Tägliche Omaha Tribüne. (Omaha, Nebr.) 1912-1926, December 30, 1916, Image 7

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Wvieke eines Meutrnlen. welcher
Rnknng Oktober in England war.
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V. London bei Nacht.
Mein lebhafter, mit ein gelinden
Bangigkeit gemischter Wunsch, einen
. Zcppclmbcsuch in London mitzuerleben,
" iji nicht itt Etsüllung'gigaligen. Aber
ich habe doch genug von der physischen
und moralischen Wirkung gesehen, web
. che die Angrisse dieser Luftungcheuer
aus da! Leben in englischen Städten
ausüben, um einige darüber berichten
zu können. Bor allem ist da Bild der
Hauptstadt, sobald die Dunkelheit ringe
treten ist. cm allen Ecken und Enden
Kon der Furcht vor den Luftfchisfüber
raschnngen beeinflußt. London bei Nacht
ist für jeden, der bei lebhaste und be
wegte Nachttreikn in der Zeit vor dem
Kriege dort mitgemacht hat, nicht Wie
derzuerkennen, und die Erinnerung an
die seltsamen Eindrücke, die es jetzt ge
währt, werden jedem Besucher unver,
eszlich sein. Wie weit liegt die Zeit
hinter uns, da Picadilly und der Zir
kus, der vielbesungene Leitest Square
und Bond Street, der Zentralpunkt
(Gatt White Wah') des fröhlichen
Nachtleben der Metropole. Abend um
Abend in wahre Lichtflutcn getaucht
waren, denen die Scharen der Vergnü
gnngsüchtigen zuströmten, und die
.,' - zahllosen Sttaszenlampen und die Rie
. senlichtretlamcn der Caföö, Theater und
Geschäfte, den Himmel meilenweit mit
einem grellen Schein erleuchten! Jetzt
ist alles finster. Alle djcst Hauptstra
ßen der Lebenslust liegen in unhetm
lichcm, trübseligem Dunkel, aus dem
schwache Lichtpünktchen, blohe Schatten
der Lichtexzesse. von einst, hcrvorfchim
mern. Die Straßcnlampen brennen
nur sehr gedämpft, sind samt und fon
derS nach oben mit schwarzer Farbe ab
geblendet und erleuchten nur einen klei
ncn Kreis ringö um ihren Fuß. Schau
fensterbeleuchtung ist nur in beschränk
tcm Maß und bis zu einer bestimmten
Stunde gestattet, und auch hier ist durch
Elenden dafür gesorgt, daß kein Licht
strahl nach oben dringt. Noch weniger
darf in irgend einem der oberen Stock
werke von Wohnungen oder Geschäfts
hausern ein erleuchtete Fenster sichtbar
werden. Alle Fassaden sind schwarz.
Jedes Fenster ist durch einen dicken
Vorhang abgeschlossen, der .nach 'ganz
genauen Vorschriften so beschaffen sein
muh. daß er auch nicht den geringsten
Lichtschein nach außen dringen läßt. Es
ist auch Vorsorge getroffen, daß jeder
einzelne für ein Versehen in dieser Rich
iung hastbar gemacht werden ' kann.
Jeder Hotelgast wird durch eine an ficht
barer Stelle angebrachte Warnung dar
auf aufmerksam gemacht, daß er für ge
hörigen Verschluß der Fcnstervorhänge
während der Nachtzeit persönlich vcr
. antworilich ' ist. Zuwiderhandlungen
werden mit Geldstrafe und Haft sireng
bestraft. Namentlich, wenn eben wie
, der ein Luftschiffangriff stattgefunden
hat, steigert sich die Wachsamkeit der
' Polizei und der hierfür speziell bestell
1 itn Aufsichtsbeamten, und es hagelt Be
strafungcn. Die Schgrfe der Bcstim
mungen und ihrer Durchführung ist zu
fthends im Wachsen. ' -
- Aber trotz dieser beängstigenden Ein
.schränkung der öffentlichen Beleuchtung
und der Unterstützung, die ihr von den
. Häusern und Geschäften her zuteil wird,
kann der flutende Straßenverkehr der
, Weltstadt nicht, eingestellt werden. Er
wird unter tausend Schwierigkeiten und
Jährlichkeiten fortgesetzt und die Zahl
der Menschenopfer, die so der Zeppelin
schrecken indirekt zur Folge gehabt hat,
ist nicht gering. Der Wagenverkehr ist
biZ 1 Uhr in der Nacht, und besonders
vor und nach dem Theater, sehr lcbhast.
Man stelle sich vor: Londoner Wagen
verkehr in fast unbeleuchteten Straßen!
