Ctnol)tt XrttaBf, Tirnftng, 23. ni 1916. Seite 0.
1
m
die
Roman von C.
M. Serif ekunaJ
JRa. fct so gut Krafft schreibt
fcnrh fcSufia. ' oebt ifirn ernt er
kommt vorwärt roaJ willst du
mebr?"
.Sehen möchte ich ihn mein
Kind mal wieder ans Herz drucken
und Die Stimme versagte ihr,
sie fuhr mit dem Taschentuch über
die Augen und schluchzte leise.
Tüfto trat hinter ihren Stuhl
und strich ihr mit rauycr 3amiaju
iiber den ergrauten Scheitel.
Cafc' gut sein, Mariechen wir
müssen Gott danken, daß der Junqe
wieder auf die Beine gekommen ist
und sich so brav halt.
Aber seine Stimme klang nicht
rnti so fest und dröhnend wie sonst,
.Dab er nicht eher nach Hause
kommen WM, als bis er em cnnacn
ter Mann ist. kann man ihm nicht
verdenken. Recht hat er 'ch tät's
an seiner Stelle auch nicht.
.?lm Sommer soll er ja nach Ham
kurz kommen", fiel Marie Luise ein
.und dann kommt er auch zu uns.
Der alte Herr Hansen ist sehr zu
frieden mit ihm.' fuhr sie eifrig fort.
.Robert Hansen hat eS mir selbst ge
sagt, alö er unS das uptmai vier oe
suchte.'
Plötzlich hob sie lauschend den
Kopf, ihr feines Gehör hatte fer.
xies Schlittengeläute vernommen.
.Unsinn bei dem Weiter wird
gerade Besuch kommen,' brummte der
Vater. .Oder doch ich glaube
wahrhaftig, du haft dich' wcht ge
täuscht da fährt wirklich ein
Schlitten vor '
Man vernahm jetzt deutlich dak
Gebimmel, die Hausglocke wurde ge
zogen, Schritte klangen in' der Halle
und gleich darauf erschien der alte
Anton, ein Tablett in der Hand, auf
dem ein Brief lag.
Mit der ihm eigenen steifbeinigen
Würde näherte er sich Frau v. Düf
so.
.Von Frcmze !vns mag sie wol
ten?" .
Kaum hatte Frau v.DLssow die
wenigen Zeilen übnflvgen,- als sie
das Blatt erschrocken sinken ließ.
.Um Gottes willen - der arme
Burgk! Da lies selbst. - Kurt
Detlef ein Schluganfall oder
etwaZ derartiges.'
.Donnerwetter! Das wäre zeig'
her. Mariechen!"
Er nahm feiner Frau den Brief
aus. der Hand, nd -naher ur Lampe
tretend, las er:
.Liebste Tante! lffienn du kannst,
komm' zu mir bitte, bitte. Vater
ist schwer erkrankt iH fürchte daS
Schlimmste. Er ist ohne Bewußtsein,
ich weiß mir keinen Rat es kam
so plötzlich, wie ein Blitz . auS , heitc !
rem Himmel. Ter arme Vater. Ich
fand ihn vor einer Stunde , lang aus
pestreckt auf dem Teppich , mitten im
Zimmer liegend, als ich zu ihm kam.
teilte komme gleich, der Schlitten soll
warten ich ängstige mich , so. Gruß
Fränze.' ,
.Düssow legte den Brief auf den
Tisch zurück und sah seine Frau an.
.Das arme, arme Mädel! Du
mußt natürlich gleich hin. Mariechen,
und ich werde dich begleiten. Selbst
verständlich. Anton, sogen Sie dem
Kutscher, wir kämen sofort."
.Laßt mich auch mitkommen," bat
Marie Luise; aber die Mutter schüt
ielte den Kopf.
.Nein, Kindchen, wir wollen lieber
allein fahren. Bleib' du hier und
sorge, daß daS tlaue Zimmer geheizt
und hergerichtet wird, vielleicht brin
gen wir Fränze gleich mit. Wer weiß,
gö wir nicht bereits zu spät kommen,
und dann lasse ich sie auf keinen Fall
allein in Altendorf. Hole mir den
Pelzmantel bring' auch den Basch
lik mit, es wird eine kalte Fahrt wer
den, und Anton soll die Fußsäcke in
den Schlitten legen schnell
schnell!"
