Tägliche Omaha Tribüne. (Omaha, Nebr.) 1912-1926, June 14, 1916, Image 3

Below is the OCR text representation for this newspapers page. It is also available as plain text as well as XML.

    Wls Keij'el nach Sibirien verschlepp!.
Im Narfmski Kraj.
von Vr. phlllpp ZNettczel.
. n.
Cchwb,,
s Drei Wochen war ich schon In Parabell.
II ich vom BJokoft", dcr fmeinbftrdS.
dkiwallung. die in Parabcll ihren Sitz, hat,
in Telegramm und einen Brief zugestellt
hielt. TaZ Telegramm war nach iinf
Monaten die erste Nachricht au der Hei
' mat. Ich konnte sie entziffern, trotzdem
sie arg verstümmelt war, und mußte eine
Viertelstunde innehalten, um . . . schließ'
lich mußte ich mich doch auch einmal aus
weinen. Dann loS ich den Brief. Er
.stammte von meinen Schicksalsgenossen.
ie teilten mir mit, dafj man sie auf tele
graphischem Wege nach Zomsk berufen
statt, von wo sie nach stiern reisen werd?.
3ie drückten sich, offenbar um mich nicht
mu wuiiien, ovr,,a,iig au uns Mieden,
roR ue niait tonnten, oh ihr Rs,
kZmecke eines Auetausche erfolge ... Ich
ar auk der Aktion ausgeschlossen und
blieb in Sibirien. Aber um mir Gewih
beit zu verschaffen, beschloß Ich. zum Pri
staw nach Narym zu reisen. Der Starschy
gab mir einen PafsiiJschein und mit die.
Jem ausgerüstet fuhr ich am anderen Mor.
gen weiter nordwärts, nach der Haupt
standt Narym.
Der Prisiaw war ein mächtiger Mann.
E gibt in Rußland Pristaw!. die sich vom
Schreiber zum Poleizeileutnant irgendwie
hinaufgedient haben, und ti gibt solche,
welche ihrem Feldwebels oder Unterteilt
nantsrang ade sagen, um als Pomotschnig
des Pristaws oder je nach dem Grad
der Protektion 'als Pristaw einen
lltschastok Polizeirayon zu erhalten,
Ei gibt ab.r auch russische Kapitäne,
Obersten und Generalmajore, welche ihren
dienst, et ti sreiwillig. sei ei gezwungen
verlassen, um als Pristaw mit Aussicht
auf Karriere bis zum Jsprawnik oder
.Polizeimeijter ein gesicherte; Nebenan
kommen von 30,000 bis 40,000 Rubel
, jährlich zu suchen und zu finden. Sehr
begehrt sind in Rußland UtschastokZ, wo
viele Juden wohnen, weil aus der Ausle
gung des Wohn und AnstedlungSrechteZ
der Juden für den Pristaw regelmäßige
und steigerungSfähiIe Einkünfte fließem
Als die Ru en in Galizien einmarschier
ten und dort die sogenannte Verwaltung
einrichteten, wurden galizische Pristawstel,
Im von unternehmungslustigen Leuten
finanziert und mit 5,0,000 bis 100,000
Rubel bezahlt. Sie sollen nicht an, au:
ihre Rechnung gekommen fein, weil sowohl
die Herren Vorgesetzten als auch die Her,
ren untergebenen der Pristaws bei der Er
langung der Stellen gleichfalls hohe Kapi
talien investiert hatten, die mit einigem
Gewinn autorisiert werden mußten, und
weil der Tunaiecdurchbruch unerwartet
früh kam.
Der Pristaw in Narym gilt als armer
Wfinnn . Gr ift fi-sfitt ,!n
wl. J3VIW.,V.MIU0iH Vil.
Verschickter und unterscheidet sich von den
Verschleppten nur darin, daß er nicht per
Etappe in das gesegnete Land am Ob
kommt. Im Sommer schlich der Pristaw
Wie wir alle, vom Sumpfsicber und der
Ruh erfaßt, tritt eingefallenen, fahlen
Wangen und brenndcnden Augen umher
' und wartete mit Sehnsucht auf den mn
ter. der ihm ermöglicht, sich in den gro-
ßen, großen Pelz zu stecken und reines
Amtes als oberster Chef aller Nazoraltis
und Verbannten zu walten. Die sibirischen
Bauern kummern sich um den Pristaw
nicht und wenn von Zeit zu Zeit eine ein
heimische Bäuerin verhaftet wurde, weil sie
trotz des Alkoholverbotcs irgendein selbst
gebrautes Schnapsgetränk, Samosatka ge
nannt, in Umlauf gebracht hatte, lachten
die anderen und brauten weiter. Im
Herbst 1915 horte ich von einem Manne,
der es wissen muß, daß ein Jahr Alkohol
verbot dem russischen Reiche 300,000 Men
schenleben gekostet hat. So viele starben
an Vergiftungen,' die sie sich durch den Ge
nuß alkoholhaltiger Surrogate zugezogen
hatten. Daß alle Duftwässer, Kölnisches
Wasser und Parfums, soweit sie nur
Evuren von A lodoi auimu en. den unae.
wohnlichen Weg durch die Gurgel und
Speiseröhre der russischen Bauern nah
wen, ist auch außerhalb Rußland bekannt
geworden.
Doch nun ist es hohe Zeit, zu meinem
Priftaw zurückzukehren, bei dem ich in
Narym vorsprach, um mich zu erkundigen,
weswegen ich in Sibirien geblieben fei,
Während meine Genossen beinahe als freie
Männer, will heißen, ohne Etappe nach
Kiew zurückkehren durften. Der Pristaw
war verlegen und fragte mich zögernd:
.Welcher Konfession gehören Sie an?"
