Tägliche Omaha Tribüne. (Omaha, Nebr.) 1912-1926, May 01, 1917, Image 2

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    'sMihe Omshz Tr!büst
Der Wisse siegt.
Von Htxtt Sieben freund,
WUi&tükt, kommandiert jui Westpreußische Lazarettleitung. Danzig.
DaS Eingangsschild zu den WerZstät.
icn für KrügZbeschädigte, die dem Hilss
lazarttt Hakciwnk in Tanzig angeglie
bett sind, trägt da! Leitwort: .Der
Wille fugt!" EZ erinnert die Soldaten
daran, daß auch die besten Einrichtun
sn, die man zu ihrer sozialen Äesun
dvng trifft, nur dann mit Erfolg ar
reiten können, wenn die Beschädigten
selbst den entschiedenen Willen haben,
n.kd alS tüchtige und Wert schassende
.Mitglieder in das bürgerliche Leben zu
rückzuireten. Bei manchem Kriegsbe
schädigten, dessen Verwundung langer
Lazatttibehandlung bedarf, schlummert
d'r Wille zur Arbeit ein. und er würde
allmälig in einem tätigkeitslosen Leben
als Rentenempfänger fein Lcbensideal
Zehen. Kaum eine andere Einrichtung
wirkt diese? Gefahr so entgegen ivie die
Beschäftigung in den Lazarettwerkstät
ten. In ihnen werden die Kriegsbcschä
digten seelisch so weit ertüchtigt, daß sie
il're körperlichen Fähigkeiten nach Mög
lichkcit ausnutzen und wieder Freude an
der nützlichen Arbeit bekommen. Alle auf
rief: Ziel gerichteten Bestrebungen sin
den im Bereich des FeftungslazarettS
Tanzig durch dessen Chefarzt, Marine
Generaloberarzt Dr. Böse, die lebhafteste
Forderung. Die Lazarettwerkftatten
wurden dem leitenden Arzte' deS ortho
pädischm HilfslazarettZ Hakellverk,
Stabsarzt Dr. Möller, unterstellt. AIU
mählich haben sich die Werkstätten zu der
nötigen Vielseitigkeit entwickelt. Ihre
Einrichtung ist nur dadurch möglich ge
wcsen, dah Behörden, z. B. die Kaiser
Ziche Wcrfti industrielle und gewerbliche
Unternehmungen, in selbstloser Weise
Waschinen und Geräte geschwenkt oder
kostenlos leihweise zur Verfügung ge
stellt haben. Dadurch können die Kriegs
beschädigten in den Werkstätten mit neu
zeitlichen Arbeitsformen bekannt gemacht
werden, wozu sich in kleinen Betriebe
gewöhnlich keine Gelegenheit findet.
Durch Barbeihilfen seitens des Lcrfor
gimgsanLschusseZ für Kriegsinvaliden in
der Prodinz Westpreußen wurde die wei
iere Ausgestaltung ermöglicht. Dauernd
ist den Werkstätten das warme Interesse
der militärischen, militärärztlichen und
: bürgerlichen Behörden gewidmet. Die
Tätigkeit in den Werkstätten geht natür
lichen Hand in Hand mit den ärzt
licht Behandlungen.
In den meisten Fällen werden die
KriegZiefchädigten, entgegen früher
mehrfach hervorgetreienen Befürchtungen,
in ihrem alten Beruf weiter arbeiten
wollen, und können, und nur zum ge
ringen Teil müssen sie infolge ihrer Be
fchädiguagcn sich einem neuen Berufe zu
wenden, wobei die Entscheidung nur un
ter Mitwirkung des behandelnden Arztes
und von Sachverständigen aus den be
treffenden Berufen, richtig getroffen wer
den kann, Die Einweisung in die je
weilige Werkstatt erfolgt daher stets nach
vorhergegangener Berufsberatung durch
, den leitenden Arzt und einen erfahrenen
Leiter des Handwerks. Für Landwirte
findet eine entsprechende Berufsberatung
unter Zuziehung eines Mitgliedes der
, Lsndfchaftskammer ftatt. Jede der die
len Werkstätten wird durch Meister ge
leitet, welche vom stellvertretenden Gene
ralkommando aus den garnison oder
arbeitsverwendungsfähigen Leuten zum
Lazarett kommandiert sind. Die Werk
statten, die aus Tischlerei, Schlofferei,
Schmiede, Dreherei, Malerei, Korb
: machera, Kunstglaserei, Holzbildhaue
rei, Ortchopädiemechanik, orthopädischer
, Schuhmacherei und Buchdrucker be
stehen, haben vor der Handwerkskammer
die Berechtigung halten, Lehrlinge aus
zl:bilden, so" daß den Kriegsbeschädigten,
die einen neuen Beruf .ergreifen müssen,,
die noch für die Heilbehandlung nötige
Lazarettzeit bereilS als vollgültige Lehr
zeit angerechnet weiden kann. So sieht
man z. B. Beinamputierte mit noch nicht
aüsgcheilter Stumpfwunde auf geeigne
tcn, künstlichen azarettbeinen' in den
;' Werkstätten stehen und hierdurch wert
lulle Zeit gewinnen. Kriegsbeschädigten
Landwirten, die an den langen Winter
habenden über viele freie Zeit verfügen,
wird in der Weberei oder Korbmacherei
CjcIcGenljcii zur Erlernung eineS Neben
bnuss, gegeben, so daß z. V. ein dein
amputierter Landmann, der nicht mehr
eine größere Landwirtschaft, wohl aber
ein kkincS Gütchen von ein bis drei
Morgen gartenmäßig (Zwergobst, Erd
beeren Spargeln, usw.) bebauen kann,
durch Weben oder Korbflechten sich man
chen Groschen zu feiner Rente und seinen
Einkünften aus der Landwirtschaft wird
hinzuverdienen können.
