu machen, die ine
Theater wolltcn, in die Koiizcrte. Er
küßte seine Frau, streifte über ihre wei
chen Haare, er kansie einen blumigen
PorZkllantellci für das Speisezimmer,
er deklamierte ein Gedicht, das in dcr
letzten Sonntagsnumincr seiner Zeitung
veröffentlicht war: all dies brachte ihm
?lenuß. alle diese Augniblicke wurden
ihm unvergeßlich durch ihre licitere, lei
denschaftslose Schönheit. Man mnfjte
ihn deshalb nicht ein romantisches Ge
miit nennen, einen Phantasten, der sich
an nichtigen Alltäglichkeiten ergötze; denn
diese Freude am Kleinen war nichts Er
künsteltcs, sie war ihm naturgemäß wie
einem andern die Freude am Feurigen
oder am Verbrecherischen.
Längst vorüber war die Zeit, da er
noch hatte Schauspieler werden wollen,
da er in Gesellschaft übermütiger
Freunde Nächte duichtobt hatte. Wenn
er jetzt mit einem verzeihenden Lächeln
daran dachte, kam es ihm so vor, als
hätte ihn schon damals der wilde Un
fug abgestoßen und als wäre er diesen
Ausgelassenheiten nur nachgegangen, um
seinen ffreunden zu imponieren. Vor
dllem die Idee. Schauspieler zu werden:
wie lächerlich, wie undurchführbar!
Eines nur war ihm aus rencr Zeit ge
blieben, das er dankbar anerkannte: das
Vergnügen an schönen Versen, über
Haupt das Bestreben, seine Umgebung
künstlerisch auszugestalten mit Bil
dem. Büchern, Basen. Statuetten. Aller
dings war sein Geschmack wenig ausge
bildet und konnte sich darum über ein
gewisses Mittelmaß nicht erheben.
Am meisten freute ihn, daß sein Weib
an den feierlichen Momenten seines Her
zens innigen Anteil nahm. Sie konnte
sich wohl an einem schönen Schmuck, an
einem schönen Kleid begeistern wie ein
andres Weib, aber nicht aus Gefallsucht
tat sie es, fondern in der bloßen Selig
keit des Gcschenkempfangcns von einem
geliebten Mann.
Gewiß, sie war lebhafter wie er, lum
ger, sie war die spielende Welle im ruhi
gen Verlauf der Dinge. Ach ja, sie war
ein Weib und war. ein wenig kindisch:
sollte er etwa nicht lächeln, wenn sie mit
jen vom Klavierspiel aufstand, ihn um
den Hals faßte und im Zimmer mit ihm
herumtanzte? Oder wenn sie erklärte,
heute wolle sie nicht kochen, weil der
Jahrestag ihrer Hochzeit sei?
Es kam aber ein Winter, in dem die
harmlosen Launen der Frau einen Bei
geschmack von Trotz, Eigensinnigkeit er
hielten. Man konnte diese Veränderung
chwerlich on einen bestimmten Zeitpunkt
knüpfen. Der Kassier leitete sie von
einer Krankheit her, die eine kaum auf
geblühte Hoffnung auf Nachkommen
chaft unerwartet vernichtet hatte. Tat
einem alten, durch drei Generationen
vererbten Lehnsessel und blätterte zer
streut in Kuglers Geschichte Friedrichs
des Großen. Hinter ihm standen, mu
terhatt ausgebaut, alle die Herrlichkeiten,
die wir zusammen eingekauft, hierher
geschleppt und nach ästhetischen Gesichts
punkten aufgebaut hatten.
In einer Ecke fpielkn zwei Kinder,
ein Knabe und ein Mädchen, am Boden
mit einem Gegenstande, den ich nicht er
kennen konnte. Bloß grün schien er mir
zu sein.
Irik, Erna, hierher kommen, dem
guten Onkel eine Patschhand geben." In
der Stimme des Großvaters lag nicht
odiel freudige Güte, wie ich erwartet
hatte.
Die beiden Kinder Sophie hatte
recht, mit ihren derbwien Backen und
dem fadblonden. borstig in Büschen ob
stehenden Haar waren sie wohl gesund,
keinesfalls aber hübsch zu nennen
kamen rasch auf mich zu, befchlcuniaten
die lästige Zeremonie der stummen Ve
grüfzung" und beeilten sich, wieder zu
ihrem Spielzeug zu kommen.
