Tägliche Omaha Tribüne. (Omaha, Nebr.) 1912-1926, September 07, 1917, Image 7

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    Tägliche Omaha Tribune
Der Linjam.
Erzählung von S. VarZnkay.
i
Wie zugcdappt war dem Dolf der
Schnabel gewesen, Kein Wort hat er
gesagt, daß die Amei gern sieht. Zu
niemand. Auch zu'ihr nicht. Sie hat'
.,-eilich aui seinen nufzsarbenen Augen
pemerkt, die hinter ihr her waren, wie
die braunen Gucker eines hungrigen
DackclZ. Aber geredet hat er nicht.' Und
die stille, sanfte Amei war nicht die, die's
ihm herauslocken hätte können. Ihm
mit einem leichten StuPZ die Zunge
lösen, da vermochte sie nicht.
Zudem war sie armer Leute Tochter,
und er sah als Selbständiger mit seiner
alten Mutter in einem schmucken Gut
chen. Vielleicht w o l l t e er darum nicht
sprechen. ES gibt Menschen, die alle
Liebe verschlucken und verstecken nur dcS
Vorteils willen. Dolf gedachte Wohl eine
Wcrmögliche zu heiraten!
Sie drückte deshalb die Warme, die
bei seinem Anblicke in ihrem Herzen
aufstieg, tapfer hinunter und, war eifrig
beflissen, ihm und keinem zu verraten,
wie teuer er ihr war.
So kam's, daß eineZ TageS der
Matthias Johl, als er bei ihren Eltern
um sie anhielt, das Jawort erhielt. Auf
wa! sollte sie warten? Batcr und Mut
ter waren selig, sie von der Schüssel zu
bringen. Dolf würde früher oder später
eine kronenschwere Bäuerin auf feinen
Hof setzen; sie nicht, gewiß nicht! Also
ein Ende all den zitternden Hoffnungen,
den bitteren Zweifeln!
Matthias war ein flotter und saube
ker Bursche und sie konnte stolz auf ihn
fein, wenn er auch nichts besaß als ein
fast armseliges Häuschen. Er hatte in
Wien bei einem Kavallerieregiment ge
dient und war als Mann von Manieren
zurückgekehrt, die dem ganzen Dorf im
ponierten. Eigentlich war er Holzfäl
ler; aber wie selten nahm er die Akt
über die Schultern. Etwas anderes trug
ihm die runden, glänzenden Füchse ein.
Oft und oft ging er als Führer mt den
vornehmen Herren in die steirischen
Berge auf die Jagd. Gewandt, intelli.
gent, frisch und froh, war er jedem ein
ngenehmer Begleiter.
Nach sechs Wochen schon hielten sie
Hochzeit. Matthias hatte es sehr eilig,
nd Amei war nicht dagegen. An einem
lenzschönen Apriltag traten sie an den
Vltar. Viele 'neidische Auqen ruhten
uf der Braut, die mit dem Kränze!
im blonden Haar an deS hochgewach
jtjenen Manne! Seite stand.
! Sie war eine weinende Braut. Das
, beuteten die Leute gut. Tränen am
, Hochzeitstag, das gibt Lachen in der
(5hc! Sie begriffen nur nicht, warum
,'die Amei weinte. Um die Armut da
heim brauchte ihr doch nicht leid zu
sein! Und sie blieb ja im Torf! Konnte
Vater und Mutter jeden Tag sehen!
Und den Matthias mußte sie doch gern
haben, den hübschen, feschen Burschen,
!der manchem Mädchen mit Mitgift will,
kommen ewesen wäre! Sie weinte eben.
Man fragte sie nicht allzulang, warum?
' ?Z war Amek selbst nicht ganz klar,
Mrum ihr die Tränen flössen. Gleich
zu Anfang der frommen Handlung
Zhatte sie mit einem Blick seitwärts ge
schaut, und da schoß es ihr heiß durch
ven Sinn: Wenn Dolf so neben mir
stünde?!
Der Gedanke war wie ein Wunsch.
Durchs Herz ging ein Stich und die
Augen begannen zu tropfen. Sie faßte
sich zwar und war ganz bei der Zere
monie, gelobte mit warmer Aufrichtig
Zeit dem Manne neben ihr Treue und
Ergebenheit. Aber die Tränen liefen
Immerzu.
Warum flennst,
, Matthias. .Sollst
Zbet mir!
Sie wischte und schluckte und lächelte
Zhn an, als er den Neif an ihren Fin
ger steckte.
Der Zug ging aus der Kirche über
den Friedhof. Die Musikanten voran
zbliesen einen lustigen Marsch, das Hoch
zeitspaar schritt Hand in Hand mitten
. unter den Gästen. Bunte Bänder flat
jerten, Kinder jauchzten, die Finken
schmetterten ihren fröhlichen Schlag
dazwischen.
Da mußte Amek nach rechts blicken.
IHinter einem Grabstein stand Dolf, die
braunen Augen brennend auf sie gerich
iet. Die Braut wurde kalkweiß und
Zehnte sich an Matthias.
Was hast, Hascherl?" sagte der und
legte den Arm um sie.
Eine Fledermaus!" log sie. Die
Zbringt Unglück!"
.Geh, wai dir einfällt! Die Schla.
Hauben lassen sich um Mittag nit sehen!
Hast di verschaut, es war gewiß ein
Spak! Oder ein Schwalberl, Schatz,
has Nester! .bauen will, wie wir!"
Die Leute, an denen Amei vorbei
Wußte, tuschelten: Es is ihr übel wor
den von dem dumpfen Geruch in der
Kirchl' Und die hinter ihr waren, wis
selten: .Die Liab! Wie sie sich halten!"
'DaS Häuschen der jungen Ehcleute
V , siebt mit der Rückseite gerade nach Dolss
Hof. Kaum dreißig Schritte ist ei ent.
f ernt. Wenn sie abends' vor der Tür
sitzen, wo Matthias unter einem krum
- men, malerischen Hollcrbaum eine Bank
nebst Tisch aufgeschlagen hat, liegt das
niedliche Anwesen etwas erhöht stehend,
im letzten Abcndlicht vor ihnen. Es ist
still zu allen Zeiten drüben.
