MMe CntaHs TrlbÄne r 'T1, aVmWmMM Dns Manuskript. Novelle von Heinrich Spiere. ssZ war erbänttNckcs Epätherbstwet la. Nachts fror es schon tüchtig, aber bei Ta?e schien eine trübe Sonne, ge rade noch warm genug, die llbcreistcn TiZinpel und Rinnsteine aufzutauen, . ,da Pslap der ganzen fetgiaen dla.ll mit einer nassen, gliifchigen Gchickit zu überziehen. Wcnn es bann dazwischen vicltelstundenweise regnete, wurden die Ctrahm vollends fast unwegsam, und WZ es' von der Obcrsiaot zur Unterstadt hinabging, mußte man sich vor gleiten dem Fall in acht nehmen. Die schwere, trübe Luft. Regen und Nebel schlugen in die Schornsteine und ließen die Ofcnftucr nicht ordentlich aufflammen und durchbrennen. so dosz es auch in den Stuben unbehaglich war. Verdrießlich über seine nassen Stic fcl, trat der Vcrlagsbuchhändler Weller in sein Kontor, ritz sich den Hut vom Kopf, den Mantel vom Leibe und setzte such an den Schreibtisch. Er wisckie mit seinem Taschentuch die nassen Tropfen ernt Gesicht und stand noch einmal auf, der Seiter.tasche des Mantels eine Zi garrentüte zu entnehmen. .Wirttich, auch durchnaß! schrie er ganz laut, und da er einmal im Schreien war, rief er, 'hne den Tonfall zu mäßigen: Tonncrwetkr, kommt denn kein A!ensch? Rehbinder! Reeeh bindn! Rceehbin ien!" Die schmale Elasiür, die aus dem Ärlv.iisraum des Chefs in die allgc meine Schreibstube führte, tat sich auf, ud ein hagerer Mann in aboetragener Kleidung erschien. Auf den ersicn Blick hätte man ihn neben dem stämmigen, Zurzhalsigen Weller siir eine stattliebe Gestalt halten können; bei näherer Be trachtung wirkte er freilich weit un scheinbarer, dürftiger als der kleine Mann vor ihm. Auf zwei überlangen Beweg saß ein zu kurz geratene: Oder to'rper. und diesen krönte ein kleiner, shinal Kopf, den schütteres, aschblon deZ Haar umgab. Die Augen waren unter breiten, Lidern und dichten, buschigen Brauen fast derdeclt. Reh binder verbeugte sich, sagt: Guten Mor gen und legte mit der Rechte,, einen Stoß geöffneter Briefe au' den Schreibtisch, holte dann unter dem Im len Arm ein dickes Paket anderer Pa piere heröor und stapelte sie auf einer etwas entfernteren Ecke der großen Platte auf. , Wcller hatte den Morgengruß kurz und ziemlich unwirsch erwidert und laS nun die Zost. Der Beamte hatte sich Zeitlich neben den Schreibtisch gesetzt und erschien hier gegenüber Weller, der ein Sitzriese war. vollends kläglich, wie er seinen kurzen Oberleib gerade eben an der Stuhllehne hochrichtete und er gebück seine langen Beine bequem aus zustreckn versuchte. Rehbinder lächelte, wie an jedem Morsen, und Weller schoß einen ärgerlichen Blick zu ihm hinüber. Wie hätte er er gehöhnt und ge brummt, wenn Rehbinder ihm den Grund feiner sich immer wiederholenden Heiterkeit aesagt hätte. Der Prokurist mußte nämlich jedesmal, wenn beide sich gesetzt hatten und das Größenverh,..!nls sick, umdrehte, an jene Stelle der Ffias" denken, da Antenor von dem Besuch erzählt, den Odhsseus und Me nelaos ihm abgestattet hätten: Zerbngete bet!, in meinem $ß!sl!f, sie , fteminm, Po ttfk beider Malt und öedck,l!amor Gcist mir belmmt !. sie kiunmckr u tit Troer versam'?ltm Kreiö flch acfeUrt, :aot im tebn Meneloos emv'r mir mach!! an e&altem: T!ch wie flch beide gesm, fcn erimien chrbol. ttt CbHutus." (?: war an jedem Morgen Rehbin dns sülleä Vergnügen, den so ausge nommenen Vergleich weiterzuspinnen und dabei zu dem Schlüsse zu gelangen, wenn Menelaos ihm geglichen bätie. würde Helena ihre Flucht mit Paris nickt zu verübeln gewesen sein. Eben trommelt er noch auf seiner rechten Zlniefcheibe den letzten Hezameter mit, als Well, immer noch ärgerlich, die Briefe hinwarf. , Schön. Nichts Besonderes. Wenn das mit den Weihnachisbefiellungen fs weiteraeht, werde ich einen ongenebmen Abschluß haben. Was die Lorbasse bloß lesen mögen! Anständige Bücher jedenfalls nicht." Er griff Zu dem Haufen größerer Papiere. , .Manuskripte. Haben Sie schon Hin klngesehenZ" . , Rebbmder nickte. .Ja. D-aS neue Drama von Buch bolz. das im Stadttheater mit Erfolg gegeben wurde. Er verlangt .Ezal, egal!' fuhr Wellet dazim sehen. Das Stück hat meiner Frau' ei verschluckte sich hat mir sehr gut gefallen." (Rehbinder lächelte wie der und dachte: Penelope, Venelope!) ' .Wird genommen! Ueber das Hoi.orar werden wir schon einig werden. Schrei den Sie Doktor : Buchbolz, t . möchte nächster Tage zu mir komn,en. Wei ktl 'hier ein Roman von einer Zungen Gräfin aus der Provinz. Ich habe das erste Kapitel gelesen, vielleicht nehmen Sie es mal vor." , .Schön," meinte Well'. Das anders Rehbinder wog teil immer Noch f.arfcn Packen ist un- brauaebar. w,v2f ctlr.net fichtst Dae,k für dS meiner z,irma tu Ktfm Wohlwollen zurück." Nchöwder btectnn vo neuem: Hat hier ist noch ein Manu. ttM " E -'xii, Weikrzusprechen, hob erst 's,5k'd!iK 'die unterste Handschrift ärs w"z sie Zweifelnd in der Neckten, llÜltffit an und legte sie schließlich t VnfM eis den Tisch. 