Tägliche Omaha Tribüne. (Omaha, Nebr.) 1912-1926, November 02, 1916, Image 7

Below is the OCR text representation for this newspapers page. It is also available as plain text as well as XML.

    Vi
-
t:
.tn
JtJ
fl .
V . '
uma
d
Tödliche Lmsha ZxMnt
f:A
"i .
r
v
?
h
i
.
tf
!,
ff
f Was wird aus Fußland?
?io öedroytsn Kauptstcidke.
Von Dr.
'fnt. !f) in früheren Artikel die
ftUguietne iltifii besprach, die dZ ge.
samt wirtschasiliche Leben de, russischen
Tuli durchmacht, habe ich die Lage der
beiden Hauplstödle. Petersburg und
Moskau, schon gelegentlich preisen müs.
sen. Dennoch musz ich daraus noch auS
führlichcr eingehen.
ß darf all bekannt vorausgesetzt
werden. dK der Mangel und die Teue
rung. die sich Im europäischen Rußland
allthalben schwer fühlbar machen. In
den beiden Hauptstädten besonder heftig
' Kuten. weil da versagende BerkehrS
Wesen deS Reich vollends nicht imstande
Ist, die Millionenbevölkerung Peter!
ding und Moskau zu versorgen.
Schon vor einigen Monaten schrieb der
Vorsitzende einer Petersburger Leben,
mittelkommiffion "darüber im Nowoje
EBremja": .Wir tvollen die kommende
Oerpsleanna der SRcfibcn oenau in
kluge fassen. Bei 2.400.00 Einwohnern
im allerhöchsten 200,000 genügend be
V1 rnittelt. Diese werden alle haben:
um .r.ls-t. . w nr, . .t . '
Uicia; uno oiiereixroouiie unv gich
Und Geflügel und Gemüse, bis zu
Trüffeln und Wein. Und nicht von
ihnen ist hier die Rede. Aber wovon
werden sich die zwei Millionen zwei
hunderttausend der Armut und de
Proletariats ernähren? Bei der Tätig
keit der Wasserwege und Eisenbahnen,
bei der Zufuhr von Erzeugnissen au
den umliegenden Kreisen per Achse wird
die Hauptstadt sich über den Herbst und
den Anfang deS Winter hinwegdarben.
ber wovon wird sie sich mit Beginn
de Jahre 1017 nähren? Korn wird,
man heran schaffen, ober der jetzt schon
hohe Preis dafür wird stark steigen.
Fleisch wird e nicht geben. ... Milch
und Mottereiprodukte wird ei nicht sie
den. Fisch und Geflügel wird e nicht
geben. Und da sind schon alles Produkte
der Massenernährung, wenn man nicht
Eier. Zucker und Salz rechnet.'
Inzwischen hat sich schon während de
Sommers die Lage noch weiter der
schlechtes. Eier sind schon jetzt sehr hoch
im Preise und kaum zu haben. Zucker
ist noch knapper als bei uns und zeit
weise überhaupt nicht mehr zu haben.
Im Lause des Juni war von den 4C0
Waggon Zucker, die Petersburg erhal
t:n sollte, kein einziger eingetroffen.
Und das; sich die Zuckcrnot im kommen
den Erntejahr noch wesentlich verschär
fen muß, habe Ich schon früher darge
legt. Auch die Grütze, die ein Haupt
Nahrungsmittel des russischen Volles
lr'oet, war, wie schon erwähnt, so gut
,oie völlig ausgegangen, und die Kar
löffeln hatten schon jetzt Preise erreicht,
die die höchsten in Berlin gezalilten um
ein mehrfache übertreffen. Was soll
nun im nächsten Winter werden, wo sich
alle diese Schwierigkeiten weiter steigern
müssen?
Tatsächlich haben sich auch die Aus
sichten für die Zukunft weiter verschlech
teil. Aus einer Reihe von Nachrichten
geht hervor, dak sich die Hossnung. wäh
r
, tenb dieser Navigationsperiode größere
Vorräte auf dem Wasserwege hcranzu
schassen und ansspeichern zu können, nur
In ganz unzureichendem Maße verwirk
licht hat. Au der Ferne betrachket, mag
e Erstau.ttn erregen, daß da gewaltige
System von Flüssen und Kanälen, über
da Rußland verfügt, nicht mehr dazu
beitragen konnte, die Transportschwic
kigkeiten de Reich zu mildern. Wer
ober nur einmal die Wolga hinunter
gefahren ist, der wundert sich darüber
nicht. Denn er hat sich davon überzeugen
können, daß man selbst diesen mächtig
ften aller europäischen Ströme so sehr
hat versanden lassen, daß schon seit
Jahren ein wasserarmer Sommer feine
gesamte Schissahrt in Frage stellen
kom i. Die wenigen und veralteten
; Baggermaschinen, denen man auf tage
langer Fahrt begegnete, machten in
. ihrem aussichtslosen Kampf gegen die
' ausgedehnten Sandbänke einen halb
lächerlichen, halb tragischen Eindruck.
Infolgedessen war die Flußschiffahrt in
Nußland überhaupt nur wenig ent
wickelt, und selbst die außerordentlichen
Vergünstigungen, durch die man sie
während de Kriege zu heben versucht
'hat (da! Holz für den Barackenbau
! wurde zu einem Zwanzigstel de nor
! malen Preise geliefert), konnten daran
bei der Kürz? der Zeit nicht diel andern.
!Vor allem fehlte eS aufs äußerste an
Schleppdampsern, deren Bestand wegen
der industriellen Krisis nicht wesentlich
erweitert werden konnte. So wird denn
' in der Presse immer wieder darüber ge
' klagt, daß nicht einmal dak Brennholz,
; das für den langen MInter unbedingt
; schon jetzt auf dem Wasserwege heran
geschafft und aufgestapelt werden müßte,
beschafft werden kann. So droht denn
der Winter mit neu verschärfter Not an
'Lebensmitteln und Heizmaterial. Von
der Wohnungsnot und dem schweren
Mangel an Kleidung und Schuhwnk.
der überdies im ganzen Reicht herrscht,
habe ich schon gesprochen.