Einen kuriosen Nachbar haben wir.
gel, Amei! Laßt sich uit schauen und
nii hören. Magd und Knecht gehen
nach Feierabend vom Hof, weil' ihnen
daheim zu tot is. Die alte Mutter betet
in einem Winkel ihren Rosenkranz und
der junge Bauer sitzt an einem Fleck wie
in Bildstöckl und schaut in den Him
mcl, als wollt' er die Englein seh'n und
ihnen das Fliegen ablernen! Nur
Zithernschlagcn tut er manchmal, aber
recht traurige Stücke, und singen dabei
wie ein Grabsänger! II ein Sonder,
ling der! War schon als Bub ein sol
eher. Der Schnabel ging ihm nit auf.
weder zur rechten roch zur nnchtea
Amei?" flüsterte
es ja gut haben
Zeit! Wie ein traumiger Lalatz is er
, herumgestanden, wenn wir gespielt und
gejuchzt haben. Spater hatten die hub
schen Madeln im Ort vor keinem mehr
Ruh' als vor dem Leimsieder. Konnt'
längst ein Weib haben, dann tät's doch
ein wenig lebendig werden im Haus!"
Amei nickte still mit dem Kopf. Da
Gespräch machte sie beklommen. Sie
wollte von Dolf nichts sehen und hören
und gar nicht denken an ihn. Was ging
er sie an! Sie war ein ehelich' Weib,
hatte ihr Tagwerk und ihre Pflichten
und wollte sich nicht mit etwa beschäf
tigen, was sie unruhig machte.
Dolf hatte ihr nichts zu sagen gehabt!
Daß seine Augen hinter ihr einmal
nachgeschlichen, war vorbei. Es war ge
wiß anders gemeint gewesen, als sie
vermutet hatte! Und sein Aussehen an
ihrem Hochzeitstage war gewiß nicht so
schlimm gewesen. Sie halte sich's ein
gebildet, oder es war ihm vorher weiß
Gott was über die Leber gekrochen!
Was sie selbst sllr ihn gefühlt, hatte
sie weit zurückgeschoben und zugedeckt.
Sie wollie es vergessen. Das war ihr
Vorsatz schon vor der Hochzeit gewesen,
und es war ibr leicht geworden, ihn
auszuführen, denn Matthias war ein
guter Mann. Wohl ein bißchen lcich,
ten Sinnck, aber offenherzig und immer
froh und vergnügt. Wenn er nicht fort
war, in den Bergen mit Fremden oder
im Wald bei der Arbeit, dann klang
fein Pfeifen und Singen den ganzen
Tag durchs Haus, und man hörte es
weiter als dreißig Schritte.
. In das Pfeifen und Singen mischten
sich bald andere Töne. Ein gesundes
Kindlein schrie und kreischte und krähte.
Es ging laut und lustig zu. Wie ein
stilles Klöstcrchen stand der Bauernhof
daneben.
Eines Tages starb die alte Mutter
DolfS. Amei und Matthias waren
beim Begräbnis.
.Nun wirst wohl bald heiraten?"
meinte Ameis Mann, als sie nachher ein
paar tröstende Worte zu dem Sohn
sagten.
Der junge Bauer lächelte schwach.
0 nein!" enlgegnete er. .I bin ein
Einsam und bleib' ein solcher. Es is
mir gut dabei!"
Er hob kaum den Blick. Sie reich
icn sich die Hände. Das junge Weib
sllhlte einen Moment lang seine eiskalten
Finger in ihren lebenswarmen und
schauerte.
Matthias schüttelte sich lachend, als
sie weg waren. .Prrr! Mit den weh
leidigen Augen! Tr hat die schwarze
Mlancholei!"
Amei lachte nicht. Sie ging schwei
gend nach Hause, Matthias mit den
andern Männern zum Trinken.
Er saß überhaupt gern am Wiris
tisch. Einen lustigen Menschen leidet's
nicht lange im engen Htfm; er braucht
Genossen und Publikum für feine
Schnacken und Schnurren. Matthias
war das Einkehren von seinen Wände
rungen in den Bergen gewöhnt.
' Eine Zeitlang genügten ihm wohl
Weib und Kind ganz. Aber dann zog
es ihn mehr und mehr in die Schenke.
Es ließ sich dagegen nichts sagen. Er
gab nicht mehr aus, als er durfte und
er versäumte keine Pflicht.
Amei war an vielen Abenden allein.
Sie ging zu den Eltern nd diese be
suchten sie; doch sie saß trotzdem man
ches Stündlein einsam unter dem Hol
lcrbaum. Da kamen allerlei Gedanken
übe.- sie, die besser ungedacht geblieben
wären. Und die Einsamkeit schwächte
ihren anfänglichen Widerstand.
Hatte Dolf sie nicht doch am Ende
gern gehabt? Seine Augen! Wenn sie
sich die vorstellte, so tief und dunkel und
sprechend, dann überfloß es sie heiß und
bang. Ihr Verstand sagte ihr freilich:
Du hast geträumt! Sein Mund ist doch
stumm geblieben! Doch ihr Herz klopfte
anders: Ja, er hat dich lieb gehabt!
Und die Neugier frug: Tut er's noch?
Bin ich ihm noch' etwas wert? Es sitzt
I. heute noch keine Bäuerin auf seinem
Hofe.
Auf welch' gefährlichem Wege sie war,
daS spürte sie minutengleich, wenn ihr
Mann heimkehrte und sie aus ihren Ge
danken heraus in sein frisches, froheö
Gesicht sah. Da war sie doppelt freund
lich und liebevoll.
Hatte er daS HauS wieder verlassen,
kroch die Versuchung aufs Neue an sie
heran, und sie grübelte wieder. Das
lachende, lallende Kind verscheuchte un
tertagS wohl die Gefahr, aber abends
schlief es im Vettlein, und die einsame
Mutter verfiel ins Sinnen. .Hat Dolf
mich liebgehabt? Liebt er mich noch?