'Wt nahm das Manuskript aus; r.at .feiert, aus sehr dünnt Papier c 'i.ven. Auf dem ersten Tlait stand Also mit verbind' mit blasser Tinte geschriebn,. .Der Liebe Ewigkeit. Von Flora Traub." Flora Traub? Kenn' ich nicht." Er blätterte. Was ist denn das eigentlich? No man? Physiologie der Liebe? He?" Rehbinder bemühte sich, sehr lieben! würdig zu sprechen: Ja, das ist schwer zu sagen. Es ist, soweit ich sehen konnte, eine Philoso phie" er suchte nach Worten des menschlichen Herzens. Nein, mehr eine Art Theodizee. Alles Schlimme, das uns begegnet, trugt. Wir müssen, das Böse hinnebmen und zu iiberwirden suchen und dürfen nicht ain Vorbanden sein einer gütigen Gottheit verzweifeln. Wir sollen " Da fuhr Weller dem immer eifriger Weidenden in die Parade. Er Halle seine Brille auf die Stirn gelel-oben und einzelne Seiten des Manuskripts, das er hoch erboben hatte, betrautet. Jetzt ließ er es klatschend auf den Tisch fallen und schrie: Theodizee? Theodizee? Schmalz siulle! Hier" er wies mit seinem dicken Finger auf eine Stelle und hier und hier! Fettflecke. Da" er blätterte um hat sie Stoss drauf verplempert. Und hier" er zeiatc ans eine andere Stelle lauter Blei stiftstriche. Das Ding ist inindestens bei sechs Verlegern gewesen. Sehen Sie, hier hat eine fremde Hand ge schrie ben: Blühender Blödsinn!" Warten Sie mal" er erregte sich immer mehr ich will meine Lupe vornehmen. Sehen Sie j'tzt? Das ist Harichs Handschrift. Der hat's niÄ genom men. Und ich soll's Prüfen? Ich danke, Stomma." Und er schob Rehbinder das so be. schimpfte Manuskript bin. Der saß und kaute, hob xlötzlich die Lider und sah den Ehkf aus hellen, jugendlich strahlenden Augen voll an. Tann saß er wieder regungslos und druckste an einem Wort. Wellcr begann dies Ver gniigen zu machen. 3k, da sitzen Sie wieder und wollen gern und können nicht. Nein, ich nehm's nicht. Der Liebe Ewigkeit." Nein. Wenn ich das drucke, hab' ich nachher der Remittenden Ewigkeit." Er belachte seinen Witz ausmebig drückte Rehbinder den ganzen Stoß in die Hände, legte das Traubscke Werk obenauf und sagt: ganz behaglich: Nun gehen Sie nur. Ich seh' schon, Sie haben was zum Träumen bekom men. Ja, die blaue Blume!" Rehbinder seufzte, stand aus und ging in die andere Stube. Weller sah ihm einen Augenblick nach, schüttelte den Kopf und "griff dann zur Feder, um zu arbeiten. Im Nebenzimmer verteilte der Pro klirist die Post an das Personal und gab seine Anweisungen für die Veant Wartung. Tann rief er den Faktor und hieß ihn die zurückgehenden Manu- skripte sorgfältig verpacken. Als er an das letzte kam, zögerte seine Hand; er wog es noch einmal und legte es dann auf sein Pult. Das hat Zeit," sagte er Z dem Hausdiener, der nun abging. Von draußen drang einen Augenblick die Sonne hein, das schmutzige Grau des Pregels erschien w'? vergoldet, dann wurde es wieder trübe. Nebel und Ite gen begannen ihr Spiel von neuem. In dem alten, verräucherten Jlontor wurde nearbeitet, es fiel kaum ein Wort. ÄlZ die Mittagspause beqann. steckte Rehbinder das Manuskript zu sich und ging heim. Als er uachmittaos wiederkam, war ein eigener Glanz in seinen Augen. Aber er tat ruhig seine gewohnte Arbeit. Nun war der Abend hereingebrochen. Es war etwas klarer geworden, man sah hier und da einen Stern. Die Gas latenten brannten ruhig und spiegelten ihr Licht in den vielen Psützen, denen die Fußgänger nach Möglichkeit ais wichen. Rehbinder hatte das Kontor verlassen, vom Faktor den Schlüssel übernommen, selbst nachgesehen, ob das große Schloß an dem eisernen Quer ballen fest geschlossen wäre, und ging nun die Langgasse hinauf. Borsichtig setzte er eins seiner langen Beine ums andere auf die Granitplatten des Bür gersteigs. Den Mantel hatte er bis zum "Halse zugeknödtt, obwohl der zweite Knopf sich im Knopfloch spannte, weil in die Brusttasche ein starkes Paket gezwängt war. Rehbinder überschritt eine Brücke und wandte sich dann bald reclis durch schmale, schlecht beleuchtet? Gassen. Er geriet wieder in einen lebhaften Men schenftrom, Arbeiter, die aus Fabriken heimkehrten, bog