Alle Maßregeln sind gegen diese Ver
Hältnisse machtlok. denn verstärkt man
die Zufuhr auf dem einen Gebiet, auf
dem die Not gerade besonder dringend
ist, so Kitt sie sofort um so deutlicher
auf anderen Gebieten zutage, die In
zwischen vernachlässigt werden mußten.
E, ist die alte Geschichte de Fabel
dichter Krylow vom armen Trischka,
der so schleckte Erfahrungen damit
machte, al er feinen durchlöcherten Kaf
tan mit Flicken stopfen wollte, die er
an anderen kraul herausschnitt. Schon
jetzt Ist die Lage so. daß von autorita
iiv Seite eine Vermehrung der Kram
tzeitkzisfern festgestellt wird. Da Sani.
Zatskuiaioilum eines großen Peter
iurger Stadtteils faßte in diesem Som
mer eine Resolution, in der es hieß:
In Anbetracht der wachsenden Schmie
rigkciten in der Beschaffung der Nah
r,mmi!tel und ihrer Teuerung, ange
ficht ferner der-damit in Verbindung
Hans Vo rst.
stehenden Vermehrung der Erlrankungen
an Skorbut, entsteht die unausschicbb'are
Notwendigkeit, öffentliche Speisehallen
einzurichten. Aber auch diese Mittel,
da gewiß geeignet ist. eine gemisse
Knappheit zu mildern, muß natürlich
versagen, wenn tS nicht mehr möglich ist,
die notwendigsten Mengen an Nah
runglmitteln heranzufchafsen. In Mo
kau steht e kaum besser. Ueber eine
Generalversammlung der Moskauer Sa
nitätskuratorien berichtete vor einiger
Zeit da .Nußkoje Slowo': .Die Ver
treter der peripheren Stadtteile wiesen
darauf hin, daß sich die Ernährung der
Bevölkerung auf Grund der unerhörten
Teuerung sehr verschlechtert habe. Der
Prozentsatz der Erkrankungen habe sich
erhöht. Diese Tatsache erhärten alle
Moskauer Krankenkassen."
Angesicht dieser Sachlage hat sich
natürlich die russische Regierung vor die
unmittelbar drolxende Frage gestellt ge
sehen, wa zu geschehen habe, um die
für den Winter drohende Katastrophe
abzuwenden. Und nicht kann die Hilf
losigkeit der Regierung und die Trost
losigkeit der Situation besser illustrieren,
als da Mittel, das dafür in Anwen
dung gebracht werden soll. Man will
nämlich zunächst Petersburg und dann
Moskau evakuieren. Da man nicht im
stauoe ist, die notwendigen Nahrung?
Mittel und da Heizmaterial für die
Bevölkerung heranzuschaffen, so will
man, mit anderen Worten, versuchen,
die Menschen zu den Nahrungsmitteln
hinzubefördern.
Aber auch diese verzweifclie Mittel
hat wohl schmerlich Aussicht auf Erfolg.
Schon als die eisten bestimmteren Nach
richten über derartige Pläne bekannt
wurden, fragte ein bekannter Abgeord
ncter in der Duma, wie man denn das
machen wolle, wo doch die Eisenbahn
Verhältnisse so bestellt seien, daß man
ohne Protektion kaum Aussicht habe, in
Petersburg ein Billet zu erhalten, selbst
wenn man freiwillig abzureisen beab
sichtige. Anfang waren die Projekte, auf
solche Art eine Entlastung der Haupt
städte herbeizuführen, noch in ziemlich
vager Form aufgetreten. Noch im Mai
wurde in der besonderen Kommission
für Heizmaterial, die unter dem Borsitz
des Unterstaatssckretär Prilcshajcw
tagte, allen Ernstes der Plan erwogen,
in Petersburg alle Theater, Kinemato
graphen und Vergnügungslokale für die
Zeit de Krieges zu schließen. Es wurde
dabei ausdrücklich darauf hingewiesen,
daß, von der so erzielten Ersparnis an
Heizmaterial abgesehen, die Residenz
ohne Vergnügungslokale für einen Teil
der Bevölkerung an Intern ffe verlieren
und auch aufhören werde, einen gckvis
scn Prozentsatz der Zurcisende anzn
ziehen". Diesen Gedanken hat man doch
wieder fallen lassen, weil er nicht ge
nügend Erfolg versprach.
Man überlegte sich nun, welchen Teil
der Bevölkerung man zur Abreise zwin
gen könnte, verfiel dabei vor allein auf
die Flüchtlinge auS den vom Feinde be
fetzten Gebieten, und am 16. Juli kam
ein Beschluß de Ministerrats zustande,
diese vom Kriege schon so schwer geprüf
ien Leute von neuem zwangsweise aus
zusiedeln.
Wenige Tage fpätir veröffentlichte der
Fürst W. A. Obolenski in der .Rjetsch"
einen interessanten Artikel, der auch diese
Maßregel mit aussührlicher Motivie
rung einer vernichtenden Kritik unterzog.
Der Fürst wies darauf hin, wieviel
Geld und Arbeit von allen möglichen
öffentlichen Organisationen darauf ver
wandt worden seien, die Flüchtlinge in
Petersburg seßhaft zu machen. Man
habe ihre Kinder in Schulen und Kin
dergärten untergebracht, man habe ihnen
Wohnung, Arbeit und Einkommen ver
schafft, und in den ein bis anderthalb
Jahren, die seitdem verstrichen seien,
wäre die Mehrzahl dieser Leute schon so
sehr mit dem neuen Aufenthaltsort ver
wachsen, daß e unmöglich scheine, sie
von da wieder loszureißen. Welchen Teil
von ihnen könnte man denn entfernen?
Wenn man alle die evakuieren wollte,
die je eine FlüchtlingSunterstützung ge
nassen haben, so würde man aus Peters
bürg eine beträchtliche Anzahl von Ar
beitern beiderlei Geschlechts entfernen,
wa bei dem Mangel an Arbeitskräften
offenbar unzweckmäßig sei. Wenn man
sich aber nur auf diejenigen beschränk?'.,
wollte, die au Alter oder Schwäche noch
Immer ganz und gar von der staatlichen
Unterstützung leben, so würde der Zweck
nicht erreicht, denn deren gebe es in
Petersburg höchstens zehntausend, wa
für die Millionenstadt keine Rolle spiele.
