Erinnerungen an Ibsen.
Von j)cier Alansen. ;""
3)tc Ropcnhagencr -feicr zum 70. Geburtstag des großen Dichters.
Die Wildente" im Röniglichen Theater. hinter den Kulissen der
Feierlichkeiten.
Am 2. März 1898 vollendete der
jucke (f infam fein siebzigstes Jahr.
Uno l begab sich auf die Tournee, vm
sich in den Hauptstädten des Nordens
l'mn zu lassen.
Das war etwaS Unerwartete und
1H-Uifrfafc2.
Er stand auf der Höhe feiner Welt
bkrühmthcU und war noch kein Opfer
der Grcifiznkrankheit geworden, die ihn
die letzten fünf Jahre seines Lebens zu
tinera tccNischen Wrack gemacht hatte.
Tief thien langen fünf Jahre, wo
er mit den verzweifelten Kräften eineS
Ri'scn tUm halsstarrigen Kampf mit
dem Tobe, kämpfte der dennoch stär
, ker als attl Leben ist und wo er,
um zu drmonstrieren, daß er noch lebte,
laotäglich an das Eckfenster seines Ar
beitZzimrstrs in der Arbinsgasse postiert
wurde, n sich feinen Landsleutcn und
den ausländischen Touristen zu zeigen.
John dibwl Vorkman war 1890 ge
schrieben !f orden. Die Ausgabe der ge
sammelten, Werke wurde IM begon
neu; aber , erst ein Jahr später. 1899,
Tarn der Epilog zu dem, was man
igenilich ; für abgeschlossen gehalten
hatte: WeZm wir Toten erwachen.
Selbsivzrständlich rüstete sich Kopen
hagens litgrarifche Welt, um den großen
, seltenen a ft so glanzvoll wie nur mög
lich zu empfangen. Ibsen hatte Vers pro
chen. eine .Zganze Woche in Kopenhagen
zu bleiben. ; Den Anfang sollte das K5
niglich Thl'llter machen mit einer Fest
Vorstellung Den nächsten Tag große
lSalad'mer lim Hotel d'Anglcterre. Den
dritten Ta&: Feicr im Weiblichen Lese
verein und im Studentenverein. Den
vlglte Tag, Festvorstellung im Tagmar
Theater. )tt fünfte Tag war Ruhe
tag. Den sechsten Tag Abschiedsdmcr
bei IbfenS" skandinavifchem Verleger,
EtatZrt Hegel, auf dessen Landsitz
Skovgmrd. Ich glaube, die Reihen
folge jiisttrm!. Aber das spielt ja an
und für ,ch. keine so große Rolle.
' fßx das' g roße Fest im Hotel d'Ang
ketaf teur.te in FestZomitee eingefetzt.
Da man ufere, daß Ibsen nicht
wünschte, von , einer einzelnen Partei auf
den Schild gc oben zu werden, und da
es sich ja auch darum handelte, alle da
f,1r zu gewinn tn, wurde das Komitee,
cui KonfervaU vcn und Radikalen zu1
samMngeftrllt. '' Aber schon das venif
suchte im, vorhin i gewisse Schwierig
Zeiten und bot Veranlassung zu er
fchiedeneri KonM'ten. Der verftorecne
?irel:or des 5UinstindustriemufWmS
'Pklrs 'Lroh und ich repräfentZecken
wesentlich den, radialen Teil d?A o
mi'.ccs. ' .
Die erste Fieage-ar:, Wer soMe die
Festrede halten.?
Auf Georg Tranes hätte vm sich
sicr sogleich geeinigt vermöVx feines
nahen litera?,.schen Freundsclf.sver
Wüiisfes zu Ibsen. Allein Georg
Brandes war damals nicht in Kopen
Kagcn. Krohn und ich schlugen Edvard
BrandeS, unstven berühmtesten Deama
turgen, vor. Allein Edvard. Brandes
war damahls ebenso verhaßt, wie -er sp'ä
tcr populär wurde, und der Vorschlag
wurde sofort verworfen. TcL fehlte
noch Edöard WrandeI als Festredner
cics? die ganze Feßer den Radimlen aus
tiefern!
. Man nannte Professor Hösfding.
Wir rten alle einverstanden. ALein
Hsn'ding bedauertk sehr: Er hatte be
h-.ti dem Siudeibtenvereia versplloche?.
beri die Festrede zu halten, und z'.i
Siedln nein, das war ihm zuviel
Znlent entschlossen wir uns für Pro
kcffor Kroman. Der Himmel riß,
warum es durchaus ein Professor der
Philosophie sein mußte! Und nach un
heuum Ueöerlegm und Bedenken wil
liaie Kromann, dem derlei repriksenta
tive Aufgaben ziemlich fremd waren,
endlich ein.
Gott sei DanZ, das war also über
standen. A!s Redner No. 2 sür ine etwas
weniger feierliche Rede würbe unter oll
gemeiner Zustimmung der damalige
Direktor des königlichen Thäters. Pro
fe'sor Peter Hansen, ein aZer Besann
icr von Ibsen, ausersehen. Nun aber
wurden Pieke Krohn und ich von einem
heiligen radikalen Feuer fafci: Ibsen
ar"doch der große revolmionierende
Dichter cs wäre doch zu absurd ge
iiieffn, wenn nicht wenigstens ein 33a
teilt der modernen Literatur das Wort
, greifen sollte, um ihm zu huldigen.