nochmals in winklige Quartiere ab und stand endlich vor einem schmalen Hause still. Da er eben den Kopf teckte, um die selbst für seine Wrperlänge zu hock angebrachte Haus nummer zu lesen, erhielt er einen Stoß. Die Haustür war ralch von innen ge öffnet worden, ein Stind schoß heraus und lief unversehens gegen ibn an. Er hielt die Kleine fest und ftaate: Ist hier Nummer 27?" Das Mädcbcn bejahte und huschte fort. Rehbinder öffnete die wieder zu geschlagene Tür und stieg die sofort be ginnende Treppe empor, die ein Qel lampchen vom oberer! Absatz her diirf tiz enug beleuchtete. Oben blieb er stehen, studierte die Schilder an den drei 'Türen, schüttelte den stopf und machte siX oaran. weiter zu steigen. Die Treppe.,',! ihn nun ins Dachgeschoß führte. -glick, mehr einer Leiterstiege. Ein dünnes Geländer schwankte unter dem unwillkürlichen Druck seiner Hand es war hier völlig sinftee. Jetzt konnte er nicht weiter, sein Knie stieß gegen ein Brett, er tastete und fand einen Drücker, der ein wenig nachgab, aber die so gefundene Tür regte sich nicht. Rehbinder klopfte. ?r vernahm kei nen Schritt, hörte aber plötzlich eine Stimme von innen leise fragen: W.. ist da?" Er antwortete: Wohnt hier Frau Traub?" Ja." Ich möchte sie sprechend .Wer sind Sie?" Mein Name ist Rehbinder." .Wie?" Mein Name ist Rehbinder. Ich bin Prokurist bei Adolf Wcller." Ein Schlüssel drehte sich, der Riegel wurde zurückgezogen, un die Pforte ging langsam auf. Rehbinder, vom Lichtschein einer Hängelampe geblendet, die hinter einer zweiten, offenen Tür brannte, sah zunächst gar nichts. Tann klang es von unten: Bitte, treten Sie doch näher, lieber Herr." Er blickte vor sich hinab. Da stand eine kleine, fcbicfe, unsäglich kümmerliebc Gestalt in einem völlig farblosen Gc wände und sah ihn von unten herauf an. Er fragte: Finve ich bicr Frau Traub?" Die bin ich selbst. Litte, treten Sie ein." Wie mit maschinenmäßiger Selbst tätiakcit trat Rehbinder ein. Die kleine Person schloß die Ilurtür und folgte ihm, bat ihn, sich zu fetzen, und nahm an dem? tOT.de Tisch ihm aegenüber Platz. Nun, da er zu seiner leidigen Sitz kleinhcit hinab gesunken war, erschien sie ihm näher, toabrscheinlicher. Unter seinen halbgesiblossenen Lidern hervor sah er auf ihr kleine Gesiebt, das ganz von feinen Runzeln durchzogen war. Ein paar kleine, sehr hrlle, aber glänz lose Augen stauten ihn an. auf dem Haupte trug die Frau über spärlichem, alatt gestrichenem Haar ein schwarzes Häubchen. Sie hatte schiefe Schultern; so saß auch der kleine Kovf nicht ge rade, und das gab ihren Blicken etwas Hilseflehendes, Rührendes. Jetzt legte sie eine Hand über die Augen, beugte sich etwas vor und fragte mit ihrer klei neu Stimme, in der fast unmcrklich ein fremder Akzent mitklang: Hat Herr Wellet mein Manuflrip! gelesen?" Rebbinder ward verleaen. Nein. Ich selber "bab's gelten. Es, es" er suchte nach der. rechten Wort und fand das dümmste es hat mich sthr interessiert." Ein leises, feines Lächeln kam von drüben und verschönte den welken Mund der alten Frau. .Wirklich?" Wie mit leise zitternder Hoffnung ftlgte die Fraqe: Glauben Sie. daß Herr Weller es drucken wird?" Rebbinder kaute an einer Antwort. Ich claube ich boffe ich weiß nickt recht." Er murmelte etwas von anderer Ber laasrichtung. Ueberfüllun? und der gleichen. Plötzlich schämte er sich, brach jäh ab und sagt:: Wollen Sie niir nicht mal erzäblen, wie Sie zu dem Buch glommen sind; ich meine, wie Sie auf das Thcnia ge kommen sind? Das ist doch" und nun wurde cr lebhast und hob beim' Sprechen die Hände das ist ja ein ganz ungewöhnliches Buck. da steckt ja was drin! Donnerwetter!" er fuhr sich durchs Haar, daß es nach allen Seiten stand ich bin ganz warm geworden dabei, wenn ich auch nicht alles verstanden habe." Er stand auf, holte das nuskrivk aus der Tasche, legte es auf den Tisch und klopfte nachdrücklich darauf. Dann blätterte er, als wenn er allein wäre, die Gegenwart der Frau ganz vergessen hatte; er stieß mit dem Inöchcl auf die und jene Stelle und brummte dazu: Wo haben Sie das her?" Es klang beinahe brutal, und doch lag nichts Verletzendes darin, nur Be wundcrung. Und jetzt ging er um den Tisch und faßte die runzeligen Hände der Greisin und sagte leise: Das ist doch was ganz Wundervol les!" Seine Hand wurde feucht, und er zog sie jäh zurück. Er sah die rau wei nen, ein paar Tranen, armselige Trop sen. wie sie wohl ein erschöpftes Herz noch einmal in einer bewegten Stund: emporquellen läßt. Aber, aber," sagte er