Es ist ein phantastischer Gedanke, aber
es muß gehen. Auch hier fud eine
czanze Reihe besonderer Vorschriften er
lassen, über deren Einhaltung auf das
genaueste gewacht wird. Jeder Wagen,
welcher Art immer, muß außer Lichtern
vorn ein rgteS Licht auf der Rückseite
führen und alle Kutscher haben sich aus
der Erfahrung heraus daS beständige
Linksfahren,' zur Pflicht gemacht. In
den Hauptstraßen, namentlich in dem
- von Theatern, Cafös und anderen Ver
Inügungsplätzen auegefüllten Wesiend,
ist die Zahl der den Verkehr überwa
, chenden und regelnden Beamten Legion,
Diese haben nebenbei noch eine andere
Ausgabe zu erfüllen, die mit der fatalen
Dunkelheit der Straßen zusammen
hängt: die verstärkte Aufsicht Über 2a
- schendiebe und Einbrecher; denn in die
fern Punkte hat die Kriminalität durch
die äußeren Verhältnisse begünstigt,
blitzartig zugenommen. Eine Besserung
ist auch noch nicht zu verspüren, wäh
rend die Ausbildung der Aerkehrkor
ganisaiion immerhin eine Almahme der
Ctraßenunsälle zu: Folge gehabt hat.
Diese waren in den ersten Monaten
, nach Beginn der Zeppelinkampagne und
d:r Verfinsterung der Großstädte er
schreckend zahlreich und der Gegenstand
der erregtesten offentlicben Erörterung.
Namentlich wurden diele Füßgänger
durch Autos und Autobusse, die nicht
mit der nötigen , Vorsicht fuhren, über,
fahren, und ebensoviel Menschen kamen
durch Wagenzusammenstöße ;in der
Dunkelheit zu Schaden.
Allmählich - bat der Wagenverkehr
eltnso gelernt, 'sich den verändertm Be
bingunaen anzupassen, wie das Publi
(um. Trotzdem bieten aber die Straßen
in kr Umgebung der Theater . nach
2 '!s? der Vorstellung ein sehr er.
r.Mi Bild. Es herrscht Mangel an
- 3Tutc3, und man steht Diener aufgeregt
ttoki Häuscrgrtnerte weit mit dem
it.. f.: Taxi, Taxi!' nach Womn ren
nen, und von ollen Seiten ertönen die
Mannten schrillen Pfisfe. - Die doraiis
ksieSten Wagen, die an der Rampe
iisfahren, find schnell besetzt und im
verschwunden. Aber sehr diele
Theaterbesucher müssen auch in London
darauf verzichten, einen Wagen zu erlan
gen, und nach halb oder vicrtelstllndi
gem vergeblichen Worten sich zu Fuß
oder mit der Straßenbahn oder im
Autobu nach Hause begeben. So sieht
man gar nicht selten auf dem Dach eines
solchen Autobuö eine Gesellschaft Herren
und Damen in feinster Abendtoilette zu
sammengepfercht. Auch sieht man viele,
In Friedenözeitcn tiicht gerade straßen.
fähige" Fahrzeuge im Betrieb; alle,
Mas auf Rädern läuft, ist jetzt willlom
men.
Der abendliche ToilettenluxuS hat
übrigens trotz aller Dämpfer, die der
Fröhlichkeit such deS reichen Publikums
aufgefetzt sind, noch keine Einschränkung
erfahren. In diesem Punkte ist der
Gegensatz zwischen England und Deutsch
and, und auch zwischen England und
Frankreich auffallend. Ueberall in Ge
cllschaft sieht man die teuersten und
,rachtvollsten Stücke Pariser und Lon
oner Arbeit, die ersichtlich das letzte
Wort der M?de darstellen.. Die Er
Mahnungen zur Sparsamkeit, die in der
Presse und im Publikum laut geworden
sind, haben sich auch ausdrücklich auf die
ses Gebiet erstreckt, aber, soweit man
sehen kann, bis jetzt ohne jeden Erfolg.
Auch daS Tanzvcrgnugen in den Hotels
geht Nacht für Nacht seinen Gang wei
tcr, wenigstens bis Mitternacht. , Wer
die Soupers nach dem Theater und die
Bälle in den führenden Hotels beobach
iet, das Heer der Domen in ausgeschnit
tenen Kleidern und Herren im'Frack, die.
hier unermüdlich und unersättlich ihrem
Vergnügen nachgehen, der wird kaum
glauben, daß die Brüder und Väter eben
dieser Leute um dieselbe Stunde allen
Beschwerden und Leiden des Schützen
grabenS und deö FrontkampfeS ausgesetzt
sind. Immerhin ist Offizieren wie
Mannschaften, nickt allein in Uniform,
fondern auch in Zivil, der Zutritt zu
diesen Lokalen verboten.