.Das ist in diesem Falle gleichgültig."
sagte ich. Ich fragte Sie als Lsterreichi
scher Staatsangehöriger, weshalb Sie
meine Genossen, mit denen ich gleichzeitig
und unter der gleichen Beschuldigung der
russischen Behörden vcrhastet wurde, zu
rückbesördert haben, wahrend ich im Na
rysmki Kraj bleiben muß." Machen
Sie ein Gesuch und überschicken Sie es
durch mich an den Gouverneur." Ich
lehnte ab. Ich habe bis jetzt keine Ge
suche an die russischen Behörden überreicht
und will es auch fürderhin nicht hm,"
sagte ick.
Dann fragen Sie beim Gouverneur in
2omtt telegraphisch an, mit der gleichen
telegraphischen Anfrage können Sie sich
auch an den amerikanischen BotAastcr in
Pelersburg wenden. .
Ich hab: den Rat des Pristaws befolgt
und beide Telegramme abgehen lassen.
Bom Gouverneur (schielt ich nach zwei
Portalen den Bescheid, daß das russische
Ministerium d.Z Innern nur meine vier
Grossen nach Kuw zutüclbefördern ließ,
während mein Name in dem betreffenden
Erlasse nicht erwähnt gewesen fei. Der
omrriianische Botschafter antwortete mir
überhaupt nicht. Bei der Antwort des
ctiwrm'url ließ ich es nicht bewenden,
Ick' fragte bcim damaligen Minist.r des
Indern Mclla!üw int einem Briefe an.
w:snegcn ich von dcr 'Altion audgeichlas
scn worden fei. Im Spätsommer 1015,
knapp vor meiner infolge Abtaust. er
folgten Heimreise, teilte mir der Pristaw
die Antwort des Ministers mit. Der
Gcneralgouverneur Galiyiens, Gras
ovrinöki, yieg ti in dieser Antwort, habe
meine Genossen zum Austausch gegen die
Angehörigen der Brüder GerowSkt bc
stimmt und zur Erleichterung des Vor
ganges ihre Ueberstellung nach Kiew vcr
langt. Ich aber sei vom Grafen Bobrinski
in diese Austauschassäre nicht einbezogen
worden. Bei dieser Gelegenheit sagte mir
der Pristaw: 0, die russischen Behörden
sind sehr gut informiert. Ihre Genossen
wurden als österreichische Zschinowr.iki
von Rang verhaftet und nach Sibirien
verschleppt. Sie aber sind nach den ,ns
vorliegenden Berichten der allergefähr
lichste Oesterreich."
Ich erwiderte lachend: .Ich kann Ihnen
darauf nur dasjenige sagen, daß ich dem
oorilkgenden Berichten dcr alleraesar.
Gendarmerieoffizier in Winica geantwr
tct habe, als er mir mitteilte, da lie
russische Polizei auf mich ein besondere
Augenmerk richten müsse. Der Pristaw
sah mich fragend an, und ich fuhr fort:
Ich sagte damals: ES ist mir eine hohe
Auszeichnung, wenn das gewollige Ruß
land und die allmächtige russische Polizei
gerade mich kleinen Mann er? der Bulo
wina so sehr fürchten."
Ich blieb mit Bewilligung der Behörde
zunächst einige Wochen in Narym. In
diesem Zentrum des Narymski Kraj lerne
ich einige deutsche Familien aus dem In
nein Rußlands kennen, die bald nach
Kriegsausbrnch unter den nichtigsten Vor
wänden administrativ nach Sibirien ter
schickt worden waren. Sie waren tief de
primiert. Mit ihrem persönlichen Schick
sal, das ihnen die entsetzlichsten Entbeh
rungen in dieser von Gott und Menschen
verlassenen Gegend auferlegt hatte, hatten
sie sich schon irgendwie abgefunden. Aber
die Lektüre russischer Zeitungen mit den
prahlerischen Ankündigungen des Vor
Marsches nach Berlin und Wien erfüllte
sie mit schwerster Sorge. Es gelanz mir,
sie seelisch wieder aufzurichten. Ich war
von der Ucberlegenheit der deutschen und
östcrreichisch-unaarischen Waffen so sehr
überzeugt, daß es mir ein Leichtes war,
in meine Worte jenen Ton hineinzulegen,
der suggerierend wirkt. Die Russen wa
ren damals tief in den Karpathen und
In Ostpreußen, ober mein Optimismus
wirkte Wunder. Ich wurde zum Prophc
ten. In den nächsten Taaen." sagte ich,
werden die Russen, die siuj über die ost
preußische Front oussallend c tsschweigen,
dort ihre Katastrophe erleben." Als in ter
nächsten Woche die Post neue Zeitungen
brachte und wir das verschämte Eingc
ständnis des russischen Gencralstabcs von
dem Unglück, das der zehnten Armee zu
gestoßen sei, lasen, wobei allerdings ofsi
ziell mitgemeldet wnrde, dcr russische
Oberst Messajedow habe den Deutschen
alles verraten und werde dafür gehenkt
werden, waren meine deutschen Freunde
von meinem strategischen Scharfblick so
schr überzeugt, daß sie aufrichtig - be
dauerten, daß meine großen militärischen
Kenntnisse in Sibirien aufs Eis gelegt
weiden mußten. Als Ich, noch immer ge-
tragen von meiner durch, nichts zu erschut
ternden Zuversicht, die große Offensive in
Galizien prophezeite, hörte inar. mir mit
Rücksicht auf das wiederholt kundgegebene
Gutachten der russischen militärischen
Autoritäten, die Dunajecfront sei unein
nehmbar, mit bangen Zweifeln zu. Ich
aber stieg zur ersten außer Wettbewerb
stehenden militärischen Autorität des
Narymski Kraj samt Umgebung auf, als
unsere Offensive in Galizien kam und die
Zerschmetterung dcr russischen Karpathen-
armee zur nicht mehr abzuleugnenden
Tatsache wurde. Da ich auch gegenüber
den russischen Polizeibeamten aus meiner
Siegeszuversicht, kein Hehl machte. tagte
. . . . M fW t V L.
