Tägliche Omaha Tribüne. (Omaha, Nebr.) 1912-1926, September 01, 1917, Image 7

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    figlhfe Ciaafä TrlbuKS
WPW
Ja is
Jr I 1
sjin gehört Elfaß-LöthliZigen
Von tz. Iz. vsn Mellenthin.
deutsche Stammeswurzel. Herzogtum 1
saß. Gewaltpolitik Ludwig XIV. Die fran
zösische 'Staatsidee und der elsäfsifche partikula
rismus. Das Glacis. Entwickelung der
Reichslande nad 870. Sehnen nach rcpubli
kanisäer Tlutononüe.
i.
n dcr Etraßburgkr Gemälde
fammlung hängt ein Bild von
Ludwig von Äranier "Alsatia
nntiqua". Dieses Wandbild
konnte als Gegenstück zu 'Aaffacls
.Schule von Athen" gelten, denn es
bringt allch in seiner Komposition und
der Gruppierung seiner Figuren das
Geistesleben einer bestimmten Zeit und
eines bestimmten Volkes zur Anschau,
ung. Auf diesem Bilde .Alt-Elsab"
find die bedeutendsten Männer versam
melt, die um das 14. bis 16. Jahrhun
bat im Elsaß gelebt und gewirkt und
das Land auf lange Zeit hinaus mit
ihrem Geist erfüllt haben. In einer
Beschreibung dieses Bildes heißt es: Im
Mittelpunkt des Gemäldes stehen neben
inander, von links nach rechts: Johann
Geiler von Kaysersberg, der berühmte
volkötilmliche Münsterprediger mit sei
em hager-scharscn Profil; neben ihm
dcr gelehrte Jakob Wimpfeling, in
Schlettstadt geboren, in Strasjburg wir
send, ein hervorragender Vertreter des
Humanismus' er reicht dem langbär
tigen Rektor Johannes Sturm die Hand,
der für das Ctiaßburgei Schulwesen
der Nesormationszcit wirksam war;
neben ihm, in der Stellung eines Reden
den steht sein Namensvetter Jakob
Sturm, der bedeutende Settmeistcr, dem
in jener Zeit dcr Neligionskonslikte die
schwere Ausgabe zufiel, die Stadt
Straszburg und das evangelische Süd
deutschland beim Kaiser zu vertreten.
Rechts von Jakob Sturm hebt sich Jo
ßann Fischaris Halskrause und über
verwegenem Gesicht ein verwegenes Hüt
ichen empor? und bor diesen genial
barocken Prosaisten stellt sich Sebastian
Brant, Stadtschreiber von Straßburg,
der Dichter des Narrenschisss". Links
von Geiler bemerkt man die berühmten
Maler Martin Schongauer und Hans
Waldung: Madonna im Roscnhag und
,GrüncwaldZ Jsenhcimer Altar tauchen
vor unseren inneren Augen aus. Zwi
schen Ociler und Wimpfeling wird dcr
Reformator Martin Buccr mit feiner
yrau sichtbar, hinter denen dcr herrliche
Mystiker Johannes Tauler, der Domini
laner und Volksrcdner, der sich als einer
der ersten dem Lateinischen absagte und
deutsch zu Deutschen sprach, und der
kampflustige Franziskaner ThomaS
Murner in den Hintergrund gedrängt
scheinen. Doch steht Tauler mit Recht
tat Mittelgrund; sein erhobener Arm
keist in die Höhe, wie dahinter der
Münsterturm. Rechts schwingt Johan
es Gutenberg triumphierend ein Blatt,
wahrend sein Fachgenosse Mentelin neben
!hm ein fchwercs Buch schleppt. Etwa
von 1424 bis 1444 hat sich Guienberg
in Straßburg mit Versuchen verschiede
er Art beschäftigt. 1846 erschien bei
Johann Mcntel oder Mentelin in der
Dornengasse, jetzt No. 7, eine vollstän
dige deutsche Bibel und zur Zeit der Re
formation gab es in Straßburg zwanzig
Druckereien.
Das war die Bliitczkit des deutschen
Geisteslebens im Elsaß. Die charakteri
füschen Gestalten dieses Lebens haben,
von Otsried von Weißenburg oder Gott
jrkb von Straßburg an bis in die ?ceu
zeit nach Art und Namen deutsches Ge
dräge.
Von Julius Caesar wissen wir. daS
zur Zeit Ariovists der Germanenstamm
der Tribokkcr im Elsaß gesessen hat.
Dann wurde das Land das Ztampfgc
biet zwischen Germanen, Kelten und Nö
mern, welch letzteren die Herrschaft zufiel.
Gegen die drohende germanische Flut
zogen sie quer durch Südwestdeutschland
einen Damm, den sogenannten Limes.
Mit dem Zerfall dcr Römerherrschaft
bröckelte auch der Damm ob. Die Ale
mannen fluteten ins Land und ihnen
folgten die Franken, die unter Clodwig
die Führung an sich rissen. Die OrtS
amen, die mit .imgcn". d. h. Sippe,
endigen, zeigen ursprünglich aleman
Nische Niederlassungen, die mit heim"
die späteren Herrensitze der Franken an.
Germanisch ist der Grundstock der Bc
d'ölkerung von Elfaß.Lothringen, denn'
auch in den Bogesen, wohin die frühere
keltische Bevölkerung abgedrängt wurde,
weisen die vielen Ortsnamen die auf
kach, berg. tal, bronn. etc. endigen, die
deutsche Herkunst nach.