Aber weiter, fragt der Fürst, wie man
denn diese Maßregel praktisch überhaupt
durchführen solle. Wenn man die Flücht
linge zwangsweise evakuieren wolle, so
müßte man sie unter polizeilicher Be
wachung bis zum Bestimmungsort be
fördern. Denn sonst würden sie sich un
weigerlich in anderen Großstädten nie
derlassen. in denen die Lebensrnittel
frage fast ebenso zugespitzt fei wie in
Petersburg. Schon daö bloße Gerücht,
daß mit der Evakuierung in Petersburg
begonnen werden solle, habe nach An
gäbe de! Moskauer Bürgermeisters einen
Zustrom der Flüchtlinge nach Moskau
hervorgerufen. Wenn man aber hoffe,
die Flüchtlinge dadurch zur freiwilligen
Uebnsiedlung in die Provinz zu be
wegen, daß man ihnen in den Haupt
städten die Unterstützung entziehe, fo
beruhe daS auf falscher Berechnung.
Denn die große Mekznahl von ihnen
rouroe weit eher auf die Unterstützung
verzichten, al auf die gefundenen Ar
beitsgelegenhciten. Sie würden alles
daransetzen, um nicht wieder den Stab
Kin Ungewisse hinaussetzen zu müssen."
a. . t. . r.. w r- "
JnzmiMN qaoen naj vike rmagun
gen des Fürsten Obolenski schon als
durchaus zutreffend erwiesen. Die ver
schiedenen Organisationen, die der Der
Das englische Lachen.
Beißende Tatyre eines schottischen Cato gegen die Geniütöstimmung
der modernen Engländer.
Daß die Führer der englischen Politik
in diesen Tagen de gewaltigen Völker
ringen nicht gerade auf Rose gcbetlet
sind, daß sie heftigen Angriffen von Geg
nern in der Landespresse unterworfen
sind und manche beißende Bemerkung
über sich ergehen lassen müssen, ist nicht
eben allzu verwunderlich in einem
Lande, da die Freiheit der Presse län-jft
zu seinen großen Errungenschaften zählt.
Ist der englische Zensor auch heute der
allmächtige Mann, so vermag er doch die
freie Meinungsäußerung nicht zu unter
drücken, wo e sich nicht eben um eni
scheidende Staatsaffären oder Pläne der
Regierung, oder um Geheimnisse han
delt, die wichtig für die Führung de
Kriege sind. Aber Kritik an den Gro
ßen zu üben, selbst am Parlament, da
scheint den Briten noch nicht vollkommen
untersagt zu sein, die während der ver
flossenen beiden Jahre soviel haben um
lernen müssen, daß es i.icht Wunder
nimmt, wenn ihnen allmählich bei ihrer
Gotlähnlichkeit bange wird.
Einen treffenden Beweis dafür bildet
die ffrllhiahrs-Nummcr der altbekann
tcn Bierteljahresschrift: The Scottish
Rcview", in der während der langen De
zennien ihre Bestehen so mancher her
vorragende Staatsmann und Publizist
seine Ansichten und Gedanken verewigt
hat. Die Zeitschrift mag heute wohl
manche von ihrer einstigen Bedeutung
eingebüßt haben, die sie in den Tagen
Macauleys besah, daß sie aber nicht ganz
verlernt hat. mit scharfen Waffen zu
schlagen, und sich nicht scheut, bis zum
Premierminister hinaus die leitenden
Geister vor das Forum zu fordern und
der Natur gleichsam den Spiegel vorzu
halten, das beweist ein anonymer Mit
arbeite?, der sich hinter dem Namen
Phlilalete" verbirgt. Er bietet in s.'i
nein Artikel Rolvitnr Eisrn" (Durch
Lachen gelöst) ein Bild des englischem
parlamentarischen Lebens mit Seiten
hieben gegen da Volk, da zugleich von
fo großer Schärfe der Zeichnung und
Neuartigkeit der Auffassung des engli
schen Charakters ist, daß zweifellos auch
die deutschen Leser seinen Ausführungen,
die wir im Auszug bringen, mit ge
spanntem Interesse folgen werden.
Wir geben also hier Philalctes dzs
Wort:
.Es war am Dienstag, dem 2. Novem
der 191, einem naßkalten Nachmittag.
Der Nebel, der von der Themse aufstieg,
und der Rauch aus zahllosen Schor,',
steinen webt um Wcstniinster den Far
bcnton einer düsteren Trauerstimmung!
man hatte sich einbilden können, daß ocr
englische Himmel Traucrgcwänder um
das Land angelegt habe.
Der Krieg war in seinen sechzehnten
Monat eingetreten und hatte schon Opfer
gekostet, die in der Geschichte England!
nicht ihresgleichen haben. Dieses Reich
bisher von militärischen Lasten der
schont, hatte eine, Armee von drei Mil
lionen Mann aufgestellt, von denen jeder
zwischen 230 und 300 pro Jahr der
schlang, eine Summe hinreichend eine
Familie anständig zu ernähren. Di:
gesamten Kriegskosten hatten die fabel
hafte Summe von 1600 Millionen
Pfund Stulmg per Jahr erreicht, an
Stelle der gewöhnlichen Jahresausgaben
von ungefähr 200 Millionen Pfund.
Steuern, wie man sie feit hundert Iah
ren nicht gekannt, waren aufgetürmt.
Die Preise für heimische Waren stiegen
andauernd, während der nationale Kre
sorgung der Flüchtlinge dienen, haben
sich feinen Gründen angeschlossen und
überdies schon festgestellt, daß infolge
der bevorstehenden Maßregel die Anzahl
derer, die eine Unterstützung beanspruch
ien, stark zurückgegangen sei. Die Re
gierung hat aber doch von ihrem Plan
nicht Abstand nehmen wollen, was frei
lich nur aufs neue zu beweisen scheint,
daß man sich nicht mehr zu helfen weiß.