ES ist eigentlich selbstverständlich, das;
in einer Zeit, in der die Forderungen
des deutschen Werkbundes in weitesten
Kreisen gekannt- und erkannt sind, in
einem solchen Werkstättenbetrieb ge
fchmackliche und berufliche Weiterbildung
t?c Handwerker erstrebt wird. Die Er
füllung dicseS Wunsches ist in den Tan
llZtt LazznttwerlftStten gegeben durch
die Mithilfe des Tanziger Hochschul
PeoftfforS Dr. Zng. Phleps, der die
Überwachung der kunstgewerbliche Ar
bäten übernommen hat und durch Vor
trzge immer neue Anregung gibt. Ss
e-istchen i den Werkstätte als Kinder
s-''zeug oftpreuszische Bauernhäuser im
Schmucke ursprünglicher Farbigkeit,
buntbemaltes, hölzernes Hausgerät, far
b'ge Erinnerungsscheiben für gefallene
Krieger als Zierde für Fenster kirchlicher
und öffentlich Gebäude, schmiedeeiserne
krllbkreuze für Gefallene und Kachel
mlere in Telfter Art. Die Freude
an alter Volkskunst soll wachgerufen und
zu neuem Schaffen angeregt werden.
Wieviel die Vertiefung in da Wesen d
vcr?5.iebenk Handwerke geschieht, zeigt
sich dadurch, daß die Maler durch täglich
sich wiederholende Pinselübungen von
Nr Schablone befreit und zu freiem Er
finden ansengt werden. Die Arbeiten
b'f Kriegsbeschädigten werde i einem
beende?: Laden z-.im Verkauf g'.sttklt.
lubtn der handwerkliche und lunpa
werblichen BetLtigung der Kriegsbeschä
digten kauft der Fortbildungsschulunter
richt, in demLint-armige unter Leitung
und nach eigener Methode des Laza
rett-JnspektorS Karp im Schreiben, in
Handfertigkeit und Freihandzeichnen un
terrichtct werden. Kriegsoescldigten
aller Berufe. Rechnen, Kurzschrift. Ma
schinenschreiben, 'Buchführung. Bürger
künde. Jachzcichnen gelehrt und theoreti
scher Unterricht für Landwirte erteilt
wird. Die.Lazarettwerkstätten arbeiten
im wesentlichen nur für den eigenen Be
darf der Lazarette und im kunstgewerb
lichen Sinne, so daß dem freien Hand
Werk in ihnen kein nennenswerter Wett
dewerd ersteht. Ihre Hauptaufgabe ist,
Kriegsbeschädigte ihrem alten Beruf zu
erhalten, oder, wenn dies nicht möglich
ist, sie einem neuen Berufe zuzuführen.
Sie erfüllen hiermit eine große soziale
Ausgabe und helfen dazu, daß der In
dustrie, dem Handwerk und der Land
Wirtschaft nach Möglichkeit wieder
brauchbare Kräfte zugeführt werden.
Die bisherigen Erfahrungen haben ge
lehrt, daß die Kriegsbeschädigten in den
Lazarettwerkftatten lieber arbeiten als in
gewerblichen Betrieben gewöhnlicher Art.
Der Hauptgrund hierfür ist wohl darin
zu finden, daß sie Seite an Seite mit
ihren Kameraden stehen und nicht mit
erheblich jüngeren Lehrlingen oder kör
Perlich voll leistungsfähigen Stücklohn '
orbeitern, die ihnen in der technischen
Fertigkeit naturgemäß oft erheblich über
legen sind, und deren Leistungen auf sie
beim Vergleich mit den eigenen leicht be
drückend wirken können. Ermüdet
z. B. ein Beinamputierter in einem gro
ßen industriellen Betriebe schnell, und
sieht er dabei das rüstige Weiterschaffcn
der gefunden Arbeitsgenossen, fo wird
leicht ein bitteres Gefühl in ihm wach.
In den Lazarcttweristätten dagegen teilt
er dem Arzt seine Beschwerden mit. der
sich von dem Sitz des künstlichen Gliedes
überzeugt, den Kräftczustand seines
Pfleglings genau kennt und für die nö
tige Schonung sorgt. So wird er ganz
allmählich, auch unter gutem Zuspruch
der Schwestern, an schwerere Arbeit ge
wöhnt, bis er später schließlich in großen
Betrieben vollwertige Arbeit leisten kann.
Und wenn der Tag der Entlassung
kommt, der die Kriegsbeschädigten wie
der in das bürgerliche Leben zurückkehren
läßt, dann zeigt sich in dem Bedürfnis
nach Tätigkeit und in der frisch erhalte
nen oder neu erworbenen Liebe zum Be
ruf der Segen der Lazarettwerkstätten.
Neben der eigentlichen Werkstättenarbeit
einher gehen Bewegungen in frischer
Luft, Faustball, und andere Spiele.
Exerzier-Uebungen unter Leitung eineS
kriegsbeschädigten Offiziers finden tag
lich im großen Schützenhausgarten für
geeignete Genesende der meisten Danzi
ger Lazarette statt, und hieran nehmen
auch Kriegsbeschädigte des Hgkelwerks
teil. Ad und zu spielt eine Militär
kapelle im großen Lazarctthof? abends
finden dann und wann nicht zu häu
fig musikalische und andere Unterhal
tungen statt, regelmäßig ferner Gottes
dienste ebenfalls im Lazarett, fo daß für
Körper, Geist und Gemüt in jeder Weise
gesorgt ist. Großer Wert wird auf die
richtige Auswahl der Schwesternschaft
gelegt. Die Schwester, welche die Ver
wundeten täglich pflegt, gewinnt bald,
wenn sie die geeignete Persönlichkeit ist,
das Vertrauen der Leute. Im .Hakel
werk' herrscht ein fröhlicher, frischer
Ton. Mit Bedauern ist den kriegsbe
schädigten Kameraden nicht gedient.
Man foll ihnen zeigen, daß auch selbst'
Verlust eines Gliedes nicht an fröhlicher
Lebensaussassung zu hindern braucht,
wenn nur der feste Wille da ist. So
helfen die Schwestern oft viel dazu, daß
den anfangs fchwer Bedrückten das Le
den wieder sonnig erscheint, und dah das
anfangs lahme Wollen wieder erstrafft.