Auch die politische Geschichte des Elsaß
ist bis nach dem Dreißigjährigen Kriege
vollständig und noch bis zur großen
französischen Revolution teilweise deutsch
geblieben. Herzöge von Schwaben und
Elsas treten schon in der Staufcrzeit
auf. Bon dcr Stadt Hagemu als stau
fischet Pfalz sagt Loren, in feiner Ge
schichte des Elsaß: .Weithin sichtbar
leuchtete der Reichsadler von der Spitze
der stärksten der drei Türme auf dem
dunkeln Hintergrund des Hagenauer
Forstes, wo noch zahlreiche Bäi und
Füchse dem Jagdvergnllgcn der Kaiser
dienten. Ueber dem innersten Eingangs
ior der dreifach ummauerten Feste erhob
sich auf daS beste verwahrt, die Kapelle,
in welcher Kaiser Rotbart die Reichs
lnsignien hinterlegte, zwei Schwerter,
den goldenen Reichsapfel mit dem Kreuz,
den Kaiserlichen Mantel etc. Hier in
der Burg von Hagenau blieb das alles
für den Erben, den gewaltigen Heinrich,
verwahrt, als der Kaiser in den Kysf
Däuser schlafen ging.' aiser Friedrich
II v'rlieh als Reichsvogt im Elsaß Col
jnil feine Mauer und Schlettstadt sein
Stadtrecht. Eine Reihe von Neichsstäd
ten 'blühte auf, an deren Spitze Straß
bürg im Kampf gegen Klöster und Bur
gen die städtische Kraft regte. Das
Elsaß stand, wie geistig im engen Zu
sammenhang mit dem deutschen Kultur
leben, so politisch mitten in den Bei
fassungskampfen, der Reformation und
dem Bauernkrieg. Bernhard von Wei
mar trug sich mit dem Gedanken der
Errichtung eines deutschen Herzogtums
Elsaß. Mehr noch als andere deutschen
Lande wurde das der Alemannen und
Franken hineingcrisscn in die Kata
strophe nach dem Dreißigjährigen Kriege.
An der Schwäche und der Zerrüttung
Deutschlands lnllpste die französische
Eroberungspolitik an. 1552 riß Frank
reich die ehedem reichsdcutschen Städte
Metz, Toul und Berdun an sich. Im
Herbst 1681 fiel auch Ctraßburg dcr
Eroberungspolitik eines Ludwig XIV.
zur Beute; in der Nacht vom 27. bis
28. September übersielen, mitten im
Frieden, französische Truppen die Rhein
schanze, welche das Tor nach Deutsch
land bildete, und unter dem Druck eines
übermächtigen Heeres mußte die Stadt
die Ucbergabe unterzeichnen. ''
Leopold von Ranke, der große deut
sche Historiker, hat auf die Frage eines
Franzosen, gegen wen denn Deutschland
nach dem Sturz des zweiten napolconi
schen Kaiserreichs 1870 noch Krieg führe,
geantwortet : Gegen die Politik Lud
wigs des Vierzehnten." An dieser Poli
tik hat sich der französische Rcvanchege
danke entzündet und mit an ihr der
jetzige Krieg.
Auch unter der französischen Ober
Herrschaft hat sich das Elsaß geistig und
zum teil auch politisch deutsch erhalten.
Deutsche Fürsten übten in einer Reihe
vi Landesteilen Hoheitsrechte auö.
Straßburg rettete ein Stück seiner alten
Verfassung aus dem Zusammenbruch
seiner deutsch-reichsstädtischen Herrlich
kcit hinüber. Goelhe berichtete nach sei
nem Besuch in Ctraßburg (1770) von
dem kerndeutschen Geist der Salzmann
schen Tafekunde. Politisch brachte
erst die große Rcvolution die völlige
Einverleibung des Elsaß in das fran
zcsische Staatswesen. Sie hob samt
liehe noch bestehenden Vorrechte auf. Zu
gleich aber setzte auch die geistige Bear
beitung dcr elsassischen Bevölkerung in
französischen Sinne ein. Die erfolg
reichen Revolutionsideen und dann der
Glanz der napoleonischen Siege began
nen auf die alte deutsche Bevölkerung
einzuwirken. '
Die Revolution und die Zeit des
ersten Kaiserreichs schüfe die Möglich
keit eines französischen Nationalgcfühls
im Elsaß. Dicse Tatsache dars man
bei der Betrachtung dcr Entwicklung des
staatlichen Gedankens und der Orientie
rung der geistigen Richtung im Elsaß
nicht übersehen. Auch bediente sich der
Genius dcr französischen Nation, um
das Elsaß fest an Frankreich zu schmie
den. gewaltsamer Mittel. In einer
Rede vom Jahr 1794 forderte dcr Maire
von Straßburg, der Savoyarde Monet,
daß der .deutschen Barbarei" im Elsaß
der Garaus gemacht werden müsse (die
Tsutschen waren also damals schon, zur
Zeit Goethes, Barbaren), und befllrwor
tcle zu dem Zweck die zwangsweise
Ucbersührung von Elsässern in größerer
Zahl nach dem Innern Frankreichs und
die Anweisung elsässischen Landes an
verdiente französische Soldaten als Pio
nie der französischen Kultur. Wenn
aber auch die überwiegende Mehrheit des
Mittelstand elsässisch blieb, so machte
sich doch in den Schichten der Bcvölle
rung. welche an den BorgänM aktiv
teilzunehmen begannen, die Kraft des
französischen Ctaatsgedankens wirksam.
Damals begann die Tragik des Elsaß
damit, daß es sich, von feinen deutschen
Wurzeln losgelöst und einem fremden
Staatskörper aufgepfropft, in seinem
partikularischen Gehäuse einkapselte. Es
war nicht mehr deutsch, eö wurde nicht
französisch, es blieb elsässisch. Elsässisch
wurde der ausschließliche Vaterlandsgc
danke, an welchem sich 18) Straßbur
ger Jünglinge begeisterten. Im Lied
der Einmweihten". welches zum Abschied
zweier Mitglieder des Freundeskreises
deS Dichter! Arnold vom Pfingstssnn.
tag", die unter die Fahne gerufen wor
den waren, gesungen wurde, hieß es:
Deck brt schwingt mot nun Eure Sech,
(wfuif! bis an ben Rand!
Deu Hut toonl Haupt, keim wibt, Ihr Her
Wecker,
Run glk dem Boterlaiidl
Habt ab acht, datz etwa einer tnflfjn',
Als nid hm fiiarncnlanb.
tn Siotnlnnb ist ferne 6011 der keine
Hier unser AIfaTircmd.