In der ministeriellen Kommission zur
Versorgung der Flüchtlinge hat der Vor
sitzende den Zeitungen zufolge erklärt,
daß die Regierung ihren Entschluß kei
ncsfalls ändern werde; der Minister
Präsident habe Ihn daher beauftragt,
keine Prinzipielle Diskussion darüber zu
zulassen. Die Kritik Ist also verboten,
es handelt sich nur noch um die Aus
sührung einer von vornherein als nutz
los erkannten Maßregel.
Ich fasse die Tatsachen kurz zusam
men: Daß man sich zur .Evakuation der
Hauptstädte" entschlossen hat, beweist
besser als alle anderen Tatsachen, daß
bei den am genauesten unterrichteten
amtlichen Stellen keinerlei Hoffnung
mehr besteht, die Zufuhr an Nayrungö
Mitteln und Heizmaterial den dringend
sten Bedürfnissen der Bevölkerung auch
nur einigermaßen anzupassen. Wie es
aber möglich sein soll, die Bevölkerung
fo weit zu verringern, zu .evakuieren".
daß die drohend Gefahr für den Win,
ter vermieden wird, bleibt rätselhaft.
Die dafür bisher ins Auge gefaßte
Maßregel, Entfernung der Flüchtlinge,
muß jedenfalls erfolglos bleiben.
Man könnte freilich den Versuch
machen, noch radikaler vorzugchen.
Schon der Frst Obolenski hat darauf
hingewiesen, daß, wenn man schon ge
zwungen sei. die Evakuierung der Rest
denzen ernstlich ins Auge zu fassen,
nicht die Bevölkerung allein entfernt
werden müßte, sondern auch diejenigen
Einrichtungen, um die sie sich sammelt,
also vor allem die großen Fabriken.
Wie aber die ohnehin unzulänglichen
Bahnen einer dergrtigen Aufgabe ge
wachsen sein sollten, ist ein Geheimnis.
Auch könnte man natürlich die gro
ßen Industriellen Unternehmungen der
Hauptstädte nicht verpflanzen, ohne sie
zu vernichten oder doch saft völlig lahm
zulegen. Denn eS sind ja doch nirgend!
auch nur die Baulichkeiten vorhanden,
die ihnen an anderem Ort genügende
Unterkunft geähre könnten,
dit im Auslande sank. Die Produk
tionsmittel waren bis zu einem solchen
Grade gesunken, daß die Einfuhr die
Ausfuhr um über 30 Millionen Pfund
Sterling Im Monat überstieg. Reiche
Leute waren gezwungen, sich Genüsse zu
versagen, die durch lange Gewöhnung
ihnen zu LebenSnotwendigkeiten gewor
' den waren; ärmere Leute begannen Man
gel zu leiden, und die höchsten Finanz
autoritaten erklärten, so enorm die La
sten auch immer seien, daß unendlich viel
mehr ihnen hinzugefügt werden würde."
Der Verfasser fährt dann fort, daS
Aussehen deS Landes zu schildern. Die
Zeitungen bringen Spalten auf Spi!
ten von Toten und Verwundeten, die
zu Lande oder zu Wasser ihr Schicksal
gefunden hatten; Mütter betrauern ihre
Söhne, Jrau -ihre Gatten, Kinder ihre
Väter. Unds war durch alle diese
Opfer erreich.'' Auf den westlichen
Kriegsschauplätzen war daS beste, was
man sagen konnte, daß der Feind nicht
vorwärts gekommen war. Im Osten
gab es nur Rüzllge. Die russische
Dampfmalze rollte viel rascher zurück,
al sie vorwärts gekommen war, die gro
ßen russischen Festungen waren in ocn
Händen der Deutschen. Noch tragischer
war die Situation im Süden. Der
Versuch, die Dardanellen zu forcieren,
wurde jetzt allgemein, selbst von den
Genies im Beamtenstabe, als ein fürch
terlichc? Fiasko anerkannt. Das Aben
teuer hatte doppelt fo viele Opfer als der
ganze südafrikanische Ki';g gekostet, und
in dem Massengrab. ung!icher Helden
lag auch das Prestige englischer Stratc
gie eingesargt. Al' Folge dieser Kala
mität mußten die rgländcr eine zweite
Katastrophe in der Nähe sich vollenden
sehen: ihre serbischen Bundesgenossen, zu
gleich im Norden und Osten angegriffen
und im Stich gelassen von denen, die
ihre Ehre verpfändet hatten, sie mit ihrer
ganzen Macht zu unterstützen, wuroen
vernichtend geschlagen und mußten Stadt
auf Stadt in den Händen ihrer Feinde
lassen. Es war also nicht zu verwun
dein, daß der Optimismus, mit dem
England in den Krieg eingetreten, :iner
Stimmung düsteren Zweifels gewichen
War. So ungefähr war die Sachlage,
als die lange versprochenen Aufklärungen
im Parlament von Seiten des Premier
Ministers Asquith endlich an jenem naß
kalten November-Nachmittaz zur Wirk
lichleit wurden.
Der Besuch war der Gelegenheit an
gemessen," fährt der Verfasser fort. Alle
Bänke waren besetzt, die Mitglieder saßen
auf den Stufen der Treppe und auf dem
Podium beim Stuhle des Sprechers.
Die Gcillerie der Peers war bis zum
Erdrücken voll von Lords, weltlichen und
geistlichen, die . Fremden-Gallerie des
gleichen, und ebenso die Presse-Gallerie.
Selten hatte das Haus eine solche Ueber
füllung erlebt. Nicht weniger bedeut
sam als die Größe der Menschenmenge
war die Haltung Aller. Auf allen Ge
sichtern jungen, alten und mittleren
Alters lag ein Ausdruck gespannter
Erwartung. Selbst abgehärtete Parla
mentaiier vermochten ihr Interesse an den
Vorgängen nicht zu unterdrücken.
.Als der Premier sich erhob, schien
die Luft von unterdrückter Erregung zu
vibrieren. Welche Worte wird er an die
Vertreter des Volke richten?