Wir sehten es richtig durch, dch Cophus
CZindorph aufgefordert wurde. Ibsen
als Siedner No. 3 zu feiern'. Ach Gott,
wir hatten nicht damit gechnei. daß
der liebenswürdig!! Schandorph nur sel
len in der Verfassung war, stilvolle
Fette zu feiern!
Die zweite Frage, welche große
Cch.?Mg!?ltea verursachte, war. was
d ?' Teilnahme an dem Feste koste
ftllte. Tollte s leicht jaccnclty wer
den für jedermann oder sollte es ex
klu?is .sein? Mehr als ungefähr 2SQ
Wagte konnte der größte Saal des Ho
t '.i r ' l pla-hrea. Veranstaltete mag
l c Cache billig, liefen zu viele Vor
ntilwmt ein, und manche Präsents
tive ?7rsZnliMiteri. die man Ibsens
l."' g?r dabei geke,! kattt, konnten
d'.d:ch'keig? VerüZück.tizui, mehr sin
bi Zudem sollte es doch ein. I. st
des man weitaus glänzender
jN-.e als die üblichen Jilbiläum!
" ?.gnrch geschah es nicht ohne De
t- : !!. t-.: wir da; Niwnt mit 25
T:- f'rf.'ttfn.. IS Kronen! XcS
durätS ein geredeu Unerhört?
s cntjprech Ministers der deppelie
Summe von heute. Und nun dort, wo
ej sich um Mann und Fwu handelte!
Es blieb ja nicht allein bei dem Kuvert.
Der Wagen hin und zurück mußte doch
auch gerechnet werden, und selbstredend
brauchte die Gattin eine nene Toilette
zu einer solchen außerordentlichen Feier.
Ein wilder Aufruhr tobte gegen die 5
Kronen und gipfelte unter vnderm in
dem seh? bedauerlichen Resultat, daß die
größte JbfenTchaufpielerin des könig
lichen Theaters, Frau Betty Hennings,
ster, Bischof Sihhr. war ein Jugend
freund von Ibsen und der Genosse einer
seiner italienischen Reisen gewesen. Sei
ner FreundstKast zuliebe machte Slyhr
einen dicken Strich durch jedes peistliäie
Aergernis, das er feiner Bisäwsswürde
gegenüber dem Dichter bet Gespenster"
schuldig war. und setzte das roßtreuz
durch. Dieses erfreuliche Resultat er
fuhren nur wenige Intime an dkmsel
den Tag. an dem Ibsen in Begtritung
des norwegischen Redakteurs Niets !Lrgt
fi&'jti'
, .
''.,
f : . -vf "-'v "JW"j '
.'"t""4 . ' , -
' ' V
' '
' " . i'"1
, . '.' '.
'
f
I ?
K, s.'.
- $ ' 't- '
- - , , ''-..,; 4 . - j
- ' . S V '
t - , , ,
. , , ' 1 ,
' , ' . ! i
. " . 3
. f
Hknrik Jbscn.
schlankweg absagte. Sie und' ihr Mann,
der damals gerade start religiös! Ten
denzen hatte, erklärten, es wäre eine
Siinfce, so viel Geld sür ein Diner aus
gufiften. Professor Hansen versuchte
sie umzustimmen, allein sie blieben un
erschütterlich, und es lag unleugbar ein
Mißton darin, daß die Darstellerin von
Nora, Hedvig und vieler anderer Weib
licher Gestalten des großen Dichters
durch ihre Abwesenheit glänzte.
Sonst indes fehlte es nicht an Zu
drang, felbst von armen jungen Schrift
stellern, die ja glücklicherweife immer
die Mittel zu leichtsinnigen Freuden
finden.
Ibsen sollte im Hoiel d'Angleierre als
Gast des Etatsrats Hegel wohnen, und
der Direktor des Hotels, der seh; be
liebte tüchtige Teutsche Albert Hcene.
hatte sofort die Bedeutung der Situa
tion erkannt.
Er stellte die Furstcnzimmer der
Veletage zur Verfügung, schasste eine
neue norwegische Jlagze an, die über
dem Hotel wehen sollte, sslange Ibsen
dort wohnte, und versprach, für das
Diner das Teuerste und Beste zu lie
fern, was die Jahreszeit mit Hilfe des
Auslandes bieten konnte: Echte Schild
Ziöten, junge Hamburger Enten, frischen
Stangenfpargel aus Italien usw. Es
war ihm ganz gleichgültig, ob das Ho
tel auf feine Kosten kam oder nicht,
Hauptsache, daß alles Tip-Top war.
Man bedenke, daß man damals in Ko
pcnhagen noch lange nicht fo verwöhnt
war wie heute uud von PrimeurS we
nig wußte.
Holger Drachmann übernahm es,
die Kantate zu schreiben, Fini Henriquez
komponierte die Musik dazu. Die Rezi
tationen übernahmen der größte Ibsen
Schauspieler des königlichen Theaters,
Emil Poulfen, und. da Frau Hennings
uns im Stick! gelassen hatte, die statt
liebe Frau EZard. Zum Schluß mo
dellierte Stepban Sinding eine symbo
lifcke Statuette, von der für jedes Ku
vert ein Abguß hergestellt wurde, die
eine kostbare Erinnerung für jcd'n Fest
teilnehmet bilden sollte. Eine Girlande
feiner grüner Blätter verband die samt
lichen Statuetten miteinander und war
zugleich der einzige Tafelschmuck.