Der Krieg hat auch dem Leben in den
berühi.lten Londoner Nachtklubs keinen
Abbruch getan, unter denen Ciro und
Murray die bekanntesten sind. Auch der
nächtliche Konsum an seinen und weni
ger feinen geistigen Getränken hat, soweit
w:nigstenS der äußere Anschein den
Fremden lehrt, schwerlich eine Abnahme
erfahren. Die Regierung hat ja feit dem
Krieg die Kontrolle über den Verkauf
von Branntwein, Wein und Bier über
nommen. und die Sparfamkeitspropa
ganda 'hat das Publikum besonders zu
einer Einschränkung seiner Ausgaben für
diese Genüsse ermähnt. Die Statistik
weist auch einen gewissen Rückgang deS
Gesamtverbrauchs an geistigen Geträn
ken auf; dennoch ist offenbar, daß ein
starker Mißbrauch noch in weiten Kreisen
im Schwünge ist. Mitglieder der könig
liehen Familie und politische Persönlich,
teilen haben stch öffentlich zur Mäßig
keit, wenn nicht zur völligen Enthalt
samkeit bekannt, um der Gesellschaft und
dem Volke ein gute! Beispiel zu geben,
und nicht ohne einen gewissen günstigen
Erfolg. Aber die zu Beginn des Krieges
nach russischem Vorbild eingeleitete Be
megung. die ein absolutes Älloholverbot
zum Ziel hatte, ist rasch wieder einge
schlafen, und es besteht wenig Aussicht,
daß durch den Krieg eines der größten
Uebel des englischen nationalen Lebens
eine wirkliche und dauernde Einschrän
kung erfahren wird. Die Ackerfläche, die
mit Hopfen und zur Brennerei bestimm
ten Körnerfrüchten bestellt ist, ist unge
heuer groß, namentlich in den Graffchaf
ten Kent, Surren und Sussex. Deshalb
würde ein völliges Verbot der Herstellung
und des Verkaufes von Branntwein und
Bier für einen f ausgedehnten Bezirk
des Landes eine finanzielle Katastrophe
im Gefolge haben, so daß daran im
Ernste gar nicht gedacht werden' kann,
zum mindesten nicht wahrend des jetzi
gen kritischen Zustande; der gesamten
wirtschaftlichen Verhältnisse. Die jetzt
zu Recht bestehenden behördlichen Mäßig
keitsvorschriften sind übrigens recht fühl
bar. In ganz England dürfen alkoho
1iscke Getränke nur von 12 bis Z Uhr
mittags und von ez bis 9j Uhr abends
verkauft werden. So wenigsten steht
eS auf dem Papier. Jeder Betrieb, in
dem die Abgabe geistiger Getränke er
folgt, jedes Hotel, jede Bahnhofswirt
schaft und auch daS public home des
gemeinen Mannes fällt unter die Vor
fchrist. Aber wenn irgendwo, so heißt
es hier, daß Gesetze gemacht sind, um
übertreten zu werden". Man kann sich
natürlich während der regelmäßigen Ver
kaussstunden einen ganz hübschen Fla
schenvorrat für späteren Gebrauch zu
legen. Auch hat der Zimmerkellner im
Hotel gewöhnlich einen etwas umfang
lichen Behälter für sich reserviert, den er
dem Trinkgeld spendenden Gaste mit ver
Ningertem Durste gern zur Verfügung
pellt. Während der zugelassenen Ver
kaussstunden ist der Andrang zu Hotcl
bars, Wirtschaften und Erfrifchungs
räumen der Theater oft beängstigend,
und es kann dem Gesetzgeber nur zum
Trost gereichen, daß infolge d:r parken
?tachfrage der einzelne nur langfamnd
ungenügend bedient werden kann. Das
Freihalten ftreatin?) ist aufs strengste
verboten, und augenscheinlich wird diese
Vorschrift da, wo cS möglich ist. wirklich
scharf kontrolliert. Die Barmaid kann
immerhin nicht wissen, ob nicht unter der
Schar der Gaste, die ihren Schanktisch
begierig umdrängen, ein .Geheimer" sich
befindet, der ihr daS Geschäft verderben
kann. Wünscht nun jemand wirklich
einen Freund freizuhalten, so bleibt ihm
nichts übrig, als diesem vorher das Geld
für die Gabe des Bacchus oder der CereS
in die Hand zu drücken. Co ist der Vor
fchrist, daß .jeder sür sich selbst bezahlt",
äußerlich Genüge getan, und die Bar
maid hat, selbst wenn sie die finanzielle
Transaktion mit ansteht, keinen Grund
zum Protest.
Eine starfe Form der Ucbertretung
der Trinkgch.e bilden die geheimen La:
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Bom westlichen Kriegsschauplatz : Einladen von deutschen und englischen Verwundeten in zn diesem
' Zweck hergerichtete Straßenbahnwagen in Cambrai.
.privaten" Charakters, die namentlich in
obskuren Gasthöfcn blühen. Sie find
nur dem Wirt genau bekannten Gästen
geöffnet, aber für diese zu jeder Zeit des
Tages und der Nacht und ohne Preis
aufschlag. Der Stammgast kann auch
soviel Freunde mitbringen, als er will,
die dort trinken können,, soviel und so
lange sie Lust haben, und das Freihalten
ist hier natürlich an der Tagesordnung.
Freilich, bleibt jede dieser Kneipen nur
so lange im Beirieb, als die Polizei nicht
dahinter kommt.
Die besonderen Verhältnisse, die in der
Hauptstadt während des Krieges Herr ,
schen, vor allem das magisch Dunkel der
Straßen, erschwert der Polizei auch ihr
Amt gegenüber anderen Nachtseiten des
sozialen Lebens, so besonders gegenüber
der Halbwelt. Das ist gegenwärtig ein
trauriges Kapitel. Man sieht die oft
recht elend aufgeputzten Gestalten buch'
stäblich zu Hunderten die Hauptstraßen
einsäumen, paarweise auf und abgehen
oder in Hausg'cingen oder an Ladentüren
,in Gruppe beisammenstehen. Ihre Zahl
wird gegenwärtig auf 100,000 geschätzt,
und dies trotz der ungeheuren Zunahme
der Frauenarbeit in England seit Beginn
des Krieges eine wirkliche tragische
und vielsagende Illustration zu den
sozialen Verhältnissen Londons im
Kriege.