.Ein sehr heiteres Lächeln schien an
Herrn Asquiths Mundwinkeln zu han
gen, als er seine fertige Antwort auf
diese unausgesprochene Frage gibt:
.Ich fürchte, daß es mein Schicksal ist,
viele Erwartungen zu enttäuschen, aber
nicht am wenigsten die Erwartungea
jenes Teiles meiner vielen Ratgeber, cie
zu denken scheinen, daß es meine Pflicht
ist, hier heute entweder im Gewände
eines angeklagten Verbrechers aufzutre
ten, der sich nach besten Kräften wegen
seiner etwas zweifelhaften Vergangenheit
zu verteidigen sucht (Gelächter)
oder sogar als ein weißbewandeter Reu
wütiger mit zwei Kerzen, in jeder Hand
eine, zerknirscht und Absolution er
flehend (Gelächter). ES ist weder
meine Absicht, dit eine noch die andere
Maske anzulegen." (Gelächter und
Beifall.)
.So lauteten die Worte deS Staats
manne, auf dessen Schultern die Bürde
de Britischen Reiche lag der Führer
von vierhundert Millionen menschlicher
Msen in einem höchst bedeutsamen Mo
ment ihrer Geschichte. Man hätte oer
meinen können, daß man einem frohg:
stimmten Gastgeber bei einem Festessen
lauschte, irgendeiner Begebenheit, um
eine fröhliche Familien-Afsäre gebührend
zu feiern. Zwei volle Stunden ging e
in dieser Tonart weiter, mit einer Leb
haftigkeit und einem Wortschwall, der
nie versagte. Gemütsruhe leuchtete auf
seinen Zügen, Ueberredungskünste waren
seine Worte. Niederlagen hätten unsere
Waffen betroffen, doch man betrachte sich
die wunderbare Flotte. .Hat e je etwas
ihr vergleichbares in der Weltgeschichte
gegeben?" (Beifall.) .Einige Teile de
Horizonts sind verdunkelt," doch die
Leute sollten lernen, die gehörige Per
spektive für die Dinge zu gewinnen."
Mißstimmigkeit im Kabinett? Die m:i
sten dahinzielcnden Gerüchte seien Lügen,
grobe Verdrehungen der Wahrheit. .ES
hat eine Meinungsverschiedenheit zege
den' da ist alle. (Gelächter.) Für
alle Fehler der Bergangenhett wußte er
eine plausible Entschuldigung vorzubrin
gen; für alle Mängel der Gegenwart
hatte er ein sicherei Heilmittel; und nie
vergaß n, rhetorische Gemeinplätze mit
amüsantem Beiwerk auszuschmücken. Die
Abgeordneten bei englischen Volke ha
den nie einen solchen Vortrag über Op
timismui mit angehört, und die Wir
kung auf sie' war Lberau. erfrischend.
Wenn sie mit der Absicht zu klagen und
zu verdammen gekommen waren, so blie
den sie zu lachen und Beifall zu klat
sckien. Bis das Hau sich kurz vor der
S!itternachtstmidv ertgte,Viderhll
ten seine Wände abwechselnd von Ge
lachter und Applau. Und in den Je!
tungen stand es am nächsten Morgen, daß
man an einem Punkte der Rede ge
wahrte, wie Herr Asquith und ein her
vorragende Mitglied seine Kabinetts
.sich vor Lachen schüttelten'.
Nach dieier drastischen Schilderung der
großen Parlamentssitzung gibt der Ver
fasset seiner tiefen Empörung beredten
Ausdruck. Ein schottischer Dichter sei
ner Bekanntschaft war von diesen Bei
spielen englischer Leichtfertigkeit derartig
entrüstet, daß er in einfachen Worten
nicht darüber zu sprechen vermochte. Wie
konnte ein anständiger Mensch lachen,
während die Welt sich zu Tode bluteie?
Das Herz de Gleichgiltigstcn war von
Schaudern beim Gedanken an da uncr
meßliche Leid ringsumher erfüllt iber
der Premierminister von England jchü!
teile sich vor Lachen". Er konnte dazu
nur eine Parallele finden Nero, die
Geige spielend, während Rom in Flam
men aufging. Allerdings, gegen diesen
Vergleich nimmt der Verfasser den Herrn
Asquith in Schutz, indem er sagt, daß
der englische Premier nicht ein kaistr
licher renk oi natnre" ist, nicht .in
mal Asquith wärmste Bewunderen ba
ben ihm jemals besondere Originalität
nachgesagt. Bewußt oder unbewußt,
spiegelt er nur den Geist der Gesellschaft
wider, in der er sich bewegt und atmet.
Der Beifall, der feinen fcinstilisiertcn
Witzeleien entgegenschallte, bewies, üe
gut er auf seine Zuhörerschaft einge
stimmt war. Ein englischer Staats
mann, sagt der Verfasser des weiteren,
darf heute ungestraft olle anderen Arten
von Verdienst vermissen lassen, aber
Mangel an Humor Humor" ist eines
der großen Worte in der englischen
Sprache das ist eine unverzeihliche
Sünde. Ganz gleich, wie ernsthaft ser
Gegenstand unter Beratung immer sein
möge, der Redner, der die Aufmerksam
kcit des Hauses fesseln will, muß .e
Kunst verstehen, Lachen zu entfesseln.
Als weiteren Beleg für diese Neigung ocs
englischen Parlaments werden einige
Beispiele au Sitzungen angeführt, die
kurz zuvor stattgefunden hatten, und der
Verfasser untersucht dann die Ursachen
dieser merkwürdigen Hinneigung zur
Komik, die eine fo unverkennbare Cha
rakterisiik des Parlaments geworden,
die um so seltsamer ist, weil diese Lach
lust schon durch die unwesentlichsten Vor
sälle, oft in geradezu kindischer Weis?,
hervorgerufen wird. Unbeabsichtigte
Fehler oder Verstöße geringfügigsten
Charakters genügen schon ein Redner
stößt in der Hitze des Gefechts ein Glas
Wasser um, oder setzt sich auf seinen
Hut nieder sogleich ist das Gelächter
da. Selbst exzentrische Manieren oder
auffällige Kleidung eines Redners übt
die gleiche Wirkung aus. Wenn andere
erwachsene Leute lächeln würden, brechen
englische Gesetzgeber in brüllendes Lachen
aus, sagte der Verfasser und fragt: Wo
her dieses monumental kindische Beneh
men? Eine Erklärung, von einem langjäh
rigen Beobachter im Hause der Gemeinen
gemacht, ist die, daß das Haus von sei
cm eigenen ewigen Geschwätz derariig
stark gelangweilt ist, daß eS mit wahrer
Fieberhaft alles aufgreift, was ihm
irgendwie Grund zum Lachen bietet.