mir einer vieler yerren oeim Avicmco
Ende August 1915 mit herablassender
Vertraulichkeit ins Ohr: Da haben die
russischen Behörden wieder eine richtige
Dummheit gemacht: gerade , Sie mit
bren gewaltigen mimar, cyen Zienni
nissen geben wir im Austauschwege
hinaus." Ich kann ihn letzt endgültig
beruhigen. Geich nach meiner Rückkehr
ins Vaterland konnte ich konatieren, daß
die erforderlichen Militärischen Stellen
recht gut besetzt sind und daß unser Con.
rad aller menschlichen Voraussicht nach
nicht in die Lage kommen wird, auf meine
strategisch-militarische Mitwirkung zu
re lektieren. Ich bin damit zusricven.
und mein Polizeivoraesetzter in Narym
wird, wenn ihm diese Zeilen irgendwie in
die Hand kommen, seine Nächt. nicht mehr
schlaflos verbringen. In dieser Beziehung
kann sein russisches Vaterland ruhig sein.
Unser Kreis Erweiterte sich von Tag zu
Tag. Nicht nur aus den russischen Grenz
aebieten brachte man neue Verbannte,
deutsche Kolonisten und haupisächlich Ju
den, sondern auch aus Galizien, aus der
Bukomina und aus Ostpreußen kam neuer
Zuzug. Narym war oft nur Durchzugs
station. Viele gingen nach kurzer Rast
der Etappe weiter nach Norden, nach Kar-
gasog. Timskoje und Kalguak. Letzteres
war die Strafkolonie unter den lratroio
nien. Durch persönliche Intervention bei
dcr Narnmer Polizeibehörde gelang es
mir. einige Ocsterreicher vor Kalgujak zu
bewahren, und wenn ich an dieser Stelle
davon auch Erwähnung tue, daß ich not
leidenden Oesterreichern und Deutschen
mit Geld, mit Wäsche und Kleidungs
stücken beifprang, so bitte ich dringend,
darin keine unbescheidene Heivorkehrung
meines Wohltätigkeitssiniies zu erblicken.
Wohlhabende Verwandte, die ich in Ruß
land habe, stellten mir die Geldmittel
reichlich zur Verfügung, und es war mein
einziger Trost und mein Lebenehalt in
dieser schwersten Zeit meines Lebens, mci-
ncn unglücklichen Schicksalsgenossen bei
springen zu können. Wenn ich materielle
und seelische Not lindern konnte, half ich
mir selbst über das Qualvolle dieser Tage
hinweg. - Damals lernte ich das bc
glückende GesiiHl verstehen, das in die
Wildnis wandernde Missionäre empfin
den können, die nicht mit Feuer und
Schwert, sondern mit Wort- und hilf
reicher Tat Ihrem Glauben neue Anhän
ger werben.
Wie man sich in der sibirischen Einöde
finde,,
Ein alte Wort: Die Erde ist groß
uno vocy o liein. vinel Abends hatte
ich mein durstiges Gemach aus
.Kamlschatla , einem Vororte Narym,
mehrere deutsche Familien zu einem
Abendessen" eingeladen. Ich hatte mit
H e etner der Damen und meiner Oau
Wirtin ein schönes Fischgericht. Tee und
Butterbrot vorbereitet, und so faßen wir
um da kleine Petroleumlampchen, das
ich durch zwei Kerzen verstärkt hatte, und
agen, tranken, rauchten und plauderten.
Einer ver Walte entfernte sich wegen Un
Wohlseins schon um 10 Uhr ends. Eine
Stunde später riß er wieder die Tür cnf
unn erzaniie aiemio:
Eine interessante Neuigkeit für Sie.
Herr Doktor! Mein Sohn, der 1 Jahre
alt geworden ist und e vorzog, freiwillig
zu mir nacy Kbtrien zu kommen, um
nicht per Etappe hergeschickt zu werden,
ist eben angekommen. Er hat unterwegs
mehrere Landsleute getrossen. Unter ihnen
ist auch der Czernomitzer Advokat, Dr.
Ebner, der nach Parabcll verschickt wurde
und ganz verzweifelt war, als er Sie
dort nicht antraf.
Einen Augenblick war ri starr vor
Uebcrraschung. Dann faßte ich mich nd
fuhr schon am nächsten Morgen nach Pa
rabell zurück, um meine Landslcute u be
grüßen. Außer Dr. Ebner war ein Gym
nasiast aus Czernowitz da, den die Russen
auf der Straße aufgegriffen und nach
Sibirien verschickt hatten, dann ein Fi
nanzbeamter und ein junger Bauer aus
einem Dorfe bei Czernowitz.
Oder der folgende Fall:
Ich bin auf dem Postamte in Narym,
um zum so und so vielten Male vergeblich
nach Post aus der Heimat u fragen, da
öffnet sich die Tür und herein tritt der
Administrationsrat des Bukowinaer griechisch-orientalischen
Religionsfonds Dr.
Adelsberger. Trotz der entsetzlichen Ver
Wüstungen, welche die eben absolvierte
Etappe an feinem Aeußern hervcrgerufcn
hatte, erkenne ich ihn sofort, trete auf ihn
zu und drücke ihm stumm die Hand. Er
erwidert den Druck herzlich. Zu Hause
waren wir trotz ehemaliger inniger Schul
kameradschaft aus politischen Gründen
auseinander gekommen, hier erwachte die
alte Freundschaft wie mit einem Schlage,
und wie wenn zwischen uns nie etwas vor
gefallen wäre.