Und so leuchtet im Hakelwerk über
allen Türen, auch ungeschrieben, das
Wort: .Der Wille siegt V
Zluch schlechte Verse si!f
ten Nutzen.
Die alle rechtschaffenen Kalender
mach, wie sie zu Beginn des neunzehn
ten Jahrhunderts ihre .Hinkenden Bo
ten' und .Hausfreunde' schrieben, wuß
ten jedwedem einen Trost auch den
verkannten Dichtern. Seine Behaup
tung, daß ' gelegentlich auch einmal
schlechte Werfe Nutzen stiften können, be
legt der .Postreuier', der um 1800 seine
Weisheit zum besten gab. mit der v
zählung der folgenden hübschen kleinen
Geschichte: In den Konduitenlisten. die
im Preuhisckxn jährlich von dem Mili
tär eingeschickt werden, fand Friedrich
der Zweyte einen Leutnant von Bide
born, der key einem Schlestschen Negi
mente stand, immer mit den Worten:
.Ein schlechter Soldat, ein guter Dich
ter' aufgeführt. Bei einer Revue ließ
sich nun der König de Leutnant vor
stellen und verlangte von ihm. er solle
auf der Stelle ein Gedicht machen. Die
str sagte voll Geistesgegenwart:
Kott forn In fnsi Zorn:
ttt ?kuli,cmt ÜMSrtorn
Toll bin aus Mf'fr rd,
jhe mehr al Leutnant kerben!'
.Ich will Gott beweisen, dah ich
meine Offiziere oöanzieren kann, wie ich
will' sprach nun der König: .Er ist
Hauptmann. Ab geschwind mach', er
wieder in Gedicht.' Ter neue Haupt
mann befolgte den Befehl mit folgende
Worten:
.ttt Zoi Zot fl gewondt
Hmitmc!wi Im ich nivnili;
toi, bM' ich E u!ps,
HSit' ich auch nishr Routaae."
Er hat auch Equipage.' antwortete
Friedrich; .nur mache er mir ja kein
Gedicht mehr.'
Das Notwendigste und Härteste
und die Hauptsache in de: Muf: ist das
Tempo.
V
Als anfangs Januar dieses Jahre
die Russen den Vorstoß gegen Mitau un
ternahmen, fühlten sie auf der ganzen
Tünaftont bis südlich Tünaburg mit
zahlreichen Patrouillen und Jagdlom
Mankos vor. Sie stießen überall auf
die gleiche Wachsamkeit, die auch ihren
Hauptstoß 'ci Mitau ttriz anfänglicher
E.folge in eine Niederlage verwandelt
hat. Von dieser Wachsamkeit, die un
ter der monate und stellenweise jähre
langen Stagnation an dicser Front kein
Körnlein eingelnißt hat, konnten wir
uns auf unserer Fahrt in die Gegend
von Dünaburg überzeugen.
Mit auf die Minute planmäßiger
Pünktlichkeit brachte uns der Zug mit
nur einmaligem Umsteigen in rund 24
Stunden von erlin nach einem kleinen
Bahnhofe nordwestlich dcs Trysmiattz
fees; eine bemerkenswerte Leistung der
Eisenbahn. Der russische Winter, der
einige Kollegen vor Teilnahme an der
Fahrt abgeschreckt battc (kurze Zeit zu
vor hatten lx! eisigen Winden noch 20
30 Krad Kälte geherrscht), meinte es
zunächst gnädig mit uns, doch sollten
wir ihn auch noch kennen lernen. Die
muntern kleinen Russcnpferdchen führten
uns trotz der verschneiten Wege und der
nur durch die Leuchtkugeln der nahen
Front erhellten Nacht wohlbehalten gc
gcn Mitiernachi ins Quartier. Unser
liebenswürdiger Gastgeber, der florn
Mandant einer Scheinwerferabteilung.
hatte alles aufs großartigste zu unserem
Empfange vorbereitet. Was die Lebens'
Mittel des Landes bieten, var oufge.
tischt und dazu atte er noch den Inhalt
seiner Liebesgabenpackete .C der Hei
mat geopfert. Das Panje-Haus. das
uns zur Unterkunft diente, war recht
wohnlich eingerichtet, die männlichen
Glieder der Besitzersamilie schienen, den
Bildern an der Wand nach zu sck'lkßen.
dem bessern russischen Beamten oder
Offiziersstand anzugehören; die weib
lichen Bewohner waren nicht oflohen,
sie hatten sich in den einen Teil des
Hauses zurückgez:-.'; wir sahen, wie
von der Einquartierung zarteste Rückficht
den Damen gegenüber beobachtet wurde.
Die Gegend, die wir während der drei
Tage unserer Anwesenheit an d, 5?ront
durchstreiften, ist charakterisiert dinß die
vielen kleinen und großen Seen. Aerm
liche Siedelungen primitivster Art sin.
den sich in den großen unkultivierten
Gebieten von Wald und Sumpf. Hier
und da steht an einem der idhlliscken
Seen, die meist mit bewaldeten Ji.scln
und Jnselchen durchsetzt sind, ein besser
gebauter Gutshof oder die Sommervilla
einer Dünaburger oder Petersburger
Familie. Gepflegter Hochwald ist selten.
, eist sind es niedrige Kiefern oder Air.
kenwald mit Tannen ,tcrmik t. ein
Bild von eigenartigem Reiz; und da
zwischen immer wieder Sum,, und
Seen, jetzt alles unter Eis und Schnee
verborgen. Trotz starker Schneefälle P
sonderbarerweise die . Schnee'chicht auf
den Straßen kaum dicht genug, um den
Verkehr der Schlitten zu ermöglichen;
die gewaltigen Stürme, die über das
Land dahinbrausen, haben den Schnee
weggefegt, und nur an besonders wind
geschützten 'Stellen findet er sich in grö.
ßerer Menge. Sobald Tauwetter ein
tritt, sind die Wege fast unbefchreitbar.
die Pferde sinken bis an die Brust ein,
an Autoverkehr ist gar nicht zu decken.