Das große Diner war somit orran
giert, und alles deutete darauf hin, daß
eö wirklich glanzvoll werden sollte.
Inzwischen wurde Ibsens Ankunft
auf andere Weise vorbereitet. Vor al
lem fetzte man mächtige Kräfte in Te
wegunz. um dem berühmten Tick,! das
Großkreuz des Tanebrog zu versebaffen.
Das Ritterkreuz besaß er schon seit un
denklichet Zeit, und da zwischen diesem
und dem Großkreuz noch zwei Auizeich
nnngni ZZeqen, hatte es srine Schwierig
keit. dz? Grcßkrcul zu erlanaen. Allein-
l ei glüäte. Der damalige Kultukmini
sich aus der Fahrt von Christiania nach
Kopenhagen befand. Die'telkgraphifchc
Mitteilung von der Auszeichnung er
leichte Redakteur Vogt in Gotenburg,
damit er den reisemüden alten Dichter
bis zu seiner Ankunft in stoher Stim
münz erhalten konnte.
Man hat Ibsen seine Freude an den
Orden, die er nach und nach bekam, zu
weilen verübelt. Ich, der die doktrinäre,
radikale Verneinung aller Titel und Or
den überhaupt nicht teile, glaube Ibsen
darin besser verstanden zu haben. Der
Verketzerte, von der gesamten Bourgeoisie
Verhaßte und Angegriffene, empfand es
als eine Genugtuung, als einen Tri
umph seiner Dichtung, daß Könige,
Fürsten und die ganze offizielle Gesell
schuft ohne deß er seine Anschau
ungen und seine Dichtung auch nur um
ein Iota veränderte sich schließlich
seinem Genie beugten und ihin die
Ehrenbezeigungen erwiesen, die vor ihm
noch kein nordischer Dichter empfangen
hatte, geschweige denn ein Dichter, der
fein Lsben lang im Geaerisatz zu einer
Richtung stand, die der Staat sonst zu
ehren und auszuzeichnen pflegt. Eines
jedoch ist sicher: Ibsens Freude an dieser
Art Gesellschaftsfliiter äußerte sich bis
weilen auf etwas kindliche Weise. Und
dennoch lag etwas Rührendes darin:
weun er mit seinem Großlreuz angetan
vor dem Spiegel stand, gedachte er der
Tage seiner Demütigung und Ernie
drigung. und dachte voll Stolz daran,
wie weit es der kleine Apothekergehilfe
von dazumal gebracht hatte. Freude
strahlend kam Ibsen an jeuern dcnkwür
feigen 3L März nach Kopenhagen, offi
zielt nur empfangen von Pictrn Krohn
und Etatsrat Hegel, die ihn in feine
Prachtzimmer ins Hoiel d'Angleierre
führten. Tort stand das Etui mit dem
Eroßlreuz. Hegel reichte es ihm. Zit
ternd vor froher Erwartung, obgleich er
ja ahnte, was es enthielt, öffnete es Jb
sen. Entzückt und lange betrachtete er
es. wie es silber- und diamantenglänzend
aus dem feinen Samtgrund vor ihm lag.
Wie schön," sagte er. .wirklich, das ist
eine große Ehre. Seit Oehlenschläqet
hat lein nordischer Dichtet eine solche
dänische Auszeichnung bekommen!"
Er ließ das Etui weiter gehen, damit
auch die beiden anderen Herren die
Schönheit des Ordens bewundern soll
ten. Als et s jedoch wieder . in bet
Hand hielt und das Kreuz herausneh
inen wollte, verdüsterte sich sein Gesicht:
.Was ist das?" fragte r. und seine
Hand bebte, als tt einen ganz gewöhn
lichen Kotillonorden emporhob. ,das ist
ja gar kein, Orden, das ist ja Papier
mache!"
Hegel un, Krohn. die mir die Ee
schiebte erzählt datten. faatcn. daß auch
sie im ersten Moment ganz starr ge
Wesen waren. Kiiner tsn. ihnen war
mit den Gepflogenheiten der Ordens
kapitcl s vertraut, daß sie wußten, daß
die hohen und Kuren Orden immer nur
als Attrappen geschickt werden und der
Empfanget den wirklichen Orden selbst
bezahlen muß. Zu denken, daß man sie
zum besten gehalten hatte, daß da
Ganze in übermütiger dreister Karne
valsscherz sein konnte! Sogleich ober
faßten sie sich. Sie hatten ja die Mit
teitung von Ibsens Auszeichnung auS
den verläßlichste Quellen, und sie be
eilten sich daher. Ibsen zu versichern,
daß das nichts auf sich hätte: den rich
tigen Orden würde Hegel schon morgen
pormittag liefern.
