MMe Omsha TrMse Kchlhnt. Eine Novcllette von Nina klekiner. Der Wrand der Kesjeljchmiede. Erzählung von r!iz Sänger. (Juic Stunde verhältn!smäb!ger Ruh?, die erste seit Beginn des FcldzugcS, war für den Obersten und Komm?ndanten . deö 20. Hlisarcincqiments gekommen. Die letzten Vcfchle waren erteilt, die Ordern flauen entlassen, und der Oberst war aU lein in der Bauernstube, die ihm für diese Nacht als Quartier diente. Er öffnete die kleinen Fenster, vor de neu ganz verdorrt die Blunlenstöcke noch standen, die in Friedenszcitcn so iippig geblüht hatten und für die nun längst keine sorgende Hand sich mehr fand. Frisch strömte die Nachtlust in den dum Pfcn Raum und ließ die Brust des Jstan ncS in tiefen, durstenden Aiemziigcn sich heben. Die Flamme der auf den Tisch zwischen den Fenstern stehenden Kerze flackerte im plötzlich entstandenen Luft zufli unruhig zusammen und verlöschte. In der Dunkelheit, die nun in dem Zimmer krrschte und in die nur die bei den Fsnsterösfnmigen'als etwas hellere Vierecke eingezeichnet waren, begann der Oberst unruhig auf und ab zu gehen. Immer rascher wurde sein Schritt, im mer erregter sein Atcm, bis er sich auf . stöhnend auf das primitive Lager warf, , das an der rückwärtigen Wand des Zim merz aufgeschlagen war. Da saß er dann, vornüber gebeugt, den Kopf gesenkt und in die Hände vcrgra ben. Die Stunde dcr Ruhe,, nach dcr er gelechzt, wurde ihm zur ärgeren Qual als die Tage des Kampfes es gewesen. . Während der nötigen Anspannung aller Kräfte, wahrend dcr nnausgefctzten kor perlichen Strapazen, war dcr eine Ge danke in den Hintergrund gedrängt wor den, dcr nun wieder kam und riesengroß auferstand, wie er seit Jahren als fcro vender Schalten sich reckte und seinen Le benswcg verdunkelte. Bor dcr Zeit war sein Haar grau ge worden, scharfe Linien hatten sich in scin Gesicht gcgriben und fein Herz war er starrt vor Gram über die Schmach, die fein Sohn Über ihn gebracht. Er hatte nach dessen unseliger Tat den Abschied nehmen wollen. Als Batcr eines, dcr die , Reihen seiner Kameraden widerrechtlich verlassen, ttt aus der Armee ausgcstoßen wurde und dem fein Valcrland vcrschlos f:n blieb, fühlte er sich nicht länger wilr big, feines Kaisers Rock zu tragen. Aber löheren Orkcs wußte man ihm Gcrcchiig Zeit widerfahren zu lassen und der Vater dürfte nicht entgelten, was alleinige Schuld des Sohnes war. Mit fanati schern Eifer hatte er sich dann seinem , Dienst hingegeben, als könne er durch verdoppelte Pflichttreue gut machen, was fein Sohn voll aufbrausendem Trotz in jugendlichcm Leichtsinn verbrochen hatte. Stete vollste Anerkennung seiner Lei ftunqen, ein rasches Avancement und mancherlei Ordcnsauszeichnungen waren dcr Lohn seiner Bemühungen. Wer nie empfand er Befriedigung darüber, nie konnte er das Eine bergef i fl'N, das ihm jeden Erfolg vergällte und jede Ehrung als nicht voll verdient l erscheinen ließ. Je höher er stieg, desto ' demütigender war ihm dcr Gedanke an die Schuld, die Blut von seinem Blut , auf sich geladen hatte und die ach sei riem Gcfuhl iniaesiihnt geblieben war. Wie eine Erlösung aus u erträglichem Truck dünkte ihn der Ausbruch des Kric ges. Was in den Friedensjahren im möglich war, jetzt war es in das Bereich ivs Möglichen gerückt: dem Svhn war Kitlegenheit gegeben, gut zu machen, was er vcrbrochcn hatte. Die Heimat rief ihre Söhne, auch die verlorenen, zur Verteidigung auf. Und das gekränkte Vaterherz rief mit, 'voll letzter, banger Hoffnung. Wenn dcr Sohn dem Ruft folgte und für daS Vaterland zu streiten Zam, so sühnte er Vergangenes und machte sich der Berzeihung würdig, Die Tage der Mobilisierung dergin gen, keine Nachricht traf von ihm ein. Den Weg zum Vatcr zurück, der ihm jetzt offen gcsiandcn Ware, hatte der Sohn nicht gesucht. Ob er den Weg zur Ar mtt, den Weg, der die Ehre ihm wieder gcben konnte, gesucht und qcfundcn hatte? Der Oberst, wußte es nicht und wagte nicht wrhr, daran zu glauben. Die ganze Bitterkeit dcr Enttäuschung, welche das Ausblcibcn dcs Sohnes ihm verursacht ljatlc, ragte nun übermächtig wüder empor und die aufgewühlten Schmerzgcdanicn ließen den ermatteten Körper die Ruhe nicht finden, der er nach den 'aufrege ndcn Nampfcstagen bedurft hätte. Wie Ausgelöscht war jedes Gefühl des" Stolzes, das seine Brust bei dem tapfe rcn Vorwärtssiürmcn feines Regiments erfüllt hatte, wie weggeweht die Genug tuung über das Gelingen des Vorstoßes, die vor wenigen Stunden ihn das Haupt hoch erheben und ihm die Augen leuchten gemacht. Vergessen war alles selbst e leistet wie nach jedem seiner dienstlichen Erfolge und einzig lebendig wieder nur , der Gedanke an den Sohn, den er zum zweitenmal und nun ganz verloren geben