Vieles haben die Truppen schon zur
Verbesserung der Wege geleistet, mancher
schöne Wald iit als Knüppeldamm im
Sch'imm kr Wege verschwunden. Von
den höhcrn Kommandostellen wird dem
Unterhalt der Wege strengste Aufmerk.
samkeit gewidmet. Ich möchte nicht der
Ortskommandant sein, in dessen Bezirk
Straßen oder Brücken in Unordnung be
funden werden! Das hier die Front,
linie bildende Sumpf und Seengebikt.
das in der übrigen Zeit dcS Jahres für
beide Teile ein absolutes Fronthindernis
bietet, sordert jetzt, in gefrorenem Zu
stände, geradezu zu Unternehmungen
auf. Nur so sind die Kämpfe in den
Tirulsümpfen bei Riga überhaupt mög
lich geworden. Daher muß die Truppe
im Winter trotz aller Unbilden der Wii
tnung sich noch den Strapazen erhöhter
Wachsamkeit unterziehen. Auch die
Batterien müsse sich der erhöhten Ge
fahr feindlicher Unternehmungen anpas
sen; die irgendwo zwischen Tünaburg
und dem Tryswiatysee gelegene 12 Zenti
meter-Batterie, die wir besuchten ihr
Komrnandant ist ein aus den größten
Berlin Prozessen des letzten Jahr
zehnts bekannter Staatsanwalt ist
nicht nur vortrefflich gegen Sicht und
Schuh eingebuddelt, su ist auch vollstän
dig für die Nahverteidigung eingerichtet
mit Drahtverhauen und Schützengräben,
die im Notfalle von der L.edienungs
Mannschaft mit Gewehr und Handgra
nate verteidigt werden müssen.
Quer tibtt den Weftarm des Trys
wiatyseeS zieht sich ein mächtiges doppel
tek Drahthinl.rnis, das die am Ostufer
stehenden Russen daran verhindern foll,
die Eisdecke de! Sees zu nächtlichen Un
ternehmungen zu benützen. Umfassende
Flankierungsanlagen mit Maschinenge
webren und Kartätschenbatterien schützen
diese Hindernis, das viele Menschen
kräfte ersetzt. Ob es auch durch elektri
fche Ladung noch besonderen Schutz er
halten, konnte ick, nicht erfahren; da
aber die ganze Gegend von Kraftleitun
gen durcbzogen und in den Stellungen
dieser Front fast der letzte Unterstand
mit elektrischem Licht versehe ist. wird
woA auch hi alles vorgesehen sein. Im
Gelände folgt Bodenwelle auf Boden
welle, so daß d Ausblick stark behin
dert ist. Die Artilleriebeobachtung muh
sich nahe der vordersten Jnfanteiieftel,
lung einrichten. An den Ufern des
großen Sees aber weitet sich d Blick.
Die Seesperre schneidet den westlichen
Flügel des Sees ab. der somit gänzlich
keutsches Gebiet wird. An ibrem slld
liehen Ende trifft sie bei ein Halbinsel,
die men etwa mit Buenos am Zugersee
1 vergleichen könnte,auf dü Befelttzuns!
Südlich Dünaburg.
Eine Reise an die Ostfront, von Ulggenbach.
anlagen der südlichen Nachbardivision. !
Der sich in nordslldlich Richtung er j
streckende Teil des Sees, der die beide
Linien trennt, ist in seiner obern Hälfte
bis S Kilometer breit, verengt sich dann
auf 1,5 Kilometer, um in feinem Süd
teil wieder eine höchste Breite von 4,3
Kilometer zu erreichen. Am Südende
des Sees fiht man. auf zirka 9000 Me
ter Entfernung, dem bloßen Auge er
kennbar, die mächtige Kirche des Fleckens
Trhsiviaty, der dem See den Namen
gegeben. Von unserem Standpunkte
aus sind die russischen Stellungen etwa
1800 Meter entfernt; der Zeißfeldstecher
erlaubt einem den Glauben, dort am
Oftufer des Sccs die russischen Posten
zu erkennen.
' Aus erklärlichen Gründen muh ich es
mir versagen, das Divistonsstabsquartier,
das uns am zweiten Tage zur Unter
kunst diente, näher zu beschreiben. Schon
einmal mußte die Division daS Ouar
tier wechseln, da die Russen durch all
nächtliche Beschießung mit 25 Zentime
tci'Geschützen die Nachtruhe zu erheb
lich beeinträchtigten. Der Tivisionskom
mandeur erzählte mir, er und seine
Herren hätten damals mit dem Einschla
seii immer warten müssen bis zum Ein
treffen der drei Granaten. Da auch die
jetzige Unterkunft noch nicht sg ganz den
Bedingungen einer Lebensversicherung
entspricht,' empfanden wir es als eine be
sondere Liebenswürdigkeit der Russen,
dah sie. trotz Kaisers Geburtstag, unsern
Schlaf nicht durch eine Beschießung
störten.
Große Unternehmungen haben an die
sem Teile der Front fckon seit längerer
Zcit nicht mehr stattgesunden. Aber je
stiller sich der Gegner verhält, umso
ungemütlicher und nervenaufregender ist
die Situation für die verantwortlichen
Stellen. Fast greifbar nahe liegen sich
die Gegner in den vordersten Gräben
und Horchpostcn gegenüber ni. doch,
was dahinter vorgeht, ob Verstärkungen
angekommen sind, ob Truppen weggezo
gen wurden nach anderen Teilen der
Front, ob es noch dc. alte Gegner ist.
ob bessere und unternehmendere Regi
nicnier im Abschnitt eingctroficn oder
junge und unerfahrene Truppen einem
gegenüberstehen, all dies ist lro Flie
geraufklärung und unermüdlicher Be
obacklung nicht immer einwandfrei fest
zustellen. Ich konnte deshalb die Freude
des Generalstabsofsiziers der Diviston
ledhaft mitfühlen, als er feinem Kom
mandeur die Meldung machen konnte:
.Wir haben ei.ien!" . Da war doch wie
der ein Anhaltspunkt gegeben; sofort
verschwand auch der Tolmetscheroffizier.
um den Gefangenen abzuhören. Es
sollte aber noch besser kommen. Schon
am Nachmittag hatten wir fahken, daß
die Russen ein Stück deutschen Grabens
von etwa 100 Meter Breite mit rund
tausend Granaten eingetrommelt hatten.
