Tägliche Omaha Tribüne. (Omaha, Nebr.) 1912-1926, June 24, 1916, Image 3

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    Tögllche Omsh IrFLün
Der Kommende
Bon Alrx
In feine: am 4. d. M. dor d?m flon
beni der Krhillah.Gkmcinde in Ncw ?jort
grhattknkn Diebe sagte be: Mannte Ban
k'kk Jakob Schiff unter anderem: .Ich
hab während fünfundzwanzig Jahren eine
Invasion Rußland ans dem amerikani.
schkn Geldmärkte verhindert." Herr Schiff
wurde bei dieser Gelegenheit von feinen
Glaubensgenossen als .der größte lebende
Jude" gepriesen; cr verdient ti aber auch,
der größte lebende Bankier genannt zu
werden, weil er mit dem Gefühle seine
Herzen auch gefunden Mknschen.'ierstand
zu verbinden weiß, und weil er stets wie
kein anderer, Rußland Schulenwirt
nach ibrem wahren Wcrie einschätzte.
Im Haushalte eine Staates muß nach
denselben Prinzipien gewirtfchaftet wer
den, wie im Haushalte eine einzelnen In
dividmim. Beiden sind in ihren Aus
gaben und Krcditansprüchkn Grenzen ge
legt, die nicht überschritten iverden dürfen.
Ein Ueberschreiten der Grenzen ihrer Jire
ditfähigkcit führt zum Bankerott.
Wenn da einzelne Individuum, sagen
wir ein Landwirt oder ein Fabrikant, eine
Landwirtschaft oder eine Fabrik besitzt, die
einen Neingewinn von durchschnittlich
5200 jahrlich abwirft, sa kann dieses
Individuum seinen Besitz mit einer Hypo
thek von ungefähr $10,000 belasten, vor
ausgesetzt, das; der Debitor und seine
zahlreiche Familie mit dem nach Abzug
der fälligen Zinsen verbleibenden Reslbe
trage von $1500 oder $1400 sein Aus
kommen finden kann und will. Macht aber
dieser Landwirt oder Fabrikant Schulden,
deren Zinsen er unmöglich erschwingen
kann, so muß er sich früher oder später
insolvent erklären.
In der Lage eines solchen Schuldners
befindet sich heute Rußland, dessen Ban.
kerott aus den unS vorliegenden amtlichen
Daten über die finanzielle und wirtschaft
liche Gebahrung dieses Landes ersichtlich
erscheint.
Die russische Staatsschuld war schon
lange vor dem Kriege im fortwährenden
Steigen begriffen. Während die Staats
schuld der Moskowiter im Jahre 1902
mehr als sechs Milliarden Rubel aus
machte, betrug dieselbe am 1. Januar
1913 zirka neun Milliarden, oder, um
genau zu sein. 8,858,053,843 Rubel
($4,561,807,729). Bon dieser Schuld
sind nur $868.268.722 für den Bau von
Eisenbahnen verwandt worden, während
der Betrag von $4.561.879.723 als Bei.
trag zu den Vermaltungskosten dieses ge
wältigen Kriminals Rußland genannt,
in die Taschen des berüchtigen russischen
Tschinawniks wanderte. Um die Zinken
seiner großen Staatsschuld, die hauptsäch
lich -in Frankreich dloziert war, zahlen zu
können, nahm Ruhland bei seinem Haupt,
gläubiger und Alliierten immer neue An.
leihen auf.
- Die regulären Ausgaben Rußlands
überstiegen stets seine Ausgaben, trotzdem
diese Einnahmen sich seit 1896 bis 1913
mehr als verdoppelt hatten. So betrugen
die Gesammt kinnahmen Rußlands in den
Budgetjahren 18961900 durchschnittlich
$355,930,000, im Jahre 1912. dagegen
schon $1,600,480,000. Und trotzdem
endete auch dieses letztgenannte Jahr mit
einem Defizit von $32,620,000. Das
Jahr 1913 brachte zwar ein künstliches
Gleichgewicht hervor, ober das darauffol
gcnde Budgetjahr endete wieder mit einem
Defizit von $347.000.00.
Die Quellen der Staatseinnahmen im
Jahre 1913 waren: Direkte Steuern 7.3
Prozent; indirekte Steuan 3G.0 Pro;.;
Zölle b.9 Proz.; Einkünfte von den
Staats-Tomänen 45.1 Proz,; verschiedene
andere Einnahmen 4.1 Proz. 100 Pro
zent.
Daß die Konsum und Steuerkraft des
russischen Volkes trotz des großen Volks
Zuwachses in den letzten zwanzig Jahren
bedeutend abgenommen hat, beweist die
Tatsache, daß der Prozentsatz der die Ein
nahmen bildenden direkten Steuern von
8.2 Proz. im Jahre 1895 auf 7.9 Proz.
im Jahre 1913, jene der indirekten Steu.
ern aber von 47.5 Proz. auf 36.0 Proz. in
derselben Periode gesunken ist.
Dagegen mußten die Staats-Tomänen,
die der Krone gehörenden Gold und an
dere ErMinen usw. herhalten, deren Be
trieb fast gar nichts kostet und von den
vielen tausenden von politischen Verbre.
chern" zwangsweise und gratis ausgebeutet
weiden. Diese so sonderbaren Einkünfte
des russischen Staates stiegen von 23,9
Proz. im Jahre 1895 auf 45.1 Proz. im
Jahre 1913. Diese barbarische Bcschas
fung von Gold ermöglichte es Rußland.