Die Nacht ist auch die Zeit, in der
hauptsächlich die Truppcnzüge nach Lon
don kommen oder die Hauptstadt in der
Stille verlassen. Man bekommt sie ,nur
selten zu Gesicht und ihr Hin und Her
geht ziemlich geheimnisvoll vor stch. Sie
kommen und verschwinden im Verborge
nen, und daS Publikum merkt kaum et
was von Truppenbewegungen innerhalb
des Landes und von der Abfahrt große
rer Truppenkörper zur Front. Früher
waren diese geheimnisvollen Eisenbahn
fahrten Anlaß zu den allersonderbarften
Gerüchten. So wurde einmal allen
Ernstes behauptet, daß eine ungeheure
russische Truppenmacht in einer einzigen
Nacht durch England hindurchgekommen
sei, und es gibt heute noch Leute in
England, die fest an dieses Märchen
glauben. ES wird auch so eingerichtet,
daß die Züge des Roten Kreuzes mit
Verwundeten in der Stille der Nacht in
die Hauptstadt einlaufen. . Sie kommen
zu allen Stunden auf den verschiedensten
Londoner Bahnhöfen an. Geschieht eS
vor Mitternacht so sammelt sich immer
hin eine beträchtliche Menschenmenge in
der Nähe und erfüllt sogar die anstoßen
den Straßen. Die Menge zeigt sich im
mer still und betroffen, und in der Tat
'kann sich niemand einer gewissen Bestem
mung und Ergriffenheit erwehren, wen
er sieht, wie diese großen, khakifarbigen
LazarcttautoS eines nach dem anderen
in die Bahnhöfe rollen, ihre menschliche
Last auf ihre Bahren füllen und dann
wieder flill in der Nacht verschwinden.
Das ist dann London bei Nacht von der
anderen Seite. In den größeren Pro
inzstädten und kleinen Landstädten ist,
soweit ich feststellen konnte, im entspre
chend verringerten Maßstabe das nächt
lich? Gesamtbild nicht diel anders. Der
Verkehr fehlt hier, und das Leben er
scheint in den finsteren Straßen noch
düsterer und gedrückter. In den Küsten
Plätzen namentlich ist oft nach Sonnen'
Untergang nicht ein einziges Licht zu
sehen, und der Vergnügungsreisende, der
sie aufsucht, findet dort heute gar nichts.
waS ihn vergnüglich stimmen könnte.
VI. England nter dem Militaris
mus.
Für den Neutralen, der England
und die Aeußerungen des englisch?
LolksgeisteS dvr dem Kriege kannte, ist
nichts erstaunlicher als die Geschwindig
keit, mit der sich das freie Voll" der
britischen Inseln in seine Rolle als ml
litaristische" Nation gefunden hat. So
heftig der Kampf um die allgemein
Wehrpflicht ist. so schwere politische Er
schütterungen von ihrer Einführung be
furchtet worden sind, so rasch und leicht
hat man sich doch im großen ganzen mit
ihr abgefunden. ' Das kommt aber nicht
don einem Prinzipiellen Wandel in der
Sinnesart deS Volkes infolge des Krie
es, sondern weil der Zwangsdienst die
Erlösung suZ all dem Wirrwarr und all
den Ungerechtigkeiten und Widerwärtig
leiten gebracht hat, die mit der zuletzt
doch nur sogenannten freiwilligen
Rekrutierung verbunden war.
Heute wird überall offen zugegeben,
daß die freiwillige Rekrutierung von
Kriegsbeginn an durchaus nicht nach
Wunsch ging. Am bereitwilligsten tra
ten zuerst die Mitglieder des Adels und
die Sprossen der ältesten Familien des
vereinigten Königreichs in das Heer ein.
Bei den Kämpfen in Belgien und dann
speziell in Flandern in den ersten.
Kriegsmonatcn hat die englische Ansto
statte furchtbare Verluste erlitten. Aus
den Kreifcn der Arbeiterschaft und des
Bürgertums war der Zustrom zu den
Werbebureaus gar nicht so bereitwillig;
der Krieg galt damals 'dem Durch
schnittsengländer wirklich noch als eine
Sache, die von Politikern und Soldaten
erledigt wird, die ihn aber im Grunde
nichts angehe. Darauf setzte, um die
Reihen der Regimenter in Belgien und
Frankreich auszufüllen, in der Zeit vor
dem Derby"SyfteU. die bekannte ziem
lich theatralische Werbekampagne ein.
Marfchall Kitchencr war durch sie ge
radezu zu einer Art Reklamechef ge,
macht worden, der mit Massenversamm
lungen, Reklamen und Plakaten in gi
gantischcm Maßstabe, Reden, Vortragen
und Gesängen ernsten und heiteren Cha
raktcrs arbtiteie, laut und öffentlich an
Patriotismus und Ehrgefühl appellierte,
und sich auch nicht scheute, die Unwilli
gen nach Kräften lächerlich zu machen,
Aber die ungeheure und sehr kostspielige
Anstrengung ergab doch nur ein sehr
mäßiges Resultat. . Obwohl jedem auf
Weg und Steg, in Wort und Bild und
aus tausenderlei andere Weise vorgehal
ten wurde, daß es gerade seine Pflicht
sei, des Königs Rock zu tragen, und daß
das Land und Kitchencr gerade ihn
brauche, fühlten sich doch alluviele nach
wie vor in ihrer bürgerlichen Kleidung
ganz wohl. Darauf verfiel man nach
vielem Hin und Her aufs Derby"
System, das schon ein verschleierter
Zwangsdienst und ein Uebergang zur
festländischen Methode gewesen sei.