Wenige Minuten später glitt der
Schlitten in rascher Fahrt vom Hofe
in die Dunkelheit hinaus das Klin
geln der Glöckchen klang ferner und
ferner verstummte allmählich ganz.
'Nur der Wind heulte und fuhr kla
gend um die Mauern des alren Her
renhauseS. Bom Altendorfer Turm wehte die
Trauerfahne , zum Zeichen, daß der
letzte Herr fein irdisch Heim verließ.
In langer Reihe bildeten die Dorf
leute Spalier der Kriegerverein
mit umflorter Fahne salutierte der
Kantor hob den Stock hellt Kin
beistimmen erklangen die Weise
des alten Kirchenliedes: Jesus meine
Zuversicht empfing den blumenüber
jchütteten Sarg.
Die Träger traten mit ihrer Last
aus dem Portal der Halle lang
sam setzte sich der Traunzug in Be
wegung. Fränze trat tief . verschleiert als
uste Leidtragende an Herrn v. Düf
soms Arm den verschneiten Weg zum
Erbbegräbnis derer von Burgh an.
' Die Hüte flogen . von den Köpfen
der Männer, manch mitleidiger Bück
folgte der schlanken Madchengestait,
die jetzt ihr Letztes der Erde über-
mLm
i
Heimat.
d. finifiuntb.
Das arme Ding", klang es hinter
ihr drein. Der letzte seines btam
mti. meinte ein anderer, .mit ihm
erlischt das Geschlecht im Mannes
stamm'.
Die Rcgimentskapelle der benach
barten Garnison spielte einen Trauer
marsch, ernst stiegen die feierlichen
Klänge zum grauen Winterhimmel
empor.
Bor der offenen Gruft hielt der
junge Dorfgkkstlicye noch eine kurze
Ansprache, dann fielen die hartgefro
lknen Erdschollen dumpf auf den
Sargdeckel es war vorüber, die
Menge zerstreute sich.
Einige der Gutsnachbarn kehrten
noch einmal in das Trauerhiius zu
rück, um vor der kalten Rückfahrt
rasch einen Imbiß zu nehmen.
Im Eßzimmer war ein kaltes Bü
fett aufgeschlagen, einer nach dem an
deren trat herzu, um hastig ein Glas
Portwein hinunter zu stürzen, ein
telegtes Brötchen, zu genießen.
Herr v. Bistrow griff als einer der
ersten zum Elafe.
.Scheußlich eigentlich, solch eine
Feier", meinte er. sich schüttelnd und
die erstarrten Hände gegeneinander
reibend. Der lange Zützow nickte be
dächtig. .Wieder einer dahin von den alten
Freunden wer weiß, wann an uns
die Reihe kommt. Prosterchen .
,Na. wenn ich dann einmal inS
GraS beißen soll, wünsche ich mir kin
ebensolches Ende, wie es Werner
Burgk beschicken war: noch vor ei
ner Stunde quietschmunter ein
leichter Schwindel Schlag achte
t is. Nein, er ist nicht zu bekla
gen. Mir tut nur vas arme Ding,
die Fränze. von Herzen leid".
Da hast Du recht! ArmeS, klei-
nes Mädel was soll nun aus ihr
werden? 'ö ist zum Erbarmen".
Bin nur neugierig, wie sich die
Verhältnisse hier gestalten werden.
Den guten Burgk in allen Ehren
war ein kreuzbraver Mensch
aber ein guter Landwirt war 'er
nicht".
,Nee, daS wohl nicht gerade .
stimmte Zützow bei, .von Landwirt
schaff hatte er keinen blauen Dunst:
seine sozialpolitischen Bestrebungen
lagen ihm näher am Herzen als seine
Aecker und Wälder. Unter uns ae-
sagt: ich glaube kaum, daß bei einem
Verkauf diel herausschauen wird, M-
.'endorf ist hypothekarisch schwer bela-'
stet, die Felver sind schlecht bewirt
schafiet, und im Walde ist auch furcht
bar gewüstet worden. So leicht
wird sich kein Käufer dafür finden.
wenigstens keiner, der gut zahlt".