muste. Die Nacht schritt vor. er blieb in sein duwpfcS rubeln versunken. Von brau ß?n klangen die Sci.ritte der Wachtposten und das' Stampfen und Schnauben der Pferde hinein. - Am Himmcl standen die blitzenden St'rne. cchich srcuMich auf die grausi (in Schlachtfelder herniederlächelnd wie :rl ou? die im Frieden schlummernde Erde. Wie ein dunkler, mit Silber reich b:ksck!e: Vorhang war h:x Nackthimmel Lllögchreitct und dcr silbrige Schimmer drong durch die klrracn Fenster in die Stube hinein nd zwang die müden Aucn des ruhelofcn GrüblerS-auZ sich. Unbewußt wohltuend berührt blieb sein Blick auf dcr samtenen Fläche ruhen und der tiefe Frieden, den der bestirnte Hirn nul stets atmet und der sich dem bedrück Un Menfchengemüt so manchesmal noch mitzutcil'N vermag, wenn es sonst kä r''N Trost m.chr zugänglich ist, tat auch k lier feine Wirkung. Die quälenden Ge Unken verebbte nach und nach und m Gefühl des Losgelöstseins von der Schwere seines Zlummers überkam den Oberst. Die Starrheit seiner Haltuisg licfz nach und das lang unterdrückte RuhcbcdürsniS machte sich geltend. Er streckte sich auf dem Lager aus. den Blick unverwandt nach dem Fenster gerichtet, bis die Lider sich schlössen und dcr Schlaf ihn übermannte. Doch nicht lange blieb er der Wirklich, seit entrückt. Bon fernher klang Pscrdegctrappel, das sich rasch näherte. Dadurch schon halb geweckt, brachte dcr sckMrfe Ruf des Postens den Oberst ganz zum Bewußt sein. Er schreckte empor, sprang auf und eilte zum Fenster. Eben sah er, wie dcr Reiter vom Pferd glitt, taumelte und an die vom eiligen Lauf noch zitternden Flanken des Tieres sich lehnte. Mit raschen Schritten verließ der Oberst das Haus und trat auf die Gruppe zu. Stramm nahm der Posten Aufstel lung. Der Reiter bemühte sich vergeblich, die vorschriftsmäfjige Haltung zu geminnen. Er versuchte sich aiifaiirichlen, taumelte aber wieder an den Leib des Pferdes zu rück. Die Hand auf die Brust gepreßt, stieß er mühsam iit knappen Worten die inhaltsschwere Meldung hervor, die zu überbringen er mit Todesgefahr über nommcn hatte und sank dann lautlos zu Boden. Bei dem Klang der Stimme des Sol daten war der Oberst zurückgeprallt und bemühte sich starren Blickes die Dunkcl heit zu durchdringcn, um die Züge dcs Mcldendcn ausnchmcn zu können. Als er umsank, war es einen Moment, nls wolle der Obcrst zu dem Gestürzten sich hinabncigcn. Doch im nächsten Au genblick stand er wieder aufrecht, und al les Persönliche trat zurück hinter dcr Pflicht, aus der eben gehörten Meldung die nötigen -Schlüsse zu ziehen. Mit un bewegt Stimme gab er dem Posten Be fchl zum Alarm zwecks sofortigen Auf bruches. Und unbewegt erteilte er den herbeieilenden Offizieren seine Weisungen und winkte einigen Soldatcn, sich des Bewußtlosen anzunehmen. Dann eilte er in das Haus zunick, um nach wenigen Augenblicken marschbereit wicdcr zu kommen. Inmitten des aufgeregten Hin und Her. das die bis jetzt so stille Dorsgasse durchwirbelte, trat er zu dem Zusammen gcbrochcncn heran. Die Soldaten hatten ihn aus dem Getümmel getragen und seitwärts, wo der Weg zur Kirche empor führte, an die Nasenböschung gebettet. Dcr Oberst hieß sie mit stummer Hand bewegung sich nun zu entfernen. Allein geblieben, kniete er neben dem gungtzloscn Körper nieder und hob mit unsicherer Hand die kleine Laterne. Der blasse, ungewisse Schein zuckte über ein junges Gesicht, bei dessen Anblick das Herz des Obersten nbcbte. Dcr Stimmcnklang hatte ihn nicht ge täuscht es war fein Sohn, der da dor ihm lag. Aber erstarrt in eisiger Ruhe, vom Tode überschattet waren feine Züge. Die Laterne hastig wegstellend. riß der Oberst den Wafftnrock des Sohms auf. Das blutgctränkle Hemd wies die Stelle, wo die feindliche Kugel eingedrungen war. Er preßte das Ohr an die entblößte Brust. Kein Atemzug hob sie, nicht ein leise stcs Zittern dcs Herzens war zu vcrspu rcn. Er nahm die Hände die LcbcnS wärme war aus ihnen gewichen. Und so, die Hände des Sohnes in sei nen haltend, den Blick unverwandt auf das blasse Gesicht gerichtet, verharrte der Obcrst kniend. Nicht Schmerz war es, was 'hn an der Leiche seines SohncS bewegte, vielmehr eine wehmütige Freude, wie man. sie em pfindet, wenn man verloren Geglaubtes ob auch zu spät, doch noch wieder findet. Es waren rauhe, orbeitSgewohnte Hände, die er hielt, und die Uniform des Gefallenen war die eines gemeinen Eol daten. Mit Genugtuung sah es dcr Oberst. Sein Sohn War gekommen und hatte sich dem Vaterland zur Verfügung ge stellt, mutig alle Konsequenzen seines Jugendstreiches auf sich nehmend. Im Mannschaftsdicnft hatte er sich abmühen müssen, unterstehend manch einem von jenen, mit denen früher innige Kamerad schaft ihn verbunden hatte. Viel Selbst zucht und ein eiserner Wille zur Erfül lung der freiwillig übernommenen Pflicht hatt: dazu gehört. 