Einigermaßen beschwichtigt ging Jb
fcn zu Bett. Und sogleich am nächsten
Morgen vergewisserte sich Hegel, daß es
sich um kein Mißverständnis handelte,
daß Ibsen sich aber das echte Kreuz selbst
kaufen müßte. Vergnügt eilte Hegel
zum Hofjuwelier, erstand ein Großlreuz
und sandte es Ibsen. Als Hegel jedoch
einige Stunden später den Dichter im
Hotel aussuchte, saß Ibsen ganz der
wirrt mit zwei echten Großlreuzen vor
sich: das eine, das Hegel ihm gekauft
hatte, und das andere ein Geschenk des
alten Königs Christian IX., der es ihm
als eine ganz besondere AusmerZfamtcit
durch einen Kainmerherrn geschickt hatte.
.Gestern." sagte Ibsen, hatte ich nur
einen Papierorden und heute habe ich
zwei echte was mache ich mit zwei
Großkreuzen?" Hegel tröstete ihn und
sagte, daß er das schon ordnen würde.
Er trug das gekaufte Großkrcuz zurück
zum Hofjuwclier, der ihn lachend em
psing: Ich babe Ihr Kommen erwar
tet. Ich wußte, daß der König Ibsen
persönlich das Kreuz verehren wollte; da
es aber eine Überraschung sein sollte,
durste ich nichts sagen."
II.
An demselben Abend war die Fest
Vorstellung im königlichen Theater.
Eigentlich entzückt war Ibsen nicht über
das, was seiner harrte. Denn das
Theater war auf nichts anderes Versal
len als auf die .Wildente", die sie ihm
in früheren Jahren bereits zweimal auf
gefischt hatte noch dazu in haargenau
derselben Besetzung. Den Reiz der Ru
heit bot diese Aufführung somit nicht.
Und außerdem war es zweifelhaft, ob
sie mit den Jahren besser geworden war.
Jedenfalls war Frau Henninas, deren
Hedwig ursprünglich ein Meisterwerk
seiner, zarter Jungmädchenhaftigkit ge
wesen war. allmählich für diese Rolle
reicklich alt geworden.
Gleichviel. Die Huldigung war dies
mal ja' bedeutend pompöser. Selbst
redend war das Theater zu doppelten
Preisen ausverlanft. In der könig
lichen Loge saßen der 5i,onig, die Köni
gin, die Kaiserin von Rußland, die
Prinzessin von Wales und fo viele an
dere fürstliche Persönlichkeiten, wie sich
nur Platz bot. Gerade gegenüber in der
Hosdamenloge thronte Ibsen mit feinem
Großkreuz in einsamer Majestät.
Aeußerlich sah alles sehr festlich aus.
Allein hinter den Kulissen spielten sich
bewegte Szenen ob. In einer Pause
stieß ich auf den Direktor. Professor
Hansen. Aufgeregt rief et mir zu: .Sie
und Ihre Frau" meine Frau war da
mals am königlichen Theater müssen
mir den Gefallen tun und sogleich nach
der Aufführung ins Foyer kommen, um
Ibsen vorgestellt zu werden!"
Ich wandte ein. daß wir beide Ibsen
ja bereits begrüßt hätten, kommen
Sie trotzdem! Wir riskieren einen kom
pleiten Skandal! Sie wissen, daß Künst
ler und Studenten nach der Vorstellung
Ibsen einen Facfelzug bringen werden.
Run hat das Theater durch eine Auklln
digung im Schaufpiele'rsoyer die Schau
spieler noch vor dem Fackelzug zur Vor
stellung beordert. Die sind ober der
Himmel weiß warum alle beleidigt
und erklären, sich dazu nicht kommandie
ren zu lassen. Wir müssen daraus vor
bereitet sein, daß von den ersten Kräs
ten niemand kommen wird."
Ich gelobte unser Erscheinen. Gleich
zeitig jedoch benutzte ich die Gelegenheit
zu einet Bewertung, daß Ibsen in sei
ner vornehmen Einsamkeit nicht allzu
animiert aussähe. Ob es nicht vielleicht
löblich wäre, wenn das königliche Theo
tet dem alten Herrn in der nächsten
Pause eine kleine Erfrischung servieren
ließe?
Allein Peter Hansen war viel zu er
füllt von seiner Palastrevolution und
einet, wie et sagte, weit größeren Kala
mität, um an Erfrischungen zu denken.
Herrgott, die zwei Stunden konnte Jb
sen es in seiner Loge wohl noch aushal
ten, ohne etwas zu essen?
So saß Ibsen denn auch unverwandt
die Vorstellung ab sehr angeregt sah
er dabei nicht auS. Als der Vorhang
zum letztenmal fiel und das ganze Pub
likum, die königlichen und kaiserlichen
Herrschaften an der Spitze, sich erhoben
und ihm applaudierten, verneigte er sich
artig und freundlich, wobei die vielen
Orden auf seiner, feinen Hemdbrust
klirrten. Allein die Bänder saßen der
kehrt und waren über den Kragen her
aufgerutscht man sah, daß ihm ein
Kammerdiener fehlte. Weine Frau und
ich liefen hinauf ins Foyer, und dort
vollzog sich eine gelungene Kur. Wie
vorauszusehen, waren die ersten Kräfte
ausgeblieben, und außer vuinet Frau
waren nur ein paar Sänger und einige
Balletteusen anwesend. Peter Hansen
jedoch rettete kaliblüt'z die Situation:
.Liebet Ibsen, darf ich dir" eine
verlegene kleine Ballettratte wurde vor
geschubst Fräulein N. 7k. vorstellen,
ein vielversprechendes Terlent. eine un
seret allerbegabiesten . , Und in dem
Ton ging es weiter.