Diese zwei Fragen übten einen unwidcr
stehlichcn Reiz auf sie aus. Auf sie
konzentrierten sich nach und nach ihre
Gedanken und ihre Begierden.
Der Frühling hatte bereits seinen
Einzug ins Tal gehalten. Erstes Grün
war an den Zweigen und über die Wie
scn und Hänge gebreitet; der lichtblaue
Himmel prahlte in den glänzenden
Spiegeln der frosifrcicn Gewässer wider
mit duftenden Kelchen und rosigen Säu
men blühten Veilchen und Maßlieb; auS
ollen Vogelkchlen klang der Jubel. Nur
auf den nahen Alpen leuchtete winterlich
noch der Schnee.
Der Hollerbaum hatte tellcrgroße Blü
tenfcheiben und sendete würzigen Geruch
aus. Eine Amsel sang abends in den
Zweigen, Aber nicht der lauschte Amei.
Im Gegenteil. Sie verscheuchte mit
flatternder Schürz den schwarzen Vo
gel.
Dolss Zitherspiel tönte herüber, und
S war ihr, als hebe sich dazwischen
seine Stimme.
Sie schlich so nahe hin als möglich
und horchte angespannt. Nach einigem
Proben und nach einleitenden, schwer
mütigen Akkorden begann er nun. Kein
Laut entging ihr in der stillen Abendluft.
Ein Lied der Sehnsucht sang der Ein
sam, ein Lied vo jchn Blumen, die
an unzugänglichen sselsen blühen, von
der Sehnsucht, die da am größten, wo
der See am tiefsten, die Bergwände am
Ichroffsten sind.
Der letzte Ton verhallte, dann blieb'
stumm. Ameis Wangen brannten, ihr
Herzschlag jagte. Jetzt hatte sie die
Antwort!
Aber auch noch anderes offenbarte
sich ihr: heiß stieg in ihr ein Etwas
auf. da! sie mächtig hintrieb zu dem
einsamen Mann.
Sie flog ins Haus zurück und an
da Bett ihre Kindes. O, ott', nur
nichts mehr, denken und fragen, nichts
mehr fühlen! Sie hatte Treue gelobt,
die wollte sie halten, auch im Herzen,
Matthias war ihr ein redlicher, braver
Mann; n ihn wollte sie sich klammern
mit aller Kraft und sich um jenen andern
nicht mehr bekümmern!
Nur hinunterdrücken, was da empor
wollte zum Licht und Leben, und wenn
eS auch harten Kampf kostete. DaS war
die Strafe für ihre lüsterne Begier!
Welch ein Frevel, als Mutter dieses
unschuldigen KindlcinS warm für einen
andern Mann zu empfinden, als den,
der ihm Vater war!
Matthias fand sie weinend, als er
heimkam.
Beim heiligen JcsuS, Amei, waS
hast?'
Sie hing an seinem Hals. .I hab'
Ml g furchtet! Du sollst nimmer fort
gehen, so auf die Nacht!"
Schallend und gutmütig lachte er.
Bist etroan ein Schulmadel worden,
Amei? Furcht'! Das darf i nicman
den sag'n, sonst wirst ausg'lacht! Das
mußt dir abg'wohnen, Frau! Da
könnt' i ja nimmer fort mit die Herr'n.
Schau, morgen geht's mit einem Vor
nehmen in die Berg'! Die Birkhähnen
kollern! Die will er jaqern, und dag
is eine große Plag'! Leicht bleib' i
etliche Tage aus. Wenn du di da furch
fest ? Geh. Amei, jetzt schämst di schon!
Uebrigens könnt' i ja den Einsam
bitten, daß er sich ein wennerl annimmt
um di! Das tut er wohl!"
Sie spreizte abwehrend die Hände.
Na, na, warum?"
I brauch' niemanden! Mir war
nur ungut heut', und da hab' i mir ein
bildet, i fürcht' mi!"
Scherzend drohte er ihr mit dem Fin
gcr. Am nächsten Mittag holte ihn ein
stattlicher Herr mit Rucksack und Gewehr
ab, und sie wanderten fort.
Nach achtstündigem, beschwerlichem
Kraxeln und Waten kamen sie todmüde
an ihr Ziel: eine Almhllite, in der sie
rasteten und nachteten.
Am frühesten Morgen brachen sie auf
und schritten im Granduft der Däm
merung weiter. Es hieß noch eine Weile
scharf ansteigen, dann wurde es ganz
licht um sie. Nur struppiges Knieholz
gedieh hier noch, und das lag verschneit.
Plötzlich stutzten sie, und Entzücken
rieselte wärmend durch ihre Adern.
Ganz in ihrer Nähe grübelte ein Hahn.
Schon brachte in einem günstigen Augen
blick der Jäger das Gewehr in Anschlag,
als ihm Matthias die Hand nieder
drückte.
Ein zweiter Spielhahn slog zu. und
ein toller Zweikampf begann. Die Flü
gel klatschten; unter Anspringen und ge
genfeitigem Zerkratzen stoben die blauen
Bruftfedern lustig herum; sie hieben mit
den Schnäbeln, stießen mit den Stän
dein.
Ein doppelter Blitz und doppelter
Knall. Puwerdampf verhüllte die Strei
tenden. Als er sich verzog, lagen sie
getroffen, im letzten Kampfe mit den
Flügeln schlagend, da.
Es war ein Meister und Glücksschuß
gewesen. Vergnügt steckte der Jägers
mann die zwei prachtvollen, blauschmarz
befiederten Vögel in seinen Nucksack und
selig mit der Beute zogen sie weiter.
Es war vollends hell geworden. Für
heute war auf keinen Hahn mehr zu
hoffen. Sie durften auch mehr wie zu
frieden sein. Wie oft sind alle Mühen
ohne Resultat. Auf einem Umweg ge
dachten sie abzusteigen.
In der Totenstille tönte nur selten
der schrille Schrei eines hungrigen
Raubvogels, der über den Schluchten
kreiste. Beißend und 'scharf wehte die
Luft; der Schnee ächzte und knarrt,.
Der Hauch ging wie ine Dunstfahne
unruhig von ihrem Munde. Stcifgcfro.
ren, Eiszapfen in den Barten, gelangten
sie auf den Bergkamm und schritten
hintereinander vorwärts.