5iicht leicht war e ihm gemacht worden, seine Eclrnld zu büßen. Aber er hatte sie gebüst, voll und ganz, durch seine letzte Tat. Mit dem Einsatz feines Lebens hatte er die Mcl dung llberbracht. von deren rechtzeitigem Eintreffen so vieles abhing. Bis zum letzten Atemzuge hatte er dem Vaterland gedient. Dem Vatcrlande, daS auch ihn wieder rief von dcr Leiche des Sohnes hinweg. Das Getümmel im Torf und in des sen Umgebung war immer lebhafter ge worden und drängte den Oberst aus sei ncr Verfunkeicheit. Er blickte um sich. Seine Leute waren bereit und harrten ihres Führers. Es war Zeit, den letzten Abschied zu nehmen, kurz, wie es Eoldatenart und wie es der Augenblick gebieterisch for derte. Ein letztes, stummes Gebet, ein inniger Tank zu Gott trotz allcdem. Denn ge tilgt war der Makel, der den Sohn von ihm getrennt, gesühnt fein Vergehen und rein durste sein Bild in der Erinnerung leben. Das grüne Reis, das seinen Tschako zierte, nahm der Oberst und legte kS dem Toten in die gefaltelen Hände. Noch ein letzter Blick in doS stille Ge sicht - dann riß er sich los. Nach außen hin mußte sein persönliche Empfinde Auf zwei Eisenträgern, die vor der großen, geräumigen Halle lagen, faßen sich die sechs Männer gegenüber. Es war ein sehr schwüler Tag, und aus dem Tore der Halle, in dcr sie gearbeitet hat ten, wälzte sich langsam und schwer ein grauer Dunst heraus, der an der Bor derwand des Gebäudes hochstieg und in der flimmernden Luft zcrran. Es war Vcspcrpause und so ruhig, wie es, eben in einem großen Fabcikhose sein kann; die Männer trankcn einander zu, aber das war nicht das Zutrinken fröhlicher Ge seilen. Einer sagte ein Scherzwort man kann es nicht wiederholen und alle lachten. Man hört es sonst kaum, dieses Lachen; es war nicht das Lachen dcr Freude. Die Kcsschchmiede, von denen hier die Rede ist, die hatten ihre eigene Sprache. Die harte Arbeit macht harte Hände, straffe Arme und schroffe Ge, danken. Harte Arbeit muß getan sein; so nahm es den Kesselschmieden niemand schief, daß sie sich und anderen Worte und Redensarten als Kosenamen zukie sen, die sonst als unflätige Kosenamen und schwere Veleidgungen gelten. Die sechs Männer trugen im Hochsommer, an solchen Tagen, wie heute einer war, nur Hose und niedrige Schuhe, und wenn man sie sah, hatte man das Gc fühl, einer elementaren, urgesundcn Kraft gegenüberzustehen. Hören durfte man sie, nicht. Bei der Arbeit machten sie einen Lärm, daß einem normalen Menschen bald alle Sinne schwankten; in den Pausen war das, was das Ohr an ihnen hatte, beinahe noch weniger genießbar; darum verdachte es auch dem kleinen Kalk niemand, daß er sich ab seits setzte, obwohl er zu den Kessel schmieden gehörte. Er war zart und fein gebaut, aber das sah man nicht so; denn bei der Arbeit, die ihm zugewiesen war, wurde er im mer so schwarz im Gesicht, und seine Kleider Karen so verraucht, daß man nur noch zwci helle Punkte an ihm be merken konnte, und- das war das Weiße in feinen Augen, ie immer so seltsam verloren in diese Welt der Arbeit und Härte hineinsahen, daß man meinte, er hätte sich irgendwie verirrt. Er saß immer, gerade wie heute, in einiger Entfernung 'und hörte auf das, was feine Arbeitsgenossen als Untcrhal tung zueinander sagten. Gewöhnlich waren sie sehr laut. An diesem Tage lag die Julihitze wie eine Last auf ibnen, und daß sie so still waren, das heißt, daß sie nicht schrieen, das war etwas Unheimliches für den kleinen Kalk. Die Kesselschmiede hatten auch eine ganz ungewöhnlich! Unterhaltung heute. Warum muß dcr . . . uns gerade in eine der bude hineinstecken!" meinte der Lotzel, d:r der Größte und Derbste war von de scchsen, und daran fcfifoj er einen Fluch, der auch nicht besser klang als feine Beschwörung. In Kassel habe ich in einer Kessel schmiede gearbeitet," sagte der Wenzer, da war es im höchsten Sommer nie so heiß, die war aus Eisen und Beton und gut gelüstet." Ich hab's dem Alten auch schon ge sagt," ergänzte der Gool, aber solang diese . . . bude nicht wegbrennt, so leyig können wir uns hier schinden. Wenn einer von uns kaput geht, so wird ein fach ein anderer eingestellt." Was sagst dii, wegbrennt!" rief der Lotzel und riß seine großen Augen, in denen das Weiße gelb war, weiter auf. Wegbrennt!" sagte er leiser und sah eincn nach dem anderen an. Und alle verstanden mit einem Male, daß außer der Julihitze noch etwas anderes in der Luft lag, was das Blut stocken machen konnte. Eben ging dcr Heizer über den Hof. Der Lotzel rief ihm, gab ihm ein Stück Geld und hieß ihn ein'c neue Fuhre Bier holen, drüben