Eines Tages kam ein Transport un
garischer Zigeuner, die sich in Rußland
aufgehalten hatten und nach Sibirien ab
geschoben worden waren. Sie hörten von
mir und ohne staatsrechtliche Bedenken
stellten sie sich sofort IS Landsleute vor,
denen ich helfen müsse. Tiefe Zigeuner
belebten das einförmige Bildnis Naryms.
Sie bezogen eine halbverfallene Holzhütte
am Rande des Dorfes und dort richteten j
sie einen jungen Baren ab, dcr aus einer
Höhle ausqehoben wirdcn war und tu
Narym gemütlich spazieren ging. Dieser
Bär wurde erst einige Monate spater an
die Kette gelegt, nachdem er einem,
Baucrnjungcn, der ihm ein Stück Brot
reichte, die Hand bis an die Wurzel weg
gerissen hatte.
In dichten Gruppen wohnten die jüdi
schcn Verbannten in Narym. Sie, such
ten sich irgendwie zu bctätigen: als Tisch
ler, Bäcker, Schneider und Schlächter. Sie
waren von ihren Familien in Rußland
gewaltsam getrennt worden und mußten
ihren Unterhaltsbeitrag von monatlich
Rubel 50 Kopeken per Kopf durch einen
ZIebenerwcrb vergrößern, damit Frau und
unmündige Kinder zu Hause nicht ver
hungern. Ihre mündigen :ohne waren
in den Krieg gezogen. Diese Juden er-
zählten mir viel von ihrem Leid. An
fänglich konnte ich mich in ihren litwa
tisch-dcutsch.'jüdischen Jcrrgon nicht hiner.i
finden. Aber den immer wiederkehrenden
Refrain verstand ich' bald: Für uns rus-
sische Juden ist das kein Weltkrieg, son
dein ein Wcltpogronk." Dennoch kam
bald die Zeit, in der die nach Sibirien
verschickten Juden von ihren Stammesge
nosscn in Polen, Litauen und in den von
den Russen noch okkupierten Teilen llst
galiziens als glücklich Entronnene beneidet
wurden. Es war zur Zeit. alsdie zurück-
weichende Kosakcnhorden die Juden zu
vielen Tausenden vor sich hcrtrieben ud
Hunderte und Hunderte von am Wege
Gestorbenen in den Straßengräben ver
moderten, den Aosvögcln'zur Speise.
Meine Hauswirtin .aiif Kamtschatka
war mir zugetan. Die Mutter führte
mich einmal stolz in das Erdgeschoß, wo
sie mir aus einem Ehrenplatz an der
Wand einen eingerahmten Brief zeigte.
Es war ein an ,l,re Tochter gerichteter
Hciratsantrag eines russischen Verbann-
ten, dcr bald daraus im Ob ertrank.
.Dieser Tod." fügte die Mutter geheim
nisvoll hinzu, 'war kein zufälliger, denn
meine Tochter hat den Antrag abgelehnt."
Einmal bekam sie den Besuch eines kran
ken Bruders, der die Nachte hindurch
stöhnte und hustete und mich im Schlaf
störte. Eines Morgens ich war noch
zu Bett trat die Wirtin in mein Zim-
mer nd bat mich, nach ihrem kranken
Bruder zu sehen, da ich doch ein Doktor
sei. Ich suchte ihr begreiflich zu machen.
daß ich Doktor dcr Rechte wäre und von
dcr Medizin nichts verstände. Es half
nichts. Dcktor ist Doktor.' meinte
meine Wirtin. Ich kleidete mich an und
stieg die Treppe hinunter. Da lag ihr
armer Bruder und seufzte nicht und
stöhnte nicht mehr. Er hatte ausgerungen.,
Habe ich's dir nicht gesagt", sagte der
Gatte In schreiendem Tone. Jetzt muß
man ihn eben begraben", fügte der HauS-
Herr hinzu. Dcr Tod ruft keine beton-
bettn Emotionen hervor bei diesen Jca
turmenschcn. Ehe man ihn bestattete,
wurde der Tode noch photographiert. Zu
Lebzeiten photographieren sich die Bauern
im Narymski Kraj nicht. Wohl aber gilt
eS als die schönste Ehrung dcr Leiche, sie
im Bildnis festzuhalten. Alle 'Familie
H. d. K. Yiklor Aanlck.
Trr Ticgkr von Kra.nik und LandkövkrtcidignngS
, von Tirol.
Kommandant
Die frische, natürliche, liebenswürdig
kraftvolle Art, die au der österreichischen
Volksseele ebenso. wie au der österrcicht
scheu Landschaft spricht, kennzeichnet ausS
glücklichste den LandeSverteidigungskom
Mandanten von Tirol. Hochgewachsen und
ebenmäßig, über einem sehnigen, durch
trainierten Körper ein Kopf voll männ,
lichen Ausdrucke, au dem hinter den
Zwickergläsern her die Augen klar, scharf
und doch gülig drcinschaucn, verrät
General Tankl schon im Aeußeren die
charakteristische Mischung von Tempera
ment und Maß. Kraft und Beherrsckmng.
Geist und Bescheidenheit. AuS solchem
Holz sind die Männer geschnitzt, denen In
schweren Stunden da Herz de Volke!
zufliegt, als gehörte e zu ihrem natür
lichen Besitzstand. Ist e nicht daS Holz,
au dem auch TanklS Vorfahr, der
Sandwirt an der Passer, gemacht war?