Barmittel anzuhäufen so daß es sich bei
Ausbruch des Krieges brüsten konnte, 98
Prozent Gold zur Deckung seiner im Um
laufe sich befindenden Banknoten vorrätig
zu haben. Die Freude dauerte indessen
nicht lange. Eine der ersten und wichtig
sten gesetzgeberischen Maßnahmen, die von
de. Duma in ihrer ersten ttriegssitzung
getroffen werden mußte, war die Erhö.
hung des ungedeckten Notenumlaufes der
Russischen Staatsbank von 300 Millionen
auf 12000 Millionen Rubel. Auf dieser
Bahn bewegten sich fortan fast alle Fi
nanzgeschäfte der russischen Regierung, die
doch letzten Ende in der Russischen
Staatsbank den HauptfaZtor zur Beschaf
fung von Milliarden erblickte. Die Un
Zähigkeit de russischen Geldmarktes, die
immer größer werdenden Krcditbedürf
de Staates zu befriedigen, trat schon in
den ersten Monaten nach Kriegsbeginn
klar zu Tage. Die ersten 400 Millionen
kurzfristigen Staatsobligationen, die am
16. August 1914 begeben wurden und sich
mit fünf Prozent verzinsten, wurden der
haltnismäßig leicht abgesetzt. Achnlich
war e auch bei der Emissivn von. 200
Willonen dierprozentigcr Kassenscheine, die
sehr bold darauf auf den Markt gebracht
wurden. Aber die nachträglichen, vom
Zaren angeordneten Begebungen von wei
teren fllnsprozenliqen .chatzanweifungen
fanden, trotz dc kaiserlichen BcschlS. keine'
Abnehmer, und wieder mußte die Staats!
russische
Slnats-AlmKerolt.
. W.
dank al Abnthmer fungieren', dieselbe
Staatsbank, deren Notenumlauf allinah
lich bedenklichen Umfang anzunehmen be
gann. Da man aber bald zur Einsicht
kam, das, die standige Belastung de N
tcN'JnstituIS mit kurzfristigen Papieren
aus die Dauer die Währung gefährden
lounie. ver viuvei siel nicht nur im Au
lande um 40 Proz,. sondern er verlor auch
in Rußland stark an seiner ttaustraft nv
wurde vom Volke häufig mit Mißtrauen
entgegengenommen. so ordnete der fldi
ser wieder die Emission einer sunfprozen
tigen Inneren Anleihe an.
Laut eines von der National City Bank
of New Fort herausgegebenen Ausweises
hat Nußland seit Beginn de Kriege bis
November 1915 nachstehende Kredite in
Anspruch genommen:
mm
5pn,,ki'il,,k funfrlflffl. SlniilS.
dNaalivne Derfdiicüoiif r :2a
IfU 2,030,000,000
unir fiir(M, neflcwwcin (tr
llcr 11U) 500,000,000
rlle ,1pl.,. .HicnSiiilIfl&f (Zf
fcriint HU.',) 600,000,000
iwnte sjproa. ittif gStinlclpe
(Was ifl.i) ...... 1,000,000,000
Huücnftfiflite (äurtiift
!' 300,000,000
nurimuiac in immun p,4wn
Urne chni'sckl'iiie, 132.000..
Oiil) 1,249,32 .,000
KiiuTruiifl, in tnnwrriii) w
foiilirrle Sitaulebrin. Srrä.
V:,. 000,000 234,750,000
ei' icn-nmcipc (it). ripru
II 1.1) 200,000,000
5jina . fimfrtfflae ftricatan.
letUe (Siufcmtift 101Ö) . . 1,000,000,000
Stuftet $7,933,074,000
oder zum normaiilcn Kurse in amerikani
scher Währung $4.085.533.110.
Da seit jener Zeit die Kreditbcdllrsnisse
Rußlands, infolge seiner gewaltigen Ein.
kaute von Munition und Kriegsbedarfs
artikclartikcl in Amerika, England und
Japan und der Mobilisierung neuer Mil
uonen von soldalen. sich verdreifacht
r,ai!e. yauren sich lerne schulden im In
und Auslande immer mehr und mehr ins
Unendliche, und die Entwertung des Ru
bcls geht ihren Gang weiter. Laut kon
scrvativer Schätzung werden Rußlands
Kriegsanlcihcn bis zur Beendigung dieses
Krieges 25 Milliarden Rubel ausmachen.
Wenn man dazu die 9 Milliarden seiner
früheren Staatsschuld hinzurechnet, so cr
gibt sich eine Schuldenlast von 34 Milliar
den, oder ein Zinsenerfordernis (infolge
der Begebung zu niedrigem Kurse usw,
durchschnittlich 6 Proz.) von mehr als
2 Milliarden Rubel jährlich, oder mehr
als 0 Proz. seiner Gesamtstaatscin
nahmen vor dem Kriege.
Der gesamte Goldbestand der Russischen
Staatsbank betrug laut amtlicher Ber
öffenklichung im November 1915 5,000,
OOO mehr als die bis zu jenem Zeitpunkte
in England und Frankreich allein h.kon
tierten kurzfristigen Kriegs-Schatzscheine.
ffur ane anderen Milliarden, bczw. für
die im Umlaufe sich befindenden Noten,
gibt es keine Deckung. In London ist
man daher Rußland gegenüber allmählich
sehr zurückhaltend geworden, und würden
nicht politische Rücksichten maßgebend sein,
so würden die Engländer schon längst eine
cde weitere Finanzierung des bankerotten
Auiicrten verweigern, zumal es doch offen-
kundig ist, daß Rußland seine ungeheuren
Verbindlichkeiten nie und nimmer begle,
chcn kann. Als zu Anfang Oktober 191,'
die Londoner Finanzlcute in die Gewäh
rung eines Kredits von 20 Millionen
Pfund einwilligten, mußte dieser Kredit
durch die Unterschrift der Russischen
Staatbank sowie der übrigen Pctcrsbur-
ger Banken sichergestellt werden.
Daß Rußland nach dem Kriege seine
Einnahmequellen erweitern konnte, daran
zu glauben wäre ebenso leichtsinnig wie
unaufrichtig. Rußland wird nach dem
Kriege nicht in der Lage sein, seine Ein
nahmen zu erhöhen; im Gegenteil, es wird
durch den Wegfall der reichsten und ergl
bigsten industriellen und landwirtschaft
lichen Gouvernements, die von Deutsch,
land und Oesterreich besetzt sind, vollstem
dig verarmen, da die anderen Gouverne
ments im Innern Rußlands sowie die 14
kaukasischen, 10 sibirischen und 9 zentral
asiatischen Provinzen stets passiv waren
und infolge ihrer Armut passiv bleiben
werden. Nur die westlichen Gouverne
ments und Russisch-Polen hatten einen
Ueberschuß an Einnahmen. Die 50 Gou.
crnements im europäischen Rußland hat.
ten im Jahre 1912 einen Ueberschuß von
$118 Millionen, die 10 Gouvernements
in Russisch-Polen einen solchen von $45
Millionen. Dagegen hatte der Kaukasus
Im selben Jahre ein Defizit von $6 Mil
lionen; Sibirien ein solches von $111
Millionen und die 9 Gouvernements in
Zentralasien waren mit $12.430,000 pas
si. -
Das europäische Rußland und das Kö.
nigreich Polen mußten stets zu den Vcr.
waltungskosten der unentwickelten asioti
fchcn Provinzen Rußlands beitragen. Der
Bcrlust der Staatseinnahmen in Russisch.