Tu StoslefiiS und feine Heldenmale,
llmfrflmt doin Xannmtmin,
Sie,,,! unser Plckl Ci6 llinsen iic afiili
Und Tir, 0 Saict Nheml
Tu tWnlia itn ew'ge 7rn,e!
Te önm;!, Huf! und Hohn! ,.
tecit S'rüüsr nun Nilch tiefet fdjänm Seife
In iüet Ctflion."
Auch das Kaiserreich vermochte diese
partikulaiistische Vaterlandsidee nicht
auS den Herzen zu reißen. Hatte sich ein
neues Band zwischen dem Elsaß und
Frankreich geschlungen, so war dies der
Napoleon-Kult, welcher in ganz Süd
Westdeutschland mit Inbrunst bitrieben
wurde, ohne daß die Heldenverehil.NA den
nationalen Zusammenhang zu starken
vermochte. Und nach dem Zusammen
bruch deS Helden und des gesamten Kai
serreichs begann die junge französische
Orientierung im Elsaß abermals der
Richtung der Gedanken und dcö Herz
schlage Deutschland zu Platz zu machen.
Jakob Vrimm, dcr Altmeister der deut
schen Forschung, schilderte den Eindruck,
welchen er im Jahr 1814 in Straßburg
gewonnen, mit folgenden Worten: Nach
allem, was ich sehe und höre, scheint mir
das Elsaß und das)Uolk darin von tllch
tigern, lcrngutein, deutschem Schlage. Es
ist so grundfalsch, zu behaupten, daö
Elsaß und sein Volk seien undeutsch ge
worden und gar französisch, daß, wer
etwa von Ztarllule oder Stuttgart nach
Ctraßburg reist, nicht in Frankreich ein
zutreten, sondern aus der Fremde in
eine echt deutsch heimatliche Stadt zu
kommen vermeint, so vertraut sehen
einen Menschen und Häuser n, trotz
aller angeklebten französischen Afsichen.
Die Eisässer gehören zu. unö von Gottes
und Rechtswegen.
Auf dieses Wiedcrauslebcn des deut
schen Gedankens und des Gefühls dcr
Zusammengehörigkeit nüt Deutschland,
wie sie sich schon in den Namen dcr
Städte und Burgcn und in dcr Bauart
der Kirchen und Baucrnhäuscr darstellt,
fiel dcr Reif des Wicncr Kongresses. Die
Politik eines Tayllcrands, welche die
Fortsetzung der Politik Ludwig XIV.
bildete, verhinderte 3813 den Zurückfall
deS Elsaß an Deutschland.
Die Durchsetzung des elsässischen Bür
gertums mit dem französischen Staats
gedankcn begann dann mit dem Bürger
iöiiigtum Louis Philipps und der Zeit
dcs zweiten Kaiserreichs. Es war keine
geistige Durchsetzung. Noch im Jahre
1838 verkündete der berühmte elsässische
Gelehrte Eduard Ncuß: Wir reden
deutsch, heißt ja rnchK'toß; daß wir un
fere Muttersprache nicht abschwören wol
len, sondern es heißt, daß wir in unserer
ganzen Art und Sitte, in unserem Glau
den, Wollen und Tun deutschen Ernst
und Gcmcinsinn, deutsche Uncigcnniitz
lichkeit und Gemütlichkeit bewahren und,
als ein hciliges Gut auf unscre Kinder
vererben wollen. Aber dcr große mate
rielle Aufschwung, die Besserung dcr all
gemeinen materiellen Lage unter dem
Bürgcrkönigtum und dem zweiten Kai
scrreich übte seine Wirkung auch aus das
elsässische Bürgertum aus. Damit hub
die zweite Tragik an: zwischen dcr Be
völkerung des Elsaß selbst fand ein
klaffcndcr Riß statt. In den Schichten,
welche von den gesellschaftlich Borneh
mcn und den materiell Behäbigen oebil
dct wurden, vertiefte sich dcr französische
Staatsgedanke, wahrend, die breite Volks
masse national indifferent blieb und sich
vollständig ans ?cn oppositionellen
Staatsbürger aufspielte, wobei die zur
Opposition an sich geneigte Scite dcs
Volkscharaktcrs mitlplf, und sich wieder
völlig auf den beschränkten Lokalpatrio
tismus zurückzog. Dieses naive, speziell
elsässische Sclbstgesühl und die begrenzte
Hcimatsliebe hat sich in der Sirophe des
Gedichts von Ehrenfticd tobcr den
faßlichsten Ausdruck geschaffen:
Das 'i!, linttör k&ndcl,
y.ti int Lielnoi.ll jcbütr,
Mcr hewwe fest ani tftnl l,
Her lonn'a bl Gott nit g' Im.
Alle Bemühungen der Streber, Vor
nehmen und Behäbigen, in den letzten
Jahrzehnten des zweiten Kaiserreichs
dem französischen Nationalitäis und
Staatsgedanken Eingang zu verschaffen,
alle Aufnahme von Fragmenten franzö
sischer Sitte und Sprache auch in den
mittleren Volksschichten mußte Halt ma
chen vor dem Voltsbekenntnis: Mer sinn
halt Elsässcr". Dieses starre Festhalten
an dem eigenen Volkstum verschaffte den
Elsässern in Frankreich den Beinamen
"tete carrsie", während jenseits des
Rheins von den Wackes" gesprochen
wurde, ein Wort, das später, zur Zeit
der Zabern-Affaire im November 1013,
so großes Unheil anrichten sollte.
Wackes" bedeutet, nach dem Teutschen
Sprichwör)er-Lezikon von Friedrich Wi!