in der Brauerei. Bald nachher stanken die Kessel schmiede ihre doppelte Lage. Das war nicht so selten der Fall, aber sie mach ten sonst dabei immer auch den doppelten Lärm. Heute taten sie es nicht. Dabei war doch eigentlich Anlaß genug da, denn dcr Lotzel, der sonst gar nicht zu den Freigebigen gehörte,, hatte nach der zweiten noch eine dritte Lage gespendet. Nachdem diese angefahren war, er tönte die Dampfpseife, die ade in der ganzen Fabrikanlage, zu der die Kessel schmiede gehörte, zur Arbeit rief. Es war das Sonderrecht der Kesselschmiede, daß sie so langsam wie nur irgend ög lich sich von ihrem Eiscnsttz erhoben. Aber merkwürdig, auch von diesem Rechte machten sie heute keinen Gebrauch. Sie gingen sogleich, nachdem daS Signal verklungen,, in die große, weite Halle zurück und griffen nach ihren Werkzeugen. Aber sie schimpften nicht, bevor sie anfingen, und gerade heute war doch Grund genug dazu. Der stau bige schwarze Boden strahlte eine glühende Luft aus, die war dick, wie sie nur in einer schlechtgelüftcten Arbcits halle fein kann. In dem schweren, un beholfenea Holzfachivcrk, welches das Dach trug, zogen mühsam Rauchschiva den hin und her, als wollten sie einan der bedrängen, und stießen sich einander. Sie fanden in die fernsten Winkel des geräumigen Baues und machten aus dem Dachwerk ein schmarzgraues Ncbelmecr; nur die Ausgänge im Dache, durch die abgetan sein, einzig die Pflicht trat wie dcr in ihr Recht. Sein klarer, ruhiger Kommandoton durchklang die Nacht. Mit kühl erwägen dem Kopf und eiserner Hand führte er scin Regiment zu erneutem Kampfe. Und nur im innersten Herzen bebte das Erlebnis dcr letzten Stunde, dies für immer Verlieren und doch Wiederbesitze des geliebten Sohnes, in halb schmerz', chcn, halb freudezitternden Schlägen naH. sie eigentlich in daZ Freie gelangen sollten', die fanden sie merkwürdigerweise nicht. Kein Billigdenkender, der hier herein gcschcn hätte, würde den Kesselschmieden beftritten haben, daß sie ei hartes Los hatten, an solchen Tagen ganz besonders hart. Darum genossen sie auch einige Vorrechte, die zwar nicht verbucht waren, aber dennoch nicht weniger scst standen. So hatten sie das Recht, gcgen die Werk stattordnung, die sonst in der ganzen weitläufigen Anlage von Baulichkeiten galt, auch außer der Vesperzeit sich Bier holen zu lassen. Davon machten sie jetzt Gebrauch. Wicdcr zahlte der Lotzel, und er schickte den kleinen Kalk mit einem Hen Zclkorb in die Brauerei hinüber. Kaum daß er draußen war, ging We kel in die anstoßende Schmiede, wo ge rade heute niemand war. weil die Schmicde sonstwo zu tun hatten; dort holte der Wckcl eine Pctrolcumlanne. Währenddem sammelte dcr Lotzel einige Bäusche von Putzbanmwolle, wie sie über all in der Kesselschmiede herumlagen. Sowie dcr Wckcl das Petroleum brachte, nahm ihm der Lotzel die Kanne ab und benoß damit die Bäusche. Eben ging die Tür auf; der kleine Kalk war's. Er trug seine Bierflaschen in der Hand und hatte nichts bemerkt. Er stellte die Bierflaschen hin, und dann kroch er in die enge Röhre aus gc walztem Eisenblech, denn da drinnen hatte er eine Winde gegen die Nieten zu setzen, die ihm die anderen funkcnsprü hend hereingaben. Der kleine Kalk konnte in dcr Kessel schmiede gerade deswegen gebraucht wcr den, weil er so klein war; sonst waren da nur Männer mit starken Armen und Stahldrähten statt Nerven verwendbar, aber zum Anhalten der Nieten in den sogcnanntcn Vorwärmcrn mußte man sich dieses schmächtigen Jungen bedienen. Er tat es um den Lohn, den seine Mutter und Gcschwister so sehr gut brauchen konnten, und er nahm alles, was sonst damit zusammenhing, als ein Martyrium, dem nicht zu entgehen war. Jetzt wartete er auf die Nieten; daß ihm lange keine hincingegcben wurden, daS war einfach damit erklärlich, daß sie ja wieder Bier hatten, die Kesselschmiede. Auf einmal kam das Gehämmer; drei hatten sich auf einen Lokomobilkcssel gc setzt und fingen an, die Nähte und Nie ten zu verstemmcn". Gleich darauf hörte der kleine Kalk, wie der Gool die Feld schmiede in Tätigkeit fetzte. Dcr Gool hatte dort die großen, fingerlangen Nie ten zu wärmen und dann dem Kalk in den Vorwärmer hineinzureichen. Die drei, die an dem Borwärmer zu tun hat ten, hieben mit ihren schweren Hämmern die glühende Niete herunter. Einer setzte den Abplatthammer auf, wodurch die Niete einen formgcrechten Kopf bekam, und nach kaum einer Minute war diese Niete erledigt. Auf dem Lokomobilkessel setzte die anderen ihre lärmende Arbeit fort, und der kleine Kalk wnrjcte auf eine neue Niete. Es ging Minuten, sie Zam nicht. So etwas war nicht selten, leicht gab es unter den Kesselschmieden kleine Mei nnngserschicdenheiten, die