Polen, in den Gouvernements Wilno.
Rowno, Grodno. Kurland. Eholm und
Lublin dürfte etwa 400 b,Z 00 Millio,
nen Rubel jährlich betragen. Dazu dürfte
sich die Bevölkerunq Rußlands infolge der
Besetzung und voraussichtlichen Anncktie
rung der erwähnten Gebiete um etwa 40
Millionen Seelen vermindern, wobei der
russischen Regierung die Erhaltung . der
im Innern Ruhlands lebenden Millionen
von Kriegswitwcn und Waisen sowie In.
validen zur Last fallen wird.
In welcber verzweifelten wirtschaftlichen
Not de.S staatliche Rußland sich schon heute
bcsindet. möge man daraus schließen, daß
das russische Finanzministerium schon feit
längerer Zeit sich bereit erklärte, die staat
lichen Goldlagcr im Ural und im Altai
einem amerikanischen Bankkonsortium als
Pfand für ein z gewährendes Darlehen
zu überlassen. Die Amerikaner gehen aber
ans abenteuerliche Anleiheprojekte nicht ein.
Ungehobene Bodenschätze gibt es in Amc
r,Ia mehr als in Rußland. Nur die
Firma Morgan & Co. glaubte Rußland
einmal mit einem Darlehen von 5,000,
000 beizuspriiigen und ein andeke mal zu
einer Anleihe von 50 Millionen Dollar
zu verhelfen. Da freiheitliche Amerika
hätte aber keinen Grund, auf diese Tat
stolz ,u sein; e hat sitzt leicht verdiente
Geld und darf e daher auch leicht loswcr
den.
An der finanziellen Not Rußland kiin
nen auch die In Petersburg gefeierten Or
fiten der Berichwenvung nicht andern.
Dieser Bluff, der dem Russen tausend mal
mehr eigen ist als dem Amerikaner, hat
seinen Zweck. Dieser z. Z. in Petersburg
entfaltete fantastische Aufwand on Luxu
und Eleganz ist da Bild de bankerotten
Faschspieler und Hochstaplers, der da
durch seinen Kredit zu heben hofft, indem
er die besten Hotels und 'Restaurant be
suckit, große Diner gibt, die Bedienung
rei'? beschenkt und zuletzt die ganze Rech
nung mit einem Schuldscheine oder einem
N. G.-Scheck bezahlt. Der alte Geist
PotemkinS ist wieder erwacht; e werden
wieder potemkin'sche Dörfer aufgeführt.
Das Tartarenblut. das in den Adern
eines jeden echten Russen fließt, sucht um
jeden Preis seine Befriedigung und Au
schwkisung. Und waS soll Übrigen der
korrupte Beamte, der diebische Offizier,
der betrügerische Lieferant mit den vielen
neuen Katharinkos" (100 Rubelscheine
mit dem Bilde Katharina II.), die in der
großen Fabrik. 'Russische Staatsbank'
genannt, millionenweise erzeugt werden,
anfangen? Nach dem Kriege werden sie
doch keinen Wert haben, oder sie wurden
noch zum Verräter weiden! Daher billig
los werden; man kann nie wissen.
Es gehörte übrigens stets zur hohen
Politik Rußlands, in Petersburg und
Moskau (denn nur dorthin kommen die
Ausländer), sowie im Auslande großen
Aufwand zu treiben und den Anschein des
unermeßlichen Reichtums Rußlands zu er
wecken. Im amtlichen Ausweise zum
Staatsbudget für das Jahr 1912 finden
wir folgende Bemerkung: Bei den Kon
suln und Banken im Auslande: Einnah
men 4,610.000 Dollars, Ausgaben 95,
920.000 Dollars."
Die russischen Konsuln sind vornehm
lich Finanz-Agentcn. Wofür die zirka
96 Millionen Dollar! verwendet worden
sind, wird nicht gesagt. Die russischen
Konsuln sind aber auch politische Agenten
pnr exeelinct und große Spione. Sie
brauchen viel Geld. In den Vereinigten
Staaten leben z. Z. mehr als tausend ruf
fische Agenten als Priester der rechtglau
bigcn russischen Staatölirche". Alle stehen
unter dem Kommando des Generals Sa.
poznikow, der auch den Munitions-Ein-kauf
hicrzulade besorgt. Er und seine
Gehilfcn haben wiederholt den Versuch ge
macht, amerikanische Banken für eine neue
Anleihe und für einen engeren wirtschaft
lichen Anschluß an Rußland zu intcressie
ren. Der Gedanke jedoch, das vernünf.
tige Amerikaner, angesichts des Wirtschaft
lichen und militärischen Zusammenbruchs
der Alliierten, den Russen ohne jedwclche
icherheit weitere Millionen vorstrecken
werden, ist einfach lächerlich.
Ueber die französischen Finanzen hat
die .Staats-Zcitung" vor etwa zwei Mo-
naten ausführlich bcrnchtet. Seit jener Zeit
hat man wieder in Frankreich zu ganz ver-
zweifelten Mitteln gegriffen. Man erließ
zunächst einen Aufruf an alle Besitzer neu
tralcr Wertpapiere, diese Sckuritaten, aus
patriotischen Gründen, dem Staate für
ein Jahr zu leihen, wobei der Staat sich
das Recht vorbehalte, diese Wertpapiere
auch bis zu drei Jahren aufzubewahren".
Als Gegenwert würde man den Teposito
ren handelbare Erlagscheine ausfolgen.
Da man aber in Bezug auf die Patriot!
schen Gefühle der Wertpapicre-Besitzer
mit Sicherheit nicht rechnen konnte, vcr.
fügte die französische Regierung eine
Hausdurchsuchung bei jenen Banken und
Akticnmaklcrn, die als Negotianten in
neutralen Werten bekannt waren. Es
handelte sich also darum, die Namen der
unglücklichen Rentiers zu ermitteln und
diese durch allerhand Drangsalicrungcn
zur Herausgabe ihres Besitzes zu zwingen.