verleaen und trat von ihr weg. Er bückte sich unier dem Deckenbalken der Mansarde hin durch und fand an der ZNauer ein tan nenes Regal, auf dem unten ein paar Tassen und Gläser. Teller u Bestecke lagen, alles sehr verbraucht, doch sauber. Auf dem obersten Brett aber standen wohl zwei Dutzend Bücher, alle offen bar viel gelesen. Mit geübtem Auge er kannte er in dem Tammer hier an der Seite die Titel: es war der 7?aust". Schillers Gedickte. Kants .Stritt der reinen Vcinuns:", ein Werk von Her bart, eins von Rosenkranz, eins von Alexander Jung, dann wieder ein Band Schiller, Gedichte von Novalis und von Mörüe, in einem ganz stockflecki gen Eremplar Hölderlins Hyperion". Tie Wahlverwandtschasien", ' Spino zas Eihik". eine Bibel. Ro'teck .Welt, geschichte" in fünf winzigen Bändchen. Zwischen zwei Bändchen Lessing steckte ein Buch, das et nicht kannte; er zog es heraus, schlug es aus und sah sich er staunt nach der Hausfrau um. Hebräisch? Ein Gebetbuch?" Sie nickte. Er behielt den Band mit den krausen Zeichen, die et nicht ver stand, in den Händen und setzte sich wieder. Und sie. durch seine fragenden Blicke ermuntert, begann zu erzählen, mir ihrer dünnen, feinen Stimme, ci Köpfchen gesenkt, die Hände vor sich auf dem Tisch. Ich stamme au! Rußland. Mein Vater war ein orthodoxct Rabbiner in Dünaburg. ' Ich habe keinen Schul unterricht gehabt, nur im Hebräischen wnrde ich unterwiesen. Als ich vier zehn Jahre alt war. verheirateten mich meine Eltern mit einem Geireidehänd ler aus der Gemeinde. Mit fünfzehn Jahren bekam ich mein erstes itin'.', es ist gestorben; auch alle andern sind tot. Vor" sie dachte einen Augenblick nach vor fiinfundvicrzig Jabrcn zog mein Mann hierher. Eine entsetz liebe Krankheit befiel ihn, und n, zwei Jahren wat et tot. Seitdem bekomme ich eine Kleinigkeit von der Gemeinde und von ein paar Familien. Solange meine Hände noch nicht verkrümmt wa ren, fertigte ich Handarbeiten für ein Geschäft. Verwandte besaß ich nur in Rußland; ich weiß nicht, ob sie noch leben." Das alles war ruhig erzählt worden, langsam, wie jemand eine Sprache spricht, die er spät gelernt hat, gelegent lich mit Worten, die der alltäglichen Rede etwas fremd geworden sind. Nun sank Flora Traub ganz in sich zusam men. Dann richtete sie sich ein wenig auf und fuhr fort: Sie haben mir fo freundliche Worte gesagt, ich will Ihnen weiter erzählen. Meine Ehe war nicht glücklich. Denken Sie, zwei Menschen als willenlose, unbefrae Kinder zuiammengegeben. Mein Mann kannte nur sein Geschäft und den Talmud, meine Kinder starben klein. Ader der Acltefte ging noch zwei Jabrc zur Schule, da habe ich seine Bücher behalten und an denen richtig Deutsch gelernt. Und während mein Mann lernte, laut im Talmud las, habe ich in einer Ecke ,esessen und Teutsch gelesen. To ging mir ja eine Welt auf, aber mit ihm kam i, immer weiter auseinander. Und dann sein entsetzliches Sterben. Und dann star ben mir alle meine Kinde., schöne, hoff nungsvolle Kinder." Sie schwieg. Als ich ganz allein war," fuhr sie nach einer Weile fort, da ging ich ganz zu meinen Büchern. Ich war verzwei felt und verzagt. Aber ich kam wieder ins Licht. Das wissen Sie ja aus mei nem Buch. Ich möäue eL fo gerne drucken lassen. Sehen Sie. ,ch kann nickt mehr ausgehn, denn ich bin halb blind, und meist ist hier .in rauher Wind, den ich nicht mehr vertrage. Aber ich lebe mit vielen Taufenden. Wenn ich in meiner Mansarde sitze, dann ist mir's, als ob viele weinende Augen zu mir hereinsähen und Trost suchten. Ich habe ihn mir gefunden, ich möchte ihn gern weitergeben." Flora Traub schmieg, und Rehbinder schwieg auch. Nachdentli, sah er auf das Manuskript. Er schlug es sorglich zu. Der Liebe Ewigkeit" las er auf dem Titel. Wie mit liebender Hand fuhr er über die Worte. Tann stand er auf, steckte die Papiere entschlossen wieder in de Tasche und reichte der Frau die Hand, Ich will sehen, was sich tun läßt. Was ich irgend machen kann, soll ge scheben, das' verspreche ich Ismen." Warten Sie noch einen Augenblick, lieber Herr." Sie zog die Schublade des Tisches heraus und bolte aus einein vergilbten und an den Rändern bröcklich geworde nen Umschlag einen Brief mit schönen, ctAiraktcristischen Zügen. Sehen Sie. das hat mir Karl Ro fcnkranz über das Buch geschrieben." Rehbinder las. Es waren warine, ermutigende Zeilen. Aber einen Verleger hat er auch nicht cnuiDin. So ist das Manuskript von einem zum andern gewandert, noch einmal abschreiben konnte ich's nicht" sie hob die gotischen Hände