Wer sagt Dir denn, dort die Toch
ter verkaufen wird? Vielleicht will
sie das Gut halten, es selbst bewirt-
schaften".
Wenn sie'S kann, mein Bester,
wenn sie's kann sie wird um jeden
Preis verkaufen müssen. Das Gün
pigfte wäre noch, wenn einer von
uns es zu annehmbarem Preise er
stände". Na vielleicht nimmst Du es.
Prosterchen? Altendorf grenzt ja an
iöteinlirch, als Vorwerk war ö mcht
übel. Dein Aeltesier geht sowieso auf
Freiers Füßen, und die Fränze ist
ein liebes, hübsches Mädel wie
war's?"
Bistrow goß sich ein zweites Glas
Portwein em und schmunzelte:
.Von mir aus ich hatte nichts
dagegen. UebrigenS grenzt Altendorf
nach der anderen Seite an Groß
Tehlau das würde es ebenfalls
hübsch abrunden, und Dussow hat
auch mehrere Söhne zu vergeben".
Na, Erik ist bereits versorgt und
die anderen? Arved ist mit Leib
und Seele Offizier, denkt nicht dar
an. Stoppelhljpser zu werden, der
will Karriere machen; bliebe also nur
Jochen der Jüngste , der ange
hende Landrat; aber der ist eigentlich
zu jung für die Fränze. und der an
dere der Krafft zählt doch nicht
mehr mit."
Während so über Fränzes ferneres
Schicksal verhandelt wurde, saß diese
im Nebenzimmer und ließ die wort
reichen Beileidsbezeugungen der ölte
k'n Tamen geduldig über sich er
lehen. f
Wie schutzsuchend hielt sie Frau
von Tüssows Hand in der ihren und
nickte nur stumm zu allem, waS man
ihr sagte. Die sonst so fröhlichen
Rehaugen waren vom Weinen gerötet,
ein harter Leidenszug hatte sich tief
in das weiche, jugendliche Gesicht ge
gruben. Sie fühlte sich elend, müde
zum Umsinken.
Ware doch dies Letzte noch über
standen! Nur fort aus dieser drük
kenden Luft, all die wohlgemeinten
Trostworte nicht länger mit anhören
müssen! Sie sehnte sich nach Ruhe,
nach Einsamkeit. ,
Aber schließlich ging " auch diese
Stunde vorüber, die Schlitten fuhren
vor.
Wie im Traunl drückte 'sie die
Händi der Abschiednehmenden, du!
dete hier eine Umarmung, dankte dort
mit einem, mechanisch gemurmelten
Wort dann war sie mit ihren
ltn Freunden allein.
.Komm, Herzchen," ntaljnl Frau
von Düssolo, .In fährst jetzt j mit
uns nach Hause, hier kannst Du
nicht bleiben. Ich will Dich schon
schön heraukpflegen, mein Töchierchen,
und später wenn Tu ruhiger ge
worden bist, überlegen wir zusam
men, was werden soll. Die Sorge
um das Gut überlaß nur ruhig eins!
weilen dem Onkcl, es wird sich alles
finde,.."
Fränze nickte sch!t?e:gend, fast wil
lenlo ließ sie sich in die Pelze und
Tücher hüllen und zum Schlitten
führen.
Drei Monate weilte die junge
Waise nun bereit in Groß-Tehlau.
daS ihr eine zweite Heimat gcwor
den. Helle Märzsonne lachte vom
blakblauen Himmel, leises Vorfrüh
lingshnen durchzog die Luft. Ein
seltsam erregender frischer Hauch
stieg von Acckern und Wiesen auf.
- Der Schnee zeigte nicht mehr das
leuchtende Weiß von ehedem, er hatte
eine gelbliche glasige Färbung ange
nommen. Da und dort trat bereits
die braune Erdkrume . zutage und
strömte herben, kräftigen Duft auS.
Von allen Dächern begann es zu
tropfen, der Eisspiegel deS Weihers
war dünn und brüchig geworden,
schüchternes LoZelgezwitscher ließ
sich in den noch kahlen Bäumen hö
ren.