Eine andere Erklärung, d'ie Manchmal
dem Verfasser selbst vorgeschwebt hat,
besteht darin, daß die Mitglieder eine fo
übertriebene Ansicht von ihrer gegcnsci
tigen inneren Oede besitzen, daß das ge
ringste Anzeichen vom Gegenteil sie zu
ganz ungehöriger Wertschätzung hin
reißt." Aber er geht darin einen großen
Schritt weiter und macht nicht allein das
Haus der Gemeinen, diese begrenzte Ge
sellschaft trauriger Komödianten", für
diese Geistesrichiung verantwortlich, son
dein das ganze englische Volk, denn das
HauS ist nur das getreue Abbild des
Volkes.
Fortfahrend sagt er: .Montaigne ver
höhnte die Engländer einst, weil sie ihre
Vergnügungen so trübselig nehmen. Was
immer an Wahrheit in diesem Spott
einst gesteckt hat, hat längst seine Spitze
eingebüßt. In unseren Zeiten würde es
schwer halten, ein Volk in Europa zu
finden, daS das englische an Leichtfcr
tigkeit übertrifft. Wir alle wissen, daß
Engländer kaufen und verkaufen können.
Niemand bezweifelt ihre Fähigkeit Ca
lico zu fabrizieren. Aber die Welt hat
noch nicht erkannt, in wie liberaler Weise
daS im Laden verdiente Geld in leeren
Vergnügungen vergeudet wird Ver
gnügungen so nichtssagend, daß sie nicht
einen Heller von Profit, geistigem oder
ethischem, gewähren, noch auch gewähren
sollen.
.Von allen Bühnen der bewohnten
Erde ist die englische Bühne am wenig
sten von ernsten Schauspielen heimge
sucht. Sie ist fast vollständig der Auf
sührung von Stücken gewidmet, die, da
eS keine Tragödien sind, Lustspiele sein
müssen. Ein Stück zur Aufführung zu
bringen, daS irgendwelche Anfordern
gen an Kopf oder Herz stellt, gilt al
Beweis dafür, daß der Unternehmer von
der Manie besessen ist, Selbstmord zu
begehen. Ein englisches Publikum geht
nicht ins Theater, um zu denken oder zu
empfinden, fondern nur um zu lachen.
Der dramatische Schriftsteller gilt als
der Gehilfe des Küchenchefs, feine Auf
gäbe besteht darin, durch seine Kunst die
Verdauung der schweren Gerichte des
Andern zu befördern. Ebenso siehts mit
mit der Literatur. Die gelesensten
Schriftsteller Englands sind die Lerfas
ser seichter, knusperiger, rasch verdau
licher Werke. Jedes Buch, das sich übe,
das Niveau deS Verständnisses eines
kontinentalen BabyS erhebt, gilt als
langweilig. Der Deutsche schätzt seine
Autoren nach der Tiefe ihrer Gedanken,
der Franzose nach der Feinheit des StilS,
aber John Bull hat ebensowenig Ver
Wendung für Stil wie für Ideen. Sein
einziger Prüfftein für den Wert eines
Werke der Phantasie ist: Ist es amll
sant? Und sein höchste Lob für ein
geschichtliche Werk, da er erteilt, be,
steht, daß er es so .unterhaltsam wie
einen Roman gefunden hat." : '
Auch in Hinsicht auf das wirkliche
Leben ist seine Anschauung nicht ander.
Tie Fähigkeit unterhaltsam zu fein gilt
als die vornehmst Auszeichnung aus je
dem Felde der Belötigung, Im offen!
lichen oder privaten Leben. Jedermann
kennt den Richter, der in Witzen macht,
er ist eine ebenso bekannte Figur Im mo
deinen England wie der Zirkusclown eS
in früheren Jahrhunderten war, und die
Folge ist, daß ein englischer Gerichtshof
heute für den mittellosen Nichtstuer bil.
ligere Unterhaltung bietet, al eine dritt
klassige Musik Hall. San, wie bei The
ateraufführungen und parlamentarischen
Debaile ertönt in englischen GcrichtSsä
len heutzutage fortwährend laute Ge
lachter, und gar Mancher geht In' Ge
fangnis, wenn nicht gerade mit Vergnll
gen. so doch mit der Erinnerung an
einen lustigen Scherz von Seiten de
hohen Gerichtshofes. In der Tat, man
könnte glauben, daß da häufige Erschei
nen derselben Personen auf der Anklage
dank seinen Grund darin hat. daß einige
von ihnen nur zu dem Zweck ein Verbre
chcn verüben, um den Witz zu hören, von
dem das Strafurtcil oft begleitet ist.
Kaum weniger bemerkenswert ist die
Leichtfertigkeit der Herren, die die Ma
jestät England in anderen Gerichtshö
fen vertreten. Auch ihnen ist die Persi
slage nur ein anderer Ausdruck für gu
ten' Ton. Der englische Diplomat, der
den besten Idealen seines Berufe! nach
lebt, würde unendlich lieber jede einzelne
der zehn Gebote brechen, al den Anschein
eines unpassenden ernsten Benehmens er
wecken. Für ihn gibt e nur einen vom
Lachen verzerrten Gott und als seinen
Hohepriester den Sekretär für Ausmär
tige Angelegenheiten. Wer an den Ernst
einer Sache glaubt, der wird von ihm
mit überlegenem Spott, als ein schlecht
erzogener Bourgeois behandelt.. Die
einzige englische Institution, die von die
sem Geist der Frivolität noch nicht an
gefressen ist, ist die Kirche. Humor, der
von der Kanzel ausgeht, gehört noch zur
Kategorie deS unbewußten. Mit dieser
alleinigen Ausnahme aber wird man
finden, wohin man schaut, daß wenn
der Engländer zu Montaignes Zeiten
seine Vergnügungen trübselig auffaßte,
seine Abkömmlinge umgekehrt ihr Ge
schaft als Jux behandeln.