Tiefes Sp'elzeug war ich erkannte
ei nun bei näherem Zusehen und sage es
ungern ein Spucknapf, der allerdings
die merkwürdige Eigensckft hatte, daß
er auf den Druck einer Feder gehorsam
und rasch den Deckel öffnete und unter
dem grünen Lackschild den üblichen Por
zellannapf, mit weißem Sand gefüllt,
sehen ließ.
Der Großvater folgte meinen erstaun
ten Augen, lächelte trübe und nickte.
Gleich als sie anlumen, haben sie die
fes sinniae Svielzeuz entdeckt. Erna
zuerst; Fritz folgte. Sie hatten die
eantelchen noch ach da knieten sie schon
davor. Ich wurde kaum begrüßt. Ich
zeigte ihnen unsere Einkäufe, unseren
Aushau und unseren Stolz; sie nickten
bloß z'rstreuk, eilten zu dem grünen
Lhelimml.
lttgs UVlf.
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7 er fplaendt 35 tut et nun innre, cl
irt'U t so mit tiiiftii giiikit Anfang das
bist vetjprrchez Halle, llinahlich z
einer I, it der unnmintuhint ttn-ui,
leiten, ES besann mit den kleinen Tm
gen: s i c3, tonst die Frau mit iiuui
neuen Paar Schule nicht zufrieden war,
t 'Z sie twn ihrem Mann zum Geschenk
erhalten batte, fei ti, das sie ihn aus
schalt, weil er durch Jahr und Tag eine
Krawatte trug, die völlig unmodern in
,.!r:u und Farbe war. Bald verlangte
sie ins Theater geführt zu werden, um
im letzten Augenblick, wenn die Karten
gelaust und der Wagen bestellt war, nach
dem Arzt zu rufen und zu erklären, sie
fühle sich unfähig, auch nur einen Schritt
vor die Ture zu fetzen. Bald benagte
sie sich ihren Verwandten gegenüber, daß
das Arbeiten im Haushalt ihre Gesund
heit untergrabe, schickte aber den Tienst
boten, den ihr Wann daraufhin gedun
gen hatte, fort.
Nach Weihnachten verging kaum ein
Tag, an dem es nicht zu Wortwechseln,
Tranen, Versöhnungen, neuerlichen
ZornaiHruchen gekommen wäre. TafZ
oieie jurniige Spannung un vsccicnju
stand der Frau nicht auf Unzufrieden
heit zurückzuführen war, bewies dem
Kassier die Gleichgültigkeit, mit der sie
zu Neujahr die Nachricht empfing, daß
er im Gehalt gesteigert worden war: ja,
sie höhnte ihn, daß er sich etwas darauf
einbilde, und es fei ungerecht zu froh
locken, da es in dieser großen Stadt
Hunderte von Familien gebe, die heute
nicht wüßten, wovon sie morgen leben
sollten.
Es schien geradezu, als hätte sich eine
krankhafte Idee in ihr festgesetzt. Viel
leicht aber zerbrach sie die würdige Ruhe
und Harmonie ihres Ehelebens nur des
halb, weil sie in kindischer Laune Ab
wechslung wünschte, aufwühlenden
Sturm nach gemessenem Adagio. Kurz,
es war ein rätselhafter Zustand und dem
Kassier machte es kein freudiges Herz
klopfen mehr, wenn er nach dem Amt
die Treppe zu seiner Wohnung hinauf
stieg.
Damals aber hatte er eine Begegnung,
welche für sein weiteres Leben von ein
schneidendet Bedeutung wurde. Im
Haustor trat ihm eines Abends ein jun
ger Mann entgegen, der t- ou3 welchem
Grunde, blieb ihm ewig unklar so
fort feine ganze Aufmerksamkeit fesselte.