sich immer erst in zünftigen Auseinandersetzungen aus leben mußten; aber das war dann im mer so laut, daß man auch im VorwLr mer drinnen noch genug davon zu hö ren bekam. Diesmal war es ganz still, und es blieb still. Die Niete kam nicht, nd jctzt hörten sogar die anderen, die auf dem Lokomobilkessel saßen, mit ih rem Gehämmer auf, und niemand sagte ein Wort. Diese Ruhe hatte für den kleinen Kalk etwas Unheimliches. Lang sam und vorsichtig kroch er in seiner Eisenröhre nach vorn und steckte ncugie rig den 5eopf hinaus. Er sah, wie zwci von dcn Kesselschmieden aus drtn Fach werk der Halle hcrabklettcrten, und wie alle anderen nur a,if diese zioci aufpaß ten. Er wußte nichts, er wußte gar nichts, vbcr er hatte augenblicklich das Gefühl, daß hier etwas geschah, oder geschehen war, das nicht recht war. Wie sie so lauernd dastanden, diese sonst so geraden und aufrechten Männer, wie sie neugie rig hinaufschauten in das Fachwcrk! Wie sie jetzt auf einmal, auf ein Zeichen Lo tzels,' alle an ihre Arbeit gingen, ohne einen Laut zu sagen, das war nicht ihre Art. Kalk überlegte und kroch zunächst nicht in seinen Borwärmer zurück; was doch eigentlich das Natürliche gewesen wäre. Und so eis rig hatten es die an deren, daß jie das zunächst gar nicht merkten; ein zeder war auf scincmHlatz: der Gool wärmte eine neue Niete, die drei saßen auf dem Lokomobilkcssel und hämmerten wieder, und die anderen bei den hatten die Hämmer erfaßt und war toten auf die Niete. Der Gool nahm die nun glühclkde Niete in die Zange und Wollte sie gerade hincingeben, da be merkte er, daß Kalk zngcfehen haben, mußte. Der große, schnige Mann stand mit dcm sprühenden Eisen und stand wie versteinert und zitterte doch am ganzen Körper. Aber wer wußte, ob es aus Zorn oder vor Furcht war? Der kleine Kalk wußte es nicht, er wußte nur. daß ihm irgend etwas das Herz im Leibe zusammcnkrampfte, und jetzt wollte er schnell in seinen Vorwär mer hineinkriechen Aber jetzt war cs zu spät. Auch die anderen beiden, die auf die Niete warteten, hatten ihn entdeckt, und auf ihren Gesichtern war derselbe Schrecken und dieselbe Wut. Und der eine von ihnen, der Lotzel, warf den Hammer auf die Erde und olles, was nun weiter geschah, wußte der kleine Kalk erst viel, viel später in seinen Zu sammenhängen zu erfassen. Zunächst packte ihn der Lotzel an dcn Schultern, riß ihn aus seinem Vorwär mer heraus und schrie ihn an: Was weißt du? Auf dcr Stclle heraus da mit: was weißt du?!" Er wußtegar nichts, und wa! im mer gewußt hätte, er war in diesem Au genblick nicht fähig, irgend etwas zu fa gen.' Und während er noch mit wanken den Knien stand, fiel aus dcm Gebälk des Dachfachwerkcs ein brennendes Etwaö herunter. Der Lotzel hatte es nicht ge sehen, aber die anderen. Zwci sprangen gleichzeitig darauf zu und stampften mit den Füßen darauf herum. Der Lotzel hielt noch dcn Kalk an den Schultern fest und schüttelte ihn, als wollte er eine Antwort hcrausrüttcln. Dcr junge Mensch wußte immer we Niger. Das waren doch seine Acbeitsge nossen, mit denen er täglich zusammen gewesen, seit mehr als einem Jahr, und wenn ste ihm auch fremd geblieben, er hatte ihnen nie etwas zuleide getan, nie etwas in die Wege gelegt; und nun faßte ihn der eine so an, und die anderen lie ßen es geschehen, sie schienen sich sogar nicht einmal darum zu kümmern. Und weil sich alles in ihm aufbäumte, und weil alles in ihm zu brechen drohte und er kein Wort sagen konnte, so wurde das Gesicht, das er vor sich sah, das Gesicht des Lohcl, immer hef tiger, und auf einmal flammte in diesen Augen, in denen das Weiße gclö war, etwas Furchtbares auf. Und wenn auch der kleine Kalk nicht wußte, was es war, weil er Aehnliches in feinem Le den nie gesehen, so empfand er dach, daß etwas ganz Entsetzliches um ihn herum sich begab, etwas, das ,ihu an ging, und er stieß einen Schrei es, einen fürchterlichen Schrei, und machte gleichzeitig den Versuch, sich zu befreien. Er kam los, er raunte, was ihn die Füße trugen, hinter der Feldfchmicdc hindurch nach der Tür, die zur Schmicde uhrte. Er erreichte sie, riß sie auf und chric wicdcr, schrie einen ganz unbc chreiblichen Laut hinaus. Aber die Schmicde war leer, und ehe er oie an dcre Tür, die aus der Schmied: ins Freie führte, erreichen konnte, hatte ihn einer der Männer am Hemdärmel gefaßt. Sie waren keine Mörder von Be ruf, und sie verstanden sich schlecht dar auf. 5!.cincr von ihnen hatt: je mi dem Gedanken auch nur gespielt, legend einen Ncbenmeuschen umzubringen. ai aller wenigsten einen Arbeitsgenossen: cbcr nun sie einmal auf dcr Bahn des Ler brechcns waren, die unbändige Hitze, der Alkohol, die augenblickliche Verwirrung das alles half