Sonderbarerweise erfolgte jedoch weiter
nichts, so daß die Deutschen Zeit fan
den, den Schaden notdürftig wieder zu
flicken. Erst in der Nacht ging ein 40
Mann starker russischer Trupp unter der
Führung eines Offizier bor. Man ließ
sie bis zum Hindernis herankommen und
verjagte sie mit Maschinengewehrfeuer
und Handgranaten. Dies genügte aber
dem dort kommandierenden Offiziers
sicl!vei!retcr nicht, mit zwei Freiwilligen
sprang er aus dem Graben, rannte den
sliehenden Russen nach und griff sich
drei Mann aus dem Trupp heraus.
Wohlbehalten kehrte er mit seinen Ge
fangenen in den Graben zurück. Aber
nicht immer biete! der Gegner solche
Möglichkeit, die erwünschten Gefangenen
zu machen. Tann müssen besondere
Erkundungsunterichmungen veranstaltet
werden. Auf die Sekunde genau muß
alles dabei klappen. Ueberraschend wird
ein Teil der feindlichen Linie eingelrcm
mV, die vom Russen auch meist sogleich
verlassen wird. Sprungbereit stehen die
Sturmtrupps im Graben. Der Zeiger
r'ickt auf den verabredeten Augenblick.
Da stürmen sie auch schon, holen sich
aus dem Graben alles, was etwa zur
Aufllärung über den, Gegner dienen
kann und rasch sind sie auch schon wie
der im Graben zurück, während ihnen
das im Angriffe vorancilende, im Rück
wege folgende Artilleriefeuer Schutzge
währt.
Wichtige Nachrichten sind das Ergeb
nis solch kleiner und doch so bedeutungs
voll Offensive, bedeutsam auch, weil
sie zeigen, daß der Offensivgeist der
Truppe trotz des langen Graber.krikge
nicht abhanden gekommen ist. Die?
zeigt sich ganz besonders deutlich bei den
Sturmtrupps. I einer eigenen Scrule
hinter der Front werden die Leute au?
gebildet, meist sind e Männer, die sich
freiwillig zu diesem hervorragen" gk
jährlichen, a'oei auch ruhmreichen Dienst
gemeldet haben. Unter dem Stahlhelm
hervor blitzen ihre Augen in trotzig küh
ner Entschlossenheit. Da e! gerad:
Feiertag ist. sehen wir sie leider nicht bei
der Arbeit, doch genügt ein Blick auf
die Haltung der Leute, um zu sehen,
welcher Geist in dieser Abteilung herrscht,
die von einem Hauxtmann, den es trotz
schwerster Verwundung nicht mehr zu
Hause litt, in mustergültiger Weise ge
leitet wird.
An einem kühlen Sonntagr ngen fuh
ren wir in munterem Schneegestöber zur
Nachöardivision, vorbei an einer großen
Zahl von Landeseinmohnern, die zu Fuh
oder mit Schlitten von dem Gottesdienst
im nahen Landstädtchen zurückkehrten.
Die kleine Stadl. malerisch gelegen zmi
schen zwei Seen, überragt von einer
riksigeg Kathedrale, neben der die er
thodore Kirche nur durch ihre Eleganz
und ihre goldstrotzende,: Kuppeln ini
gemäßen zur Geltung zu gelangen der,
mag. soll uns für zwei Tage Unterkunft
bieten, wanrend der wir die Einrichtun
gen der Division vom Kiro bis zum
vordersten Drabtoerbau besichtigen kann
ten. Tie Anstalten hinter der Front
sind hier gleich vorzüglich wie überall,
ei herrscht die gleiche" Freude det Er,
schaffen! aus dem Nichts, der gleiche
Stolz über die Entlausungsanstalt,
wahrend dem von Berlin her etwas ,ent
sleischten' Besucher Schlächterei und
Wurstfabrik mehr Interesse entlocken,
ganz abgesehen davon, daß wir dort eine
mehrere Fleischkarten sebwere Wurst als
Kostprobe mitbekamen. In der guten
JahreSzcit war täglich ein erhebliiher
Prozentsatz der Division zur Pflege des
Körper! und des Geistes nach der Stadt
kommandiert. Kein Wunder also, daß
die betreffenden Einrichtungen, wie Bä
der, Kasinos. Stadtpark mit Musik
Pavillon. Soldalenheime, Lesehallen und
Theater mit besonderer Liebe ausgebaut
waren. Von ganz seltenem Geschmack
seiner Vibauer zeugt daS Theater mit
seiner klassizistischen Saulenvorhalle aus
ungeschälten Kiefernstämmen.
Aber den militärischen und oft
noch in stärkerem Maße den unmili
tärischen Berichterstatt zieht es ,,ach
dorne. Dem Letztgenannten ist eS ja oft
mehr um die Sensation zu tun, wad
rend es den Soldaten eben immer und
überall wieder zum Soldaten hinzieht.
Gerne verlebt er mit den Kamerade? die
fröhlichen Stunden der Erholung, ober
in erster Linie will er die großartigen
Leistungen der Frontsoldaten erschauen,
ihre Gefahren und Strapazen, wenn
auch nur für wenige Augenblicke, mit
ihnen teilen, dem wirklichen Kriege ein
mal ins Auge ',hen. Nach kurzer
Schlittenfahrt auf der großen Haupt
straße verließen wir diese, um aus einem
.Kurfürstendamm' getauften Wege zu
ein Beutebatterie zu gelangen, die in
einem bewaldeten Hügel eingebaut ist.