Der moderne Krieg ist anders geworden,
nicht mehr die einzelne Jaust entscheidet,
Technik, Wissenschaft und Maschine haben
das Ringen zu einem beinahe gedanklichen
Problem umgestaltet. Viktor Tankl er-I
zwischen Berg und Gletscher da Edel,
weiß de Ruhme gepflückt. Er ist der
Sieger von KraSnik" und wie er jetzt
au der Tiroler Volksseele herau schasst
und fuhrt, fa verstand er ei Im Beginn
de Kriege, seine Soldaten zum Kamps
gegen bat russische Riesenungctüm wie
kaum in zweiter zu begeistern. Mit
prachtvollem Elan im Feindesland vor
stoßend, ein Reiterofsizier von echtem
Schrot und Korn, richtete er gleich am
Anfang deS Ringens, gewissermaßen an
der Schwelle dcr geschichtlichen Begeben
heilen, den Sieg von Krasnik wie ein
Wahrzeichen osterreichifch ungarischer
Kraft aus, und den russischen Draht
ziehcrn. die von einer kecken Herausfor
derung" gesprochen hatten, mag eine
bange Ahnung aufgestiegen, sein ange
sichts des Tagesbefehls, in dem General
Dankl als erster zu feinen Soldaten sagen
konnte: Ihr habt den an Zahl überlege
nen Feind aufs Haupt, geschlagen." Auch
hier vereinte dieser geniale Führer unbe
wußt rein Militärisches mit Politischem,
schuf er, ohne eS zu wollen, dem,allge
r c
,
F . . . msyi:,???. . . v
,
. "'' ' '
5
14 ,
i
.,1 ii," , , A '
ri
. . ; ; , f
'W?
" i i t
' - - ' "v,L''
f ? y i
. '
'' '
l .. f ' n ' " '
' $ ,
f i " " I
5 , i . ' ,A f
t , . ,-
v - ' y -
!rt z
? , , , '
X U2rv -'?....
;j
. r , " , - - -' '
f.-.v , V"
,' . : ' -; . r"
'
" .r '
?y f 'V ' i- ' V t
U ' ' ,4,"
?i ' ' . V " c
' ( "i"
i ' - , 1 , . ,
4 A
. ' ' ' ' l
fc , - - .- : ;( , l .- y .f. v..; .- . -s.- '" :-' ,,.:
, .. ?&,'
ki
&
j
v u
''. '-:' ., i ' "v: h
U'J ' ' " ;1 !i " ,
i ' y 1 4 '
j ' yi'- ' t y V & "
ii
,
1"f
-
-, -
: 4 i x . ,
' :' . ÄtäH;-
. i ' tfr,rtf - t i
( !,''. ,1-vf ' ' "l
' ' ' ' f v t 'i
." JHMW'A 4M ib1' , 1-i ft,- & V I
ttcncralobcrst Viktor Tankl.
füllt die an ihn gestellte Forderung lief
aus seinem prächtigen Wesen heraus: er
ist des Volkes Mann ganz und gar, er
gehört zu Landschaft und Leuten wie der
Kopf zum Körper. Wenn er die Stand
schützen in entscheidender Minute anredet,
wenn er in der Tiroler Soldatcnzcitung
sich vernehmen läßt, wenn er die Unter
stände besucht, die dort zuweilen wie
Vogelnester in blauer Höhe hängen
dann verschwindet dcr Kriegswissenschaft
ler, der moderne General hinter dem
schlichten, vollblütigen Menschen, er ist
dann nur mehr ihr Kamerad, ihr Bruder,
mit einem Wort ihr Dankl", den sie
lieben, obzwar sie seine Überlegenheit
auch verehren müssen. Dieser psycho
logische Zusammenhang kann nicht hoch
genug eingeschätzt werden in einem Lande,
wo der Krieg mehr als anderwärts als
Volkskrieg in des Wortes echterer Bcdeu
tung geführt wird.
Viktor Dankl hat freilich nicht erst
meinen Gcsühl eine Bahn. Denn ' dcr
grandiose Auftakt von Krasnik ließ die
Monarchie, die sich langer? Fnedensiahre
erfreut hatte, erkennen, wie blank das
Instrument der Volkswehr einstweilen
gehalten worden war, und aus dem
mächtig emporquellenden, unwillkürlichen
Selbstvertrauen wuchsen in der Folge die
bleibenden Leistungen von Armee und
Bürgerschaft.
Radetzky-Geist, Radctzky-Tradition
so möchte man die gutcn Feen benennen,
die von dcr Wiege an, Viktor Dankls
Weg schirmend begleitet haben. Wie so
mancher unserer jetzigen Helden gegen
Italien, ist auch er jenseits der Alpen
geboren worden. 1834 in Undine, als
Sohn eines österreichischen Majors. Das
Elternhaus, in dem eine Mutter von
feinen Gaben waltete, ließ dem Knaben
eine sorgfältige Erziehung angedeihen und
vertraute ihn, nachdem er in Görz und
Tricst Gymnasialfludien getrieben hatte,
angehörigcn setzen sich um den Sarz und
lassen sich mitphotographieren. Die Kunst
des Photographiercns bat ein Bauer in
Narym von einem Verbannten erlernt.
;ch mußte mich bei dieser Leiche mit aus-
nehmen lassen. Da aber meine Hauslcute
mich auf einen erhöhten Ehrcnsitz zwang-
ten, kamen auf dieser Photographie nur
meine Filzstiefel heraus. Meine Wirtin
tröstete mich mit dcn Worten: Sie sind
zwar nicht herausgekommen, aoer vie
Stiefel sind zum Sprechen ahnlich. Am
anderen Morgen wurde der Mann de
graben. Aus dem Fricdhosea Waldes
rand wurde eine ziemlich seichte Vcrtic
fung ins Eis schlagen und ohne jede
kirchliche Zeremonie senkte man dcn roh
gezimmerten Sarg mit der Leiche hinein.
Der Hausherr erklärte mir den weitcreit
Borgang folgendermaßen: Das Eis taut
im Sommer auf. der Sarg fcnlt sich tie-
fer hinunter und bald bedeckt ihn der
Schlamm ..."