Helm Wandcr eine Abkürzung des elsäs
sischen Worts Wackebnms", und dieses
ist eine Verstümmelung von "vspsi
bonds". Es war die Tragik dcr Elsälser,
daß sie sa lange Zeit hindurch politische
Vagabondcn waren. , Und schon mit dcr
heutigen Frage, wohin Elsaß-Lotlzringen
eigentlich gehöre, hebt solche Tragik von
neuem an. ,
Der Riß mitten durch die Bevölkerung,
welchen politische Erwägungen und ein
wirtschaftliches Hochkommen gewisser
Schichten verursacht hatten, wurde erwci
tcrt durch die Sprachcnfragc. Wohl er
hob sich eine ganz entschiedene Gegenwehr
gegen die Bemühungen der französischen
Regicrung, die deutsche Sprache aus dcn
elsässischen Schulen zu verdrängen. In
erster Linie traten die beiden Kirchen, die
katholische und die evangelische, für die
deutsche Sprache ein. Der Straßburgcr
Aolksfreund, Sonntagsblatt sür christ
liehe Familien," schrieb im Jahre 18s IG:
Deutsch ist unscre Muttcrsprache, unscre
Ahnen und Urahnen spraehcn seit Jahr
Hunderten deutsch. Deutsch haben wir
unser erstes Wort dcr Liebe zu unserer
Mutter stammeln gelernt, deutsch haben
wir unser erstes Vaterunser gebetet. Es
wäre eine Schmach für uns, wenn wir
mit der Sprache das alles vergessen soll
ten und in den Wind schlagen wollten."
Und der Ehrendomherr Eazeaux in
Straßburg ist 1867 dcn Entdeutschungs
bcmuhungen dcr Regierung mit den
flammenden Worten entgegengetreten:
Wer die deutsche Sprache bekriegt, vcr
greift sich an der Religion, der Moral
und somit an der Gesittung dcs Elsaß."
Aber das Französische legte doch Brc
sche in die Sprachcncinhcit des Elsaß
und das sprachliche Doppelleben mußte
auf dcn Bollscharaktcr ungünstig ein
wirken. Der Behang mit französischen
Sprachslittcrn, welche auch die Bauern
tochlcr aus dcr französisch' Pension
mitbrachte, gefährdete die Wahrhaftig
keit. Französisch wurde das Berstän
digungsmittel der besseren" Familien,
und auch die Masse des Volkes, welche
ihrem Elsässcr Dütsch" treu blicb. be
gann, vor den französischcn Redensarten
Respekt zu bekommen. Die Sprache bat
dcn stärksten Faden zwischen dem elsäsi
schen GcistkSkcben und dcr französischen
Kultur geknüpft.
. i
In der Nacht vom 27. zum 28. Scp
tkinvcr 1CS1 hatte sich das Ereignis voll
zogen, durch welches Straßburg an
Frankreich gefallen war. Wieder an
einem 27. September, dem des Johreö
1870, wurde über dem Münster der
Stadt, dem Bauwerk Geister Erwins,
die weiße Fahne aufgezogen zum Zeichen
der Ucbergabe an die deutschen Belage
rcr.
Seit dem Frieden von Frankfurt am
1. Mai 1871 weht vom Straßburger
Münster das schwarz-weiß-rote Wahr
zeichen dcs neuen Deutschlands und trägt
die Metzc des Reichs" den jungfräulichen
Stahlgürtel deutscher Gesihiitzrohre. Be
tresfs dcs von Frankreich im Frankfurter
Frieden abgetretenen Gebiets heißt es:
Das Deutsche Reich wird dicse Gebiete
für immer niit vollem Soudcränitäls
und' Eigentumsrecht besitzen,"
Bisniarck hat sich niemals einer Tau
schung betreffs der französischen Shm
pathien eines Teils der elsässischen Be
völkerung hingegeben, niemals sich der
damals weitverbreiteten Sentimentalität
angeschlossen, daß die Elsässcr oder gar
die Lothringer sich nun. voller Jubel in
die wcitgcöffnetcn Arme Deutschlands
stürzen wurden. Dem großen Staats
niann; dcr immer nur mit den Wirklich
leiten rechnete und nur das Erreichbare
anstrebte, war das Problem der Reichs
lande in erster Linie eine Frage der
Sicherheit, dcr Sicherheit des Deutschen
Reichs. Noch im März 1879 hat Bis
marck im deutschen Reichstag dcn Abge
ordneten für ElfaßLothringen, welche
für das Reichsland die Vertretung im
Bundesrat und einen eigenen Landtag
gefordert hatten, geantwortet: Wir
werden immer alles, toas wir dem
Neichsland an Autonomie gewähren, un
ter dem Gesichtspunkt betrachten müs
scn, ob es mit dcr Sicherheit des Rci
chcs verträglich sein wird." Nichts lag
dem großen Realpolitiker ferner, als die
Unterstreichung der Phrase von dcn
verlorenen gegangenen und wiedcrgc
fundenen alemannischen Brüdern." Er
hat gesagt: Wir haben die Länder an
uns genommen, damit die Franzosen bei
ihrem nächsten Angriff, den Gott lange
hinausschieben möge, den sie aber doch
planen, die Spitze von Wcißeuburg nicht
zu ihrem AuSgangspunlt, sondern da
mit wir ein Glacis haben, auf dem wir
uns wehren können, bevor sie an den
Rhein kommen. Wir lpben uns nicht
geschmeichelt, daß es uns rasch gelingen
werde, die Herren aus dem Elsaß glück
lich zu machen, und wir haben auch nicht
darum die Annexion betrieben. Wir
haben ein Bollwerk gebaut gegen die,
Jrruption. die seit zweihundert Jahren
dicse leidenschaftliche und kriegerische
Völkerschaft unternimmt, deren allein!
ger direkt ausgesetzter !!achbar zu sein,
Deutschland das Unglück und die Unan
neh!,iliel)keit hat."
. .
'Für die Neugestaltung der volklichen
und der politischen Verhältnisse in den
Reichsleiiiden seit 1870 sind folgende
Faltoren wirksam gewesen: Das franzö
fische Nationalgefühl; das spezifisch elsäs
sische Selbstgefühl; dcr elsässische Parti
kularismus; der stille und vsfene Protest
und die Forderung der politischen Auto
nomie.