Diese Batteriestellungen sind mit der Zeit
eigentliche Festungen geworden. An Holz,
Eisen und Beton ist nicht gespart. Was
zu Beginn des Krieges als Deckung an
gesehen wurde, das wird heute mit Recht
als Kinderspielzeug verlacht. Wer ein
mal die Wirkung der 42 Cm.Geschosse
gesehen, unter denen dauernde Befesti
gungen, wie die Forts von Kowno, in
Staub zerfielen, dem erscheinen selbst die
heutigen Deckungen noch IS recht un
sichere Unterkunst. Ueberall sind auch
mehrere Stellungen hintereinander be
reits ausgebaut, so daß die Russen,
selbst wenn sie an einem Orte einbrechen
könnten, nur In einen Sack laufen wür
den, der von allen Seiten unter flan
Zierendes Feuer genommen werden kann.
Bon der Batterie führen Kurfürsten,
dämm' und .Potsdamer Weg' zu den
vordersten Gräben, die auf der .Huber
tushöhe' zwei- bis dreihundert Meter
vom Gegner entfernt sind, während sie
sich beim .Tartarenhügel" auf hundert
Meter und weniger nähern. Tie letzt
genannte Bastion hat ihren Nomen von
einem Tartaren, der einst, als die Stel
lung noch nicht so gut ausgebaut war,
in voller Ausrüstung munter durch die
deutschen Linien hlndurchspaziert und
erst weit hinter der Front aufgegrifsen
worden war. Der Mann hatte sich in
der Himmelsrichtung geirrt und war so,
statt nach seinem Ziele, der russischen Fe
stung im Osten, zum deutschen Divi
sionsquartier im Westen gelangt.
Es ist heute nicht diel los und .loch
knattern alle Augenblicke Maschinenge
wehre, pfeift ein Jnfanteriegeschoß über
den Graben hin oder krachen Minen,
diese .unheimlichen Dinger, die in allen
möglichen Kalibern durch die Luft
schwirren. Auf ihre Spuren im Gra
den stoßen wir alle paar Schritte. Heute
scheinen mehr die Deutschen mit dem
Schießen an der Reihe zu sei, die Ruf
sen antworten noch nicht, obwohl mit
kurzen Pausen die Granaten aus unse
rem Graben zu ihnen hinüberfliegen, so
daß wir unbehelligt bis zum Horchposten
vorkriechen könnnwo uns die Russen
beinahe sprechen hören können. Das
Postensiehen bei einer Temperatur von
mehr als 20 Grad Kälte ist eine schwere
Arbeit. Wohl bietet der weiße Pelz
mantel dem Manne einigen Schutz, aber
gerne kehrt er nach der Ablösung in den
wohlig warmen und elektrisch beleuch
lrten Unterstand zurück. 1
Wir durchqueren im Graben auch die
große Landstraße, die sich, nach russischer
Art schnurgerade und ohne Rücksicht auf
Ortschaften, nach dem nur wenige Kilo
meter entfernten Dünaburg hinüberzieht.
Ter Abschnittskommandant läßt es sich
nicht nehmen, unS in seinem Häuschen
ein Frühstück anzubieten, und so scheiden
wir selbst auS der vordersten Linie wohl
verpflegt.,
Ter Schulze von Buch, dem Gute
an der Berlin Stettin Bahn, konnte
im Jahre 1760 ein Lied von den Russen
singen Als diefe Berlin belagerten,
kamen am 7. Oktober früh zunächst sie
den Kosaken nach Buch und plünderten
die Lauern aus; abends um 8 trafen
weitere Kosaken ei und setzten den Be
trieb fort. Mit brennenden Strohwischen
auf den Lanzenspitzen ritten sie auf die
Bauernhöfe und drohten, olle nicdcrzu
brennen, wen nicht 1000 Taler gezahlt
wurden. Ten Pfarrer bearbeiteten sie
mit dem Kantschu, nachdem sie sein Haus
ausgeplündert hatten. Am schlimmsten
aber erginc dem Dorfschulzen. Der
sollte dem Gesindel de Weg zum nack,
kten Dorr eiaen. 3rn Bucker Busch
k7 machte d Kosaken mit ihm .Hange
versuche . um itm a das Stnben zu et
wohnen. Mehrmals hängten sie ihn auf;
aber sie schnitten ihn immer wieder ab.
Dah sie es beim letztenmal nicht der
gaben, scheint daraus hervorzugehen, dah
uns die Bücher Chronik von diesem Vor
fall Melduna statten kann. Wer hätte
e! sonst wissen können! Ab zweimal,
gkhanat ist beinahe so schlimm die ein
mal gestorben, nd d arme Schulze hat
gewiß w Lkbtaz o die vose icaß,t ge
dacht. Die Einwshn flüchteten sich in
zwischeu in die Heide, und erst m'1.
Oktober wagten sie. in ihr gänzlich der
wufletkö Tors heimzukehren.
Ueberfchreitet man daS Maß. ss
wird das Angenehme zum Unangeneh
wen.
Sei iiirkijchen Hruppen.
von Dr. Alax Gsdsrn.
Am Cereth. Anfang Februar.
U ttii und E cknee leuchtet fremd
artige, phantastische Buntheit. Ueber die
weiße Straße zieht eine ragiierio um,
anders anzusehen, als alle, die ich je
erblickte: die Maulesel seitlich bepackt, in
einer ungewohnten, sehr praktischen Art;
die Treiber, die mit lanzen Stecken in
kiucr fernen Sprache ihre Vierfüßler
lenken, In eigentümlicher Tracht. Ueber
die Schultern haben sie Mäntel und
Decken geschlungen, die von der Uniform
kaum mehr etwas erkennen acn. un
um ihre soldatische Kopfbedeckung, die
ohnehin schon wie eine Kreuzung aus
Tropenhelm und Turban aussieht, haben
sie. um auch die Ohren aen die Kalte
zu schützen, Tücher um Tücher gewickelt,
weiße, weiß gewesene und saibige, gutes
orientalisches Zeug oder gleichgültige
Fetzen, das alles nun wiederum, wenn
auch nur obenhin, so doch aus anererbter
Technik kunstgcreckzt turbanartig gedreht
und befestigt. Und Leiterwagen- mit
Verwundeten kommen an, mit hockenden
Gestalte wie auS alten Holzchnttten
und verklunaenen Erzählungen. Und
Reiter sprengen heran, auf kleinen, flin
kcn Pterdchen, vag den Scannern oir
Füße fast bis auf die Erde herabbau.
mein. Da! fliegt dahin mit Lanze und
Flinte, den Kopf vorgebeugt, der Mantel
flattert wunderliche, märchenhafte
Silhouetten husche am weißgrauen
Himmel vorbei.