Ibsen hörte kaum die Namen, wußte
überhaupt nur ungenügend Bescheid. Er
drückte jedem einzelnen die Hand rnd
sagte, daß er sich sehr freue.
Zum Glück erfuhr diefe etwas komi
sche Präsentation eine natürliche Unter
brechung. Draußen auf dem mächtigen
Kongens Nytorö war es schwarz von
Menschen, und plötzlich hieß es: .Der
Fackelzug sie kommen!" Damit be
qann ein neuer Akt det Festlichkeiten.
Ibsen trat en die Balustrade det Log
gia und rußte mit entblößtem Haupt
die Jeukischlgngt, die sich durch Hi
schwarze Menfchenmeet auf das Theater
zu bewegte. Ein Künstln trat aus dtm
Zug und hielt eine Ansprache, die in dem
Lärm verhallte, und Ibsen erwiderte mit
einigen Worten, di selbst wir, die wir
dicht neben ihm standen, nicht hören
konnten. Darauf beeilten meine Frau
und Ich, uns hinüber in das Cafö des
Hotel d'Anglcterre zu begeben und
Abendbrot zu essen. ES war nicht leicht,
durch das Gedränge z kommen, aber ä
gelang. Dicht beim Eingang licfcu wir
geradeswegs Alexander Kielland in die
Arme, der sich beizeiten einen Tisch ge
sichert hatte und uns nun einlud, bei
ihm Platz zu nehmen. Kaum hatten
wir etwas Speise und Trank bestellt, er
hob sich draußen auf dem Platze ein in
fernalische Geheul. Wir hörten wilde
Schreie. Hochrufe auf Ibsen, darunter
das Gekreisch von Weibern, die Gefahr
liefen, niedergetreten zu werden. Plötz
lich sprang die Eingangstür auf, und
wie aus der Pistole geschossen flog Jb
sen in das Lokal, ganz betäubt, mit
offenem Ucberrock, den Hut tief im
Nacken, abgerissenen Ordensbändern,
liinter ihm Peter Hansen und feine
Frau, während eine dichtgedrängte
Menge fanatischer Männer und Frauen,
begeisterter junger Leute und halbbe
trunkener Rowdies. für die das Ganze
nur Juz war, draußen tobten.
Die Kellner eilten herbei, drückten mit
Mühe und Rot die Türen zu und dreh
ten die Schlüssel um. .
Da stand Ibsen noch ganz verwirrt
von seiner durchaus nicht erbaulichen
Promenade durch den Janhagel. Ge
pufft, gestoßen, begafft, die Ohren voll
von wildem Geschrei. Daß der unbe
bolfenc alte Mann überhaupt Ynit heilet
Haut hindurch gekommen war, war ein
Wunder, jtielland war tafend. Er war
vielleicht kein craltierter Bewunderer von
Ibsen. Allein mit seinem Gefühl für
Der Klaube an den Frieden.
von Friedrich Alexander, Zürich.
Der Glaube an den Frieden, von dem
jch reden will, gründet sich nicht auf
politische Ereianisse und Zusammen
hänge, nicht auf kriegerisch Erfolge oder
Mißerfolge. ES bandelt sich da wirklkh
nur um Glauben, m etwas Innerlich
Geistiges. Ich möchte nicht prophezeien,
auf Grund dieser oder jener Tatsachen
muß bald oder später der Friede loiu
men. Es wird wohl so sein, daß der
Friede kaum der Einsicht der Staats
mannet und Heerführer entspringen
wird. Die Not der Völker erzwingt ihn.
Ich denke nicht an den Frieden, der die,
sein Kriege folgen wird, sondern an den,
dem wir aus dem bängsten Dunkel' der
Gegenwart heraus als einem neuen
Morgenrot enttgegenträumcn und uns
kntgcgenschmn. Wann wird dieses
Morgenrot in leuchtender Verheißung
anbrechen? Wer vermag das zu sagend
Es muß unsers lidcnschaftlichiühncn
Friedensaposteln entgegengehalten wer
den, daß es ihnen sehr oft an gcschicht
lichem Sinn fehlt. Sie haben kein rich
tigrs Zeitbewußtsein. Sie glaulxn, er
zwingen zukönnen und zu sollen in über
stürztem Dränacn, was werden und
wachsen muß in Zeiträumen, deren
Dauer nicht von Menschen festgesetzt
werden kann. Wer die Geschichte
auch eines Einzclgebietes kennt, weiß,
daß sie und was ff sie anderes alö
Werden, Entwicklung der Menschheit
und ihrer Kultm? sich Jahrhunderte
Zeit läßt. Sie ist viel geduldiger als
wir. Man mag da wohl hinweisen auf
viele rascbe und bleibende ??ortscbrit!e in
Feinheit und Etikette fand er es mit sEissenschaft und Technik, auf die söge.
rot m imh.r5,;Hi w limi, nannten aros'kn Svrünae der Entwick
Recht ganz unverzeihlich, daß das könig-
liche Theater für keinen Wagen gesorgt
hatte. u,n Ibsen ins Hotel zurückzubrin
gen. Man muß des königlichen Theo
ters ererbten Mangel an Stil kennen,
um diesen Verstoß zu entschuldigen. Auf
Kicllands unbeherrschte Vorwürfe ant
wortete Peter Hansen mit ungestörtem
Phlegma: Lieber Gott, die ' paar
Schritte konnte er doch zu Fuß gehen.