Danach wurde, wie erinnerli. die
ganze männliche Bevölkerung zwischen
13 und- 40 Jah:en in sechsundvierzig
Klassen geteilt, und zwar 23 Klassen
der Gruppe A (Unverheiratete) und
dreiundzwanzig der Gruppe B (Verhei
ratete). Die Sache fand anfänglich
ziemlichen Beifall; mu redete n oder
ließ stch einreden, daß nu die beste, dem
.englischen Geist entsprechende' Lösung
deS Problem ksunden fei. Aber nach
ein paar Wochen zeigte sich die Kehr
feite der Medaille. Ein eklige, Streit
brach zwischen de Verheirateten und
den Unverheirateten aus. Die Ehemön
ncr und die Familienväter hielten sich
an ein ihnen von Asquilh gegebenes
Versprechen, daß sie nicht her in die
Kasernen zu kommen brausten, als bis
olle Unverheirateten big zum 40. Le
bensjahr sich freiwillig gestellt hätten.
Diese aber ließen sich nicht zwingen, und
es gab endlose Streitigkeiten, die nicht
zur Freude der Regierung im Parla
ment ausgetragen wurden. Große Un
zusriedenheit entstand dann auch über
das mit der Rekrutierung Hand in
Hand gehende System der Dienstbefrei,
ungen. Dabei spielte Konnexion und
Protektion, Verwandtschast und Geld
eine ziemlich große Rolle. Man wies
auf unzählige Fälle hin, bei denen ver
mögende und im öffentlichen Leben her
vorgetretene Leute ohne weiteres als
unabkömmlich befreit worden waren,
während mit dem Armen und Unbe
kannte von den Behörden kurzer Pro
zeß gemacht wurde. , Hier wurde ein
Fall mit größter Strenge, dort ein ahn
lich liegender mit der vollkommensten
Nachsicht behandelt.
So kommt es, daß die allgemeine
Wehrpflicht, die wenigstens in der
Hauptsache gleiche Behandlung und Ge
rechtigkeit für alle brachte, vielfach als
Rettung auS einer höchst mißlichen Lage
begrüßt wurde.
Mit einem gewissen Gleichmut sah
man nun Maßnahmen sich of dem
freien britischen Boden einniste, von
denen man vor dem Kriege sich, mit
Schauder abgewandt hätte. DaS erste
war die polizeiliche Eintragung jedcS
Bewohners von England und Schott
land (Irland war und ist auch heute
,'vch von der allgemeinen Dienstpflicht
ausgenommen). Das war keine leichte
Aufgabe, denn England hatte da in ein
paar Wochen eine Arbeit zu erledigen,
die in allen anderen Ländern jahraus,
jahrein im Gange gehalten war, und sie
wurde nicht gerade überall in größter
Vollkommenheit erledigt. Ich weiß aus
persönlicher Erfahrung, daß doch im
Lande des Königs Georg noch eine start
kiche Anzahl feiner Untertanen herum
läuft, die nicht in die polizeilichen Listen
eingetragen sind und sich ganz wohl da,
bei sühlen. Aber selbst Zur den, der ein
getragen ist, ist es immer noch nicht son
derlich schwer, sich der Einberufung zu
entziehen, wenn es ihm so paßt. Auf
tauchen und Verschwinden ist in den
großen Städten, von ganz bestimmten
Bezirken abgesehen, doch die. einfachste
Sache von der Welt, und der ungefähr
beten Verstecke gibt es ebenfalls genug.,
Die Regierung hat auch selbst bemiesen,
daß sie noch mit dem Vorhandensein
einer großen Anzahl von DrllScber
gern" rechnet. ' Denn sie hat erst kürz
lich die in der Öffentlichkeit und in der
Presse so scharf angegriffenen Treib
jagdcn" auf Rennplätzen und anderen
Vcrgnügungsorten. Theatern, Lichtspul
Häusern und dergleichen veranstaltet.'
Das Ergebnis war freilich fehr etittSu
fchend, und der Blamierte bei der Sich
war die Militärbehörde; aber der Vor
gang beweist doch, daß diese nicht soviel
Rekruten bekommen Hot, als sie rech
nungsmäßig erwartet hatte, und daß
das Netz des gegenwärtigen Rekrutie
rungssystems auch noch sür den Dienst
unwilligen reichlich bequeme Maschen
ausweist. So ist denn die Polizei auch
überall im Lande, in . Großstädten
ebenso wie in größere und kleineren
Provinzorten, angewiesen, auf alle et
waigen Drückeberger ein wachsames
Auge zu haben, und man kann es sehr
häufig mit ansehen mir selbst ist
das ein paarmal passiert daß ein
Schutzmann einen mehr oder weniger
stattlichen Jüngling auf der Straße an
hält und nach seinen militärischen Aus
wcispapiercn fragt. Wer sein Verhält
nis zur bewaffneten Macht nicht voll,
ständig klarstellen kann, erhält eine Ein
ladung zu näherer Besprechung auf der
nächsten Polizeistation, von wo man sich
dann zunächst mit seinen Angehörigen
und Bekannten zu genauerer Feststellung
in Verbindung fetzt.