Bor allem war der junge Mann streng
nach der letzten Mode gekleidet, trug
schmale Lachchuhe mit grauem Ober
jeder, eine gelbseidene "Krawatte, in der
eine glitzernde Nadel steckte, und einen
mattschwarzen Zylinder. Sein bart
loses Gesicht war schmal und edel, dunkle
Augen brannten unter einer starken
Stirne, sein Gang hatte Schwung und
Rhythmus . . . Dies alles erfaßte der
Kassier in der einen Minute, da ihm der
Fremde entgegenkam, vorüberstreifte und
im Gewirr der Straße untertauchte. Der
Kassier lächelte. Er fühlte Bewunde
tung für den Unbekannten ,eine warme
Freude, daß es solche von Natur aus
mit Vornehmheit erfüllte .Wesen gab,
und statt sich wie sonst zu beunruhigen
in Vorahnung der Zwistigkeiten, die ihn
oben, in seiner Wohnung, erwarteten,
hatte er jetzt eine Gelassenheit in sich, eine
Ausgeglichenheit aller Gegensätze: ja,
Vornehmheit war der Begriff, der ihn
plötzlich gefangen nahm und bezauberte.
Wie eine Offiibarung erschien ihm
die Begegnung mit dem Fremden. Nun
Spucknapf und ließen die Klappe spie
len. Ich sprach on der Siegesallee",
dem Zoologischen Garten", ja schließlich
doch noch vom Zeughaus mit seinen
Waffen und Kanonen. Sie hörten gar
nicht zu; sie waren mit dem grünen
Spucknapf beschäftigt. Ich zog ihnen
mit Christian die Mäntelchen an, um
mit ihnen auszufahren. Sie schielten
nach dem grünen Spucknapf, den sie doch
nicht mitnehmen konnten, und hatten
Tränen in den Augen. Ich ließ ihnen
die Mäntelchen wieder ausziehen, und sie
eilten jubelnd zu dem ,grünen Spuck
napf, der unbenutzt seit Jahren ein
Rest der guten alten Zeit in feiner
Ecke steht und den kein Mensch je be
trachtet hat. Bis sie kamen. Der Groß
Vater, die Reise, Berlin und alle feine
S ehenswürdigkeiten alles, alles gipfelt
für sie in diesem grün lackierten Kasten,
in dem weißer Sand ist. Das ist An
sang und Ende und aller Inhalt dieses
sehnlichst erwarteten Besuchs."
Es entstand eine peinliche Pause.
Und wissen Sie," nahm der alte
Herr nach einiger Zeit den Faden wieder
aus, und zum erstenmal lag ein grim
miger Zug um seinen sonst so gütigen
Mund, wissen Sie, was ich manchmal
d.nke? Auch in diesem kindlichen Spiel
liegt ein tiefer Sinn. Die echten Kin
der der Zeit drängen sich beglückt und
befriedigt um solchen grünlackierten Ka
sten mit zweifelhaftem Inhalt und über
lassen's uns Alten, wehmütig - ,d ent
täuscht die Dinge zu betrachten, von
denen wir vergebens Anregung und
Freude für sie erwartet hatten."
Christian ging durch das Zimmer.
Verächtlich sah er zu den Kindern, dann
bekümmert zu seinem Herrn.
Was wird mm mit dem Lebertran?"
fragte er.
Ten können Sie einnehmen, Chri
ftian, damit er nicht iimkoriimt,"
wrpt tt IrA. Hs'luz-.iZ i s.intk
ftiau C't","U":Jt tinurfhtnin, tr
46: 1 M.d,tZ':?'lZe sa!I: tu ich
trnif!,";e C'i-.tt. iKi.t, Miiifhii.
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üittht-c, M sich forian in fclr.nn Be
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seiner Pifchnming beim ersten Ai.dtici
Intiu'tlfiichifN. "iiitt gezu'ungen rraad
sich dise jlständktung. sondet wie von
sahst, o!i wirk er nie ander! gewesen.
In, wenn er sich zurUckcriniikrte, so wa
ten doch Ich,',i in et würdevollen Mäßi
ffting, die er bci den wüsten Schwärme
rcicn seiner cdcmaiigen Frcunde an den
Tag gelegt hatte, und in den Schaufpic
lcrtiallmen seiner Jugend die Keime zu
seinem jetzigen Verhalten gegeben.