Wir hatten doch keine Ahnung, daß ein
solcher Radau würde."
Nun, zum Glück war Ibsen jetzt im
Hafen. Und in das EafS durste nie
mand mehr herein.
Inzwischen vergaß Peter Hansen Jb
sen vollständig. Das. was sich außer
det Rebcljion gegen die Vorstellung im
Foyer noch ereignet hatte, war. daß
Karl Mantzius, einer der bedeutendsten
Schauspieler des königlichen Theaters,
gerade heute aus geringfügigem Grunde
ftin Entlassungsgesuch eingereicht hatte.
Ibsen und daS 'Jbsen-Fest waren für
Peter Hansen versunken ihn erfüllte
ausschließlich die innere Katastrophe sei
nes Theaters. Und wahrend er meine
Frau von der Sache unterhielt, stand
Ibsen verlassen und immer noch ganz
benommen in einer Ecke des CafS.
Ich hatte gerade noch Zeit, die Frage
einzuschicken, ob für Ibsen ein Souper
bestellt wäre. Rein, das allerdings nicht
man belame hier doch jederzeit irgend
etwas,
Kielland barst geradezu vor Wut.
Wie dänisch das 'ist." sagte er, wie
echt dänisch! Da hat daö königliche
Theater den berühmtesten nordischen
Dichter zu Gast und spendiert ihm nicht
einmal einen Wagen, um ihn nach Hause
zu fahren. Eine Goldkarosse mit vier
weißen Hengsten hätte ihn über den
Platz bringen müssen und der Theater
intendant darin als dienfttuender Kava
lier! Ein köstlich gedeckter Abendbrot
tisch hätte für ihn bereit sein müssen,
statt dessen muß der alte Mann sich zu
Fuß durch den Mob hindurch kämpfen,
und niemand denkt auch nur daran, daß
kr vielleicht hungrig und durstig ist!"
Ich ging zu Jbscn und brachte ihn an
einem Tisch unter.
Möchten Sie nicht speisen?" fragte
ich ihn.
Ja. das wollte er allerdings gern.
Resolut unterbrach ich Professor Han
sens interessantes Kulissengefpräch niit
meiner Frau: Ibsen möchte essen."
Willst du essen?" fragte Hansen,
leicht hingeworfen.
Ja vielen Tan!."
Kellner!" rief der Herr Direkter des
königlichen Theaters, die Butterbrot
karte! Schön danke. Schreibe selbst
auf, was du willst. Braten. Schlack
wurst. Lachs bitte. Willst du viel
leicht auch etwas zu trinken?"
I, dielen Tnk.'
Kellner! Ein Bier vom Faß für
Doktor Ibsen! Mochtest- du vielleicht
auch einenCchnaps?"
Ja. auch den wollte der Ehrengast
reck,t gern.
So bekam Ibsen endlich seine drei
Butterbrote, sein Glas Biet und seinen
Schnaps, wahrend Peter Hansen die
Unterhaltung über die Kündigung und
die Revolte fortsetzte.
Ich erzähle das nicht, um Peter Han
sen. den ich sehr schätzte und der ei in
vieler Hinsicht hochbegabter, liebenswür
diger Mensch war. IwaS Böse nachzu
sagen. Allein er hatte, im Gegensatz
zum Beispiel zu den Schweden, kein Ge
fühl für korrekte Formen, sonder be
nahm sich wie ein burschikoser Student.
Weder ihm noch dem sonst unzeheuet
zeremoniellen Intendanten Graf Tan
neskold-Tamsöe war Z eingefallen, daß
das königliche Theater seinem Ehrengäste
gegenüber noch andere Verpflichtungen
hatte, als ihn einer nicht sonderlich span
nenden Ausführung der Wildente" von
der Hosdamenloge aus beiwohnen zu las
sen. Ten nächsten Tag war ja das
große Diner das genügte.
Kielland fch'äumte immer noch vor
Entrüstung, und ich hatte Mühe, ihn an
einem Skandal zu verhindern.
Bescheide saß Ibsen an einer Ecke
des Tisches hinter seinem Butterbrot
teller. Viel sagte r nicht.
Unterocffen tobte die Menge draußen
llf dem Platz, und an den Fenstern, die
unserem Tisch zunächst waren, sah mag
vlattzedrüZte Nasen.
nannten großen Sprünge der Entwick,
lung. Aber ist das das Wesen der Kul
tur? Kultur ist, im tiefsten und edelsten
Sinne verstanden: das Herausarbeiten
eines Hähern Menschentums. Wie sehr
dabei bedeutende wissenschaftliche und
technische Erfolge unbeteiligt sein können,
wissen wir nunmehr aus eigener schmerz
licher Erfahrung.
Unter dem Eindruck des dicsiährigen
ReformationZjubilLiims dnrs ich wohl
als erhärtendes Beispiel die Reforma
tion anführen. Sie war eine Kultur
tat, sie war die Befreiung vom
Joch der gebundenen Unpersönlich
kcit. das über dem Mittelalter lastete.