Man muß sich der Anschauung eni
schlagen und von der Tarstellung fern
halten, als ob die Bevölkerung der
Reichslande sich nun gleich Hals über
Kopf in die neuen Vcrl)äl!isse gestürzt
pnd mit fcinem Deutschtum auf den
Straßcn und Märkten paradiert hätte.
Man darf nicht vergessen, daß die Zuge
hörigkeit von zwei Jahrhunderten zu
Frankreich immerhin auf die Anschauun
gen hatte einwirken und auch auf dem
volklichen Gefühlsleben seine Spuren
hatte zurücklassen müssen. Dazu kommt,
daß dem Bolkssinn sämtlicher deutschen
Stämme das Einleben in neue Verhält
nisse unbequem ist und der deutsche Eha
rakter überhaupt zur Opposition neigt.
Der geschichtlichen Wahrheit bleibt nichts
anderes übrig, als die Tatsache festzu
stellen, daß die Tietlöpfigkeit", welche
sich früher als erfolgreiche Ablehnung dcr
Versuche dcr Aerivelschung" bewährt
hatte, nun auch gegen das deutsche Na
tionalbewußtscin Front machte. Von
den Optanten, welche als bisherige Trä
ger ter französischen Staatsidee nach
Frantreich übersiedelten, kann ganz ab
gesehen werden; die waren dcr deutschen
Bodcnsiändigkeit entwachsen und halten
sich von dem Deutschtum überhaupt los
gesagt. Aber auch in der breiten Masse
dcr Bevölkerung, welche im innersten
deutsch geblieben war und sich dem fran
zösischen Staatsgedanken gegenüber in
difserent, ja ablchliend verhalten hatte,
begann nian das französische Herz zu
entdecken, dessen Schlag bisher nicht dcr
spürt worden war, DaS geschah einmal
'aus dcr prinzipiellen Opposition gegen
jede Neuregelung der Verhältnisse, aber
auch, was für dos Gefühlsleben bedeut
samer ist, aus Mangel an Bewußtsein
der Ausammengehörigkeit zu einer großen
volklichen und staatlichen Gemeinschaft.
Aber die französischen Allüren, welche
aufkamen, und das .Flitterwerk der fran
zösischen Sprache, mit welchem mehr als
zuvor das Elsässcr Ditsch" behängt
wurde, war doch nur äußerer Firnis.
Sich als Franzose auszuspielen, war
unter Erwägung der gesamten Bergan
gcnhcit imgruiide eine Lächerlichkeit,
welche auch im Lande selbst sehr scharf
gegeißelt wurde, als Nation ldentscker
vermochte man sich noch nicht zu fiihlcn,
so kroch man denn wieder in das spczi
fisch elsässische Sclbstgcfühl zurück:
Mir sinn halt Elsässer!"
In einer guten, im Jahre 191? er
schienenen Schrift: Wohin gcbört El-saß-Lollzriiigen?"
wird dieses spezifisch
elsässische Scllstgcsiihl als die Grund
loge für dcn vielksprochcncn und vicl
icrufcnen elsässischen Partikularismns
bezeichnet. Die einzelnen Teile dicscr
Schrift (Äerlag von Rascher & Co.. Zü
rich) sind von fachmännischen elsässischen
Ladsleuten geschrieben; der Herausgeber
Friedrich Lieuhard Straßbiirg ist Alt
elsässcr, seine Familie sitzt feit länger als
200 Jahren im Lande. Drr Abhandlung
seien folgend, Darlegungen bei Eniwick
lungsgangel, welchen dcr nationale Ge
danken in dcn Rcichölandcn seit 1870
gefunden hat, entnommen:
Die sichtbarste Folge der Lostren
nung Elsaß'Lothringens von Frankreich
war zunächst mehr eine Lähmung der
politischen Betätigung. Bezeichnend slir
diese Epoche war, daß man die staat
liche Mitarbeit in dcn bisher führenden
Bourgcoisie-Kceisen mit immerhin be
merkenswerten Ausnahmen (Schnecgans,
Schlumberger, von,Bulach u. a.) ab
lehnte, sich auf die Nichtanerkennung deS
bestehenden Zustandes beschränkte, auf
die bloße Negation, dcn stillen und osfe
nen Protest, Aber so echt und natürlich
dieses Protestlertum für die Schicht des
elsässischen Nationalfranzosentums auch
im oberen und mittleren städtischen
Biirgertum War, so unecht und gezwun
gen war es für die breite Masse dcs
städtischen Mittelstandes, dcs Bauern
tums und deS Arbeitervolces. So konnte
diese Periode des Protestes auch niiht
von langer Dauer fein. Sie wurde
schon im zweiten Jahrzehnt der deut
sechn Besitzergreifung abgelöst durch eine
Stimmung, be! der wieder das erere
Heimatland Elsaß-Lothringen in, Seh
fcld des Volkes trat; nur mit dem be
zeichnenden Unterschied gegen früher,
daß das, was vor 1870 mehr gefühls
mäßig und sentimental war, jetzt eine
starke Wendung ins Politische erhielt.
Man sagte sich: Wir sind im Nahmen
des Deutschen Reichs, es hat keinen
Sinn, dagegen fortmährend zu protc
stieren; die Franzosen habcr ja 1871
zur Erhaltung ihrer selbst un Deutsch
land ausgeliefert; wir wollen jetzt nur
darauf bedacht sein, daß wir in diesem
neuen politischen Verband als Elsässer,
als Lothringer uns ausleben, eine poli
tische Selbständigkeit in diesem deutschen
Bundesstaat, entsprechend den übrigen
Gliedstaaten, erreichen können. Das ist
dcr Gedanke dcr politischen Autonomie.
Alles bereinigte sich dann, dicse politi
sche Autonomiestimmung großzuziehen:
ein landschaftlich-elsässisch begrenztes
Bewußtsein, daS man von Haus aus
mitbrachte, der Mangel jeden großen,
über die Grenzen der engeren Heimat
hinausführenden Nationalgefühls. Das
Deutsche Reich gab ja von vornherein
dem Rcichsland" als ziemlich vollstän
digem Gebilde die Anlage zur Sonder
ftimmung; dazu kam das Beispiel des
politischen Lebens der dels Reich bilden
den einzelnen Vundesstaaten, nämlich
der föderative Charakter des Deutschen
Reichs und des deutschen Volkstums.