Eine finstere Wolke hing dicht über
ihnen. Der Wind erhob sich und strich
schneidend über die Haut. Nach fünf
Minuten setzte jäh ein wilder Wirbel
wind mit heftigem Schneegestöber ein.
Schnell Deckung gesucht! Sonst
sind wir verloren!" schrie Matthias
und schob seinen Herrn hinter ein kiim
merliches, verkrüppeltes Tannenbäum'
chen, daS dieser krampfhaft umklam
werte. Ihn selbst drehte es ein paar
mal. dann schlug er zu Boden, halb
geworfen tm Winde, halb freiwillig.
Der Orkan hätte ihn In die Tiefe ge
schleudert.
In einer Viertelstunde waren sie im
Schnee ganz begraben. Von Zeit zu
Zeit, wenn daS tolle Wehen ein wenig
nachließ, richtete sich Matthias auf.
chütielte und rieb sich, stampfte und
chlenkerte und der Herr machte es eben
o. An ein Weitergehen war nicht zu
denken, und sie fürchteten, zu erfrieren.
Eiskrusten überzogen Gesicht und
Hände der frische Schnee klebte, wenn
sie sich erhoben, wie ein milchweißer,
gläserner Ueberzug an ihnen. Sie
schwankten und taumelten wie steife
Pfosten, die keinen Halt hatten, und
fielen jedesmal schwer und dumpf und
unvermittelt nieder. Die Stimmen,
mit denen sie sich anriefen, lallten und
röchelten. Keiner verstand den andern.
Der Sturm tobte, pfiff, heulte und
warf die Flocken durcheinander, die in
unheimlicher Menge kamen. Sie häuf
ten sich beängstigend schnell, füllten Lü
cken und .Gruben, rundeten Spitzen,
Pfeiler und Zacken und verhüllten die
Flächen in drängender Eile, als könn
ten sie nicht erwarten, allcS, was da
zum Himmel ragte und was lebte und
atmete, einzudecken, , sanft Ruh,
Matthias und der Jäger kehrten nicht
mey, yeiml ...
,
Als der Mai seinen Blütenschauer in
daS Tal schüttete und die Berge wieder
zuganglich wurden, brachen einige ge
wandte Kletterer auf, um die Benin
glückten zu suchen. Auch Dolf war un
ter ihnen. Nach langem Umherirren
fand man die Körper der beiden Man
ner in einer Schncerinne. Am selben
Tage noch nahm sie ein geweihtes Grab
im kleinen Friedhof auf.
Ameis Schmerz war groß und aus
richtig, denn Matthias war ihr wert
gewesen, wenn auch nicht so ficht, wie sie
legt im iscymerz waynke.
Dolf hatte sichals Nachbar ihrer so
fort angenommen und sprang ihr bei in
Dingen, von denen sie als Frau nichts
verstand. Sie sah ihn gleichmütig ein
treten und gehen; ihr Herz zitterte nicht.
Es war zu voll von Trauer.
Er schaffte ihr auch Arbeit. Sie und
da Kind hätten nichts zu leben gelxibl
für die Länge. Er ließ ihr aus Wien
eine Nähmaschine schicken, und sie nähte
sllr die Dörfler die schlichte Wäsche.
Sie ließ sich bevormunden und tat,
was er wollte. Das Unglück hatte sie
willenlos gemacht. Aber ihr Verhalten
gegen ihn war ein eigentümlich kühles,
verschlossenes, rauhes.
Als alleS geregelt war, zog er sich wie
der zurück. Sie hauste herüben und er
drüben; selten sprach er über den Zaun
und fragte, wie es ihr ginge. Kcins war
schwatzlustig; sie zeigte sich wohl freund
lich, aber kurz, und vermied es, ihn anzu
sehen.
In einer Nacht klopfte das junge Weib
an den Laden ihres Nachbarn. Sie war
in Aengsten und bat um seinen Beistand.
Denn ihre Eltern waren greise Leute, sie
konnten ihr in nichts mehr helfen. Den
Kleinen warf das Fieber.
Dolf spannte sofort an und holte den
Doktor und dann die Arznei. Und jeden
Tag kam er ein paarmal und trug ihr
zu, was sie brauchte und teilte Angst und
Sorge mit ihr.
In dieser Zeit rückten sie einander
näher. Als das Kind wieder genas,
trippelte cö hinüber und herüber und
war bald dem Einsam so zu Hause, wie
bei der Mutter. Der Name paßte gar
nickt mehr auf den jungen Bauern.
Dann kam es vor, daß Amei das Kind
manchmal holte und er es manchmal
brachte. Das letzte geschah einmal, als
sie an einem Sommerabcnd an ihren
Lieblingsplatz, unter dem Hollerbaum,
saß, der in Laubsllllen strotzte und ein
Nest mit lustigen Finken trug, die fast
slllgge waren und dem jungen Weib um
den Kopf flogen.
Dolf ließ sich dicht neben ihr nieder.
Mit einer gewissen Verlegenheit tat er's
und stotterte einige belanglose Reden da
her, bis er endlich sagte: Amei, es is
viel länger als ein Jahr, daß dein Mann
tot is! Denkst du nit ans Heiraten?"
Sie war erst blaß und wurde dann
rot, sah ihn erst selig-erschrocken an und
senkte dann den Blick.
I weiß nit! So recht hab' i noch nit
dran gedacht!" entgegnete sie läse.
Es is weil nämlich der
Wclserbauer der der hat mi
'fragt, ob du am End' Lust hälfst?!"
Ihr Auge traf ihn wieder, aber der
Ausdruck war ganz starr und ihr Gesicht
wurde jetzt schneeweiß. Plötzlich stieß sie
schroff und hart hervor:
Unnützes G'red! I mag net!"
Sie hob das Kind vom Boden auf und
ging ins Häuschen ohne ein Wort.