Aber was damals eine Schar von
Geisteskelden als Licht auf den Laich
tcr stellte, ist nicht überall hin- und
durchgerungen, auch innerhalb der Pro
tcstantifchen Welt nicht. Es muß sich
noch in lange Zukunft hinein Bahn
brechen, muß 'noch auf weiten Wegen s
unendlich viel Blindheit, Gebmtdenheit.
Knechiseboft, die oft gerade von vielen
neuzeitlichcn Erfolgen heraus Scfch'.vo ren
wurden, in den Grund breckzen. Es
braucht noch ein großes Maß von Zeit,
von Kämpfen und Leiden, bis endlich die
Persönlichkeit, bis endlich die Seele deö
Menschen frei geworden ist. Einzelne
können in kubnem Kedankenflug und in
heroischer Tat Jshihundcrte überfcdre!
ten und vorauseilen. Aber sie muffen
lanffe, lange warten, bis die Zeiten der
Ernte kommen. Solches muß sich wahr
hastiges Denken immer sagen, und so
müssen sich auch die Gedanlcn und Hoff
nungen um den Frieden daraufhin ein
Unaufhörlich wurde nach Ibsen gern
fcn.
Ich wandte mich an Hansen: Ob es
nicht nötig ist, daß Ibsen sich dem Pu
blikum zeigt 5 Eher gehen die Leute
nicht weg,"
Ach. Unsinn," sagte Hansen, .lassen
Sie sie schreien, was soll uns der Hum
bug?" Und er redete weiter von Man
zius' Kündigung.
Nach einer Beratung mit Kielland
agte ich zu Ibsen: .Ich glauoe. Sie
ollten aus Ihren Baikon hinausgehen
und sich den Leuten zeigen. Man will
Sie sehen wären Sie dazu bereit?"
Ja, sehr gern." antwortete Ibsen.
So unöemerlt wie möglich führte ich
ibn aus dem Lokal. Trauen an der
Tür wartete mein Freund Heene, der
bereits den ganzen Abend ,iof das ge
faßt war, woS nun kommen sollte.
Herr Doktor," sagte er. erlauben
Sie. daß ich das ordne . . ." Wir sian
den vor der Tür zu Ibsens Gemächern
uns Heene rief vier Kellner.
Jetzt. Herr Dottor, gestatten Sie.
daß ich Sie durch den Salon auf den
Ballon führe."
Ibsen überließ sich willenlos Heene.
Er stand völlig unsichtbar, da das Zim
mer hinter ihm im Dunkel lag.
Und jetzt, Herr Doktor, bleiben Sie
tuhig so stehen, während ich mich zurück
ziehe, und wenn ich drei! sage, treten
Sie vor und grüßen Sie!"
Inzwischen standen die vier Kellner,
jeder an einem Lichttoniakt. Herr Heene
stellte sich wie ei Felsherr in den Hin
tergruied des Zimmers, und zählte:
Eins zwei drei!" In demselben
Augenblick drehten die Kellner die Lich
ter aus der Salon und der Balkon
leuchteten in strahlender Helligkeit. Jb
se trat einen Schritt vor und entblößte
das Haupt.
Ein Sturm von Hochrufen und
Händeklatschen brach los.
Auslöschen!" befahl Herr Heene.
Und nun noch einmal: Eins zwei
drei!"
Ibsen in bengalischer Beleuchtung.
Ein neuer Orkan von Begeisterung.
.So, da genügt, glaube ich," sagte
Heene, nun haben die Leute, was sie
wollten. Jetzt werden sie wohl nach
Hause gehen."
Noch einige Minuten dauert: draußen
der Lärm. Als man jedoch merkte, daß
die Vorstellung unwiderruflich zu Ende
war, zerstreuten sich die Scharen.
Allein die Ovation hatte Ibsen Spaß
gemacht. Sicbtlich erheitert trat er in?
Zimmer zurück. Bald darauf ging er
zu Bett.
Ter erste Festtag war vorüber
,chw r!t)
stellen. Die Hoffnung, die unS jetzt Über
alle geht, erfüllt sich nicht von heute auf
morgen.
Der Wert der praklifck)en Arbeit am
erwarteten, allgemeinen Vötterfricden,
an einem neuen friedlichen Neben und
Miteinanderlcben und schassen der L!öl.
ker, ist nicht zu verkennen. Alle diese
Testen bunc.cn. Bemühungen und Opfer,
olle diese Studien und Kongresse sind
dankbar zu begrüßen. Sie bringen
Kllirung und vertiefen die Erkenntnis
Hessen, was nötig ist. Aber sie brin
gen den Frieden nicht. Da ist es im
großen wie im kleinen. Richt wa du
tust, welche Erfolge du hast, welche An.
ertennung du erntest, nicht darauf
kommt es an. Sondern was du bist,
das ist die Hauptsache. Tarin muß da
Eigentliche deiner Wirkung und Geltung
liegen.
Im großen: Nicht was wir unterneh
men und tun siir den Frieden, kann den
Frieden bringen. Der Friede kommt
allein, wenn wir an ihn glauben, tvenn
wir ihm innerlich mit unsern An
schauungen und Hoffnungen als etwa
Notwendigem und Selbstverständlichem
entgegenlcbcn. Er quillt aus tiefsten,
verborgenen Quellen. Da muß die Ar,
beit einsetzen auf breitester Linie, in der
Politik, in der Presse, im Heer, in der
Schule. Wir müssen fähig werden, di
Mittel von den Zwecken zu unterscheiden.