Langsam, ollmählich begann da?
Land aus monatlangem Winterschlaf
zu erwachen.
Franze saß in lhrem kleinen
Turmzimmer am Schreibtisch, ein
angefangener Brief lag vor ihr. Sie
wollte Krafsts letzte Zeilen beantwor
ten, die feit Tagen der Erledigung
harrt:.
Aber sie schien nicht in fchreiblusti
ger Stimmung, immer wieder legt,
sie die Feder beiseite und blickte hin
aus. Sie ließe den Kopf in die auf
gestützte Hand sinken und der nach
tenkliche Ausdruck ihres schmäler ge
wordenen Gesichtes vertiefte sich noch
mehr.
Dort drüben, hinter dem sanft
geschwungenen Höhenzug lag Alten
dorf; deutlich zeichnete sich der Feld
weg ab. der sich durch Wiese?
fchlängelnd im Ecäst des Walde?
verlor.
Wie oft war sie als Kind die
fen Pfad gewandelt oder an
Kraffts Seite auf dem Rücken ihres
schwarzen struppigen Ponys gerit
ren. Wie weit lagen doch diese Tage
zurück!
Sie dachte an Krafft aber das
Bild deS , Jugendgespielen begann
ganz leise zu verschwimmen nur
undeutlich wie im Nebel sah si
seine Züge. Ob ,es chrn nicht ahn
lick gehen mochte? Wer konnte
wissen, ob er je wieder heimkehren
würde?
Und selbst, wenn der Sommer daS
verheißene Wiedersehen brächte, könn
te er noch der Alte sein? Mußten
Zeit Entfernung andere Men
chen und Eindrucke um nicht ver
wandelt haben?
Sie war s vertieft in ihre Ge
danken, daß sie erschrocken zusammen
fuhr, als an die Tür geklopft wurdz
und auf ihr .Herein" die große,
breite Gestalt des Hausherrn über
die Schwelle trat.
.Onkel. Du?" rief sie überrascht.
denn es geschah fast nie, daß Herr
von Düssow sie in ihrem Zimmer
aufsuchte. .
.Ja. Fränze ich bin'ö, sieh
mich nur nicht so entsetzt an ich
beiße nicht. Ich möchte nur gerne
einmal ungestört etwas mit Dir be
sprechen und unten wimmelt im
mer jemand von der Famrl her
um da hat man doch kein: rechte
Ruhe.'
Sie schob einen bequemen Lehn
esse! heran, faltete die Hände im
schoß und sah erwartungsvoll zu
ihm auf. Nach mehrmaligem Räu
spern begann Herr von Dussow:
.Sag mal, Kindchen, haft Du er
gentlich schon einmal darüber nachge
dacht, wie Tu Deine fernere Zukunft
zu gestalten denkst?"
.Mit meinst Du das. Onkel
bin ich Euch lästig wollt Ihr mich
los YMi
.Versieb mich umö 5immelS willen
nicht falsch, Fränze!" rief Düssow,
als er das bestürzte Gesicht bei Mäd
ckens lab. ' Du bitt uns ein lieber.
gerng'.sehener Gast nein was
red :ch sur Unsinn unser liebes
Töchierchen bist Tu. das ' der uns
bleiben soll, solange es will am
liebsten für immer icb meine, was
soll mit Altendorf werden?"
.WaS mit Altendorf werden soll?
Ich verstehe Dich nicht. Onkel; Alten
dorf ist doch nach Papas Tod mein
Eigentum nicht wahr?"
.Selbstverständlich. Tu bist un
umstrittene Erbin, außerdem mündig
kein Mensch hat Dir drern zu
ieden, Ich meine-nur die Bewirt
fchastung eines größeren GuteS gibt
viel Arbeit erfordert eine männ
liche Hgnd es gehören landwirt
schaftliche Kenntnisse dazu. Erfah'
rung. und nicht zum Wenigsten
Geld. Dies alles aber befitzt Du
nicht, liebes Kind. Ich habe zwar
nach dem Tode Deines Vater die e
wirtschaftung mitübernommen, aber
auf d'e Dauer läßt sich das bei meiz
nem eigenen großen Besitz nicht durch
führen." '
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