Ein Volkstum, welches seine Eigenart
und Stärke in der Zusammenlegung
einer Anzahl bcsondersartigcr volklicher
Kraftenergien zu einem einheitlichen
Rcieche hat, das mußte notwendig in dem
neuen dazu gekommenen Landcstcil das
Verlangen wecken, gleichfalls für sich
eine solche für sich feiende staatliche
Krasicncrgie zu werden.
Die oppositionelle Stellung, wcle sich
naturgemäß aus diesem nicht gleich vom
Reich befriedigten Streben nach siaat
licher Autonomie ergab, wurde in
Frankreich nur zu sehr mißverstanden.
Mißverstanden nämlich als Ausdruck der
Sehnsucht nach Wiedervereinigung mit
dem alten Vaterland! Nichts falscher
als das! Der Autonomicgedanke, dcr
clsaß-Iothrjiigische politische Partikula
rismus, ist bei allem Mangel an deutsch
nationalem Fühlen doch der Ausdruck
des Willens, sich irgendwie in den neuen
zustand hineinzufinden.
.
Bei dcr Lösung der reichsländlschen
Fracke, hintc: welcher auf französi
scher Seite immer die Rcvancheidee her
vorlugte, konnte es sich nur darum han
dein, die staatsrechtliche Stellung Elsaß,
Lothringens als Glied dcs Reichs, den
eigenen Interessen und denen der Ge
samtheii entsprechend, zu entwickeln.
Auf dem Wege solcher Entwicklung ist
durch die Verleihung der Verfassung
vom 31. Mai 1911 ein bedeutender
Schritt getan. Alle Nedcn der damali
gen großen Debatte im Reichstag, welche
für den betreffenden Antrag eintraten,
waren von dem Gedanken getragen, El-saß-Lothringen
durch die Verfassung
Verleihung enger an das Reich zu knüp
fen. Bis dahin war das Reichsland im
wesentlichen von Berlin auS regiert wor
den. .Die innere Gesetzgebung des Lan
dcs lag ganz in den Händen der Reichs
regicrung und wurde in Berlin im
Bundesrat und Reicchstag verhandelt.
Nicht mit Unrecht murrten die Reichs
länder gegen solche Fremdherrschaft".
Die neue Verfassung gewährte 'dem
Rcichsland drei Vertreter im Bundesrat,
diese drei Stimmen ' werden abcr nicht
gezählt, falls die Präsidialstimme, das
ist Preußen, nur durch deren Hinzutritt
die 'Mehrheit in einem gegebenen Fall
für sich gewinnen könnte. Für die reich
ländische Gesetzgebung sind durch die
Verfassung Bundesrat und Reichstag
ausgeschaltet; die Landcsgesctze werden
von dcm aus zwei Kammern bestehenden
elsaß-lothringischen Landtag angenom
men und vom Kaiser erlassen. Dem
Kaiser sind als Landesherrn gewisse
Rechte vorbehalten. Er ernennt als Ver
trcter dcr verbündeten Regierungen dcn
Statthalter, wclckzer im Rcichsland die
Regierung führt und durch Gegenzeich
nung der Verfügungen und Erlasse dcs
Kaisers die Verantwortlichkeit über
nimmt. Der Statthalter ernennt und
instruiert die Mitglieder des Rcichslan
dcs zum Bundesrat.
Die Verleihung dcr Verfassung als
ein weiterer Schritt in dcr Richtung auf
die Autonomie hat in Elsaß-Lothringen
einen großen Eindruck hervorgerufen.
Noch abcr sollte auch die neue Gesetzes
stube dcr Tummelplatz der Träger der
französischen Propaganda werden. Auf
der anderen Scite abcr verstärkte sich
doch dcr Widerstand gegen die französie
rcnden Tendenzen. WciterlS, der Füh
rer der Nationalisten französischer Orien
ticrung, wurde, als er in einer Rede in
Frankreich andeutungsweise die Bevöl
kerung von Elsaß-Lothringen mit aller
lei Absichten des Verrats gegen Deutsch
land belastete, von ollen Seiten dcsavou
tert . Die Landianswahlen des JabreS
INI brachten den Nationalisten Blu-
meitthal und Preis; eine schwere Nieder l
Sraj Aorih Ljlerhazy.
Ungarns scheidender WinisterpräslHcnk.'
In Ungarn scheint man neucrdingS
um dcn in der Hitze einer Debatte
einst gemachten lapsu eines deutschen
Reichstagsabgeordneten z wiederholen,
seine Ueberzeugung wie seine Hemden zu
wechseln alle sechs Wochen. Graf
Moritz Esterhazh, dcr vor Kurzem mit
solckzen Hoffnungen begrüßte Minister
Präsident, hat, kaum warm geworden
auf seinem Ministersitz, ihn schon wie
der an einen Nachfolger abgeczcbcn,
krankheitslzalber", wie das Kabel aus
Budapest meldet.
Die Estcrhazy'Z sind seit Jahrhun
dcrtcn eng mit dcr Geschichte Ungarns
wie der Gcsamtmonarchie verbunden, als
Staatsmänner, als Offiziere in Heer
und Marine, sowie in Hosstcllungen.