Da ferner die Grenze für ungedeckte Bank.
noten von 10 Milliarden Francs auf 13
Milliarden erhöht wurde und eine weitere
Steigerung den Wert des franzostcn
Papiergeldes vollständig untergraben
mußte, hat die Banque de yrance sich er
bötig gemacht, Bargelder und Banknoten
einzuziehen und dem Publikum dafür
Cirkular-Scheks zur Verfügung zu stcl-
len, die von allen Filialen dieser Bank an
Geldes statt wieder angenommen würden.
Eine Jonaleurkunst, um das Publikum
zur Deponierung aller verfügbaren Gelder
zu veranlassen und so dem Auslande (vor
nehmlich Amerika) zu zeigen, wie sehr der
Wohlstand des Volkes sich trotz des Krie-
gcs gehoben hatte.
Frankreich Verschuldung ist satt o groß
wie die Rußlands und für beide gibt es
keine Rettung mehr. Beide sind betroczene
Betrüger; beide die Opfer Englands.
Soeben traf von amerikanischen Ägcn-
ten in Petersburg eine Kabclmeldung ein,
daß die russische Regierung mit einer
Gruppe Mcrikanischcr Bankiers eine An-
leihe sür $50,000.000 abgeschlossen hat.
Die amerikanische Gruppe besteht ,,s:
The National City Bank. The Guarant.e
Trust Company of New Aork. I. P.
Morgan & Co.. Kidder. Peabody & Co.
und Lee, Higginson & Co. Das Geld
oll hier als Kredit sur r fische Anlaufe
dienen und im Laufe von drei Jahren suc
cessibe ausbezahlt werden. Dagegen er
pflichtete sich die russische Negierung, der
amerikanischen Bankgruppe einen Gegen-
krcdit von 150,000,000 Rubeln, oder ?ur
Rate von drei Rubeln für den Dollar, in
Petersburg einzuräumen. Da dieser Ge
genkredit den Amerikanern die Möglichkeit
gibt, sofort in Rußland Einkäufe von
Häuten und Fellen (Rußlands Haupt-.Ek-portartikcl
nach den Ver. Staaten) zu ma-
chen, so ist der zum Prozentsätze on
GYo außer Kommissionsspesen in Amc.
rila eingeräumte Kredit vollständig cjMat.
Noch nie wurde in der Geschichte eines
Großstaates zu solch demütigenden Be.
dingungcn eine Anleihe aufgenommen.
Man kann das überhaupt nicht eine An-
leihe nennen, sondern ein Warcn-Aus-tausch-Gesckäst
mit geradezu enormem Ge-
winn für die amerikanische Gruppe. Die-
es sur Rußland so traurige Geschan be
stätigt meine Ausführungen über die ver
zweifelte finanzielle Lage Rußlands ind
seinen kommenden Staats-Bankerott
,
Im Iluge gegen Ferdun.
Bon ffligrn
Metz. 6, Mai.
Die Flieger der Kampfstoffe! sind im
nier reisefertig, zur Luft wie zu Lande.
Alle ist da. alle ist In Vercitschast. Die
Quasselstrippe rumort so flcißig, wie in
irgend einem BataillonZunterstand der
Front. Eine Tage rumort sie mit der
besonderen Ansrage vom Großen Haupt
quartier, ob denn die Einladung an die
beiden Kriegsberichterstaller durch den
Besuch beantwortet werdcn könne oder
nicht. Die Kampfflieger, abgehärtet wie
sie find, antworten mit sehr fester Stimme
in dienstlicher Haltung: jawohl! und
siigen gedämpft hinzu: wir werden das
Kind schon schaukeln.
Der Flugplatz liegt wkit und offen da,
von sanften Höhen umkränzt. Die Abend
sonne de heißen Frühlingstage steht
hinter dunstigen Wollen. Es ist eine
dumpfe Schwüle und irgendcine Erwar
tug in der Lust. Wann fällt der erste
Donncrschlag? Vom Süden herüber grol
len unwirsch die Geschütze. Im saftigen
Grase liegt die Fliegermannschaft grup
penweise beisammen und sucht den Him
mcl ab. Die ganze Staffel ist draußen
vor Bcrdun; sie macht Luflspcrrc".
Bewegung: ein paar Mann erheben sich,
schauen durchs Glas. Sie kommen. Wer
kommt? Wir starren scharf nach Westen
und sehen nichts. Es sind zwei sagt
einer. Ja wo denn? Tort über dem
dunklen Wolkenstrich der eine, und ein
Stück tiefer nach links über der Fahnen
stange der andere. Wahrhaftig, jetzt
hab' ich den ersten, und nach einer Weile
auch den zweiten: winzige dunkle Punkte
im Wolkcngrau, die sich rasch vergrößern.
Fast gleichzeitig sind sie über dem Platz.
Längst sind sie erkannt. Nur der eine Top
pcldecker gehört zur Staifek. Mit präch
tigem Schwünge stoßen sie im Gleitflug
steil zur Erde, so als wollte jeder als der
erste aus .einen bestimmten Fleck. Der erste
landet glatt, tanzt och ein bißchen und
steht dann still. Der zweite nimmt einen
kurzen Auslug zur Höhe, beschreibt einen
Bogen und ist unten, ehe man's recht ge
wahr wird. Die Motorc qualmen blauen
Dampf, fauchen und ächzen. Langsam
fahren sie über die Wiese dem Schuppen
zu.
Was gibt's Neues vor Vcrdun?
Beobachter und Führer schälen sich aus
dem Lederzeug, in dem der eine dem an.
deren zum Verwechseln gleicht, uno stehen
auf einmal als feldgraue Offiziere da:
jung, straff und etwas steif vom langen
Flug, Drei Stunden im Sitz, die Nerven
zum Bersten gespannt bis in die allerletzten
Fühler hinein, immer gewärtig: jetzt
nimmt dich einer an, von unten, von hin
ten, plötzlich ist er da, wie der Teufel,
ganz dicht! Er schießt, du hörst es nicht,
aber du weißt es; du wendest, gleitest, tjtn
ab, hinauf, kriegst ihn vor den Schuß
nun also, diesmal war's nichts, aber es
hatte doch sein können, nicht wahr?