Orient und Schneegestöber. eS will
nicht recht stimmen. Aber hier, wo
deutsche, österreichisch-ungarische und
bulgarische Truppen neben ottomanischen
kämpsen. ist alles voll sonderbarer Ge
gensätze. Mischungen und Beziehungen.
Der Zufall bringt mich etwa eineS
Abends an einen Tisch zu drei deutschen
Offizieren. Man kommt ins Gespräch
und ins Erzählen. Der eine, ein Haupt
mann, hat unter dem alten Goltz eine
Truppe geführt. Er spricht von den
Eigenheiten der Stamme, von Kut el
Amara. Ein andrer Hauptmann und
ein Oberleutnant. Artilleristen, haben an
der kleinasiatischen Küste gegen die Eng
länder gefochten und schildern ein wag
halsigeS. geglücktes Unternehmen bei
Mondschein gegen eine kleine Insel in
der Nachbarschaft einer von den Eng
landein besetzten größern Stellung. Am
andern Tage begegne ich dem Haupt
man in Begleitung eines ' türkischen
Leutnants. Ich frage leise: spricht der
türkische Herr Teutsch? ,No,. schon!
aber halt a biffcl gebrochen', sagt der
Türke schmunzelnd in reiner vberbayri
scher Mundart. Dann lacht n vergnügt
und berichtet, wie er mit einem andern
Münchener von der Coie Lorraine her,
wo es gar zu fad und zu schmutzig
wurde, nach Gallipoli gegangen sei, um
dort aber .erst recht in den Dreck' zu
geraten. Nun sitzt beim Stäbe eines
türkischen Korps. Man kommt sich, wie
ein Stubenhocker und Bierphilister gegen
diese Männer vor, die sich den Wind der
Welt um die Nase wehen ließen. Man
spürt etwas wie eine Ahnung künftiger
großer Aufgaben für uns alle. Und be
lustigt sich zugleich über daS drollige
Problem deS NebeneinanderS von straf
fem deutschen Wcsen nicht ohne Zusatz
von Trockenheit und dem Abenteuerlichen
morgenländisch Expeditionen.
Meine liebenswürdigen Serdhführcr
kennten mich eine? Tages auch zu türki
fchen Truppen hinausbegleiten. Winter
und Frost schienen bei diesem Besuch
noch infernalischer zu toben als sonst.
Denn die Osmanen leiden natürlich sehr
fchwer unter der Kalte. Derartige Bru
talitäien des Wetters kennt man in ihren
heimischen Gefilden denn doch nicht.
Und manche Araber, die sich in ihren
Regimentern befinden, haben überhaupt
noch niemals Schnee gesehen. Nun ma
eben sie mit diesem Naturphänomen
gleich gründliche Bekanntschaft. Sie
hatten namentlich zu Anfang Schlim
mes zu erdulden, da sich nicht so schnell
in genügender Anzahl Decken herbei
schassen und O)cfen in die Unterstände
einbauen ließen. Aber sie haben auch
daS mit einer heroischen Ruhe und
Zähigkeit ausgehalten, die redliche Re
spekt fordern. Inzwischen ist längst
alles so eingerichtet, dah der Aufenthalt
sur sie erträglicher geworden.
Zwischen Gräben, Drahtverhauen
und beschneite Erdhügeln tauche merk
würdige Gruppen auf. Schlanke Män
ner mit dunklen Gesichtern und hageren
Händen, wieder von Mänt?!n Tüchern
und Turbangewinden umschlungen und
umwickelt. Jeder hat es anders ge
macht, jeder sich auf eigene Weise gehol
fen. Sa malerische Mannigfaltigkeit
bringen unsere deutschen Musketiere
allerdings nicht zustande. In immer
neuen Varianten hülle sich die tutki
schen Mannschaften ein, hocken sie zu,
sammen, stehen sie schwatzend beieinan
der. Trüben sind Gewehre und Tor
nisier einer Abteilung, die mit dem Spa
ten schafft, mit Zetttüchern gegen das
Schneegestöber gedeckt. Davor steht ein
Posten, der sich gleichfalls in eine Zelt
bahn verpackt Hot, und man weih wirk
lich nicht, ob mo hier oder dort Segen
stände oder lebende Gestalten oder ver
zauberte Mensche vor sich hat.
Mir, der ich das alleS zum ersten
Male sehe, ist zumute, als seien alte
Kindermärchen mit einem Schlage leben
dig und greifbare Wirklichkeit geworden.
Nur zu diese Märchen und Knaben
Phantastereien gehörten Glutsonne und
blau Himmel, traumhafte laue Mond
scheinnachte und üppig duftende Blumen
und dergleichen. Und hier stehen alle
diese Kinder del Propheten leibhaftig in
Stanheit und EiS. statt des Wüsten
sandeS stäubt körniger, trocken Schnee
auf.und sie stehen in blutigem Ernst,
in härtestem Dünst.
ES gibt kein, prangenden Märchen
mehr, nur noch massive, stumpfe Tat
sachlichkeit. Tuse furchtbaren Jahre
laben mehr noch als das ganze 1?.
Jshrbunberk. dii damit begann, der
Menschheit die süß? Schselgerei Iriu
mrif lksckickten auStr!ckn. Di'
Pascha's wurden zu Generalen, die
EfcndiS zu Leutnants tn ijetograu,
Häupter der Gläubigen werde nich
mehr von Barbieren aus Bagdad rasiert.
r,,v,, An unn iitnhHil ii)f r
lUHUllil lirffc UUl. . , , '
Millimctermaschinen korrekt geschoren,
und selbst der Haivmono nmio
Eisen. Und an modernen Geschützen
hantieren türkische Artilleristrn fo ge
schickt und pünktlich wie die unseren.