Ich wurde leidend. Mein Magen
wollte sich nicht fügen und kündete der
schlechten Kost den Lohndertra. Es w-r
eine böse Sache, ich sah mich nach einem
Mittagstisch um. In Lugowskoje, das
bloß vier Werst von Narym entfernt ist,
war eine Lehrcriy aus dcr Bukowina in
terniert. Bei ihr bestellte ich mit noch
zwei anderen Genossen den MittagStisch.
und deswegen nahmen wir auch in Lu-
gowskoje Wohnung. Der April alten
Stils war inzwischen ycrangclommen,
und die sibirische Frühlingsahnung zog
durch den Narymski Krai. Anfangs
konnte ich mich noch in den Urwald, der
dickt bei Luaowskojc beginnt und nach der!
Meinung der Einheimischen sich etwa 300
Werst lang erstreckt, lies yincinwagen. cr
hart gefrorene Schnee brach unter meinen
Tritten noch nicht ein. Aber schon eine
Woche später versank ich bis an die Ach
sein. Mit schwerer Mühe arbeitete ich
mich heraus und gab die Spazicrgänge
selbstverständlich aus. Noch barst das Eis
nicht, aber wenn ich über den Bach schritt,
der von Lugowskoje nach Narym fließt,
hörte ich schon deutlich die gurgelnden Ge-
rausche, welche das unter dcr Eisdecke
wühlende Wasser erzeugte. Dann waren
wir fünf Wochen lang von jeglichem Ver
kehre abgeschnitten. Briefe und Zeitungen
blieben aus, denn die Post konnte aus
Tvmsk nicht mehr befördert loerdcn. In
den ersten Maitagen, alten Stils, began
nen die Bauern ihre buckligen Kühlcin
und Oechslein, die nicht größcr sind als
gutgewachsene Hunde, über schwimmende
Eisschollen in dcn Wald zu ireibrn, damit
sie in den aus dem schmelzenden Schnee
lrvorlugcndcn Gräsern ihre Nahrung
suchen. Tie großen Kähne und die kleinen
Oblasoks" aus Baumrinden hergestellte
kleine Wasserfahrzeuge wurden geleert
und bereitgestellt. In den eisten Maita
gen unternahm ich meine erste Kahnfahrt
nach Narym, wobei mir allerdings mein
Hauswirt in der Weise behilflich war,
daß er an Stellen, wo die mächtigen Eis
schollen den Wasserweg verstauten, aus
dem Kahn hinaus aufs Eis sprang und
ihn eine halbe Werst lang hinter sich her
zog, bis der Wasserweg die Weiterfahrt
ermöglichte.
Vom Altai herunter wälzten sich die ge
schmolzenen Cchneemassen in die sibirische
Tiefebene hinein, rissen Eis und Schnee,
die am Wcge lagen auf, und erzeugten
ungeheure Wasscrmassen, die Bäume und
Sträuche, aber auch Häuser und Kirchen
beinahe ganz verschlangen . . .
Am 20. Mai, neuen Stils, weckte mich
ein schriller, langgcdehnter Pfiff um vier
Uhr morgcns aus dem Schlaf. Der erste
Dampfer war aus Tomsk gekommen und
schaukelte, etwa hundert Schritt vor
meinem Fenster, nach Narym hin. Der
sibirische Sommer war da.
dem St. Pöltncr Nadeitenlnstitut an.
Hier erst fühlte der junge Dankl sich recht
am Orte, denn er war mit aller Sehn
sucht seine fKtyn Soldat. Und al er
VÜU die Theresianische Militärakademie
in Wiener.Neustadt al Leutnant bei den
Sackten Dragonern verließ, ' stürzte er
sich mit jener wahren Lust, die immer
auch die wahrhaft gute Laune mit
sich bringt, in feinen Beruf. Nach der
Kriegsschule kam er al Gcneralstab
osfizier nach Prag und Budapest, dann
im HauptmannSrang zur ersten Jnfan
terietruppendivision nach Sarajevo. Durch
Oesterreich und Ungarn kreuz und quer
verschlagen so ließ der lebhafte, geistig
regsame Offizier mit offenen Augen die
Menschen und Gegenden feine Vater
lande aus sich einwirken, und vielleicht ist
eS darum, daß nun ,auZ jedem feiner
Worte, au jeder seiner Taten un etwas
w innert Hcrzcnszugehorigkeit anspricht,
Er diente in Bozen al Unterdirektor der
Militärmoppierung. nahm, mehrere Jahre
zur Bispoutlon des Ehcss de General
tadeö Gra en Beck gestellt, reich. An
regung In sich auf. und wurde 18S1 zum
Major und GeneralstabSchcf der Wiener
Kcwallerietruppendivision ernannt. Ob bei
den Elfer-lllanen in Radymno, ob
als Oberst und Generalstabschef beim
Agramcr 13. KorpS, ob an der Spike
des DirektionSbureau im Gcneralstab
uverau war Dankl der rechte Mann am
rechten Ort, geschätzt von seinen Vor
letzten, geliepl von dcn Kameraden, aus
richtig verehrt von allen Untergebenen
Ueber Komorn führte die bunte zis und
transleitanische, Wanderschaft den in,,wi
schen zum Generalmajor Vorgerückten als
Brigadier nach Trient, von da als Kom
Mandanten der 36. Jnfantcrietruppen
division und Fcldmarschalleutnant nach
Agram, endlich 1D12 an jene Statte, mit
der mnlli Vlamt für die Ewigkeit rühm
von verknüpft bleiben wird: nach Tirol,
Hauptstadt als Kommandant des 14,
Korps und kommandierenden General in
Innsbruck.