Da ist es beareiflich, daß man. mit bei
den Füßen wieder im Diesseits, auf der
festen deutsche Erde, zuerst nach einer
Zigarette langt und nicht zum Erzählen
aufgelegt ist, sondern ein paar Züge tut,
inbrünstig und zufrieden.
Vcrdun? Vcrdun ist zu. Gewitter.
Absolut nicht mehr zu sehen." Das Gesicht
de Beobachters ist braun, blutleer und
fleckig. Ich drehe mich nach dem Führer
um. Ein ganz andmr Typus, aber die.
selbe Schärfe der Züge. Kantige Köpfe,
v.'N der Luft wie abgezehrt. Und die
Flecken auch hier. Ich frage danach.
Erfroren , tagt der Aeobachier gleich-
mutig. Ansanq April hatten wir in
3500 Meiern 26 Grad Kälte. Da kommt's
eben mal vor, daß man den zarten Blu
tcnstaub der Jugend abstreift."
In den Lüften, hinter dem schuppen
her, der die Stadt verdeckt, pfeift, heult
und surrt es. Eine Sirene scheint zu
wimmkrn. Was ist denn das?
Die Flieger sehen mich an und lächeln.
Der Große kommt immer mit Musik.
Der hat seine eigene Kapelle. Ohne die
macht er's nicht. Hauptsache ist, daß er
da ist."
Weitere Meldungen: aus dem Toten
Mann" kolossales Feuer. Ein Flugzeug
abgestürzt. Von uns? Anscheinend ja.
Steinet von der Staffel, einer von der
Front jenseits der Maas. Hat sich mehr-
mals uberschlaaen und ist hinab. ,an
zosen sind heute abend fast gar nicht hoch
gegangen. Ein ekelhaft bockiger Wind oben.
Achtzehn Sekundenmetcr; also kturm.
Und Gewitter außerdem. Ueber Vcrdun
gießt es. Bei uns rühren sich die schlanken
Pappeln kaum.
Wer mag der abgestürzte Flieger sein?
Wo gehört er hin? Am Ende ist doch
ein Franzose? Nun, wir werden es bald
wissen. Wozu haben wir das Telephon.
Wir schreiten gemütlich über den Plan.
Es wetterleuchtet. Ein brauner Fleck
schießt auf uns zu, in langen Sätzen:
Strolch, der Stafilu!i,d, sucht seinen
Herrn. Der stämmige Tozer. den sie alle
kennen und alle licbc, den sie verwöhnen,
hält seinem Herrn die Treue. Er ist müde,
faul und traurig, wenn der Oberleutnant
fliegt. Aber jetzt: wir sind zehn, zwölf
Menschen, und Strolch muß suchen. Er
schnuppert sich durch, eilig, und dann:
dieses Glück! diese Luftspriingc. Nur gut.
daß an der Montur nicht mehr viel zu
verderben ist.
Wir sitzen im Eßraum, in dem noch die
Hitze des Nachmittags brütet. Fenster und
Türen sind offen. Draußen fallen schon
Tropfen. .Kühl streicht der Nachtwind herein
Die Herren wollen also bei uns flie.
gen?" Der Staffclführer mustert seine
beiden Gäste. Nach Vcrdun?" Er fragt
es mit einem schrägen Blick beinahe un
schuldig. Natürlich wollen wir nach Verdun!
Was wollen wir nicht alles!
Ja, nach Verdun wollen wir auch!
Aber morgen früh, wenn wir Flugwetter
haben, bleiben wir lieber hübsch diesseits
Vcrdun. Sie werden genug zu sehen
kriegen. Können Sie um sechs Uhr auf
stehen? Um halb Sieben steht das Auto
vor der Tür. Wenn s regnet, dann nicht;
dann legen Sie sich getrost auf die an-
dere Seite. Wer will morgen früb das i
Kalkschmidt.
zweite Flugzeug führen? Da erste führe
ich."
Am Nachbartisch, wo die jüngeren und
jüngsten Semester beisammen sind, ent
steht Bewegung. Angebot zur Genüge.
Ein langer OffizIcr-SteUvertrelcr über
nimmt den Austrag.
Da Telephon lautet. Der Adjutant
kommt zurück. Es war ein Franzose,
heute abend jenseit der WaaS. Er ist
abgeschossen und dicht hinter der fcind
lichen Front abgestürzt. Von un sind
alle Maschinen zurück."
Also doch einer von drüben. Ein Feind
weniger in der Luft. Der Gedanke belebt
und erfrischt. An die zwei zerschmcttcr
ten Menschen denkt man , nicht. Im
Kriege gehen alle Gedanken nur die eine
Bahn: gegen den Feind. So ist es und
so muß es fein.
Ucbrigens", sogt der Adjutant z uns.
Sie können noch ruhig bleiben. Es ist
doch nichts mit dem Fliegen morgen früh.
Der Himmel ist z, das Gcwitt ist
stecken geblieben und die ganze Situation
sieht nach Landregen aus."
Wir sehen uns traurig on und greifen
seufzend zum Glase. Es schmeckt trot
dein.
Der Oberleutnant und Staffelführer
führer sagt Plötzlich in eine Pause hinein,
mit Ernst und Nachdruck:
Nöin, so ist das nicht, wie manche
Leute glauben. Das Fliegen ist keine
heitere Beschäftigung. Kein Hintergrund
für solche, die schnell berühmt werden
wollen. Verflucht nochmal, so ist das
nicht! Wir Flieger kommen vom Sport
h-r und ohne Sportgeist, ohne ein frisches
Wag-! und zähes Wollen geht es natür
lich "nicht. Aber wir sind keine JrZehs,
wir sind Soldaten! Wir arbeiten militä
risch genau so exakt, genau so pflichtbe
wußt und fachlich wie jede andere Truppe.
Die Sache ist es, sür die wir unsere
Kraft einsetzen, die Cache und nicht die
Person. Gewiß, der einzelne ist droben
auf sich selber gestellt, mehr vielleicht als
jeder andere Kamerad im Felde. Aber
was er. der Flieger, tut und will und
leiste, das leistet er richtig nur dann,
wenn er es für das große Ganze tut,"
Mit dem Manne läßt sich fliegen, denke
ich im stillen. Es ist ein sicherer Mann,
der über seinen Doppeldecker bjncussicht.
ein vernünftiges und höchst achtbares Stück
weit. Ein Flieger, der Horizont hat. So
ist's recht.