und für einen Abschreiber habe ich kein Geld." Rehbinder bat, den Brief bis morgen behalten zu dürfen. Sie sah ihn aber so ängstlich und hilfeflehend an, daß er sich nur die Worte genau abschrieb und ihr dann das Dokument zurückgab. Sie barg es sorgfältig und begleitete ihn zur Tür. Da sack er unwillkürlich: Ich danke." Und dann: Sie werden bald von mir hören, hoffentlich Gutes." Er stieg -die beiden Treppen hinab und stand unten ausatmend still. Hier war es noch windstill, es lag Frost in der kühlen, nun völlig klar ge wordenen Lust. Rehbinder zog eine kurze Skaapsciie aus der Tasche, stopfte sie. setzte' den Tabak in Brand, das alles noch im Schutz: der Hauswand, und trat dann erst den Heimweg an. Er sprach ab und zu ein lautes Wort vor sich hin, grisf wieder nach dem Manu skript. wie um zu fühlen, ob es auch noch da Ware. Ei kam an der schönen katholischen Kirche vorbei; Laternen licht fiel auf das hohe Srruzifi?, das. zwischen jetzt nackten Bäumen einaeqit tert, auf dem Kirchenplotz zw, Siu feei übet der Straße stand. Auf feinen Schirm gestützt, blieb Rebbinder breitbeinig stehen, bis ein Fleisch.eigeselle das menschliche Ver kehrsbindernis nielü eben sanft mit sei ner Mulde ansti,ß. Rehbindet fühlte leinen Schmerz, merkte nur, daß er im Weg: war, und stieg langsam, wie im Traum, die Stufen chinan. ben störte ihn keiner, der nicht'gerade zur Propstei wollte. Der Mann starrte zu dem Hei land empor. Aber scin Selbstgespräch schwieg. Nur wie ein warmer Strom zog es"ibm durcks Herz, mit Tank und dein Gefühl, das uns überfällt, wenn wit ohne Vorahnung im grauen Täm Met eines Alltags eine große, reine Freude gefunden baben. Und, ein paar Worte fielen ihm ein, die in dem wunderbaren Buche standen, das er wie ein lieb-es Wesen an seiner Brust fühlte. Ewige Liebe", hatte es da geheißen, .halte du mich fest. Menschen können mich fallen lassen, und ich selbst kann mich sinken lassen bei dir ist daS Ende der Keile, die vom Himmel, von Sott in unsere Herzen fuhrt. Laß Ströme des Segens daran hernieder gleiten in jcdcö gebeugte Gemüt. Pflanzen wachsen mit Kraft von unten, ihre Wurzeln sind im Erdboden; wir wachsen mit Krast von oben, unsere Wurzeln sind bei dir von Ewigkeit zu Ewigkeit." Das hatte er gleich behalte. Und darüber kam ihm eine Fülle anderer Bilder wieder, die da! Buch enthielt, ost ausgemalt mit dem Parallelismiis, den Flora Traub offenbar aus der Psalkiundichtung ihrer Vorfahren über kommen hatte, mit jener seherischen Schaucnskraft, die sich nicht genugtun kann in der eindringlichen Tarstellung, Hinausrufung eines Gefühls, bis sie es ganz und gar ausgeströmt zu haben glaubt. Rehbinder hob die Arme empor, schüttelte den Kopf, dann sah cr noch einmal zu dem Ehristusbild auf und ging langsam weiter. Er hatte des Weges nicht acht und fand sich plötzlich auf einem schräg ab fallenden Platz, von dem ringsum schmale Gassen hinwegsiihrten. Er blieb stehen, nicht gleich imstande, sich zurechtzufinden. Nun, was tut's." sagte cr wieder laut, jedenfalls muß ich hinab." Und da er im undeuili.ben Schein einer Ecklaterne eine nach unten sich rcnde Steintrcppe gewahrte, stieg cr vorsichtig Stufe für Stufe hinunter. Er geriet in eine sckmalc. krumme Straße. Wagen rasselten durch. zu meist mit Bierfässern, andere hielten vor Brauereien, hier und da deuteten rote Laternen unsaubere Zincipcn an, aus denen Gejohle und wüster Gesang tönte. Rehbinder eilte weiter, immer noch hinab. Jetzt kannte er die Gegend wieder. .Hier lag eine große Zeitungs druckcrei, in der cr ost geschäftlich zu tun hatte. Und nun stand er schon auf atmend am Fluß. Er reckte und dehnte sich in den Schultern, dann überschritt er die Holz brücke, bog zum Domplatz ab und be trat über den Beischlag das alte Haus, in dem er wohnte. Er schloß fein Ziin mer auf, machte Licht, verwahrte zuerst das Manuskript und zog dann einen alten Hausrock an, immer die Pscise im Munde. Dabei begann er zu sin gen, und es klang seltsam, wie die Töne, von dem Mundj.