Als der ftt'un nuZhrnrh (unr nsl
zunachjt an die Spitze der ersten Armee
gesellt, feie oiloete den linken Flügel der
zwischen Weichsel und russischem Bug
nordwärts dirigierten Stoßgruppe Dankl
Auffcnbcrg. In unwiderstehlichem Elan
loste sie die großen Aufgaben des Offen
sivbeginns. Links der Weichsel durch die
Gruppe Kummer und die schlesischen
Landwehrleute von Woyrsch gesichert,
führte Dankl seine Korps über San- und
Tanew-Sllmpse siegreich nordwärts, gab
den Russen bei Krasnik den ersten gewal
tigen Denkzettel und sah die Turme Lud
lins vor sich, zu dessen Toren sich seine
Armee in hartnäckigen Kämpfen heran
gearbeitet hatte. Die Ereignisse weiter
östlich zwangen einstweilen zur Umkehr
vor der immer breiter heranschwellenden
russischen Uebermacht und auch in
dieser schwierigen, verantwortungsvollen
Aktion, in der Sicherheit hinter dem San
im späteren Vormarsch zur zweiten Of
fenswc, in den Schloten bei Jwangorod
und Krakau, im, Bcwegungs- und lang
wicrigen Positionskrieg, in Angriff und
heroischer Verteidigung gegen die ihre
Totenopfer nicht zahlenden Russenkolon
nen, überall bewährte General Dankl sich
als Feldherr und Mensch von höchster
Stuse, als großzügiger, klarblickender
Führer seiner Truppen und zugleich in
Leid und Freud als ihr echtester Kamerad.
Dann schlug die Stunde des italieni
schen TreubrucheS und am 23.' Mai
1315 ging Tankl als Landcsverteidi
gungskommandant nach Tirol, in sein
Tirol , das er kennt wie kein zweiter, und
an dem er hängt mit allem Feuer seines
jung gebliebenen Herzens. Das .Vertrauen
dcr ganzen Monarchie folgte ihm auf
diesen Posten in sein Revier der
Weltgeschichte". Wie er diesem Vertrauen
gerecht ward, wie unter seinem genialen
Kommando, das auch in der Auswahl der
Mitarbeiter unübertrefflich ist, die Berge
selbst mit den Söhnen Oesterreich-
Ungarns sich verbrüderten, um die Herr
liche Alpenwohnung vor den Fußspuren
deS ungebetenen, frechen Gastes zu be-
wahren das bedarf als unmittelbare,
heißeste Gegenwart vorläufig keinerlei
ausschmückender Bciworte. Noch wachsen
ja die Ereignisse um den tatfrohen Mann,
noch ist, wo er gebietet, alles im Werden
und Geschehen. Wann immer aber Gene
ral Dankl den Ruf zu neuer Tat erheben
mag. nicht nur seine Offiziere und Sol
baten, auch die Bürger ganz , Oesterreichs
Ungarns werden ihm vertrauensstark und
willig folgen als einem der größten und
besten Söhne dieser Zeit.
Karl Eoetvoes t.
Im 75. Lebenszahre ist der bekannte
Verteidiger und Abgeordnete Karl Eoet-
voes am 14. April gestorben. Einem Zola
gleich Hai Eoetvoes vor über dreißig Iah-
ren gelegentlich des Tisza-Eßlaer Ritual
Prozesses durch feinen juristischen Scharf
inn, seine unentwegte Ucberzcugungstreue
und seine Ausdauer im Kampfe gegen
Lüge und Böswilligkeit der gerechten
Sache des ungarischen und damit des
internationalen Judentums zu einem
glänzenden Siege verholfcn. Als Wge
ordneter Mitglied der Kossuthpartei war
er stets ein scharfer Kritiker der Regierung
der jedoch nie ausartete, oder politische
Parteikonspirationen mitmachte. Eoetvoes
war auch sehr erfolgreich journalistisch
und schriftstellerisch tätig, und von seinen
Werken sind einige mehrbändige auch in
deutscher Sprache erschienen.
Ein schwedischer Student, Anders
Torsten Ljungberg in Lund, will entdetzt
haben, daß die drawidischen Sprachen
(unter Drawide versteht man die Sprach
gruppe der Vorarabischen Bevölkerung In
diens und die ural-altaischen Sprachen ur
verwandt sind und einen einzigen Sprach-
lamm bilden. Sollte das Ergebnis seiner
Forschungen bestätigt werden, so würden
wohl für die noch immer schwankende Be
timmuna der ural-altaischcn Volker, der
Ugrofinnen, Samojeden, Türken, Mongo
len, Tungcfen, vielleicht auch "der Magya
ren, neue Anhaltspunkte gewonnen sein. ,
Wusflslye Krausamkelttn ge
gen tschechische gefangene.
Au Prag wird gemeldet: Unter der
Ucöerschrift Befreier" schreibt da heutige
tschechische Pravo Lidu": Für un, alle,
die die asiatische Moral der Petersburger
RegierungSkreise und deren Anhänger
kennen, war e sicher keinerlei Gehcimni,
und wir haben e auch schon au der Ge
schichte kennen gelernt, wie e de Völkern
erging, die so unglücklich waren, daß sie
die Petersburger Regierung befreite"
und dann unterdrückte. Dcr jetzige Welt
krieg, dcr viele unrichtige Anschauungen
umgestoßen hat und dort reinigend wirkte,
wo man schlechten Theorien gehuldigt
hatte, hat auch gründlich die Anschau
ungen aller Europäer westlicher Kultur
über die russische Regicrungspolitik ge-,
ändert. Dcr dünne Kulturanstrich, der in
Rußland Europa gegenüber gezeigt war
dcn war, verschwand sofort nach Aus
bruch dc Krieges, und es verblieb dort
nur die Abscheulichkeit der asiatischen
Willkür und Grausamkeit. Am meisten
und bittersten rsuhrcn die unsere
Stammesgenossen. die so unglücklich
waren, in russische Gefangenschaft zu
fallen.