Musik!" Das Grammophon gibt alles
her, was es nur in sich hat. Wir singen
die schönsten Lieder und lind sehr luftig.
Warum auch nicht? Morgen, spätestens
übermorgen fliegen wir!
Auf der Heimfahrt regnet e leise. Trotz
allcdcm: um sechs Uhr früh wird aufge
standen.
ch
Die Erwartung läßt mich nicht ruhen,
jede halbe Stunde fahre ich auf. Um fünf
Uhr bin ich wach. Die Dämmeruna lich
tct sich, das Licht wächst. Sechs Uhr:
Lämmcrwölkchkn, ein paar Wolkcnbänke,
violett und graik, dazwischen der blaue
Himmel. Hurrah!
Der Flugplatz liegt noch ein '"ljchcn
grüner da als gestern abend. Die Land
schaft wirkt so sauber; wie geputzt. Alles
ist nah. die Bäume, die Gärten, die Hö
hen. Nur gegen den Osten zu stehen alle
!lvinge in einem matten Dunst, und die
Sonne säumt noch schlaftrunken hinter
den abziehenden Regenwolken der Maien
nacht. Es ist beinahe windstill. Nur dann
und wann weht eine leichte Woge den
starken Odem der Garten und Felder
herüber: Flieder und Kastanienblüten,
grüne atmende Erde.
Vor dem Schuppen stehen die beiden
Flugzeuge.' Die Monteure sind geschäftig
dabei. Aus irgend einem Zwange heraus
höre ich innerlich beständig die Theater
Meldung: Herr Graf, die Rosse sind ge
sattelt! Ich sehe den geschminkten Anfän
ger mit der Allongeperücke, wie er eilig
hercinstolpert, den Degen unglücklich zwi
schen den Beinen, sich verbeugt: Herr
Graf, die Rosse . . ." Fort mit den Ros
sen! Wir reiten nicht, wir fahren nicht,
mein edler Knabe, wir fliegen! Mitten
in den Krieg hinein, wo er sich am wilde-
sten tummelt dahin werden wir
fliegen.
Nein." sagt der Staffelfuhr.. be
schwörend zum Kollegen, der feinen Kodak
zückt , jetzt nicht. Man soll kein Flug
zeug vor dem Fluge knipsen. Das bringt
Unglück. Aberglaube, freilich. Es gibt
allerhand davon. Ich trage heute noch
meine Lederjacke, meine Handschuhe vom
ersten Flug. Ist jetzt bald wd Jahre her.
Meinen Sie, ich setze einen andern Helm
auf? Ausgeschlossen. Es wird geflickt und
gebessert, bis zur Bewußtlosigkeit. Ich
trug früher immer ein kleines Stückchen
spazieren, das nahm ich mit auf jedem
Flug. Eines Tages war es weg. irgend
wie abhanden gekommen. Ich mußte
allein" fliegen.
Na und?"
Es ging natürlich auch so. Das ist ja
ganz selbstverständlich. Es geht eben,
weil es gehen muß. Das wäre ja noch
schöner.
Er lacht. Aber ich merke doch, daß er
sein Stöclchen selbst heute noch manchmal
vermißt, wenn cr zuin Starten geht. Er
könnte sich ein neues kaufen, eine hübsche
schlanke Reitgerte, geschnitzt und umfloch
ten. Aber er tut es nicht. Die neue l?erte
hat keine Flugerfahrung, weiß nicht, wie
sie sich an Bord benehmen soll, ist fremd,
ungeschickt, stört. Fliegerglaube.
Aber nun erst ein Mensch, ein neuer,
fremder, ungeschickter und störender
Mensch im Flugzeug? Der müßte doch
mindestens vorher einigen Zeremonien
unterworfen werden, um flugsicher zu
sein!
Als wenn er meine Gedanken erraten
hätte, bringt ein Mann just cin Bündel
daher, packt aus und beginnt mich in
sichere Gewänder einzukleiden: in eine viel,
erfahrene Lederjacke samt Eskimo-Hosen,
Pulswärmer, doppelte Handschuhe, Helm
und gestrickten Schal; Schutzbrille nicht
zu vergessen. Vermummt wie ein Nord
voliabrer komme ich mir vor. Es ist die
Ausrüstung eine VeobachtungSossizieri
vom Jührcrslugzeug. mit dem ich fliegen
soll.
Der Führer musterte den Himmel: Efl
läßt sich nun nicht länger verheimlichen,
daß da, eine Wolke ist." Er deutet aus
eine erheblich große Bank Im Westen. Na
denn lo. Sitzt der Helm ftst? Er darf
nicht wackeln. Lieber ein Loch kürzer
schnallen. So. Bitte, nach Ihnen.
Ich turne auf den Topeldecker und ma
che mir' auf dem Vordersitz de Beob
achter bequem. Während der Fahrt
öfter umdrehen, damit wir un verstän
digen können. Die Worte möglichst vom
Munde ablesen, zu hören ist nicht viel.
Wenn' nicht ander geht, werde ich auf
Momente den Motor abstellen. Sobald
Sie da Flugzeug rütteln fühlen, ist' ein
Zeichen, daß ich Ihnen wa sagen will.
Nicht aufstehen und übmicigen. Fer
tig?"
Der zweite Apparat drüben läßt den
Snotor anlaufen. Wir tun ein gleiches.
Der Doppeldecker schütelt sich wie ein Wo
gel, wenn er naß ist. Vor mir hängt eine
Uhr, ein Höhenmesser, dessen Nullpunkt
auf die Höhe von Metz eingestellt ist.'
7 Uhr 35 ein Ruck. Wir fahren.
Da steht e, das verbotene, das verpön
te Wort. Wir fahren? Aber gewiß doch,
meine Herren Kampfflieger. Es läßt sich
nun nicht länger leugnen, daß ich in einer
Luftkutschc ganz automäßig über den Na
sen rolle. Ich spüre ihn ja doch, den
Boden unter den Gummirädern mit dem
schwarzen Kreuz. Auch ohne hinzuschauen
weiß ich, daß, ein Veteran der Westfront
mit erhobenem Flugschwanz startet. WaS
würden sonst seine jungen Kameraden
sagen?! Aber vorläufig fliegt er nicht,
er fährt.
Holla wa ist denn das? Wo ist die
gute Erde? Schneller, viel schneller, als
meine Beweisführung für das Fahren ist
der Beweis für das Fliegen erbracht.