Natürlich wird aus diesen und ande
ren Gründen aiii, an der Durchführung
deS Dlenstpflichtge'ehes schar'. Kritik
geübt. Lebhafter Widerspruch i wei
ten Kreise richtet sich namentlich auch
gegen die von Asquith mit si viel Feuer
verteidigte Bestimmung des Gesetzes,
wonach Männer mit Gewissevsbeden
ken" verlangen können, vom Frontdienst
befreit und mit riner Arbeit fürs Heer
hinter der Front beschäftigt zu werden.
Die Energie, mit der Asquith. feinen
puritanischen Traditionen treu, diese
Ausnahmebestimmung durchgesetzt hat,
hat sicher nicht zur Erhöhung seiner Po
pularität bei der Masse beigetragen.
Denn es konnte nicht ausbleiben, daß
fehr viele Leute plötzlich Gewissensbe
denken gegen daS Geschäft deS TötenS
bei sich entdeckten und ihre prinzipielle
Gegnerschaft gegen den Militarismus
unter Berufung auf diese Klausel an
meldeten. Ursprünglich war sie natür
lich nur dazu bestimmt, Quäkern und
Angehörigen ähnlicher Sekten auS einer
wirklichen Gewissensnot zu helfen, und
es ist anzunehmen, daß also nur ein
ganz geringfügiger Prozentsatz der Ein
berusenen überhaupt in Betracht kom
men konnte. Statt dessen stellten sich
die Männer, denen ihr Gewissen nicht
erlaubte, eine asfe in die Hand zu
nehmen und sich an der vordersten Front
einzufmden, in Scharen ein. Unter ih
nen waren aber auch solche, deren religi
öser Fanatismus bis zur höchsten Er.t
Wickelung gesteigert war. Bei den Ber
hören solcher Antragsteller gab eö
manchmal die merkwürdigsten Szenen.
S wurde .einer - gefragt: . .Also. Sie
weigern sich unter allen Umständen, ei
nem Feinde da Leben zu nehmen?"
.Unter allen Umständen."
.Setzen wir den Fall, Sie sitzen mit
Ihrer Schwester zusammen, ein Wahn
sinniger stürzt mit gezücktem Messer in
der Hand auf die Echmesicr zu; wllr
den Sie keinen Versuch machen, sie zu
retten?" Ich würde eS in GoticS
Hand lassen." war die fromme Ant
Wort.
Mit der Zunahme dieser .Skrupel
männer" (consiientiouS objectorö") bat
sich auch eine weniger wohlwollende Be
Handlung dieser Klasse Wehrpflichtiger
durch die Behörden eingestellt, die ihrer
seitS wieder Anlaß zu heftigen Klogen
und sensationelle Parlamentsdebatten
gegeben hat. Nach den geltenden Be
ftimmungen hat der wegen der Gewis
senöbcdenkcn vom aktiven Dienst B
freite da Recht aus Beschäftigung in
Munitionsfabriken oder eine ähnliche
Arbeit hinter der Front.
Es hat sich aber da und dort die Pra
xis herausgebildet, diese Leute als
nichtkämpfende Soldaten' in Lagern
unterzubringen, in denen sie dann eine
höchst unbehaglich Ezistenz führen. ES
sind genaue Bestimmung erlassen wor
den. die ihre Beschäftigung und BeHand
lung regeln und sie gegen Ungercchtigkci
ten schützen sollen. Aber in der Praxis
hat man doch vielfach diese Leute fühlen
lassen, daß man zivischen den .Echten"
und .Unechten' unter ihnen keinen Un
terschied macht. Die schwersten, die un
angenehmsten und die unreinlichsten Ar
beiten werden ihnen zugewiesen, sie müs
fen sich daS Aergste gefallen lassen. ES
ist auch zu körperlicher Mißhandlung
und zu Bestrafungen wegen Widersetz
lichkcit gekommen. Die schlimmsten
Fälle für die Betroffenen warm na
mentlich die, wo die .Gcwissensbeden
ken" von der Behörde nicht anerkannt
Worden waren, aber' doch von dem Ein
gezogenen im Dienste auch nter schwe
rer Strafandrohung nicht fallen gelas
fen wurden. Die Offiziere stellen sich
dann gern blind gegenüber Ausschrei
tungeg. die ein solches Opfer zu erdul
den hat. Wenn feine glücklicheren Ka
meraden mit ihrem Dienste fertig sind,
gibt es für ihn immer noch zu tun, wen
sie Urlaub haben, muß er im Lager
bleiben und exerzieren. Wie die Gesin
vung namentlich bei den niedere Bor
gesetzten ist. dafür habe ich selbst ei
Beispiel auf einem der größten Londo
ner Bahnhöfe erlebt. Dort stand em
Korporal mit vier Mann und wartete
aus den Zug. Drei der Soldaten über
gaben auf den Wink deS Korporals ihre
Gewehre dem vierten, der sie ihnen über
allhin nachtragen mußte. Die drei gin
gen dann nach einer Erfrischungshalle,
um Tee zu trinken.' wahrend der Korpo
ral und der vierte Soldat draußen blie
hen. Auf die Frage, warum er sich nicht
auch einen Labetnink gönne, sagte dann
der Korporal in ziemlich gehässigem
Ton: Der ist ein C. O. (conscientiouS
gbjector); trinke ich einen Tes. fo mutz
er auch einen kriegen, und ich verzichte
lieber selber darauf, als daß ich ihm
einen gönne.'