Denn d,r Säiauspielcr. der große
Schauspieler erschien ihm als die Ver
Zörpcrunz der Vornehmheit: hier war
die edle und doch mächtige Geste zu fin
den, hier die klingende, Gehör sich ver
fchasjende Rede. 'War nicht auch der
junge Mann, der ihm on jenem Abend
im HauLtor begegnet war, ein Schau
spielet gewesen? Er dachte oft an den
Unbekannten, stellte sich seinen Gang bor,
sein Gesicht: es war ihm stets ein neuer
Aulaß zur Begeisterung ... Er hatte
Sehnsucht, ihn wieder zu sehen. Wenn
er auf der Straße ging, forschte er in
alle die vorüberhastenden Gesichter, oder
er setzte sich in ein Kaffeehaus ( was
er früher nie getan hatte ) und be
obachtete die Menge der Kommenden
und Gehenden. Er wollte ja nur wieder
Freude haben an dem Anblick des un
bekannten jungen Mannes, des unei
forschlichen, wollte ihm nur zeigen:
Sich, nun bin ich geworden wie du!"
Anscheinend wurde feine Frau ruhiger
und verträglicher, seitdem er ihren Lau
ncn nicht mehr Widerspruch entgegen
fetzte. Scheinbar gefiel ihr auch die
Aenderung in seinem Aeußern, denn
manchmal überraschte er sie, wie sie einen
erstaunten, beinahe zufriedenen Blick auf
ihm ruhen ließ. Er erzählte ihr von den
Kaffeehäusern, die er besuchte, und lud
sie ein, ihn zu begleiten. Sie schlug es
ihm ab. Trotzdem ließ er sich von dem
einmal gewähren Weg nicht abbringen,
denn er fand Gefallen daran, fühlte sich
wohl und heimisch in den neuen Zirkeln,
in die er sich allmählich hineinlebte. Es
konnte ja nicht fehlen, daß er da und
dort sich Freunden, Gesellschaften an
schloß, die, wenn auch nicht mit den glei
chen Absichten wie er, das Kaffeehaus,
das Theater, das Vergnügen und dag
Lachen liebten. Ach ja, es war ganz
richtig, daß er nicht mehr seine Woh
nung. diese paar Zimmer mit den engen
vier Wänden als daS heiligste und wert
vollste seines Daseins empfand. Wer
konnte ihm einen Vorwurf machen, wenn
er mit Maß, mit kluger Beschrän
kung die große Welt genoß, um einen
Schimmer ihrer weiten Horizonte nach
Hause zu tragen, um mit ihrem gran
diosen Jqhalt feine Persönlichkeit zu er
füllen und ihn weiter an alles Lebende
abzugeben, das mit ihm in Berührung
trat? Und niemand konnte behaupten,
daß er sein Heim floh, daß er etwa nur
darum die laute Gesellschaft suchte, um
den Streitigkeiten mit seiner Frau zu
entgehen, die ihn belästigte; im Gegen
teil, ganz im Gegenteil . . .
Ah, der Unbekannte von jenem Abend,
der interessante Fremde mit den dunklen
Augen, wo war er zu finden? Der Kas
sicr fühlte sich ihm täglich näher, er
spürte gleichsam in seinen Adern und
Nerven, wie er langsam mit dem Frem
den in eines verschmolz. Wenn er in
tensid an ihn dachte, sich vorstellte, in
welcher Weise, nach welchen Gesetzen sich
wohl der Unbekannte fein Leben zurecht
schnitt, und zugleich den festen Vorsatz
faßte: So mußt du es auch machen!"
dann konnte ein süßer Schauer ihm den
Rücken hinabrinnen, dann bebte er freu
big vor dieser letzten Vision: Er ist ich
selbst er war damals nur ein Traum,
ein Fingerzeig!"