Unmerklich hat der Aviatik angezogen. Ein
paar Sekunden schon sind wir fünfzig
Meter hoch. Flugplatz, Bäume, Häufe:
sinken. Wir fliegen wirklich.
Und ich wollte doch so genau auf den
Moment des Abkommens" achten!
Eine leichte Wende. Der linke Flügel
senkt sich. Ah, da ist das Gefühl von un
ferer alten Baumschaukcl wieder. Dies
wunderlich wehe Gefühl des Schwankens
über dem Bodenlosen, wenn's hoch hinauf
bis in die grünen Zweige ging, und de:
alte Baum sich bog und unwillig knarrte.
Wir fliegen, fliegen wie lange denn
schon? Unendlich lange. Ich schaue auf
die Uhr: eine halbe Minute. Der Motor
rast und röhrt wie fünfzigtausend Brunst.
Hirsche. Ich höre ihn gar nicht mehr als
Motor. Er ist ein Akkord, ein Choral
akkord der Lüfte. ,
Ich lehne mich zurück, ganz friedlich,
ganz still, ganz glücklich. Die Sonne
bricht durch. Die Mosel erglänzt. Hü
gel und ' Wälder und goldene Wolken.
Weite, weite Welt. Frei, ganz befreit
von allem, dehnt sich die Brust.
Und auf einmal weiß ich, daß ich glück
lich bin.
Wer hat ein Wort für das Gefühl?
Jeder Wunsch, jeder Wille gelöst, aufgelöst
in. das All, das mich umgibt, das, mein
ist, ganz mein; das m mir ist, wie ich m
ihm.
Wieviele solcher starken Augenblicke des
reinen Glückes gibt es im Leben? Bi5
marck bekennt sich zu einem einzigen. Car
los will ihn mit dem Tode bezahlen. Ich
empfange ihn als ein unverhofftes, un
verdientes Geschenk aus heiterem Himmel,
wie einen Lichtstrahl aus dem gutigen
Auge Gottes.
Er ist kurz, dieser Augenblick deS
Glückes, kurz wie jedes stärkste Gefühl.
Aber er war da,, unvergeßlich schön. Kein
Mensch kann ihn mir ze wieder rauben.
Ich drehe mich um, vorsichtig, zwischen
den Steuerkabeln. Da hinten fitz der
sichere Mann, dem dieses Fliegen tagliche
Arbeit ist. Wir nicken einander zu. Er
weist in die Tiefe. '
, 5 , cm , .!' t t (Wi
jaa unicn iiear ucce, vierminocri acc
ter tief unter uns. Plötze, Straßen und
Brücken, das blinkende Wasser um die
grüne Insel, rauchende Kamine, der Tom
mit seinem steilen Giebeldach. Ein rei
zend verschlungenes Flcchtmerk von Linien
und Formen, ein höchst zweckloses -Ge
bilde. Und wie klein das Ganze, wie
übersichtlich ausgebreitet diese Großstadt
ist. Wo wäre die Einzelheit, die hier das
Auge beleidigte? Die Eteinsetznngen im
Bahnhossviertel, die an der Elcfantiasis
leiden, gehen völlig unter im organischen
Gebilde der Stadt. Halb ist sie aus der
Spielzcugschachtel, halb ist sie Landschaft,
Teil des Moseltals, das weiter und wei
ter sichtbar wird gen Norden, wo das
blaue Band des Flusses sich zierlich win
dct, bis fernhin, wo die Hochöfen von Die
denhosen in einer Rauchwolke stehen
Wir fliegen eine mächtige Schleife über
der alten Feite und nehmen Kurs gen
Westen. Zierliche kleine Anlagen mit seit.
sam gcschnorkcltcn Gartenwegen tauchen
auf. Sie sind wie neue Lustgarten anzu
schauen, die sich friedliche Burger aus den
Mosclbcrgcn errichtet haben. Und sind
doch sehr kriegerische Feldbefestigungen
zwischen den Forts, die schon mehr gro
ßen, sauber symmetrischen Schloßanlagen
ähnlich sehen. Wo sind die Berge hin?
Sie liegen flach eingedruckt, besonnt zu
unseren Füßen. Da und dort wandert
ein kleiner Wolkcnschattcn über sie hin.
7 Uhr 45. Der Höhenmesser geht auf
1500 Meter los. Immer größer wird
di.- Welt, immer weiter. Wollen rings
um, Wolken in allen Arten: über däm
mergrauen Schichten erheben sich heroisch
aufgebaute leuchtende Burgen der Licht
riefen, der Osten dampft und raucht gen
Himmel wie von hunderttausend Essen.
Das ist Deutschland, die trotzige Waffen
schmiede, ,das eiserne Vaterland im Fleiß
seiner tausend Werkstätten und Heimstät
ten. Das Vaterland des Friedens und
der Freude.
Ich grüße dich, du teures Land. Aus
einsamer Höhe von der Scholle gelöst,
umgreift dich mein Herz mit jauchzender
Gewalt. Du heiliges Land der Treue
trotz allem, und immerdar,
Eine mächtige schwarze Wolke, über
schattet uns plötzlich. Dieselbe, die sich
vorhin nickt länger verheimlichen ließ.
Eine empfindliche Kühle haucht mich an.
Lauter röhrt der Motor, mit tieferem
Ton. Noch von der Soirue leitlick &;
schienen, fliegt der zweite Doppeldecker
auf gleicher Höhe mit un. 1800 Meter.
Fliegt er denn überhaupt? Er rührt sich
kaum da, jetzt, eine kleine unmerkliche
Neigung seitlich da einzige Jeich'n
seiner Bewegung. Er scheint stillzustchi,
angehe, tet n Firmament; getragen von
der Luft wie eine schwirrende Libelle.
Fliegen wir? Kommen wir vorwärts?
2000 Meter, sagt der Höhenmesser. Mir
ist, wir stehen still, unbeweglich. Die Wol
kcn, die Erde, das Flugzeug drüben
alles ist nun wie verzaubert. Da macht
der Rumpler drüben einen kleinen Sprung
hinab und hinauf, und dann Ist er Im
Schatten wie wir. Und er bewegt sich
doch.