Dolf verkroch sich wieder in seine Ein
samkcit. So war also Amei für immer
verloren, wie es ihm schien. Sie konnte
ihren Mann nicht mehr vergessen, mochte
keinen zweiten' freien. Heftig und un
freundlich hatte sie seine Werbung für
den Welscrbaucr abgelehnt, und damit
war so glaubte er auch für ihn
selbst jede Hoffnung zerstört.
Bald hcrbsteltc es. Die Hollunder
blütcn waren zu schweren Beerentrauben
geworden und die Amseln und Stare
naschten eifrig an den schwarzen Früch
ten. Nebel schlichen durch die Dorfgas
sen. Amei saß hinter dem Fenster und
ließ die Maschine klappern. Sie hatte
einen frohen Zug im Gesicht. Sie war
überhaupt eine andere geworden. Sie
scherzte und lachte und wirkte wie ein
junges Madel. Ja, als ein solches war
sie ganz anders gewesen, nicht so rasch,
eher schüchtern und still. Dolf wurde
ganz irre am Charakter der heimlich Ge
liebten. Immer deutlicher gewann er
den Eindruck, als ob sie sich über ihn
lustig mache. Gar nicht mehr sehen
mochte er sie schließlich. Er wich ihr
aus. Und er wäre wieder der alte Ein
sam geworden, wenn nicht das Kind ihn
daran verhindert hätten Das lief halbe
Tage lang bei ihm herum. Er brachte
es jedoch nimmer herüber. Amei mußte
es jedesmal holen, und kam er ihr dabei
bor die Augen, lachte sie übers ganze Ge
sichi.
Er fing an. abzuzehren. Ihre Heiter
keit folterte ihn. Der Verdacht nistete sich
bei ihm ein, daß sie ihren Vorsätzen un
treu geworden und vielleicht einen Lieb
sten habe. In seine Augen stieg merkbar
der Gram.
Einmal traf ihn Amei in der Stube,
als sie umS Kind kam. Sie warf einen
schärfen Blick auf ihn und fragte dann
mit gesenkten Lidern: Du. Nachbar,
was is jetzt mit dem Wclserbaucrn? Hat
er nix mehr g'sagt?"
Sein stilles, mageres Gesicht zeigte
volle Bestürzung. .Der Welserbauer?
Der! Ja nein ! weiß nit! Hast
ihn vielleicht gern? Willst heiraten?"
Du fragst neugierig und brauchst nit
alles zu wissen! I hal nur grad'
g'meint! Geh', sing' mir doch ein Licdl.
weißt du, das von dem Blcamerl, das
nit für di blüht! Du hast ! einmal
g'sunaen früher, und i hab' dir zuge
hört!"
Er wurde feuerrot, holte schweigend
die Zither und sang:
? tcufit kwl a Wranifrt,
iöi w,mdersa ftlün&t,
Lnmd's n,t of an G'wiwd, . .
Z ta Eisig öufifiibntl
3 Irufti wol a $ertl,
7l,g dolla iWn schlaal.
3 die tttfj'n verbot',
To mi Ldert tragt.'
Weißt du, das Licdl stimmt aber jetzt
immerj 6'i schon, a Steig da, mutzt
KnMe redivivus.
Skizze von Georg Xjirfc&fclS.
TWtoe Emanuel Fröhlich hatte im
Sommer des großen Sturmes mit dem
Rock nicht Völlig auch den Beruf wech
sein können! Er war aus heißem Her
zen wieder Soldat geworden, aber der
Schulmeister steckte ihm. wie er mit mil
der Selbstironie lagte, vocy nocy ein me
nia in den Knochen. Er glaubte daS
Ucberbleibscl der Fricdensznt sogar als
Segen empfinden zu können, solange er
auf dem Kasernenhof lernet Mlerziaoi
Kriegsfreiwillige gedrillt hatte. Vor
dieser Mannschaft, die ja ohnehin die
beste für inen plötzlich einberufenen
Vizeftldwebel war, konnte er oft wie vor
gereiften Gymnasiasten stehen und fand
mit seiner sanften und doch so festen
Gründlichkeit das hingegebene Verstäub,
nis akademischer Rekruten. Dann aber
war der Befehl ins Feld gekommen, und
Doktor Emanuel Fröhlich war in ein
Landwehr Ersatzbataillon übergetreten.
Der Abschied von seinen seltsam gewan
delten Schülern, mit denen ihn in aller
körperlichen Anstrengung das geistigste
Band verbunden, hatte ihn schmerzlich
berührt. Aber er war stark genug, vor
allem fein eigener Lehrmeister zu sein.
Das hatte ihm das harte Leben des Ver
waisten beigebracht. Er nahm sich mit
aller Energie vor, seine' pädagogische
Liebe auf die Landwehrmänner, die ihm
unterstellt waren, zu übertragen.
Als er mit ihnen an die französische
Grenze gekommen, war es ihm nicht nur
schon geglückt, sondern er verstand sich
selbst nicht, warum er sich solche Mann
schast nicht immer gewünscht hatte. DaS
war eben der Schulmeisterrcst, mit dem
er jetzt-nicht mehr auslam. Er, zwang
sich ganz in die Erkenntnis hinein, daß
es etwas wie geistige Bevorzugung nicht
mehr gab. daß es ihm nicht mehr gestat
tct war, sich in einen begrenzten Kreis
der Verständigung zurückzuziehen. Hier
ist, unter feinen Soldaten, begriff er
ganz, was das Volk war, das sich er
hoben hatte. Die Opfer für das Vater
land hatten bei Bauernknechten und
Universitätslehrern denselben Namen.
Im Gegenteil, je röter und unvermisch
ter das Blut war, das er entströmen
sah, desto echter schien es ihm aus der
Herzensquelle deutschen Wesens zu kom
men.
Doktor Emanuel Fröhlich wandelte
sich im Felde mehr und mehr. Hätten
ihn jetzt die Damen Klostermarn, in
deren traulicher Pension er gewohnt,
wiedergesehen, sie hätten ihn gewiß nicht
erkannt. Dieser lange, magere PLda
goge hatte etwas Festes, Sehniges und
fast Kraftvolles bekommen. Sein feines,
blasses und sonst rasiertes Gesicht trug
die Maske eines wulstigen Bartes. Nur
die nach Menschenwert spähenden, güti
gen Augen hinter der Brille waren die
selben nh. Die und der Rest, der halb
widerwillig, halb sreudig getragene
Schulmeisterrest, waren des Doktors
Zeichen.