zusammen, und sie hatten alle nur den einen Gedanken, die sen Zeugen stumm zu machen für im mer. Niemand sagte es, und sie halfen dcch einander, niemand legt; es auch dem Kalk, und er sah sie alle g'eichzcitiz. Er sah sie oder hörte sie, oder vielleicht fühlt? er 'bloß ihren augenblicklichen Hzß und fühlte ihre Hände, die nach ihm griffen. Noch einmal gelang es ihm, ,ich los zureißcn, der Hemdärmel blieb in der Hand eines 'Verfolgers. Aber er taste in die Kesselschmiede zurück, nachdem er gesehen, daß einer ihm zuvorgelomnen war und an der Tür der Scbmiede stand und sie schloß, ehe er ste erreichen konnte. Die Tür in der Kesselschmiede war noch offen. Er Üef darauf zu, doch wieder war einer der Männer schneller näher dabei als er. Er sah jetzt n,ur noch Hände, die nach ihm griffen aber gerade jetzt lug eine Flamcngarbe zu einer der Da.hlu ken hinaus. Das gab en Aufleuchren in dcm Raum, und einen Augenblick sa hen alle dahin. Blitzschnell erfaßte der kleine Kalk die Gelegenheit und er wußte nicht, ob es das schlimmste oder das gefcheiiest? war er kroch, ehe ihn einer sih, in einen der Vorwärmer, die am BoSen lagen. Er hörte, wie Männer nach ihm schrieen, er hörte, wie Werkzeuge ,,'nhcr flogen, hörte eine Schimpferei, hörte, wie Scheiden klirrten, und wie Türen hastig aufgerissen und wieder zugeworfen wurden; er rührte sich nicht mehr. Es waren vielleicht Sekunden, es war eine entsetzlich lange Zeit, in dcr er daj Gcsühl hatte, daß man nach ihm suchte, und daß diese gierigen Hände und diese wütenden Blicke ihn vernichtcn wollten. Aber es wurde still. Dann rief man Feuer", und dann vernahm er eine Weile nichts mehr als das Knistern der brennenden Balken. Es wäre wohl Zeit gewesen, aus dem Vorwärmer Hindus zugchen, aber der junge Mensch blieb; er kauerte sich zusammen, so sehr er konnte, und wenn er auch wußte, daß über ihm das Haus brannte, er konnte kein Glied mehr rühren, und schlimmer als hundert brennende Häuser waren diese Hände, die er immer noch fühlte, und diese Augen, die er immer noch sah. Er atmete kaum, und er meinte, daß ihm das Herz stillstünde, bis er den Lärm derjenigen hörte, die nun auf das Feuer aufmerksam geworden waren. Jetzt begann ein Rufen und Rennen, wie es auf jedem Brandplatze ist. Man rief sogar sehr bald nach dem kleinen Kalk, und vielleicht hatte er es vernom men; aber er kam nicht. Er lag Zusam mengeknäult in seiner Eisenröhre, und alles, waS in der nächsten Zeit geschah, ersaßte er nicht mehr. Die Halle stand in wenigen Minuten in vollen Flam men, kein Mensch dachte auch nur im entferntesten daran, daß da drinnen noch ein armes Menschenkind fein konnte, dem ein paar entsetzliche Minuten die Sinne verwirrt und die Glieder gelähmt hatten. Nur einmal noch zuckte dieses Menschenkind zusammen; dos war, als das brennende Gebälk des stürzenden Daches mit furchtbarem Krachen auf die Eifenröhre niederrasselte. Großfeuer in den Werken der Firma so und so. Niedergebrannt: die Kessel schmiede, die Schmicde. Vorraisschuppen und eine angebaute Scheune. Leider ist auch ein Menschenleben zu bcklagen; ein junger Arbeiter ist in dcn Flammen um-gekommea." S stand eS am anderen Morgen in ' der Zeitung. Aber am Mittag, als man mit dcn Aufräumearbeiten so weit war, kam man zu den Vorwärmcrn, und als ' Feuerwehrmänner mit Haken und Aex ten die verkohlten Balkenstllcke von dcn j langen Eiscnröhren hcruntcrzogen, vor sichtig und mit Bedacht, denn man suchte nach den letzten Resten eines Umgekom menen, da hörte man auf einmal ein angstliches Stöhnen. Die Arbeit war unter guter Leitung, und fo gelang es bald, nicht einen Toten, aber eincn ganz wirren Menschen aus dcr Eisenröhre herauszuziehen. Er war wenig dankbar für feine Rettung und zerrte und zog an dcn Händen, die ihn befreit hatten, und sowie man ihn los ließ, wollte er wieder in die Röhre hin ein. Man brachte den Kranken in gute Pflege. Körperlich erholte er sich bald, I aber mit seinem Geiste schien cs anders zu scin. Wenn eine Tür ging, zuckle ; er ängstlich zusammen, und manchmal schrie er auf: Sie kommen!" Dann : verhüllte er fein Gesicht und stöhnte, baß es zum Erbarmen war. Sonst war er klar, doch sprach er wenig, und über : alles, was mit dem Brande zusammen hing, durste man in feiner Nähe nichts verlauten lassen; denn dann zog er die Glieder an sich, den Kopf ein und tat gerade so, als wenn er wieder in der Eisenröhre drinnen wäre. Er wünschte, zu den Seinen zu kommen, was auch gewährt wurde. ' Seine Mutter war nun fortwährend um ihn, und wie einem kleinen Kinde mußte sie dem Sechzehnjährigen nach und nach beibringen, daß es gar nichts gäbe in der Welt, vor dem man sich zu fürch ten brauche, sofern man nur ein