Ich wende mich. Der kalte Wind riil
tclt an Helm, ich meine ihn halten zu
müssen. Der Flieger öffnet den Mund,
spricht, nein schreit:
Bcrdun!!!
und schlägt mit dem Arm die Richtung.
Ich höre die Stimme wie durch eine ganz
dicke Mauer hindurch, eine Mauer, die
dicker ist als der eine Meter Luftraum,
der uns trennt.
Verdun? Ja, da vor un liegt, von
bläulichen Wäldern beschattet, die Cöte.
Und dahinter, ganz hell in der Sonne,
ganz klar, die gepanzerte Feste Frankreichs.
Ich nehme die Richtung auf mir' gestreck
tem Arm. Der Luftdruck reißt mir den
Arm herum, wirkt wie ein Schlag auf
die Muskeln. '
8 Uhr. Wir haben 2600 Meter er
reicht, wenden nordwestlich und halten,
gleichlaufend zum Rücken der Cüte. Die
Combrcshöhe, die bisher der ungefähre
Richtpunkt war, bleibt zur Linken allg:
mach hinten. Vertraute Orte: Maizeray,
Hennemont, HermSville liegen unter un.
Aber wie haben sie sich verändert! Wo
ist denn die Zerstörung des Krieges? Die
elenden zerschossenen Dörfer nehmen sich
von hier oben ganz menschlich aus. Bis
man beim genaueren Hinsehen merkt, daß
nu? noch die Skelette der Häuser die
Straße und den Marktplatz säumen.
Stille blaue Seen tauchen auf zwischen
den Wäldern. Ein größerer Ort, eine
Stadt wird deutlicher. Es muß Etain
sein. Ich drehe mich um: , ja, Etain!
brüllt der Führer. Und bald darauf halb
links: Vaux.
Vor Etain schnörkeln sich in zierlichen
Windungen die alten verlassenen Stcl
lunden durch das Gelände. Jeder Sap,
penkopf und jedes Hindernis ist sichtbar.
Man begreift erst jetzt, auch wenn man
Fliegerphotographien kennt, die ganze un
entrinnbare Schärfe und Genauigkeit der
Fliegeraufklärung. Nur der Wald kann die
sen Spähern aus der Höhe etwas derber
gen, und auch der nicht einmal, wenn da
Laub gefallen ist.
Vaux Douaumont. Diese Brust
wehr de .Vanzergürtels hat der Krieg
verbrannt. Braun zerisscn liegen die Ein
geweide der Erde bloß. Ueber Tal und
Hügel ist das sengende Feuer geflossen
eine Lava. Hier grünt kein Baum,
kein Strauch. Der wundersam lebendige
Erdcntepplcb unter uns zeigt eine kahl
gefressene Wunde; die überwältigende
Lebenskraft des Frühlings, der das weite
Kampfgclände im Wocvre fast lieblich ge
schmückt hat im Glänze dieses Maimor
gens mußte hier vor dem Kriege Halt
machen. Es ist, wie wenn ein qualvoller
Riß durch die Schöpfung ginge.
,D!e Front bei Douaumont liegt unter
schwerem Feuer. Ich höre keinen Ton,
ich sehe nur die Erdsontänen hochauf stei
gen. Und nun sehe ich auch mehr: über
den Wäldern flocken weiße Ncbclschwaden
friedlich, sehr friedlich. Aber unter den,
Wölkchen blitzt es auf, da, dort, überall:
die Morgenarbcit der Geschütze. Was ich
für sanfte Ncbel anzusehen geneigt war,
ist ? ilverdampf. ist Rauch des Gasgri
naten und aufgewirbelter Staub.
Längst schon fliegen wir im hellsten
Sonnenlicht. Aber diese Sonne wärmt
nicht. Ich spüre die Kälte von den Füßen
aufwärts und ein wenig auch im Gesicht.
Immerhin waren es nur drei bis vier
Grad unter Null.
Auf einmal weicht der Boden unter
mir. Das donnernde Gebrüll des Mo
tors geht über in ein ersterbendes Win
sein. Der Aviatik senkt die Nase erd
wärts. Ah so: Glcitflug. Wieder das
G.llhl von der großen Schaukel. Ich
schaue zum Flieger.
Wir wollen umkehren!"
Wir wenden und der Aviatik steht auf
einmal so schräg, daß ich zur Linken steil
hinuntcrsehen kann. Wo ist unser zwei
tes Flugzeug? Ich habe den dienstlichen
Auftrag, es zu beobachten. Es ist mir
scbon eine ganze Weile entwischt. Weit
und breit keine Spur von ihm. Ueber
Haupt ist die Luft rein, auch von Franzo
sen. . .
Noch einmal umfasse ich mit allen Sin
nen die blutige Walstatt in der Tiefe: die
erkämpften Wälder und Höhen 'im Nor
den, das breite Maastal und die Fe
ungsberge im Westen, die dunkle lang
gestreckte Masse der Cöte mit ihren hellen
.-iierschnitten, wo die Nationalstraßen
', Vcrdun hinüberführen.
Wir nehmen die schnurgerade Richtung
aui Metz. Langsam, ganz allmählich geht
das Flugzeug tiefer. Der Bahnhof von
Conflans taucht zum zweiten Male auf.
Nordöstlich, zwischen den Wäldern, die
Gruben von B'.icy. Auf dr Bahnstrecke.
der wir folzen, steht ein Züg. Mitten
auf der Strecke. Sonderber. Warum
steht er denn still? Aber er fährt ja,
mah?hzfti,7, ,r bewegt sich wie ein Regen
wurm. Und iib:r eine weiße Brücke
chleicht ein Au!?.
Tiefer und tiefer sinken wir: 1500.
1200. jctzt sind es nur noch 1000 Meter.
Die Forts von Metz find wieder da, die
alten Schlachtfelder mit den Schützengrä
ben, die Dörfer zwischen den Reben und
den blühenden Obstdäumen. Der Flug
platz taucbt auf.
Der Motor stoppt. Wie ein Habicht
stößt der Tospeldeck hinc-S. Als wellte
er sich auf dem Dache seine ?ch,!pp;nk
niederlassen. Im letzten ugendlick
sinnt er sich anders, schwebt flach ilkr die
Wiese hin, g-,nz flach jctzt ct tr i?
Erde.
Der Apparat schütter!, roll? a?
hält,
Die Erde bai i'.i wieder,
illfix.
CS is: 8.37