So sah er sich seine Leute an und
lernte sie gründlich kennen. Sie stamm
ten meist 'aus seinem engeren Heimat
land, und er verständigte sich im Dialekt
mit ihnen. Kameradcndertrautheit, die
jeder Stunde sicher war, verband den
Vizeftldwebel mit der Kompagnie. Die
Offiziere wußten eigentlich nicht, warum
der' Lehrer ein so guter Soldat gewor
den hing es doch mit seinem Unsol
datischen, seinem prüfenden Träumer
blick zusammen. Aber der Hauptmann
ließ ' sich am liebsten von Fröhlich über
die einzelnen Leute informieren.
Nur einer machte ihm Schwierigkeiten.
Es gelang ihm, während er mit ihm
durch halb Frankreich zog, nicht, ihn
wirklich kennen zu lernen. Dieser eine
war der Unteroffizier Franz Hinschke.
Es war besonders schwer für Fröhlich,
der inzwischen zum Feldwebel ovan
ciert, daß besagter Hinschke fein direkter
Untergebener war und zu den besten
Soldaten der Kompagnie gehörte. Fcöh
lich suchte sich vor diesem rundlichen,
aber behenden Manne, der mit feinen
blanken Augen immer guter Dinge war.
auf den ersten Grundsatz der Pädagogik
zu besinnen. - Für ihn hatte er immer
gelautet: Erziehe, aber entwickle zugleich
die ' Selbständigkeit deines Schülers.
Nun. selbständig war Franz Hinschke in
so hohem Grade, daß man mit ihm nicht
auskam. Zugleich ober hatte er eine so
begeisterte Disziplin im Leibe, daß alle
Vorwürfe in der Kehle stecken blieben.
nur Kurasch' hab'n; und verbot'n is die
Straß'n jetzt auch nimmer."
Amei. Amei!" Er starrt wie ent,
seht. Weißt denn, daß i dir gut bin?!"
Freilich! So dumm is doch kein
Weib, daß nit merkt, wann'ö ein Mann
gern hat! Warum hast nit g'redet, wie
i noch ein Acadcl war?
Weil i ein Stockfisch war! Ein Dalk!
Weil i eine Zung' Hai wie ein Glocken
Hammer so schwer und ein Gemüt wie
ein Gamsbock so scheu und dumm! Bis
i mich hätt' traut, war's spät! Und dann
hab' i's tragerk müssen!"
Ja, ja! Du bist ein Tiefer, ein Ver
stocttcr, ein G'fpaßiger! Aber i hab'
dich rauskriegt! Der Welscrbaucr, für
den du g'fragt hast, der warst du! Denn
der Richtige, der hat ein Madel feit
Jahr und Tag, und am Kathrcinfcst
feiern'S Hochzeit! AuS feinem eig'nen
Mund weiß i's, und nach mir hat er
nie o'schaut! Lügen kannst doch, du
Lolli! Und verdreht bist ordentlich! Und
Schneid hast keine in der Lieb'! Nit sür
einen Kreuzer!"
Aber gern hab' i dich, Amei! Groß
mächtig gern! Durch und Durch! Jezt
is endlich heraus, Gott sei Dank! Und
du mich?"
I hab' dir' schon g'sagt. Leicht hätt"
können wieder ein anderer kommen, dum
mcs Mannsbild, und du hättest wieder
'S Nachschauen g'habt!"
Von feinen wehleidigen Augen ging
ein Strahlen au, wie von der Sonne,
wenn sie nach einem araucn, düsteren,
kalten Nebelmorgen mit voller Mittags
glut durchs Gewölk dringt! - ,
Hinschke machte oft die ganze Kompagnie
unruhig. Ein flackernder Mut war ihm
eigen, ein rastloser Unternehmungsgeist,
und wenn er eben eine Dummheit zu
machen schien, erwies er sich weiter
schauend als fein Feldwebel. ,
Was sollte man dazu sagen, wenn
Befehl gegeben war, mäuschenstill im
Schützengraben zu liegen, - und Franz
Hinschke, der wie ein Affe klettern konnte,
saß plötzlich in einer hohen Baumkrone?
Er kam zurück und meldete die Stellung
des Feindes. Man konnte nichts sagen.
Ein anderes Mal war der tolltühne
Mensch, statt zu schlafen, bei Nacht er
schwunden, aus dem eigenen Schützen
graben querfeldein in den französischen
hinüber und weiter noch bis zum Dorf,
. wo die feindliche Artillerie stand. Er
kam mit Schüssen in Arm und Bein,
halb tot, aber wild lachend zurück, und
fein Bericht war so wertvoll, daß der
Hauptmann ihn fürs, Eiserne Kreuz vor
schlug. Der Feldwebel Emanuel Fröh
lich war es, der den Tapferen umarmte.
Er konnte durchaus nichts sagen" . . .
Trotzdem blieb ihm die Unsicherheit
vor diesem Manne. Er kam mit ihm
nicht aus. Er konnte ihn auf keine Re
gel bringen das war es, was Ema
nuel Fröhlich nicht z-ur vollen Freude
an einem Menschen kommen ließ. Der
Schulmcisterrest gewiß aber auch
die geheiligte Subordination. Befehl
war Befehl. Wo blieb man im Kriege
ohne das? Umsonst war der Prinz
von Homburg" nicht eine fo schöne Dich
tung. Wenn ein einfacher Soldat aus
wildem Bauerntemverament heraus im
mer wieder den Willen seiner Vorgesctz
ten durchkreuzte! Es durste nicht sein,
auch wenn er recht hatte! Aber Ema
nuel Fröhlich hörte nicht auf, über das
Problem Franz Hinschke zu grübeln.
In den Vogesen wurde mit rastloser
Verbissenheit gekämpft. Immer wieder
ging man im Sturmangriff auf die
Franzosen los Schritt für Schritt
mußte der blutige Boden errungen wer
den. An Fröhlichs Seite kämpfte
Hinschke. Wie. hatte der Lehrer heute
den unerschrockenen Dorfschmied lieb!