Und besonders der zurückgetretene Mi
nisterpräsident schien von Natur für eine
leitende Stellung bestimmt, da er durch
seine Mutter, eine geborene Prinzessin
Lobkowitz, auch mit dem österreichischen
Hochadel in engsten verwandtschaftlichen
Beziehungen stand. Allerdings verfolgte
der erst scchsunddreißigjährige Politiker
in seinem bisherigen Leben nicht die
Wege, welche sonst die Söhne aus den
großen Magnatcnfamilien zu schreiten
gewohnt sind. Er galt unter seinen
Alters- und Standcsgcnossen schon auf
dem Gymnasium und noch vicl mehr
auf der Hochschule als ein Sonderling
wegen seines großen sittlichen Ernstes
und seiner intensiven Liebe zum Stu
dium. Dicse Eigenschaften veranlaßten
den jungen Grafen, nach Erwerb dcs
juridischen und deS staatswissenschaftli
chen Doktorates zur Vollendung feiner
Studien für zwei Jahre die Ozfordcr
Universität aufzusuchen. Hier wie auf
den heimatlichen Hochschulen waren es
vorzugsweise wirtschaftspplitische und
sozialpolitische Studien, die er trieb.
Auf wirtschaftspolitischem Gebiet folgte
er eifrig den Theorien des großen öfter
reichischen Wirtschaftspolitik dcs
Ministers Dr. Emil Steinbach. Dicscr
hatte Estcrhazy als einem' bedeutenden
volkswirtschaftlichen Talent ebenso eine
große ZuZunft vorausgesagt, wie dies
ihm Koloman v. Szcll als Politiker ge
weissogt hatte.
Nachdem er 1901 als Freiwilliger bei
dcn Nadasdh-Husaren gedient hatte,
war er bald darauf zum Offizier in
demselben Regiment befördert worden.
In Fricdcnszeitcn hatte er zwar dcr
Armee nur in der Reserve angehört;
doch zeichnete er siech im Weltkrieg in
Serbien wie in Nußland als ein emi
nent begabter und pflichteifriger Offi
zier auö, erhielt das Signum laudis
sowie die Allerhöchste Belobung". Un
gleich wichtiger aber als seine Militär!
sche Betätigung war jene als Politiker.
Als solcher trat Graf Moritz Esterhazy
erst seit dem Frühjahr 1906 hervor,
als er im Tercbescr Bezirk als Abge
ordnet kandidierte. Er wurde in die
läge, un'' Blumcnthal verlor, als er im
Jahre 1914 bei der Gemeinderatwahl
durchfiel, den Bürgermeisterposten in
Colmar und zugleich den Sitz in der
Ersten Kammer.
Im Herbst des Jahres 1913 erschien
eine deutsche Uebersctzung des Buches
Elsaß-Lothringen und die deutsch-fran
zösische Verständigung" von Gustav
Hervs, dem bekannten französischen
Sozialistcn und früheren Pazifisten und
AntiMilitaristen. Der Verfasser selbst
hat sein Buch in der März"Nummer
vom 25. Oktober 1913 bei den Lesern
eingeführt. Herr HervS wußte damals
ein Mittel, um den patriotischen
Schmerz über den Verlust dcr beiden
Provinzen zu stillen, die der Eigenliebe
geschlagene Wunde zu verbinden und
den Schrecken des rcpublikanisckien
Frankreichs, daß man eine neue Ge
bietszerstückelung erleiden kiinte ein
Schrecken, der Frankreich in die Kosaken
arme geworfen und später in die Ver
ständigung mit England getrieben hat
zu bannen. Er sagte in seinem Buch:
Es gibt nur ein einziges Mittel, und
dieses Mittel hängt von der öffentlichen
Meinung in Deutschland ab: Eine Geste
zugunsten von Elsaß-Lothringen". Der
Verfasser selbst verwirft das von vielen
anderen damals für wirksam gehaltene
Mittel eines Austausches zwischen El-saß-Lothringen
und den französischen
Kolonien mit Ausnahme des afrikani
schen Nordens als utopisch. Aber es
gäbe, so sagte er, eine wcnigcr utopische
und näher liegende Lösung, eich die
Elsaß Lothringer selbst dcn Franzo
scn durch ihre unlängst ausgcstelltcn
Forderungen möglich gemacht hätten, in
dem sie erklärten, daß sie sich damit be
gnügen würden: die Verleihung der re
publikanischen Autonomie an Elsaß
Lothringen im Verband dcs Deutschen
Kaiserreichs. An diesem Tage," so
schloß Gustav Herv die Einführung
seines Buckcs bei den deutschen Lesern
ab, wird dcr Frieden zwischen Frank
reich und Deutschland geschlossen sein;
nicht der bewaffnete Frieden, welchen
man in Frankreich mit Blutschrift un
terzeichnete, sondern ein Frieden, welcher
weder Unzufriedenheit noch Rachsucht
hinterläßt, der fruchtbare Frieden, wei
chen zwei Gegner bei ihrer Versöhnung
durch einen fruendschaftlichen und loya
len , Händedruck besiegeln."
Herr HervS hat sich inzwischen eine
ganz andere Geste" angewöhnt. Aber
die republikanische Autonomie bildet
auch unter dcn Schreckcn dieses Krieges,
welche ihnen bis ins Haus hinein gerückt
sind, dcn Herzenswunsch der Elsaß
Lothringer, welche sich nach Selbständig
kcit in irgendwelcher Form sehnen.
Wohin gehört Elsaß-Lothringen? Der
Verbleib im Deutschen Reich könnte
ihnen die Sehnsucht durch die Ersül
lung ihres Herzenswunsches stillen. Dcr
Zurückfall an Frankreich würde sie in
den alten provinzialcn Status zurück
wcrfcn.
(Ein zweiter Artikel folgt.)
scm Wahlkreis als Kandidat der Ver
fassuiigspartei" gewählt, und in den
Dienst dieser Partei stellte er auch ferne
intensive politische Tätigkeit seit seinein
Debüt vor elf Jahren. Bei allen grö
ßcren Debatten ergriff der junge 'Abge
ordnete das Wort, und jedesmal lauschte
die Kammer mit Interesse, wenn er in
ruhiger Sachlichkeit, gestützt auf ein her
vorragendes Wissen, seinen Standpunkt
darlegte. Der reiche Magnat war stolz
darauf, die Interessen der armen Bc
völkerungsschichten in so warm Weise
zu verteidigen, daß man ihn den demo
kratischen Grasen" nannte. Dabei kam
ihm zugute, daß er die Rede außtror,
dentlich leicht beherrschte und jeden Ein
Wurf geschickt zu parieren wußte. Und
doch ist feine Art zu sprccken frei von
oller pathetischen Rhetorik. Er sucht
nicht durch die Form seiner Worte, son
der durch deren Inhalt auf die Hörer
einzuwirken.