ück behindert, gebrochen, ihm aus dem Munde auollen. Er bereitete sich ein einfaches Abend essen, aß und fetzte sich dann mit einem Buch zur Lampe, nachdem er die Abendzeitung kurz überflogen hatte. Aber auch der auf gut Glück heraus gegriffene Band fesselte ihn nicht. Tu sollst mich hören stärker be schwören," murmelte cr und grisf zu Raabcs Schiidderump", der ihn noch immer festgehalten hatte. Umsonst. Immer wieder gingen die Blicke zu dem Schrank, in' dem das Manuskript lag. Er nabm es heraus, las darin, zog endlich die Kitung wieder heran uno begann auf dem weißen Rand: zu rechnen. Darüber wurden ihm die Lider schwer, er entschlummerte in schwanker Haltung, fiel endlich mit dem .Kopf auf den Tisch. Durch ein in der Tiir aus gespartes Loch kam ein schlanker, schwarzer Kater herein, rieb sich au Rehbinders Knie und sprang ihm end lich auf den Schoß. Davon erwachte der Schläfer, sah einen Augenblick in die Lampe, die dem Verlöschen nahe war, entkleidete sich schnell, dreht: die Lampe auö und warf sich ins Bett Der Statrr sprang ihm zu Füßen, nistete sich in die dicke Feder decke, und nach wenig Sekunden gingen nur noch die Atemzüge der beiden durchs Zimmer, während auch draußen das Leben verebbt ivar und ,r dann und wann die'Schrittc eines Verspäte lcn oder des Nachtwächters außr dem regelmäßigen Schlagen der Tomuhr vom Leben der Stadt Kunde gaben. Rehbinder erwachte mit erfrischtem Kopf. Es war ein rechter Winterlag, alles besroren. Die Pflastersteine klnn gen ordentlich vor Frost, als cr ins klontor ging. Heute war Herr Wcller offenbar vor züglicher Stimmung, Rehbindet hatte den Ruf in das Privatburean nicht erst abgewartet, sondern war gleich nach des Chefs Erscheinen mit der Post und sonstigcn Eingängen eingetreten. Alles wickelte sieh in gewohnter Weise rasch ab, Sie hatten die Arbeit für den Vormittag durchgesprochen, Rebbinder aber zögerte noch, rückte auf seinem Stuhle hin und her. Weller wurde aufmerksam. Na. was haben Sie noch?" Herr Wcller (bei diesen Worten kaen das gestern zurückgewiesene Manuskript wieder zum Vorschein), wir sprachen ge stern über ein Buch von einer hiesigen Dame." Weller wußte nicht gleich Bescheid. Dame? Keine Ahnung." Ich meine das philosophische Man' skript. das ich Ihnen zuletzt vorgelegt habe." Ach so. Das mit der Lieb und der Ewigkeit. Ja, das haben wir doch ab gelehnt." Ich habe cj inzwischen ganz gelesen. Es ist ein ungewöhnliches Buch." Lieber Rehbinder." sagte Weller. Hari bat es abgelehnt. Der hat einen guten Riecher. Ich hab noch nie Glück g'habt, wenn ich was brachte, was der zuiickgewiesen hatte." Ja. abet ich glaube, Sie tun ein gutes Werk, wenn Sie cS verleaen. Tie Verfasserin lebt hier, ich habe sie kennen gelernt." Sie kennen sie?" Weller wurde fthk vergnüg. Er schlug Rehbinder aufs Knie uns schrie: lli ihc a;rirnan!" Dabei lachte er anzüglich. Rehbinder sah ihn groß und ernst an. Unwillkürlich schlug Mller die Augen nieder. "Dann sagte der Prokurist: .Herr Wellcr, hier habe ich ein Urteil von Karl Rosenkranz übet das Buch. Ich habe daZ Manuskript eben überkal kulieri: die Kosten werden für fünfzehn hundert Exemplare in einfacher, guter Ausstattung etwa neunhundert Mark scin. Wei einem Ladenpreise von einet Mark und fünfzig haben wit sie mit etwa neunhundert Exemplaren wieder herein. Sollten aber die Kosten binnen einem Jahr nicht gedeckt scin, so komme ich siir den Schaden auf. Hier ist eine Polire.' Er griff in die Tascke. Unter seinem ganz sachlichen Bortrag war Wellcr ru big und ernst geworden, nun packte er Rchbinders Hand und sagte: Re, lassen Sie stecken. Ich lasse mir nicht von meinem Prokuristen Garantie geben. Entweder oder Rehbinder" cr lachte schon miedet die blaue Blume! Also geben Sie das Ding mal her mit dem Brief von Rosenkranz. Sorgen Sie dasür, daß mich keiner stört. Um elf sage ich Ihnen Bescheid." Rehbindet ging leise hinaus. Er ar bcitrte mit einem gespannten Lächeln um die Mundwinkel, lauschte ab und zu nach der Berbindungslür, bis diese gegen elf Uhr aufgerissen wurde. Rehbinder, kommen Sie mal rein!" Er stand schon drin und zog die Tür hinter sich zu. Wcller setzte sich nicht erst wieder. Die Brille saß ihm auf der Stirn, vor ihm lag das Manuskript. Er pustete ein paarmal, dann sagte er: Hm! Hm! Na. Ob's mcinct Frau gefallen wird (Rehbinder Lachte: Pcnc lopc, Pcnclopc!), weiß ich nicht. Aber egal! Ich hab' nicket alles verstanden. Aber wcnn man auch ein alter Esel ist, so viel merkt man doch: es ist was drin. Und dann drucken Sie 's also in" er verschluckte das übrige trenn Sie fo 'n Esel sind ich hab' mich eben selbst so gcnannt, Sie dürfen mir's also nicht übelnehmen , sich Ihre Tantieme zu schmälern, ich hab' nichts mehr dagegen. Aber nun bitte, hopp! daß es hier wenig sieiis noch zu Weihnachten zurechtkommt. Für draußen ist es ohnehin zu spät. Ho norar aber erst nach Verkauf von tausend Exemplaren. Das Risiko ist mir doch zu groß." Rehbinder Ivar schon hinaus. Er ging selbst zur Druckerei, schrieb an Frau Flora