In dieser Nationalfähigkcit deS La
chens scheint keine Klasse der Bevölkerung
zurückzustehen. Ein Hinneigen zur
Leichtfertigkeit scheint allen Engländern
im Blut zu liegen. Von den Kontrakten
des KricnsministeriilmS und von der Art
und Weise, wie die Bloßstellung des
Elandals vom Hause der Gemeinen auf
genomnien wurde, ist schon die Rede ge
wcsen. Ganz ähnlich war die Art und
Weise, wie London diese Enthüllungen
aufnahm. Unter den Kaufleuten und
Fabrikanten, die in Verbindung mit dem
Kriegsministerium standen, wurde da!
Erzählen ihrer Erfahrungen mit Kon
halten eine fashionable Belustigung.
Jeder Einzelne hatte fein privates kleines
Gclchichtchcn manchmal deren ein hal
des Dutzend, und Niemand, der nicht sei
nen Spaß daran hatte, wenn er sie
vernahm. Und daß man nicht etwa
glaube, eine reiche Naiion könne sich den
Luzus gestatten zu lachen, wo es sich eben
nur um die Vergeudung von Geldern
handelt, so haben wir auch noch daS
Schauspiel, daß hohe Militärs in ihren
Klubs bei der Unterhaltung über die
furchtbarsten Unglücksfälle, von denen
ihre Kameraden betroffen worden, vom
selben Geiste beseelt waren. Haben
Sie das Neueste über die Loos-Affaire
gehört? Es ist verdammt komisch ."
Der Rest geht in unverlöschbarem Ge
lachter verloren."
Der Verfasser vergleicht diese Manie,
alles ins Lächerliche zu ziehen, bei den
modernen Engländern mit den Zeiten
des StuartkönigS Karl, der an dem Tage
als die Holländer die britische Flotte
verbrannten, den Damen seines Seraglio
ein Fest gab und sich damit amüsierte,
im Bankettsaal nach einer Motte zu ha
schen, nur mit diesem Unterschiede, daß
damals die Leichtfertigkeit auf den engen
Kreis deS Königs beschränkt war. wäh
rend jetzt das ganze Volk dcvon ange
steckt ist. .Es ist. als ob die Generation
der dekadenten Stuarts der Nachkommen,
schaft ihren angefressenen Geist hinter
lassen hätten", bemerkt er. und schließt
mit den Worten, daß diese Auswüchse
von Lustigkeit kein Beweis für echten
Humor in der rechten Bedeutung deS
Wortes sind. Sie sind nichts weiter als
krasse Beispiele von Gefühllosigkeit, wo
durch eine gerechte Entrüstung erstickt
und aller Eifer, Fortschritte zu erreichen,
verlöscht wird. Eine Atmosphäre wird
geschaffen, in der jede edle Regung ver
kümmert und Betrug auf Kosten der
Ehrlichkeit gedeiht."
Der schottische Cato entrollt hier ein
Bild, das den Engländer zum Nachden
ken reizen sollte und das nicht verfehlen
wird, den Ausländer, besonders den
Deutschen, der dieser Seite des englischen
Charakters zu wenig Beachtung geschenkt
hat. mit Verwunderung zu erfüllen.
Man wird aber nicht leugnen können,
daß feine bitteren und beißenden Worte
den Klang der Wahrheit haben.
Prothesen aus Papiermasse. Wie
die Berlinggske Tidende' mitteilt, hat
der dänische Arzt Svindt, der bereit
früher künstliche Beine auS Pappe her
stellte, feine Experimente jetzt dahin er
weitert, daß er auch Füße aus Papier
masse herstellt. Das Fußgestcll wird
aus Mctalldraht verfertigt und hierauf
wird die besonders präparierte Papier
masse in diese Form gegossen, so daß die
Maschen des Netzes vollkommen ausge
füllt werden. Diese Papierfüße sollen
so trakräftig sein, daß sie sehr gut von
Invaliden anwendbar sind, und sie ha
den außerdem den Vorzug der großen
Billigkeit. Die Aerzte berichten, daß die
künstlichen Pappbcine don den Invaliden
sehr g?rn benutzt werden.
Der Berliner .Lokalanzeiger" mel
det: Wagner! .Parsifal", der bisher auf
Anordnung des Heiligen Synods nicht
zur Aufführung gelangen dürfte, werde
nun mit Bewilligung deS deutschen Ge
neralgouvernements in der neuen Saison
in der polnischen Nationaloper in War
schau in Szene gehen.
Kronstadt.
Kronstadt der l waldige Berge ge ;
bettete Kernsitz deS Burzenlande. ine
Perle im Diadem der ungarischen
Krone, wie eS einst ein Konig nannte,
hatte bereit manche Schicksale hinter
sich, ehe eS zu der freundlichen Heim
statte wurde, zu deren Ausball Magya
ren, Rumänen und Deutsche ungefähr
zu gleichen Teilen beigetragen haben.
An Ihren Bauteil kann msn'S noch b
lesen, don welch' friedlichen und kriege
rischen Gewalten diese am meisten ge
priefene unter den siebend llrgischen
Städten berührt worden ist. Ein Denk
stein erinnert an ihre älteste Zeit, an
jenen legendären Arpad. den ersten
Großfürsten der Magyaren, der sich
gegen Ende de 9. Jahrhundert ganz
Ungarns und Siebenbürgens zu bemäch-
tigen wußte. Kronstadt blieb daraufhin
unter der Herrschaft der Arpaden bis
zum Jahre 1211. zu welcher Zeit König
Andreas II. die Terr Porza der Ge
meinschaft der Deutschordensbrüdcr der
lieh. Die frommen Ritter hatten oft
große Mühe, da damals als sehr un-,
wirtlich geschilderte Land gegen die
Ueberfälle der heidnischen Kumanen zu
schützen.