Der Vorgang zeigt sehr deutlich die
Verachtung und den Widerwillen, den
der durchschnittliche Tommy gegen die
religiösen Aniimilitaristen empfindet.
Für diejenigen unter ihnen, die nach dem
Kriegsschauplatz gesandt und dort un
Mittelbar hinter der Front als Schipper
oder sonstwie beschäftigt werden, fall die
Lage noch viel schlimmer sein. ES soll
vorgekommen sein, daß einzelne sich dort
über ungerechte Behandlung beschwerten.
Die Folge war. daß sie noch mehr, noch
härtere und widerwärtige Arbeit auf
gebürdet bekamen als zuvor. So sehen
sie es bald als das Vernünftigste an,
zu schweigen und sich zu fügen. Von
vielen Soldaten wurde mir erzählt, die
.Skrupelmänner' hätten zumeist nach
zwei oder drei Monaten die Sache so
gründlich satt, daß sie ihre Gewissens
bedenkt ausgeben und sich zum aktiven
Dienst an der Front melden. ES gibt
übrigens unter ihnen auch solche, die je
den Dienst im Interesse deS HeereS, also
auch in Fabriken und sonst hinter der
Front, oerweigent. Diese werden un
weigerlich aufS strengste bestraft, meist
mit mehreren Monaten, Gefängnis.
Wenn sie nachher immer noch auf ihrem
Widerstand beharren, kommen sie vor
ein Kriegsgericht, und ihre Verurteilung
zu einem Jahr Zuchthauö (hard labor)
ist dann nichts Seltenes. Es fehlt jetzt
nicht an solchen Insassen der englische
Strafanstalten.
i Man gibt sich jetzt ziemlich Muhe,
auch die Kolonien zur Einführung der
allgemeinen Wehrpflicht zu veranlassen,
aber Mit mäßigem Erfolg. Nur Neu
seeland hat sich schon dazu bereitfinden
lassen. In Australien ist eine Volksob
stimmung trotz der maßlosen Propa
ganda, die der Ministerpräsident HugheS
feit seiner Rückkehr von England betrci
den hat, gegen den Plan ausgefallen,
und man ist darüber in England ziem
lich betroffen, auch wegen der möglichen
Wirkung auf Kanada. Die gcgenrvär
tig konservative kanadische Regierung
hat sich bereit erklärt, alle Maßnahmen
zu treffen, um die versprochene halbe
Million Soldaten zu liefern. Aber man
ist heute schon in England überzeugt,
daß sie nur sehr ungern zu dem Mittel
der Zwangsaushebung greifen und dieS
erst dann tun würde, wenn alle anderen
Mittel versagen. Auf unbegrenzten
Zufluß der Rekruten aus den Dominien
rechnet man in England keineswegs
mehr, und man mußte sich schon wieder
stark mit dem Gedanken deS Zuruckgrci
fcnS auf die eigenen Reserven befreun
den. .
Vielleicht kommt man auf diese Weise
zu einer Revision der zahlreichen Dienst
besreiungen. Wie diese zustande ijm
wen. ist ja bekannt. Es gibt überall
in England besonZe WerichtsZLfe, . dü
über Befreiungsanträge zu befinden hfl,
den, wobei noch die Berufung an eine
höhere Instanz offen steht. Diese Ge
richte (gewöhnlich sind sie district
courts") haben immer zu tun. : Ihre
Entscheidungt hakn auch Unzufrieden
hcit genug erregt. Man sagt, daß na
menliich aus du Lande, wo so hüusig
Nachbarn und Bekannte der Nichter von
diesen abgeurteilt werden, weitgehende,
ganz unmilitärische Nachsicht geübt wer
de. Das schon hat zur Ersetzung man
ckcr einheimischer Richter durch auSwär
tige geführt, die etwas weniger Rücksicht
auf die Bedürfnisse der Landbewohner
als der Heeresverwaltung nehmen. Auch
sind die Bestimmungen neuerdings ver
schärft worden; doch gibt es der Befrei
ungsgründe, die mit Erfolg geltend ge
macht werden können, noch übergenug.