gutes : Gewissen habe. Und was der Kunst der Aerzte versagt geblieben, dcr miitter , liehen Sorgfalt und 'Pflege gelang es. Er verlor die Angst langsam wieder, sprach ruhig und verständig über die ge schchenen Dinge und über das Leben, das et vor sich hatte. . Mit dem Feingefühl der befolgten Mutter vermied sie alles, was irgend mit dein Brande zu tun hatte, und so erfuhr er gar nichts von allcdem, was durch Wochen hindurch Spalten in den Aitungm gefüllt hatte. Sie hätte ihn auch weiter davor bewahrt, aber eines Tages kam eine gerichtliche Untersuch ungskommission, die ihn vernehmen wollte, zunächst ein Arzt, den er von der Klinik kannte. O ja, Herr Doktor, ich bin ganz ge , fund, und man kann mich fragen, was man will." So behauptete er ,dem Manne gegenüber, zu dem er großes Vertrauen zeigte. Das ist sehr schön. Daß die Schul digen verhaftet sind, wissen Sie wohl?" Wer ist verhaftet?" Die sechs Kesselschmiede; sie haben auch eingestanden, dcn Brand gelegt zu haben." Jetzt zum ersten Male erfaßte Alfred Kalk die Dinge, wie sie waren, und jetzt begriff er auch den Haß der Männer, denen er nie etwas zuleide getan; aber sein erster Gedanke war doch: Nun bist du sicher vor ihnen," feine erste Frage: Dann werden sie wohl eine Gefängnis strafe bekommen?" O nein," fagte der Arzt, da werden wohl so an drei Jahre Zuchthaus für jeden abfallen!" Alfred Kalk machte große Augen. Wenn jemand anzündet, bekommt er dann drei Jahre Zuchthaus?" Unter diesen Umständen wird eS kaum billiger gehen." Es ist viel; aber sagen wir einmal, wenn jemand eincn anderen, oder sagen wir, wenn mehrere eincn anderen um bringen wollen und alles tun, um ihn umzubringen, wieviel bekommen sie dann?" Dcm Arzt war diese Frage ein Be weis, daß dcr Kranke immer noch an Verfolgungswahngedanken litt, aber er gab seine Antwort sachlich. Wenn mehrere Personen einen Mordversuch machen, das meinen Sie doch?" Ja, das meine ich." So ein glatter Mordversuch, ohne mildernde Ncbcnumständk, das gibt fünfzchn Jahre Zuchthaus." Für alle miteinander?" O nein! Für jeden einzelnen." Ganz schnell machte das Gehirn AI frcd Kalks eine Rechnung: sechsmal fünfzehn, das sind neunzig. Neunzig Jahre Zuchthaus! Das war so etwas Ungeheuerliches, daß Alfred Kalk das Gefühl hatte, darüber darfst du in die sem Augenblicke nicht entscheiden. Als 'er. dann noch fragte, ob die fcchse auch ganz sicher eingesperrt feien und nicht auf die Straße gehen könnten, zog der Arzt feine Schlüsse und bat die Her rcn vom Gericht, ihre Fragen auf das Allernötigste zu beschränken. Das taten sie, und so war die Vernehmung sehr schnell beendet und hatte in der Sache nichts gebracht, als was man bereits wußte. Noch vor der Schwurgerichis-Ver-Handlung hatte Alfred Kalk wieder Ar beit gefunden, und zwar im selben Be triebe, aber nicht in der Kesselschmiede, die jetzt in Notbauten untergebracht war, sondern als Bureauausgcher. Man wollte an dem so seltsam Geretteten etwas von dem gutmacben, was er bei dem Brande hatte erdulden müssen, gab ihm bei leichterer Arbeit einen höheren Lohn und behandelte ihn sorgfältig und rücksichtsvoll. Ueber alles, was mit dem Brande zu sammcnhing, sprach er auch jctzt noch nicht. Natürlich wurde er zu der Ver Handlung vor dem Schwurgericht als Zeuge geladen. Die Vernehmung der Angeklagten vor dcn Geschworenen bot keinerlei Ueber raschung. Sie waren geständig, alle sechs. Der Tatbestand schien vollständig klar zu fein: sie hatten verabredet, die alte Kesselschmiede anzuzünden, um eine neue zu bekommen; dem Inhaber wäre, nach ihrer Meinung, dadurch kein Schaden erwachsen, da sie ver sichert war. Den Alfred Kalk hatten sie nicht eingeweiht, we.il er nach ihrer Ueberzeugung doch nicht mitgctan hätte. Als dann daS Fcucr rascher um sich grisf, als sie erwartet hatten, da ver gaßen sie, es ihm überhaupt zu sagen. daß er sich retten sollte; so wäre es ge kommen, daß er in dem Vorwärmer blieb und fast das Leben eingebüßt hätte. Da alle, fcchse ganz gleich aus sagten und offenbar ihre Tat tief be reuten, fo war kein Anlaß, ijjnen nicht zu glauben. Für die Brandstiftung konnten sie bestraft werden, dafür, daß sie ihren Arbeitstollegen nicht gerettet, nicht. - Als Alfred Kalk in den große Schwurgerichts! trat, richteten sich alle Augen auf ihn. Er wußte unge fähr, was die Angeklagten gesagt; dem es hatte zur Genüge i den Zeitungen so gestanden, und aus der ganzen Art, wie er vernommen wurde, entnahm er, daß man auf nichts Besonderes von seiner Seite gefaßt war. Er hatte sich auch vorgenommen, alles geheimzuhal ten, was' ihn betraf. Als er aber vor dem Richtertische land und die Nähe dieser sechs Männer llhlte, die er bis dahin noch nicht ange ehcn, da