Den jungen Leutnant aus Kurdistan
mit dem blauschlvarzen Haar kann ich
mir ohne Mühe als Prinzlein in Sei
dengewändern und Goldstickereien vor
stellen; aber er ist ein vorzüglicher Tech
niler und gerühmter Kanonenkenner.
Dann aber kam etwas, daS mich tief
erschütterte. Wenn wir als Kinder uns
in Orientgeschichien hineinspielten, so
trug ich stets denselben kurzen und klang
vollen Namen: Ben Ali. Und nun
komme ich. auf dem Rückweg von der
Front, ins Quartier einer Division, die
in einem wüsten, verschneiten Rumänen
dorf haust; Ivir begegnen dem General
stabsosfizi, und Hauptmann R., mein
freundlicher Mentor, sagt zu mir: .Ge
statten Sie, daß ich Sie vorstelle' Herr
Hauptmann Ali Bei' ! Ich wäre
beinahe auf den Rücken gefallen. Aber
Herr Hauptmann Ali Bei begrüßt mich
verbindlich in recht gutem Deutsch. Er
erzählt von den Kämpfen mit den Ruf
sen und der Kälte und ist stolz darauf,
wie trefflich in der Division nunmehr
alle dorgesorgt ist. Ich jedoch muß. an
glückliche Frühzciten denkend, heimlich
immer murmeln, wie der Ungar in der
bekannten Anekdote: .Ali Bei. Ali Bei.
wie hast du dich verändert!'
Der Divisions Kommandeur, eine
prachtvolle Erscheinung, voll sprühender,
gewinnender Lebendigkeit, ist ein Araber
mit herrlichen Zähnen, d sich in flie
ßeiidem Französisch unterhält und statt
des Burnus eine forsch sitzende Obcrleut
nants.Uniform trägt. Im Nebenhalls,
hocken Mannschaften um ein Kohlen
decken und lochen sich nach altem Nezepi
in den kleinen, langhenkeligen Kännchcz
das Wasser zum nationalen Kaffee,
Der deutsche Oberleutnant, der bei unl
ist. und der erstaunlich sicher türkisch
spricht, fragt sie nach ihrer Herkunft.
Sie springen auf und stehen stramm, als
hätten sie daS in einer preußischen Ka
ferne gelernt. Fast alle Provinzen und
Stämme des Sultan und Kalifcnrsi.
ches sind bei ihnen vertreten. Daneben
steht einer mit aufgepflanztem Bajonett
unbeweglich wie eine Statue: er bewacht
das Heiligtum einer zusammengerollten
Fahne.
Nein, au Tauscndundciner Rocht ist
daS Wohammedanertum längst zu hcl
lem Tage wackt, und seine Söhne,
nach deutschem Muster militärisch et
zogen, entfalten höchstt soldatische Tuch
tigkeit. So haben sie in der Dobrudsckia
und am Argesul und auf dem Wege zum
Sereth hin sich ihren Anteil am Siege
der Verbündeten erstritten. So bestehen
sie jetzt, neben den Unsern, den Strauß
mit dem Winter und dem alte russi
schen Erbfeind. Sie stapfen durch die
weglosen Schneefelder. Ihre Kolonnen
schleppe mif unsäglichen Mühe Mu
nition, Proviant, Baumittel heran. C ie
ertragen die eisigen Nächte im feuchten
Unterstand oder unter dünnen Zelten
draußen auf dem beschneiten, vom Frost
haitgebackenen Boden. Und sie wehren,
neben den Unsern, tapfer und unermüd
lich dem Russen den 'Einbruch ins ver
lorene rumänische Gebiet Sie wissen
nun deutlicher noch als früher, daß die
Wut der Feinde dem türkischen Reich
genau so an die Gurgel will wie dem
deutschen. Das laßt den uralten fi
giös-nationalen Kriegslist in ihnen n'U
aufflammen, in der modernen Form, die
nicht laut und pathetisch, sondern still
und entschlossen ist. DaS kittet die froh
bestätigte, im Siegen und Leiden gehär
tete Waffenbrllderfchaft.
Wieviel Verwundungen
kann der Mensch er
tragen? Natürlich hängt daS bor allem von
der Art der Verwundungen ab, deren
einzelne sofort tötlich wirken. Anderer
scits können oft Wunden, die an sich be
langlos' sind, durch Vernachlässigung
oder auch durch Verblutung,, wenn sie
nicht bald verbunden werden konnten,
schwere Folgen nach sich ziehen. Den
Rekord a Wunden im DeutschFran
zösischen Krieg 187071 erreichte wohl
der ArtillieLeutnant HaaS, dn bor
etwa zehn Jahren zum ReichsgerichtSrat
in Leipzig ernannt worden ist. Bei Le
Maüs wurde er am 9. Januar 1871
zum erste Male verwundet. Er kom
mandierte weit und zog noch am an
dern Morgen mit auf den Kampfplatz.
' Weil er aber wegen seines geschwollenen
verwundeten BeimS nicht weit reiten
konnte, fuhr er mit auf der Protze dort
hi. stieg dann ab. sah seine Geschütze
nach und kommandierte ruhig weiter.
AIS nach einiger Zeit die Franzosen sich
auf die im Walde von Le ManS stehende
deutsche Artillerie eingeschossen hatten,
traf eine französische Kugel daS Seschiitz,
tei dem HaaS stand, zerschlug daS G
fchützrohr, ezplodierte mit furchtbarer
Gewalt und riß Pferde und Leute
fchwervenvundet zu Boden. Leutnant
HaaS hatte 17 Kugeln im Körp, an
de Kugeln hatten fein Zeug und fei
nen Mantel zerrissen. Tie Besinnung
verlor HaaS nicht, sondern n soll dann
noch einmal .Feuer!' kommandiert ha
ben. Nach langem, schwerem Krankcn
lager. auf dem ihm daS Eiferne Kreuz
L Klasse verliehen wurde, schied Haas
auS der Armee, um sich nun der Rech's,
Wissenschaft zu widmen, und daß er sich
auch auf diesem Weg, tapfer erwies,
zeigt feine glückliche Laukbahn, die ikn
bis zum nächste deutschen Gericht
sthrte.