Dienstfrei sind noch immer alle, die in
.reservierten Berufen' beschäftigt sind,
und dahin gehören außer Geistlichen
-auch die Rcgierungsbeamten in zahl!
chen Vcrwaltilngszweigen, Angestellte
im Munitionsfabrikwefen und andere
melxr. '
Es hat sich jetzt eine Bewegung gel
tend gemacht, wonach junge und kräftige
Leute auS den Regierungsämkrn her
ausgenommen und, soweit möglich,
durch ältere, dienstuntaugliche Beamte
ersetzt werden sollen. Da und dort ist
auch der Ruf laut geworden, daß die
jungen Geistlichen lieber das Gewehr
tragen sollen, aber eö ist wenig wahr
scheinlich, daß e zu einer Abänderung
des bestehenden Vorrechte! der Geistlich
keit kommt. ' ,
Ziemlich liberal wird Dienstbefrewng
in ucken den Fällen gewährt, wo eS sich
um den einzigen Ernährer alter Eltern
oder sonstiger Verwandter handelt, so
daß seine Einziehung wirkliches Elend
für die Betroffenen zur Folge haben
Würde. Auch werden die Reklamationen
von Arbeitgebern berücksichtigt,, die nach
weisen, daß die Einberufung don beson
ders geschickten Arbeitern oder Angestell
ten in wichtigeren Stellungen ihnen er
heblichen geschäftlichen oder finanziellen
Schaden bringen würde. Es ist nicht
zu leugnen, daß manche betrügerische
Praktiken unter diesem System groß ge.
worden sind und die Behörden allen zu
prüfenden Fällen sehr scharf entgegen
gehen müssen. Mir ist sogar ein Fall
bekannt, wo von Hecrespflichtigen Be
freiungsscheine gefälscht worden sind.
Die Strafen, die in solchen Fällen ver
hängt werden, sind natürlich sehr schwer, ,
und oft folgt ihrer Verbüßung die
zwangsweise Ueberweisung an die Mili
tärbehörden. Ziemlich ausgebildet soll
das System der .Freimachung" unter
den reicheren Landwirten sein. Neber die
Zustände in einigen Grafschaften, fo be
sonders in Devonfhire, sind sehr wenig
erbauliche Dinge aufgedeckt worden. Es
ist den Leuten gelungen, ihre Söhne un
ter den nichtigsten Vorwänden freizube
komme, und mir ist sogar ein Fall be
kannt, wo ein Famicr in Devonfhire
drei diensttaugliche Söhne hatte und sie
alle ftei bekam. Er hatte alle seine ge
mieteten Arbeitskräfte vorher entlassen,
so daß er vor Gericht schtvören konnte,
die Hilfe seiner Söhne sei ihm uncnt
bchrlich, um seine Ernte hereinzubrin
gen. Natürlich gibt eS auch Farmer, de
ren Söhne im Heere dienen oder sich so
gar fteiwillig gestellt haben, und unter
diesen ist wnn die Erbitterung über die
weniger gewissenhaften Kollegen befon
ders groß, und es ist auch schon zu öf
sentlichen Kundgebungen gegen solche
gekommen.
Unter allerlei solchen Ricibiingen und
Widerständen hat sich die Dienstpflicht
in England durchgesetzt. Aber sie hat
sich doch durchgesetzt. Daran ist nicht
zu drehen und zu deuteln. Man schätzt
die Zahl der Soldaten, die England da
heim und an den Fronten uirler Waffen
hat, auf fünf Millionen Mann; und je
deö HauS in Stadt und Dörfern hat
feine Soldaten hergegeben so gut wie in ,
Frankreich oder Deutschland der Ruß
land. Man macht nur noch ein bißchen
mehr Wesens davon. In den kleinen
Städten hängen die FamiKen. die einen
oder mehre Söhne beim Heere haben,
sonderbar Abzeichen in die Fenster.
Bänder mit t'mm Kranz daran, daS
dem Eisernen Kreuz nicht unähnlich
sieht, und zwar soviel Bänder mit Kreu
zen, als Bewohner deS HauseS beim
Heere stehen. Meist sind eS nur ein oder
zwei, aber auf dem Land habe ich ein
mal ein Fenster mit fünf solchen Ban
dern nebeneinander gesehen, daS ' ohne
Zweifel den Swlz des OrteS bikdte.
Neben der allgemeinen Wehrpflicht
für das Heer geht die Anwerbung für
die Flotte in der althergebrachten Weise
ihren Gang. Die öffentlichen Auffor
derungen zum Eintritt in die Marine
sind überall angeschlagen. Aber die
WerbebureauS, in . denen RekruticrungS
osfiziere mit sehr verbindlichen Manie
ren Dienst tun, üben, soviel ich sehen
konnte, egenwärtig nur geringe Anzieh
ungskrast. Ich wenigstens habe einmal
eine ganze Stunde vor einem solchen
Bureau gewartet, aber während dieser
Zeit keinen einzige Freiwillign, em
treten sehen.
Mnssische Valjnbnuten. '
Nach einer Meldung der Pc!cr??inger
Telegrafenagentur sind für das Jahr
1317 2823 Millionen Ni'bcl für den
Bau neuer russischer CtaatsÜahnen und
zur Ausdehnung des bereits bestehend?!!
Eisenbahnnetzes ausgeworsen. Im Jakr:
1917 wird mit dem Bau von elf Linien
begonnen werden. Zu diesen gehören:
die Bahnen von Riäsan nach Tula. von
Moskau nach Massin und Ienez. von
NischnUNowgorod nach SimbirZk und
Kinel. von KoilaS nach Soroki. Schlief.
lich eine transkaukasische Eisenbahn. Die.
Gesamtlänge aller duser, Linien tritt,
:Wt WMMWs.- T -"-'
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