Traub. der er die Annahme be stätigte. Auf den Umschlag setzte cr Durch Boten" und steckte das Schrift stück, als cs kopiert war, ein. Wieder stand er am Abend vor Flora Traub. Ganz kurz sagte er: Angenommen." Sie sank, keines Wortes mächtig, in den alten Sessel am Tisch. Tie Hände, die kleinen, verkrümmten Finger hielt sie vor's Gesicht. Und als sie herabzog, lag vor's Gesicht. Und als sie sie herabzog, lag auf den trüben Augen ein heller Glanz. Rehbinder schob ihr den Bricf hin, reichte ihr die Brille, sie las und fand dann cingefaltct einen Hundertmark schein. Das erst? Honorar", erläuterte er. Sie aber schob das Geld ocktlos bei seile und las immer wieder das ersehnte Schreiben. Fast allabendlich in der nächsten Woche erschien nun Rehbinder in der kleinen Mansarde auf dem Cackbeim und half lora die Korrekturen lesen. Er be wunderte die Sicherheit, mit der sie noch hier und da ein Wort änderte, den Sinn eines Satzes durch eine kleine Wandlung klarer herauszubringen wußte. Und end lich kam cr mit dem Paket, in dem ihre zehn Freiexemplare lagen. Immer wie der fuhren ihre Hände über den schmalen Rand der Bände. Da bat cr sie: Schenken Sie mir eins," Wortlos reichte sie ihm eins hinüber. Er bat: Schreiben Sie Ihren Namcn hinein." Sie setzte die Brille auf, schrieb und reichte ihm das Buch. Er las: Erlösung ist verheißen denen, die eines guten Willens sind. Menschen, seid gut!"' Das Fest war vorüber, das neue Jahr war da Floras Buch hatte zuerst kein Aufsehen erregt, aber es war langsam in manche Hand getommen. an manches Herz gedrungen. Niemand fast wusste, daß die Bersasserin in der Stadt selbst lebte. Tann war eine Debatte in einer der Zeitungen entstanden, Sätze des Werkes wurden aufgcgrisscn, von den einen re spiktvoll bekämpft, von den andern be geistert gepriesen. Wcller wurde auf das Buch angesprochen, es ging" Plötzlich, und Rehbinder hörte ein knurriges Lob, Sehen Sie mal an, Früchte von der blauen Blume! Na, geben Sie die zweiie Auflage in Druck." In einem Kreise stiller Menschen, dem Rehbinder zugehörte, bildete .Der Liebe Ewigkeit" seit Wochen fast den einzigen Gesprächsstoff der allwöchentlichen Zu fammenlünste. Jeder fühlte sich tief da von berührt. Immer wieder wurde über das Werk mit Liebe gesprochen. Endlich mußte Rehbinder mit seiner Kenntnis herau-koinmcn. Was cr berichtete, schien unwahrscheinlich, seltsam. Der Wunsch entstand, Flora Traub kennen zu lernen. Rehbinder wehrte sich. Er wußte, daß hier keine Neugier sprach, fondern die Teilnahme schlichtet Herzen, die danken unv hören wollten. Trotzdem hatte er arr Bedenken, die jedes Umgangs Ent wöhnte in den Kreis einzuführen. Wider sein Erwarten zeigte sie sich rasch bereit, als er bei einem seiner hau figen Abendbesuche eine Andeutung machte. Menschen, die mich sehen wollen, von denen ich lernen kann, will ich auch sehen, hören." ' Acht Tage darauf holte Rehbinder Flora ab. "Sorglich leitete er sie über die Treppen. Unten stand eine Droschke. Flora atmete die scharfe Winterluft ein, hustete einmal auf, bat dann aber mit viel freierer Stimme: Können wir nicht lieber gehen? Ich bin seit so vielen Jahren nicht draußen gewesen,." "Es war windstill. So gingen sie. Wie eine Mutter ward die Greisin von Rehbindet betreut. Nach einer Viertelstunde hatten sie das Haus erreicht, in dem seine Freunde ivartetcn. Ein schlichter Saal, voll ge drängt mit Menschen, deren leise? Ge sprach verstummte, als Rehbinder Flora zii ihrem Platz führte. Der Leiter der Versammlung kam zu ihr, sie zu begrii ßen; ernte folgten. Sie mühte sich), eines jeden Zuge zu erkennen, sagte je dem ein Wort aus beglückter Seele. Dann trat der Leiter an ein Pulk. Liebe Freunde!" sagte er.. .DaS Buch .Der Liebe Ewigkeit" beschäftigt uns nun seit Monaten. Wir alle arbei. tcii an uns, wir alle suchen nach dein, einen, was not tut. In diesem Buch Ipben wir einen starken Helfer gesunden. Es hat uns viel Neues. Schönes, diel Altes schöner gezeigt. Es hat uns warm gemacht; es hat uns besser gemacht. Heute ist die Verfasserin bei uns, wir wollen ihr danken. Wir dürfen ihr tuU leicht sagen: Du bist die unsere, oder noch besser: Wir möchten die dcinca sein." Der Redner hielt, sehr bewegt, inne. Flora stand auf. Zuerst sah man kaum, daß die kleine Gestatt auf den Füßen stand. Tann war eine atemlose Stille, und in diese hinein sprach sie: Liebe Freunde! Ich war immer allein, seit mein letztes Kind starb, aber nie einsam. Viele Herzen fühlte ich mit dem meinen schlagen. Jetzt sehe ich, daß