Hinschkes Kraft und Ausdauer waren
ins Fabelhafte gewachsen. Und das
Lachen blieb auf feinem Gesicht, das
schlaue Lachen, das fo unberechenbar
war und mit dem der Lehrer niemals
fertig geworden. Die blanken Augen
lockten gleichsam den Feind. Der immer
noch feiste, breitschultrige Kerl schien eine
Behendigkeit zu haben, die an jeder Ku
gel vorbcigliit.
Doch plötzlich geschah eS. Fröhlich '
hatte eben nicht zu Hinschke hingesehen.
Dann merkte er, daß der Unteroffizier
an seiner Seite fehlte; entsetzt sah er
ihn einige Schritte zurück am Boden
liegen. Fröhlich kniete bei ihm, er un
Versuchte ihn hastig es war zu spät.
Er sah ein Ringen in den starken Mann
kommen, das nur der Todeskampf sein
konnte. Verfluchtes Saupack!" knirschte
Hinschke noch. Hat mir doch einer je
kricht! Lassen Se man, Herr Feldwebel
da nutzt nischt mehr! Ick hab's im
Bauch der Kerl hat jewußt, wo daß
ick empfindlich bin! Aber tun Se,mir
noch 'n einz'gen Jcfallcn, Herr Fcldwe
bel! Bitte!'." Fröhlich nickte erschüt
tert. Alles, alls. Hinschke! Sagen Sie
mir " Nehmen Se meine Sachen
. . . Und links da is noch was für
meine Frau ick hab's ihr in Metz
gekauft wenn Se mal jesund nach
Hause kommen bringen Se's ihr
nich schicken das soll erst nachkommen
wenn Friede is als Jrutz von
mir Ach Jott, ick kann nich
mehr!"
Der Sterbende schloß seine Augen.
Fröhlich sah auf die Kompagnie weit
fort er mußte nach, er mußte! Da
schickte ihm das Glück zwei Sanitäts
soldaten vorüber. Fröhlich schrie nach
ihnen sie hörten ihn und kamen. So
konnte er seinen armen Hinschke ihnen
überlassen und selbst mit springenden
Beinen der Kompagnie folgen.
Der Kampf schien auch Fröhlichs
Schicksal zu entscheiden. Der Feldwebel
wurde mit zehn seiner Leute, die nicht
weichen wollten, von den Franzosen ge
fangen genommen. Man verschleppte
den deutschen Lehrer weit. Unter Miß
Handlungen und fast entmutigt kam er
auf den Weg nach Paris, aber die große
Stadt, die er als Sieger hatte erreichen
wollen, betrat er jetzt nicht. Unterwegs
wurde der GefangenenTransport von
deutschen Truppen überfallen. Man
haute die armen Dulder heraus, und sie
wurden selbst dabei nichts weniger als
Dulder. Fröhlich war gerettet. Er folgte
feinen neuen Kameraden. Das Land
wehr-Bataillon, mit dem er ins Feld
gezogen, war nun fern. Er wurde Er
satzmann in einem Regiment an der
Äisne. Aber an seine Leute in den Vo
gcsen dachte er oft. Am meisten an den
armen Franz Hinschke. Alles, was mit
dem Toten zusammenhing, bewies noch
feine tolle Zähigkeit. So hatte Fröhlich
jenes Geschenk, das ihm der Sterbende
für seine Frau gegeben, heil durch die
französische Gefangenschaft gebracht. Es
war ein hübsches seidenes Brusttuch.
Oft, wenn stille Minuten kamen, betrach
tetc der Feldwebel es mit nachdenklichem
Lächeln. Drei Dinge waren ihm merk
würdig daran. Erstens der beträchtliche
Umfang des Tuches, der ihn Hinschke
doch noch für dicker hatte halten lassen,
als er gewesen. Dann der kleine Blut
fleck in der Mitte dort war das Tuch
mit Hinschkes Wunde in Berührung ge
kommen. Schließlich aber ein Bildchen,
das in einen Zipfel eingewirkt war und
einen Soldaten zeigte, der ein Bauern
mädel küßte. Ob daS nicht ein Spaß
gewesen, den Franz Hinschke sich mit sei
ner eifersüchtigen Frau hatte machen
wollen? Ob das Tuch nicht deshalb so
spät erst in ihre Hände gelangen sollte,
erst wenn Friede war"? In ihrer
Wiedersthenshoffnung 1 sollte Frau
Hinsckike noch den leisen Stich von ihrem
bösen Franz bekommen. Ader daö Son
derbarste war er hatte im Sterbe
noch diesen Spaß vor Augen gehabt.
Er hatte ja zu Fröhlich gesagt: .Brin
gen Sie's ihr nich schicken! Da
soll erst nachkommrn, wenn Friede is!"
Nun, Friede war ein anderer für
ihn und der wahre. Fröhlich ober
wollte ihm Wort halten. Noch monale
lang trug er das seidene Tuch mit dem
kleinen Blutfleck, wo Hinschke es ?etra
gen. Es schien ihn zu feien. Als Fröh
lich im November von einem Schrap
nell getroffen wurde, kam er ganz uf
davon. Aber nun mußte er heimwärts
fahren. Der kazarettzug brachte ihn
Anfang Dezember in seine Vaterstadt.
Er erholte sich langsam. Die Pflege
der Damen Klostermann, bei denen er
wieder eingekehrt, brachte ihn auf die
Beine. Mit glücklichem Stolz sahen die
alten Fräulein ihren Ritter vom Eifer
nen Kreuz über die Straße gehen. Dann
hatte Emanuel Fröhlich einen Wunsch,
den die Damen Klostermann nicht ohn
ten. Er wollte seinen Auftrag ausfüh
ren. Er wußte, wo Frau Lina Hinschke
wohnte. Es war ein Torf, daö gar
nicht weit von der Stadt gelegen und
mit einem Bummelzug bequem zu er
reichen war. Von Nachmittag bis
Abend konnte er dort gewesen sein.