Doch m einer lauwarmen Nacht, die
den Einzug des Frühlings brachte, wurde
wieder alles anders. Er war von zwei
Freunden, mit denen er sich für den
Abend verabredet hatte, im Stich gelas
en worden und begab sich allein in eines
der vielen Tanzlokale dcr Stadt. Er
bestellte Champagner, er ließ die ein
schmeichelnden Welodiecn der Musik in
seinen Körper fließen, er lächelte den
Tänzerinnen zu. Plötzlich fiel ihm die
Frage ein, welche einer der Direktoren
vormittags an ihn gerichtet hatte: ob er
nicht Gehaltsaufbesserung wünsche, man
wisse seine Kraft zu schätzen ... Er hatte
darauf verlegen gelächelt: er sei zufrie
den mit seinem Einkommen, ober wenn
natürlich die Direktion meine . . . Jetzt,
mrtten im Lichlerglanz, wahrend er ein
Glas des kühlen Getränks hinunter
stürzte, fühlte er sich bis in die Lippen
erblassen. Wie kam der Direktor dazu,
ihn zu fragen, ohne daß er je einen
Wunsch geäußert hatte? Wie konnte ek
ah, wie konnte er ihn doch nur so ge
mein verdächtigen? Wenn man auch in
der Direktion erfahren hatte, daß er ein
umfassenderes, inhaltsreicheres Leben be
gönnen hatte, durste man nie mutmaßen,
daß er o, welch ein entsetzlicher Ge
danke! die Gelder angreifen konnte,
die ihm anvertraut waren. Er schloß
die Augen. Die Bewegungen der Tan
znden erschienen ihm verzerrt, die Mu
sik grell und höhnisch. Ah, der Fremde,
d-r Unbekannte, wäre er nicht auch d
Verlockung widerstanden? Oder hätte tt,
weniger zaghaft, sich einen Reichtum n
qeeignet, der ihm allzuleicht in den Schoß
fiel, um dann in einer fern Welt sich
in herrliches Dasein aufzubaueg mit
Palais, Automobil, N'nnflall, Diener
fchoft? Ter Kassier fühlte, diß es wohl
ir-f C?i(turj t l?H!-, ß.,d. Hl tt
tipft l.!1 t tonnt, tn iüf-::f ,.h d"t t!
k'!chkk4 tritt fut w. m 7ti ;tiir,5 , , .
ff pHU it ,!,, jt in t!f Js.t!.
HJ., im mm Ht'ft siinzt s' rti
f.t i! I p N'i'f", w.r.1 It J-i.'lUch It
m tnr.hnf fließ, 6M t'i n iXA
h'nw'z fcnr.ttt Cd't itnit trl st Kr
ptt flw'tn, V-t tt ft.!'. U'Afi d'f'
spielt, a tit JHiafii!, C'ii! itnü t
t"i'iuyb hHljamt lüttt vrl,, ,
Gest tmt tt Ugilf'iz. ,n l'f 0Wnrn
watt feinet st tau im tttniiideait An.
ri.'in! tt lulle saut sttei,,. Höchst' n!
M!t t sän Zi.-l , reit pair-mmr,
blieb die Süsirn rrm d?rNk'.,u:,t ütft.
.t-tn mit in V!tantafi,':.ildt. tjt mt
tden tti.tt iiSi'i, tln ü'.fcit ftifittn,
wie Ihm man.!. mu! U Ctundni der
t!!WiWmin(t pptaefebt laltt, Iftgfti
IcS, striipeilo. mit ht pta.tti!Sll,'n t'k
terde eine! Menschen, der sich die Welt
erobert. Hoel,kik!t blieb lernt Fremde,
der ihm einst wie Zur Erleuchtung im
Haustcr eiitnko.engktreten war, eine un
rfüllbare Sehiisuct t. ein Ideal . . . BoN
Zweifeln dirckwüh'!. eilte er nach feinet
Uwhuung. Er tastet sich die Treppt
mpor, leise, auf den Zche's."'ch'N schlich
er in das Schlafzimmer.
Er machte Licht, et sah seine Frau Im
Bette mit weitosfcnen Äug? ihm ent
gezenslarrcn. Er beugte sich über sie,
ölngst schnür! ihm den Atem ein. Was
hast du?" fragte er verwirrt. Sie sagte
ihm stammelnd, daß ihr Leib fruchtbar
geworden sei. Um feinen Mund zuckte
e, er schwieg. Aber als er das Licht
ausgelöscht hatte, kniete er vor seinem
Weibe nieder und wcinle.
AIS dann der Sohn geboren war, ge
schah es auf ganz natürliche Weise, durch
die gemeinsame Sorge um die Er
ziehung, um das Wohlbehalten des Kin
des, daß sich die beiden Gatten, deren
Ehcbund wie durch einen rätselhaften
Niß zerstört schien, wieder zueinander
fanden. Die Frau wurde sanft und er
geben, der Kassier sagte sich von seinen
Freunden und Gesellschaften los und
ging völlig auf in der Liebe zu feiner
Familie und in der strengsten Pflicht
erfüllung im Amt.
.
Die Frau war gestorben, der Kassier
längst in Pension gegangen.