überfiel ihn auf einmal wieder diese Angst, diese heillose, unsagbare und entsetzliche Angst. Können diese Hände wirklich nicht mehr nach mir greifen, und wenn sie wieder frei sind, werden sie es dann nicht tun?" Erst als der Richter recht freundlich auf ihn ein zusprechen begann, wurde er für Augen blicke diese Angst los; aber er erzählte nicht, fondern ließ sich vom Richter alles erzählen und bestätigte bloß. Es ist auffällig, daß Sie ptm dem Brande nicht früh genug etwasgemerkt haben." Darauf war schon schwerer zu ant Worten. Sollte er lügen? Er sagte nichts, der Richter wiederholte noch einmal den selben Gedanken. Da wurde ihm enge. Sollte er vor Gericht die Unwahrheit sagen? , Er schwieg, und der Richte? sowohl wie die Zuhörer mochten Wohl der Mei nung sein, daß sie es mit einem Geistes schwachen zu tun hätten. Die fcchse aber auf der Anklagebank, die wußten, daß es in diesem Augenblicke um den große ren Teil ihres Lcbcns ging,, um das Wohl und Wehe ihrer Familien; vier davon waren verheiratet. Sie waren jetzt nicht mehr in dcr Kesselschmiede, sie hatten seit langer Zcit keine harte Arbeit mehr getan; sie dachten und fühlten jetzt, wie andere denken und fühlen, und sie wußten, an diesem einen Menschen hing jetzt alles. Ein einziges Wort von ihm, und alles mußte ans Licht kommen, gerade so wie es gewesen war. Die Pause durfte nicht lange mehr dauern, und der Richter selber lenkte ein. Sie werden wohl auch unter der Hitze und dcr schweren Arbeit gelitten habe an dem betreffendem Tage?" Ja." sagte Alfred Kalk, und er meinte, damit um die gefährliche Stclle herum zu sein. Jetzt aber hatte dcr Herr Staatsanwalt eine Frage. Glaubt der Zeuge, aus dem Berhal ten der Angeklagten, an dem Tage oder sonst, nicht die Möglichkeit zulassen zu können, daß ihn die Angeklagten mit Absicht in de Eisenrffkr ließen, um ihn auf alle Fälle nicht als Zeugen ihrer Tat zu haben?" So gewunden diese Frage war, fo einfach war ste für Alfred Kalk. Jcht fiel ihm auf einmal diese menschliche Erbärmlichkeit ein, die sechs Männer zu Bestien gemacht; er sah sich wieder ge hetzt wie ein verfolgtes Wild, er sah sich flchm mit dcn Blicken, er sah die Mör derangen und er wußte, daß er es jetzt in der Hand hatte, für das alles Sühne zu nehmen. Noch hatte er nicht da hinübergeschen. wo sie saßen; aber diese Augen hingen an seinem Munde, das fühlte er. Und zugleich fühlte : jetzt kniet ihr alle vor mir! Jetzt hatte er die Macht, er war jetzt' dcr Richter, mehr als der Richter, der vor ihm faß, es je sein konnte. Das waren Sekunden, gerade so schwer wie jene, in denen er vor dcn Händen dieser Manncr floh. Damals handelte es sich um ein Wen schenlcben, jetzt um neunzig Jahre Zucht haus. Das waren für Männer, die be reits dreißig bis vierzig , Jahre ' ihres Lebens hinter sich hatten, wohl . bi Mcnschcnleben, wenn nicht mehr. Und dann war er vor ihren Händen sicher für alle Zcit. Vier Menschenleben gegen eines? Das war zu viel. Dafür wollte er nicht die seelische Verantwortung auf sich neh men.. Er dacht gerade an die vier, die Frauen und Kinder hatten, die er kannte, und die gute Väter und leine schlechten Männer'waren. Das entschied. Er begann zu sprechen: Meine Ar beitskollcgen sind fönst immer fo zu mir gewesen, daß ich mir das nicht er klären könnte, und außerdem habe ich ihnen nie etwas zuleide getan Als er das gesagt, wandte er sich ein mal nach dcr Anklagebank. Zwei sahen zu Boden, der Lotzel und der Eool; vier sahen ihm ins Gesicht und da war es: die Antwort auf feine Aus sage! Niemand sonst mochte- es der stehen; er verstand es. In einem Augen blicke den Tank für vier geschenkte Le den! Jetzt fühlte er sich frei. Jetzt wußte er, daß ihn diese Hände nie mehr fassen wollten, und daß ihn diese Augen nie mehr mit Haß ansahen. Jetzt genoß er dcn Dank für sechs königliche Geschenke. Dcr Rest der Vernehmung tvar ein fach. Auf eine Anfrage des Vorsitzenden Richters gab der Gerichtsarzt die Aus kunft, er halte es für möglich, daß der Zeuge durch die nachfolgende zeitweise Verwirrung seines Geistes in der Er Innerung auch an das, worüber er aus gesagt, beeinträchtigt scin könnte. Darum schlug der Richter vor,, von einer Ver eidigung abzuseilen. Der Staatsanwalt hatte dagegen nichts einzuwenden, da die Aussagen des Zeugen in keinem Punkte mit denen der Angeklagten in Wider spruch waren, l So wurde dcr kleine Kalk nicht der i eidigt. Als er bald darauf das Gericht'. gcbaude verlaß, hatte er das Gekükt. soeben den größten und herrlichsten Augenblick seines Lebens genossen zu haben, und still vor sich hin sinnenö. ging er heimwärts. MWänge gibt es ü&neTI und nur unser ist die Schuld, wenn wir sie über, mäßig empfinden.