Erst mit dem Einzug deutscher Kolo
nisten wurde Siebenbürgen einem totio -nellen
Ackerbau erschlossen., und an
Stelle der hölzernen Wehrburgen. traten
allmählich Kastelle und trotzige Stein
mauern. 1233 gelangte die deutsche 5to
lonie im Burzenland durch Schenkung
an Papst Honorius III. Eigene Grafen ,
verwalteten das Gebiet, das sich später
mit dem der sächsischen Stammesgenos'
sen in Hermannstadt vereinigte. Krön
stadts Blütezeit fällt in 14. Jahrhun
dert. Unter der Regentschaft der Könige
aus dem Hause Anjou. die der wichtigen
Ortschaft durch daS Burzenländcr Pri
vilegium" besondere Borteile zukommen
ließen, hob sich Kronstadt in Gewerbe
und Verkehr auf eine ähnliche Stufe wie
die damaligen großen Handelszentren
im füdlichen Deutschland. Für die Aus
breitung der Reformation setzte sich
Johanne Hontcrius (1498 1549),
wohl der geachtetste Mann deS Lande,
mit allen Kräften und Mitteln ein. E:
war ein begeisterter Anhänger LutherH
der das ganze Sachsenland von Bistritz
bis Kronstadt der neuen Lehre gewann,
und der nicht nur im religiösen Bereiche,
sondern auf ziemlich allen Gebieten rc
formatorisch. d. h. im Sinne des Humo
nismus wirkte. Kriegerische Ereignisse
bereiteten sich, nach einer relativ langen
Friedenszeit, erst im 17. Jahrhundert
wiederum vor. 1610 wurde Kronstadt
vom Fürsten Gabriel Bathori zweimal
vergeblich belagert. Die Besetzung der
Stadt 1683 durch den kaiserlichen Feld
Herrn Caraffa, der zufolge Kronstadt
Oesterreich einverleibt werden sollte, be
antwortete die Bürgerschaft mit offenem
Aufruhr, der dann gewaltsam unier
drückt werden mußte und manchen an
gesehenen Leuten daS Leben kostete. Jni
18. Jahrhundert wüteten Pest und
Brand zu wiederholten Malen und
räumten unter der Einwohnerschaft be
denklich auf.
Die letzte kriegerische Einwirkung vor
der jetzigen Okkupation durch die.Ru
m'änen bekam Kronstadt im Jahre 1843
zu spüren, als die Russe im Verlauft
eines Gefechtes zwischen Oesterreichern
und Ungarn von der Stadt Btfitz er
griffen. Interessant war es. namentlich,
in den letzten Jahren, zu verfolgen, wie
fruchtbar sich die verschiedenen Volks
elcmente im privaten wie im ösfentlichen
Leben der Stadt durchdrangen. Wäh
rend Magyaren und Deutsche mehr das
Repräsentative verkörperten und nach
außen hin kräftig auftraten, sah mau
die rumänische Schicht der Bevölkerung
mehr im Verborgenen Kulturarbeit lci
sten. Sprichwörtlich von jeher war die
unbedingte Treue, die das Sachsenvolk
der ungarischen Königskrone wahrte.
Abkömmlinge einer Gemeinschaft von .
Bulgaren und Walachen. die sich i
früheren Jahrhunderten in Kronstadt
ansiedelten und meist der arbeitenden
Klasse angehörten, leben noch heute in
der .obersten Vorstadt", dem etwa,
höher gelegenen Stadtteil, der allgemein,
jetzt noch Bolgarszeg" (Bulgarenwin
kel) heißt.
Kronstadt besitzt noch etliche Reste sei; ,
ner alten Stadtumwallung, aus denett
dräuend der schwarze und der weiß: ,
Turm sowie die Weberbastei heraus
ragen. Zwei Gebäude jedoch sind' ci:
vornehmlich, die , dem sicbenbürgisch:i :
Hauptort ein markantes Gepräge gefv,:
und Hauch der Vergangenheit db '
in l Gegenwart hinauftragen: der
Domind das Rathaus. Der längst al
evangelische Pfarrkirche in Gebrauch
nominene Dom, in Haustein aufgeführt
1385 bis 1425, in etwas schwerfällige.
Gothik. heißt seit dem großen Bran,..
im Volksmund die .schwarze Kirch.".
In ihr hat Honterius in feurigen Pvc
digten für den . Augustinermönch uf
Wittenberg geworben. Da einzig n
teressante an ihrem Aeußern sind fch
zwölf ehemals vergoldeten Apostelstatk
am Chor, wogegen das Hauptschiff i.i,
Innern durch die Anhäufung von crini
talischen Teppichen auS der Türkenbeu!.
eine geradezu berauschende Pracht t?.U'
faltet. Diese Wunder morgenländsc!zkr
Kriipftechnik, die sich überall, an
lern und Brüstungen..' um 35!
herum und über den Sitzen der Z'ü
Herren ausbreiten, bilden sozusagen i)..::
einigen, aber würdigen Schmu r-t v .
buchst eigeiar'i.,en Gotteshause?. (.
gewisse Berühnutti' hat aucl, di' i.;
Buchholz in Berlin erstellte grße Ztc'
mit ihren zahllosen Pfeifen erlana!.
Da Rathaus vom Jahre 1420. k'.n
dlockartiger. jetzt etwas zusamm'!,.":
pferchter Bau mit massiv anfstrebc.b.! '
Turm hat durch die Urngestiitnug in,
18. Jahrhundert ein .mehr bar?'!.Z
Aussehen bekommen; er ist in jüngircr
Zeit abermals umfänglich renovier: "
worden. Der Typus einer etwas nu
ternen, stets aber logisch . überdenkenden
und doch auch mit reichen ma!krjschcu '
Reizen ausgestatteten Baukunst ist hier -bis
an die Transsyldanischen Si'u
vorered.
V I '
wjäffirjjaiiA.'Bi&a3s.Ä"&