Diese politischen und Parlamentär!
schen Vorzüge erweckten ihm die Sym
pathien vieler auch nicht zu seiner Par
tci gehörigen Politiker, in erste? Reihe
des Grafen Stephan Tisza, des gewal
tigen Leiters der ungarischen Politik bis
in die jüngste Zeit. Tisza erkannte
rasch, daß Esterhazh dcr geeignete Man
war, dcr zwischen ihm und dcr von An
drassy präsidierten Verfassungspartel
vermitteln konnte. Und dicse Rolle deS
Vermittlers zwischen Arbeits und Vcr
fassungspartei, zwischen Regierung und
Opposition war s, welche Estcrhazy
seine, man kann Wohl sagen einzigar
iige Stellung in der Kammer und im
öffentlichen Leben feines Vaterlandes
gab. Welche Achtung Tisza ihm zollte,'
geht am besten daraus hervor, daß . er
bei Gelegenheit der Krönungsfci den'
rst scchsunddreißigjährigen Politiker
zu der hohen Würde eines Geheimen
Rates vorschlug, die Kaiser Karl ihm,
den er persönlich zu schätzen öfters Ge
legenhcit hatte, gern erteilte.
Bald darauf erfolgte seine Erncn
nung zum Ministerpräsidenten in der
Hoffnung, daß es ihm gelingen werde,
die immer mehr in die Brüche gehende
innere Einigkeit wieder zu leimen und
die im häuslichen Streit sich verzetteln
den Kräfte für den großen Kampf nach
außen frei zu machen. -
Die Aufgabe war für die Schultern
dcs jungen Politikers zn schwer, sie ist
vielleicht überhaupt unlösbar und die
Zcit muß erst lehren, ob. was einem
Estcrhazy nicht gelang, . einem Wckerle
gelingen wird.
Ungarns neuer Premier hat das Amt
bereits früher? einmal inne gehabt. Er
trat 1870 in dcn ungarischen Staats
dienst ein, war 188ö bercits Untcrstaais
sekretär und 1889 Finanzminister? Er
erwarb sich große Verdienste, um die Sa
nierung der ungarischen Finanzen und
führte als ?Nin!sterpräsidcnt die kirchcn
politischen Gesetze durch. Er gilt, und
mit Recht, als einer der fähigsten und
stärksten Politiker Ungarns.
Wieviel prelchischs
Vahnhsfe gibt es?
Die deutschen Eisenbahnen Haben im
Krieg Außerordentliches geleistet, drau
ßcn und in der Heimat. Wie umfang
reich der Betrieb ist, beweist schon die
Tatsache, daß allein die preußischen
Eisenbahnen einen Wert von etwa 20
Milliarden Mark darstellen. Einen
Maßstab sür die Größe dcs Eisenbahn
Wesens gibt auch die Zahl der Bahnhöfe
und Stationen. Stationen sind die Be
triebsstellen, auf denen Züge des öfftnt
liehen Verkehrs regelmäßig anhalten.
Stationen mit mindestens einer Weiche
für den öffentlichen Verkehr werde be
triebstcchnisch als BahnP.se, Stationen
ohne solche Weichen als Haltepunkte be
zeichnet.
Die Bahnhöfe werden weiter unter
schieden in folcke 1., 2., 3. und 4. Klasse,
je nach der Größe ihres Berkchrs, der
'räumlichen Ausdehnung ihrer Anlagen
und dergleichen. Auf den preußisch
hessischen Vollspurbahnen gab es nun
Ende 1914 nicht weniger als 435
Bahnhöfe. Dvon waren 562 erster
Klasse. 1149 zweiter Klasse. 1051 drit
ter und vierter Klasse, ferner gab eS
noch 1.? besondere Werkstättenbahnhöfe.
Dazu traten 1414 Haltcpunktk, sodaß
insgesamt 7349 Stationen vorhanden
waren, 113 mehr gegen das Borjahr.
Für dcn Personenverkehr waren im gan,
zen 7012 Stationcn eingerichtet. , Dem
Güterverkehr dienten insgesamt 6529
Stationcn. Davon waren eingerichtet
zur Abfertigung von lebenden Tieren
mehr als 6000. Aehnliche Zahlen gel
ten sür Eil und Frachtgut. Für Fahr
zeuae kamen 4500 Stationen in Betracht.
Auf 2276 Stationen bestand bahnamt.
.liche Zu und Absuhr dcr Stückgüter.
Die durchschnittliche Stationsentfernung
betrug Ende 1914 5.04 Km. gegen 5,05
Km. 1913. . Alfo auch hier zeigt sich
eine Verbesserung dcs Verkehrs.
3ljarlcys Tante" im Berliner
Lustspiclhaus. Sie sind wirklich ob
jektiv" sehr objektiv, die Deutschen.
Sie gehen, sehen und hören nicht nur mit
Freuden ruhig weiter Shakespeare, Bizet,
Verdi nein, sie bereiten auch anderen
feindlichen Größen" jetzt mitten im
Kricgc fröhliche Ncucrweckungcn. Nie
mand wird leugnen können, daß dcr
Londoner Dichter" Lrandon Thomas,
der einmal in feincm Leben eine gute
Idee hatte und dadurch zum reichen
Manne geworden ist, niemals Deutsch
land beschimpft, hat. Das konnte a
nämlich nicht gut, da er gerade voi
Ausbruch des Krieges das Zeitliche ge.
segnet hat. Aber seine Tante" lebt in
Deutschland fort: Charleys Tante", der
viele hundert Male gegebene Schwank,
ist wieder erstanden und hat im Lust
spielhauZ eine von keinerlei chauvinisii
schen Bedenken getrübte heitere Auscr
Pehung gefeiert.