ich mich nicht getäuscht habe. Was rniä alle zusammenhält, das habe ich nie deut licher und heiliger gefühlt als hier." : Bis dahin hatte sie ohne Stocken gc fprochen. Vieler Augen waren voll Trä neu, wie die Greisin so stand, in ihrem schlichten Gewand, und mit ihren halb blinden Augen emporsah. Nun sagte si stockend: Ich dank' euch ollen. Der Lieb Ewigkeit " Da sank sie um. Rebbinder fing sie auf. Noch war eine heilige Slmnmheit rinasuml)cr. Tann löste sich die Starre, die Näckssten traten heran, alle wußten, was geschehen war. Still zog alles an der Entrückten vorükr, keiner sprach mehr ein Wort, indem er den Saal der ließ, wo Rebbinder und der Sprecher einer Vollendeten die letzte Wacht hielten, Ciit sensationeller Arauttnsro. Im Jabre 1000 hielt sich an der Uni versität Erfurt, die bekanntlich in den damaligen Zeiten im Inland: wie Aus lande einen sehr angeschenen Ruf genoß, ein aus Ungarn gebürtiger reicher Ka valier namens Johann o. Laubet stu dienhalber auf. Da er großen Auswand trieb und vielseitig gebildet war, gelang es ihm bald, in die ersten Pa!rizicrfal mitten der Stadt eingeführt zu werden. So verkehrte cr auch häufig bei dem Junker Rupcrt Wecgmann, dessen an mutige Tockter Angelika sein leicht ent zündliches Herz bald in lichlc Flammen setzte. Kurz entschlossen hielt der Stu diosus um die Hand der holden Mais an, die ihrerseits die Neigung voll er wiserte. Anders dachten aber darüber die Eltern, denen die Jugend und der leichte Sinn des Bewerbers mannigfache Bedenken einslößien. Da die Hindernisse, die sich der Verbindung der jungen Leute entgegenstellten, unüberwindlich erschie nen, kamen beide überein, nach der Stadt Wcißcnsee in Thüringen, wo Verwandt l es Herrn v. Lauber wohnten, zu ent j fliehen. Als daher am 24. September Mutter uns Tochter der Frühmesse im ' "Vfc Tome beigewohnt hatten und beide die 1 große steinerne Freitreppe herabstiegen, kam ihnen plötzlich der stürmische Lieb '. , ' heibcr entgegen, riß die Tochter von der Seite der erschreckten Mutter weg und eilte mit ihr dem Johannisior zu. Allein zum, Unglück für die Kidcn Lwbcndcn waren wegen der Friibpredigt die Flügel noch verschlösse,!, und sie sahen sich daher genötigt, einstweilen auf dem Fcstunas wall zu warten. Welch ein Schrecken, als mitten in die Zukunsispläne dir zwischen Furcht und Hoffnung schwa!!keneen Herzen Plötzlich ein Trupp von Stadtknechten unter der Führung ihres Hauptmannes'platzte, der die Durchbreinier verhaften wollte! Der ergreift jähe Verzweiflung den Unglück liehen Kavalier, er zieht in einem An falle von Wahnsinn den Degen und ver setzt dem sich ängstlich an ihn anklam- mernskn ziasajen zevei l,a in oie . Brust, so daß sie entseelt zu Boden sinkt, währen cr in den Ruf ausbricht: " .Sollst du mir versagt bleiben, darfst du auch keinem andern angehören!" Trotz seines Widerstandes wurde der Ra sende endlich von den Stadtknechten gc fesselt nach vem Rathaus geschleppt. Hier saß er ein volles Jahr in strengster Haft, bis das Urteil gesprochen wurde; es lau tete nur auf finf Jahre Festung, die in Raab in Ungarn verbüßt werden soll ten, und auf eine Geldbuße von zweitau send Talern, eine für die damalige Zeit allerdings hohe Summe. D?r adelige Ungar hatte sich demnach jedenfalls mäch, tiger Fürsprecher zu erfreuen. DaS er mordete Mädchen wurde ; mit großer Feierlichkeit im Erfurter Dome beige fetzt. Tie unglücklichen Eltern schenkten das aus rotem Atlas gefertigte, do,i ihrer Tochter am Tage der Ermordung getragene Kleid der Seirche zu einet AI , tarbekleidung, nachdem sie in den Stoff j zur Erinnerung an das unselige Ereig 4 nis an der Stelle, wo der Degen hin V. durchgedrungen war, ein goldenes Herz X hatten hineinsticken lassen. ( Ein unersiillter Wunsch. Tie fitU tiker waren bei den Schriftstellern schon in früheren Zeiten ebenso gefürchtet wie heutzutage. Am 10. Juli 1083 war in Paris der berühmte französische Ge schichlschreibcr Fran?oiH Edes de Mc zeray gestorben. Bei der Ordnung sei nes Nachlasses fand man ein Goldstück, das sehr sorgfältig in Papier gewickelt war. Auf dem Papier stand von Me zerays Hand geschrieben: TieseS Gold stück hab, ich seit meinein dreißigsten Jahre aufbewahrt, um dasür ein Fen ster auf dem Gröveplatz zu mieten, wenn einmal ein Rezensent gehängt wird.' Die Vernunft ist das höchste Gesetz der Philosophie. Wahr ist ihr, was sie durch Vernunft- und Erfahrungsgründe wa5 auf einS hinausläuft bewäh nn kann. Nicht dak Hellige ist wahr, fondern das Wahre ist heilig. J