Aller nationale Aufstieg, auf welchen
äußerlichen und innerlichen Gebieten k
erfolgen mag, ist Mittel zum Zweck, daß
allüberall das Menschliche frei werde.
Der Mensch hat keine andere Tascinsbe
stimmung, als Mensch zu werden und zu
sein, zu sein das. was er ist. Wir wer.
den nie frei werden, wenn dieses allem
Wesentliche nicht sieghaft in uns aus.
leuchtet und durchbricht. Sonst werden
wir ewig an Ketten der Knechtschaft zu
schleppen haben; der Fluch der Unwahr
beit, des Irrtums wird uns ewig trcf
sen. Der Friede wird nie kommen.
Nur wenn der Gedanke on den Menschen
Gestalt und Macht gewinnt, nur wenn
der Glaube an die Befreiung und Er
Hebung des Menschlichen als an daS
allein .Hauptsächliche in den Vorder
gründ tr.tt, dann springen und sprudeln
die Quellen der Wahrheit, der Brüdern
lichtet!, kr Versöhnlichkeit. Dann
bauen sich Brücken von Land zu Land,
von Mensch zu Mensch. Taun erst lün
det das neue Morgenrot sich an.
Und liegen nun nicht da für alle gci
fügen und politischen Führer der Völker
herrliche Aufgaben bereit? Finden sich
nicht da tausend und abertausend Gele
gcnheilcn, wo das Leben wieder zur
Freude wird? Muß so nicht jene fürch
terlich Lähmung des Willens schwinden,
daß ja doch all: Arbeit nur bestimmt sei,
Menschen zu vernichten? Steht so nicht
das Leben in verheißender Fülle und
lockender Tchönheit vor uns? Arbeiten
wir doch daran, neue Menschen zu wer
den, die nur d?s eine kennen Uiid wollen.
Menschen zu sein, Menschen im Sinne
schönster Ahnungen und seligster
Träume, fcn für höchste Gedanken und
edelste Ziele.
Ist diese Wahrheit so neu? Vor bald
drei Jahrtausenden hat Laotse, der be
deutendste Weise Chinas, seinem Volke
gesagt: Nicht Reformen, nicht Gesetze
machen es und nicht die Eile, die Ge
schäftisteit und Betriebsamkeit. Allein
daher kommt das Gute und damit daS
Heil für die Volker, daß ihr Mcnsche
siid, die mit den Urquellen d,s Guten,
die hinter allem rauschen, in Verbindung
st e he n. -
Und wenn jetzt auch unüberwindliche
Schranken zwischen den Menschen, zwi
scheu !Uassen und Völkern ausgerichtet
scheinen, das Menschliche wird" siegen,
wenn es uns die -Hauptsache wird. EZ
ist ja so viel Sehnsucht danach und auch
so diel Fähigkeit in uns dafür vorhan
dt. Kürzlich las ich in dem Buch ines
vruriajcrl izealcriqriirnkiter eine
Reihe von Aussätzen übet ausländische
Tick! und Schauspieler. Das Auch
erschien 18B. Tiefer Geist darin, der
überall das menschlich und lünstlerisch
Lkdeutcnb: anerkennt, wird allerorts
wieder erwachen.
Aus der Sehnsucht, aus der Anlaaz
muß durch unsern Willen und unsere
Arbeit ein heißer, leidenschaftlicher, un
widerstchlicher Glaube werden. Aus ihm
erwächst die reue Zukunft. WaS wkr
glauben, wird Wirklichkeit werden. Der
kommende Friede, der große VLIkerfriek
steht und fällt mit unserm Glauben on
ihn.
önig lU,d Logcnschlikßer.
Für gewönhlich ließ König Friedrich
Wilielm IV. bei den Scparat-Vorstcl
luugcn in Potsdam nur Lustspiele aus
führen. Einst befahl der König jedoch
die Aufführung eines Trauerspiels, das
ein Gelehrter, der ihm von einflußreicher
Seite sehr empfohlen worden war. ge
schrieben hatte. Tas Stück war herzlich
langweilig, und nur mit Mühe hielt der
König drei Akte des fünfakiigen Trauer
spiels aus. Ter dritte Akt war noch'
nicht ganz zu Ende, als er sich rhob.
Ter damalige Generalintendant Botho
v. Hülsen össnete die Tür der Loge, um
dem Könige das Geleit zu geben. Ter
Logenschließer, der hinter der Tür sag
und nicht wissen konnte, daß die Herr
schaften inmitten eine! Akte aufbrechen
würden, war sanft und selig entschlum
mert, was sein ziemlich laute Schnar
chen unzweideutig verriet.
Hülsen wollte den Pflichtvergessenen
wecken, doch der König wink'e ob und
sagte lächelnd: Lassen Sie ihn nur, der
Arme hat gewiß gehorcht."
Der mitleidigste Mensch ist der
beste Mensch, zu allen gesellschaftlicheii
Tuenden, zu allen Arten der Großmut
der aufgelegteste. Wer nl olsg mit
leidiger macht, macht uns besser uns
tugendhafter.