Etwas verspätet kam er in die Pension
noch zurecht.
Er machte eine Ausrede, denn in
seltsames Gefühl drückender Erwartung
beherrschte ihn, und er konnte keinen
Mitwisser haben. Brachte er nicht den
letzten Gruß eines , Toten? Kam er
nicht am Feierabend der Liebe, um ihn
wahrhaft zu bestätigen? Mit pochendem
Herzen fuhr Emanuel Fröhlich in daS
dämmernde Land hinaus. Das seidene
Brusttuch und Hinschkes .Habscligkeiten
trug er sorgsam bei sich. Das Dorf mit
feinen alten Schindeldächern lag schwei
gend im Schnee, an den Bäumen glitzerte
das frühe Mondlicht. als ob sie alle,
Tannen, Linden und Kastanien, als
Christbäume ausgeputzt wären. ; -
Ein vermummtes Kind fragte der
Feldwebel nach , der Schmiede. Ehr
fürchtig wurde er hingeleitet.' Aber das
Kind sah ihm lustig in die Augen, und
Emanuel Fröhlich war so ernst gestimmt,
als ob er auf einen Kirchhof ginge.
Deshalb konnte er sich mit seiner kleinen
Führerin nicht unterhalten, sondern sie
nur aus der Zuckertüte beschenken, die
er für Hinschkes Kinder mitgebracht.
Jetzt stand er endlich vor der Schmiede.
Wie oft hatte er sie sich im Feindeslande
'vorgestellt genau so. Dci lag die
Esse mit rostigem Eisenwerk und Zangen
verwaist. Er fah den Schmied vor
sich, in seligen Fricdenszeiten. häm
mernd, singend. Funken sprühten. Das
Essenfeucr spiegelte sich in Hinschkes
blanken, verwegenen Augen.
Er mußte sich zusammennehmen.
Wenn er noch sänger träumte, wurde er
weich und mutlos und kehrte am Ende
unverrichteter Sache in die Stadt zurück.
Er war doch schwach geworden in der
langen Rekonvaleszenz. Hatte ihm nie
gebangt, im tollsten Fcucr nicht, und
bangt ihm jetzt vor einer einsamen,
schwarzgekleideten Frau? Er wollte ja
als Tröster kommen, von draußen, aus
der großen, unerbittlichen Nacht. Nasch
überlegte er noch einmal, wie er sichrer ,
halten mußte. Dabei war er in' den
Hausflur getreten. In tiefster Erregung '
blieb er vor der Wohnungstür stehen.
Durch ihren Spalt schimmerte Licht.
Er hörte auch lustige Kinderstimmen
ja, eine quäkende Trompete sogar, ein
rumpelndes Wiegenpferd. Wie fonder
bar! Trotzdem beruhigte ihn das Be
fremdliche. Sie waren am Ende alle
echte Hinschkes. Fröhlich reckte den
Kopf. Dann klopfte er. Man hörtelhn
nicht. Er klopfte noch einmal. Jetzt rief
man. Woher? Eine Sinnestäuschung
schien ihn zu packen. Er taumelte zu
rück. Herein doch, wenn's kein Schnei
der is!" Er kannte die Stimme! -
Als Emanuel Fröhlich in der Stube
stand, sah er Franz Hinschle inmitten
der Seinen sitzen. Franz Hinschke. wie
er ihn in guten Tagen gesehen. Vier
gesunde, glückliche Kinder tollten um den
'Vater herum. Seine Frau aber war
durchaus nicht als Witwe gekleidet. .Der
Feldwebel!" schrie 'Hinschke und sprang
auf, so daß ihm das Eiserne Kreuz auf ,
der Brust herumtanzte. Wahrhaftig!
Na, fone Ueberraschung laß ich mir jc
fallen!"
Hinschke umarmte Zhn. Das war sein
eiserner Griff. DaS war ein wirklicher
Mensch, kein Geist vom Grabe. Die
Familie umringte Fröhlich, und er hört
mit schlagenden Pulsen, was geschehen
war. Ick bin ja nich dot! Nee, jar
nich! Aber, Herr Feldwebel, erinnern
Se sich doch! Sie haben mir doch an
die Onkels vonZ Rote Kreuz abjejeben!
Dreiviertel dot war ick ja ober im
Lazarett da haben se mir wieder hochje
schustert!" Fröhlich starrte ihn an.
Das hätte ich mir eigentlich denken kön
nen!" Nich wahr?! So leichte
jeht es doch bei Hinschkcn nich?'"
Und dann dann sind Sie nach Hause
gicschickt worden?" .Nee! I wo!
Denn bin ick noch mal draußen jewesen!
Und denn hab' ick noch 'n Jranatsplittcr
an 'n Dcez jekricht! Und Feldwebel bin
ick jeworden!" Das hatte ich mir
eigentlich'denkcn können," flüsterte Froh
lich nochmals. Denn mußf ick aber
bei Muttern! Und nu rzählm Sie
mal! Wie jeht's Ihnen?! WaS haben
Se 'n da? Meine Sachen? Wahrhaf
tig? Meine Sachen?!" .Und das
Tuch. Hinschke!" .Ach Jott. so 'n
treuer Mensch! DaS Tuch! Nun hat
er wahrhaftig ooch das Tuch."
Fröhlich entfaltete es. Seine Hände
zitterten heftig dabei, und die Kerzen des
Weihnachlsvaumes blendeten ihn. Frau
Hinsckike schlang inzwischen das Tuch
um ihren hübschen, runden Körper,
Was is 'n da im Zippcl sür 'n Bild'.'",
Hinschke erschrak ein wenig. Bi'd?
Was meinste 'n. Lina? Ach so! Na ja,
daS haben die Tücher da alle!" J?i t
kam ein Lächeln auf Fröhlich? klcikS
Gesicht. Es steigerte sicb zu einem, sti!--lcn,
zitternden Lacken. Er verstand al!
mäblich seinen Hinschke. Sanft lcnüe
er-die Frau von dem Bilde des küssen
den Soldaten ab. Tann zeigte er auf
einen kleinen roten Fleck in der Mitte
de Tuches: .DaS haben sie ziich! alle."
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