Zur Charakteristik der Stimmung
dieser Armen mögen der Oesfentlichkeit
einige Stellen aus deren Briefen mitge
teilt werden, damit sie die Größe und die
Tiefe der russischen Gemeinheit und
Niedertracht erkenne. Die Befreier" der
kleinen slawischen Nationen verfahren
mit den tschechischen Gefangenen folgen
dermaßen: Ein Gefangener, dessen Name
verschwiegen werden muß, damit er nicht
der Rache der russischen Machthaber aus
geliefert werde, schreibt: So habe ich
mir die slawische Liebe und die slawische
Brüderlichkeit nie vorgestellt." Andere
Briefe lauten: Sie verfahren mit uns
Tschechen schändlich." Ich hoffe, daß
die slawische Liebe nach dem Kriege ver
schwindet." Ein gefangener Soldat, ein
Tscheche, schreibt auS Rußland: ,Ver
Lffentlicht in den Zcitungcn, wie man mit
unS umspringt. Wenn ich nach Hause
zurückkehre, werde ich erst erzählen, und
jeder Russe muß aus ' unserem Lande
hinaus." Ferner: Danach, waS ich be
merken konnte, verhält es sich mit dcn
Sympathien umgekehrt, als es bei uns
verkündet wurde." Die durch uns ver-
öffentlichtcn Stellen aus den Zuschriften
unserer Gefangenen in Rußland sind nur
ein unbedeutender Bruchteil dessen, WaS
wir auS Rußland erfahren. Es genügt
aber, daß sich unsere Ueberzeugung noch
festige, und daß wir dem Allmächtigen
danken, daß er unsere Heimat vor dem
Einfall dieser Befreier" bewahrt hat.
Die Doggeröank.
Die Nordsee ist ein erst in jüngster Zeit
überfluteter Teil des europäischen Fest
landsockels. Mit der geringen Tiese von
durchschnittlich nur 89 Metern stellt sie
eine ausgeiprochene Flachs ee dar, von
deren Grunde im Westen eine große An
zahl schmaler und langgestreckter Rücken
sich erheben, , mit dazwischen liegenden
Kuhlen oder PitS, von denen die größte
die am Südwestende der Doggerbank lie
gende Silberkuhle ist. Die Doggerbank
elbst hat eine Lange, die der Entfernung
von Köln nach Bafel etwa gleichkommt; sie
ist dem Washbusen an der englischen Küste
vorgelagert und stellt eine solche unter
secische Erhebung bar, die nur 15 bis 30
Meter hoch vom Wasser bedeckt ist. Be
konnt ist sie vor allem durch die Fisch ,
gründe, die sie beherbergt. Ueber die Ent
tehunq dieser langen Bänke hat man sich
lange den Kopf zerbrochen; die Engländer
glauben, daß die Gezeiten die Bänke und
Rillen geschaffen hätten, aber sie sind wohl
älter als die Nordsee selbst und den eis
zeitlichen Diluvialbildungen gleichzusetzen,
die sich so vielfach im norddeutschen Flach
lande finden und dort ganz ähnliche, mit
Seen bedeckte Oberflachensormen geschas
seit haben. Dafür spricht vor allem die
Tatsache, daß die Fischnetze häufig aus
dem oroben Kies der Doaaerbank Knochen
vom Mammut, vom irischen Riesenhirsch,
ferner vom Renntier, Elch, Pferd und
wollhaarigen Nashorn heraufbringen. Alle
diese Tiere lebten in dem Gebiete, bevor
es unter Wasser gesetzt wurde, und Strö
munqen und Gezeiten spulen ihre Reste
aus dem Untergründe heraus.
Das glücklich verlaufene Gefecht an der
Doggerbank, das vor einiger Zeit geliefert
wurde, ruft nicht nur das tragikomische
Ereignis aus dem russisch-japanischen
Krieg in die Erinnerung, wo der Admiral
Roshjcstwenski in die friedlich ihrer Arbeit
nachgehende englische Fischerflotte hinein
pfefferte, in der Meinung, japanische Tor
pedoboote vor sich zu haben, sondern auch
an das erste Seegefecht an der Doggcrbank
zwischen Holland und England im Jahre
1781. Letzteres befand sich im Kampfe mit
den abgefallenen amerikanischen Kolonien,
und da es sich von jeher seine Kastanien von
andern aus dem Feuer holen ließ und die
eigenen Truppen gern schonte, stellte es an
die Niederlande das Ansinnen, ihm Hilfs-
truppen zu stellen. Es berief sich bei dieser
Forderung auf ein altes Abkommen, er
hielt aber eine glatte Absage. So kam es
im Jahre 1780 zur Kriigserklärung. Die
Holländer waren zwar wenig vorbereitet,
aber sie kämpften mit Schneid und Zähig
keit, da die Erbitterung gegen die Anma
ßung Englands zu groß wgr. Die See
schlacht gn der Doggcrbank verlief zwar
unentschieden; die holländische Flotte stand
unter Zontmann, die englische unter Hhde
Parker. Erst im Jahre 1784. als das bis
her befreundete Frankreich die Niederlande
im Stich ließ, kam es zum Frieden, in dem
lctztcrn sehr schmerzliche Bedingungen auf
gezwungen wurden. Ob man im Haag
in diesen Tagen wohl einmal an jene Zci
ten zurückgedacht hat?
Das Glück dcr meisten besteht darin,
rasch vergessen zu können. Der eine
chüttelt sich und daS Widrige ist abge-
allen und vorbei, der andere hegt e und
legt es und kommt immer wieder dar
auf zurück.