Eines Tages besuchte ihn sein Sohn,
der bereits verheiratet war und eine An
stcllung bci der Gemeinde hatte. Er
schien in besonderer Aufregung. End
lich zog er ein Paket Briefe aus der
Tasche und legte es feinem Vater hin:
T.icfe, welche er in einem verborgenen
Fach einer Kassette, die einst im Ge
brauch feiner Mutter stand, durch Zufall
entdeckt hatte, Briefe, welche an seine
Muttcr von einem fremden Mann ge
schrieben waren und in Liebe glühten,
Briefe, die bewiesen, daß die Tote wohl
nicht ganz die Verehrung verdiente, die
man ihr entgegenbrachte. Des Sohnes
Lippen zuckten vor Erregung, er war
geradezu entsetzt über den Fund, den ei
gemacht hatte. Der Kassier hörte ihn
ruhig an, kein Muskel rührte sich in sei
ne. alten Gesicht. Er nahm die Briefe,
sagte, er werde sie lesen bei Gelegenheit,
nd schickt den Sohn fort.
Den ganzen 'Nachmittag verbrachte er
mit dem Durchlesen der Briefe. Von
Zusammenkünften war die Nede, ' vcn
Gärten, Restaurants, Kirchen sogar, in
denen man sich getroffen hatte, von
eine... Abend, an dem die Verstorbene in
ihrer eigenen Wohnung, in ihres Man
nes Wohnung besucht worden war, von
heißen Umarmungen war die Rede, von
Beteuerungen und einem Abschied für
immer. Der Kassier hätte Konkreteres
gewünscht, Angaben, aus denen er fchlie
ßei. konnte, wie derjenige aussah, dcr
feine Ehe gestört hatte, wie und wo er
lebte. Aus einem der Briefe ging her
vor, daß er an däe Oper hätte engagiert
werden sollen, daß er abcr ein besseres
Angebot fürs Ausland erhalten hatte.
Nicht einmal ein Datum war irgendwo
angemerkt.
Äh, dielleicht war es zu jener Zeit ge
wefen, als er plötzlich den Entschluß
faßte, sich ans seinen engen Vrrhältnif
seit in ein reicheres Dasein emporzu
arbeiten ah, er erinnerte sich noch ganz
gut der junge Mann, der im Haus
tor ihm entgegengetreten war der
junge Mann, welcher fclbstverstä'nd
lich! welcher feine Frau geliebt, be
sucht, verführt hatte. Und damals, ja,
damals war doch feine Frau so nner
tröglich gewesen, wahrscheinlich infolge
des bösen Gewissens; erst als sie sah,
daß onch er sich von ihr entfernte und
feine eigenen Wege ging (so dachte wohl
sie ), da wurde sie zufriedener, da
fühlte sie das eheliche Gleichgewicht her
gestellt. Wunderbar, wunderlich! Da
hielt er nun die Briefe nein er warf
sie in den Ofen und sie verbrannten und .
nun war alles wieder ausgelöscht, ver
modert, verloren.
Als er abends bei feinem Sohne
speiste, zog ihn die Schwiegertochter bei
feite und schalt auf ihren Mann, daß er
überhaupt die Briefe hergezeigt hatte.
Er fragte: Du glaubst, daß sie mich
betrogen hat?"
Und er fuhr fort, während sich seine
Wangen röteten: Du irrst dich, wenn ,
du das glaubst. Das Gegenteil ist rich
tig. Nie hat sie mich mehr geliebt, als ,
zur Zeit, da sie diese Briefe erhielt.
Denn damals hat sie mich erkannt, da
mals ist sie von Gott erleuchtet gewesen
und hat mir ganz auf den Grund g-
schaut -."
Und zu seinem Sohne sagte er später:
Ich bin sehr zufrieden, daß ich diese :
Briefe gelesen habe, fehr zuftiedn. .
Deine Mutter war die einzige, die mich
verstanden hat. In einem höhern Smn. ,
Ich war nämlich nicht nur ihr Mann, ,
ich war auch ihr I d e a l. Und damaiZ
hat sie das Ideal geliebt, versteht il,r?
Aber ihr versteht mich nicht und darum ;
wollen wir nicht mehr davon sprechen."
Und seine Augen leuchteten in einem
zitternden Gl-? und seine Haltung und
abschließende Gebärde war die eines Für
stm. d zu seinem Volk redet.
Der Mensch rechnet immer das,
was ihm fehlt, dem Schicksale doppelt so
hoch an. als das. was er wirklich besitzt.
tt
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